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rubin | frühjahr 13
Mit Mineralen Erdkruste
und Weltall erforschen
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Abb.1: Dr. Ralf Dohmen im RUBION
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Ein neues Uhrwerk
für die Geologie
Petrologen erforschen Geschwindigkeit
und Dauer geologischer Prozesse
Ralf Dohmen und Sumit Chakraborty
Seit wann gibt es das Sonnensystem? Wann entstanden die Kontinente? In der Geschichte der Geowissenschaften hat die Altersbestimmung von Gesteinen eine entscheidende Rolle gespielt, um zu rekonstruieren, wie sich Erde und Sonnensystem entwickelten.
Mit den bisherigen Verfahren konnten Forscher nur langsame geologische Veränderungen
über Millionen von Jahren verfolgen. Viele Prozesse finden aber auf wesentlich kürzeren
Zeitskalen statt. Bochumer Petrologen haben deshalb eine neue Methode etabliert, um
anhand von Diffusion in Mineralen auch schnelllebige Prozesse, zum Beispiel die Wege des
Magmas in der Erde, zu verfolgen.
Geowissenschaftler datieren das Alter eines Gesteins oder eines einzelnen Mineralkorns klassischer Weise mittels radioaktiver Isotope. Isotope sind verschiedene
Varianten eines Elements, die sich in der
Anzahl an Neutronen im Atomkern unterscheiden. Kohlenstoff mit acht Neutronen
(14C) ist zum Beispiel radioaktiv, Kohlenstoff mit sechs Neutronen (12C) nicht. Je
weniger radioaktive Isotope – im Vergleich
zu deren ursprünglichem Gehalt – man in
einem Gestein findet und je mehr von ih-
info
Rutherford-Rückstreuung
Durch die Rutherford-Rückstreuung, benannt nach Ernest Rutherford, wurde erstmalig Anfang des 20. Jahrhunderts in einem klassischen Experiment der positiv geladene Atomkern nachgewiesen, was zu einer Revision des damaligen Atommodells
führte. Bei der Rutherford-Rückstreuung werden leichte Atome (meist Helium-Kerne)
auf Energien im Bereich von einigen Millionen Elektronenvolt beschleunigt und auf die
Probe gestrahlt. Nur ein kleiner Bruchteil der leichten Atome wird an den Atomkernen an der Probenoberfläche gestreut und von der ursprünglichen Bahn abgelenkt.
Dabei passiert das Gleiche, wie wenn leichte Billardkugeln auf schwere Billardkugeln
treffen. Je schwerer die getroffene Billardkugel ist, umso mehr Energie wird auf die
leichte Kugel übertragen und desto weniger verliert sie an Geschwindigkeit. Im Experiment können wir die Energie der gestreuten Helium-Kerne messen. So erhalten wir ein
Energiespektrum, das uns die Gehalte der unterschiedlichen Atomkerne in der Probe
aufgrund ihrer unterschiedlichen Massen verrät. Ein Großteil der Helium-Kerne dringt
tiefer in die Probe ein und wird zum Teil an tieferen Schichten gestreut. Da die HeliumKerne beim Eindringen in die Probe Energie verlieren, können wir rekonstruieren, in
welcher Tiefe diese Kerne gestreut wurden. Dadurch bestimmen wir über das Energiespektrum indirekt die Konzentration der Elemente als Funktion der Tiefe der Probe.
ren Zerfallsprodukten, desto älter ist das
Gestein. Der Zerfall der radioaktiven Isotope ist wie eine Uhr, die permanent tickt.
Wir können sie so lange nutzen, wie messbare Konzentrationen des radioaktiven Elements und/oder des Zerfallsprodukts im
vorliegenden Objekt nachweisbar sind. Mit
dieser Uhr untersuchen Forscher Veränderungen, die Millionen bis Milliarden Jahre
dauern. Aktuell entdecken wir aber immer
mehr Prozesse, die viel schneller ablaufen.
Insbesondere im Zusammenhang mit Vulkanismus geht es nur um Monate, Wochen
oder Tage. Dieses Zeitfenster war uns bislang nur für Ereignisse aus der jüngeren
Vergangenheit zugänglich. Denn die „radioaktive Uhr“ hat Grenzen: Eine bestimmte Anzahl von Atomen muss in dem relevanten Zeitraum zerfallen, damit der Zerfallsprozess überhaupt messbar wird. Bei
manchen Isotopen dauert das Jahre, Jahrmillionen oder länger. Schnelllebige Prozesse lassen sich daraus also nicht ablesen. Andere Isotope zerfallen jedoch sehr
schnell; mit ihnen könnte man also auch
Veränderungen auf kürzeren Zeitskalen erfassen. Was schnell zerfällt, ist aber auch
schnell verschwunden – die „radioaktive
Uhr“ hört auf zu existieren. Daher ist sie
nicht geeignet, um schnelllebige Prozesse
in der fernen Vergangenheit zu erfassen.
