Das MARUM entschlüsselt mit modernsten Methoden und eingebunden in inter­ Zentrum für Marine Umweltwissenschaften Universität Bremen Leobener Straße 28359 Bremen www.marum.de nationale Projekte die Rolle des Ozeans im System Erde – insbesondere in Hinblick auf den globalen Wandel. Es erfasst die Wechselwirkungen zwischen geologischen und biologischen Prozessen im Meer und liefert Beiträge für eine nachhaltige Nutzung der Ozeane. Das MARUM umfasst das DFG-For­schungs­ zentrum und den Exzellenzcluster »Der Ozean im System Erde«. Der Ozean im System Erde Dem Meer auf den Grund gehen! Der Ozean im System Erde Dem Meer auf den Grund gehen! MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen V or einiger Zeit überlegten wir, wie wir die wis- der Kooperation innerhalb und außerhalb der Universi- senschaftlichen Arbeiten des MARUM am be- tät wollen wir auch in Zukunft weiter gehen. sten auf den Punkt bringen könnten. Das war Mit dieser Broschüre möchten wir Ihnen unsere span- indes leichter gesagt als getan. Die zündende Idee kam, nenden Arbeiten näher bringen: allgemein verständlich, als einige Kolleginnen zwanglos beisammen standen kurzweilig und, wie ich hoffe, interessant aufberei- und Vorschläge in die Runde warfen. Plötzlich war unser tet. Beim Durchblättern und Lesen werden Sie einige Slogan geboren: »Dem Meer auf den Grund gehen!« unserer Nachwuchskräfte kennenlernen, denn neben Dieses Motto ist auch der Titel dieser Broschüre, und exzellenter Forschung haben wir exzellente Ausbildung es ist wörtlich gemeint. Auf Expeditionen untersuchen auf unsere Fahnen geschrieben. Ein wichtiges Ziel des Wissenschaftlerinnen Ablagerungen und Prozesse am MARUM ist es, die Gleichstellung zwischen Frauen und Meeresboden. Dabei wollen sie es ganz genau wissen; Männern in der Wissenschaft zu verbessern. Ein Schritt auf beinahe jeder Expedition machen sie neue Entde- auf dem Weg dahin ist das sehr erfolgreich laufende ckungen. So gesehen gehen wir am MARUM dem Meer Mentoringprogramm »plan m«, in dem Frauen bei der auch im übertragenen Sinne auf den Grund. Und das Planung ihrer wissenschaftlichen Karriere von den Rat- seit vielen Jahren. schlägen erfahrener Kolleginnen profitieren. Apropos: Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Ab 2001 wur- In dieser Broschüre haben wir uns dafür entschieden, de das MARUM in einer neuen Initiative der Deutschen durchgehend von Wissenschaftlerinnen bzw. Forsche- Forschungsgemeinschaft als eines der ersten DFG- rinnen zu sprechen, auch wenn wir Männer und Frauen Forschungszentren gefördert. Seit Herbst 2007 werden meinen. unsere weltweit anerkannten Arbeiten im Rahmen der Exzellenzinitiative gefördert. Schon im Jahr zuvor Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. war die Internationale Graduiertenschule GLOMAR Herzlichst Ihr Teil der Exzellenzinitiative geworden. Hier erforschen Nachwuchswissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen Disziplinen den globalen Wandel im Meer. Ein wichtiger Teil dieser Erfolgsgeschichte ist die Vernetzung unseres Exzellenzclusters mit anderen Gerold Wefer renommierten Meeresforschungseinrichtungen in der Direktor des MARUM Region wie dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung oder dem Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, um nur zwei zu nennen. Diesen Weg 1 Inhalt 2 Der Ozean im System Erde Dem Meer auf den Grund gehen! 6 Klimainformationen aus der Vergangenheit Das MARUM-Forschungsfeld »Ozean und Klima« 8 Kalter Ozean, dürres Land Wie Atlantische Meeresströmungen die Sahel-Zone beeinflussen 10 Kleine Organismen, große Wirkungen Das MARUM-Forschungsfeld »Wechselwirkungen zwischen Geosphäre und Biosphäre« 12 Quellen des Lebens Ökosysteme in der Tiefsee 14 Mensch und Meer Das MARUM-Forschungsfeld »Sedimentdynamik« 16 Dünen am Meeresgrund Was Gezeiten und Wellen bewirken 18 Über 140 Kilometer Meeresboden Das Bremer Bohrkernlager des IODP 20 Orientierung im Datenmeer Das Informationssystem PANGAEA 22 Schweres Gerät Meeresforschungs-Technologien am MARUM 24 Das Unsichtbare erfassen Die Labore am MARUM 26 Perspektiven für den Nachwuchs Ausbildung am MARUM 28 Wie das Meer an Land kommuniziert wird Das MARUM im Dialog mit der Öffentlichkeit 2 Der Ozean im System Erde Dem Meer auf den Grund gehen! U nser blauer Planet ist ein faszinierendes senschaftlerinnen und Technikerinnen durch gezielte ­System: Atmosphäre, Ozeane und Gesteins- geowissenschaftliche Studien die tragende Rolle hülle, die von großen und kleinen Lebewesen des Ozeans im System Erde. Das MARUM ist auf drei besiedelte Biosphäre sowie Meereis und Gletscher Forschungsfeldern aktiv: es ergründet die Wechselbe- bilden seine wesentlichen Bestandteile, die durch ziehungen zwischen Ozean und Klima, nimmt biogeo- komplexe Wechselwirkungen eng miteinander ver- chemische Prozesse am und im Meeresboden genauer woben sind. Nie herrscht Stillstand. Stürme, Erdbeben unter die Lupe und untersucht, wie Sedimente im Meer und Vulkan­ausbrüche, Felsstürze und das aktuelle ab- und umgelagert werden. Die Wissenschaftlerinnen Schwinden vieler Gletscher belegen, wie dynamisch des MARUM beteiligen sich aktiv an der Entwicklung die Prozesse im System Erde ablaufen. Das gilt insbe- und Durchführung internationaler meeresorientierter sondere für die Ozeane, die mehr als 70 Prozent der Forschungsprogramme wie dem IGBP-PAGES, IMAGES, Erdoberfläche bedecken. Weltumspannende Meeresströ- IODP und InterRidges. Zudem betreibt das MARUM das mungen, heiße und kalte Quellen am Meeresboden und größte der weltweit drei Bohrkernlager des Integrierten viele weitere Phänomene machen die Meeresumwelt zu Ozeanbohr-Programms IODP. einem spannenden Forschungsfeld. Am MARUM, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, erkunden Wis- Im Lauf der Jahre haben sich am Bremer Zentrum etliche geografische Forschungsschwerpunkte herauskristallisiert. Dazu zählen Nordsee und Mittelmeer, 3 der äquatoriale und der südliche Atlantik sowie das Mit den Sedimenten gelangen große Mengen orga- Schwarze Meer. MARUM-Wissenschaftlerinnen sind nischer Substanzen in die Küstengewässer, Randmeere also in flachen Küstengewässern ebenso aktiv wie im und auf die seewärts angrenzenden Kontinentalhänge. tiefen Ozean. Die Überreste von Pflanzen und Tieren setzen vielfäl- Küstenmeere bilden die Übergangszonen zwischen tige und – verglichen mit dem offenen Ozean – höchst den Kontinenten und den offenen Ozeanen. Hier laden dynamisch ablaufende biologische, geologische und Flüsse ungeheure Mengen an Verwitterungsmaterial chemische Prozesse in Gang, die die globalen biogeoche- aus den Gebirgen des Hinterlandes ab. Allein über den mischen Kreisläufe entscheidend prägen. Kein Wunder, Rio de la Plata werden derzeit vor den Küsten Uruguays dass diese Regionen für Forscherinnen dieser Diszipli- und Argentiniens jährlich etwa 80 Millionen Tonnen nen echte »hot-spots« darstellen. Lockermaterial und Sande in den Südatlantik, eines Hot-spots ganz anderer Art finden sich an den mittel- der Untersuchungsgebiete des MARUM, gespült. Über ozeanischen Rücken. Dieses mehr als 60.000 Kilometer geologische Zeiträume, also über Jahrmillionen betrach- lange untermeerische Gebirgssystem bildet die Grenz- tet, entscheiden Klimaveränderungen, Gebirgsbildungs- linie zwischen den Erdplatten. An der bis zu mehrere und Verwitterungsprozesse, aber auch Meeresspiegel­ Zehnerkilometer breiten Zentralspalte bahnt sich heißes schwankungen darüber, wie viel Erosions­material Magma seinen Weg nach oben. So entsteht ständig letztlich im Ozean landet. neuer