Eine Formel für nachhaltiges Wachstum - dfv

Werbung
Zukunftssicherung
Energie- und Ressourcenverbrauch
müssen drastisch verringert werden:
Eine Formel für
nachhaltiges Wachstum
Der Klimagipfel im Dezember 2009 ist gescheitert. Die Vorstellung eines CO2-schlanken
Wohlstandes ist kaum präsent. Aber es ist möglich, eine Balance zwischen wirtschaftlichen Ansprüchen und ökologischem Imperativ zu formulieren. Doch dazu müssen wir
den relativen Energie- und Ressourcenverbrauch um 80 Prozent vermindern. Ein hehres
Ziel. Doch dass es möglich ist, zeigen ermunternde Beispiele aus vielen Bereichen der
Technik. Aber eines ist klar: Es wird nicht ohne Genügsamkeit gehen.
D
ie Welt wird sich in diesem Jahrhundert grundlegend verändern, das ist meine feste Überzeugung. Eine wichtige
Alternative ist vorgezeichnet: Entweder lernen wir, nachhaltig mit der Erde umzugehen, oder die Natur wird ganz böse
zurückschlagen. Wenn es gelänge, die Nutzung von Energie, Wasser und natürlichen Rohstoffen innerhalb einer Generation um
einen Faktor Fünf zu verbessern, wären die zentralen Probleme
der Menschheit einschließlich des Klimawandels zwar nicht gelöst, aber doch wesentlich entschärft. Dieses ökologische Ziel ist
ehrgeizig – und ich meine, dass es erreichbar ist! In der einfachen
Formel „Faktor Fünf“ steckt das Konzept einer zukunftssicheren
und umweltverträglichen Wirtschaftspolitik.
i
Faktor Fünf
Ernst Ulrich von Weizsäcker und seine Mitautoren
Karlson Hargroves und Michael Smith stellen mit „Faktor
Fünf“ (Droemer Verlag) ihr Konzept eines zukunftssicheren, umweltschonenden Wirtschaftens vor. Anhand
konkreter Beispiele zeigen sie, wie sich unsere Rohstoffe
effizienter nutzen lassen und wie sich mit dem Einsatz
neuer Technologien Wohlstand und Lebensqualität erhöhen können – in China und Indien genauso wie in Europa
und Amerika. Und sie warnen vor den dramatischen Folgen für die Menschheit, wenn kein Umdenken stattfindet.
10
Wie kann es uns gelingen, den Energieverbrauch um 80 Prozent
zu reduzieren? Große Hoffnungen an die Politik brauchen wir uns
wenig zu machen. Der gescheiterte Klimagipfel von Kopenhagen
und auch die Ergebnisse von Durban haben gezeigt, dass die Staaten in einer Pattsituation sind: Die Entwicklungsländer sagen, der
Norden sei dran, die USA sagen, sie könnten nicht mitmachen
ohne die Entwicklungsländer, und die Europäer sagen, ohne die
USA mache der Klimaschutz nicht viel Sinn. Vielleicht kann eine
Initiative von Verbrauchern und Unternehmern helfen, das Patt zu
überwinden. Zwar erkennen inzwischen auch die USA und China
an, dass die Erdatmosphärenerwärmung auf 2 Grad Celsius begrenzt werden sollte. Aber rechtlich verbindlich ist dies nicht.
Alle Welt redet von Effizienzsteigerung. Doch die Effizienzgewinne, die es in der Menschheitsgeschichte immer wieder
gegeben hat, sind praktisch alle wieder verfrühstückt worden,
durch verstärktes Wachstum und weiteren Konsum, auch bei
der Energie. Es gibt genügend Beispiele für diesen sogenannten Rebound-Effekt, den schon William Stanley Jevons 1865 am
Beispiel des Kohleverbrauchs dargestellt hat. Auch die Erneuerbaren Energien können als Einladung zu mehr Energieverbrauch
wirken, wenn man so tut, als sei jede zusätzliche Windmühle ein
Segen für die Umwelt.
Schaut man den Rebound-Effekt historisch genauer an, so
sieht man, dass er typischerweise aus Zeiten niedriger Energiepreise stammt. Generell sind die Ressourcenpreise seit 200 Jahren mit kurzen Unterbrechungen immer weiter abgesackt. Das ist
in der Vorstellungswelt der Deutschen sicher eine unglaubliche
Behauptung. Jeder Deutsche und erst recht jeder US-Amerikaner
i
ist nämlich der Meinung, Ressourcen würden immer teurer. Aber
das Gegenteil ist der Fall: Sie sind immer billiger geworden.
Auch wenn man jetzt das Ende des Ölzeitalters wahrnimmt,
sollten wir nicht von einem Naturgesetz steigender Energiepreise
ausgehen. Bilden wir uns nicht ein, dass aufgrund der sogenannten Peak-Oil-Diskussion in den nächsten Jahrzehnten das Öl unendlich teuer wird. Das ist nicht wahr, das ist eine Beschönigung!
Denn in dem Moment, in dem sich die Investoren-Community der
Welt sicher ist, dass der Rohöl-Preis oberhalb eines bestimmten
Levels bleibt, kommt die Fischer-Tropsch-Synthese großtechnisch in Gang, bei der Kohle verflüssigt und in Öl verwandelt wird.
Momentan wird das dadurch gebremst, dass man mit „Fracking“
vermutlich noch Jahrzehnte billiges Erdgas fördern kann. Für den
Klimaschutz ist leider festzuhalten: Die Kohleverflüssigung ist
noch viel schlimmer als die Erdöl- und Erdgas-Verwendung.
Trendbook Umwelttechnologien 2012
Schlüsselstrategien zur
Verminderung der Treibhausgase:
1. Steigerung der Energieeffizienz
2. Übergang zu klimaneutralen Treibstoffen
3. Rückgewinnung von Wärme und Strom
4. Einsatz von erneuerbaren Energien
5. Systematisches Recycling eingesetzter
Metalle und anderer Rohstoffe
6. Produktverbesserungen zur
Verlängerung der Lebensdauer
7. Steigerung der Materialeffizienz zur
Verringerung des Materialeinsatzes
8. Verminderung von Treibhausgas-Emissionen
wie Kohlendioxid und Methan
USA 303.034
Russland 86.281
China 80.804
Deutschland 71.792
Großbritannien 54.141
Japan 43.662
Frankreich 27.678
Indien 23.083
Ukraine 23.053
Kanada 22.572
Polen 20.679
Italien 17.010
Rep. Südafrika 12.388
Australien 11.214
100.000
200.000
300.000
Kumulierte CO2-Emission von 1900 bis 2002 in Millionen
Tonnen: Für die führenden Industrienationen sieht es
düster aus, wenn man die gesamten CO2-Emissionen aus
dem Zeitraum aufsummiert.
