Zukunftssicherung Energie- und Ressourcenverbrauch müssen drastisch verringert werden: Eine Formel für nachhaltiges Wachstum Der Klimagipfel im Dezember 2009 ist gescheitert. Die Vorstellung eines CO2-schlanken Wohlstandes ist kaum präsent. Aber es ist möglich, eine Balance zwischen wirtschaftlichen Ansprüchen und ökologischem Imperativ zu formulieren. Doch dazu müssen wir den relativen Energie- und Ressourcenverbrauch um 80 Prozent vermindern. Ein hehres Ziel. Doch dass es möglich ist, zeigen ermunternde Beispiele aus vielen Bereichen der Technik. Aber eines ist klar: Es wird nicht ohne Genügsamkeit gehen. D ie Welt wird sich in diesem Jahrhundert grundlegend verändern, das ist meine feste Überzeugung. Eine wichtige Alternative ist vorgezeichnet: Entweder lernen wir, nachhaltig mit der Erde umzugehen, oder die Natur wird ganz böse zurückschlagen. Wenn es gelänge, die Nutzung von Energie, Wasser und natürlichen Rohstoffen innerhalb einer Generation um einen Faktor Fünf zu verbessern, wären die zentralen Probleme der Menschheit einschließlich des Klimawandels zwar nicht gelöst, aber doch wesentlich entschärft. Dieses ökologische Ziel ist ehrgeizig – und ich meine, dass es erreichbar ist! In der einfachen Formel „Faktor Fünf“ steckt das Konzept einer zukunftssicheren und umweltverträglichen Wirtschaftspolitik. i Faktor Fünf Ernst Ulrich von Weizsäcker und seine Mitautoren Karlson Hargroves und Michael Smith stellen mit „Faktor Fünf“ (Droemer Verlag) ihr Konzept eines zukunftssicheren, umweltschonenden Wirtschaftens vor. Anhand konkreter Beispiele zeigen sie, wie sich unsere Rohstoffe effizienter nutzen lassen und wie sich mit dem Einsatz neuer Technologien Wohlstand und Lebensqualität erhöhen können – in China und Indien genauso wie in Europa und Amerika. Und sie warnen vor den dramatischen Folgen für die Menschheit, wenn kein Umdenken stattfindet. 10 Wie kann es uns gelingen, den Energieverbrauch um 80 Prozent zu reduzieren? Große Hoffnungen an die Politik brauchen wir uns wenig zu machen. Der gescheiterte Klimagipfel von Kopenhagen und auch die Ergebnisse von Durban haben gezeigt, dass die Staaten in einer Pattsituation sind: Die Entwicklungsländer sagen, der Norden sei dran, die USA sagen, sie könnten nicht mitmachen ohne die Entwicklungsländer, und die Europäer sagen, ohne die USA mache der Klimaschutz nicht viel Sinn. Vielleicht kann eine Initiative von Verbrauchern und Unternehmern helfen, das Patt zu überwinden. Zwar erkennen inzwischen auch die USA und China an, dass die Erdatmosphärenerwärmung auf 2 Grad Celsius begrenzt werden sollte. Aber rechtlich verbindlich ist dies nicht. Alle Welt redet von Effizienzsteigerung. Doch die Effizienzgewinne, die es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben hat, sind praktisch alle wieder verfrühstückt worden, durch verstärktes Wachstum und weiteren Konsum, auch bei der Energie. Es gibt genügend Beispiele für diesen sogenannten Rebound-Effekt, den schon William Stanley Jevons 1865 am Beispiel des Kohleverbrauchs dargestellt hat. Auch die Erneuerbaren Energien können als Einladung zu mehr Energieverbrauch wirken, wenn man so tut, als sei jede zusätzliche Windmühle ein Segen für die Umwelt. Schaut man den Rebound-Effekt historisch genauer an, so sieht man, dass er typischerweise aus Zeiten niedriger Energiepreise stammt. Generell sind die Ressourcenpreise seit 200 Jahren mit kurzen Unterbrechungen immer weiter abgesackt. Das ist in der Vorstellungswelt der Deutschen sicher eine unglaubliche Behauptung. Jeder Deutsche und erst recht jeder US-Amerikaner i ist nämlich der Meinung, Ressourcen würden immer teurer. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie sind immer billiger geworden. Auch wenn man jetzt das Ende des Ölzeitalters wahrnimmt, sollten wir nicht von einem Naturgesetz steigender Energiepreise ausgehen. Bilden wir uns nicht ein, dass aufgrund der sogenannten Peak-Oil-Diskussion in den nächsten Jahrzehnten das Öl unendlich teuer wird. Das ist nicht wahr, das ist eine Beschönigung! Denn in dem Moment, in dem sich die Investoren-Community der Welt sicher ist, dass der Rohöl-Preis oberhalb eines bestimmten Levels bleibt, kommt die Fischer-Tropsch-Synthese großtechnisch in Gang, bei der Kohle verflüssigt und in Öl verwandelt wird. Momentan wird das dadurch gebremst, dass man mit „Fracking“ vermutlich