Zentrum für Marine Umweltwissenschaften Das MARUM

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Das MARUM entschlüsselt mit modernsten
Methoden und eingebunden in inter­
Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Universität Bremen
Leobener Straße
28359 Bremen
www.marum.de
nationale Projekte die Rolle des Ozeans im
System Erde – insbesondere in Hinblick
auf den globalen Wandel. Es erfasst die
Wechselwirkungen zwischen geologischen
und biologischen Prozessen im Meer
und liefert Beiträge für eine nachhaltige
Nutzung der Ozeane.
Das MARUM umfasst das DFG-For­schungs­
zentrum und den Exzellenzcluster
»Der Ozean im System Erde«.
Der Ozean im System Erde
Dem Meer auf den Grund gehen!
Der Ozean im System Erde
Dem Meer auf den Grund gehen!
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen
V
or einiger Zeit überlegten wir, wie wir die wis-
der Kooperation innerhalb und außerhalb der Universi-
senschaftlichen Arbeiten des MARUM am be-
tät wollen wir auch in Zukunft weiter gehen.
sten auf den Punkt bringen könnten. Das war
Mit dieser Broschüre möchten wir Ihnen unsere span-
indes leichter gesagt als getan. Die zündende Idee kam,
nenden Arbeiten näher bringen: allgemein verständlich,
als einige Kolleginnen zwanglos beisammen standen
kurzweilig und, wie ich hoffe, interessant aufberei-
und Vorschläge in die Runde warfen. Plötzlich war unser
tet. Beim Durchblättern und Lesen werden Sie einige
Slogan geboren: »Dem Meer auf den Grund gehen!«
unserer Nachwuchskräfte kennenlernen, denn neben
Dieses Motto ist auch der Titel dieser Broschüre, und
exzellenter Forschung haben wir exzellente Ausbildung
es ist wörtlich gemeint. Auf Expeditionen untersuchen
auf unsere Fahnen geschrieben. Ein wichtiges Ziel des
Wissenschaftlerinnen Ablagerungen und Prozesse am
MARUM ist es, die Gleichstellung zwischen Frauen und
Meeresboden. Dabei wollen sie es ganz genau wissen;
Männern in der Wissenschaft zu verbessern. Ein Schritt
auf beinahe jeder Expedition machen sie neue Entde-
auf dem Weg dahin ist das sehr erfolgreich laufende
ckungen. So gesehen gehen wir am MARUM dem Meer
Mentoringprogramm »plan m«, in dem Frauen bei der
auch im übertragenen Sinne auf den Grund. Und das
Planung ihrer wissenschaftlichen Karriere von den Rat-
seit vielen Jahren.
schlägen erfahrener Kolleginnen profitieren. Apropos:
Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Ab 2001 wur-
In dieser Broschüre haben wir uns dafür entschieden,
de das MARUM in einer neuen Initiative der Deutschen
durchgehend von Wissenschaftlerinnen bzw. Forsche-
Forschungsgemeinschaft als eines der ersten DFG-
rinnen zu sprechen, auch wenn wir Männer und Frauen
Forschungszentren gefördert. Seit Herbst 2007 werden
meinen.
unsere weltweit anerkannten Arbeiten im Rahmen
der Exzellenzinitiative gefördert. Schon im Jahr zuvor
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
war die Internationale Graduiertenschule GLOMAR
Herzlichst Ihr
Teil der Exzellenzinitiative geworden. Hier erforschen
Nachwuchswissenschaftlerinnen aus unterschiedlichen
Disziplinen den globalen Wandel im Meer.
Ein wichtiger Teil dieser Erfolgsgeschichte ist die
Vernetzung unseres Exzellenzclusters mit anderen
Gerold Wefer
renommierten Meeresforschungseinrichtungen in der
Direktor des MARUM
Region wie dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und
Meeresforschung oder dem Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, um nur zwei zu nennen. Diesen Weg
1
Inhalt
2
Der Ozean im System Erde
Dem Meer auf den Grund gehen!
6
Klimainformationen aus der Vergangenheit
Das MARUM-Forschungsfeld »Ozean und Klima«
8
Kalter Ozean, dürres Land
Wie Atlantische Meeresströmungen die Sahel-Zone beeinflussen
10
Kleine Organismen, große Wirkungen
Das MARUM-Forschungsfeld »Wechselwirkungen zwischen Geosphäre und Biosphäre«
12
Quellen des Lebens
Ökosysteme in der Tiefsee
14
Mensch und Meer
Das MARUM-Forschungsfeld »Sedimentdynamik«
16
Dünen am Meeresgrund
Was Gezeiten und Wellen bewirken
18
Über 140 Kilometer Meeresboden
Das Bremer Bohrkernlager des IODP
20
Orientierung im Datenmeer
Das Informationssystem PANGAEA
22
Schweres Gerät
Meeresforschungs-Technologien am MARUM
24
Das Unsichtbare erfassen
Die Labore am MARUM
26
Perspektiven für den Nachwuchs
Ausbildung am MARUM
28
Wie das Meer an Land kommuniziert wird
Das MARUM im Dialog mit der Öffentlichkeit
2
Der Ozean im System Erde
Dem Meer auf den Grund gehen!
U
nser blauer Planet ist ein faszinierendes
senschaftlerinnen und Technikerinnen durch gezielte
­System: Atmosphäre, Ozeane und Gesteins-
geowissenschaftliche Studien die tragende Rolle
hülle, die von großen und kleinen Lebewesen
des Ozeans im System Erde. Das MARUM ist auf drei
besiedelte Biosphäre sowie Meereis und Gletscher
Forschungsfeldern aktiv: es ergründet die Wechselbe-
bilden seine wesentlichen Bestandteile, die durch
ziehungen zwischen Ozean und Klima, nimmt biogeo-
komplexe Wechselwirkungen eng miteinander ver-
chemische Prozesse am und im Meeresboden genauer
woben sind. Nie herrscht Stillstand. Stürme, Erdbeben
unter die Lupe und untersucht, wie Sedimente im Meer
und Vulkan­ausbrüche, Felsstürze und das aktuelle
ab- und umgelagert werden. Die Wissenschaftlerinnen
Schwinden vieler Gletscher belegen, wie dynamisch
des MARUM beteiligen sich aktiv an der Entwicklung
die Prozesse im System Erde ablaufen. Das gilt insbe-
und Durchführung internationaler meeresorientierter
sondere für die Ozeane, die mehr als 70 Prozent der
Forschungsprogramme wie dem IGBP-PAGES, IMAGES,
Erdoberfläche bedecken. Weltumspannende Meeresströ-
IODP und InterRidges. Zudem betreibt das MARUM das
mungen, heiße und kalte Quellen am Meeresboden und
größte der weltweit drei Bohrkernlager des Integrierten
viele weitere Phänomene machen die Meeresumwelt zu
Ozeanbohr-Programms IODP.
einem spannenden Forschungsfeld.
Am MARUM, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, erkunden Wis-
Im Lauf der Jahre haben sich am Bremer Zentrum
etliche geografische Forschungsschwerpunkte herauskristallisiert. Dazu zählen Nordsee und Mittelmeer,
3
der äquatoriale und der südliche Atlantik sowie das
Mit den Sedimenten gelangen große Mengen orga-
Schwarze Meer. MARUM-Wissenschaftlerinnen sind
nischer Substanzen in die Küstengewässer, Randmeere
also in flachen Küstengewässern ebenso aktiv wie im
und auf die seewärts angrenzenden Kontinentalhänge.
tiefen Ozean.
Die Überreste von Pflanzen und Tieren setzen vielfäl-
Küstenmeere bilden die Übergangszonen zwischen
tige und – verglichen mit dem offenen Ozean – höchst
den Kontinenten und den offenen Ozeanen. Hier laden
dynamisch ablaufende biologische, geologische und
Flüsse ungeheure Mengen an Verwitterungsmaterial
chemische Prozesse in Gang, die die globalen biogeoche-
aus den Gebirgen des Hinterlandes ab. Allein über den
mischen Kreisläufe entscheidend prägen. Kein Wunder,
Rio de la Plata werden derzeit vor den Küsten Uruguays
dass diese Regionen für Forscherinnen dieser Diszipli-
und Argentiniens jährlich etwa 80 Millionen Tonnen
nen echte »hot-spots« darstellen.
Lockermaterial und Sande in den Südatlantik, eines
Hot-spots ganz anderer Art finden sich an den mittel-
der Untersuchungsgebiete des MARUM, gespült. Über
ozeanischen Rücken. Dieses mehr als 60.000 Kilometer
geologische Zeiträume, also über Jahrmillionen betrach-
lange untermeerische Gebirgssystem bildet die Grenz-
tet, entscheiden Klimaveränderungen, Gebirgsbildungs-
linie zwischen den Erdplatten. An der bis zu mehrere
und Verwitterungsprozesse, aber auch Meeresspiegel­
Zehnerkilometer breiten Zentralspalte bahnt sich heißes
schwankungen darüber, wie viel Erosions­material
Magma seinen Weg nach oben. So entsteht ständig
letztlich im Ozean landet.
neuer Meeresboden. Durch Spalten und Risse dringt
4
»
Das MARUM bietet einen idealen Rahmen, um meiner
Begeisterung für die Meeresforschung nachzugehen. Ich
freue mich, dass ich durch meine Arbeiten dazu beitragen
kann, die Prozesse im Ozean besser zu verstehen und bin
immer wieder beeindruckt, wie vielseitig und doch so
­ineinandergreifend am MARUM geforscht wird.