Quelle: World Resources Institute (WIR), Washington DC, aus:
„Faktor Fünf“, E. U. v. Weizsäcker, 2010
Um aus dem Dilemma der Energievergeudung herauszukommen, brauchen wir einen „starken Staat“, der ein klimapolitisch
begründbares Signal langfristig steigender Energiepreise setzt.
Ich stelle mir ein Szenario vor, in welchem ein langfristiger Preiskorridor beschlossen wird, in dem Energie immer etwa um soviel Prozent teurer wird, wie im abgelaufenen Jahr die Effizienz
zugenommen hat. Das gegenseitige Hochschaukeln von Effizienz
und Preisen würde insgesamt zusätzlichen Wohlstand schaffen,
erstens durch die Minderung des in die energieexportierenden
Länder abfließenden Geldes, zweitens durch eine beschleunigte
Modernisierung und drittens natürlich durch einen starken Beitrag zum Klimaschutz. Die Vorbild-Analogie zu diesem Szenario
ist das gegenseitige Hochschaukeln der Arbeitsproduktivität und
der Bruttolohnkosten. Dieses „Pingpong“ hat zu einer Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität und zu gigantischen Wohlstandsgewinnen geführt.
Der Preispfad wäre zugleich ein sanftes, aber wirksames Signal
gegen den überhöhten Rebound-Effekt. Wir würden zivilisatorisch
und in der eigenen Familie lernen, mit etwas weniger Verbrauch
glücklich zu sein. Das heißt gemeinhin Genügsamkeit. Es kann
zu vermindertem Bruttosozialprodukt führen, aber der Nettowohl-
stand und die Lebensqualität, wozu auch Gesundheit, kulturelle
Befriedigung und ein erfreuliches soziales Umfeld gehören, können dabei durchaus weiter wachsen.
Unsere Gesellschaft braucht auch bessere Maßstäbe für das,
was wir eigentlich wollen. Wir müssen gleichzeitig einsehen, dass
die während der letzten 30 Jahre ikonenhaft verehrten „Märkte“
blind für Klima, und halbblind für Gerechtigkeit und Lebensqualität sind und die Gier und ruchloses Ellenbogenverhalten begünstigen. Und sie haben in jüngster Zeit zu lauter überaus kostenträchtigen Kollapsen und Krisen geführt. Wir brauchen einen
starken Staat, der den Märkten Grenzen aufzeigt und Richtungssinn (z. B. in Richtung Klimaschutz) gibt. Wir müssen den aus dem
angelsächsischen Ökonomieverständnis kommenden Zeitgeist
der Staatsverachtung und Marktüberschätzung überwinden. Vielleicht müssen wir uns dazu mit anderen Kulturen - insbesondere
in Asien - verbünden, denen die Langfristigkeit und die öffentlichen Güter wichtiger sind als die Vierteljahresabschlüsse börsennotierter Unternehmen.
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c.
Ernst Ulrich von Weizsäcker
P.O.Box 1547
79305 Emmendingen
Fon: +49 / (0)7641 / 9542216
www.ernst.weizsaecker.de
Ernst Ulrich von Weizsäcker, Träger des Deutschen Umweltpreises 2008, ist ein international renommierter Vordenker
einer nachhaltigen Ausrichtung der Wirtschaft. Er war Professor für Biologie an der Universität Essen, Direktor am
UNO Zentrum für Wissenschaft und Technologie und Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn und
anschließend Präsident des Wuppertal Instituts für Klima,
Umwelt, Energie.
Von 1998 bis 2005 war er Mitglied des Bundestages, von
2006 bis 2008 lehrte er an der University of California. Jetzt
leitet er gemeinsam mit Dr. Ashok Khosla das International
Resource Panel des UNO-Umweltprogramms und lebt in
Emmendingen im Breisgau.
11
Klimawandel
Der globale Klimawandel ruft nach Konsequenzen –
nicht nach weiteren Experimenten:
Die Zeit drängt
Der globale Klimawandel ist in vollem Gang. Die Erde erwärmt sich infolge des
Ausstoßes gewaltiger Mengen Treibhausgase durch den Menschen, allen voran
Kohlendioxid (CO2). Wir stehen zwar erst am Anfang der globalen Klimaänderung. Dennoch sind die Auswirkungen der Erderwärmung von nicht einmal einem Grad Celsius unübersehbar: Die arktische Eisbedeckung hat sich während
der letzten 30 Jahre um knapp ein Drittel verringert, die Gletscher aller Breitenzonen ziehen sich zurück, und der Meeresspiegel steigt. Eine Bestandsaufnahme.
Das Infrarotbild der Erde zeigt die Temperaturverhältnisse in der oberen Troposphäre:
je heller, desto kälter. Durch den menschgemachten (anthropogenen) Treibhauseffekt sind die
Temperaturverhältnisse der Troposphäre und der Stratosphäre weltweit aus dem Ruder gelaufen.
12
Klimawandel
Die Gletscher sind weltweit
auf dem Rückzug – einer der
deutlichsten Hinweise auf
den Klimawandel.
I
N
ach Meinung vieler Wissenschaftler dürfte sich die Erde bis
zum Ende dieses Jahrhunderts um nicht mehr als 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmen, um das
Risiko von Kippeffekten so gering wie möglich zu halten. Der weltweite Treibhausgasausstoß müsste sich zur Erreichung des „2 Grad
Celsius-Ziels“ bis zur Mitte des Jahrhunderts halbieren und bis zum
Ende des Jahrhunderts um mindestens 80 Prozent verringern. Allerdings ist der weltweite, energiebedingte CO2-Ausstoß, der mit etwa 90
Prozent weitaus größte Anteil der Kohlendioxidemissionen, seit 1990
um gut 40 Prozent und allein seit 2000 um etwa 30 Prozent gestiegen. Die Zeit drängt also. Wir sollten die notwendige Reduktion des
Treibhausgasausstoßes mit einer nachhaltigen Strategie zur künftigen Energiegewinnung verknüpfen. Regenerative Energiequellen wie
die Sonnen- und Windkraft oder die Erdwärme stehen uns praktisch
unbegrenzt zur Verfügung, und die Techniken zu ihrer Nutzung existieren bereits, wenngleich sie sicherlich verbesserungswürdig sind.
