16 fachbeitrag Sprache ist nicht gleich Sprechen Gezieltes Eigentraining – und das Tag für Tag – fördert die Patienten effektiv. Motorische Einschränkungen, Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit sind schwer zu ertragen. Dennoch ist es für Menschen mit einer Hirnschädigung häufig das Schlimmste, wenn Sie sich nicht mehr sprachlich ausdrücken können. Doch Sprachstörung ist nicht gleich Sprachstörung. Für den Umgang mit einer Sprachstörung sowie für deren wirksame Behandlung ist es von zentraler Bedeutung, genau festzustellen, welche Ebene der Sprachfähigkeit betroffen ist. E in Überblick über die drei wichtigsten Störungsbilder neurologisch bedingter Sprach- und Sprechstörungen soll im Folgenden gegeben werden: die Aphasie (Sprachstörung), die Sprechapraxie (Sprechplanungsstörung) und die Dysarthrie (Störung der Sprechmotorik). Die Aphasie Bei einer Aphasie ist durch eine Schädigung in der linken Gehirnhälfte das Sprachzentrum und damit die zentrale Fähigkeit gestört, Sprache zu verarbeiten. Dazu gehören zum Beispiel die Grammatik, die Wortfindung oder die Satzplanung. Sind diese beeinträchtigt, werden davon alle sprachlichen Ausdrucksformen betroffen, das Sprechen und Verstehen gesprochener Sprache, das Lesen und das Schreiben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Eine hilfreiche Unterscheidung der verschiedenen Aphasieformen ist die in flüssige und unflüssige Aphasie. Während ein Mensch mit einer flüssigen Aphasie scheinbar flüssig sprechen kann, ist bei näherem Hinhören das Gesagte inhaltsarm oder gar inhaltsleer. Stereotype Phrasen und Floskeln werden aneinandergereiht (z.B. Na, Sie wissen schon, mal so mal so), sehr viele Wörter sind lautlich oder inhaltlich entstellt, bis hin zu Neuwortschöpfungen. Das Sprachverstehen ist stark beeinträchtigt. Ein Bewusstsein für die Fehler beim Sprechen besteht meist nicht, was häufig zu Auseinandersetzungen führt. Bei einer unflüssigen Aphasie kann nur in kurzen, unvollständigen und oft mühsam geäußerten Satzfragmenten gesprochen werden. Viele Wörter, insbesondere welche grammatische Informationen enthalten (Artikel, Präpositionen u.a.) fehlen. Das Ergebnis ist eine Art Telegrammstil (z.B. Auto kaputt, Umfallen und dann Krankenhaus). Der Gesprächspartner muss viele Inhalte erfragen, erschließen und erraten, was oft mühsam, zeitaufwendig und nervenaufreibend für beide Seiten ist. Bei einer leichten Form der Aphasie, der sogenannten amnestischen Aphasie, stehen Wortfindungsstörungen im Vordergrund. Es kommt zu Fehlern in der Wortwahl (z.B. Glas statt Tasse) oder Umschreibungen (Telefon, wo man zumachen kann statt Kühlschrank) sowie zu Fehlern in der Lautstruktur der Wörter (z.B. Spille statt Spinne, Bansane statt Banane). Die schwerste Ausprägung der Aphasie ist die sogenannte globale Aphasie, bei welcher keine oder kaum sinnvolle Inhalte mehr übernot 3/2016 mittelt werden können. Häufig können nur einzelne Silben wiederholt (dododododo), Floskeln (oGottoGott) oder Automatismen (ebenleben) geäußert werden. Auch das Sprachverständnis ist schwer beeinträchtigt. Selbst wenn der nächste Angehörige in einer konkreten Situation oft das Gefühl hat, dass sein Partner mit Aphasie doch einiges versteht, erschließt dieser viele Dinge eher aus der konkreten Situation, als tatsächlich sprachliche Inhalte zu verstehen. Bei einer