noch Jahrzehnte billiges Erdgas fördern kann. Für den Klimaschutz ist leider festzuhalten: Die Kohleverflüssigung ist noch viel schlimmer als die Erdöl- und Erdgas-Verwendung. Trendbook Umwelttechnologien 2012 Schlüsselstrategien zur Verminderung der Treibhausgase: 1. Steigerung der Energieeffizienz 2. Übergang zu klimaneutralen Treibstoffen 3. Rückgewinnung von Wärme und Strom 4. Einsatz von erneuerbaren Energien 5. Systematisches Recycling eingesetzter Metalle und anderer Rohstoffe 6. Produktverbesserungen zur Verlängerung der Lebensdauer 7. Steigerung der Materialeffizienz zur Verringerung des Materialeinsatzes 8. Verminderung von Treibhausgas-Emissionen wie Kohlendioxid und Methan USA 303.034 Russland 86.281 China 80.804 Deutschland 71.792 Großbritannien 54.141 Japan 43.662 Frankreich 27.678 Indien 23.083 Ukraine 23.053 Kanada 22.572 Polen 20.679 Italien 17.010 Rep. Südafrika 12.388 Australien 11.214 100.000 200.000 300.000 Kumulierte CO2-Emission von 1900 bis 2002 in Millionen Tonnen: Für die führenden Industrienationen sieht es düster aus, wenn man die gesamten CO2-Emissionen aus dem Zeitraum aufsummiert. Quelle: World Resources Institute (WIR), Washington DC, aus: „Faktor Fünf“, E. U. v. Weizsäcker, 2010 Um aus dem Dilemma der Energievergeudung herauszukommen, brauchen wir einen „starken Staat“, der ein klimapolitisch begründbares Signal langfristig steigender Energiepreise setzt. Ich stelle mir ein Szenario vor, in welchem ein langfristiger Preiskorridor beschlossen wird, in dem Energie immer etwa um soviel Prozent teurer wird, wie im abgelaufenen Jahr die Effizienz zugenommen hat. Das gegenseitige Hochschaukeln von Effizienz und Preisen würde insgesamt zusätzlichen Wohlstand schaffen, erstens durch die Minderung des in die energieexportierenden Länder abfließenden Geldes, zweitens durch eine beschleunigte Modernisierung und drittens natürlich durch einen starken Beitrag zum Klimaschutz. Die Vorbild-Analogie zu diesem Szenario ist das gegenseitige Hochschaukeln der Arbeitsproduktivität und der Bruttolohnkosten. Dieses „Pingpong“ hat zu einer Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität und zu gigantischen Wohlstandsgewinnen geführt. Der Preispfad wäre zugleich ein sanftes, aber wirksames Signal gegen den überhöhten Rebound-Effekt. Wir würden zivilisatorisch und in der eigenen Familie lernen, mit etwas weniger Verbrauch glücklich zu sein. Das heißt gemeinhin Genügsamkeit. Es kann zu vermindertem Bruttosozialprodukt führen, aber der Nettowohl- stand und die Lebensqualität, wozu auch Gesundheit, kulturelle Befriedigung und ein erfreuliches soziales Umfeld gehören, können dabei durchaus weiter wachsen. Unsere Gesellschaft braucht auch bessere Maßstäbe für das, was wir eigentlich wollen. Wir müssen gleichzeitig einsehen, dass die während der letzten 30 Jahre ikonenhaft verehrten „Märkte“ blind für Klima, und halbblind für Gerechtigkeit und Lebensqualität sind und die Gier und ruchloses Ellenbogenverhalten begünstigen. Und sie haben in jüngster Zeit zu lauter überaus kostenträchtigen Kollapsen und Krisen geführt. Wir brauchen einen starken Staat, der den Märkten Grenzen aufzeigt und Richtungssinn (z. B. in Richtung Klimaschutz) gibt. Wir müssen den aus dem angelsächsischen Ökonomieverständnis kommenden Zeitgeist der Staatsverachtung und Marktüberschätzung überwinden. Vielleicht müssen wir uns dazu mit anderen Kulturen - insbesondere in Asien - verbünden, denen die Langfristigkeit und die öffentlichen Güter wichtiger sind als die Vierteljahresabschlüsse börsennotierter Unternehmen. Autor Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst Ulrich von Weizsäcker P.O.Box 1547 79305 Emmendingen Fon: +49 / (0)7641 / 9542216 www.ernst.weizsaecker.de Ernst Ulrich von Weizsäcker, Träger des Deutschen Umweltpreises 2008, ist ein international renommierter Vordenker einer nachhaltigen Ausrichtung der Wirtschaft. Er war Professor für Biologie an der Universität Essen, Direktor am UNO Zentrum für Wissenschaft und Technologie und Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn und anschließend Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Von 1998 bis 2005 war er Mitglied des Bundestages, von 2006 bis 2008 lehrte er an der University of California. Jetzt leitet er gemeinsam mit Dr. Ashok Khosla das International Resource Panel des UNO-Umweltprogramms und lebt in Emmendingen im Breisgau. 