Die Katastrophe von Fukushima hat uns die Dringlichkeit des Umbaus der weltweiten Energiesysteme auf tragische Weise erneut vor
Augen geführt. Wir Menschen stehen vor gewaltigen wirtschaftlichen,
ökologischen und kulturellen Herausforderungen. Ein wichtiges Element bei deren Lösung ist eine nachhaltige Energieversorgung, die
allen Menschen Zugang zu bezahlbarer und sicherer Energie garantiert, ohne den Planeten über Gebühr zu strapazieren. Nur dadurch
können wir eine weltwirtschaftliche Ordnung schaffen, die allen Menschen Wohlstand ermöglicht, viele der großen Umweltprobleme in
den Griff bekommen, größere politische Spannungen vermeiden und
kulturelle Werte erhalten.
Im globalen Maßstab basiert die gegenwärtige Energiegewinnung
hauptsächlich auf der Verbrennung der fossilen Brennstoffe. Diese
Art der Energiegewinnung stößt an ihre Grenzen. Und das nicht nur
wegen des Klimaproblems. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko
2010 hat uns daran eindringlich erinnert: Es wird gefährlicher, die
verbleibenden Ölreserven zu fördern. Zudem sind sie ohnehin begrenzt – und der Zeitpunkt des „Peak Oil“, des Fördermaximums, wird
nach Meinung der meisten Energieagenturen höchstwahrscheinlich
in den kommenden 20 Jahren erreicht. Während die Erdölproduktion danach zwar abnimmt, wird der Bedarf weiter stetig steigen, vor
allem in Ländern wie China und Indien. Dies wird dazu führen, dass
die Nachfrage das Angebot weit übersteigt und die Preise in unge-
ahnte Höhen klettern könnten. Als Folge würde
vermehrt Kohle zum Einsatz kommen, der Klimakiller Nummer 1. Die Lösung des Klimaproblems würde dadurch unmöglich.
In letzter Zeit ist eine verstärkte Diskussion über die sogenannten Ingenieurlösungen
(engl.: Geo-Engineering) zu beobachten, in der
Politik, in der Wirtschaft und in den Medien.
Die Idee dahinter ist ein „Weitermachen so wie
bisher“ und die Anwendung technischer Maßnahmen, um beispielsweise das Kohlendioxid
bei der Verbrennung der fossilen Brennstoffe
abzuscheiden und später „sicher“ zu lagern
(CCS: engl.: „Carbon Capture and Storage“)
oder es mittels Eisendüngung der Weltmeere
aus der Atmosphäre zu entfernen. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, riesige Mengen von
Schwefel in die Atmosphäre einzubringen, um die Sonnenstrahlung
zu behindern und damit der Globalen Erwärmung entgegen zu wirken. Technische Lösungen scheinen wirtschaftlich attraktiv zu sein,
weil sie in den kommenden Jahrzehnten keinen fundamentalen
Strukturwandel der weltweiten Energiewirtschaft erfordern.
Was aber ist von solchen Vorschlägen zu halten? Beginnen wir
mit CCS. Das CO2 soll im Kraftwerk aufgefangen, abtransportiert und
zum Beispiel in einem unterirdischen Speicher gelagert werden –
und das dauerhaft. Verfügbar ist die Technik, mit der Kohlenkraftwerke „klimaneutral“ werden sollen, allerdings noch nicht. Derzeit
laufen nur verschiedene Versuche mit Kleinanlagen. Und die Frage
nach der Sicherheit der CO2-Lagerstätten ist keineswegs abschließend geklärt. Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die
Technik allerfrühestens 2020 großflächig eingesetzt werden kann,
wenn überhaupt. Allerdings dürften sich durch CCS die Stromerzeugungskosten in Kohlekraftwerken fast verdoppeln. Daneben bedarf
i
Der Treibhauseffekt
Ohne den sogenannten Treibhauseffekt würden
auf der Erde überall arktische Temperaturen von
durchschnittlich -18 Grad Celsius herrschen. Die
wichtigsten Treibhausgase, allen voran Wasserdampf und Kohlendioxid, lassen die kurzwellige
Sonnenstrahlung fast ungehindert passieren, stellen
aber für die vom Erdboden zum All hin abgestrahlte
langwellige Strahlung einen wirksamen Filter dar,
der die langwellige Strahlung absorbiert und zur
Aufheizung des Klimas beiträgt. Durch Emission
von CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger,
aber auch durch die Emission von Methan (CH4) aus
Viehzucht, Reisanbau und Müllfäulnis ist das klimatische Gleichgewicht gestört – die Atmosphäre heizt
sich immer stärker auf: Die Temperaturen steigen
weltweit, die Extremereignisse nehmen zu und die
Niederschlagsverhältnisse ändern sich.
13
Klimawandel
Aufgrund der fortwährenden
Hängepartie um das deutsche
CCS-Gesetz sieht sich Vattenfall
gezwungen, seine Planungen für
das CCS-Demonstrationsprojekt
Jänschwalde einzustellen.
Dennoch soll der Testbetrieb in
der CCS-Pilotanlage in Schwarze
Pumpe fortgesetzt werden.
es eines hohen Energieaufwands für das Auffangen des Kohlendioxids. Dies würde ihre Effizienz erheblich senken. Und schließlich
stellt sich die Frage der öffentlichen Akzeptanz. Die jüngsten Proteste in Norddeutschland und der schnelle Rückzug der Landesregierung Schleswig-Holsteins sprechen Bände. Nachhaltig ist CCS
nicht, solange wir nicht wissen, ob die Technik wirklich jemals sicher
funktionieren wird. Wenn wir heute auf CCS setzen, nehmen wir eine
Hypothek auf die Zukunft auf, von der wir nicht wissen, ob wir sie
jemals zurückzahlen können.