globalen Aphasie ist die Verständigung sehr erschwert, und nur mit großer Mühe und viel Raten auf Seiten des Gesprächspartners ist das Übermitteln einfacher, alltäglicher Inhalte möglich. Da bei einer Aphasie auch immer die Schriftsprache betroffen ist, kann der Aphasiker leider in der Regel nicht einfach aufschreiben, was er nicht sagen kann. Die Sprechapraxie Bei einer Sprechapraxie handelt es sich um eine Störung der Sprechplanung. Um die Auch das Training mit geeigneten Computerprogrammen gehört zur Intensiven Sprachtherapie. richtigen Sprechlaute zu bilden, müssen komplexe Bewegungsabfolgen korrekt geplant, programmiert und zeitlich koordiniert werden. Beim Vorliegen einer Sprechapraxie ist genau diese Fähigkeit beeinträchtigt. Im schwersten Fall weiß der Sprecher gar nicht mehr, wie er einzelne Laute wie zum Beispiel ein „p“ oder ein „l“ bilden soll, geschweige denn wie er diese Laute nacheinander zu Silbenketten verbinden soll. Menschen mit Sprechapraxie zeigen daher beim Sprechen oft ausgeprägte Suchbewegungen von Lippen und Zunge, sie entstellen oder ersetzen Laute, lassen sie aus oder fügen sie an falscher Stelle hinzu. Je nach Schweregrad kann die Verständlichkeit erheblich herabgesetzt sein. Wer mit solchen Problemen der Sprechplanung zu kämpfen hat, spricht verlangsamt, mühsam, angestrengt und häufig Silbe für Silbe. Meist zeigen die Menschen mit Sprechapraxie ein hohes Fehlerbewusstsein und versuchen, ihre Äußerungen immer wieder zu korrigieren, was nicht immer gelingt. Schriftsprache und Sprachverständnis sind bei der reinen Sprechapraxie im Gegensatz zur Aphasie unbeeinträchtigt. Ein Die Spezialisten für ambulante Intensivpflege für Kinder & Erwachsene t für lis Inten siv ege pfl Spe zia Pflegezentrum Çakır - ErLebe Gesundheit - Seit 1999 - HOTLINE 0800 920 22 22 pflegezentrum-cakir.de not 3/2016 18 fachbeitrag Unterscheidung der neurogenen Sprach- und Sprechstörungen Störungsbild Aphasie = Sprachstörung Sprechapraxie = Sprechplanungsstörung Dysarthrie = Sprechmotorische Störung Definition Zentrale Störung der Fähigkeit, Sprache zu verarbeiten Zentrale Störung der Fähigkeit, die Artikulation von Sprachlauten korrekt zu planen Motorische Störung bei den ausführenden Bewegungen des Sprechens Betroffene Ausdrucksform der Sprache Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben betroffen Nur Sprechen betroffen. (Verstehen, Lesen und Schreiben ungestört) Nur Sprechen betroffen in den Bereichen Sprechatmung – Stimmgebung – Aussprache – Sprechmelodie/-rhythmus Lokalisation der Hirnschädigung Meist im Kortex, der Großhirnrinde, fast immer der linken Hirnhälfte Schädel- bzw. Stirnlappen des Cortex (Großhirnrinde) der linken Gehirnhälfte, sog. Inselkortex, mit den Verbindungen zu tieferen Hirnregionen An verschiedenen Stellen im Gehirn: Großhirnrinde, Kleinhirn, Basalganglien, Hirnstamm etc. Ursachen Meist Schlaganfall, Hirnblutung, Schädel-Hirntrauma, selten Tumore u.a. Meist Schlaganfall oder Hirnblutung, seltener Schädel-Hirntrauma, Tumor, entzündlicher Prozess Schädel-Hirntrauma, Schlaganfall, degenerative Erkrankungen wie Parkinson, MS, ALS, Ataxien u.a. Unterformen Globale Aphasie, Broca-Aphasie, Wernicke-Aphasie, Amnestische Aphasie, Restaphasie u.a. Mensch, der an einer reinen Sprechapraxie leidet (und seine Schreib-Hand bewegen kann), ist demnach in der Lage seine