«
Miriam Römer
Doktorandin am MARUM
Der Campus der Universität Bremen
mit den Gebäuden des MARUM, MPI, ZMT
sowie des Instituts für Umweltphysik
mit der Abteilung Ozeanographie.
AWI Bremerhaven
Jacobs University Bremen
Senckenberg am Meer
5
Die Rolle des Ozeans im System Erde – Forschungsfelder des MARUM
Meerwasser in den Ozeangrund ein. Man schätzt, dass
setzt werden. Als eines der wenigen Institute weltweit
ständig etwa zwei Prozent des gesamten Ozeanwas-
betreibt das MARUM eine Flotte modernster Unterwas-
sers in dieser obersten Lithosphärenschicht zirkulieren.
sergeräte für den Einsatz in der Tiefsee. Dadurch hat es
An den mittelozeanischen Rücken wird es aufgeheizt
sich zu einem Zentrum der Meeresforschungstechnik
und schießt, mit gelösten Mineralen beladen, mehr als
sowie zu einem gefragten Partner in internationalen
400 Grad Celsius heiß an sogenannten Rauchern aus
Kooperationsprojekten entwickelt.
dem Meeresboden. Videoaufnahmen, die mit Hilfe von
Tauchrobotern gewonnen werden, dokumentieren, dass
an solchen Hydrothermalsystemen hoch spezialisierte Ökosysteme gedeihen. In unmittelbarer Nähe der
heißen Quellen fühlen sich weiße Garnelen, Muscheln
und andere Organismen wohl. Sie profitieren von der
Im MARUM arbeiten im Rahmen der Exzel­
Symbiose mit Bakterien, deren Stoffwechsel nicht auf
lenzinitiative des Bundes und der Länder
Sauerstoff sondern auf Schwefelwasserstoff basiert.
Geowissenschaftlerinnen, Geochemi­ke­
Aufgrund seiner enormen Ausdehnung ist die Er-
rin­nen, Mikrobiologinnen, Physikerinnen
forschung des Meeresbodens buchstäblich ein weites
und Vertreterinnen weiterer Disziplinen
Feld. Großflächige Untersuchungen durch den Einsatz
eng mit Kolleginnen anderer Meeresfor­
von Satelliten sind nur begrenzt möglich, zum Beispiel,
schungseinrichtungen in der Nordwestre­
wenn es um Schwerefeld-Messungen geht. Alle ande-
gion zusammen. So mit
ren Beobachtungen und Messungen müssen vor Ort
• dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und
durchgeführt werden. Dafür sind Forschungsschiffe im
Meeresforschung (AWI), Bremerhaven,
Einsatz, von deren Arbeitsdecks ferngesteuerte Tauch-
• der Jacobs University Bremen,
roboter, autonom operierende Unterwasserfahrzeuge,
• dem Max-Planck-Institut für Marine
Meeresboden-Lander und weitere spezielle Technologien für direkte Messungen und Probenahmen ausge-
Mikrobiologie (MPI), Bremen,
• dem Senckenberg Institut am Meer,
­Wilhelmshaven,
• dem Zentrum für marine Tropenökologie,
Bremen (ZMT).
6
Klimainformationen
aus der Vergangenheit
Das MARUM-Forschungsfeld
Ozean und Klima
D
as Weltmeer speichert viel Wärmeenergie, die
zurück und bilden die zeitlich längsten, kontinuierlichen
durch Meeresströmungen vom Äquator in
Archive natürlicher Klimaveränderungen. Deshalb
Richtung der Pole transportiert wird. Zudem
nutzen MARUM-Wissenschaftlerinnen z.B. Meeresabla-
sind im Ozean gelöste Stoffe wie etwa das klimawirk-
gerungen und fossile Korallen, um zu untersuchen, wie
same Kohlendioxid gespeichert. Daher stellt das Welt-
sich die Meeresumwelt in der jüngeren Erdgeschichte
meer eine zentrale Komponente unseres Klimasystems
veränderte und wie diese natürlichen Veränderungen
dar.
im Ozean andere Komponenten des Klimasystems be-
Um zukünftige Klimaentwicklungen besser ab-
einflussten bzw. von diesen beeinflusst wurden.
schätzen zu können, müssen wir die Rolle des Ozeans
Mit chemisch-physikalischen Methoden untersuchen
im Klimasystem möglichst genau verstehen. Leider
die Bremer Forscherinnen Ablagerungen am Meeresbo-
reichen die Salzgehalts-, Temperatur- oder Strömungs-
den und bestimmen Art und Anzahl winziger Fossilien.
messungen nicht weit genug zurück, um hinreichend
Damit zeichnen sie abrupte Klimaänderungen während
genau zu entschlüsseln, wie Ozean und Klima langfri-
der letzten Eiszeit nach. Aus der chemischen Zusammen-
stig miteinander wechselwirken. Doch die Umweltar-
setzung Jahrtausende alter fossiler Korallen gewinnen
chive des Meeres reichen viele Zehnermillionen Jahre
die MARUM-Wissenschaftlerinnen präzise Informa­
Physikalisch konsistente Dateninterpretation
Datenbasierte
Rekonstruktion
Warm
Kalt
0
40.000
80.000
120.000
KlimasystemModellierung
Jahre vor heute
Identifikation von Schlüsselprozessen
Um die Dynamik vergangener Klimaschwankungen
zu entschlüsseln, werden am MARUM
geowissenschaftliche Klimarekonstruktionen
mit Ergebnissen der Klimasystemmodellierung
kombiniert.
7
Mit dem Meeresbodenbohrgerät MARUM-MeBo
können bis zu 70 Meter lange Kerne vom Meeresboden
gewonnen werden. Dies ermöglicht die Untersuchung
sehr viel längerer Zeitreihen als bei konventionellen
Verfahren mit Schwere- oder Kolbenlot.
• Wie überträgt der Ozean Klimasignale von den Trotionen über Veränderungen der Meerestemperaturen. Da-
pen in die Polarregionen und umgekehrt?
mit rekonstruieren sie, wie sich der Zustand des Ozeans
Um diese Fragen zu beantworten, kombinieren
veränderte und wie sich Klimazonen verlagerten.
Umgekehrt enthalten die Umweltarchive des Meeres
MARUM-Wissenschaftlerinnen die Rekonstruktionen
aus den Klimaarchiven mit Klimamodellrechnungen.
auch Informationen darüber, wie sich Klimaschwan-
So lassen sich weit reichende Einblicke in die Dynamik
kungen auf den Ozean, insbesondere auf das globale
von Klimavariationen und die zugrundeliegenden
ozeanische Zirkulationssystem auswirkten.
Wirkungsketten gewinnen. Die Erkenntnisse tragen
Vor diesem Hintergrund geht das MARUM folgenden
dazu bei, verlässlichere Aussagen über die zukünftige
Klimaentwicklung zu erhalten.
Fragestellungen nach:
• Welche Rolle spielt der Ozean bei der Erzeugung und
Verstärkung von Klimaänderungen?
• Welchen Einfluss haben Änderungen der Ozeanzirkulation auf das Landklima, insbesondere auf den
Niederschlag in den Tropen?
Der Ozean bedeckt den größten Teil unseres
Planeten und beeinflusst das Klima­
geschehen maßgeblich. Am MARUM wird
entschlüsselt, wie der Ozean das Klimage­
schehen in der Vergangenheit mitprägte
und zukünftig beeinflussen wird. Ein Ziel
»
dabei ist es, Klimazeitreihen an Hand von
Meeresablagerungen zu gewinnen, die
MARUM heißt für mich: Exzellente Forschungs­
möglichkeiten, Teilnahme an internationalen
Konferenzen und Expeditionen, und die Möglichkeit,
mit jungen Kolleginnen aus unterschiedlichen Ländern
unterschiedliche kulturelle, soziale und wissenschaftliche
Aktivitäten zu genießen.
«
Ilham Bouimetarhan
Postdoktorandin am MARUM
weit über den Zeitraum instrumenteller
Beobachtungen hinausgehen. Durch den
Vergleich mit Klimarechenmodellen wird
die Funktionsweise des Klimasystems
entschlüsselt.
8
Kalter Ozean,
dürres Land
Wie Atlantische Meeresströmungen
die Sahelzone beeinflussen
ging mit einer Dürre im Süden der
Sahara einher. Leider reichten die
Messdaten nicht weit genug in die
Vergangenheit zurück, um zu klären,
ob dieser Zusammenhang auch für
längere Zeiträume besteht.
Um dieser Frage nachzugehen,
führte das MARUM 2005 eine Expedition mit dem Forschungsschiff
Meteor am Kontinentalhang vor
Senegal durch. Diese Region, in der
das flache Küstenmeer zum tiefen
Atlantik hin abfällt, enthält ein
Der Begriff »Sahel« stammt aus dem Arabischen und bedeutet Küste oder Ufer. In diesem Fall ist
jedoch nicht eine Meeresküste gemeint. Vielmehr geht es um die Grenze zum »bahr bila ma«, dem
Meer ohne Wasser. So bezeichnen die Bewohner die Sahara, eine der größten Wüsten unserer Erde.