11 Klimawandel Der globale Klimawandel ruft nach Konsequenzen – nicht nach weiteren Experimenten: Die Zeit drängt Der globale Klimawandel ist in vollem Gang. Die Erde erwärmt sich infolge des Ausstoßes gewaltiger Mengen Treibhausgase durch den Menschen, allen voran Kohlendioxid (CO2). Wir stehen zwar erst am Anfang der globalen Klimaänderung. Dennoch sind die Auswirkungen der Erderwärmung von nicht einmal einem Grad Celsius unübersehbar: Die arktische Eisbedeckung hat sich während der letzten 30 Jahre um knapp ein Drittel verringert, die Gletscher aller Breitenzonen ziehen sich zurück, und der Meeresspiegel steigt. Eine Bestandsaufnahme. Das Infrarotbild der Erde zeigt die Temperaturverhältnisse in der oberen Troposphäre: je heller, desto kälter. Durch den menschgemachten (anthropogenen) Treibhauseffekt sind die Temperaturverhältnisse der Troposphäre und der Stratosphäre weltweit aus dem Ruder gelaufen. 12 Klimawandel Die Gletscher sind weltweit auf dem Rückzug – einer der deutlichsten Hinweise auf den Klimawandel. I N ach Meinung vieler Wissenschaftler dürfte sich die Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts um nicht mehr als 2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmen, um das Risiko von Kippeffekten so gering wie möglich zu halten. Der weltweite Treibhausgasausstoß müsste sich zur Erreichung des „2 Grad Celsius-Ziels“ bis zur Mitte des Jahrhunderts halbieren und bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 80 Prozent verringern. Allerdings ist der weltweite, energiebedingte CO2-Ausstoß, der mit etwa 90 Prozent weitaus größte Anteil der Kohlendioxidemissionen, seit 1990 um gut 40 Prozent und allein seit 2000 um etwa 30 Prozent gestiegen. Die Zeit drängt also. Wir sollten die notwendige Reduktion des Treibhausgasausstoßes mit einer nachhaltigen Strategie zur künftigen Energiegewinnung verknüpfen. Regenerative Energiequellen wie die Sonnen- und Windkraft oder die Erdwärme stehen uns praktisch unbegrenzt zur Verfügung, und die Techniken zu ihrer Nutzung existieren bereits, wenngleich sie sicherlich verbesserungswürdig sind. Die Katastrophe von Fukushima hat uns die Dringlichkeit des Umbaus der weltweiten Energiesysteme auf tragische Weise erneut vor Augen geführt. Wir Menschen stehen vor gewaltigen wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Herausforderungen. Ein wichtiges Element bei deren Lösung ist eine nachhaltige Energieversorgung, die allen Menschen Zugang zu bezahlbarer und sicherer Energie garantiert, ohne den Planeten über Gebühr zu strapazieren. Nur dadurch können wir eine weltwirtschaftliche Ordnung schaffen, die allen Menschen Wohlstand ermöglicht, viele der großen Umweltprobleme in den Griff bekommen, größere politische Spannungen vermeiden und kulturelle Werte erhalten. Im globalen Maßstab basiert die gegenwärtige Energiegewinnung hauptsächlich auf der Verbrennung der fossilen Brennstoffe. Diese Art der Energiegewinnung stößt an ihre Grenzen. Und das nicht nur wegen des Klimaproblems. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko 2010 hat uns daran eindringlich erinnert: Es wird gefährlicher, die verbleibenden Ölreserven zu fördern. Zudem sind sie ohnehin begrenzt – und der Zeitpunkt des „Peak Oil“, des Fördermaximums, wird nach Meinung der meisten Energieagenturen höchstwahrscheinlich in den kommenden 20 Jahren erreicht. Während die Erdölproduktion danach zwar abnimmt, wird der Bedarf weiter stetig steigen, vor allem in Ländern wie China und Indien. Dies wird dazu führen, dass die Nachfrage das Angebot weit übersteigt und die Preise in unge- ahnte Höhen klettern könnten. Als Folge würde vermehrt Kohle zum Einsatz kommen, der Klimakiller Nummer 1. Die Lösung des Klimaproblems würde dadurch unmöglich. In letzter Zeit ist eine verstärkte Diskussion über die sogenannten Ingenieurlösungen (engl.: Geo-Engineering) zu beobachten, in der Politik, in der Wirtschaft und in den Medien. Die Idee dahinter ist ein „Weitermachen so wie bisher“ und die Anwendung technischer Maßnahmen, um beispielsweise das Kohlendioxid bei der Verbrennung der fossilen Brennstoffe abzuscheiden und später „sicher“ zu lagern (CCS: engl.: „Carbon Capture and Storage“) oder es mittels Eisendüngung der Weltmeere aus der Atmosphäre zu entfernen. Ein anderer Vorschlag zielt darauf, riesige Mengen von