Kommen wir zur Eisendüngung der Weltmeere. Die Ozeane spielen im globalen Klimageschehen als Kohlenstoffspeicher eine wichtige Rolle. In vielen nährstoffreichen, aber wenig produktiven Regionen
der Meere, insbesondere im Südlichen Ozean, scheint der Mangel
an Eisen tatsächlich das Algenwachstum zu begrenzen. Daher vermuten einige Forscher, durch künstliche Düngung mit Eisen das
Wachstum in diesen Regionen ankurbeln zu können und damit die
i
Die Fieberkurve der Erde
(aus dem aktuellen IPCC-Bericht 2007)
„Instrumentelle Beobachtungen über die letzten 160 Jahre zeigen, dass die Oberflächentemperaturen weltweit angestiegen sind, mit bedeutenden regionalen Unterschieden. Im weltweiten Durchschnitt fand diese Erwärmung
im letzten Jahrhundert in zwei Phasen statt: zwischen
den 1910er und 1940er Jahren (0,35 Grad Celsius) und,
stärker ausgeprägt, seit den 1970er Jahren bis heute (0,55
Grad Celsius). Die Erwärmung ist in den letzten 25 Jahren
immer schneller geworden und 11 der 12 wärmsten Jahre
seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen sind in den
letzten 12 Jahren aufgetreten.“
„Die globale Erwärmung wird durch die Erwärmung
der Ozeane, steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher, Rückzug des Meereises in der Arktis und eine abnehmende Schneedecke auf der Nordhalbkugel bestätigt.“
14
Aufnahme des Kohlendioxids. In der Folge soll der von den Algen
eingebaute Kohlenstoff nach deren Absterben auf den Meeresboden
sinken und dort dauerhaft verbleiben. Die tatsächliche Wirksamkeit
dieser künstlichen CO2-Pumpe ist allerdings in der Wissenschaft
sehr umstritten. In der Tat gibt es heute keinen wissenschaftlichen
Beweis dafür, dass die Eisendüngung effizient Kohlendioxid aus der
Atmosphäre zu entfernen vermag. Daneben stellen sich Fragen im
Hinblick auf die Umweltverträglichkeit. Aus diesen Gründen ist auch
die Eisendüngung bisher bestenfalls als eine Hypothese zu betrachten. Ein einsatzfähiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel
ist sie auf absehbare Zeit nicht.
Wie sieht es nun mit der Einbringung von Schwefelsubstanzen in
die Atmosphäre aus? Die Grundidee ist einfach. Sie ist von Vulkanausbrüchen bekannt, die große Mengen an Schwefelverbindungen
in hohe Atmosphärenschichten schleudern, dadurch die Sonnenstrahlung schwächen und für einige Jahre den Planeten kühlen. Der
Meteorologen messen weltweit Veränderungen der physikalischen Parameter – hier die Messung der Sonnenscheindauer
mit einem Heliografen.
Klimawandel
Deutschlands höchste Wetterstation befindet sich auf der Zugspitze (2962 m); seit über 100 Jahren werden hier Atmosphärendaten gesammelt – auch solche, die den Temperaturanstieg
in der Troposphäre der letzten Jahrzehnte dokumentieren.
Es existiert heute keine umweltverträgliche technische Lösung, mit der man die globale Erwärmung eindämmen könnte;
es gilt, die nahezu unerschöpfliche Energie der Sonne intelligent und nachhaltig zu nutzen.
Vorschlag: Es werden massenhaft feinste Schwefelteilchen in hohe
Luftschichten zwischen 10 und 50 Kilometern Höhe ausgebracht.
Die Risiken und unüberschaubaren Folgewirkungen einer künstlichen Schwefelausbringung sind jedoch immens. Nach einer Verweildauer von knapp zwei Jahren in den hohen Luftschichten sinken
die Schwefelpartikel zum Erdboden. Saurer Regen und Waldsterben
wären die Folge. Eine beschleunigte Zerstörung der Ozonschicht ist
ebenfalls naheliegend. Außerdem müsste man mit den Schwefelinjektionen über viele Generationen hinweg fortfahren, sonst käme es
zu einer plötzlichen, massiven Erderwärmung. Sehr kostspielig wäre
die Technik auch: Sie würde vermutlich viele Milliarden Euro pro Jahr
verschlingen. Insofern kann die Schwefellösung nur für den äußersten Notfall in Betracht gezogen werden, sie kommt nur als „Ultima
Ratio“ in Frage.
Was lernen wir aus den drei Beispielen? Erstens, es existiert heute
keine umweltverträgliche technische Lösung, mit der man die globale Erwärmung eindämmen könnte. Die Anwendbarkeit für CCS steht
frühestens 2020 ins Haus, wobei es keinerlei Erfolgsgarantie gibt. Wir
pokern demnach bei CCS mit unserer Zukunft. Das gleiche gilt für
die Eisendüngung. Die bisherige Forschung liefert sogar eher Zweifel
hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Zweitens, alle vorgeschlagenen Lösungen sind möglicherweise mit nicht akzeptablen Umweltrisiken
verbunden. Solange diese nicht zweifelsfrei ausgeräumt sind, dürfen wir die entsprechenden Techniken nicht als ernsthafte Optionen
ansehen. Drittens, wir müssten einen riesigen finanziellen Aufwand
leisten, um die technischen Lösungen zu realisieren. Viertens, dieses
Geld wäre sicherlich besser in die weitere Entwicklung und Implementierung der regenerativen Energien investiert. Nur diese sind sicher und garantieren langfristig den Zugang zu Energie für alle Menschen, ohne die Umwelt über Gebühr zu belasten. Wir haben beim
Klimaschutz keine Zeit mehr zu verlieren und sollten uns daher nicht
auf unsichere Pfade begeben.
Die einfachste und in jeder Hinsicht beste Lösung des Klimaproblems bieten also die regenerativen Energien. Und sie sind auch ökonomisch vernünftig. Wir Deutschen sollten an dem jetzt eingeschlagenen Weg ohne die Atomkraft und mit einem schnellen Ausbau der
regenerativen Energien festhalten. Viele Länder blicken heute auf
Deutschland. Wir müssen es schaffen, gleichzeitig aus der Atomkraft
auszusteigen und trotzdem unsere couragierten Klimaschutzziele zu
erfüllen. Das hätte eine Signalwirkung für viele andere Länder, die
man nicht hoch genug bewerten kann. Die nächste industrielle Revolution steht an. Die erneuerbaren Energien wie auch die Kommunikationstechnologie werden dabei eine herausragende Rolle spielen.
Deutschland sollte den Weg in dieses neue Zeitalter weisen.