Meeresboden. Durch Spalten und Risse dringt 4 » Das MARUM bietet einen idealen Rahmen, um meiner Begeisterung für die Meeresforschung nachzugehen. Ich freue mich, dass ich durch meine Arbeiten dazu beitragen kann, die Prozesse im Ozean besser zu verstehen und bin immer wieder beeindruckt, wie vielseitig und doch so ­ineinandergreifend am MARUM geforscht wird. « Miriam Römer Doktorandin am MARUM Der Campus der Universität Bremen mit den Gebäuden des MARUM, MPI, ZMT sowie des Instituts für Umweltphysik mit der Abteilung Ozeanographie. AWI Bremerhaven Jacobs University Bremen Senckenberg am Meer 5 Die Rolle des Ozeans im System Erde – Forschungsfelder des MARUM Meerwasser in den Ozeangrund ein. Man schätzt, dass setzt werden. Als eines der wenigen Institute weltweit ständig etwa zwei Prozent des gesamten Ozeanwas- betreibt das MARUM eine Flotte modernster Unterwas- sers in dieser obersten Lithosphärenschicht zirkulieren. sergeräte für den Einsatz in der Tiefsee. Dadurch hat es An den mittelozeanischen Rücken wird es aufgeheizt sich zu einem Zentrum der Meeresforschungstechnik und schießt, mit gelösten Mineralen beladen, mehr als sowie zu einem gefragten Partner in internationalen 400 Grad Celsius heiß an sogenannten Rauchern aus Kooperationsprojekten entwickelt. dem Meeresboden. Videoaufnahmen, die mit Hilfe von Tauchrobotern gewonnen werden, dokumentieren, dass an solchen Hydrothermalsystemen hoch spezialisierte Ökosysteme gedeihen. In unmittelbarer Nähe der heißen Quellen fühlen sich weiße Garnelen, Muscheln und andere Organismen wohl. Sie profitieren von der Im MARUM arbeiten im Rahmen der Exzel­ Symbiose mit Bakterien, deren Stoffwechsel nicht auf lenzinitiative des Bundes und der Länder Sauerstoff sondern auf Schwefelwasserstoff basiert. Geowissenschaftlerinnen, Geochemi­ke­ Aufgrund seiner enormen Ausdehnung ist die Er- rin­nen, Mikrobiologinnen, Physikerinnen forschung des Meeresbodens buchstäblich ein weites und Vertreterinnen weiterer Disziplinen Feld. Großflächige Untersuchungen durch den Einsatz eng mit Kolleginnen anderer Meeresfor­ von Satelliten sind nur begrenzt möglich, zum Beispiel, schungseinrichtungen in der Nordwestre­ wenn es um Schwerefeld-Messungen geht. Alle ande- gion zusammen. So mit ren Beobachtungen und Messungen müssen vor Ort • dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und durchgeführt werden. Dafür sind Forschungsschiffe im Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, Einsatz, von deren Arbeitsdecks ferngesteuerte Tauch- • der Jacobs University Bremen, roboter, autonom operierende Unterwasserfahrzeuge, • dem Max-Planck-Institut für Marine Meeresboden-Lander und weitere spezielle Technologien für direkte Messungen und Probenahmen ausge- Mikrobiologie (MPI), Bremen, • dem Senckenberg Institut am Meer, ­Wilhelmshaven, • dem Zentrum für marine Tropenökologie, Bremen (ZMT). 6 Klimainformationen aus der Vergangenheit Das MARUM-Forschungsfeld Ozean und Klima D as Weltmeer speichert viel Wärmeenergie, die zurück und bilden die zeitlich längsten, kontinuierlichen durch Meeresströmungen vom Äquator in Archive natürlicher Klimaveränderungen. Deshalb Richtung der Pole transportiert wird. Zudem nutzen MARUM-Wissenschaftlerinnen z.B. Meeresabla- sind im Ozean gelöste Stoffe wie etwa das klimawirk- gerungen und fossile Korallen, um zu untersuchen, wie same Kohlendioxid gespeichert. Daher stellt das Welt- sich die Meeresumwelt in der jüngeren Erdgeschichte meer eine zentrale Komponente unseres Klimasystems veränderte und wie diese natürlichen Veränderungen dar. im Ozean andere Komponenten des Klimasystems be- Um zukünftige Klimaentwicklungen besser ab- einflussten bzw. von diesen beeinflusst wurden. schätzen zu können, müssen wir die Rolle des Ozeans Mit chemisch-physikalischen Methoden untersuchen im Klimasystem möglichst genau verstehen. Leider die Bremer Forscherinnen Ablagerungen am Meeresbo- reichen die Salzgehalts-, Temperatur- oder Strömungs- den und bestimmen Art und Anzahl winziger Fossilien. messungen nicht weit genug zurück, um hinreichend Damit zeichnen sie abrupte Klimaänderungen während genau zu entschlüsseln, wie Ozean und Klima langfri- der letzten Eiszeit nach. Aus der chemischen Zusammen- stig miteinander wechselwirken. Doch die Umweltar- setzung Jahrtausende alter fossiler Korallen gewinnen chive des Meeres reichen viele Zehnermillionen Jahre die MARUM-Wissenschaftlerinnen präzise Informa­ Physikalisch konsistente Dateninterpretation Datenbasierte Rekonstruktion Warm Kalt 0 40.000 80.000 120.000 KlimasystemModellierung Jahre vor heute Identifikation von Schlüsselprozessen Um die Dynamik vergangener Klimaschwankungen zu entschlüsseln, werden am MARUM geowissenschaftliche Klimarekonstruktionen mit Ergebnissen der Klimasystemmodellierung kombiniert. 7 Mit dem Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo können bis zu 70 Meter lange Kerne vom Meeresboden gewonnen werden. Dies ermöglicht die Untersuchung sehr viel längerer Zeitreihen als bei konventionellen Verfahren mit Schwere- oder Kolbenlot. • Wie überträgt der Ozean Klimasignale von den Trotionen über Veränderungen der Meerestemperaturen. Da- pen in die Polarregionen und umgekehrt? mit rekonstruieren sie, wie sich der Zustand des Ozeans Um diese Fragen zu beantworten, kombinieren veränderte und wie sich Klimazonen verlagerten. Umgekehrt enthalten die Umweltarchive des Meeres MARUM-Wissenschaftlerinnen die Rekonstruktionen aus den Klimaarchiven mit Klimamodellrechnungen. auch Informationen darüber, wie sich Klimaschwan- So lassen sich weit reichende Einblicke in die Dynamik kungen auf den Ozean, insbesondere auf das globale von Klimavariationen und die zugrundeliegenden ozeanische Zirkulationssystem auswirkten. Wirkungsketten gewinnen. Die Erkenntnisse tragen Vor diesem Hintergrund geht das MARUM folgenden dazu bei, verlässlichere Aussagen über die zukünftige Klimaentwicklung zu erhalten. Fragestellungen nach: • Welche Rolle spielt der Ozean bei der Erzeugung und Verstärkung von Klimaänderungen? • Welchen Einfluss haben Änderungen der Ozeanzirkulation auf das Landklima, insbesondere auf den Niederschlag in den Tropen? Der Ozean bedeckt den größten Teil unseres Planeten und beeinflusst das Klima­ geschehen maßgeblich. Am MARUM wird entschlüsselt, wie der Ozean das Klimage­ schehen in der Vergangenheit mitprägte und zukünftig beeinflussen wird. Ein Ziel » dabei ist es, Klimazeitreihen an Hand von Meeresablagerungen zu gewinnen, die MARUM heißt für mich: Exzellente Forschungs­ möglichkeiten, Teilnahme an internationalen Konferenzen und Expeditionen, und die Möglichkeit, mit jungen Kolleginnen aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche kulturelle, soziale und wissenschaftliche Aktivitäten zu genießen. « Ilham Bouimetarhan Postdoktorandin am MARUM weit über den Zeitraum instrumenteller Beobachtungen hinausgehen. Durch den Vergleich mit Klimarechenmodellen wird die Funktionsweise des Klimasystems entschlüsselt. 