Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Thomas Bergner 9. Saarländischer Fachärztetag 7. März 2015 Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Schwarz auf weiß ge ufla 3. A nt 2015 hei ersc Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Entwicklung der Fehlzeiten 30 % aller Patienten bekommen in einem Kalenderjahr eine psychische Erkrankung diagnostiziert, aber nur 20 % von ihnen werden deshalb auch arbeitsunfähig geschrieben Gesundheitsreport 2013 – Veröffentlichungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement der TK, Band 28 Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Zahlenraten… Wie viel Prozent der Menschen, die in unserem Land in den verfrühten Ruhestand wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gehen, tun dies aufgrund von psychischen Störungen? 42 % BPtK-Studie zur Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit 2013 Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? 0 0,5 1,0 1,5 2,0 % Entwicklung der Diagnose Z73* ** 2005 2011 * Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung ** 15-64jährige in der ambulanten Versorgung Gesundheitsreport 2013 – Veröffentlichungen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement der TK, Band 28 Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? 2012 AU-Tage aufgrund psychischer Störungen Handel 91,3 Andere Dienstleistungen Datenverarbeitung Banken, Versicherungen + 92 % Bildung, Kultur, Medien Organisationen und Verbände Gesundheitswesen Krankenstandswerte 2004; DAK Gesundheitsreport 2005, S. 50 174,9 Grundkonstellation 1 Das Maß meines beruflichen Eigeneinflusses: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1: praktisch kein Eigeneinfluss; 10: kann absolut alles bestimmen Das Maß meiner Belastung: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1: überhaupt nicht belastet; 10: am obersten Limit belastet Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Standort-Bestimmung I Eigeneinfluss 10 Stress Aktivität 9 8 7 Der Schnittpunkt Ihrer Werte zeigt Ihr Risiko 6 5 4 Stress 3 Hochrisikobereich für Burnout 2 Passivität 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Belastung Bergner TMH: Burnout bei Ärzten. Schattauer, Stuttgart, 2010 Burnout-Trias: Emotionale Erschöpfung • • • • • • Ich habe keine Kraft mehr Eigentlich kann ich nicht mehr Ich fühle mich leer Es hat alles keinen Sinn Was tue ich hier eigentlich? Ich brauche dringend Urlaub Burnout-Trias: Depersonalisation • Entfremdungserleben der eigenen Person gegenüber „Ich fühle mich nicht“ • Ein unerträgliches Geschehen durch Dissoziation auf Distanz zu sich bringen „Das hat alles nichts mit mir zu tun“ • Gesellschaftlicher Rückzug • Reduziertes Engagement für Patienten und Mitarbeiter • Zynische, sarkastische Einstellung • Negative Gefühle anderen gegenüber Burnout-Trias: Leistungsabnahme • Wird in der Regel lange Zeit durch den Einsatz von Willen kaschiert • Daher kein Kriterium in der Anfangsphase! Anfangsphase Gefühle Unzufriedenheit als conditio sine qua non! Unentbehrlichkeit Zu wenig Zeit haben Stimmungsschwankungen Vermindertes Selbstwertgefühl Gereiztheit Misstrauen Ungeduld Verhalten Hyperaktivität Neue Tätigkeiten annehmen Zu Hause arbeiten Übergangsphase Gefühle Verhalten Abstumpfen Arbeitsunlust Bitterkeit Erschöpfung Gefühl, vom System / Unternehmen ausgenutzt zu werden Innere Leere beginnt Gefühl der Überforderung Idealismus sinkt Angst Depression Schuld- und