Autor
Prof. Dr. Mojib Latif
Leiter Forschungsbereich
Ozeanzirkulation und Klimadynamik
Helmholtz-Zentrum für
Ozeanforschung Kiel
Düsternbrooker Weg 20
24105 Kiel
Fon: 0431 / 600-4050
Fax: 0431 / 600-4052
[email protected]
www.geomar.de/~mlatif
Mojib Latif studierte Meteorologie und promovierte im Fach
Ozeanographie. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter und
Privatdozent am Max-Planck-Institut für Meteorologie in
Hamburg. Derzeit ist er Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen u. a. der Amerikanischen Meteorologischen
Gesellschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und weiterer
Organisationen. Er war Mit-Autor der IPCC-Berichte 2001
und 2007 (IPCC: engl.: „Intergovernmental Panel on Climate Change“) und ist einer der renommiertesten deutschen
Meteorologen und Klimaforscher.
15
Rohstoffsicherung
Mit sogenannten Roadtrains transportiert eine Tochtergesellschaft der Deutschen Rohstoff AG
im australischen Georgetown goldhaltiges Erz zur Aufbereitung und Goldgewinnung.
Praktisch alle Rohstoffe auf der Erde sind endlich:
Wie lange geht’s noch?
Deutschland ist ein Rohstoffland. Etwa 80 Prozent der bei uns benötigten Rohstoffe werden auch hier produziert. Aber heute zählen neben den ungeheuren Energiemengen, die auch wir nicht haben, weniger die
Massenrohstoffe als die mineralischen Schlüsselmetalle, ohne die keine hoch technisierte Industrie wirtschaften kann. Wir sind zwar Spitze beim Recycling, aber die weltweite Nachfrage nach Primärrohstoffen
steigt weiter. Wie lange das noch so funktionieren kann – darüber sind sich die Experten uneins.
D
as Bewusstsein von oder sogar die Angst vor Rohstoffknappheit ist vermutlich schon zu jener frühen Zeit entstanden, als der Mensch begann, nicht-erneuerbare
Rohstoffe zu nutzen. Als der frühe Steinzeitmensch Feuerstein
im mittelenglischen Kreidegebiet nutzte, um daraus Schaber,
scharfe Klingen oder Pfeilspitzen herzustellen, als er feststellte,
dass Fundstellen ihre Ergiebigkeit verloren und er sich andere
suchen musste, ist ihm vermutlich schon der Gedanke gekommen, dass er es mit einem ganz anderen Rohstoff zu tun hat
als mit dem nachwachsenden Holz. Im Mittelalter war der Wünschelrutengänger, der neue Erzgänge fand, die ausgeerzte ersetzen konnten, ein geachteter Mann. Um 1865 warnte der englische Ökonom William Stanley Jevons vor einer Erschöpfung der
Kohlevorräte im Jahr 1980. Heute ist Kohle der Energierohstoff
mit der größten Vorlaufzeit. Der Bericht an den Club of Rome im
16
Jahre 1972 sagte Rohstofferschöpfungen zum Teil noch im letzten Jahrtausend voraus – eingetreten sind sie bisher noch nicht.
Wir müssen uns daher fragen: Liegt es nur an einem grundlegend pessimistischen Zug der Menschen hinsichtlich der Rohstoffe, einer nicht-erneuerbaren Ressource, dass die negativen
Prognosen von der realen Entwicklung überholt werden, oder
gibt es andere Fehler, die der normale Mensch bei Betrachtungen über Rohstoffreichweiten macht?
Eine Grundüberlegung ist richtig: Wenn eine Lagerstätte 20
Millionen Tonnen Vorräte hat und man abbaut jedes Jahr eine
Million Tonnen, dann ist die Lebensdauer eines Bergwerkes auf
der Lagerstätte 20 Jahre. Hier beginnt nun der Fehler. Viele Menschen meinen, man fragt einfach die besten Experten der Welt
nach den Reserven für die einzelnen Rohstoffe, zum Beispiel die
Experten der Deutschen Rohstoffagentur in Hannover oder des
Rohstoffsicherung
i
Welche Rohstoffe benötigen wir?
US-amerikanischen geologischen Dienstes, teilt diese Zahlen
dann durch die Verbräuche und erhält so die Reichweiten.
Was ist der Fehler? Es gibt auf der ganzen Welt keine Institution, die die Rohstoffpotenziale der Erde wirklich kennt. Bekannt
und quantifiziert werden Teile der in der Erde insgesamt vorhandenen Geopotenziale durch die Explorationsarbeiten der Bergbau- oder Erdöl- und Erdgasfirmen, die in Gewinnungsanlagen
investieren wollen und für ihre Planungen Investitionssicherheit
brauchen. Diese müssen wissen, wie groß die Lagerstätten sind,
die man in Betrieb nehmen will, beziehungsweise wie lange die
Vorräte für die Abbauplanung reichen. Sie wollen Reserven nachweisen, die sie möglichst sofort in Betrieb nehmen können, um
die Explorationskosten, risikoreiche Vorkosten, möglichst schnell
wieder hereinzubekommen. Diese aktiven Firmen haben keinerlei Interesse daran, Reserven nachzuweisen, die man erst in 100
oder 200 Jahren abbauen kann. Daraus folgt, dass die jeweils
bekannten Reserven immer nur eine Momentaufnahme in einem
sich dynamisch entwickelnden System sind. Denn alle Rohstofffirmen führen mit dem Abbau kontinuierlich weitere Explorationsarbeiten durch. Sie wollen abgebaute Reserven ersetzen oder
möglichst noch erhöhen, da sie im Geschäft bleiben oder sogar
wachsen wollen.
Somit ist der Effekt zu beobachten, dass die Rohstoffvorräte mit der Gewinnung wachsen und trotz steigender Förderung
das Verhältnis von bekannten Reserven zum Verbrauch in etwa
gleich bleibt oder sogar wächst. Die Erdölförderung stieg von
1950 von circa 0,5 Milliarden Tonnen auf heute fast 4 Milliarden
Tonnen. Das Verhältnis von Reserven zu Verbrauch stieg im gleichen Zeitraum von etwa 20 auf 40. Bei Zink schwankt dieses Verhältnis von Reserven zu (Primär-)Verbrauch immer zwischen 20
und 25, obwohl der Verbrauch von damals 2,2 Millionen Tonnen
auf heute 12 Millionen Tonnen gestiegen ist. Schlussfolgerung:
Die Menschheit benötigt insgesamt zwischen 35
und 45 Milliarden Tonnen (Mrd. t) Rohstoffe pro
Jahr. Die Unsicherheit liegt bei den Steine- und
Erden-Rohstoffen, den Massenrohstoffen für die
Bauindustrie. Halbwegs verlässliche Statistiken
gibt es nur für die Industrieländer, aber kaum
etwas Brauchbares für die bevölkerungsreichen
Entwicklungsländer wie China und Indien. Man ist
für die größte Rohstoffmenge auf grobe Schätzungen angewiesen.