8 Kalter Ozean, dürres Land Wie Atlantische Meeresströmungen die Sahelzone beeinflussen ging mit einer Dürre im Süden der Sahara einher. Leider reichten die Messdaten nicht weit genug in die Vergangenheit zurück, um zu klären, ob dieser Zusammenhang auch für längere Zeiträume besteht. Um dieser Frage nachzugehen, führte das MARUM 2005 eine Expedition mit dem Forschungsschiff Meteor am Kontinentalhang vor Senegal durch. Diese Region, in der das flache Küstenmeer zum tiefen Atlantik hin abfällt, enthält ein Der Begriff »Sahel« stammt aus dem Arabischen und bedeutet Küste oder Ufer. In diesem Fall ist jedoch nicht eine Meeresküste gemeint. Vielmehr geht es um die Grenze zum »bahr bila ma«, dem Meer ohne Wasser. So bezeichnen die Bewohner die Sahara, eine der größten Wüsten unserer Erde. Sedimentkern GeoB 9508-5 A lles Leben in der spärlich bewachsenen Trocken­ savanne des Sahel hängt entscheidend vom Wasser ab. Niederschläge fallen in der Regel nur während der Sommermonate. Bleiben sie aus, verwandelt sich die Sahelzone für Mensch und Tier in eine extrem lebensfeindliche Umwelt. So wie in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Sahelzone immer wieder für bedrückende Schlagzeilen sorgte. Damals setzte sehr rasch eine bis heute anhaltende Dürreperiode ein. Mit tragischen Folgen: Unsicheren Schätzungen zufolge hat die katastrophale Trockenheit in der Sahelzone innerhalb von sechs Jahren bis zu eine Million Menschenleben gefordert. Erste wissenschaftliche Untersuchungen in den 70er Jahren führten die stark verringerten Niederschläge zunächst auf eine intensivierte menschliche Landnutzung zurück. Diese sogenannte »Charney-Hy- pothese« besagt, dass die spärliche Pflanzendecke des Sahel durch Überweidung und Abholzung zunehmend zerstört wurde. Die Folge: die relativ helle Erdoberfläche reflektiert verstärkt die Sonneneinstrahlung. Dadurch kühlt zwar die Erdoberfläche aus; gleichzeitig stabilisiert sich aber die Schichtung in der Atmosphäre. Dies wiederum unterbindet jene Umwälzbewegungen der Luftmassen, ohne die kein Regen fällt. Mitte der 80er Jahre wurde indes deutlich, dass neben menschlichen auch natürliche Faktoren bei der Sahel-Dürre eine Rolle spielen. Der britische Meteorologe Chris Folland analysierte etliche Sätze meteorologischer Messdaten. Obwohl die Informationen Lücken aufwiesen, erkannte Folland einen Zusammenhang zwischen den Niederschlagsmengen in der Sahelzone und den Wassertemperaturen an der Oberfläche des Nordatlantiks: Jede Abkühlung der Meeresregion hervorragendes Archiv, mit dem das Auf und Ab des Sahelklimas langfristig nachgezeichnet werden kann. Denn während jeder Dürre wirbeln die vorherrschend westlichen Winde gewaltige Sand- und Staubmengen auf. Millionen Tonnen werden jährlich über die Atmosphäre Richtung Atlantik transportiert und kontinuierlich auf dem Meeresboden abgelagert. Während der Meteor-Expedition beprobten die MARUM-Forscherinnen den Ozeangrund. Mit dem sogenannten Schwerelot »stanzten« sie Sedimentproben aus, die in den letzten 60.00 Jahren vor Senegal abgelagert wurden. Aus der Menge des abgelagerten Staubs und seiner Zusammensetzung – zum Beispiel dem relativen Gehalt an Eisen und Kalium – konnten sie auf die Verteilung von früheren Trockenund Feuchtperioden im nördlichen Afrika rückschließen. Die Meeresablagerungen ent­ hielten so manche Überraschung. Sie belegen, dass in der Sahelzone während der letzten 60.000 Jahre immer wieder Dürren herrschten. Meist hielten die Trockenperioden mehrere tausend Jahre lang 9 an und gingen mit extrem kalten Wassertemperaturen in der Nordatlantikregion einher. Diesen Temperaturabfall erklären die MARUM-Wissenschaftlerinnen mit einer abgeschwächten Ozeanzirkulation, d.h. mit einem schwächeren Zustrom warmen Golfstromwassers in den Nordatlantik. Auch auf dem afrikanischen Kontinent wurden Hinweise auf die längst vergangenen Dürreperioden gefunden. Fossile Dünenfelder im Spritzen voller Sediment: An Bord des Forschungsschiffs Meteor wird ein Sedimentkern beprobt, der vor Senegal gewonnen wurde (Lokation s. linke Seite). In diesen Sedimenten ist der Staubeintrag der letzten 60.000 Jahre archiviert. Mit den an den Proben gemessenen Verhältnisssen von Eisen zu Kalium wurden lange Dürreperioden in der Sahelzone rekonstruiert (unten). Senegal zeigen, dass sich die Sahara in den letzten Zehntausenden von Jahren mehrfach sehr schnell um mehr als 500 Kilometer nach Süden ausdehnte bzw. sich mehrfach wieder zurück zog. Bleibt die Frage, wodurch das komplexe Wechselspiel zwischen Ozean und Atmosphäre ausgelöst wurde. Um diese Frage zu klären, wurden am MARUM Experimente mit einem komplexen Klimasystemmodell durchgeführt. Das Computermodell ist in der Lage, die Prozesse in der Atmosphäre und im Ozean Verhältnis Eisen zu Kalium 5 Lang andauernde Dürreperioden in der Sahelzone während der letzten 60.000 Jahre feucht 4 3 2 trocken 1 0 10.000 20.000 30.000 40. 000 Alter der Sedimente [Jahre] 50.000 60.000 realistisch abzubilden. Diese Simulationen zeigen, dass die Temperatur des Oberflächenwassers im Nordatlantik die Zirkulation der Luftmassen über Nordafrika entscheidend beeinflusst. Schwächt sich der nach Norden gerichtete Wärmetransport im Atlantik ab, kühlt das Nordatlantikwasser ab. Gleichzeitig gewinnt das Azorenhoch in den Subtropen an Kraft. Dadurch strömt bodennah verstärkt trockene Luft aus der Sahara in die Sahelzone ein. Ergebnis: Der afrikanische Regengürtel wird nach Süden abgedrängt. Gleichzeitig nimmt der sogenannte »Afrikanische Oststrahlstrom«, ein westwärts gerichtetes Starkwindband in etwa drei bis fünf Kilometer Höhe, an Stärke zu. Beide Prozesse führen zu einer Abnahme der Niederschläge in der Sahelzone. Die Untersuchungen am MARUM haben gezeigt, dass lang anhaltende Dürreperioden im Sahel Beispiele für den natürlichen Klimawandel darstellen und eng mit der Ozeanzirkulation verknüpft sind. Aufgrund dieser Erkenntnisse muss auch in Zukunft mit ausgeprägten Dürre­ perioden in der Sahelzone gerechnet werden. 10 Kleine Organismen, große Wirkungen Das MARUM-Forschungsfeld Wechselwirkungen zwischen Geosphäre und Biosphäre Z war sind Bakterien und Archaeen winzig klein; Schwarzen Rauchern, Asphalt- oder Schlammvulkanen dennoch beeinflussen diese Mikroorganismen aus dem Erdinnern quillt, liefert wesentliche chemische und ihre Stoffwechselprodukte die chemische Grundbausteine: unter anderem Kohlenstoff, Stickstoff, Zusammensetzung von Gesteinen, Wasser und der Phosphor, Schwefel und Eisen, die die Mikroorganismen Atmosphäre. Das MARUM untersucht diese Wechsel- zum Aufbau ihrer Zellen nutzen. wirkungen zwischen der Geosphäre und der Biosphäre Im Meeresboden selbst fehlt diese Energiezufuhr. Dort im Ozean, denn ihm kommt eine Schlüsselrolle bei der müssen Mikroorganismen mit jenen schwer verdau- Entwicklung unseres Planeten zu. lichen organischen Resten abgestorbener Pflanzen Alle Organismen benötigen eine Energiequelle, um und Tiere auskommen, die nach ihrem Absinken den ihren Stoffwechsel aufrecht zu erhalten. Da das Son- Meeresboden erreichen. Doch selbst unter solch un- nenlicht nur das oberste Meeresstockwerk durchflutet, wirtlichen Bedingungen existiert im Meeresboden eine müssen Organismen, die am oder im Grund der Tiefsee große Lebensvielfalt. Zwar nimmt die Anzahl der Zellen leben, ihren Energiebedarf anderweitig decken. Heiße mit zunehmender Tiefe deutlich ab; doch selbst etwa und kalte, oft gashaltige Quellen in der Tiefsee sind sol- einen Kilometer unterhalb des Meeresbodens gedeiht che Energiespender. Der Cocktail an Substanzen, der an Leben. Hier, in der sogenannten tiefen Biosphäre, finden Atmosphäre CO2 Kontinentalrand Photosynthese Chemosynthese Hydrothermalquellen Sediment H2 H2S S S2O32- Die tiefe Biosphäre im Meeresboden ist eines der größten zusammen­ hängenden Ökosysteme der Erde. Am MARUM wird ihre Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf erforscht. Respiration Kalte Quellen Biomasse frische organische Substanz © Verena Heuer, MARUM Gashydrat Anaerobe Methanoxidation Methanogenese CH4 Biologische Prozesse Tiefe Biosphäre 120°C Pyrolyse Mittelozeanischer Rücken kalt Ozean fossile organische Substanz Basaltische ozeanische