Versagensgefühle Abnahme (zunächst unmerklich) der Leistungsfähigkeit Meidung anderer Menschen Rückzug auf vielen Ebenen Krankwerden Partnerschaftsprobleme Dienst nach Vorschrift Ziele fehlen Konzentrationsschwäche Widerstand vor Veränderungen Endphase Gefühle Verhalten Einsamkeit Existentielle Verzweiflung Hilflosigkeit Hoffnungslosigkeit Völlige innere Leere Verflachte Emotionen Allgemeines Desinteresse Aufgabe von Hobbys Sucht Starres Denken Suizidgefahr Berufsspezifische Folgen von Burnout bei Ärzten • Zynischer, sarkastischer und menschenverachtender Umgang mit Patienten • Schwere Behandlungsfehler (36 %!) • Kunstfehler mit Todesfolge • Veranlassung von zu teurer Diagnostik und von zu teuren Verschreibungen • Zunehmende Bereitschaft zur aktiven Sterbehilfe Ursachen und Auslöser: Was Burnout fördert privat / persönlich Persönlichkeit Mangelnde persönliche (emotionale) Kompetenzen Private Probleme Minderung Grundkonstellation 2: der beruflichen Die unerträgliche Lebensqualität Situation Hohe Belastung bei Gesellschaftliche zu geringem Eigeneinfluss: Inhalte Grundkonstellation 1 öffentlich / institutionell Burnout fördernde Einstellungen – Ich darf nicht krank sein – Verleugnung eigener Gefühle – Persönliche Leistungsgrenzen ignorieren – Befriedigung über „perverse“ Leistungen (massive Überstunden) – Lebensmuster: • • • • • Ich muss alles können Auf mich kann man sich verlassen Ich darf nicht aufgeben Ich darf nicht versagen Ich muss alles perfekt beherrschen Burnout und Persönlichkeit • • • • • • • • Emotionale Instabilität / Labilität (Neurotizismus) Helfer-Syndrom Narzisstische Persönlichkeit(sstörung) Perfektionismus Fehlender Kohärenzsinn Idealismus Verkopfung Omnipotenzanspruch Emotionale Instabilität selbstabwertende Grundstimmung Mutlosigkeit Stimmungsschwankungen überempfindlich auf herunterziehende Gefühle ansprechen angespannt, nervös, leicht zu beunruhigen: „Was alles kann schiefgehen!“ „Ich schaffe es nicht“ schnell und leicht entmutigt selbstunsicher Opferrolle: die ungerechte Honorarsituation die Bevormundung durch die KV/Kassen Hohe emotionale Instabilität = niedrige seelische Widerstandsfähigkeit Idealismus • • • • • • Die eigenen Wünsche hintan stellen Die eigenen Bedürfnisse negieren oder unterdrücken Eigene Emotionen nicht zeigen Lösungen mit dem Kopf finden Das Leben in einem Obrigkeitssystem (Eltern, Klinik usw.) akzeptieren Das Leben als Einzelkämpfer gestalten Idealismus Idealismus im Beruf kann als eine grundsätzliche Störung betrachtet werden Andreas Hillert, Michael Marwitz Ein guter Arzt ist, wer an sich denkt und dadurch die körperliche, geistige und seelische Kraft aufbaut und behält, um anderen helfen zu können Thomas Bergner Hillert A, Marwitz M. Die Burnout Epidemie. Oder brennt die Leistungsgesellschaft aus? München: C.H. Beck, 2006. und: Bergner TMH: Arztsein in Deutschland, publiziert im Sächsischen Ärzteblatt, August 2007 Stress Stress sind immer wiederkehrende, lang anhaltende Erlebnisse von Enttäuschung, Aufregung und extremem Unwohlsein ohne die Fähigkeit, Verhaltensstrategien zu entwickeln, die es den Menschen ermöglichen, wieder in lang anhaltendes inneres Gleichgewicht zu kommen Grossart-Maticek R. Autonomietraining. Berlin: deGruyter 2000. Burnout erkennen – Burnout verhindern Therapeutische Maßnahmen – – – – – – – Kognitiv-behaviorale Stress-Management-Strategien Biofeedback Verhaltenstraining Partnertherapie Familientherapie