06-16 Internetskript Die Millionen-Dollar-Hirsche

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SPRECHERTEXT
360° - Die GEO-Reportage
Film Titel: „Die Millionen-Dollar-Hirsche“
Ein Film von Klaus Reisinger und Frederique Lengaigne
Länge: 52 Minuten
00:05
Kommentar
Sasha Tcherepanov und seine Brüder sind auf
dem Weg zur Arbeit.
00:20
Sie erledigen einen blutigen Job. Die Geweihe
dieser Maralhirsche werden ihnen eine Menge
Geld einbringen.
00:37
Titel „Die Millionen-Dollar-Hirsche“
00:53
O-Ton Yevgeny
Ich bin Yevgenyi Tcherepanov.
00:56
O-Ton Yuri
Ich bin Yuri Tcherepanov.
00:58
O-Ton Vladimir
ich bin Vladimir Tcherepanov.
01:01
O-Ton Sasha
Ich heiße Sasha Tcherepanov. Seit 1997 bin ich
der Vorsteher hier in Sauzar. Ich arbeite mit fünf
Männern aus Talda und meinen drei jüngeren
Brüdern.
1
01:24
O-Ton Sasha
Jetzt
werden
wir
sie
von
dieser
Seite
zusammentreiben.
(01:28)
Falls einige Hirsche entkommen, laufen wir ihnen
nicht nach.
(01:36)
Die Treibjagd ist auch so schon schwierig genug.
(01:46)
Wenn einer oder zwei ausbrechen und an uns
vorbeirennen, sind sie weg. Die kann man gleich
vergessen. Sie laufen geschickt im Kreis herum
und entkommen so in die andere Richtung.
(02:01)
Da sind sie schon
02:03
O-Ton Magomet
Das waren ganz junge.
02:10
Kommentar
Marale, sibirische Rothirsche, gelten mit einer
Schulterhöhe von bis zu zwei Metern als die
größten Hirsche der Welt.
02:18
Die Geweihe dieser Herde sind mehrere Millionen
Dollar wert – so lange die Tiere sie noch nicht
abgeworfen haben. Händler aus Korea verarbeiten
sie zu fernöstlicher Medizin.
02:44
O-Ton Dima
Guten Morgen.
(02:46)
Volodia wartet schon auf uns. Er ist heute der
Erste.
2
02:55
Kommentar
Die
Tcherepanov
wohnen
in
Talda,
Brüder
einem
und
ihre
kleinen
Kollegen
Dorf,
im
Dreiländereck China, Mongolei und Kasachstan.
Ihr Arbeitsplatz ist etwa 30 Kilometer entfernt.
03:15
Das Reservat ist 5000 Hektar groß. Während der
Sowjetzeit gehörte es mitsamt den umliegenden
Feldern und Höfen einer Kolchose an. Heute ist
alles im Besitz einer privaten Aktiengesellschaft
aus Novosibirsk.
03:33
Sasha Tcherepanov und seine Männer verdienen
als Wildhüter umgerechnet etwa 250 Euro im
Monat.
03:42
Das Hirschrevier, ihr Einsatzgebiet, reicht bis über
die nahegelegene Bergkette. Im Winter kann es
hier bis zu minus 55 Grad kalt werden.
03:56
Jetzt, Ende Mai, wird es langsam wärmer.
04:06
Tiere und Pflanzen haben nur wenige Wochen
Zeit, um zu wachsen und sich fortzupflanzen. In
weniger als drei Monaten fängt der Winter wieder
an.
3
04:46
Kommentar
Die männlichen Maral-Hirsche stoßen in jedem
Winter ihre Geweihe ab. Im Frühling wachsen sie
dann mit feinem Samt überzogen wieder nach.
Jetzt, in diesem Zustand, sind die Geweihe am
wertvollsten
und
sollen
den
Hirschen
abgenommen werden. Auf die insgesamt 2500
Tiere beginnt eine Treibjagd.
06:09
Sasha und seine Männer jagen die Marale in die
Ebene,
wo
sie
in
einem
Pferch
zusammengetrieben werden sollen.
07:15
Die lange Treibjagd verläuft reibungslos, bis die
scheuen
Tiere
keine
Fluchtmöglichkeit
mehr
sehen.
07:54
Mit Fahnenstangen teilen Vladimir und Yevgenyi
Tcherepanov die Hirsche jetzt in kleinere Gruppen
ein.
08:13
Sasha inspiziert jeden Hirsch ganz genau.
08:18
Die ausgewählten Tiere kommen ins rechte
Schott.
08:24
O-Ton Sasha
Ab nach Hause.