Kruste C2+ Öl Su bd uk Geologische Prozesse tio n heiß 11 kurzlebigen biologischen und den lang währenden geo­ logischen Kreisläufen ausgetauscht, d.h. wie beispiels- Unverzichtbares Werkzeug: Aussetzen des Tauch­ roboters MARUM-Quest weise die Konzentrationen von lebensnotwendigen Nährstoffen im Weltmeer beeinflusst werden. Diese Prozesse sind eng verknüpft mit den Konzentrationen sich in einem Milliliter Sediment oft noch ein bis zehn der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan im Ozean Millionen intakte Zellen. Hochgerechnet könnte dieser bzw. in der Atmosphäre. Fazit: die geologisch-biolo- karge Lebensraum bis zu einem Drittel der gesamten le- gischen Wechselwirkungen am und im Meeresboden bendigen Biomasse auf unserem Planeten beherbergen. sind eng mit der Entwicklung des Klimas auf der Erde Um die schwer zugänglichen Ökosysteme am und verknüpft. im Meeresboden zu erforschen, setzt das MARUM neue Technologien wie den Tauchroboter MARUM-Quest ein. Mit seinen Greifarmen kann er in bis zu 4.000 Meter Tiefe spezielle Mikrosensoren aussetzen. So wird deutlicher, wie Energie und Materie zwischen den relativ Am MARUM erforschen Wissenschaftle­ rinnen die Wechselwirkungen zwischen geo­logischen, biologischen und che­ mischen Prozessen am und im Meeres­ boden. Die dort lebenden mikrobiellen Artengemeinschaften beeinflussen ent­ scheidend die Mobilität, Verfügbarkeit und Konzentration von Kohlenstoff, Stickstoff, » Phosphor, Eisen und Sauerstoff im Ozean. Dadurch sind diese Prozesse eng mit der Für meine Arbeit finde ich am MARUM optimale Bedin­ gungen vor: Wegen der modernen Instrumente im Labor, weil unsere Nachbarn am Max-Planck-Institut stets ein offenes Ohr für meine Fragen haben, und weil unsere Werkstatt immer mit passenden technischen Lösungen für die Umsetzung meiner experimentellen Ideen aufwartet. « Yu-Shih Lin Postdoktorandin am MARUM Produktivität des Ozeans und letztlich mit den Konzentrationen von Treibhausgasen in der Atmosphäre verknüpft. 12 Quellen des Lebens Ökosysteme in der Tiefsee In den Tiefen des Ozeans herrschen unwirtliche Bedingungen: Kein Fünkchen Sonnenlicht durchdringt das Dunkel, und die Kilometer hohe Wassersäule übt einen Druck von mehreren Hundert Kilogramm pro Quadratzentimeter aus. Mancherorts ist das Wasser saurer als Essig. Und doch floriert hier Leben. Weil Sonnenlicht als Energiequelle fehlt, müssen Organismen, die unter diesen Bedingungen überleben wollen, exotische Energieressourcen nutzen. Zum Beispiel heiße Tiefseequellen, an denen die Leben spendende Energie direkt aus dem Innern der Erde stammt. D ie teilweise mehr als 400 Grad Celsius heißen Quellen in der Tiefsee sind Oasen blühenden Lebens. Sie sprudeln aus jenen Unterwasser-Gebirgen, die Teil der rund 60.000 Kilometer langen vulkanischen mittelozea­ nischen Rücken sind. Dort fließt basaltische Lava aus, die ständig neuen Meeresboden bildet. Während ihrer Expeditionen sind die MARUM-Wissenschaftlerinnen immer wieder von den spektakulären Ökosystemen in der Tiefsee fasziniert: zum Beispiel von den Gemeinschaften aus Röhrenwürmern, Muscheln, Schnecken und Garnelen, die mit chemosynthetischen Bakterien in Symbiose leben. Dabei bilden diese Mikroorganismen die Grundlage der Tiefsee-Biotope. Sie nutzen Eisen, Methan, Wasserstoff oder Schwefelwasserstoff als Energiequellen, die sie mit Hilfe von Sauerstoff, Sulfat oder gar Kohlendioxid veratmen. Durch diese komplexen biogeochemischen Prozesse unterstützen die Bakterien eine Biomasse, die in dieser Dichte im Meer sonst nur in Korallenriffen und Miesmuschelbetten erreicht wird. Im Forschungsfeld »Wechselwirkungen Geosphäre-Biosphäre« erkunden MARUM-Wissenschaftlerinnen, wie die Energie in der Tiefsee bereitgestellt und genutzt wird – theo­retisch, im Experiment, mit neuartigen Analyseverfahren, vor allem aber durch Expeditionen in Gebiete, die den Lebewesen sehr unterschiedliche physikalischchemische Rahmenbedingungen bieten, wie etwa extrem alkalische und sehr stark wasserstoffreiche Fluidaus­tritte einerseits oder saure, schwefelige und metallreiche Quellen andererseits. MARUM-Wissenschaftlerinnen fanden heraus, das alkalische und wasserstoffreiche Fluide entstehen, wenn Meerwasser mit Gesteinen zusammenwirkt, die durch die Bewegungen der Erdplatten aus dem Erdmantel, d.h. aus mehreren Zehnerkilometern Tiefe in den Meeresboden gelangen. Dies ist am mittelatlantischen Rücken der Fall. Durch den Kontakt mit dem Mantelgestein wird das Meerwasser teilweise in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten. Letzterer dient entweder direkt als Nahrungsgrundlage für bestimmte Mikroorganismen oder aber er reagiert mit dem im Meerwasser gelösten Kohlendioxid. Dabei bilden sich organische Moleküle, die dann als 13 Substrat oder als Kohlenstoffquelle für andere Bakteriengemeinschaften fungieren. Solche Prozesse könnten bei der frühen Entwicklung der Erde entscheidend gewesen sein, zeigen sie doch, dass organische Moleküle unter reduzierenden Bedingungen stabil sein können. Ganz anders das Bild an vulka­ni­ schen Inselbögen wie etwa den Marianen im Pazifik. Untermeerische Vulkane schufen diese Inseln 2.000 Kilometer östlich von Indonesien. Die glutflüssigen Magmenherde tief im Meeresboden sind auch dafür verantwortlich, dass Kohlen- und Schwefeldioxid durch Spalten und Risse aufsteigen und ins Meerwasser gelangen. Dabei können extrem kohlensaure oder schwefelsaure Im Umfeld von Schwarzen Rauchern (links) siedeln sich diverse Lebensgemeinschaften an (rechts oben), die Energie aus den heißen Wässern verwerten. Auch scheinbar unbelebte Lavaströme (rechts Mitte) bieten einen Lebensraum für Mikroorganismen. In bestimmten vulkanischen Strukturen treten kalte Lösungen aus, um die herum sich Eisenoxidierende Bakterien ansiedeln (rostige Erscheinungen im Bild rechts unten). Lösungen entstehen. Während einer Expedition in das Manus-Becken bei Papua-Neuguinea wurde in einer sulfatreichen Lösung ein pH-Wert von 0,9 gemessen! So sauer ist sonst nur die Flüssigkeit in Autobatterien. Zum Vergleich: Essig hat einen pHWert von 2,5. Aber auch weit von den heißen Quellen entfernt floriert mikrobielles Leben in der Tiefsee. Die an den mittelozeanischen Rücken austretende Lava erstarrt zu glasartigem, stark eisenhaltigem Basaltgestein. Dieses ist sehr verwitterungsanfällig und verrostet im Lauf der Zeit regelrecht, denn das im Basalt enthaltene Eisen reagiert mit dem im Meerwasser enthaltenen Sauerstoff. Bei dieser Reaktion wird Energie freigesetzt, die Bakterien als Nahrungsquelle dient. Auch hier bilden Bakterien die Grundlage im komplexen Nahrungsnetz des Basalt-Biotops. Sie sind die Schnittstelle zwischen Geosphäre und Biosphäre, zwischen belebter und unbelebter Meeresumwelt. Wie schnell der Meeresboden verwittert, wird von den hoch spezialisierten Mikroorganismen entscheidend mitbestimmt. Dieser Prozess be­einflusst den Karbonatgehalt des Meeres, der wiederum darüber mitbestimmt, wie viel des Treibhausgases Kohlendioxid der Ozean aufnehmen kann. Kein Zweifel also: der Meeresboden wartet mit extremen Ökosystemen auf. Deren Erforschung hat erst vor kurzem begonnen und dürfte auch zukünftig noch viele Überraschungen bereithalten. 