Sedimentkern
GeoB 9508-5
A
lles Leben in der spärlich
bewachsenen Trocken­
savanne des Sahel hängt
entscheidend vom Wasser ab. Niederschläge fallen in der Regel nur
während der Sommermonate. Bleiben sie aus, verwandelt sich die Sahelzone für Mensch und Tier in eine
extrem lebensfeindliche Umwelt. So
wie in den 70er und 80er Jahren des
letzten Jahrhunderts, als die Sahelzone immer wieder für bedrückende
Schlagzeilen sorgte. Damals setzte
sehr rasch eine bis heute anhaltende
Dürreperiode ein. Mit tragischen
Folgen: Unsicheren Schätzungen
zufolge hat die katastrophale Trockenheit in der Sahelzone innerhalb
von sechs Jahren bis zu eine Million
Menschenleben gefordert.
Erste wissenschaftliche Untersuchungen in den 70er Jahren führten
die stark verringerten Niederschläge zunächst auf eine intensivierte
menschliche Landnutzung zurück.
Diese sogenannte »Charney-Hy-
pothese« besagt, dass die spärliche
Pflanzendecke des Sahel durch Überweidung und Abholzung zunehmend zerstört wurde. Die Folge: die
relativ helle Erdoberfläche reflektiert
verstärkt die Sonneneinstrahlung.
Dadurch kühlt zwar die Erdoberfläche aus; gleichzeitig stabilisiert sich
aber die Schichtung in der Atmosphäre. Dies wiederum unterbindet
jene Umwälzbewegungen der Luftmassen, ohne die kein Regen fällt.
Mitte der 80er Jahre wurde indes
deutlich, dass neben menschlichen
auch natürliche Faktoren bei der
Sahel-Dürre eine Rolle spielen. Der
britische Meteorologe Chris Folland
analysierte etliche Sätze meteorologischer Messdaten. Obwohl die
Informationen Lücken aufwiesen,
erkannte Folland einen Zusammenhang zwischen den Niederschlagsmengen in der Sahelzone
und den Wassertemperaturen an
der Oberfläche des Nordatlantiks:
Jede Abkühlung der Meeresregion
hervorragendes Archiv, mit dem
das Auf und Ab des Sahelklimas
langfristig nachgezeichnet werden
kann. Denn während jeder Dürre
wirbeln die vorherrschend westlichen Winde gewaltige Sand- und
Staubmengen auf. Millionen Tonnen
werden jährlich über die Atmosphäre Richtung Atlantik transportiert
und kontinuierlich auf dem Meeresboden abgelagert.
Während der Meteor-Expedition
beprobten die MARUM-Forscherinnen den Ozeangrund. Mit dem
sogenannten Schwerelot »stanzten«
sie Sedimentproben aus, die in den
letzten 60.00 Jahren vor Senegal
abgelagert wurden. Aus der Menge
des abgelagerten Staubs und seiner
Zusammensetzung – zum Beispiel
dem relativen Gehalt an Eisen
und Kalium – konnten sie auf die
Verteilung von früheren Trockenund Feuchtperioden im nördlichen
Afrika rückschließen.
Die Meeresablagerungen ent­
hielten so manche Überraschung.
Sie belegen, dass in der Sahelzone
während der letzten 60.000 Jahre
immer wieder Dürren herrschten.
Meist hielten die Trockenperioden mehrere tausend Jahre lang
9
an und gingen mit extrem kalten Wassertemperaturen in der
Nordatlantikregion einher. Diesen
Temperaturabfall erklären die
MARUM-Wissenschaftlerinnen mit
einer abgeschwächten Ozeanzirkulation, d.h. mit einem schwächeren
Zustrom warmen Golfstromwassers
in den Nordatlantik.
Auch auf dem afrikanischen
Kontinent wurden Hinweise auf die
längst vergangenen Dürreperioden
gefunden. Fossile Dünenfelder im
Spritzen voller Sediment:
An Bord des Forschungsschiffs
Meteor wird ein Sedimentkern
beprobt, der vor Senegal gewonnen
wurde (Lokation s. linke Seite).
In diesen Sedimenten ist der
Staubeintrag der letzten 60.000
Jahre archiviert. Mit den an den
Proben gemessenen Verhältnisssen
von Eisen zu Kalium wurden lange
Dürreperioden in der Sahelzone
rekonstruiert (unten).
Senegal zeigen, dass sich die Sahara
in den letzten Zehntausenden von
Jahren mehrfach sehr schnell um
mehr als 500 Kilometer nach Süden
ausdehnte bzw. sich mehrfach wieder zurück zog.
Bleibt die Frage, wodurch das
komplexe Wechselspiel zwischen
Ozean und Atmosphäre ausgelöst
wurde. Um diese Frage zu klären,
wurden am MARUM Experimente
mit einem komplexen Klimasystemmodell durchgeführt. Das Computermodell ist in der Lage, die Prozesse
in der Atmosphäre und im Ozean
Verhältnis
Eisen zu Kalium
5
Lang andauernde Dürreperioden in der Sahelzone
während der letzten 60.000 Jahre
feucht
4
3
2
trocken
1
0
10.000
20.000
30.000
40. 000
Alter der Sedimente [Jahre]
50.000
60.000
realistisch abzubilden. Diese Simulationen zeigen, dass die Temperatur
des Oberflächenwassers im Nordatlantik die Zirkulation der Luftmassen über Nordafrika entscheidend
beeinflusst. Schwächt sich der nach
Norden gerichtete Wärmetransport
im Atlantik ab, kühlt das Nordatlantikwasser ab. Gleichzeitig gewinnt
das Azorenhoch in den Subtropen
an Kraft. Dadurch strömt bodennah
verstärkt trockene Luft aus der Sahara in die Sahelzone ein. Ergebnis:
Der afrikanische Regengürtel wird
nach Süden abgedrängt. Gleichzeitig
nimmt der sogenannte »Afrikanische Oststrahlstrom«, ein westwärts
gerichtetes Starkwindband in etwa
drei bis fünf Kilometer Höhe, an
Stärke zu. Beide Prozesse führen zu
einer Abnahme der Niederschläge in
der Sahelzone.
Die Untersuchungen am MARUM
haben gezeigt, dass lang anhaltende
Dürreperioden im Sahel Beispiele
für den natürlichen Klimawandel
darstellen und eng mit der Ozeanzirkulation verknüpft sind. Aufgrund
dieser Erkenntnisse muss auch in
Zukunft mit ausgeprägten Dürre­
perioden in der Sahelzone gerechnet
werden.
10
Kleine Organismen,
große Wirkungen
Das MARUM-Forschungsfeld
Wechselwirkungen zwischen Geosphäre und Biosphäre
Z
war sind Bakterien und Archaeen winzig klein;
Schwarzen Rauchern, Asphalt- oder Schlammvulkanen
dennoch beeinflussen diese Mikroorganismen
aus dem Erdinnern quillt, liefert wesentliche chemische
und ihre Stoffwechselprodukte die chemische
Grundbausteine: unter anderem Kohlenstoff, Stickstoff,
Zusammensetzung von Gesteinen, Wasser und der
Phosphor, Schwefel und Eisen, die die Mikroorganismen
Atmosphäre. Das MARUM untersucht diese Wechsel-
zum Aufbau ihrer Zellen nutzen.
wirkungen zwischen der Geosphäre und der Biosphäre
Im Meeresboden selbst fehlt diese Energiezufuhr. Dort
im Ozean, denn ihm kommt eine Schlüsselrolle bei der
müssen Mikroorganismen mit jenen schwer verdau-
Entwicklung unseres Planeten zu.
lichen organischen Resten abgestorbener Pflanzen
Alle Organismen benötigen eine Energiequelle, um
und Tiere auskommen, die nach ihrem Absinken den
ihren Stoffwechsel aufrecht zu erhalten. Da das Son-
Meeresboden erreichen. Doch selbst unter solch un-
nenlicht nur das oberste Meeresstockwerk durchflutet,
wirtlichen Bedingungen existiert im Meeresboden eine
müssen Organismen, die am oder im Grund der Tiefsee
große Lebensvielfalt. Zwar nimmt die Anzahl der Zellen
leben, ihren Energiebedarf anderweitig decken. Heiße
mit zunehmender Tiefe deutlich ab; doch selbst etwa
und kalte, oft gashaltige Quellen in der Tiefsee sind sol-
einen Kilometer unterhalb des Meeresbodens gedeiht
che Energiespender. Der Cocktail an Substanzen, der an
Leben. Hier, in der sogenannten tiefen Biosphäre, finden
Atmosphäre
CO2
Kontinentalrand
Photosynthese
Chemosynthese
Hydrothermalquellen
Sediment
H2
H2S
S
S2O32-
Die tiefe Biosphäre im Meeresboden
ist eines der größten zusammen­
hängenden Ökosysteme der Erde. Am
MARUM wird ihre Rolle im globalen
Kohlenstoffkreislauf erforscht.