4
08:27
Kommentar
Durch die linke Tür laufen die Tiere, die heute
verschont geblieben sind. Ihr Geweih ist noch nicht
groß genug.
08:55
Weil es erst der Anfang der Saison ist, schickt
Sasha Tcherepanov die meisten Marale wieder ins
Revier zurück.
09:08
Bis in den Juli wird sich das Ritual alle drei Tage
wiederholen.
09:21
Ungefähr 60 Hirsche wurden heute ausgewählt.
Stolze ausgewachsene Tiere, deren Geweihe
zehn bis 14 Enden haben.
09:31
Hirschgeweihe wachsen im Frühjahr über einen
Zentimeter am Tag und sind damit nicht nur der
am schnellsten wachsende Körperteil, sondern
auch der einzige, der sich bei Säugetieren
regelmäßig regeneriert.
09:50
In diesem Verschlag wird den Maralen das Geweih
abgenommen. Es ist noch voll durchblutet – die
Prozedur mit der Säge hinterlässt entsprechende
Spuren.
10:49
Wenn alles vorbei, ist lässt Sascha Tcherepanov
die Tiere wieder in die Wildbahn zurück.
5
11:09
Kommentar
Die erfahrenen, älteren Männchen erinnern sich
an die Tortur der vergangenen Jahre. Sie sträuben
sich mit all ihrer Kraft.
11:54
Alle verfügbaren Männer sind notwendig, um solch
ein
350
Kilogramm
schweres
Kraftpaket zu
bändigen.
12:10
Wie starke Schmerzen die Hirsche durch das
Absägen ihrer Geweihe erleiden, ist unklar. Denn
schon durch die Treibjagd werden bei den Tieren
massenhaft Stresshormone ausgeschüttet, die
den akuten Schmerz nahezu betäuben. Diese Art
Schockzustand
kann
allerdings
auch
zum
Herzstillstand führen, wenn die Männer ein Tier zu
lange festhalten. Sie müssen sich also beeilen.
12:37
O-Ton Sasha
Nach jedem Schnitt desinfizieren wir sorgfältig das
Sägeblatt.
(13:01)
Je schneller wir die Tiere hereintreiben und ihnen
das Geweih absägen, desto geringer der Stress.
13:24
Kommentar
Jede
einzelne
Geweihstange
wird
sorgfältig
registriert und mit einer Seriennummer versehen.
13:58
Das
Reservat
wird
wie
ein
Wirtschaftsunternehmen geführt.
6
14:06
O-Ton Sasha
Die männlichen Hirsche leben hier ungefähr 15
Jahre. Am Anfang haben sie nur kleine Hörner, die
dann von Jahr zu Jahr immer ein wenig größer
werden.
Jedes Jahr wenn wir Sie zusammentreiben,
ersetzen wir etwa hundert Alte durch hundert
junge Neugeborene.
14:40
Kommentar
Ehefrauen und Kinder kommen manchmal aus
dem Heimatdorf Talda nach Sauzar zu Besuch.
14:48
O-Ton Vladimir
Den ersten Schnitttag feiern wir immer zusammen,
alle Familien sind eingeladen.
(14:55)
Das ist Tradition bei uns.
Morgen ist die Feier vorbei, und wir machen uns
alle wieder an die Arbeit.
15:15
O-Ton Volodia
Der Hirsch wird da drinnen festgemacht
(15:19)
Dann schneiden wir das Geweih ab und lassen ihn
wieder hinaus.
(15:30)
Da läuft er wieder.
15:36
O-Ton Dima
Schafkutteln - unsere lokale Spezialität.
7
15:43
O-Ton Volodia
Das Wichtigste ist es gesund zu bleiben und als
Freunde gut zusammenzuhalten.
16:05
O-Ton Frau
Das ist unsere russische Technologie.
16:24
Kommentar
Als die Familien abfahren, fängt es an zu
schneien, mitten im Juni.
16:30
Bis zum Ende des Sommers werden die Männer in
Doppelschichten arbeiten müssen – Tag und
Nacht. Denn nach dem Absägen der Geweihe
müssen diese getrocknet werden – und bewacht.
16:41
Jeden
Abend
Nachtdienst
wertvollen
werden
eingeteilt.
Trophäen
drei
Sie
auf
Männer
passen
und
zum
auf
die
heizen
die
Trockenräume immer wieder an.
17:31
Früher hat man in dieser Region des Altai
Gebirges nie Aasgeier zu Gesicht bekommen.
17:46
Vor zehn Jahren tauchten plötzlich Himalaja- und
Schwarzgeier aus China und der Mongolei auf.