Supervisionen Suchttherapie – Psychoanalyse Je breiter der Ansatz und je intensiver die Maßnahme, umso wirksamer ist sie (Hillert, 2012) Die 12 Stufen der Burnout-Prävention Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Eigene Somatisierungen kritisch betrachten Sie treten in allen Phasen von Burnout auf. Also: Aus dem somatischen Symptom kann nicht auf den Fortschritt der Erkrankung geschlossen werden. Es sind typische Symptome wie bei Stresserkrankungen, u.a.: Chronische Schmerzen (auch Kopfschmerzen) ohne Befund Schlafstörungen Muskelverspannungen Abgeschlagenheit, Müdigkeit – oft zugleich rastlos und ruhelos „Bandscheibenvorfall“ Verdauungsstörungen (Diarrhoe und Obstipation) Enge in der Brust; Herzrasen Schulter-Arm-Syndrom Schwindel Tinnitus Übelkeit Vermehrte Banalinfektionen Zähneknirschen Grenzfragen - Einstellung zur Zeit optimieren Das Wort, das am meisten Zeit spart, ist ganz kurz: NEIN Souveräner Umgang mit der Zeit Verdopplung des Herzinfarkt-Risikos relatives Risiko 201 % 175 % Verdopplung des Burnout-Risikos 100 % Arbeitszeit / Woche 40 45 50 55 60 Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? 65 Das Wesentliche bei Burnout 0-2 5-6 42 Das Wesentliche bei Burnout Kindliche psychische Traumatisierungen vor Burnout Eigenes Nahtoderlebnis Traumatisierung im Rahmen von Unfällen (Miterleben von Tod und Leid) Verlust eines oder beider Eltern „Sterbebegleitung“ von nahestehenden Menschen über Monate und Jahre Ablegen einer Form von Schwur in psychischen Extremsituationen Sexueller Missbrauch durch nahe Verwandte (Vater, Stiefvater, aber auch Tante), oftmals über einen längeren Zeitraum Sexueller Missbrauch durch Fremde Starke Demütigungen, in der Regel wiederholt, auch im Rahmen von klinischen und ambulanten Kontakten mit Ärzten Frühgeburt mit wochen- bis monatelanger Liegezeit in einem Brutkasten Lebensbedrohliche eigene Erkrankungen oder Operationen Wiederkehrende Aggressionen – oft verbunden mit einer Suchtproblematik – in der Familie Wiederkehrende Angst um Vater und/oder Mutter (Androhen des verlassen Werdens, Androhen von Suizid) Wiederholte körperliche Strafen Zufriedenheit erreichen: Was Ärzte unzufrieden macht w Arztbild in den Publikumsmedien w Fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten w Unzureichendes Netz eigener sozialer Sicherheit w Arztbild in den Fachmedien w Arztbild in der Gesellschaft allgemein Bestmann B, Rohde V, Wellmann A et al. Zufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten. Dtsch Ärztebl 2004; 101: A28-32 Zunehmende Häufigkeit Zufriedenheit erreichen: Was Ärzte zufrieden macht • • • • • • Adäquate Bezahlung und Prämien Gutes Arbeitsklima Fortbildungsmöglichkeiten Unterstützung von Kollegen und durch Supervision Funktionierende Kommunikation Arbeitsplatzsicherheit Quell der Unzufriedenheit: Das Unveränderliche Die Versicherungsanfrage (und anderes) • Obsolet: Endure it! – Dieser Weg ist das Gegenteil von Selbstführung – es ist ein Weg des inneren Widerstands und der Verweigerung, ein Weg des Verlusts von Lebensenergie • C Change it! – Ändern Sie, was Sie stört und Sie ändern können • A Accept it! – Königsweg der Selbstführung , es ist, was ist (erst recht, wenn Sie etwas nicht mit vertretbarem Aufwand ändern können) • L Leave it! – Wenn Sie es nicht ändern und nicht akzeptieren können, verlassen Sie die Situation. Dafür müssen Sie bereit sein, den Preis zu zahlen • L Love it! – Lernen Sie zu lieben, was Sie nicht ändern und noch nicht einmal akzeptieren können Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Zufriedenheit erreichen: EINE HAUSAUFGABE! Zufriedenheit ist der beste Schutz vor Burnout Erfüllte Bedürfnisse sind die Basis für Zufriedenheit und damit die beste Burnout-Prävention: bis 28. März 2015 Was brauche ich wirklich? Wofür brauche ich es? Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Ziele erkennen und erreichen Erkennen Sie, was Sie wirklich können Erkennen Sie, was Sie wirklich wollen Mit sich und nicht gegen sich leben Ja, was denn nun? April 2012 Februar 2012 Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Wesentliche Probleme bei der Burnout-Thematik Fehlende, valide und anerkannte Diagnostik Der weltweit völlig dominierende Test (MBI) hat keinen Grenzwert! Vereinnahme durch Medien, Arbeitgebern und Gewerkschaften, Kommerz und andere versus Sicherung von Pfründen (?) – Sicherung von Behandlungsqualität versus Seriöses Interesse und Betreuung von Betroffenen Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Entität – oder: Es ist alles eine Frage der Definition Entität: Ein existierendes Ding. Ein Betrachtungsgegenstand, der für sich genommen eine eigene Einheit bzw. Ganzheit darstellt. So ist etwa eine Krankheit eine gut definierbare pathologische Entität. Gibt es also eine klare Abgrenzung zwischen Burnout und Erschöpfungsdepression? Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Die öffentliche Burnout-Depressions-Wippe Burnout Depression Depression Burnout Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Burnout – das subjektive Störungsmodell des Betroffenen • • • Projektion der eigenen Probleme auf das Berufsfeld oder die Umwelt Eine eigene „Kreation“ oder „Konstruktion“ (Flucht) Die Chance, den eigenen Lebensentwurf nicht als gescheitert gelten zu lassen • Burnout ist damit auch die Entfremdung von sich selbst: • Die Schuldzuweisung an andere vermindert das Gefühl der Eigenverantwortlichkeit: der circulus vitiosus (Grundkonstellation 1) Depression versus Burnout • Ich bin zu schwach • Ich bin für meine Zustand verantwortlich („schuld sein“) • Krankheit der „unteren Kasten“ • Stigma • Ich habe alles gegeben – und noch mehr • Ich bin nicht schuld – die anderen sind es • Krankheit der upper class • Ehrenauszeichnung Ein Vorschlag Und wo beginnt es, krank zu sein? Erschöpfungsdepression Stress Überlastung Burnout „Reaktive Depression“ Anpassungsstörung Depressive Episode Depression Angsterkrankung Abhängigkeitserkrankung Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede? Burnout – gesellschaftliche Dimension • Ein subjektives Störungsmodell, das Bedeutung, bekommt , weil es millionenfach wiederholt und akzeptiert wird • Die wahre Aussage lautet nicht: • Wir Laien haben eine neue Erkrankung gefunden, die Ihr Fachleute übersehen habt • Die wahre Aussage lautet: • Wie sind nicht mehr einverstanden mit dem, was (uns) geschieht (aber finden keinen Weg, dies anders zu äußern) Burnout – die zentrale These • Wer heute erschöpft ist, reagiert normal, menschlich und vernünftig • Burnout ist der gesellschaftlich milde, persönlich jedoch frustran-erschöpfende Versuch, soziale Änderungen zu erzwingen oder: • Das Individuum übernimmt die Krise, welche in der Gesellschaft erheblich markanter sichtbar sein müsste Und wenn Sie nur eines mitnehmen… Burnout ist keine Strafe, sondern eine Not-wendige Korrektur Burnout bei Ärzten - alles nur Gerede?