Jürgen Klippert Ökologie und Arbeit Einleitung Menschliche Arbeit ist als Faktor der Ökologie aufzufassen, denn der Stoffwechsel des Menschen mit der Natur, der Verbrauch natürlicher Ressourcen wird über Arbeitsprozesse vermittelt. Somit müssen die Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse in der Debatte um die Ökologie Berücksichtigung finden. Dem menschlichen Arbeitsvermögen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da in diesem Begriff die Gebrauchswertseite menschlicher Arbeit beschrieben ist. Unter kapitlaisitischen Bedinungen wird auf vielfältige Weise Raubbau mit dem Arbeitsvermögen betrieben. Ökologie als Interaktion mit der belebten und unbelebten Natur Seit den 1980er Jahren ist „Ökologie“ fester Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs. Das Einsickern eines Begriffes in die Alltagssprache signalisiert einerseits eine wachsende Bedeutung des hinter einem Begriff stehenden Sachverhaltes. Andererseits ist damit immer auch die Gefahr verbunden, dass Begriffe an Schärfe hinsichtlich ihrer Bedeutung verlieren. Vieles ist heute „Öko“: von Nahrungsmitteln über Kleidung bis hin zum Lebensstil einiger Menschen. Für eine Debatte, die einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, ist begriffliche Schärfe unverzichtbar. Also beginne ich mit einer Definition. Ökologie wird von Bick (1998) folgendermaßen definiert: „Ökologie ist die Wissenschaft vom Stoff- und Energiehaushalt der Biosphäre und ihrer Untereinheiten (zum Beispiel Ökosysteme) sowie von den Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Organismen, zwischen Organismen und den auf sie wirkenden Umweltfaktoren sowie zwischen den einzelnen unbelebten Umweltfaktoren.“ Ökologie beschreibt nach diesem Verständnis alle Aspekte der Interaktion von Lebewesen mit ihrer Umwelt. Dies umfasst sowohl die belebte (biotische) Umwelt, die andere Lebewesen der gleichen und anderer Arten einschließt, sowie die unbelebte (abiotische) Umwelt und bringt diese in systemische funktionale Zusammenhänge, wodurch als Denkmodell ein Ökosystem entworfen werden kann. Die Interaktionen von Menschen untereinander und somit auch die Art und Weise, wie Menschen z. B. ihre gemeinsamen Arbeitsprozesse gestalten, sind Gegenstand der Ökologie. Menschliches Arbeitsvermögen als Teil der biotischen Umwelt Der Begriff Arbeitskraft bezeichnet die Tauschwertseite der Arbeit. Jeder Tauschwert ist mit einem Gebrauchswert verbunden. Die Gebrauchswertseite menschlicher Arbeit wird als Arbeitsvermögen bezeichnet. Der Verkauf der Ware Arbeitskraft setzt das Vorhandensein von Arbeitsvermögen voraus. Es wird jedoch nicht das komplette Arbeitsvermögen als Arbeitskraft veräußert. Im Arbeitsprozess wird immer auch ein Teil des Arbeitsvermögens eingesetzt zur Arbeit an sich selbst, d.h. zur Weiterentwicklung des eigenen Arbeitsvermögens des arbeitenden Subjekts (vgl. Pfeiffer 2004; Negt, Kluge 1993). Der Begriff Arbeitsvermögen kann auf alle Formen von Arbeit, also auch die unentgeltlich ausgeführten Formen von Arbeit, wie z. B. Ehrenarbeit, Eigenarbeit im Haushalt, angewendet werden. Der Begriff Arbeitskraft fokussiert dagegen auf Erwerbsarbeit. Ich verwende den Begriff Arbeitsvermögen, um deutlich zu machen, dass ich mich in meinen Ausführungen auf alle Formen von Arbeit beziehe und für meine Überlegungen zunächst die konkrete subjektbezogene Seite der Arbeit im Vordergrund steht. Ich betrachte Arbeit auf der Ebene des Subjektes. Ich bin mir aber bewusst, dass Arbeit immer sozial vermittelte Tätigkeit des Subjektes ist. Die Ressource, also das produktive Vermögen, welches die menschliche Arbeit darstellt, liegt im Arbeitsvermögen. Raubbau an der Ressource Arbeitsvermögen Lebendige menschliche Arbeit ist eine Ressource, mit der unter den derzeitigen Produktionsverhältnissen Raubbau betrieben wird. Individuen werden