Anhand der radioaktiven Isotope kann
man außerdem lediglich bestimmen, wie
alt ein Gestein oder Mineral ist oder wie
viel älter es im Vergleich zu einem anderen
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Objekt ist – aber nicht die Dauer eines Prozesses, etwa eines Transportprozesses zwischen den Magmenkammern eines Vulkans. Hilfreich ist zwar, verschiedene radioaktive Isotope zu kombinieren. Allerdings
haben wir innerhalb des vergangenen Jahrzehnts eine weitere Methode etabliert, die
uns viel direkter Informationen über die
Dauer von geologischen Prozessen liefert.
Dieses Verfahren beruht auf der Diffusion
von Elementen in Kristallen (Abb. 2) und
wird mittlerweile Diffusionschronometrie
oder ursprünglich auch geospeedometry genannt. Das Grundprinzip: In einem Mineral sitzen die Atome nicht stabil auf einer
Position im Kristallgitter, sondern können
auf benachbarte Gitterpositionen „hüpfen“.
Das geht allerdings nur, sofern in der Nähe
so genannte Punktdefekte präsent sind, wie
zum Beispiel eine Leerstelle im Gitter. Wie
häufig Atome auf eine andere Position hüpfen, hängt hauptsächlich von der Temperatur ab. Mit steigender Temperatur werden
die Sprünge wesentlich wahrscheinlicher.
Minerale enthalten verschiedene Elemente, die oft nicht gleichmäßig im Kristallgitter verteilt sind. Der Diffusionsprozess gleicht diese Unterschiede aber mit
der Zeit tendenziell aus (Abb. 2). Mathematisch beschreiben wir das mit der Diffusionsgleichung, einem etablierten physikalischen Gesetz. Mit ihr können wir modellieren, wie sich die Elemente im Kristall im
Laufe der Zeit umsortieren. Für unseren
Zweck müssen wir dazu die Materialkonstante kennen, auch Diffusionskoeffizient
genannt. Für ein bestimmtes Element oder
Isotop in einem bestimmten Mineral gibt
dieser Koeffizient die Geschwindigkeit der
Diffusion – also die Häufigkeit der Atomsprünge – in Abhängigkeit von der Temperatur an. Ähnlich der Zerfallskonstante für radioaktive Isotope nutzen wir den
Diffusionskoeffizienten, um einen Prozess
zeitlich zu skalieren. Anstelle der Häufigkeit von radioaktiven Zerfallsereignissen
betrachten wir indirekt die Häufigkeit von
Sprüngen im Kristallgitter. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden
„geologischen Uhren“ besteht darin, dass
die radioaktive Uhr stets unerbittlich weiterläuft. Denn die Wahrscheinlichkeit des
radioaktiven Zerfalls wird nur von den starken Wechselwirkungen im Atomkern kontrolliert, ist aber unabhängig von den physikalischen Umgebungsbedingungen. Ganz
Zeit
Abb. 2: Diffusion in Kristallen: Die Verteilung verschiedener Elemente
(blau und grün) in einem Mineral kann sich ändern, wenn Atome in
benachbarte Positionen im Kristallgitter springen. Das geht nur, wenn
der Nachbarplatz unbesetzt ist (Leerstelle, weiß). Durch den Sprung
wird an der vorherigen Position ein Gitterplatz frei, und alle unmittelbar benachbarten Atome können sich einen Platz weiter bewegen. Diese Bewegung ist ungeordnet, man bezeichnet sie als Diffusion. Im Laufe der Zeit sorgt die Diffusion dafür, dass beide Elemente im Mineral
gleich verteilt werden (unten). Dieser Prozess ist temperaturabhängig.
anders ist es für die Diffusionsgeschwindigkeit: Sie ist sehr stark von den Umgebungsbedingungen abhängig, besonders
von der Temperatur; Kälte stoppt die Uhr.