14 Mensch und Meer Das MARUM-Forschungsfeld Sedimentdynamik G eologisch vielfältig, biologisch hochproduk- eine prägende Rolle: Veränderliche Strömungen, der tiv und in Hinblick auf Rohstoffe und neue schwankende Meeresspiegel, unsteter Materialnach- Lebensräume für den Menschen von heraus- schub aus dem Hinterland – solche Faktoren bestimmen, ragender Bedeutung: das sind die Ozeanränder. Wasser wie und wo Sedimente ab- und umgelagert werden. und Wind verfrachten die an Land gebildeten Verwit- Heute wird diese natürliche Sedimentdynamik zu- terungsprodukte in die Küstenmeere, von dort zu den nehmend durch den Menschen beeinflusst. Wir nutzen untermeerischen Kontinentalhängen und weiter hinab Küstengewässer und Kontinentalhänge zunehmend in die Tiefsee. So entstehen mächtige und komplex als Nahrungs-, Rohstoff- und Energiequelle. Dank neuer strukturierte Sedimentpakete. Technologien betreiben wir inzwischen Erdölförderung MARUM-Wissenschaftlerinnen interessieren sich in Meerestiefen von über 2.000 Metern. Solche wirt- vor allem für Art und Zusammensetzung der Meeres- schaftlichen Potentiale locken weltweit immer mehr ablagerungen sowie deren räumliche Menschen in die Küstenregionen. Das wiederum Verteilung. Dabei spielen Kli- verlangt nach nachhaltigen Nutzungs- ma- und Umwelt- strategien für diesen Le- bedingungen bensraum. el ieg p ess eer Auf tr M ieb Sch Isos tas ie e m di Se elf nt Dia gen e Abs se Sedimentations- und Umlagerungs­prozesse an Ozeanrändern enk ung Ha tra ng n- n de nge o B u m rö st t n ge un m rö St nsp or Tief s eee ben e 15 Aussetzen des Autonomen Unterwasser­ fahrzeugs MARUM-Seal vom französischen Forschungsschiff N/O Suroit. Dieses AUV taucht bis zu 5.000 Meter tief und erstellt hochgenaue Karten des Meeresbodens. Dazu wollen MARUM-Wissenschaftlerinnen beitra- • Welche natürlichen und anthropogenen Faktoren gen, indem sie die Dynamik des Sedimenttransports beeinflussen »kurzfristig«, d.h. vom Minutenbereich an den Ozeanrändern erforschen und die dort wirk- bis über Jahrhunderte die Sedimentbewegungen? samen Einflussfaktoren genauer quantifizieren. Im Fragestellungen zur zeitlichen und räumlichen Forschungsfeld Sedimentdynamik untersuchen sie, wie Wechselwirkung der kontinuierlich am Sediment an- Sedimente transportiert, abgelagert und verfestigt, aber greifenden Meeresströmungen, der zyklisch wirkenden auch wieder erodiert und umgelagert werden. Ein nicht Gezeiten und episodisch auftretenden Sturmereignissen ganz einfaches Unterfangen, denn viele dieser Prozesse werden von MARUM-Wissenschaftlerinnen in enger spielen sich auf zeitlich und räumlich sehr unterschied- Zusammenarbeit mit internationalen Partnern inter- lichen Ebenen ab. disziplinär erforscht. Das Ziel: ein neues Verständnis der Am MARUM stehen zwei übergeordnete Fragen im Sedimentdynamik an Ozeanrändern zu gewinnen. Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses: • Wie prägen Klima- und Meeresspiegeländerungen langfristig, d.h. im Lauf von Jahrtausenden, die Architektur der Ozeanränder? Ozeanränder sind die Bindeglieder zwi­ schen den Kontinenten und der Tiefsee. Am MARUM werden Gestalt und Architektur der Ozeanränder und die dort ablaufenden dynamischen Prozesse erforscht, denn sie bestimmen deren Nutzungsmöglichkeiten, » aber auch deren Gefahrenpotentiale wie etwa Tsunamis. Dabei nehmen die Küsten­ meere eine Schlüsselrolle ein. Ein gutes Am MARUM kann ich meiner Faszination für dyna­mi­ sche Prozesse am und im Ozeanboden auf höchstem wissenschaftlichen Niveau nachgehen, insbesondere in der Erforschung von Naturgefahren wie Erdbeben und Tsunamis. So kann ich dazu beitragen, Gefahrenpotentiale für Küstenregionen besser zu verstehen. « Verständnis etwa der Sedimentdynamik ist Voraussetzung für die Entwicklung nach­ haltiger Nutzungsstrategien. Michael Strasser MARUM Fellow 16 Dünen am Meeresgrund Was Gezeiten und Wellen bewirken Die sandigen Böden der Flüsse, ihrer Mündungsbereiche und der angrenzenden Meere sind selten eben. Im Gegenteil: Gezeitenströmungen und Wellen formen Flussbetten und Meeresböden in vielfältiger Weise. In stetem Wechselspiel von Strömung, Transport und Bodenbeschaffenheit bilden sich charakteristische Formen – von kleinen gleichmäßigen, wellenartigen Riffeln bis hin zu komplexen, sich dreidimensional überlagernden meterhohen Unterwasserdünen. D ie Größe und Vielfalt dieser Bodenformen und ihre harmonische Regelmäßigkeit begeistern nicht nur den ästhetisch interessierten Betrachter. Für Wissenschaftlerinnen bilden sie eine Herausforderung, denn obwohl Dünen am Meeresgrund allgegenwärtig auftreten, sind längst noch nicht alle Prozesse verstanden, die zu ihrer Entstehung und Entwicklung beitragen. Seit vielen Jahrzehnten arbeiten Natur- und Ingenieurwissenschaftlerinnen mit unterschiedlichen Ansätzen an dem spannenden Thema. Auch das gesellschaftliche Interesse an einem grundlegenden Verständnis der Wirkungsbeziehungen zwischen Strömung und Bodenformen ist groß. Flüsse, Flussmündungen und Küstenmeere sind wirtschaftlich von zunehmender Bedeutung. Deshalb sind Vorhersagen über die Entwicklung der großen und kleinen Dünen unter Wasser wichtig. Neue Schiffe mit größerem Tiefgang erfordern tiefere Fahrrinnen in Küstengewässern und Hafenzufahrten. Die Baggermaßnahmen zur Erhaltung der dafür notwendigen Solltiefen sind zeit- und kostenaufwändig. Diese Aufgabe ließe sich optimaler lösen, wenn die Dynamik der Unterwasserdünen besser bekannt wäre, denn oft sind es nur die Kuppen großskaliger Bodenformen, die sich in den Fahrrinnen aufbauen. Flussmündungen und Küstengewässer werden zunehmend genutzt, um dort Bauwerke zu errichten. Bei Offshore-Standorten muss bekannt sein, wie stark sich die Gestalt des Meeresbodens durch Umlagerungen der Sedimente maximal verändern kann. Schließlich ist die Tragfähigkeit etwa von Windkraftanlagen nur dann gewährleistet, wenn die Bauwerke auf See entsprechend tief gegründet werden. Wandernde Unterwasserdünen können die Lage des Meeresbodens jedoch bis zu mehreren Metern verändern. Auch bei der Verlegung von Rohrleitungen oder Seekabeln, die beispielsweise Offshore-Windkraftanlagen mit dem Land verbinden, muss die starke Dynamik des Meeresbodens berücksichtigt werden, damit die Kabel nicht freigespült werden. Bodenformen verändern die Rauigkeit des Meeresbodens. Sie beeinflussen deshalb die Strömungsverhältnisse in den Rinnen der Küstengewässer. Wer die vielfältigen Prozesse in diesem System verstehen will, wer die hier natürlich ablaufenden und vom Menschen 17 Der Forschungskutter Senckenberg (rechts) ist an der Nordseeküste und in den Flussmündungen von Weser und Jade im Einsatz. Mit Strömungsmessern (linke Seite) erkunden die Wissenschaftlerinnen die dynamischen Prozesse zwischen Hochund Niedrigwasser. Das Wechselspiel von Ebbe und Flut formt auch die Dünen am Meeresgrund (unten). verursachten Änderungen beurteilen will, kann dies nicht ohne Kenntnis der Unterwasserdünen tun. Am MARUM werden unterschiedliche Ansätze verfolgt, um die Prozesse an der Grenzschicht zwischen Wasser und Gewässerböden im Detail zu verstehen: Schiffsgestützte Messungen, kombiniert mit Laboruntersuchungen und Simulationen an Computermodellen ermöglichen es, die Wirkungsbeziehungen zwischen Turbulenz, Strömungsgeschwindigkeiten, Sedimenteigenschaften und Morphologie der Bodenformen prozessorientiert zu beschreiben. Daher vermessen MARUM-Wissenschaftlerinnen die Bodenformen an bestimmten Lokationen vom Forschungsschiff aus hochgenau und wiederholen diese Messungen in engen zeitlichen Abständen. So können sie die Bewegungen der Unterwasserdünen dreidimensional beschreiben. Während dieser Ausfahrten werden auch Strömungsprofile sowie die Turbulenz der Wassersäule gemessen, zudem das im Wasser transportierte Feinsediment erfasst und die Ablagerungen am Boden beprobt. Mit diesen Parametern lassen sich Umlagerungsprozesse in Flussmündungen und Küstengewässern detailliert quantifizieren. Laborstudien und Modellsimulationen ergänzen die Feldarbeiten. Unter kontrollierten Bedingungen werden am Strömungskanal Experimente durchgeführt. Zur genaueren Analyse werden zusätzlich numerische Modelle aufgebaut. Leistungsstarke Rechner simulieren, wie sich Strömungen, Sedimenttransport und Bodenumlagerungen gegenseitig beeinflussen. Erst durch die Kombination von Messungen auf See, Laboruntersuchungen und Modellrechnungen lassen sich Einzelerkenntnisse verallgemeinern und die komplexen Prozesse am Meeresboden entschlüsseln. 