physisch verschlissen, weil Menschen körperlich überfordert werden, weil sie Gefahren ausgesetzt werden, weil sie giftigen Stoffen ausgesetzt werden usw. Lebendige menschliche Arbeit wird psychisch verschlissen, weil sie ständig psychisch überfordert wird, sie ist weitgehend fremdbestimmt, sie steht unter Zeitdruck, unterliegt widersprüchlichen Anweisungen, ist Opfer von Demütigungen. Arbeitswissenschaftliche Studien (z. B. Index Gute Arbeit 2008) zeigen, dass Menschen, die unter streng tayloristischen Bedingungen arbeiten ihre Arbeit schlechter bewerten, als Menschen, deren Tätigkeit größere Handlungsspielräume aufweist. Im DGBIndex 2009 geben 81% der Befragten an, bei der Arbeit unwürdig behandelt zu werden (vgl. DGB Index Gute Arbeit). Erwerbsarbeit unter kapitalistischen Bedingungen weist ein zerstörerisches Potenzial auf, das sich nicht nur auf die Natur, als Objekt menschlicher Tätigkeit, auswirkt. Erwerbsarbeit unter kapitalistischen Bedingungen wirkt sich auch auf die Produzenten, die Subjekte des Produktionsprozesses, zerstörerisch aus. Auch das Gegenteil von Erwerbsarbeit – Nicht-Erwerbsarbeit – oder Erwerbslosigkeit entfaltet unter kapitalistischen Bedingungen ein zerstörerisches Potenzial. Menschliches Arbeitsvermögen wird verschwendet, indem man Menschen nicht die Möglichkeit zur vollständigen Entwicklung ihrer Persönlichkeit bietet. Arbeitsvermögen wird verschlissen, indem Menschen durch Arbeitslosigkeit am Erhalt ihres Arbeitsvermögens gehindert werden. Das ausgeschlossen sein von der vergesellschafteten Arbeit kann im Individuum zum Verlust des Selbstbewusstseins, zum Verfall des Selbstvertrauens führen und damit Exklusionstendenzen der Erwerbslosigkeit weiter verstärken. Mensch - Arbeit - Natur Ich habe eingangs dargestellt, dass Ökologie alle Aspekte der Interaktion von Lebewesen mit ihrer Umwelt beschreibt. Zielgerichtete menschliche Tätigkeit - Arbeit – regelt das Austauschverhältnis des Menschen mit der Natur (MEW 23, 192). Dies wirkt sich nicht nur auf den Stoffwechsel mit der Natur. Vermittels Arbeit schafft der Mensch sich selbst – sowohl als Gattung als auch als Individuum. Durch die Erweiterung der Möglichkeiten der Naturaneignung in Form der Regulierung von Stoff- und Energieströmen schafft der Mensch sich selbst und seine Welt. Durch Arbeit entsteht ein Erfahrungsraum, der Lernmöglichkeiten eröffnet. Arbeit ermöglicht dem Individuum Lernprozesse durch erlebte Praxis. Diese Lernprozesse sind sozial vermittelt und können individuell in dieser Qualität nicht erreicht werden. Die Entwicklung individueller Fähigkeiten bedeutet zugleich auch die Entwicklung des Potenzials der Gattung als Ganzes. Arbeit ist Teil eines kollektiven Lernprozesses, der sich u.a. in der Entwicklung von Wissenschaft und Technik äußert. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik unter kapitalistischen Vorzeichen war vielfach Thema auf dieser Konferenz. Ihre Errungenschaften sind zwiespältig. Das will ich hier nicht noch mal diskutieren. Ich will nicht auf den verschwenderischen Umgang mit den Naturressourcen eingehen. Mir geht es um den verschwenderischen Umgang mit der Ressource menschliches Arbeitsvermögen. Wenn Teile der Bevölkerung auf Dauer von den Entwicklungsmöglichkeiten, die in der Arbeit stecken, ausgeschlossen sind, raubt man Ihnen (neben wirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialem Status) auch Entwicklungsmöglichkeiten als Individuum. Längerer Ausschluss von Teilhabe an der gesellschaftlichen Arbeit trägt zum Verfall eines bereits erreichten Entwicklungsstandes bei und zerstört menschliches Arbeitsvermögen. Die Möglichkeiten der Entwicklung und der sozialen Teilhabe können durch andere Formen der Arbeit, etwa Haus- oder Eigenarbeit nur bedingt ausgeglichen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kompensiert zunächst nur die