Bei den Temperaturen an der Erdoberfläche findet kaum Diffusion in Mineralen
statt, die Elementverteilung bleibt „eingefroren“. Das Mineral besitzt damit quasi
ein Gedächtnis für geologische Prozesse,
die vor seinem Abkühlen – etwa im Inneren von Vulkanen – stattgefunden haben.
So können wir anhand von Mineralen, die
viele Millionen Jahre alt sind, auch relativ
kurzzeitige Prozesse aus der Zeit vor dem
Abkühlen auslesen und quantifizieren.
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∆t₁= 81 Tage
Mg: Magnesium, Fe: Eisen
Magnesiumgehalt [Mg / (Fe + Mg)]
85
80
∆t₂= 54 Tage
75
70
Rand
Kristallkern
Rand
Distanz
Abb. 3: Kristalle aus Magmenkammern sind häufig chemisch nicht gleichmäßig zusammengesetzt, sondern
zoniert. Oben: Verteilung von Magnesium in einem Olivinkristall, ermittelt mit der Elektronenstrahlmikrosonde. Das Instrument bestimmt die chemische Zusammensetzung räumlich bis auf einen Tausendstel Millimeter genau. Je roter, desto höher die Magnesiumkonzentration. Unten: Gemessene Magnesiumkonzentration (Kreise), simulierte Magnesiumverteilung (durchgezogene Linie) und rekonstruierte ursprüngliche Magnesiumverteilung (gestrichelte Linie). Das Modell liefert uns die Verweildauer des Kristalls in unterschiedlichen Magmenkammern, zum Beispiel 81 Tage in der ersten Kammer, 54 Tage in der zweiten Kammer usw.
Eine ungleichmäßige Verteilung von Elementen in einem Kristall kann bei dessen
Wachstum aus einer Gesteinsschmelze in
einer Magmenkammer entstehen. Während des Wachstums können sich die chemische Zusammensetzung der Schmelze bzw. die physikalischen Bedingungen,
also Druck und Temperatur, ändern. Das
wirkt sich auf die chemische Zusammensetzung des Kristalls aus. Häufig bekommt
ein Kristall einen neuen Wachstumsschub,
wenn „frisches“ und heißes Magma aus einer tiefer liegenden Quelle in die Magmenkammer einströmt. Der Gehalt an Hauptund Spurenelementen in einem Kristall reflektiert die Bildungsbedingungen in der
Magmenkammer und dient uns als Archiv
dieser Bedingungen – ähnlich wie Jahresringe in Bäumen ein Archiv der klimatischen Vergangenheit darstellen.
Wenn das Mineral nach seinem Wachstum sehr lange bei den hohen Temperaturen in der Magmenkammer verweilt, kann
das Archiv gelöscht werden – denn Diffusionsprozesse ändern die ursprüngliche Variation in den Elementgehalten und sorgen langsam für eine gleichmäßige Verteilung. In dem Moment, in dem der Kristall
jedoch zusammen mit der Schmelze durch
den Vulkanschlot an die Erdoberfläche geschleudert wird, nimmt die Temperatur
des Magmas sehr stark ab. Die Schmelze
erstarrt, der Diffusionsprozess im Mineral kommt zum Erliegen, und die Elementverteilung friert ein. Wir untersuchen solche abgekühlten Gesteinsproben von historisch dokumentierten Vulkanausbrüchen und bestimmen detailliert ihre Elementverteilung. Bei Vulkanausbrüchen
der jüngeren Vergangenheit kennen wir
den Zeitpunkt des Ausbruchs; wir wissen
also, wann die Elementverteilung eingefroren wurde. In den meisten Fällen können wir auch die ursprüngliche Elementverteilung im Kristall rekonstruieren. Was
wir nicht wissen, ist, wie lange sich der
Kristall in der Magmenkammer befand.
Mit Hilfe der ursprünglichen Elementverteilung und des Diffusionskoeffizienten
modellieren wir die heute beobachtete Elementverteilung. Die einzige Unbekannte
bei diesem numerischen Verfahren ist die
Verweildauer des Kristalls in der Magmenkammer. Wir variieren die Dauer so lange,
bis die simulierten Daten möglichst gut an
die gemessene heutige Elementverteilung
angepasst sind. So können wir die Verweildauer in der Magmenkammer realistisch
bestimmen (Abb. 3 unten).