18:12
Die Einheimischen nennen sie “die neureichen
Russen”
wegen
ihrer
modernen
Kahlkopf-
Haarschnitte.
8
18:38
Kommentar
Volodia ahnt, warum die Aasgeier sich heute in
Sauzar versammeln.
18:45
Er reitet quer durch das Tal zu einer Waldlichtung,
wo die Marale regelmäßig grasen.
18:55
Einer
der
Hirsche,
dessen
Geweih
gestern
beschnitten wurde, liegt tot am Rand des Waldes.
19:01
O-Ton Volodia
Sein Herz hat aufgegeben.
(19:03)
Er hat schon gestern am ganzen Körper gezittert.
Er war wirklich arm dran. Man kann seine Spur
200 Meter weit im Gras sehen. Es hängt von der
körperlichen Verfassung der Marale ab und vom
Schnitt.
(19:15)
Je schneller alles vorbei geht, umso besser. Wenn
sie sich sträuben und gegen die Wände laufen, ist
es
am
Schlimmsten,
und
sie
bekommen
manchmal einen Herzschlag.
19:27
O-Ton Sasha
Letztes Mal haben wir vier oder 500 Marale
inspiziert. Davon hab ich 60 ausgewählt und
beschnitten. Heute werden es einige mehr.
9
19:37
Kommentar
Drei Tage später.
19:42
Erneut treiben die Männer die Hirsche aus dem
Wald heraus in Richtung Tal.
19:53
Die Marale laufen eine kilometerlange Schneise
hinab bis zur Koppel.
20:15
Es erfordert viel Geschick, um Ruhe und Ordnung
in dieses Chaos zu bringen.
20:20
Die
nötigen
Kenntnisse
bekamen
Sasha
Tcherepanov und seine Männer von ihren Eltern
vermittelt.
In
der
Gegend
von
Talda
hat
Hirschhaltung eine lange Tradition.
20:42
O-Ton Sasha
Den hier müssen wir beschneiden, diesen auch
und den da drüben. Der andere darf wieder in den
Wald zurück. Der da darf auch nach Hause.
(21:00)
Der alte Bock da möchte unbedingt in den
Kochtopf – das ist ein ganz böser.
(21:07)
Zehn
oder
20
Hirsche
kann
man
leicht
vorantreiben. Wenn aber ein einzelner übrig bleibt,
ist das schon schwieriger.
→
10
(21:17)
O-Ton Sasha
Dieser Hirsch hier hat noch drei runde Wölbungen
auf dem Geweih. Bei dem da drüben sind sie
schon ganz schön spitz, nicht mehr so rund. Den
müssen wir dringend beschneiden.
21:35
Kommentar
Der Arbeitstag neigt sich dem Ende. Die Männer
sind erschöpft.
21:40
Ungeduldig treiben sie zu viele Tiere auf einmal in
den Ring. Plötzlich bricht die Herde aus und weicht
in Panik zurück. Die Männer suchen Zuflucht auf
den Zäunen. Nur um Haaresbreite entkommen sie
den Hufen der Hirsche.
Nichts in der Welt kann die Tiere jetzt mehr
aufhalten und Yevgenyi Tcherepanov steht ihnen
im Weg.
22:02
Beim Versuch auszubrechen verhaken sich ihre
Geweihe untereinander und im Zaun. Einigen
Tiere werden die Hörner dabei brutal
heraus
gerissen.
22:14
Die verwundeten Tiere versuchen hilflos, die
abgebrochenen Geweihe abzuschütteln.
11
22:23
Kommentar
Anschließend ziehen die Tcherepanov Brüder
Bilanz: Zwölf Hirsche sind verwundet. Einige
werden wahrscheinlich nicht überleben.
22:30
Dieses Geweih wächst nächstes Jahr sicher nicht
nach.
Sasha
Tcherepanov
zieht
die
Konsequenzen:
22:36
O-Ton Sasha
Morgen fangen wir noch früher an. Am vierten Juni
schneiden wir, am fünften werden die Geweihe
gekocht, am sechsten fangen wir die Hirsche zum
Schneiden wieder ein.
22:47
O-Ton Volodia
Wie sollen wir mit so wenig Schlaf auskommen?
22:52
Kommentar
Trotz des Unfalls geht die Arbeit in Sauzar weiter.
23:00
Die Männer können nicht länger warten. Im Juni
sind die Geweihe der Marale fast auf die
Maximalgröße herangewachsen.