wirtschaftlichen Defizite von Erwerbs- losigkeit, es vermag - für sich genommen - nicht die Zerstörung des Arbeitsvermögens aufzuhalten. Wir beobachten noch eine weitere Form zerstörerischer Wirkung von Arbeit. Menschen, die im Erwerbsarbeitsprozess stecken, werden überbeansprucht durch Ihre Tätigkeit. Sie werden Gefahrstoffen ausgesetzt und die physischen Anforderungen überschreiten das erträgliche Maß bei Weitem. Sie werden im Arbeitsprozess ihrer Würde beraubt, leiden psychisch unter den herrschenden Bedingungen. Bei Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen überwiegt das zerstörerische Potenzial. Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen zerstört Menschen und Natur. Erwerbsarbeit wirkt zerstörerisch für diejenigen, die einen Job haben und für diejenigen, die keinen Job haben. Lösungsansätze Um das zerstörerische Potenzial der Erwerbsarbeit unter kapitalistischen Bedingungen zu zügeln, ist die notwendige gesellschaftliche Arbeit gerecht zu verteilen. Alle müssen die Gelegenheit haben, am gesellschaftlichen Produktionsprozess teilzuhaben, um die kreativen Potenziale der Arbeit entfalten zu können. Erwerbsarbeit muss so gestaltet werden, dass sie Menschen gesund erhält. Hierbei ist ein weites Verständnis von Gesundheit zugrunde zu legen, wie es von der WHO in der Ottawacharta definiert wurde: Gesundheit ist ein Zustand „vollkommenen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“ - nicht nur der Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen. Gesundheit ist ein positiver Begriff, der ebenso auf die sozialen und persönlichen Ressourcen des einzelnen Menschen abzielt wie auf seine Körperfunktionen und seine Psyche. In der öffentlichen Debatte wird Erwerbsarbeit auf ihre wirtschaftliche Funktion reduziert und unter Effizienz- und Kostengesichtspunkten betrachtet. Die Wirkungen von Arbeit auf die Menschen müssen stärker thematisiert werden. Die Kampagne „Gute Arbeit“, die von den DGB-Gewerkschaften verfolgt wird, ist ein Schritt in diese Richtung. Bei diesen Debatten ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Wirkungen der Erwerbsarbeit auf den Menschen sozial vermittelt sind und durch die Produktionsverhältnisse – die immer auch Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind – mitbestimmt werden. Ansonsten droht der Debatte um gute Arbeit ein ähnliches Schicksal, wie der Ökologiedebatte. Es wurde ja schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ökologiedebatte von einigen Akteuren als eine Debatte um die besten technischen Konzepte zur effizientesten Energienutzung verkürzt wird. Wenn die Debatte um gute Arbeit ein ähnliches Schicksal ereilt, wird sie wird in Ansätzen für bessere ergonomische Konzepte stecken bleiben, deren Umsetzung im Betrieb durch leistungspolitische Vorgaben verhindert werden wird. Fazit Ich wollte zeigen, dass Ökologie verstanden als Interaktion von Lebewesen mit ihrer biotischen Umwelt und mit der abiotischen Umwelt, sehr wesentlich von der menschlichen Arbeit als vermittelnde Tätigkeit zwischen Mensch und Natur abhängig ist. Die Art und Weise wie gesellschaftliche Arbeit gestaltet ist, bestimmt somit unser Verhältnis zur Biosphäre und ist daher eine zentrale Frage beim Nachdenken über Ökologie. Dieser Beitrag soll eine Debatte eröffnen, die in Zukunft fortgesetzt werden soll. Literatur Hartmut Bick: Grundzüge der Ökologie. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart 1998. Index Gute Arbeit: http://www.dgb-index-gute-arbeit.de (Abruf am 06.03.2010). MEW 23: Karl Marx: Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie. (Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 23). Dietz Verlag, Berlin 1956 ff. Negt, Oskar; Kluge, Alexander: Geschichte und Eigensinn. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1993. Pfeiffer, Sabine: Arbeitsvermögen. VS, Wiesbaden 2004.