18 » Für meine Forschungen gibt es keinen besseren Ort als das MARUM. Die Fülle an hervorragendem Wissen, die europa- wenn nicht gar weltweit einmalige Infrastruktur in Kombination mit dem IODP-Bohrkernlager sowie die erstklassigen internationalen Kontakte schaffen eine ­ideale Umgebung für Forschung auf hohem Niveau. « Thomas Westerhold Postdoktorand am MARUM Über 140 Kilometer Meeresboden Das Bremer Bohrkernlager des IODP I m MARUM befindet sich das größte der drei Bevor die wissenschaftlichen Untersuchungen begin- weltweiten Kernlager des Integrierten Ozeanbohr- nen, werden die geförderten Bohrkerne der Länge nach Programms (IODP). In diesem großen Forschungs- durchgeschnitten. Aus den sogenannten Arbeitshälften programm haben sich internationale Wissenschafts- und dürfen Forscherinnen Proben nehmen, die Archivhälf- Forschungseinrichtungen u.a. aus den Vereinigten ten werden mit zerstörungsfreien Methoden, etwa Staaten, Japan und Europa zusammengeschlossen, um mit Farb- oder Röntgenscannern untersucht. Im ersten weltweit mit Bohrschiffen und Plattformen Bohrexpedi­ Jahr nach einer Bohrexpedition haben deren Teilneh- tionen in den Ozeanen durchzuführen. merinnen das ausschließliche Vorrecht, die Kerne zu In der Bremer IODP-Einrichtung lagern fast zehntau- untersuchen. Ein Komitee entscheidet darüber, wer an send Bohrkerne. Alle Kerne aus dem Atlantik, dem Ark- welcher Stelle wie viel Material entnehmen darf. Ist tischen Ozean und dem Mittelmeer, die im Rahmen der diese Frist verstrichen, steht es jeder Forscherin auf der wissenschaftlichen Bohrprogramme Deep Sea Drilling Welt frei, einen Antrag auf Probennahme zu stellen. Program (DSDP), Ocean Drilling Program (ODP) sowie So kommen gut einhundert Wissenschaftlerinnen pro dem IODP gefördert wurden, werden im Bremer Kern- Jahr nach Bremen; andere lassen sich die gewünschten lager aufbewahrt. Hier treffen sich Forscherinnen aus Proben zuschicken. Jährlich werden etwa 40.000 Proben aller Welt, um Proben zu nehmen, gemeinsam in den per Post auf den Weg gebracht. angrenzenden Laboren Untersuchungen durchzuführen und ihre Befunde zu diskutieren. Das europäische Konsortium ECORD führt im Rahmen des IODP Expeditionen in Seegebieten durch, die mit 19 den großen, tief gehenden IODP-Bohrschiffen JOIDES rinnen das Aussehen des Sediments oder Gesteins. Sie Resolution und Chikyu nicht zu erreichen sind. Dazu messen u.a. physikalische Eigenschaften wie Dichte zählen eisbedeckte Gewässer am Nordpol und flache und Wärmeleitfähigkeit und bestimmen die chemische Küstenmeere. Zusammensetzung des Porenwassers oder das Alter der Daher werden für jede Forschungsfahrt spezielle Schiffe oder Bohrplattformen gechartert. Diese haben in der Regel keine Laborkapazitäten. Deshalb stellt ECORD mobile Laborcontainer bereit, die an Deck installiert Probe. Schließlich fassen sie die Ergebnisse in Berichten zusammen. So fügt jede Expedition unserem Bild der Erde einen weiteren Puzzlestein hinzu. werden. Doch dort können nur unaufschiebbare Messungen vorgenommen werden, etwa mikrobielle Untersuchungen. Alle anderen Auswertungen finden bei ECORD-Fahrten erst an Land, und zwar in Bremen statt. Einige Monate nach jeder Expedition treffen sich etwa 30 Forscherinnen zur »Onshore Science Party« in den Laboren des Bremer Kernlagers, um die Bohrkerne dem Standard-Messprogramm des IODP zu unterziehen. Mehrere Wochen lang, in zwei Schichten, von früh morgens bis spät in die Nacht, beschreiben die Forsche- In den fünfeinhalb Meter hohen Regalen des Bremer Bohrkernlagers werden 142,8 Kilometer Bohrkerne (Stand: Anfang 2010) aus dem Atlantik, dem Arktischen Ozean und dem Mittelmeer in 213.500 Kunststoff­ behältern aufbewahrt, die jeweils einein­ halb Meter lang sind und einen Durchmes­ ser von knapp sieben Zentimetern haben. Die Bohrkerne sind die Früchte einer mehr als 40jährigen wissenschaftlicher Arbeit. 20 Orientierung im Datenmeer Das Informationssystem PANGAEA D as MARUM betreibt gemeinsam mit dem verloren. Denn bislang wurde die bibliothekarische Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Mee- Ablage von Primärinformationen aus Forschungspro- resforschung (AWI) ein Informationssystem, jekten und den daraus folgenden Publikationen nicht als in dem Daten aus der Erdsystemforschung archiviert integraler Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitspro- und publiziert werden. Da das System die ganzheitliche zesses betrachtet. Betrachtungsweise der Erde fördern soll, ist es nach je- PANGAEA stellt der Wissenschaft ein Werkzeug bereit, nem Superkontinent benannt, in dem vor 200 Millionen das es erstmals gewährleistet, auf jegliche bei der Erfor- Jahren alle Kontinente vereint waren: Pangaea. schung unserer Erde gewonnenen Daten langfristig und Die Leistungsfähigkeit der in den Geowissenschaften zuverlässig zuzugreifen. Die neuartige elektronische eingesetzten Beprobungs- und Analysegeräte und mit ih- Bibliothek orientiert sich an internationalen Standards nen die damit gewonnene Datenmenge ist in den letzten und fügt sich daher nicht nur harmonisch in die sich Jahrzehnten exponentiell gewachsen. Gleichzeitig lassen global entwickelnde Geodateninfrastruktur ein, sondern sich dank fortschrittlicher Informationstechnologie mitt- dient auch als Publikationssystem. Sie integriert Daten lerweile nahezu unbegrenzt Datenmengen speichern, in den etablierten Prozess der wissenschaftlichen verteilen und verarbeiten. Dennoch gehen im schnellen Veröffentlichung und ist daher ein Anreizsystem für die Wandel von Hard- und Software noch viel zu viele Daten Wissenschaft, um Daten zu veröffentlichen. » Bei der Entwicklung unseres Informationssystems PANGAEA greife ich auf Open Source Software zurück. Am MARUM habe ich die Möglichkeit, meinen eigenen Programmcode an die Community zurückzugeben und auf internationalen Konferenzen zu präsentieren. 21 « Uwe Schindler PANGAEA Mitarbeiter Dem Publikationssystem liegt ein wohl definierter aus vielen unterschiedlichen Quellen zusammenge- redaktioneller Prozess zugrunde. Eingehende Geodaten stellt werden. So unterstützt PANGAEA die Bearbeitung werden mit allen notwendigen Metainformationen neuartiger wissenschaftlicher Fragestellungen, mit verknüpft und zitierfähig abgelegt. Dazu zählen neben denen Geowissenschaftlerinnen unser Verständnis des bibliografischen Daten auch Positions- und Zeitanga- komplexen Systems Erde erweitern. ben sowie Informationen über verwendete Geräte und Methoden. PANGAEA ist universell angelegt. Das System kann Im Informationssystem PANGAEA befinden alle denkbaren Messgrößen aus allen Disziplinen sich mehr als eine halbe Million Datensätze. der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung Sie bestehen aus 5 Milliarden einzelner erfassen – von der hohen Atmosphäre bis in die tiefe Messwerte. Das sind umgerechnet 100 Erde. Ein wichtiger Teil des Systems ist das sogenannte Terabytes an Bildmaterial, seismischen Data-Warehouse. Damit lassen sich beliebige Datenteil- Profilen oder Klimasystemmodellen. Täglich mengen aus dem Gesamtbestand extrahieren. Unter kommen etwa einhundert neue Datensätze anderem kann die Entwicklung der lokalen Meerwasser- hinzu. temperatur, erhoben über die letzten einhundert Jahre, In PANGAEA sind in den letzten zehn Jahren Daten aus mehr als einem Jahrhundert Erdsystemforschung gesammelt und archi­ viert worden. 