23:10
Dies ist der richtige Zeitpunkt, um die Geweihe zu
kappen. Sie sind noch mit den Basthaaren
überzogen und voll durchblutet. Bald darauf
verhärten sie und werden wertlos.
12
23:21
O-Ton Sasha
Dieses Ding hier nennen wir das Akkordeon. Die
Lederriemen wickeln wir ganz eng um den
Geweihansatz, um so den Hirsch festzuhalten und
den Blutverlust zu verringern.
23:34
Kommentar
Der
Stauschlauch
Aderpresse
wirkt
sondern
aber
auch
nicht
als
nur
als
zusätzliche
Betäubung.
23:50
Bevor sie wieder freigelassen werden, wird ein
antiseptisches Pulver auf die Wunde gerieben. Es
fördert
die
Blutgerinnung
und
vermeidet
Infektionen.
24:08
O-Ton Sasha
Jetzt geht es ans Abwiegen der Geweihe, und
dann kochen und trocknen wir sie. Morgen werden
sie zum zweiten Mal gekocht und dann geht es ab
in die Trockenkammer.
24:31
Kommentar
Jedes Geweih wird abgewogen, von allen Seiten
inspiziert und millimetergenau vermessen.
24:41
Yura
Sinyelnikov
repariert
sorgfältig
jegliche
Beschädigung am weichen Samt.
13
24:52
O-Ton Sasha
Unsere Prozedur ist unheimlich alt. Seit vielen
Jahrhunderten macht man das so, ganz nach der
Chinesisch-Tibetischen Tradition.
(25:01)
Jedes Geweihpaar kochen wir für genau zwei
Minuten. Während die einen ruhen, kümmern wir
uns um ein anderes Paar. Wir wiederholen das
dreimal.
(25:11)
Die etwas größeren Geweihstangen, neun bis
zehn Kilo oder schwerer, kochen wir für drei
Minuten mit 95 Grad.
(25:21)
Hier bei uns im Gebirge kocht das Wasser nämlich
wegen der dünnen Luft schon bei 95 Grad.
(25:30)
Danach sind die Hörner sterilisiert.
(25:33)
Alle Mikroben und Bakterien sind jetzt abgetötet.
(25:36)
Zwei Minuten sind jetzt vorbei, und wir machen mit
der nächsten Runde weiter.
25:52
O-Ton Yevgeny
Die Temperatur steigt langsam im Geweihansatz
an und drückt das Blut heraus. Schau – siehst du
wie es da heraustropft?
(25:59)
Zum Schluss ist die ganze Badewanne voll damit.
26:08
O-Ton Sasha
Fünfzehn Kilo.
(26:11)
Das ist unser heutiger Rekord
(26:14)
Das größte Geweih in unserer Kolchose war 26
Kilogramm schwer. Das war wirklich ein ganz
tolles Paar.
14
(26:32)
O-Ton Sasha
Dieses Paar hier ist auch nicht schlecht. Das Linke
ist absolut perfekt. Das Rechte ist leider nicht groß
genug. Ich hätte noch ein wenig warten sollen,
dann wäre es noch größer geworden.
(26:46)
Hier drinnen muss es zwischen 73 und 75 Grad
heiß werden.
Gestern haben wir die Geweihe zum ersten Mal
getrocknet.
(26:55)
Heute waren sie sechs Stunden drinnen.
(26:57)
Morgen werden es fünf Stunden sein, und am
vierten Tag lassen wir sie ruhen.
Der ganze Prozess dauert fast einen Monat lang.
27:05
Kommentar
Der genaue Konservierungsvorgang der Geweihe
ist ein strenges Berufsgeheimnis.
27:09
O-Ton Volodia
Hier - 300 Dollar und noch einmal 300.
27:13
Kommentar
Das
im
Geweih
angestaute
Blut
muss
so
konserviert werden, dass weder die Farbe noch
das Aussehen beeinträchtigt werden.
27:50
O-Ton Volodia
Das ist Blut.
(27:56)
Maral Blut. Es ist medizinisch wirksam.
15
28:01
Kommentar
Seit Ewigkeiten glauben Menschen an eine
Verbindung zwischen dem schnellen Wachstum
von Hirschgeweihen und sexueller Potenz.
28:09
Vor zwei Jahren hat Sasha einige Badewannen in
Sauzar installiert. Damit bietet er HirschblutTherapien
an
-
für
wohlhabende
russische
Geschäftsleute.
28:20
Jeden
Frühling
kommen
Besucher,
um
im
ausgekochten Blut zu baden. Die angebliche
Heilwirkung reicht von Rückenschmerzen, über
Arthritis und Immunschwäche bis hin zur Stärkung
der sexuellen Ausdauer.