Respiration
Kalte
Quellen
Biomasse
frische organische Substanz
© Verena Heuer, MARUM
Gashydrat
Anaerobe Methanoxidation
Methanogenese
CH4
Biologische
Prozesse
Tiefe Biosphäre
120°C
Pyrolyse
Mittelozeanischer
Rücken
kalt
Ozean
fossile organische Substanz
Basaltische ozeanische Kruste
C2+
Öl
Su
bd
uk
Geologische
Prozesse
tio
n
heiß
11
kurzlebigen biologischen und den lang währenden geo­
logischen Kreisläufen ausgetauscht, d.h. wie beispiels-
Unverzichtbares Werkzeug: Aussetzen des Tauch­
roboters MARUM-Quest
weise die Konzentrationen von lebensnotwendigen
Nährstoffen im Weltmeer beeinflusst werden. Diese
Prozesse sind eng verknüpft mit den Konzentrationen
sich in einem Milliliter Sediment oft noch ein bis zehn
der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan im Ozean
Millionen intakte Zellen. Hochgerechnet könnte dieser
bzw. in der Atmosphäre. Fazit: die geologisch-biolo-
karge Lebensraum bis zu einem Drittel der gesamten le-
gischen Wechselwirkungen am und im Meeresboden
bendigen Biomasse auf unserem Planeten beherbergen.
sind eng mit der Entwicklung des Klimas auf der Erde
Um die schwer zugänglichen Ökosysteme am und
verknüpft.
im Meeresboden zu erforschen, setzt das MARUM neue
Technologien wie den Tauchroboter MARUM-Quest ein.
Mit seinen Greifarmen kann er in bis zu 4.000 Meter
Tiefe spezielle Mikrosensoren aussetzen. So wird deutlicher, wie Energie und Materie zwischen den relativ
Am MARUM erforschen Wissenschaftle­
rinnen die Wechselwirkungen zwischen
geo­logischen, biologischen und che­
mischen Prozessen am und im Meeres­
boden. Die dort lebenden mikrobiellen
Artengemeinschaften beeinflussen ent­
scheidend die Mobilität, Verfügbarkeit und
Konzentration von Kohlenstoff, Stickstoff,
»
Phosphor, Eisen und Sauerstoff im Ozean.
Dadurch sind diese Prozesse eng mit der
Für meine Arbeit finde ich am MARUM optimale Bedin­
gungen vor: Wegen der modernen Instrumente im Labor,
weil unsere Nachbarn am Max-Planck-Institut stets ein
offenes Ohr für meine Fragen haben, und weil unsere
Werkstatt immer mit passenden technischen Lösungen für
die Umsetzung meiner experimentellen Ideen aufwartet.
«
Yu-Shih Lin
Postdoktorandin am MARUM
Produktivität des Ozeans und letztlich mit
den Konzentrationen von Treibhausgasen
in der Atmosphäre verknüpft.
12
Quellen
des Lebens
Ökosysteme in der Tiefsee
In den Tiefen des Ozeans herrschen unwirtliche Bedingungen: Kein Fünkchen Sonnenlicht
durchdringt das Dunkel, und die Kilometer hohe Wassersäule übt einen Druck von mehreren
Hundert Kilogramm pro Quadratzentimeter aus. Mancherorts ist das Wasser saurer als Essig.
Und doch floriert hier Leben. Weil Sonnenlicht als Energiequelle fehlt, müssen Organismen,
die unter diesen Bedingungen überleben wollen, exotische Energieressourcen nutzen. Zum
Beispiel heiße Tiefseequellen, an denen die Leben spendende Energie direkt aus dem Innern
der Erde stammt.
D
ie teilweise mehr als 400
Grad Celsius heißen Quellen
in der Tiefsee sind Oasen
blühenden Lebens. Sie sprudeln
aus jenen Unterwasser-Gebirgen,
die Teil der rund 60.000 Kilometer
langen vulkanischen mittelozea­
nischen Rücken sind. Dort fließt
basaltische Lava aus, die ständig
neuen Meeresboden bildet.
Während ihrer Expeditionen sind
die MARUM-Wissenschaftlerinnen
immer wieder von den spektakulären Ökosystemen in der Tiefsee
fasziniert: zum Beispiel von den Gemeinschaften aus Röhrenwürmern,
Muscheln, Schnecken und Garnelen, die mit chemosynthetischen
Bakterien in Symbiose leben. Dabei
bilden diese Mikroorganismen die
Grundlage der Tiefsee-Biotope. Sie
nutzen Eisen, Methan, Wasserstoff
oder Schwefelwasserstoff als Energiequellen, die sie mit Hilfe von Sauerstoff, Sulfat oder gar Kohlendioxid
veratmen. Durch diese komplexen
biogeochemischen Prozesse unterstützen die Bakterien eine Biomasse,
die in dieser Dichte im Meer sonst
nur in Korallenriffen und Miesmuschelbetten erreicht wird.
Im Forschungsfeld »Wechselwirkungen Geosphäre-Biosphäre«
erkunden MARUM-Wissenschaftlerinnen, wie die Energie in der
Tiefsee bereitgestellt und genutzt
wird – theo­retisch, im Experiment,
mit neuartigen Analyseverfahren,
vor allem aber durch Expeditionen
in Gebiete, die den Lebewesen sehr
unterschiedliche physikalischchemische Rahmenbedingungen
bieten, wie etwa extrem alkalische
und sehr stark wasserstoffreiche
Fluidaus­tritte einerseits oder saure,
schwefelige und metallreiche Quellen andererseits.
MARUM-Wissenschaftlerinnen
fanden heraus, das alkalische und
wasserstoffreiche Fluide entstehen,
wenn Meerwasser mit Gesteinen
zusammenwirkt, die durch die
Bewegungen der Erdplatten aus dem
Erdmantel, d.h. aus mehreren Zehnerkilometern Tiefe in den Meeresboden gelangen. Dies ist am mittelatlantischen Rücken der Fall. Durch den
Kontakt mit dem Mantelgestein wird
das Meerwasser teilweise in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten.
Letzterer dient entweder direkt als
Nahrungsgrundlage für bestimmte
Mikroorganismen oder aber er reagiert mit dem im Meerwasser gelösten Kohlendioxid. Dabei bilden sich
organische Moleküle, die dann als
13
Substrat oder als Kohlenstoffquelle
für andere Bakteriengemeinschaften
fungieren. Solche Prozesse könnten
bei der frühen Entwicklung der Erde
entscheidend gewesen sein, zeigen
sie doch, dass organische Moleküle
unter reduzierenden Bedingungen
stabil sein können.
Ganz anders das Bild an vulka­ni­
schen Inselbögen wie etwa den Marianen im Pazifik. Untermeerische
Vulkane schufen diese Inseln 2.000
Kilometer östlich von Indonesien.
Die glutflüssigen Magmenherde tief
im Meeresboden sind auch dafür
verantwortlich, dass Kohlen- und
Schwefeldioxid durch Spalten und
Risse aufsteigen und ins Meerwasser gelangen. Dabei können extrem
kohlensaure oder schwefelsaure
Im Umfeld von Schwarzen Rauchern (links)
siedeln sich diverse Lebensgemeinschaften
an (rechts oben), die Energie aus den
heißen Wässern verwerten. Auch scheinbar
unbelebte Lavaströme (rechts Mitte) bieten
einen Lebensraum für Mikroorganismen. In
bestimmten vulkanischen Strukturen treten
kalte Lösungen aus, um die herum sich Eisenoxidierende Bakterien ansiedeln (rostige
Erscheinungen im Bild rechts unten).
Lösungen entstehen. Während einer
Expedition in das Manus-Becken bei
Papua-Neuguinea wurde in einer
sulfatreichen Lösung ein pH-Wert
von 0,9 gemessen! So sauer ist sonst
nur die Flüssigkeit in Autobatterien.
Zum Vergleich: Essig hat einen pHWert von 2,5.
Aber auch weit von den heißen
Quellen entfernt floriert mikrobielles Leben in der Tiefsee. Die an den
mittelozeanischen Rücken austretende Lava erstarrt zu glasartigem,
stark eisenhaltigem Basaltgestein.
Dieses ist sehr verwitterungsanfällig und verrostet im Lauf der
Zeit regelrecht, denn das im Basalt enthaltene Eisen reagiert mit
dem im Meerwasser enthaltenen
Sauerstoff. Bei dieser Reaktion wird
Energie freigesetzt, die Bakterien als
Nahrungsquelle dient.
Auch hier bilden Bakterien die
Grundlage im komplexen Nahrungsnetz des Basalt-Biotops. Sie
sind die Schnittstelle zwischen
Geosphäre und Biosphäre, zwischen
belebter und unbelebter Meeresumwelt. Wie schnell der Meeresboden verwittert, wird von den hoch
spezialisierten Mikroorganismen
entscheidend mitbestimmt. Dieser
Prozess be­einflusst den Karbonatgehalt des Meeres, der wiederum
darüber mitbestimmt, wie viel des
Treibhausgases Kohlendioxid der
Ozean aufnehmen kann.
Kein Zweifel also: der Meeresboden wartet mit extremen Ökosystemen auf. Deren Erforschung hat erst
vor kurzem begonnen und dürfte
auch zukünftig noch viele Überraschungen bereithalten.