Man kann den Verbrauch in einer Mengenpyramide darstellen, deren Basis die Massenrohstoffe
Sand und Kies, Splitte etc. in der Größenordnung
von 1010 Tonnen bilden. International belastbare
Statistiken beginnen erst mit dann folgenden
Energie­rohstoffen (Zahlen für 2009): Kohle
(6,006 Mrd. t), Erdöl (3,809 Mrd. t), Erdgas
(3.041 Mrd. m³) Braunkohle (988 Millionen t).
Gehen wir von der Pyramidenbasis weiter zur
Spitze, so folgt nach den Energierohstoffen der mit
Abstand wichtigste Metallrohstoff Eisenerz mit 2,241
Mrd. t. Ansonsten wird die untere Hälfte der Mengenpyramide von Nichtmetallrohstoffen dominiert
wie Steinsalz, Kalisalz, Phosphat. Metalle nehmen
erst zur Spitze zu. Wir verbrauchen überhaupt nur
neun Metalle in Mengen größer als 1 Millionen t:
Eisen, Aluminium, Kupfer, Mangan, Zink, Chrom,
Blei, Titan und seit 1999 Nickel.
Von den 94 in der Natur vorkommenden Elementen verbrauchen oder nutzen wir in signifikanten
Mengen nur etwa die Hälfte. Die meisten Elemente
im Periodensystem sind Metalle oder Metalloide.
Von wirtschaftlicher Bedeutung sind viele aber in
Verbindungen als Nichtmetalle: Als Beispiele nehmen
wir Natrium, Kalium und Calcium. Als Metalle sind
sie unbedeutend, bedeutend jedoch als Nichtmetalle:
Steinsalz (NaCl), Kalisalz (KCl oder KCl·MgCl2·6H2O)
und Kalk (CaCO3). Silizium wird als Metalloid in der
Elektronikindustrie in relativ geringen Mengen eingesetzt, die Hauptverwendung ist Silizium ist jedoch als
Nichtmetallrohstoff Quarz (SiO2) in der Bauindustrie
als Sand und Kies.
Die Spitze der Mengenpyramide bilden dann die
Edelmetalle und die sogenannten elektronischen
Elemente wie Indium, Germanium, Gallium, die wir
in kleinen Mengen von 1000 t oder gar nur 100 t
benötigen. Sie sind kritische Rohstoffe für die Messund Regeltechnik. Man kann sagen, die Rohstoffe
an der Spitze der Rohstoffpyramide sind die kritischen Rohstoffe, mit denen wir unter nur geringem
Mengeneinsatz den effizienten Einsatz der großen
Mengen der Energierohstoffe an der Basis der Pyramide optimieren können.
17
Rohstoffsicherung
i
Rohstoffe im Handgepäck
Der Rohstoffverbrauch eines durchschnittlichen Deutschen
kann etwas griffiger werden, indem man ihn in Verbrauch
pro Tag umrechnet. Es sind circa 40 kg/Tag, jeder von uns
verbraucht pro Tag so viele Rohstoffe wie das Gewicht von
zwei Koffern, die man als Passagier mit seinem Partner in
ein Flugzeug mitnehmen darf.
Die weltweit verbrauchten Energiemengen kann man
auch in eine handliche Größe umrechnen: Die verbrauchten
Mengen an Erdöl, Erdgas, Stein- und Braunkohle kann man
umrechnen in eine einzige Energieeinheit. Wir nehmen
Tonnen Erdöläquivalent, abgekürzt mit toe. Die Summe sind
dann etwa 10 Mrd. toe, eine unvorstellbar große Menge. Um
sie verständlicher zu machen, überlegen wir uns, wie lang
ein Güterzug der Deutschen Bahn AG sein müsste, um den
täglichen Verbrauch an Tonnen Erdöläquivalenten zu transportieren. Ein Tankwagen der DB hat eine Länge von 15 m
und fasst 60 t. Ein derartiger Güterzug für den täglichen
Energieverbrauch der Menschheit würde von Berlin über
den Atlantik bis jenseits von New York reichen.
Öl aus Ölsand wird in Kanada für Treibstoffe und
als Einsatzmaterial für erdölbasierte Produkte
verwendet. Aus dem im traditionellen Tagebau
gewonnenen Ölsand wird das Öl mit Hilfe von
warmem Wasser extrahiert.
18
Das Verhältnis von derzeit bekannten Reserven zum Verbrauch,
oft fälschlicherweise als Reichweite der Reserven bezeichnet, ist
eine völlig ungeeignete Kennziffer für die Lebensdauer; es ist
eine von vielen Faktoren beeinflusste rohstoffspezifische Kennziffer, die bei Rohstoffen mit linsigen Vorkommen wie Kupfer,
Blei oder Zink zwischen 20 und 50 schwankt; bei Rohstoffen mit
flächigen, langaushaltenden Lagerstätten wie Kohle, Kali oder
Eisenerz aber Werte von 100 bis 300 hat.
Nun wird jeder einwenden, dass das Wachsen der Reserven
mit dem Verbrauch nicht ewig weitergehen kann, da die Erde
eine endliche Größe ist; auch wenn die Exploration in immer größere Tiefen vordringt und effektiver wird. Das ist natürlich richtig. Hier müssen wir eine andere Überlegung anstellen. Es gibt
nur eine wirklich unbegrenzte Ressource, die uns zur Verfügung
steht, das ist die menschliche Kreativität; und Rohstoffe sind
Produkte dieser Kreativität, also unseres Kopfes. Als der Steinzeitmensch entdeckte, dass, wenn er vom vulkanischen Glas
Obsidian Gesteinssplitter abschlug, sie sich nicht nur zum Schaben eigneten, sondern durch ihre Schärfe auch hervorragend
zum Schneiden und für Pfeilspitzen zum Jagen, wurde Obsidian
zum wertvollen Rohstoff, der schon über damals riesige Entfer-
Rohstoffsicherung
Der Braunkohle-Tagebau Hambach liegt zwischen Jülich im Kreis Düren und Elsdorf (Erftkreis); die RWE hat hier die größten Bagger der
Welt im Einsatz. Unter dem 85 Quadratkilometer
großen Abbaufeld lagern 2,5 Mrd. Tonnen Braunkohle, die bis zu 450 Meter tief liegen.