28:32
O-Ton Kazakh
Er kommt schon seit sechs Jahren hierher zur Kur,
ich zum ersten Mal. Schau dir den Unterschied an.
In sechs Jahren sehe ich dann so aus wie er.
28:56
O-Ton Tatjana (Kerstin)
Also, sag schon!
29:00
O-Ton Maximus (Oliver Nitsche)
Das ist russisches Viagra
29:06
O-Ton Tatjana (Kerstin)
Die hier sind so richtig hart. Sind die schwer.
16
(→
→ Musik rausnehmen)
29:17
O-Ton Romanov
Du musst verstehen, dass ein einziges Geweih
das Leben von mehreren tausend Menschen
erleichtern kann. Die Leute hier machen das nicht,
weil sie Spaß an der Quälerei haben. Den Tieren
werden Impfungen verabreicht, und man versucht
sie so gut wie möglich lokal zu betäuben. Wenn
ihnen die Geweihe abgesägt werden, tut man
ihnen eventuell sogar einen Gefallen. Denn die
Marale verspüren auch starke Schmerzen, wenn
die Hörner wachsen.
(29:45)
Darum glaube ich, dass wir die Interessen von
Greenpeace nicht ganz vernachlässigen.
29:52
Kommentar
Tierschützer halten die Geweih-Ernte für völlig
unsinnig – und derartige Verteidigungsargumente
für haltlos.
30:01
Mitte Juli hängen schon mehrere tausend Geweihe
im Lagerhaus.
30:06
Jedes Einzelne wird regelmäßig kontrolliert und
gegebenenfalls repariert.
30:11
Yura
Sinyelnikov
ist
für
den
Konservierungsprozess der Hörner verantwortlich.
17
30:17
O-Ton Yura
Während der Treibjagd werden sie oft beschädigt.
(30:20)
Da gibt es dann einen Blutstau. Schau dir nur
diese Beule an.
(30:25)
Man kann das mit einem “blauen Auge“ oder
einem Bluterguss vergleichen. Falls ich das Blut
hier nicht rauslasse, bricht später die Haut auf.
(30:38)
Dann wäre es fehlerhaft, und wir würden nur einen
Spottpreis dafür bekommen.
(30:42)
Das ist jetzt komplett repariert.
Die sind alle wieder wie neu.
31:07
O-Ton Assim
Ich reite jetzt in die Berge, um die Nachtwache zu
beginnen. Das ist wichtig, falls Wilderer versuchen,
unsere
Marale
abzuschießen
und
mit
den
Geweihen davonzulaufen.
(31:23)
Ich bleibe die ganze Nacht draußen. Man weiß ja
nie, welche Tricks diese Leute auf Lager haben.
Morgen früh komm ich dann wieder zurück.
31:43
Kommentar
Ein
allradbetriebener
Lastwagen
patrouilliert
entlang der abgezäunten Reviergrenze.
32:03
Seit ewigen Zeiten jagt man in dieser Gegend die
Marale wegen ihrer Geweihe. Zu Beginn des 20.
Jahrhunderts waren sie fast ausgerottet, bis die
sowjetische
Regierung
Reviere
wie
Sauzar
anlegte.
18
32:25
Kommentar
Nur deshalb überlebten die Marale bis heute. Als
Gegenleistung
müssen
sie
jedes
Jahr
ihre
Geweihe opfern.
32:39
Wenn der Sommer seinem Ende zugeht, findet
man die Hirsche oft außerhalb des Waldes. In der
Nähe der Bäche bleibt das Gras trotz der
Trockenheit noch etwas länger frisch.
32:52
Mitten unter den geweihlosen Hirschen taucht ein
imposanter 14-Ender auf.
32:57
Jedes Jahr schaffen es einige Tiere, der Treibjagd
zu entgehen.
33:05
Wenn in wenigen Wochen die Brunftzeit beginnt,
wird der Glückliche als einer der wenigen in voller
Pracht um seinen Harem kämpfen.
33:15
Der
abtrünnige
Hirsch
hat
von
Sascha
Tcherepanov nichts mehr zu befürchten. Die
Saison ist abgeschlossen, und die Geweihernte
liegt zum Verkauf bereit.
33:26
Heute ist Stichtag.
33:48
Kim Jin Gon, ein koreanischer Einkäufer, nimmt
den Brüdern seit Jahren einen Großteil ihrer
Produktion ab.
19
33:59
O-Ton Direktor
Na, haben Sie auch genug Geld mitgebracht?
Falls
nicht,
lohnt
es
sich
gar
nicht,
sich
umzusehen.