14
Mensch und Meer
Das MARUM-Forschungsfeld
Sedimentdynamik
G
eologisch vielfältig, biologisch hochproduk-
eine prägende Rolle: Veränderliche Strömungen, der
tiv und in Hinblick auf Rohstoffe und neue
schwankende Meeresspiegel, unsteter Materialnach-
Lebensräume für den Menschen von heraus-
schub aus dem Hinterland – solche Faktoren bestimmen,
ragender Bedeutung: das sind die Ozeanränder. Wasser
wie und wo Sedimente ab- und umgelagert werden.
und Wind verfrachten die an Land gebildeten Verwit-
Heute wird diese natürliche Sedimentdynamik zu-
terungsprodukte in die Küstenmeere, von dort zu den
nehmend durch den Menschen beeinflusst. Wir nutzen
untermeerischen Kontinentalhängen und weiter hinab
Küstengewässer und Kontinentalhänge zunehmend
in die Tiefsee. So entstehen mächtige und komplex
als Nahrungs-, Rohstoff- und Energiequelle. Dank neuer
strukturierte Sedimentpakete.
Technologien betreiben wir inzwischen Erdölförderung
MARUM-Wissenschaftlerinnen interessieren sich
in Meerestiefen von über 2.000 Metern. Solche wirt-
vor allem für Art und Zusammensetzung der Meeres-
schaftlichen Potentiale locken weltweit immer mehr
ablagerungen sowie deren räumliche
Menschen in die Küstenregionen. Das wiederum
Verteilung. Dabei spielen Kli-
verlangt nach nachhaltigen Nutzungs-
ma- und Umwelt-
strategien für diesen Le-
bedingungen
bensraum.
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Sedimentations- und
Umlagerungs­prozesse
an Ozeanrändern
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15
Aussetzen des Autonomen Unterwasser­
fahrzeugs MARUM-Seal vom französischen
Forschungsschiff N/O Suroit. Dieses AUV
taucht bis zu 5.000 Meter tief und erstellt
hochgenaue Karten des Meeresbodens.
Dazu wollen MARUM-Wissenschaftlerinnen beitra-
• Welche natürlichen und anthropogenen Faktoren
gen, indem sie die Dynamik des Sedimenttransports
beeinflussen »kurzfristig«, d.h. vom Minutenbereich
an den Ozeanrändern erforschen und die dort wirk-
bis über Jahrhunderte die Sedimentbewegungen?
samen Einflussfaktoren genauer quantifizieren. Im
Fragestellungen zur zeitlichen und räumlichen
Forschungsfeld Sedimentdynamik untersuchen sie, wie
Wechselwirkung der kontinuierlich am Sediment an-
Sedimente transportiert, abgelagert und verfestigt, aber
greifenden Meeresströmungen, der zyklisch wirkenden
auch wieder erodiert und umgelagert werden. Ein nicht
Gezeiten und episodisch auftretenden Sturmereignissen
ganz einfaches Unterfangen, denn viele dieser Prozesse
werden von MARUM-Wissenschaftlerinnen in enger
spielen sich auf zeitlich und räumlich sehr unterschied-
Zusammenarbeit mit internationalen Partnern inter-
lichen Ebenen ab.
disziplinär erforscht. Das Ziel: ein neues Verständnis der
Am MARUM stehen zwei übergeordnete Fragen im
Sedimentdynamik an Ozeanrändern zu gewinnen.
Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses:
• Wie prägen Klima- und Meeresspiegeländerungen
langfristig, d.h. im Lauf von Jahrtausenden, die Architektur der Ozeanränder?
Ozeanränder sind die Bindeglieder zwi­
schen den Kontinenten und der Tiefsee. Am
MARUM werden Gestalt und Architektur
der Ozeanränder und die dort ablaufenden
dynamischen Prozesse erforscht, denn sie
bestimmen deren Nutzungsmöglichkeiten,
»
aber auch deren Gefahrenpotentiale wie
etwa Tsunamis. Dabei nehmen die Küsten­
meere eine Schlüsselrolle ein. Ein gutes
Am MARUM kann ich meiner Faszination für dyna­mi­
sche Prozesse am und im Ozeanboden auf höchstem
wissenschaftlichen Niveau nachgehen, insbesondere in
der Erforschung von Naturgefahren wie Erdbeben und
Tsunamis. So kann ich dazu beitragen, Gefahrenpotentiale
für Küstenregionen besser zu verstehen.
«
Verständnis etwa der Sedimentdynamik ist
Voraussetzung für die Entwicklung nach­
haltiger Nutzungsstrategien.
Michael Strasser
MARUM Fellow
16
Dünen am Meeresgrund
Was Gezeiten und Wellen bewirken
Die sandigen Böden der Flüsse, ihrer Mündungsbereiche und der angrenzenden Meere sind selten
eben. Im Gegenteil: Gezeitenströmungen und Wellen formen Flussbetten und Meeresböden in
vielfältiger Weise. In stetem Wechselspiel von Strömung, Transport und Bodenbeschaffenheit
bilden sich charakteristische Formen – von kleinen gleichmäßigen, wellenartigen Riffeln bis hin
zu komplexen, sich dreidimensional überlagernden meterhohen Unterwasserdünen.
D
ie Größe und Vielfalt dieser
Bodenformen und ihre
harmonische Regelmäßigkeit begeistern nicht nur den
ästhetisch interessierten Betrachter.
Für Wissenschaftlerinnen bilden sie
eine Herausforderung, denn obwohl
Dünen am Meeresgrund allgegenwärtig auftreten, sind längst
noch nicht alle Prozesse verstanden, die zu ihrer Entstehung und
Entwicklung beitragen. Seit vielen
Jahrzehnten arbeiten Natur- und
Ingenieurwissenschaftlerinnen mit
unterschiedlichen Ansätzen an dem
spannenden Thema.
Auch das gesellschaftliche Interesse an einem grundlegenden
Verständnis der Wirkungsbeziehungen zwischen Strömung und
Bodenformen ist groß. Flüsse, Flussmündungen und Küstenmeere sind
wirtschaftlich von zunehmender
Bedeutung. Deshalb sind Vorhersagen über die Entwicklung der
großen und kleinen Dünen unter
Wasser wichtig.
Neue Schiffe mit größerem Tiefgang erfordern tiefere Fahrrinnen
in Küstengewässern und Hafenzufahrten. Die Baggermaßnahmen zur
Erhaltung der dafür notwendigen
Solltiefen sind zeit- und kostenaufwändig. Diese Aufgabe ließe sich
optimaler lösen, wenn die Dynamik
der Unterwasserdünen besser bekannt wäre, denn oft sind es nur die
Kuppen großskaliger Bodenformen,
die sich in den Fahrrinnen aufbauen.
Flussmündungen und Küstengewässer werden zunehmend genutzt,
um dort Bauwerke zu errichten. Bei
Offshore-Standorten muss bekannt
sein, wie stark sich die Gestalt des
Meeresbodens durch Umlagerungen
der Sedimente maximal verändern
kann. Schließlich ist die Tragfähigkeit etwa von Windkraftanlagen
nur dann gewährleistet, wenn die
Bauwerke auf See entsprechend
tief gegründet werden. Wandernde
Unterwasserdünen können die Lage
des Meeresbodens jedoch bis zu
mehreren Metern verändern.
Auch bei der Verlegung von
Rohrleitungen oder Seekabeln, die
beispielsweise Offshore-Windkraftanlagen mit dem Land verbinden,
muss die starke Dynamik des Meeresbodens berücksichtigt werden,
damit die Kabel nicht freigespült
werden.
Bodenformen verändern die
Rauigkeit des Meeresbodens. Sie
beeinflussen deshalb die Strömungsverhältnisse in den Rinnen der
Küstengewässer. Wer die vielfältigen
Prozesse in diesem System verstehen will, wer die hier natürlich
ablaufenden und vom Menschen
17
Der Forschungskutter Senckenberg
(rechts) ist an der Nordseeküste
und in den Flussmündungen von
Weser und Jade im Einsatz. Mit
Strömungsmessern (linke Seite)
erkunden die Wissenschaftlerinnen die
dynamischen Prozesse zwischen Hochund Niedrigwasser. Das Wechselspiel
von Ebbe und Flut formt auch die
Dünen am Meeresgrund (unten).
verursachten Änderungen beurteilen will, kann dies nicht ohne Kenntnis der Unterwasserdünen tun.
Am MARUM werden unterschiedliche Ansätze verfolgt, um die Prozesse an der Grenzschicht zwischen
Wasser und Gewässerböden im
Detail zu verstehen: Schiffsgestützte
Messungen, kombiniert mit Laboruntersuchungen und Simulationen an
Computermodellen ermöglichen es,
die Wirkungsbeziehungen zwischen
Turbulenz, Strömungsgeschwindigkeiten, Sedimenteigenschaften
und Morphologie der Bodenformen
prozessorientiert zu beschreiben.
Daher vermessen MARUM-Wissenschaftlerinnen die Bodenformen
an bestimmten Lokationen vom
Forschungsschiff aus hochgenau und
wiederholen diese Messungen in engen zeitlichen Abständen. So können
sie die Bewegungen der Unterwasserdünen dreidimensional beschreiben. Während dieser Ausfahrten
werden auch Strömungsprofile
sowie die Turbulenz der Wassersäule
gemessen, zudem das im Wasser
transportierte Feinsediment erfasst
und die Ablagerungen am Boden
beprobt. Mit diesen Parametern
lassen sich Umlagerungsprozesse in
Flussmündungen und Küstengewässern detailliert quantifizieren.