22 » Am MARUM erkunden wir den Meeresboden mit neuesten Technologien. Meine Kolleginnen nutzen diese ­Informationen für detaillierte Untersuchungen und gezielte Probennahmen. Das ist echte Teamarbeit! « Noémi Fekete Postdoktorandin am MARUM Schweres Gerät Meeresforschungs-Technologien am MARUM S eit mehr als 20 Jahren setzt das MARUM auf nie zuvor gesehener Qualität und Genauigkeit. Die Greif- Schiffsexpeditionen meerestechnische Geräte arme der Tauchroboter, die vom Forschungsschiff aus ein. Insbesondere in den letzten Jahren wurde ferngesteuert werden, setzen Messgeräte für Experi- erhebliches Know-How entwickelt, um die meerestech- mente am Meeresboden videokontrolliert auf optimalen nologische Ausrüstung zu erweitern und zu modernisie- Positionen ab. ren. So stehen inzwischen mehrere kabelgeführte und Ferngesteuerte Tauchroboter können allerdings nur autonom unter Wasser operierende Forschungsgeräte kleine Bereiche des Meeresbodens untersuchen, denn zur Verfügung. der Ozeangrund ist unvorstellbar groß und sehr vielfäl- Zu den »remotely operated vehicles«, den kabelge- tig. Im Prinzip helfen hier die auf den Forschungsschif- führten ROVs, zählen das MARUM-Cherokee, das bis zu fen installierten Fächerecholote. Sie sammeln Informa- 1.000 Meter tief tauchen kann und das MARUM-Quest tionen über die Gestalt größerer Areale. Doch je größer mit 4.000 Meter Tauchtiefe. Ihre akustischen Sonare er- die Meerestiefe, desto grober erscheint das Echolot- kennen Methangasblasen im Wasser. Eingebaute hoch Abbild des Meeresbodens. Daher hat das MARUM ein auflösende Kameras dokumentieren die Umgebung in autonom operierendes Unterwasserfahrzeug (AUV) 23 beschafft, das mit einem Fächerecholot ausgestattet ist für Experimente an der Grenzschicht Wassersäule – und mehrere Stunden zuvor definierte Regionen abfah- Sediment. ren kann: das MARUM-Seal. Das 5,50 Meter lange, torpedoförmige Gerät kann bis zu 5.000 Meter tief tauchen und erfasst in durchschnittlich 60 Meter Höhe über Eine ganz besondere Technologie stellt das Grund hochpräzise das Relief des Meeresbodens. Selbst MARUM-MeBo dar. Der knapp sieben Meter Strukturen, die nur wenige Dezimeter groß sind, werden hohe Bohrturm wurde am MARUM entwi­ so registriert. Die mit Seal kartierten Gebiete sind ideale ckelt. Er wird von Forschungsschiffen in bis Einsatzorte für die Tauchroboter Quest und Cherokee, zu 2.000 Meter Wassertiefe ausgesetzt und aber auch für das Meeresmobil MARUM-Move. über eine »Nabelschnur« aus Glasfasern Dieses autonom operierende, allradgetriebene Fahr- ferngesteuert. MeBo kann bis zu 70 Meter zeug ist für den Einsatz in bis zu 6.000 Meter Wassertie- lange Bohrkerne gewinnen. Es schließt die fe konzipiert. Es fährt langsam und energieeffizient über Lücke zwischen herkömmlichen Probenah­ den Meeresboden und bietet eine sehr stabile Plattform megeräten wie dem Schwerelot und den Bohrschiffen etwa des Integrated Ocean Drilling Program IODP. 24 » Die Forschungsgebiete am MARUM sind so divers, dass wir das Meer wirklich von allen Seiten und mit vielen interdisziplinären Methoden erforschen. Das finde ich bemerkenswert, und es macht viel Spaß. Nicht zuletzt durch die vielen internationalen Kooperationen ist man Teil einer größeren Sache. « Stephan Klapp GLOMAR-Doktorand Das Unsichtbare erfassen Die Labore am MARUM nen oder im Ozean ablaufende biogeoche- U gen, die mit Isotopenmassenspektrometern gekoppelt mische Prozesse zu verstehen, setzen Meeres- sind, Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope von Foramini- wissenschaftlerinnen auf umfangreiche und komplexe feren, Korallen und anderen kalkschaligen Meeresor- Untersuchungen im Labor. Dabei ist zu bestimmen, in ganismen gemessen. Hierdurch können grundlegende welchen Mengen organische Spurensubstanzen in Meer- Informationen sowohl über das Alter der Proben als wasser-, Sediment- oder Korallenproben enthalten sind. auch für die Rekonstruktion von Umweltbedingungen Aber auch die Verteilung der stabilen Isotope der Ele- wie Temperatur und Salzgehalt des Ozeans in früheren mente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff Klimaepochen gewonnen werden. An zwei weiteren spielt in diesen Proben eine bedeutende Rolle. Für solche Massenspektrometern sind Verbrennungsanlagen für Untersuchungen stehen in den Laboren des MARUM eine die Analyse der organischen Gesamtsubstanz in den Vielzahl von Massenspektrometern zur Verfügung, die Proben angeschlossen. Über die stabilen Isotope des mit verschiedenen Aufbereitungsapparaturen und Gerä- Kohlenstoffs und Stickstoffs erhalten die Wissenschaft- ten zur Vortrennung der Substanzen gekoppelt sind. lerinnen detaillierte Informationen zum ozeanischen m frühere Umweltbedingungen nachzu­zeich­ So werden zum Beispiel an drei Aufbereitungsanla- 25 Kohlenstoffkreislauf bzw. zum Nährstoffgehalt im und vergangene Umweltbedingungen in den Ozeanen Meer. rekonstruiert, oder die Niederschlagsverhältnisse in Andere Spektrometer werden mit Gas- oder Flüs- früheren Erdzeitaltern abgeschätzt werden. sigkeitschromatographen gekoppelt, um Gase wie Methan, wasserlösliche organische Verbindungen wie Aminosäuren und Zucker sowie fettähnliche organische Verbindungen zu untersuchen. Dabei werden die Ver- Um sehr komplex aufgebaute organische hältnisse der stabilen Isotope von Wasserstoff und Koh- Komponenten zu untersuchen, werden lenstoff in organischen Einzelkomponenten untersucht. Massenspektrometer mit Flüssigkeitschro­ Mit Hilfe solch aufwändiger Analyseverfahren werden matographen gekoppelt. Gezielt werden sowohl die Herkunft des organischen Materials im Meer Fettbestandteile, sogenannte Phospho- und oder in den Meeresablagerungen als auch die biogeo- Glykolipide, aus Sedimenten, Wasser­ chemischen Prozesse bei der Bildung und während des proben und Zellkulturen untersucht. So Abbaus von Gashydraten untersucht. So können heutige können Wissenschaftlerinnen Aussagen über Anwesenheit und Vielfalt unterschied­ licher Lebensformen in den Umweltproben machen. 26 » Es ist unser Ziel, vergangene Veränderungen des Ozeans und Klimas zu rekonstruieren und zu modellieren. Ich finde es beeindruckend, mit welch innovativen Lösungsansätzen dieser Aufgabe am MARUM nachgegangen wird und freue mich, einen Beitrag zum besseren Klimaverständnis leisten zu können. « Anna Kloss Doktorandin am MARUM Perspektiven für den Nachwuchs Ausbildung am MARUM B ereits seit 1999 bieten die Meereswissenschaften Wissenschaftsgemeinschaft wird bereits zu einem in Bremen eine strukturierte Nachwuchsförde- frühen Stadium der wissenschaftlichen Karriere rung an. Seitdem zielt das European Graduate gefördert. Diese Netzwerkbildung wird durch den für College in Marine Sciences ECOLMAS darauf ab, nach alle Doktorandinnen vorgesehenen mehrmonatigen dem Master- bzw. Diplom-Abschluss eine qualifizierte Forschungsaufenthalt an einer ausländischen Meeres- Weiterbildung zu etablieren. Im Rahmen der Exzellenz- forschungseinrichtung weiter gefestigt. Vorträge und initiative wurde zudem 2006 die Internationale Bremer Posterpräsentationen über das eigene Forschungspro- Graduiertenschule für Meereswissenschaften mit dem jekt auf internationalen Kongressen und schließlich die Schwerpunktthema »Globaler Wandel im Bereich der Publikation