Schwefel in die Atmosphäre einzubringen, um die Sonnenstrahlung zu behindern und damit der Globalen Erwärmung entgegen zu wirken. Technische Lösungen scheinen wirtschaftlich attraktiv zu sein, weil sie in den kommenden Jahrzehnten keinen fundamentalen Strukturwandel der weltweiten Energiewirtschaft erfordern. Was aber ist von solchen Vorschlägen zu halten? Beginnen wir mit CCS. Das CO2 soll im Kraftwerk aufgefangen, abtransportiert und zum Beispiel in einem unterirdischen Speicher gelagert werden – und das dauerhaft. Verfügbar ist die Technik, mit der Kohlenkraftwerke „klimaneutral“ werden sollen, allerdings noch nicht. Derzeit laufen nur verschiedene Versuche mit Kleinanlagen. Und die Frage nach der Sicherheit der CO2-Lagerstätten ist keineswegs abschließend geklärt. Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Technik allerfrühestens 2020 großflächig eingesetzt werden kann, wenn überhaupt. Allerdings dürften sich durch CCS die Stromerzeugungskosten in Kohlekraftwerken fast verdoppeln. Daneben bedarf i Der Treibhauseffekt Ohne den sogenannten Treibhauseffekt würden auf der Erde überall arktische Temperaturen von durchschnittlich -18 Grad Celsius herrschen. Die wichtigsten Treibhausgase, allen voran Wasserdampf und Kohlendioxid, lassen die kurzwellige Sonnenstrahlung fast ungehindert passieren, stellen aber für die vom Erdboden zum All hin abgestrahlte langwellige Strahlung einen wirksamen Filter dar, der die langwellige Strahlung absorbiert und zur Aufheizung des Klimas beiträgt. Durch Emission von CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger, aber auch durch die Emission von Methan (CH4) aus Viehzucht, Reisanbau und Müllfäulnis ist das klimatische Gleichgewicht gestört – die Atmosphäre heizt sich immer stärker auf: Die Temperaturen steigen weltweit, die Extremereignisse nehmen zu und die Niederschlagsverhältnisse ändern sich. 13 Klimawandel Aufgrund der fortwährenden Hängepartie um das deutsche CCS-Gesetz sieht sich Vattenfall gezwungen, seine Planungen für das CCS-Demonstrationsprojekt Jänschwalde einzustellen. Dennoch soll der Testbetrieb in der CCS-Pilotanlage in Schwarze Pumpe fortgesetzt werden. es eines hohen Energieaufwands für das Auffangen des Kohlendioxids. Dies würde ihre Effizienz erheblich senken. Und schließlich stellt sich die Frage der öffentlichen Akzeptanz. Die jüngsten Proteste in Norddeutschland und der schnelle Rückzug der Landesregierung Schleswig-Holsteins sprechen Bände. Nachhaltig ist CCS nicht, solange wir nicht wissen, ob die Technik wirklich jemals sicher funktionieren wird. Wenn wir heute auf CCS setzen, nehmen wir eine Hypothek auf die Zukunft auf, von der wir nicht wissen, ob wir sie jemals zurückzahlen können. Kommen wir zur Eisendüngung der Weltmeere. Die Ozeane spielen im globalen Klimageschehen als Kohlenstoffspeicher eine wichtige Rolle. In vielen nährstoffreichen, aber wenig produktiven Regionen der Meere, insbesondere im Südlichen Ozean, scheint der Mangel an Eisen tatsächlich das Algenwachstum zu begrenzen. Daher vermuten einige Forscher, durch künstliche Düngung mit Eisen das Wachstum in diesen Regionen ankurbeln zu können und damit die i Die Fieberkurve der Erde (aus dem aktuellen IPCC-Bericht 2007) „Instrumentelle Beobachtungen über die letzten 160 Jahre zeigen, dass die Oberflächentemperaturen weltweit angestiegen sind, mit bedeutenden regionalen Unterschieden. Im weltweiten Durchschnitt fand diese Erwärmung im letzten Jahrhundert in zwei Phasen statt: zwischen den 1910er und 1940er Jahren (0,35 Grad Celsius) und, stärker ausgeprägt, seit den 1970er Jahren bis heute (0,55 Grad Celsius). Die Erwärmung ist in den letzten 25 Jahren immer schneller geworden und 11 der 12 wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen sind in den letzten 12 Jahren aufgetreten.“ „Die globale Erwärmung wird durch die Erwärmung der Ozeane, steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher, Rückzug des Meereises in der Arktis und eine abnehmende Schneedecke auf der Nordhalbkugel bestätigt.