Laborstudien und Modellsimulationen ergänzen die Feldarbeiten.
Unter kontrollierten Bedingungen werden am Strömungskanal
Experimente durchgeführt. Zur
genaueren Analyse werden zusätzlich numerische Modelle aufgebaut.
Leistungsstarke Rechner simulieren,
wie sich Strömungen, Sedimenttransport und Bodenumlagerungen
gegenseitig beeinflussen. Erst durch
die Kombination von Messungen
auf See, Laboruntersuchungen und
Modellrechnungen lassen sich
Einzelerkenntnisse verallgemeinern
und die komplexen Prozesse am
Meeresboden entschlüsseln.
18
»
Für meine Forschungen gibt es keinen besseren Ort als
das MARUM. Die Fülle an hervorragendem Wissen, die
europa- wenn nicht gar weltweit einmalige Infrastruktur
in Kombination mit dem IODP-Bohrkernlager sowie die
erstklassigen internationalen Kontakte schaffen eine
­ideale Umgebung für Forschung auf hohem Niveau.
«
Thomas Westerhold
Postdoktorand am MARUM
Über 140 Kilometer
Meeresboden
Das Bremer Bohrkernlager des IODP
I
m MARUM befindet sich das größte der drei
Bevor die wissenschaftlichen Untersuchungen begin-
weltweiten Kernlager des Integrierten Ozeanbohr-
nen, werden die geförderten Bohrkerne der Länge nach
Programms (IODP). In diesem großen Forschungs-
durchgeschnitten. Aus den sogenannten Arbeitshälften
programm haben sich internationale Wissenschafts- und
dürfen Forscherinnen Proben nehmen, die Archivhälf-
Forschungseinrichtungen u.a. aus den Vereinigten
ten werden mit zerstörungsfreien Methoden, etwa
Staaten, Japan und Europa zusammengeschlossen, um
mit Farb- oder Röntgenscannern untersucht. Im ersten
weltweit mit Bohrschiffen und Plattformen Bohrexpedi­
Jahr nach einer Bohrexpedition haben deren Teilneh-
tionen in den Ozeanen durchzuführen.
merinnen das ausschließliche Vorrecht, die Kerne zu
In der Bremer IODP-Einrichtung lagern fast zehntau-
untersuchen. Ein Komitee entscheidet darüber, wer an
send Bohrkerne. Alle Kerne aus dem Atlantik, dem Ark-
welcher Stelle wie viel Material entnehmen darf. Ist
tischen Ozean und dem Mittelmeer, die im Rahmen der
diese Frist verstrichen, steht es jeder Forscherin auf der
wissenschaftlichen Bohrprogramme Deep Sea Drilling
Welt frei, einen Antrag auf Probennahme zu stellen.
Program (DSDP), Ocean Drilling Program (ODP) sowie
So kommen gut einhundert Wissenschaftlerinnen pro
dem IODP gefördert wurden, werden im Bremer Kern-
Jahr nach Bremen; andere lassen sich die gewünschten
lager aufbewahrt. Hier treffen sich Forscherinnen aus
Proben zuschicken. Jährlich werden etwa 40.000 Proben
aller Welt, um Proben zu nehmen, gemeinsam in den
per Post auf den Weg gebracht.
angrenzenden Laboren Untersuchungen durchzuführen
und ihre Befunde zu diskutieren.
Das europäische Konsortium ECORD führt im Rahmen
des IODP Expeditionen in Seegebieten durch, die mit
19
den großen, tief gehenden IODP-Bohrschiffen JOIDES
rinnen das Aussehen des Sediments oder Gesteins. Sie
Resolution und Chikyu nicht zu erreichen sind. Dazu
messen u.a. physikalische Eigenschaften wie Dichte
zählen eisbedeckte Gewässer am Nordpol und flache
und Wärmeleitfähigkeit und bestimmen die chemische
Küstenmeere.
Zusammensetzung des Porenwassers oder das Alter der
Daher werden für jede Forschungsfahrt spezielle
Schiffe oder Bohrplattformen gechartert. Diese haben in
der Regel keine Laborkapazitäten. Deshalb stellt ECORD
mobile Laborcontainer bereit, die an Deck installiert
Probe. Schließlich fassen sie die Ergebnisse in Berichten
zusammen.
So fügt jede Expedition unserem Bild der Erde einen
weiteren Puzzlestein hinzu.
werden. Doch dort können nur unaufschiebbare Messungen vorgenommen werden, etwa mikrobielle Untersuchungen. Alle anderen Auswertungen finden bei
ECORD-Fahrten erst an Land, und zwar in Bremen statt.
Einige Monate nach jeder Expedition treffen sich
etwa 30 Forscherinnen zur »Onshore Science Party« in
den Laboren des Bremer Kernlagers, um die Bohrkerne
dem Standard-Messprogramm des IODP zu unterziehen. Mehrere Wochen lang, in zwei Schichten, von früh
morgens bis spät in die Nacht, beschreiben die Forsche-
In den fünfeinhalb Meter hohen Regalen
des Bremer Bohrkernlagers werden 142,8
Kilometer Bohrkerne (Stand: Anfang 2010)
aus dem Atlantik, dem Arktischen Ozean
und dem Mittelmeer in 213.500 Kunststoff­
behältern aufbewahrt, die jeweils einein­
halb Meter lang sind und einen Durchmes­
ser von knapp sieben Zentimetern haben.
Die Bohrkerne sind die Früchte einer mehr
als 40jährigen wissenschaftlicher Arbeit.
20
Orientierung im Datenmeer
Das Informationssystem PANGAEA
D
as MARUM betreibt gemeinsam mit dem
verloren. Denn bislang wurde die bibliothekarische
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Mee-
Ablage von Primärinformationen aus Forschungspro-
resforschung (AWI) ein Informationssystem,
jekten und den daraus folgenden Publikationen nicht als
in dem Daten aus der Erdsystemforschung archiviert
integraler Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitspro-
und publiziert werden. Da das System die ganzheitliche
zesses betrachtet.
Betrachtungsweise der Erde fördern soll, ist es nach je-
PANGAEA stellt der Wissenschaft ein Werkzeug bereit,
nem Superkontinent benannt, in dem vor 200 Millionen
das es erstmals gewährleistet, auf jegliche bei der Erfor-
Jahren alle Kontinente vereint waren: Pangaea.
schung unserer Erde gewonnenen Daten langfristig und
Die Leistungsfähigkeit der in den Geowissenschaften
zuverlässig zuzugreifen. Die neuartige elektronische
eingesetzten Beprobungs- und Analysegeräte und mit ih-
Bibliothek orientiert sich an internationalen Standards
nen die damit gewonnene Datenmenge ist in den letzten
und fügt sich daher nicht nur harmonisch in die sich
Jahrzehnten exponentiell gewachsen. Gleichzeitig lassen
global entwickelnde Geodateninfrastruktur ein, sondern
sich dank fortschrittlicher Informationstechnologie mitt-
dient auch als Publikationssystem. Sie integriert Daten
lerweile nahezu unbegrenzt Datenmengen speichern,
in den etablierten Prozess der wissenschaftlichen
verteilen und verarbeiten. Dennoch gehen im schnellen
Veröffentlichung und ist daher ein Anreizsystem für die
Wandel von Hard- und Software noch viel zu viele Daten
Wissenschaft, um Daten zu veröffentlichen.
»
Bei der Entwicklung unseres Informationssystems
PANGAEA greife ich auf Open Source Software zurück.
Am MARUM habe ich die Möglichkeit, meinen eigenen
Programmcode an die Community zurückzugeben und
auf internationalen Konferenzen zu präsentieren.
21
«
Uwe Schindler
PANGAEA Mitarbeiter
Dem Publikationssystem liegt ein wohl definierter
aus vielen unterschiedlichen Quellen zusammenge-
redaktioneller Prozess zugrunde. Eingehende Geodaten
stellt werden. So unterstützt PANGAEA die Bearbeitung
werden mit allen notwendigen Metainformationen
neuartiger wissenschaftlicher Fragestellungen, mit
verknüpft und zitierfähig abgelegt. Dazu zählen neben
denen Geowissenschaftlerinnen unser Verständnis des
bibliografischen Daten auch Positions- und Zeitanga-
komplexen Systems Erde erweitern.
ben sowie Informationen über verwendete Geräte und
Methoden.
PANGAEA ist universell angelegt. Das System kann
Im Informationssystem PANGAEA befinden
alle denkbaren Messgrößen aus allen Disziplinen
sich mehr als eine halbe Million Datensätze.
der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung
Sie bestehen aus 5 Milliarden einzelner
erfassen – von der hohen Atmosphäre bis in die tiefe
Messwerte. Das sind umgerechnet 100
Erde. Ein wichtiger Teil des Systems ist das sogenannte
Terabytes an Bildmaterial, seismischen
Data-Warehouse. Damit lassen sich beliebige Datenteil-
Profilen oder Klimasystemmodellen. Täglich
mengen aus dem Gesamtbestand extrahieren. Unter
kommen etwa einhundert neue Datensätze
anderem kann die Entwicklung der lokalen Meerwasser-
hinzu.
temperatur, erhoben über die letzten einhundert Jahre,
In PANGAEA sind in den letzten zehn Jahren
Daten aus mehr als einem Jahrhundert
Erdsystemforschung gesammelt und archi­
viert worden.