Diese Methode haben wir erstmals am
Vulkan San Pedro in Chile eingesetzt. Auf
dieser Erfahrung aufbauend untersuchten wir dann Basaltgesteine von Eruptionen des Ätna auf Sizilien (Abb. 4). Er ist mit
3300 Metern über dem Meeresspiegel der
höchste und aktivste Vulkan Europas. Insbesondere wegen der angrenzenden dich-
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ten Besiedlung wird er mit verschiedenen
Messstationen permanent überwacht, um
mögliche Anzeichen einer bevorstehenden
Eruption zu erkennen. Während einer besonders aktiven Phase des Ätna, von 1991
bis 1993, wurden insgesamt etwa 240 Millionen Kubikmeter Magma an die Erdoberfläche befördert und damit eine Fläche von etwa 7,6 Quadratkilometern bedeckt – nachdem der Ätna für etwa 23 Monate keine wesentliche vulkanische Aktivität gezeigt hatte.
Dr. Maren Kahl untersuchte die eruptierten Gesteine aus dieser Phase in einem
Teilprojekt des SFB 526 „Die Rheologie der
Erde – von der Oberkruste bis in die Subduktionszone“ und nahm die so genannten Olivinkristalle genauer unter die Lupe.
Olivin ist ein Silikat, das Eisen und/oder
Magnesium enthält, wobei sich die beiden
Elemente beliebig in dem Mineral ersetzen
können. Es ist das häufigste Mineral im
oberen Erdmantel und kommt bis zu einer
Tiefe von 400 Kilometern unter der Erdkruste vor. Des Weiteren ist es häufiger Bestandteil von Gesteinen vulkanischen Ursprungs sowie wesentliche Komponente
von Steinmeteoriten.
In den Ätna-Olivinkristallen bestimmten wir die Elementverteilungen. Sie spiegeln die Bedingungen in der Magmenkammer während des Kristallwachstums wider,
zum Beispiel Druck und Temperatur. Oft
enthalten Kristalle mehrere Zonen (Abb. 3
oben), weil sie mehrere Wachstumsschübe
in unterschiedlichen Umgebungen durchgemacht haben, die sich in Druck, Temperatur oder Feuchtigkeit unterscheiden. Aus
der Elementverteilung können wir deshalb
chronologisch rekonstruieren, durch welche Umgebungen die Schmelze mit ihrer
kristallinen Fracht (in diesem Fall Olivine)
gewandert ist. Während der aktiven Phase
des Ätna von 1991 bis 1993 eruptierte die
Schmelze nicht direkt aus der tiefen Quelle, wo sie entstanden war. Auf dem Weg
nach oben hielt sich das Magma in mindestens drei verschiedenen Umgebungen
auf, bevor es an die Oberfläche kam. Die
Diffusionschronometrie machte es möglich, die Aufenthaltsdauer in jeder dieser
Umgebungen separat zu berechnen. Da
der Tag der Eruption des untersuchten Gesteinsstücks dokumentiert ist, können wir
anhand der Verweildauer den Zeitpunkt
ausrechnen, an dem der Kristall in einem
neuen Umfeld einen Wachstumsschub
durchmachte. Den Wachstumsschub des
Olivinkristalls haben wir dann mit den beobachteten Signalen an der Vulkanoberfläche, wie zum Beispiel seismischer Aktivität und Austritt von Schwefeldioxid (SO2),
verglichen. Das hilft, die Überwachungssignale im Hinblick auf die Vorgänge in dem
Versorgungssystem des Ätna besser zu in-
terpretieren, zum Beispiel den Transport
von Magma zwischen verschiedenen Etagen des Vulkangebäudes.
Im Dezember 1990 – vor dem Beginn
der Eruption – kam es an der Erdoberfläche zu erhöhtem SO 2-Gasfluss und verstärkter Deformation des Bodenuntergrunds. Unsere Analyse ergab, dass zeitgleich ein neues Kristallwachstum begann
Abb. 4: Oben: Der Ätna ist in den vergangenen Jahren sehr aktiv gewesen und verändert fortwährend die
Landschaft. Das Foto aus dem Jahr 2007 zeigt das Ergebnis einer relativ jungen Eruption von 2006. Unten:
Fidel Costa, ein langjähriger Kooperationspartner, sammelt Gesteinsproben am Ätna. Während seiner Zeit
als Postdoc in Bochum war er einer der Initiatoren der Ätna-Untersuchungen. Zurzeit ist er am Earth Observatory of Singapore tätig.