“ 14 Aufnahme des Kohlendioxids. In der Folge soll der von den Algen eingebaute Kohlenstoff nach deren Absterben auf den Meeresboden sinken und dort dauerhaft verbleiben. Die tatsächliche Wirksamkeit dieser künstlichen CO2-Pumpe ist allerdings in der Wissenschaft sehr umstritten. In der Tat gibt es heute keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die Eisendüngung effizient Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen vermag. Daneben stellen sich Fragen im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit. Aus diesen Gründen ist auch die Eisendüngung bisher bestenfalls als eine Hypothese zu betrachten. Ein einsatzfähiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel ist sie auf absehbare Zeit nicht. Wie sieht es nun mit der Einbringung von Schwefelsubstanzen in die Atmosphäre aus? Die Grundidee ist einfach. Sie ist von Vulkanausbrüchen bekannt, die große Mengen an Schwefelverbindungen in hohe Atmosphärenschichten schleudern, dadurch die Sonnenstrahlung schwächen und für einige Jahre den Planeten kühlen. Der Meteorologen messen weltweit Veränderungen der physikalischen Parameter – hier die Messung der Sonnenscheindauer mit einem Heliografen. Klimawandel Deutschlands höchste Wetterstation befindet sich auf der Zugspitze (2962 m); seit über 100 Jahren werden hier Atmosphärendaten gesammelt – auch solche, die den Temperaturanstieg in der Troposphäre der letzten Jahrzehnte dokumentieren. Es existiert heute keine umweltverträgliche technische Lösung, mit der man die globale Erwärmung eindämmen könnte; es gilt, die nahezu unerschöpfliche Energie der Sonne intelligent und nachhaltig zu nutzen. Vorschlag: Es werden massenhaft feinste Schwefelteilchen in hohe Luftschichten zwischen 10 und 50 Kilometern Höhe ausgebracht. Die Risiken und unüberschaubaren Folgewirkungen einer künstlichen Schwefelausbringung sind jedoch immens. Nach einer Verweildauer von knapp zwei Jahren in den hohen Luftschichten sinken die Schwefelpartikel zum Erdboden. Saurer Regen und Waldsterben wären die Folge. Eine beschleunigte Zerstörung der Ozonschicht ist ebenfalls naheliegend. Außerdem müsste man mit den Schwefelinjektionen über viele Generationen hinweg fortfahren, sonst käme es zu einer plötzlichen, massiven Erderwärmung. Sehr kostspielig wäre die Technik auch: Sie würde vermutlich viele Milliarden Euro pro Jahr verschlingen. Insofern kann die Schwefellösung nur für den äußersten Notfall in Betracht gezogen werden, sie kommt nur als „Ultima Ratio“ in Frage. Was lernen wir aus den drei Beispielen? Erstens, es existiert heute keine umweltverträgliche technische Lösung, mit der man die globale Erwärmung eindämmen könnte. Die Anwendbarkeit für CCS steht frühestens 2020 ins Haus, wobei es keinerlei Erfolgsgarantie gibt. Wir pokern demnach bei CCS mit unserer Zukunft. Das gleiche gilt für die Eisendüngung. Die bisherige Forschung liefert sogar eher Zweifel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Zweitens, alle vorgeschlagenen Lösungen sind möglicherweise mit nicht akzeptablen Umweltrisiken verbunden. Solange diese nicht zweifelsfrei ausgeräumt sind, dürfen wir die entsprechenden Techniken nicht als ernsthafte Optionen ansehen. Drittens, wir müssten einen riesigen finanziellen Aufwand leisten, um die technischen Lösungen zu realisieren. Viertens, dieses Geld wäre sicherlich besser in die weitere Entwicklung und Implementierung der regenerativen Energien investiert. Nur diese sind sicher und garantieren langfristig den Zugang zu Energie für alle Menschen, ohne die Umwelt über Gebühr zu belasten. Wir haben beim Klimaschutz keine Zeit mehr zu verlieren und sollten uns daher nicht auf unsichere Pfade begeben. Die einfachste und in jeder Hinsicht beste Lösung des Klimaproblems bieten also die regenerativen Energien. Und sie sind auch ökonomisch vernünftig. Wir Deutschen sollten an dem jetzt eingeschlagenen Weg ohne die Atomkraft und mit einem schnellen Ausbau der regenerativen Energien festhalten. Viele Länder blicken heute auf Deutschland. Wir müssen es schaffen, gleichzeitig aus der Atomkraft auszusteigen und trotzdem unsere couragierten Klimaschutzziele zu erfüllen. Das hätte eine Signalwirkung für viele andere Länder, die man nicht hoch genug bewerten kann. Die nächste industrielle Revolution steht an. Die erneuerbaren Energien wie auch die Kommunikationstechnologie werden dabei eine herausragende Rolle spielen. Deutschland sollte den Weg in dieses neue Zeitalter weisen. Autor Prof. Dr. Mojib Latif Leiter Forschungsbereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel Düsternbrooker Weg 20 24105 Kiel Fon: 0431 / 600-4050 Fax: 0431 / 600-4052 [email protected] www.geomar.de/~mlatif Mojib Latif studierte Meteorologie und promovierte im Fach Ozeanographie. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Derzeit ist er Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen u. a. der Amerikanischen Meteorologischen Gesellschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und weiterer Organisationen. Er war Mit-Autor der IPCC-Berichte 2001 und 2007 (IPCC: engl.: „Intergovernmental Panel on Climate Change“) und ist einer der renommiertesten deutschen Meteorologen und Klimaforscher. 15 Rohstoffsicherung Mit sogenannten Roadtrains transportiert eine Tochtergesellschaft der Deutschen Rohstoff AG im australischen Georgetown goldhaltiges Erz zur Aufbereitung und Goldgewinnung. Praktisch alle Rohstoffe auf der Erde sind endlich: Wie lange geht’s noch? Deutschland ist ein Rohstoffland. Etwa 80 Prozent der bei uns benötigten Rohstoffe werden auch hier produziert. Aber heute zählen neben den ungeheuren Energiemengen, die auch wir nicht haben, weniger die Massenrohstoffe als die mineralischen Schlüsselmetalle, ohne die keine hoch technisierte Industrie wirtschaften kann. Wir sind zwar Spitze beim Recycling, aber die weltweite Nachfrage nach Primärrohstoffen steigt weiter. Wie lange das noch so funktionieren kann – darüber sind sich die Experten uneins. D as Bewusstsein von oder sogar die Angst vor Rohstoffknappheit ist vermutlich schon zu jener frühen Zeit entstanden, als der Mensch begann, nicht-erneuerbare Rohstoffe zu nutzen. Als der frühe Steinzeitmensch Feuerstein im mittelenglischen Kreidegebiet nutzte, um daraus Schaber, scharfe Klingen oder Pfeilspitzen herzustellen, als er feststellte, dass Fundstellen ihre Ergiebigkeit verloren und er sich andere suchen musste, ist ihm vermutlich schon der Gedanke gekommen, dass er es mit einem ganz anderen Rohstoff zu tun hat als mit dem nachwachsenden Holz. Im Mittelalter war der Wünschelrutengänger, der neue Erzgänge fand, die ausgeerzte ersetzen konnten, ein geachteter Mann. Um 1865 warnte der englische Ökonom William Stanley Jevons vor einer Erschöpfung der Kohlevorräte im Jahr 1980. Heute ist Kohle der Energierohstoff mit der größten Vorlaufzeit. Der Bericht an den Club of Rome im 16 Jahre 1972 sagte Rohstofferschöpfungen zum Teil noch im letzten Jahrtausend voraus – eingetreten sind sie bisher noch nicht. Wir müssen uns daher fragen: Liegt es nur an einem grundlegend pessimistischen Zug der Menschen hinsichtlich der Rohstoffe, einer nicht-erneuerbaren Ressource, dass die negativen Prognosen von der realen Entwicklung überholt werden, oder gibt es andere Fehler, die der normale Mensch bei Betrachtungen über Rohstoffreichweiten macht? Eine Grundüberlegung ist richtig: Wenn eine Lagerstätte 20 Millionen Tonnen Vorräte hat und man abbaut jedes Jahr eine Million Tonnen, dann ist die Lebensdauer eines Bergwerkes auf der Lagerstätte 20 Jahre. Hier beginnt nun der Fehler. Viele Menschen meinen, man fragt einfach die besten Experten der Welt nach den Reserven für die einzelnen Rohstoffe, zum Beispiel die Experten der Deutschen Rohstoffagentur in Hannover oder des Rohstoffsicherung i Welche Rohstoffe benötigen wir? US-amerikanischen geologischen Dienstes, teilt diese Zahlen dann durch die Verbräuche und erhält so die Reichweiten. Was ist der Fehler? Es gibt auf der ganzen Welt keine Institution, die die Rohstoffpotenziale der Erde wirklich kennt. Bekannt und quantifiziert werden Teile der in der Erde insgesamt vorhandenen Geopotenziale durch die Explorationsarbeiten der Bergbau- oder Erdöl- und Erdgasfirmen, die in Gewinnungsanlagen investieren wollen und für ihre Planungen Investitionssicherheit brauchen. Diese müssen wissen, wie groß die Lagerstätten sind, die man in Betrieb nehmen will, beziehungsweise wie lange die Vorräte für die Abbauplanung reichen. Sie wollen Reserven nachweisen, die sie möglichst sofort in Betrieb nehmen können, um die Explorationskosten, risikoreiche Vorkosten, möglichst schnell wieder hereinzubekommen. Diese aktiven Firmen haben keinerlei Interesse daran, Reserven nachzuweisen, die man erst in 100 oder 200 Jahren abbauen kann. Daraus folgt, dass die jeweils bekannten Reserven immer nur eine Momentaufnahme in einem sich dynamisch entwickelnden System sind. Denn alle Rohstofffirmen führen mit dem Abbau kontinuierlich weitere Explorationsarbeiten durch. Sie wollen abgebaute Reserven