22
»
Am MARUM erkunden wir den Meeresboden
mit neuesten Technologien. Meine Kolleginnen
nutzen diese ­Informationen für detaillierte
Untersuchungen und gezielte Probennahmen.
Das ist echte Teamarbeit!
«
Noémi Fekete
Postdoktorandin am MARUM
Schweres Gerät
Meeresforschungs-Technologien am MARUM
S
eit mehr als 20 Jahren setzt das MARUM auf
nie zuvor gesehener Qualität und Genauigkeit. Die Greif-
Schiffsexpeditionen meerestechnische Geräte
arme der Tauchroboter, die vom Forschungsschiff aus
ein. Insbesondere in den letzten Jahren wurde
ferngesteuert werden, setzen Messgeräte für Experi-
erhebliches Know-How entwickelt, um die meerestech-
mente am Meeresboden videokontrolliert auf optimalen
nologische Ausrüstung zu erweitern und zu modernisie-
Positionen ab.
ren. So stehen inzwischen mehrere kabelgeführte und
Ferngesteuerte Tauchroboter können allerdings nur
autonom unter Wasser operierende Forschungsgeräte
kleine Bereiche des Meeresbodens untersuchen, denn
zur Verfügung.
der Ozeangrund ist unvorstellbar groß und sehr vielfäl-
Zu den »remotely operated vehicles«, den kabelge-
tig. Im Prinzip helfen hier die auf den Forschungsschif-
führten ROVs, zählen das MARUM-Cherokee, das bis zu
fen installierten Fächerecholote. Sie sammeln Informa-
1.000 Meter tief tauchen kann und das MARUM-Quest
tionen über die Gestalt größerer Areale. Doch je größer
mit 4.000 Meter Tauchtiefe. Ihre akustischen Sonare er-
die Meerestiefe, desto grober erscheint das Echolot-
kennen Methangasblasen im Wasser. Eingebaute hoch
Abbild des Meeresbodens. Daher hat das MARUM ein
auflösende Kameras dokumentieren die Umgebung in
autonom operierendes Unterwasserfahrzeug (AUV)
23
beschafft, das mit einem Fächerecholot ausgestattet ist
für Experimente an der Grenzschicht Wassersäule –
und mehrere Stunden zuvor definierte Regionen abfah-
Sediment.
ren kann: das MARUM-Seal. Das 5,50 Meter lange, torpedoförmige Gerät kann bis zu 5.000 Meter tief tauchen
und erfasst in durchschnittlich 60 Meter Höhe über
Eine ganz besondere Technologie stellt das
Grund hochpräzise das Relief des Meeresbodens. Selbst
MARUM-MeBo dar. Der knapp sieben Meter
Strukturen, die nur wenige Dezimeter groß sind, werden
hohe Bohrturm wurde am MARUM entwi­
so registriert. Die mit Seal kartierten Gebiete sind ideale
ckelt. Er wird von Forschungsschiffen in bis
Einsatzorte für die Tauchroboter Quest und Cherokee,
zu 2.000 Meter Wassertiefe ausgesetzt und
aber auch für das Meeresmobil MARUM-Move.
über eine »Nabelschnur« aus Glasfasern
Dieses autonom operierende, allradgetriebene Fahr-
ferngesteuert. MeBo kann bis zu 70 Meter
zeug ist für den Einsatz in bis zu 6.000 Meter Wassertie-
lange Bohrkerne gewinnen. Es schließt die
fe konzipiert. Es fährt langsam und energieeffizient über
Lücke zwischen herkömmlichen Probenah­
den Meeresboden und bietet eine sehr stabile Plattform
megeräten wie dem Schwerelot und den
Bohrschiffen etwa des Integrated Ocean
Drilling Program IODP.
24
»
Die Forschungsgebiete am MARUM sind so divers, dass
wir das Meer wirklich von allen Seiten und mit vielen
interdisziplinären Methoden erforschen. Das finde ich
bemerkenswert, und es macht viel Spaß. Nicht zuletzt
durch die vielen internationalen Kooperationen ist man
Teil einer größeren Sache.
«
Stephan Klapp
GLOMAR-Doktorand
Das Unsichtbare erfassen
Die Labore am MARUM
nen oder im Ozean ablaufende biogeoche-
U
gen, die mit Isotopenmassenspektrometern gekoppelt
mische Prozesse zu verstehen, setzen Meeres-
sind, Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope von Foramini-
wissenschaftlerinnen auf umfangreiche und komplexe
feren, Korallen und anderen kalkschaligen Meeresor-
Untersuchungen im Labor. Dabei ist zu bestimmen, in
ganismen gemessen. Hierdurch können grundlegende
welchen Mengen organische Spurensubstanzen in Meer-
Informationen sowohl über das Alter der Proben als
wasser-, Sediment- oder Korallenproben enthalten sind.
auch für die Rekonstruktion von Umweltbedingungen
Aber auch die Verteilung der stabilen Isotope der Ele-
wie Temperatur und Salzgehalt des Ozeans in früheren
mente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff
Klimaepochen gewonnen werden. An zwei weiteren
spielt in diesen Proben eine bedeutende Rolle. Für solche
Massenspektrometern sind Verbrennungsanlagen für
Untersuchungen stehen in den Laboren des MARUM eine
die Analyse der organischen Gesamtsubstanz in den
Vielzahl von Massenspektrometern zur Verfügung, die
Proben angeschlossen. Über die stabilen Isotope des
mit verschiedenen Aufbereitungsapparaturen und Gerä-
Kohlenstoffs und Stickstoffs erhalten die Wissenschaft-
ten zur Vortrennung der Substanzen gekoppelt sind.
lerinnen detaillierte Informationen zum ozeanischen
m frühere Umweltbedingungen nachzu­zeich­
So werden zum Beispiel an drei Aufbereitungsanla-
25
Kohlenstoffkreislauf bzw. zum Nährstoffgehalt im
und vergangene Umweltbedingungen in den Ozeanen
Meer.
rekonstruiert, oder die Niederschlagsverhältnisse in
Andere Spektrometer werden mit Gas- oder Flüs-
früheren Erdzeitaltern abgeschätzt werden.
sigkeitschromatographen gekoppelt, um Gase wie
Methan, wasserlösliche organische Verbindungen wie
Aminosäuren und Zucker sowie fettähnliche organische
Verbindungen zu untersuchen. Dabei werden die Ver-
Um sehr komplex aufgebaute organische
hältnisse der stabilen Isotope von Wasserstoff und Koh-
Komponenten zu untersuchen, werden
lenstoff in organischen Einzelkomponenten untersucht.
Massenspektrometer mit Flüssigkeitschro­
Mit Hilfe solch aufwändiger Analyseverfahren werden
matographen gekoppelt. Gezielt werden
sowohl die Herkunft des organischen Materials im Meer
Fettbestandteile, sogenannte Phospho- und
oder in den Meeresablagerungen als auch die biogeo-
Glykolipide, aus Sedimenten, Wasser­
chemischen Prozesse bei der Bildung und während des
proben und Zellkulturen untersucht. So
Abbaus von Gashydraten untersucht. So können heutige
können Wissenschaftlerinnen Aussagen
über Anwesenheit und Vielfalt unterschied­
licher Lebensformen in den Umweltproben
machen.
26
»
Es ist unser Ziel, vergangene Veränderungen des Ozeans
und Klimas zu rekonstruieren und zu modellieren.
Ich finde es beeindruckend, mit welch innovativen
Lösungsansätzen dieser Aufgabe am MARUM
nachgegangen wird und freue mich, einen Beitrag zum
besseren Klimaverständnis leisten zu können.
«
Anna Kloss
Doktorandin am MARUM
Perspektiven
für den Nachwuchs
Ausbildung am MARUM
B
ereits seit 1999 bieten die Meereswissenschaften
Wissenschaftsgemeinschaft wird bereits zu einem
in Bremen eine strukturierte Nachwuchsförde-
frühen Stadium der wissenschaftlichen Karriere
rung an. Seitdem zielt das European Graduate
gefördert. Diese Netzwerkbildung wird durch den für
College in Marine Sciences ECOLMAS darauf ab, nach
alle Doktorandinnen vorgesehenen mehrmonatigen
dem Master- bzw. Diplom-Abschluss eine qualifizierte
Forschungsaufenthalt an einer ausländischen Meeres-
Weiterbildung zu etablieren. Im Rahmen der Exzellenz-
forschungseinrichtung weiter gefestigt. Vorträge und
initiative wurde zudem 2006 die Internationale Bremer
Posterpräsentationen über das eigene Forschungspro-
Graduiertenschule für Meereswissenschaften mit dem
jekt auf internationalen Kongressen und schließlich die
Schwerpunktthema »Globaler Wandel im Bereich der
Publikation der Forschungsergebnisse in internationa-
Ozeane und Küsten« – kurz: GLOMAR – eingerichtet.
len Fachzeitschriften sind weitere Schritte, um sich in
Heute wählen Doktorandinnen aus einer reichhaltigen Palette die für sie relevanten Weiterbildung-
der internationalen »community« behaupten zu lernen.