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Gepulster Laserstrahl, Wellenlänge 193 nm
50 m
m
Plasma
Heiz
20 -
Polierte Einkristalle
elem
ent
Abb. 5: Oben: Schematische Darstellung des Aufbaus für die Laserstrahlverdampfung. Ein hochenergetischer
Laserstrahl mit einer Wellenlänge im UV-Bereich wird auf eine Probe fokussiert. Silikate und Oxide absorbieren diese Laserpulse sehr effektiv, die Probenoberfläche verdampft und wird zu einem Plasma – einem Gas
aus Ionen und neutralen Gasatomen. Die bestrahlte Probe befindet sich in einer Vakuumkammer, und das
entstehende Plasma breitet sich senkrecht zur Oberfläche innerhalb der Kammer aus, siehe unten. Für eine
Beschichtung werden polierte Kristalle an geeigneter Position in den sich ausbreitenden Plasmastrom gebracht, und die Ionen und neutralen Gasatome kondensieren auf der kalten Oberfläche. Unten: Ein grünes
Plasma, das durch Laserstrahlverdampfung einer synthetisch hergestellten Olivinprobe erzeugt wurde. Die
Farbe des Plasmas hängt vom Emissionsspektrum der verschiedenen Elemente ab, das hier von Magnesium
dominiert wird.
und frisches Magma aus dem tieferen Reservoir in die darüber liegenden Magmenkammern wanderte. Das war wohl die Initialzündung für die darauffolgende längere Aktivität des Ätna. Kurz vor dem Ausbruch im Dezember 1991 gab es einen weiteren Kristallwachstumsschub, was aber an
dem verstärkten Magmenaustausch zwischen den drei Umgebungen lag. Auch die-
ses Ereignis fand zeitgleich mit verstärktem SO2-Gasfluss und Untergrunddeformation statt. Zum ersten Mal haben wir
eindeutig einen direkten Zusammenhang
zwischen den Vorgängen in der Magmenkammer und den physikalischen Vorgängen an der Erdoberfläche hergestellt. Ein
ähnliches Ergebnis erzielten Vulkanologen
aus Bristol in Zusammenarbeit mit uns
für den explosiven Ausbruch des Mount
St. Helens im US-Bundesstaat Washington am 18. Mai 1980. Das Verständnis solcher Zusammenhänge ist eine Grundvoraussetzung, um Überwachungssignale im
Hinblick auf eine bevorstehende Eruption
interpretieren zu können.
Entscheidend für die oben vorgestellten Analysen war eine genaue Kenntnis
des Diffusionskoeffizienten. Diesen bestimmen wir im so genannten Diffusionsexperiment mit einem Verfahren, das wir
an unserem Lehrstuhl entwickelt haben.
Zunächst braucht man ein Material, mit
dem der Kristall, dessen Diffusionskoeffizient wir messen wollen, Elemente austauschen kann. Wir verwenden dazu Schichten mit Dicken von wenigen Nanometern
(Millionstel Millimetern) bis hin zu wenigen hundert Nanometern. Diese dünnen
Schichten stellen wir mit Laserstrahlverdampfung von synthetischen Materialien
her (Abb. 5 oben): Mit einem Excimer-Laser bestrahlen wir das synthetische Material. Die Laser-Wellenlänge im ultravioletten Bereich (193 nm) ist so gewählt, dass
die meisten für uns relevanten Materialien
den Laserstrahl sehr effektiv absorbieren
und sich in ein ionisiertes Gas, ein Plasma,
umwandeln. Dieses Plasma breitet sich in
der Vakuumkammer gerichtet aus (Abb. 5
unten) und scheidet sich auf den polierten Kristallen ab. Die chemische Zusammensetzung des verdampften Materials bestimmt also die chemische Zusammensetzung der dünnen Schicht auf dem Kristall.
Auf diese Art erzeugen wir sehr einfach
Diffusionspaare aus Schicht und Kristall,
welche dann während der Experimente bei
hohen Temperaturen und hohem Druck
Elemente austauschen.
Nach dem Experiment messen wir die
Elementverteilung in der Schicht und im
Kristall. Das erfolgt in vielen Fällen mittels Rutherford-Rückstreuung (RutherfordBackscattering, Info) am Ionenbeschleuniger des RUBION der RUB (Abb. 6). Mit der
Rutherford-Rückstreuung können wir die
Elemente mit einer räumlichen Tiefenauflösung auf bis zu fünf Nanometer genau
bestimmen. Diese Präzision ermöglicht es
uns überhaupt erst, die Diffusion bei für
die Anwendung relevanten Temperaturen
zu untersuchen. So haben wir zum Beispiel den Austausch durch Diffusion von
Eisen und Magnesium in dem Mineral Oli-
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vin über einen großen Temperaturbereich
(700 bis 1300 °C) gemessen. Damit konnten wir nicht nur die Verweildauer der Olivinkörner in der Magmenkammer des Ätna
bestimmen, sondern auch die Transportwege dieser Körner zwischen verschiedenen Umgebungen herausarbeiten.