ersetzen oder möglichst noch erhöhen, da sie im Geschäft bleiben oder sogar wachsen wollen. Somit ist der Effekt zu beobachten, dass die Rohstoffvorräte mit der Gewinnung wachsen und trotz steigender Förderung das Verhältnis von bekannten Reserven zum Verbrauch in etwa gleich bleibt oder sogar wächst. Die Erdölförderung stieg von 1950 von circa 0,5 Milliarden Tonnen auf heute fast 4 Milliarden Tonnen. Das Verhältnis von Reserven zu Verbrauch stieg im gleichen Zeitraum von etwa 20 auf 40. Bei Zink schwankt dieses Verhältnis von Reserven zu (Primär-)Verbrauch immer zwischen 20 und 25, obwohl der Verbrauch von damals 2,2 Millionen Tonnen auf heute 12 Millionen Tonnen gestiegen ist. Schlussfolgerung: Die Menschheit benötigt insgesamt zwischen 35 und 45 Milliarden Tonnen (Mrd. t) Rohstoffe pro Jahr. Die Unsicherheit liegt bei den Steine- und Erden-Rohstoffen, den Massenrohstoffen für die Bauindustrie. Halbwegs verlässliche Statistiken gibt es nur für die Industrieländer, aber kaum etwas Brauchbares für die bevölkerungsreichen Entwicklungsländer wie China und Indien. Man ist für die größte Rohstoffmenge auf grobe Schätzungen angewiesen. Man kann den Verbrauch in einer Mengenpyramide darstellen, deren Basis die Massenrohstoffe Sand und Kies, Splitte etc. in der Größenordnung von 1010 Tonnen bilden. International belastbare Statistiken beginnen erst mit dann folgenden Energie­rohstoffen (Zahlen für 2009): Kohle (6,006 Mrd. t), Erdöl (3,809 Mrd. t), Erdgas (3.041 Mrd. m³) Braunkohle (988 Millionen t). Gehen wir von der Pyramidenbasis weiter zur Spitze, so folgt nach den Energierohstoffen der mit Abstand wichtigste Metallrohstoff Eisenerz mit 2,241 Mrd. t. Ansonsten wird die untere Hälfte der Mengenpyramide von Nichtmetallrohstoffen dominiert wie Steinsalz, Kalisalz, Phosphat. Metalle nehmen erst zur Spitze zu. Wir verbrauchen überhaupt nur neun Metalle in Mengen größer als 1 Millionen t: Eisen, Aluminium, Kupfer, Mangan, Zink, Chrom, Blei, Titan und seit 1999 Nickel. Von den 94 in der Natur vorkommenden Elementen verbrauchen oder nutzen wir in signifikanten Mengen nur etwa die Hälfte. Die meisten Elemente im Periodensystem sind Metalle oder Metalloide. Von wirtschaftlicher Bedeutung sind viele aber in Verbindungen als Nichtmetalle: Als Beispiele nehmen wir Natrium, Kalium und Calcium. Als Metalle sind sie unbedeutend, bedeutend jedoch als Nichtmetalle: Steinsalz (NaCl), Kalisalz (KCl oder KCl·MgCl2·6H2O) und Kalk (CaCO3). Silizium wird als Metalloid in der Elektronikindustrie in relativ geringen Mengen eingesetzt, die Hauptverwendung ist Silizium ist jedoch als Nichtmetallrohstoff Quarz (SiO2) in der Bauindustrie als Sand und Kies. Die Spitze der Mengenpyramide bilden dann die Edelmetalle und die sogenannten elektronischen Elemente wie Indium, Germanium, Gallium, die wir in kleinen Mengen von 1000 t oder gar nur 100 t benötigen. Sie sind kritische Rohstoffe für die Messund Regeltechnik. Man kann sagen, die Rohstoffe an der Spitze der Rohstoffpyramide sind die kritischen Rohstoffe, mit denen wir unter nur geringem Mengeneinsatz den effizienten Einsatz der großen Mengen der Energierohstoffe an der Basis der Pyramide optimieren können. 17 Rohstoffsicherung i Rohstoffe im Handgepäck Der Rohstoffverbrauch eines durchschnittlichen Deutschen kann etwas griffiger werden, indem man ihn in Verbrauch pro Tag umrechnet. Es sind circa 40 kg/Tag, jeder von uns verbraucht pro Tag so viele Rohstoffe wie das Gewicht von zwei Koffern, die man als Passagier mit seinem Partner in ein Flugzeug mitnehmen darf. Die weltweit verbrauchten Energiemengen kann man auch in eine handliche Größe umrechnen: Die verbrauchten Mengen an Erdöl, Erdgas, Stein- und Braunkohle kann man umrechnen in eine einzige Energieeinheit. Wir nehmen Tonnen Erdöläquivalent, abgekürzt mit toe. Die Summe sind dann etwa 10 Mrd. toe, eine unvorstellbar große Menge. Um sie verständlicher zu machen, überlegen wir uns, wie lang ein Güterzug der Deutschen Bahn AG sein müsste, um den täglichen Verbrauch an Tonnen Erdöläquivalenten zu transportieren. Ein Tankwagen der DB hat eine Länge von 15 m und fasst 60 t. Ein derartiger Güterzug für den täglichen Energieverbrauch der Menschheit würde von Berlin über den Atlantik bis jenseits von New York reichen. Öl aus Ölsand wird in Kanada für Treibstoffe und als Einsatzmaterial für erdölbasierte Produkte verwendet. Aus dem im traditionellen Tagebau gewonnenen Ölsand wird das Öl mit Hilfe von warmem Wasser extrahiert. 