der Forschungsergebnisse in internationa- Ozeane und Küsten« – kurz: GLOMAR – eingerichtet. len Fachzeitschriften sind weitere Schritte, um sich in Heute wählen Doktorandinnen aus einer reichhaltigen Palette die für sie relevanten Weiterbildung- der internationalen »community« behaupten zu lernen. Alle Doktorandinnen werden von einem individuell sangebote aus. In zwei Einführungskursen wird die zusammengestellten Ausschuss betreut. So ist eine gesamte Breite der Meereswissenschaften vorgestellt. In optimale Unterstützung gewährleistet. In halbjähr- Expertenkursen eignen sie sich in konzentrierter Form lichen Treffen geht es dabei sowohl um das Promotions- fundiertes Fachwissen an. projekt selbst als auch um die für die Karriereplanung Die Kursteilnehmerinnen stammen aus vielen Ländern, und die Einbindung in die internationale entscheidenden Schlüsselqualifikationen wie Kommunikationskompetenz, Teamarbeit oder Projekt- und 27 Zeitmanagement. Diese werden in zahlreichen Weiter- in der Meeresforschung absolviert und praktische Er- bildungskursen vermittelt. fahrungen in einem stimulierenden Forschungsumfeld Während die Männer- bzw. Frauenquote bei meeres- gesammelt. wissenschaftlichen Promotionsprojekten noch gleich groß ist, verringert sich der Frauenanteil auf den darüber liegenden Karriereebenen deutlich. Deshalb wurde 2008 das Mentoringprogramm »plan m at MARUM/ GLOMAR« begonnen. »plan m« bietet jungen Frauen Seit 2001 besteht das internationale Gradu­ die Chance, ihre nächsten Karriereschritte gemeinsam iertenkolleg EUROPROX. Es wird durch die mit erfahrenen Wissenschaftlerinnen aus dem In- und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Ausland, die sich bereits als Professorinnen etabliert gefördert. Angelehnt an die Forschungen haben, zu planen. im MARUM und in enger Kooperation mit Für eine Karriere in den Meereswissenschaften niederländischen Kolleginnen wurden werben im Übrigen auch die MARUM Summer Student bereits drei »Generationen« von Doktoran­ Fellowships. Das alljährlich aufgelegte Programm er- dinnen ausgebildet. Im Rahmen des DFG- möglicht es Studentinnen aus dem In- und Ausland, für Graduiertenkollegs INTERCOAST widmen zwei Monate ein unabhängiges Forschungsprojekt am sich 13 Doktorandinnen seit Ende 2009 ge­ MARUM durchzuführen. So werden erste eigene Schritte meinsam mit neuseeländischen Kommili­ toninnen den Problemen der angewandten Küstenforschung. » 28 Am MARUM habe ich die Möglichkeit, ganz neue Wege in der Öffentlichkeitsarbeit zu beschreiten. Die vielen ­innovativen Projekte machen meine Arbeit hier so abwechslungsreich und spannend. Dabei macht mir die Arbeit mit Kindern besonders Spaß – sie stellen die besten Fragen! « Jana Stone Öffentlichkeitsarbeit am MARUM Wie das Meer an Land kommuniziert wird Das MARUM im Dialog mit der Öffentlichkeit D as Öffentlichkeitsarbeits-Team des MARUM bislang 17 deutsch-englischen Kurzfilme entstanden entwickelt gezielt Angebote für Medienvertre- in Kooperation mit der Deutschen Forschungsgemein- terinnen, Schülerinnen und Lehrerinnen, Ent- schaft (DFG) bzw. der Deutschen Welle. Hier präsentie- scheidungsträgerinnen sowie die interessierte Öffent- ren vor allem Nachwuchswissenschaftlerinnen ihre lichkeit. Bestimmte Kommunikationsmittel richten sich Forschungsarbeiten. Die fünf Beiträge aus der Koope- indes an mehrere Zielgruppen. So der deutsch-englisch ration mit Deutsche Welle TV können inzwischen auch geführte Internetauftritt des MARUM. Während auf der bei YouTube abgerufen werden. Interessierte TV-Re- Homepage aktuelle Kurznachrichten sowohl Wissen- dakteure, Produktionsfirmen oder Museen können sich schaftlerinnen als auch Laien über Wissenswertes aus dank MARUM TV sehr schnell einen Überblick über die dem Institutsalltag informieren, bieten die Rubriken Arbeit des Zentrums verschaffen und entsprechendes »Public Relations« und »Entdecken« allgemein ver- Videomaterial für ihre Produktionen bestellen. ständlich aufbereitete Informationen für ein breiteres Einen neuen Weg geht das MARUM mit der Wander- Publikum. So die seit mehr als zwölf Jahren gemeinsam ausstellung MeerErleben, die zwischen 2009 und 2014 mit der Zeitschrift »mare« geführte Wissenschafts­ durch große deutsche und europäische Einkaufszentren hotline »Das Blaue Telefon«. tourt. Mit der ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG In der Internet-Rubrik »Entdecken« werden inno- wurde ein Partner gefunden, der eine sehr weite Ver- vative Projekte wie das MARUM TV präsentiert. Die breitung und den Zugang zu allen Zielgruppen garan- 29 tiert. Ein Mix aus faszinierenden Fotos, Videos, Ani- das MARUM Kurse im Rahmen der von der Universität mationen, Texten und Grafiken sowie unterhaltsamen veranstalteten Sommeruniversität an. Zudem sind die Mitmach-Exponaten bietet den Besuchern vielfältige Geowissenschaften im Land Bremen Teil des Lehrplans. Möglichkeiten, in die Ausstellung einzusteigen. Zu den Höhepunkten von MeerErleben zählt ein Tiefseekino mit Unterwasser-Aufnahmen des Tauchroboters MARUM-Quest sowie ein zylindrisches 2.500-LiterAquarium, an dem Besucherinnen mit einem echten Mini-Tauchroboter experimentieren können. MeerErleben richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit, an Lehrerinnen sowie an Schulklassen, für die Führungen angeboten werden. Ohnehin stehen diese Zielgruppen im Fokus der Wissenschaftskommunikation. So werden über das MARUM UNISchullabor inzwischen gezielt Veranstaltungen für Kindergärten, Sekundarstufen I und II oder für behinderte Kinder angeboten. Für Lehrerinnen bietet Vernetzung ist das A und O der Wissen­ schaftskommunikation. Deshalb initiierte die MARUM-Öffentlichkeitsarbeit PRArbeitskreise auf lokaler und nationaler Ebene. Sie ist zudem aktiv in PR-Netzwerke der European Science Foundation ESF, der European Geosciences Union EGU sowie des Integrated Ocean Drilling Program IODP eingebunden. Das MARUM UNISchul­ labor setzt auf feste Kooperationen mit Schulen und Kindertagesstätten in Bremen. So werden naturwissenschaftliche The­ men und Methoden früh eingeführt, nicht zuletzt, um Interesse für diese Studienbe­ reiche zu wecken. 30 Impressum Herausgeber Gerold Wefer MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften Universität Bremen Leobener Str., 28359 Bremen +49 421 218 65500 [email protected] Fotos Gr. Foto Umschlag, Portraits und S. 6/7, 7 oben, 11, 19 oben und Mitte, 20/21, 22/23, 23 Mitte, 24/25, 26/27: Volker Diekamp; S. 3 oben, 14/15, 18/19, 29 oben: Albert Gerdes; S. 4 unten: AWI, JUB, Senckenberg; S. 15 oben: Gerrit Meinecke; S. 10/11, 12, 13: Unterwasseraufnahmen des Tauchroboters MARUM-Quest; S. 9, 16, 23 oben: MARUM; S. 28/29: Jana Stone; S. 29 Mitte: Jürgen Pätzold (alle MARUM); Kl. Foto Umschlag und S. 2/3: Husemann/Timmermann/Hidde – Architekten und Ingenieure, Braunschweig; S. 4/5: Universität Bremen; S. 8: NASA; S. 25 oben: Kai Uwe Bohn, Pressestelle der Universität Bremen Grafiken S. 5 und 6: Michael Schulz; S. 9: Frank Schmieder (Daten: Stefan Mulitza et al. (2008), doi:10.1029/2008PA001637); S. 10: Verena Heuer; S. 14: Katrin Huhn; S. 17: Verner B. Ernstsen (alle MARUM) Texte Wolfgang Bach, Torsten Bickert, Marcus Elvert, Albert Gerdes, Lydia Gerullis, Dierk Hebbeln, Kai-Uwe Hinrichs, Katrin Huhn, Gerrit Meinecke, Stefan Mulitza, Martina Pätzold, Ursula Röhl, Frank Schmieder, Michael Schulz, Monika Segl, Gerold Wefer, Christian Winter (alle MARUM) Redaktion Albert Gerdes, MARUM Layout und Satz Frank Schmieder, MARUM Druck Goihl Druck GmbH, Stuhr-Seckenhausen Auflage 1. Auflage, 5.000 Stück Bremen, März 2010 31