Die Diffusionschronometrie haben wir
bereits und werden sie noch auf eine Reihe
anderer geowissenschaftlicher Fragestellungen anwenden, zum Beispiel im Zusammenhang mit den Gebirgen des Himalaja, dem Meeresgrund und dem Sonnensystem. Ähnlich wie in vulkanischen
Gesteinen finden sich auch in bestimmten
Meteoriten, den kohligen Chondriten, Olivinkristalle mit Eisen- und Magnesium-Zonen. Doktorandin Sabrina Hall nimmt diese in einem DFG-Teilprojekt des Schwerpunktprogramms „The first 10 million years
of the solar system“ genauer in Augenschein. Die kohligen Chondriten sind fast
so alt wie das Sonnensystem, aber wie genau sie vor etwa 4,55 Milliarden Jahren entstanden, ist nicht klar. Mit Hilfe der Diffusionsmodellierung hoffen wir, die lange
zurückliegende Temperaturgeschichte des
solaren Nebels bzw. früher Kleinplaneten
zu rekonstruieren und somit besser zu verstehen, wie die erste feste Materie des Sonnensystems entstand.
Während ihrer Promotion untersuchte Dr. Kathrin Faak die ozeanische Kruste, die drei Viertel der Erdoberfläche ausmacht. 70 Prozent dieser Kruste bestehen
aus Gabbro, einem magmatischen Gestein,
das mehrere Kilometer unter dem Meeresboden kristallisiert. Dort, wo das passiert,
verliert die Erdkruste an Wärme. Dieser
natürliche Wärmeverlust ist der Motor für
die „Dynamik“ unseres Planeten, also etwa
für die Plattentektonik. Durch Roboterarme holen Forscher die Gabbros zum Beispiel aus Tiefseegräben an die Oberfläche.
Anhand dieser Proben bestimmte Kathrin Faak, wie schnell das Gestein abhängig von seiner Tiefe an Wärme verlor. Mit
der Diffusionsmodellierung von Magnesium in dem häufigsten Mineral der ozeanischen Kruste, dem Plagioklas, fand sie heraus: Beide bisher vorgeschlagenen Modelle für die Entstehung der Gabbros können
die beobachteten Abkühlraten nicht vollständig erklären. Die Daten liefern wichtige Rahmenbedingungen für neue Modelle
zur Kristallisation der Gabbros.
Am Beispiel des Himalaja widmen wir
uns auch der Frage, wie Gebirge entstehen.
Dazu kooperieren wir mit Gästen aus Indien – finanziert etwa durch DFG, DAAD
oder die Indian National Science Academy – und mit Wissenschaftlern aus Australien, Kanada und Polen. Wie schnell heben sich Gebirge? Welche Prozesse in der
Tiefe steuern oder steuerten die Anhebung
des Himalaja? Die Antworten überraschten uns: Die Gesteine kühlten innerhalb
von einer Million Jahre von 800 auf 500 °C
in der Tiefe ab, teilweise sogar innerhalb
von nur 100 000 Jahren – deutlich schneller, als bisher angenommen. Noch laufen
die Arbeiten an diesem Projekt, in dem wir
Abb. 6: Um Elementverteilungen mittels Rutherford-Rückstreuung (Info) in Kristallen zu messen, nutzen die
Petrologen den Teilchenbeschleuniger im RUBION.
Diffusionsprozesse in dem Mineral Granat
analysieren.
Für die Anwendung der neuen geologischen Uhr gibt es im Grunde keine Beschränkung, solange wir ungleichmäßige
Elementverteilungen in Mineralen vorfinden und die entsprechenden Diffusionskoeffizienten kennen. Um letztere zu bestimmen, wird uns das selbst entwickelte Verfahren mit Hilfe von Dünnschichten weiter wichtige Dienste leisten.
Dr. Ralf Dohmen, Prof. Dr. Sumit Chakraborty, Institut für Geologie, Mineralogie und
Geophysik, Fakultät für Geowissenschaften
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