34:06
Kommentar
Großhändler Kim reist seit zehn Jahren einmal im
Jahr nach Russland. Er kauft für 40 Millionen
Dollar die Hälfte der russischen Geweihproduktion
auf und verkauft sie in Korea an Arzneihersteller
weiter. In Sauzar gibt er eine Million Dollar aus.
Für Sasha Tcherepanov ist er der Hauptkunde.
34:26
O-Ton Sergej
Der hier stammt von einem besonders gesunden
Hirsch.
34:31
O-Ton Kim
Trotzdem, diese Art von Geweih ist nicht gut für
die Verarbeitung. Er hat drei Vergabelungen.
34:36
O-Ton Sergej
Wenn wir sie abschneiden sollen, müssen Sie uns
aber mehr Geld pro Kilo zahlen.
34:41
O-Ton Sasha
Wir können das schon so abschneiden wie sie
wollen. Ich hab das verstanden.
20
34:46
O-Ton Sasha
Das kostet dann aber 100 Dollar mehr pro Kilo.
(34:48)
Ich verstehe schon, je regelmäßiger und ohne
Vergabelung, desto besser.
34:53
Kommentar
Jeder weiß, dass Kim alle Geweihe kaufen wird.
Es ist nur eine Frage des Preises.
35:04
Der Koreaner kontrolliert jede einzelne der über
tausend Geweihstangen.
35:09
Als erstes überprüft er den Geruch, dann Form
und Größe und zum Schluss die feinen Basthaare.
Weniger gefragte Geweihe von alten Hirschen sind
mit einem härteren Fell überzogen.
35:23
O-Ton Sasha
Das ist das Siegel von Sauzar.
Falls Sie wollen, kann ich die Verästelung hier
abschneiden,
damit
es
zu
einer
besseren
Kategorie zählt.
35:32
Kommentar
Um sicher zu sein, muss Kim auch die Farbe des
Inneren überprüfen.
21
35:35
O-Ton Kim
Das ist nicht gut.
35:40
O-Ton Sergej
Nein, das ist völlig in Ordnung.
35:45
O-Ton Kim
Schauen Sie doch, die Farbe hier ist nicht richtig.
35:48
Kommentar
Wenn
das
Kochen
und
Trocknen
korrekt
ausgeführt wurde, muss das Innere gleichmäßig
schokoladenbraun sein.
35:56
O-Ton Sergej
Was meinen Sie? Nicht in Ordnung.
35:59
O-Ton Kim
Ich zeige es Ihnen.
36:08
O-Ton Sergej
Was, der kleine weiße Rand hier?
36:11
O-Ton Kollege
Das Innere ist auch viel zu dunkel.
22
36:16
O-Ton Sasha
Das
kommt
von
einem
Problem
mit
der
Kochtemperatur.
(36:19)
Das eine Geweih ist offensichtlich nicht gut – keine
Diskussion.
36:25
O-Ton Kim
Bei uns in Korea verwendet man russische
Bastgeweihe für fernöstliche Medizin. Wir glauben,
dass es die Besten sind, weil sie hier manuell und
nicht industriell verarbeitet werden.
36:40
Kommentar
Kim und Sascha schließen ihr Geschäft erfolgreich
ab.
37:04
Im September beginnt die Paarungszeit bei den
Maralen.
37:13
Yuri Tcherepanov beobachtet das Ritual.
37:36
Mit einer selbstgebastelten Flöte und knackenden
Ästen imitiert Yuri einen Rivalen.
37:50
Vor dem Morgengrauen hat Yuri alle Tore
geöffnet. Seit dem Frühling leben die männlichen
Marale von den Hirschkühen getrennt. Jetzt dürfen
sie wieder zu ihnen. 2500 Tiere drängen jetzt zum
jährlichen Familientreffen.
23
38:19
Kommentar
Es ist hauptsächlich eine Frage des Geruchs und
des Brunftgeschreis. Um ihr Revier abzustecken,
wetzen die Männchen ihren Kopf an Bäumen. So
hinterlassen sie eine Duftspur.
38:50
Danach wälzen sie sich im Schlamm, um so ihren
Geruch über den ganzen Körper zu verteilen.
39:13
Der alte Hirsch wird trotz seines Geweihs nur
schwer
eine
Partnerin
finden.
Sein
Geruch
kennzeichnet ihn als altes Tier.
39:27
Die
erfolgreichsten
Männchen
versammeln
unabhängig von ihrem Kopfschmuck bis zu 40
Hirschkühe in ihrem Harem.