Kupfer gehört nach wie vor zu den wertvollen Metallen, auch wenn es in
der Nachrichtentechnik an Bedeutung verloren hat.
nungen von der Insel Milos nach Knossos auf der Insel Kreta
exportiert wurde. Entsprechende Überlegungen lassen sich für
jeden Rohstoff anstellen. Wir brauchen nicht Rohstoffe an sich,
sondern Rohstoffe, die Funktionen erfüllen. Die Leitfähigkeit des
Kupfers für elektrischen Strom nutzte man früher zur Übertragung von Nachrichten mit kupfernen Telefondrähten. Hierfür
kann man heute Glasfaserkabel einsetzen, oder man benutzt zur
Nachrichtenübermittlung Richtfunkantennen oder Satelliten­
telefone. Jeweils gibt es andere Rohstoffanforderungen. Es sind
also Substitutionsprozesse im weitesten Sinne, um generell die
Lösung für eine Funktion zu finden. Früher brauchte man Blei für
100%
Lettern beim Drucken, heute hat man mit der Computertechnik
eine Lösung für die Funktion Drucken ohne Blei gefunden.
Der Grad der Substituierbarkeit ist am höchsten bei den Energierohstoffen. Die Funktionen, für die wir Energierohstoffe einsetzen, sind Wärme, Bewegung und Licht. Gegebenenfalls über
den Weg der Elektrizität kann jeder der fossilen Energieträger
sowie die Kernenergie diese Funktionen erfüllen. Langfristig
müssen diese Funktionen natürlich von erneuerbaren Energien,
sprich von der Energie der Sonne und der Geothermie erfüllt
werden. Wir müssen lernen, die Sonnenenergie direkt zu wirtschaftlich akzeptablen Kosten zu nutzen und nicht nur über den
0%
100%
432%
69%
31%
6%
6%
1%
0,6%
4,3%
9,5%
Importabhängigkeit und
Selbstversorgungsgrad
Deutschlands
28%
44%
47%
48%
72%
Exportmengen im Verhältnis
zum Verbrauch
Selbstversorgungsgrad
Importanteil im Verbrauch
* Anteil der Primärproduktion
an Raffinadeproduktion
Quelle: „Bundesrepublik Deutschland
Rohstoffsituation“ (2009), DERA/BGR
78%
84%
88%
97%
Kalisalz
Schwefel
Gips, Anhydrit
Gesteinskörnung
Steinsalz
Kalk-, Dolomitstein
Braunkohle
Kaolin
Feldspat
Raffinade-Blei*
Bentonit
Raffinade-Aluminium*
Raffinade-Kupfer*
Steinkohle
Baryt
Erdgas
Flußspat
Mineralöl
Speckstein, Talk
Magnesit
Phosphate
Graphit
Metallerze, -konzentrat
19
Rohstoffsicherung
i
Deutschland - ein Rohstoffland
Die Öffentlichkeit nimmt Deutschland kaum als Rohstoffland
wahr, obwohl immer noch circa 80 Prozent der in Deutschland benötigten Rohstoffe in Deutschland produziert werden. Das sind natürlich überwiegend die Massenrohstoffe
der Bauindustrie, aber Deutschland ist immer noch das
größte Braunkohlenförderland der Welt, der viertgrößte
Steinsalz- und Kaliförderer und hierfür auch wichtiges Exportland, ist Exporteur bei Schwefel und Gips und nimmt bei
vielen speziellen Steine- und Erden-Rohstoffen wie Kaolin
oder Bentonit vordere Spitzenplätze ein. Es gibt eine kleine
Erdölförderung (knapp 3 Prozent des Verbrauchs) und eine
bedeutendere Erdgasförderung (11 Prozent des Verbrauchs).
Der Steinkohlenbergbau soll 2018 schließen. Einen Metallerzbergbau gibt es in Deutschland auch nicht mehr. Der tausendjährige Rammelsberg schloss 1988, die beiden letzten
Metallerzgruben Bad Grund und Meggen 1992; der Kupfer-,
Uran- und Zinnbergbau der früheren DDR überlebte die
Wiedervereinigung nicht. Möglicherweise kommt es aber in
Zukunft wieder zu der Eröffnung eines Kupfererzbergwerkes aus dem Kupferschiefer in der Lausitz.
Dieses sind alles Primärrohstoffe aus der Geosphäre. Wir müssen aber auch die Sekundärrohstoffe aus der
Technosphäre berücksichtigen. Die fossilen Energierohstoffe
werden richtig verbraucht, die mineralischen Rohstoffe
werden aber nur benutzt. Sie werden von der Geosphäre in
die Technosphäre überführt und können recyclet werden.
Deutschland nimmt eine Spitzenposition beim Recycling ein.
So betragen die Kupferrezyklingraten gemessen an der Raffinadeproduktion in Deutschland 54 Prozent, in der EU 45
Prozent, in den USA 41 Prozent und weltweit nur 13 Prozent.
Auch beim Blei liegt der Recyclingwert über 50 Prozent,
beim Stahl bei 45 Prozent, beim Aluminium bei 35 Prozent
und bei den schwieriger zu recycelten Stahlveredlern wie
beim Kobalt zwischen 20 und 25 Prozent oder 10 Prozent
beim Molybdän. Nimmt man eine andere Bezugsgröße, nicht
den Gesamteinsatz, sondern bezieht alles auf das anfallende
Sekundärmaterial, so liegt z.B. beim Glasrecycling die Wiederverwertungsquote in Deutschland bei 94 Prozent.
Die Erdölförderung stieg von 1950 von
circa 0,5 Mrd. Tonnen auf heute fast 4
Mrd. Tonnen. Das Verhältnis von Reserven zu Verbrauch stieg im gleichen
Zeitraum von etwa 20 auf 40.
20
Umweg: Photosynthese, Wachstum der terrestrischen und marinen Pflanzen und Umwandlungsprozess in geologischen Zeiträumen zu Kohle, Erdöl und Erdgas.
Um Lösungen für Funktionen zu finden, stehen uns drei Ressourcen zur Verfügung: als wichtigste die menschliche Kreativität, alle primären Ressourcen der Geosphäre und alle sekundäre
Ressourcen der Technosphäre. Für industrialisierte Länder wie
Deutschland gewinnt die letzte immer mehr an Bedeutung. Dies
gilt insbesondere für Metalle. Sie werden gebraucht und nicht
verbraucht, nur überführt von der Geosphäre in die Technosphäre und stehen als sekundäre Ressource zur Verfügung. Kamen
bei der weltweiten Aluminiumverwendung 1960 17 Prozent aus
der Technosphäre, waren es 2009 schon 30 Prozent und für 2020
werden 37 Prozent abgeschätzt.