Gedanken schriftlich zu äußern. Auch ist bei einer reinen Sprechapraxie die Sprechmotorik an sich ungestört. Allerdings tritt eine Sprechapraxie oft zusammen mit einer Aphasie oder einer Dysarthrie auf. Die Dysarthrie Bei einer Dysarthrie handelt es sich um eine sprechmotorische Störung. Das heißt, das Sprachsystem wie Wortfindung oder Satzbau ist nicht beeinträchtigt, ebensowenig das Verstehen, Lesen oder Schreiben. Ein Mensch mit Dysarthrie weiß genau, was er sagen möchte, hat die passenden Wörter dafür im Kopf und kann Sätze formulieren. Wenn er motorisch dazu in der Lage ist, kann er seine Gedanken schriftlich zu Papier bringen. Er weiß auch, wie die Sprachlaute oder Silben zu bilden sind, aber das letzte Glied in der Kette, die Sprechmuskulatur, welche er benötigt, um die Sprechbewegungen korrekt auszuführen, gehorchen ihm nicht. Ursache dafür ist eine mangelnde Kontrolle der Sprechmuskeln durch die entsprechenden Areale im Gehirn. Hierzu gehören neben kortikalen Hirnregionen oft auch subkortikale Bereiche, die Basalganglien oder das Kleinhirn. Die Muskeln haben dann einen zu geringen Tonus (hypotone Dysarthrie), einen zu hohen Tonus (spastische Dysarthrie) oder können aufgrund einer Ataxie nur schwer kontrolliert werden (ataktische Dysarthrie). Auch treten Mischformen auf. Je nach Erscheinungsbild schwingen dann etwa die Stimmbänder nicht mehr regelmäßig, was zu einem heiseren oder rauen Stimmklang führt, das Gaumensegel hebt sich nicht ausreichend, was sich in einem nasalen Stimmklang äußert, die Zungenspitze oder die Lippen führen die Artikulationsbewegungen unpräzise aus, was zu einer unsauberen Aussprache führt et cetera. Sehr häufig ist dann die Verständlichkeit herabgesetzt, was sowohl für den Sprecher als auch für den Gesprächspartner mühsam sein kann. Aber auch wenn er verstanden wird, leidet der Dysarthriker oft sehr darunter, dass seine Sprechweise auffällt. Die Stimme klingt verändert, das Sprechen ist häufig verlangsamt oder die Sprechmelodie eintönig. Im schlimmsten Fall kann der Dysarthriker gar keine Sprachlaute mehr produzieren – wie etwa im Falle einer fortgeschrittenen Amyotrophen Lateralsklerose ALS. Dann spricht man von einer Anarthrie. Verstehen kann dieser Mensch jedoch alles, was man zu ihm sagt oder ihm in geschriebener Form darbietet. Hypotone, hypertone, spastische, ataktische, hypokinetische Dysarthrie und Mischformen Für alle drei Störungsbilder gilt gleichermaßen: Um bei einer chronischen neurogenen Sprach- oder/und Sprechstörung auch Jahre nach Beginn der Erkrankung noch deutliche Verbesserungen zu erreichen, ist eine intensive Sprachtherapie notwendig. Zahlreiche Therapiestudien der letzten zehn Jahre belegen dies. Daher empfehlen auch die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie DGN etwa bei Aphasie mindestens zehn Stunden Sprachtherapie pro Woche. Am besten geht dies in intensiven Therapieintervallen von jeweils zwei bis fünf Wochen. Anbieter von intensiver Sprachtherapie in Deutschland finden Sie auf den Seiten 24-26. Ausführlicher beschrieben sind die Störungsbilder unter: www2.ims.uni-stuttgart.de/sgtutorial/ kontakt Dr. Gabriele Scharf-Mayer Akademische Sprachtherapeutin Spontansprache – Sprachtherapie intensiv Wilhelmstr. 94, 75323 Bad Wildbad 07081/9579 770 07081/9579 776 [email protected] www.sprachtherapie-intensiv.de not 3/2016