39:39
Die meiste Zeit verbringen sie damit, diese
Weibchen zusammenzutreiben und fremde Freier
fernzuhalten.
39:56
Den Bullen bleibt nur wenig Zeit zum Grasen. Am
Ende der Brunftzeit sind die meisten Hirsche
regelrecht abgemagert.
40:26
Rechtzeitig vor Wintereinbruch ist die Geweihernte
verpackt und auf dem Weg nach Korea.
40:33
Die letzten warmen Herbsttage nutzt Sasha
Tcherepanov für einen Kurzurlaub an einem
abgelegenen Gebirgssee.
24
40:43
Kommentar
Wie die meisten seiner Landsleute ist auch Sasha
ein passionierter Angler, und die klaren Gewässer
des Altaigebirges haben einiges zu bieten.
41:27
O-Ton Sasha
Weltrekord ist das keiner, aber so schlecht ist es
auch wieder nicht.
(41:35)
Nochmal. Normalerweise fange ich zwei.
41:53
Kommentar
Die Geweihe sind inzwischen in Seoul, der
Hauptstadt Südkoreas, eingetroffen.
42:01
Das Lagerhaus des Großhändlers Kim Jin Gon.
42:07
O-Ton Kim
Ich will Ihnen erklären, was mit den Stangen
passiert, sobald sie aus Russland ankommen.
(42:13)
Nach der Verzollung werden sie zu uns ins Büro
geliefert.
(42:20)
Als erstes brennen wir das Fell ab.
(42:25)
Dann kommen die Geweihstangen in einen
Hochdruckbehälter mit reinem Alkohol. Damit
getränkt, können wir sie besser in dünne Scheiben
schneiden.
25
(42:47)
O-Ton Kim
Jede Scheibe wird dann in eine von drei
Kategorien eingeteilt, je nachdem ob sie vom
Ende, der Mitte oder der Basis des Geweihs
stammt.
(42:58)
Der Verband für fernöstliche Medizin vertreibt
dann die Geweihe im ganzen Land an Ärzte und
Krankenhäuser.
43:06
Kommentar
Koreaner konsumieren 90 Prozent aller am
Weltmarkt gehandelten Bastgeweihe.
43:13
O-Ton Dr. Kim Yung Yeal
Die Wirkstoffe, die wir hier verwenden, sind
hauptsächlich Wurzeln, Pflanzenstengel, Rinde,
Blätter und Früchte. Außerdem auch einige
wichtige Tierprodukte und Mineralien.
43:26
Kommentar
Seit 2000 Jahren verwendet man in Asien
Bastgeweihe als Heilmittel. Ein Medizinlexikon aus
dem 16. Jahrhundert beschreibt Hirschgeweihe
gar als das zweitwichtigste Grundelement nach
Ginseng.
43:39
Koreaner geben jährlich über 300 Millionen Dollar
für Medikamente aus Bastgeweihen aus.
26
43:44
Kommentar
Doktor Kim Yung Yeal ist Arzt in Seoul und
Spezialist für fernöstliche Medizin.
43:52
O-Ton Patientin
Ich komme heute zu Ihnen, weil ich Schmerzen
habe. Energie hab ich auch keine. Ich fühle mich
permanent müde.
44:00
O-Ton Dr. Kim Yung Yeal
In der fernöstlichen Medizin verwenden wir eine
Elektrodiagnose. Wir lassen eine ganz geringe
Stromspannung durch den Patienten fließen und
messen die elektrische Resistenz des Körpers.
(44:13)
Die Energie, die wir “Gyi” nennen, messen wir in
Milliampere,
um
zu
sehen,
wieviel
der
angewandten Spannung der Körper absorbiert.
(44:23)
Damit können wir eine genaue und objektive
Diagnose abgeben.
(44:27)
Es bestätigt, dass Sie leicht müde werden und Sie
Muskelschwäche im Bereich der Arme und Beine
haben, aber auch in den Gelenken.
(44:38)
Auch Stress ist für Ihren Zustand verantwortlich.
(44:44)
Das Rezept für Ihre Medizin hat 27 verschiedene
Zutaten, und eine davon ist Hirschgeweih.
(44:54)
In Korea haben die Leute einen großen Vorteil,
weil
sie
westlichen
die
Wahl
Arzt
haben
oder
zwischen
einem
einem
traditionell
Fernöstlichen.→
27
(45:07)
O-Ton Dr. Kim Yung Yeal
Ärzte,
die
fernöstliche
Medizin
praktizieren,
studieren vier Jahre westliche Generalmedizin,
bevor sie sich spezialisieren.