Solange die Verbräuche wachsen – im Augenblick insbesondere durch den Rohstoffhunger der bevölkerungsreichen Schwellenländer, insbesondere China – wird man immer auf Primärrohstoffe der Geosphäre zurückgreifen müssen, da gar nicht genügend
Sekundärrohstoffe zur Verfügung stehen. Rohstoffverbrauchskurven über die Zeit sind aber sigmoidale Lernkurven: erst ein flacher
Anstieg, dann in der Hauptverbrauchsphase ein steiler Anstieg,
der in einer Verflachungs- oder Sättigungsphase mündet, bevor
eine neue Wachstumskurve, Lernkurve beginnt. In den 1980er und
1990er Jahren zeigte z. B. der Verbrauch von Stahl deutlich eine
derartige Verflachungsphase. Er war nur um knapp 0,9 Prozent
jährlich gestiegen; in der Periode von 1990 bis 1995 waren die Verbrauchsraten sogar negativ. Dagegen stiegen in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends die jährlichen Wachstumsraten auf
das fast Sechsfache, im Wesentlichen bedingt durch China. Wenn
circa 80 Prozent der Menschheit eine derartige Sättigungsphase
der Rohstoffverbräuche erreichen, sollte es möglich sein, überwiegend aus der Technosphäre zu leben.
Wer diese Gedankengänge kritisch nachverfolgt, wird auf eine
Lücke stoßen: es gibt drei Rohstoffe, für welche das Prinzip „Lö-
Rohstoffsicherung
Struktur der deutschen Rohstoffimporte
2009, Anteile am Gesamteinfuhrwert
in Prozent
Quelle: „Bundesrepublik Deutschland
Rohstoffsituation“ (2009), DERA/BGR
Nichtmetalle
Edelmetalle
Sonstige Metalle
0,2%
Stahlveredler
7,3%
2%
3,6%
Eisen & Stahl
3,8%
NE-Metalle
Erdöl
36,9%
11,3%
Import 2009
83,9 Mrd. Euro
1,6%
Sonstige Energierohstoffe
4,6%
Kohle
sung für Funktionen“ nicht gilt. Es
sind die Rohstoffe,
die die Pflanzen
zum Wachsen benötigen:
Kalium,
Stickstoff und Phosphor. Sie sind nicht
Die Deutsche Rohstoff AG will eine Zinksubstituierbar, die
Blei-Lagerstätte im kanadischen Wrigley
Pflanzen brauchen
ausbeuten. Die Ergenbisse der Exploratisie als solche; sie
onsbohrungen sind vielversprechend.
sind zum Wachstum der Pflanzen
genauso notwendig wie Luft und Wasser. Für Kali und Stickstoff
gibt es kein Problem. Stickstoff gibt es unbegrenzt in der Luft, beim
Rohstoff für Kalium, den Kalisalzen, sind die Ressourcen sehr hoch
(das Verhältnis von Reserven zu Verbrauch ist über 300), und es
gibt ein unbegrenztes Potenzial im Meer. Beim Phosphor, bzw. dem
Rohstoff Phosphat, gibt es dagegen keine unbegrenzte Ressource.
Daher wird heute verschiedentlich, auch in der Presse, die Meinung
vertreten, dass die Menschheit auf eine Phosphat- und damit Ernährungskatastrophe zusteuert.
Es gilt, einen ruhigen Kopf zu bewahren. Es wurde oben dargelegt, dass das Verhältnis bekannte Reserven zu Verbrauch
eine Kennziffer ist, die nichts über Reichweiten aussagt. Sie sagt
jedoch etwas darüber aus, wie lange wir Zeit haben, Lösungen
zu finden, unsere Vorlaufzeit. Beim Phosphat ist diese Vorlaufzeit
sehr hoch, fast 370 Jahre. In diesem Zeitraum muss eine Lösung
gefunden werden, Phosphat so im Kreislauf zu führen, dass keine Verluste durch Abfluss ins Meer mehr erfolgen, zum Beispiel
durch verbessertes Recycling und Perfektionierung des „Precision Farming“. Hierbei wird so dosiert gedüngt, dass nur soviel
Dünger ausgebracht wird, wie die Pflanze wirklich benötigt. In
der Vergangenheit sind große Effizienzgewinne erreicht worden;
die meisten Länder weisen einen Rückgang des Düngemitteleinsatzes bei keineswegs einem Rückgang der Ernteerträge auf.
Warum soll dieser Weg der Ressourceneffizienzsteigerung nicht
auch weiterhin begehbar sein?
Folgt man diesen Gedankengängen, so sind die Zukunftsprobleme bei den sogenannten nicht-erneuerbaren Ressourcen lösbar.
Erdgas
28,6%
Viel kritischer sind die erneuerbaren Ressourcen, Nahrungsrohstoffe für eine wachsende Bevölkerung. Sie brauchen Wasser
und Boden. Das Wasserproblem ist noch mit Energie lösbar, jedes Wasser kann aufbereitet werden, auch Salzwasser.
Nur bedingt lösbar mit Energie ist jedoch das Bodenproblem.
Wir verlieren jeden Tag große Mengen von Boden in die Flüsse
und ins Meer. Boden wird nur ganz langsam durch Verwitterung
neu gebildet. Die Bodenressourcen, nicht die nicht-erneuerbaren
Ressourcen, sind das große Zukunftsproblem. Hier sind wir von
einer Lösung noch sehr weit entfernt.
Autor
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult.
Friedrich-W. Wellmer
Präsident a.D. der Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe
Neue Sachlichkeit 32
30655 Hannover
Fon: +49 (0)511 / 614522 oder
(0)511 / 3906479
Fax: +49 (0)511 / 6960843
[email protected]
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Friedrich-Wilhelm Wellmer ist
Präsident a.D. der Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe (BGR) sowie des früheren Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung, heute Teil des
Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie, in Hannover. Er ist Honorarprofessor für Wirtschaftsgeologie und
Rohstoffpolitik der TU Berlin. Für seine Leistungen auf dem
Rohstoffsektor erhielt er u. a. die Ehrendoktorwürden der
TU Bergakademie Freiberg sowie der TU Clausthal und ist
Träger der Georg-Agricola-Gedenkmünze der GDMB Gesellschaft für Bergbau, Metallurgie, Rohstoff- und Umwelttechnik und anderer Auszeichnungen.
21
Herunterladen