Alle Doktorandinnen werden von einem individuell
sangebote aus. In zwei Einführungskursen wird die
zusammengestellten Ausschuss betreut. So ist eine
gesamte Breite der Meereswissenschaften vorgestellt. In
optimale Unterstützung gewährleistet. In halbjähr-
Expertenkursen eignen sie sich in konzentrierter Form
lichen Treffen geht es dabei sowohl um das Promotions-
fundiertes Fachwissen an.
projekt selbst als auch um die für die Karriereplanung
Die Kursteilnehmerinnen stammen aus vielen
Ländern, und die Einbindung in die internationale
entscheidenden Schlüsselqualifikationen wie Kommunikationskompetenz, Teamarbeit oder Projekt- und
27
Zeitmanagement. Diese werden in zahlreichen Weiter-
in der Meeresforschung absolviert und praktische Er-
bildungskursen vermittelt.
fahrungen in einem stimulierenden Forschungsumfeld
Während die Männer- bzw. Frauenquote bei meeres-
gesammelt.
wissenschaftlichen Promotionsprojekten noch gleich
groß ist, verringert sich der Frauenanteil auf den darüber liegenden Karriereebenen deutlich. Deshalb wurde
2008 das Mentoringprogramm »plan m at MARUM/
GLOMAR« begonnen. »plan m« bietet jungen Frauen
Seit 2001 besteht das internationale Gradu­
die Chance, ihre nächsten Karriereschritte gemeinsam
iertenkolleg EUROPROX. Es wird durch die
mit erfahrenen Wissenschaftlerinnen aus dem In- und
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Ausland, die sich bereits als Professorinnen etabliert
gefördert. Angelehnt an die Forschungen
haben, zu planen.
im MARUM und in enger Kooperation mit
Für eine Karriere in den Meereswissenschaften
niederländischen Kolleginnen wurden
werben im Übrigen auch die MARUM Summer Student
bereits drei »Generationen« von Doktoran­
Fellowships. Das alljährlich aufgelegte Programm er-
dinnen ausgebildet. Im Rahmen des DFG-
möglicht es Studentinnen aus dem In- und Ausland, für
Graduiertenkollegs INTERCOAST widmen
zwei Monate ein unabhängiges Forschungsprojekt am
sich 13 Doktorandinnen seit Ende 2009 ge­
MARUM durchzuführen. So werden erste eigene Schritte
meinsam mit neuseeländischen Kommili­
toninnen den Problemen der angewandten
Küstenforschung.
»
28
Am MARUM habe ich die Möglichkeit, ganz neue Wege
in der Öffentlichkeitsarbeit zu beschreiten. Die vielen
­innovativen Projekte machen meine Arbeit hier so
abwechslungsreich und spannend. Dabei macht mir
die Arbeit mit Kindern besonders Spaß – sie stellen
die besten Fragen!
«
Jana Stone
Öffentlichkeitsarbeit am MARUM
Wie das Meer
an Land kommuniziert wird
Das MARUM im Dialog mit der Öffentlichkeit
D
as Öffentlichkeitsarbeits-Team des MARUM
bislang 17 deutsch-englischen Kurzfilme entstanden
entwickelt gezielt Angebote für Medienvertre-
in Kooperation mit der Deutschen Forschungsgemein-
terinnen, Schülerinnen und Lehrerinnen, Ent-
schaft (DFG) bzw. der Deutschen Welle. Hier präsentie-
scheidungsträgerinnen sowie die interessierte Öffent-
ren vor allem Nachwuchswissenschaftlerinnen ihre
lichkeit. Bestimmte Kommunikationsmittel richten sich
Forschungsarbeiten. Die fünf Beiträge aus der Koope-
indes an mehrere Zielgruppen. So der deutsch-englisch
ration mit Deutsche Welle TV können inzwischen auch
geführte Internetauftritt des MARUM. Während auf der
bei YouTube abgerufen werden. Interessierte TV-Re-
Homepage aktuelle Kurznachrichten sowohl Wissen-
dakteure, Produktionsfirmen oder Museen können sich
schaftlerinnen als auch Laien über Wissenswertes aus
dank MARUM TV sehr schnell einen Überblick über die
dem Institutsalltag informieren, bieten die Rubriken
Arbeit des Zentrums verschaffen und entsprechendes
»Public Relations« und »Entdecken« allgemein ver-
Videomaterial für ihre Produktionen bestellen.
ständlich aufbereitete Informationen für ein breiteres
Einen neuen Weg geht das MARUM mit der Wander-
Publikum. So die seit mehr als zwölf Jahren gemeinsam
ausstellung MeerErleben, die zwischen 2009 und 2014
mit der Zeitschrift »mare« geführte Wissenschafts­
durch große deutsche und europäische Einkaufszentren
hotline »Das Blaue Telefon«.
tourt. Mit der ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG
In der Internet-Rubrik »Entdecken« werden inno-
wurde ein Partner gefunden, der eine sehr weite Ver-
vative Projekte wie das MARUM TV präsentiert. Die
breitung und den Zugang zu allen Zielgruppen garan-
29
tiert. Ein Mix aus faszinierenden Fotos, Videos, Ani-
das MARUM Kurse im Rahmen der von der Universität
mationen, Texten und Grafiken sowie unterhaltsamen
veranstalteten Sommeruniversität an. Zudem sind die
Mitmach-Exponaten bietet den Besuchern vielfältige
Geowissenschaften im Land Bremen Teil des Lehrplans.
Möglichkeiten, in die Ausstellung einzusteigen. Zu
den Höhepunkten von MeerErleben zählt ein Tiefseekino mit Unterwasser-Aufnahmen des Tauchroboters
MARUM-Quest sowie ein zylindrisches 2.500-LiterAquarium, an dem Besucherinnen mit einem echten
Mini-Tauchroboter experimentieren können. MeerErleben richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit, an
Lehrerinnen sowie an Schulklassen, für die Führungen
angeboten werden.
Ohnehin stehen diese Zielgruppen im Fokus der
Wissenschaftskommunikation. So werden über das
MARUM UNISchullabor inzwischen gezielt Veranstaltungen für Kindergärten, Sekundarstufen I und II oder
für behinderte Kinder angeboten. Für Lehrerinnen bietet
Vernetzung ist das A und O der Wissen­
schaftskommunikation. Deshalb initiierte
die MARUM-Öffentlichkeitsarbeit PRArbeitskreise auf lokaler und nationaler
Ebene. Sie ist zudem aktiv in PR-Netzwerke
der European Science Foundation ESF, der
European Geosciences Union EGU sowie
des Integrated Ocean Drilling Program
IODP eingebunden. Das MARUM UNISchul­
labor setzt auf feste Kooperationen mit
Schulen und Kindertagesstätten in Bremen.
So werden naturwissenschaftliche The­
men und Methoden früh eingeführt, nicht
zuletzt, um Interesse für diese Studienbe­
reiche zu wecken.
30
Impressum
Herausgeber
Gerold Wefer
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Universität Bremen
Leobener Str., 28359 Bremen
+49 421 218 65500
[email protected]
Fotos
Gr. Foto Umschlag, Portraits und S. 6/7, 7 oben, 11, 19 oben und Mitte, 20/21,
22/23, 23 Mitte, 24/25, 26/27: Volker Diekamp; S. 3 oben, 14/15, 18/19, 29 oben:
Albert Gerdes; S. 4 unten: AWI, JUB, Senckenberg; S. 15 oben: Gerrit Meinecke;
S. 10/11, 12, 13: Unterwasseraufnahmen des Tauchroboters MARUM-Quest; S. 9, 16,
23 oben: MARUM; S. 28/29: Jana Stone; S. 29 Mitte: Jürgen Pätzold (alle MARUM);
Kl. Foto Umschlag und S. 2/3: Husemann/Timmermann/Hidde – Architekten
und Ingenieure, Braunschweig; S. 4/5: Universität Bremen; S. 8: NASA; S. 25 oben:
Kai Uwe Bohn, Pressestelle der Universität Bremen
Grafiken
S. 5 und 6: Michael Schulz; S. 9: Frank Schmieder (Daten: Stefan Mulitza et al.
(2008), doi:10.1029/2008PA001637); S. 10: Verena Heuer; S. 14: Katrin Huhn; S. 17:
Verner B. Ernstsen (alle MARUM)
Texte
Wolfgang Bach, Torsten Bickert, Marcus Elvert, Albert Gerdes, Lydia Gerullis,
Dierk Hebbeln, Kai-Uwe Hinrichs, Katrin Huhn, Gerrit Meinecke, Stefan Mulitza,
Martina Pätzold, Ursula Röhl, Frank Schmieder, Michael Schulz, Monika Segl,
Gerold Wefer, Christian Winter (alle MARUM)
Redaktion
Albert Gerdes, MARUM
Layout und Satz
Frank Schmieder, MARUM
Druck
Goihl Druck GmbH, Stuhr-Seckenhausen
Auflage
1. Auflage, 5.000 Stück
Bremen, März 2010
31
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