45:18
Kommentar
Eine zehntägige Kur mit Maralgeweih kostet die
Patientin ungefähr 500 Dollar.
45:26
O-Ton Dr. Kim Yung Yeal
Im Westen sind Hirschgeweihe eigentlich nur für
ihre
potenzsteigernde
Wirkung
bei
Männern
bekannt. Wir hier setzen sie aber vor allen Dingen
zur
Wachstumssteigerung
ein,
und
um
die
Funktion der Gehirnzellen zu fördern.
(45:46)
Frauen verwenden sie für hormonelle Probleme
während der Menstruation oder Schwangerschaft.
Ganz besonders wirksam sind Maralgeweihe, um
Beschwerden nach der Geburt zu lindern und
während der Wechseljahre.
(46:01)
Man kann generell sagen, dass hauptsächlich
Frauen Geweihe verwenden und nicht Männer.
46:09
O-Ton Patientin
Sobald ich merke, dass etwas mit meinem Körper
nicht stimmt, gehe ich zu meinem Arzt.
Am wichtigsten ist es aber, präventiv zweimal im
Jahr
zur
Untersuchung
zu
gehen
und
die
Geweihbehandlung zu machen.
28
46:44
Kommentar
In Sibirien ist die Landschaft wieder mit einer
Schneedecke überzogen.
46:54
Bis jetzt war der Boden zu hart gefroren und zu
glatt, um in die Berge zu reiten.
47:13
In freier Wildbahn bleiben die Maral-Männchen
und die Hirschkühe nur während der Paarungszeit
zusammen.
47:26
Noch einmal treiben Sasha Tcherepanov und
seine Männer die Tiere in die Koppel.
47:33
O-Ton Sasha
Bewegt euch, Leute. Ihr seid ja am Einschlafen.
(47:40)
Nach dem Wintereinbruch bringen wir sie herein,
um sie in verschiedene Reviere zu verteilen: Die
Kälber, die ein- bis zweijährigen Männchen, die
Weibchen und die erwachsenen Hirsche. Wir
haben dann vier separate Gruppen.
47:52
Kommentar
Selbst in voller Sonne steigt die Temperatur kaum
mehr über minus 40 Grad.
48:06
O-Ton Arthur
Heute ist es kalt, das stimmt schon. Aber es ist
noch immer wärmer als gestern.
29
48:12
O-Ton Magomet
Gestern war es nur minus 40. Das war doch warm.
48:19
Kommentar
Trotz der Größe des Reviers in Sauzar müssen die
Tiere im Winter zugefüttert werden.
48:27
Zwischen November und März schaufeln die
Männer mehrere Tonnen Heu und Getreidefutter
in die Tröge am Eingang der Koppel.
48:38
Von Frühling bis Herbst verhalten sich die Hirsche
wild und scheu. Im Winter sind sie eher zahm und
warten geduldig auf ihr Futter.
48:47
Im Januar sinkt die Temperatur auf bis zu minus
55 Grad. Die kleinste Feuchtigkeit gefriert sofort in
der Luft und funkelt wie Kristall.
48:53
Die
Marale
tragen
jetzt
ihr
volles,
graues
Winterfell.
49:12
Ab März wächst wieder ihr Geweih, und wenn der
Frühling kommt, kehren die Tiere in die Wälder
zurück.
49:31
O-Ton Yuri
Hallo, ist alles in Ordnung?
30
49:40
O-Ton Sasha
Als
wir
Kinder
waren,
haben
wir
diese
Tannennadeln immer gegessen. Sie schmecken
wirklich gut.
(49:49)
Etwas sauer.
49:53
Kommentar
Sasha Tcherepanov und seine Männer reiten in
die
Berge,
um
die
Weibchen
und
deren
Nachwuchs zu inspizieren.
50:15
Wenn Vladimir eine Hirschkuh ausmacht und
diese nicht sofort wegläuft, weiß er, dass sich im
nahen Unterholz ihr Junges versteckt hält.
50:28
Die weißen Punkte auf dem rotbraunen Fell und
sein fehlender Geruch helfen bei der Tarnung und
bieten ihm Sicherheit vor natürlichen Feinden.
50:40
Die beunruhigte Mutter läuft in sicherem Abstand
im
Kreis
herum.
Vladimir
kann
sich
nicht
zurückhalten und streichelt den Kopf.
Ein Männchen. Unter dem zarten Fell sind zwei
kleine Erhebungen zu spüren.
50:53
O-Ton Vladimir (Oliver Nitsche)
Er wird ein Geweih haben. (O-Ton in Mischung
hochziehen)
51:09
Ende / Abspann 40 Sec.
31
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