18 Das Verhältnis von derzeit bekannten Reserven zum Verbrauch, oft fälschlicherweise als Reichweite der Reserven bezeichnet, ist eine völlig ungeeignete Kennziffer für die Lebensdauer; es ist eine von vielen Faktoren beeinflusste rohstoffspezifische Kennziffer, die bei Rohstoffen mit linsigen Vorkommen wie Kupfer, Blei oder Zink zwischen 20 und 50 schwankt; bei Rohstoffen mit flächigen, langaushaltenden Lagerstätten wie Kohle, Kali oder Eisenerz aber Werte von 100 bis 300 hat. Nun wird jeder einwenden, dass das Wachsen der Reserven mit dem Verbrauch nicht ewig weitergehen kann, da die Erde eine endliche Größe ist; auch wenn die Exploration in immer größere Tiefen vordringt und effektiver wird. Das ist natürlich richtig. Hier müssen wir eine andere Überlegung anstellen. Es gibt nur eine wirklich unbegrenzte Ressource, die uns zur Verfügung steht, das ist die menschliche Kreativität; und Rohstoffe sind Produkte dieser Kreativität, also unseres Kopfes. Als der Steinzeitmensch entdeckte, dass, wenn er vom vulkanischen Glas Obsidian Gesteinssplitter abschlug, sie sich nicht nur zum Schaben eigneten, sondern durch ihre Schärfe auch hervorragend zum Schneiden und für Pfeilspitzen zum Jagen, wurde Obsidian zum wertvollen Rohstoff, der schon über damals riesige Entfer- Rohstoffsicherung Der Braunkohle-Tagebau Hambach liegt zwischen Jülich im Kreis Düren und Elsdorf (Erftkreis); die RWE hat hier die größten Bagger der Welt im Einsatz. Unter dem 85 Quadratkilometer großen Abbaufeld lagern 2,5 Mrd. Tonnen Braunkohle, die bis zu 450 Meter tief liegen. Kupfer gehört nach wie vor zu den wertvollen Metallen, auch wenn es in der Nachrichtentechnik an Bedeutung verloren hat. nungen von der Insel Milos nach Knossos auf der Insel Kreta exportiert wurde. Entsprechende Überlegungen lassen sich für jeden Rohstoff anstellen. Wir brauchen nicht Rohstoffe an sich, sondern Rohstoffe, die Funktionen erfüllen. Die Leitfähigkeit des Kupfers für elektrischen Strom nutzte man früher zur Übertragung von Nachrichten mit kupfernen Telefondrähten. Hierfür kann man heute Glasfaserkabel einsetzen, oder man benutzt zur Nachrichtenübermittlung Richtfunkantennen oder Satelliten­ telefone. Jeweils gibt es andere Rohstoffanforderungen. Es sind also Substitutionsprozesse im weitesten Sinne, um generell die Lösung für eine Funktion zu finden. Früher brauchte man Blei für 100% Lettern beim Drucken, heute hat man mit der Computertechnik eine Lösung für die Funktion Drucken ohne Blei gefunden. Der Grad der Substituierbarkeit ist am höchsten bei den Energierohstoffen. Die Funktionen, für die wir Energierohstoffe einsetzen, sind Wärme, Bewegung und Licht. Gegebenenfalls über den Weg der Elektrizität kann jeder der fossilen Energieträger sowie die Kernenergie diese Funktionen erfüllen. Langfristig müssen diese Funktionen natürlich von erneuerbaren Energien, sprich von der Energie der Sonne und der Geothermie erfüllt werden. Wir müssen lernen, die Sonnenenergie direkt zu wirtschaftlich akzeptablen Kosten zu nutzen und nicht nur über den 0% 100% 432% 69% 31% 6% 6% 1% 0,6% 4,3% 9,5% Importabhängigkeit und Selbstversorgungsgrad Deutschlands 28% 44% 47% 48% 72% Exportmengen im Verhältnis zum Verbrauch Selbstversorgungsgrad Importanteil im Verbrauch * Anteil der Primärproduktion an Raffinadeproduktion Quelle: „Bundesrepublik Deutschland Rohstoffsituation“ (2009), DERA/BGR 78% 84% 88% 97% Kalisalz Schwefel Gips, Anhydrit Gesteinskörnung Steinsalz Kalk-, Dolomitstein Braunkohle Kaolin Feldspat Raffinade-Blei* Bentonit Raffinade-Aluminium* Raffinade-Kupfer* Steinkohle Baryt Erdgas Flußspat Mineralöl Speckstein, Talk Magnesit Phosphate Graphit Metallerze, -konzentrat 19 Rohstoffsicherung i Deutschland - ein Rohstoffland Die Öffentlichkeit nimmt Deutschland kaum als Rohstoffland wahr, obwohl immer noch circa 80 Prozent der in Deutschland benötigten Rohstoffe in Deutschland produziert werden. Das sind natürlich überwiegend die Massenrohstoffe der Bauindustrie, aber Deutschland ist immer noch das größte Braunkohlenförderland der Welt, der viertgrößte Steinsalz- und Kaliförderer und hierfür auch wichtiges Exportland, ist Exporteur bei Schwefel und Gips und nimmt bei vielen speziellen Steine- und Erden-Rohstoffen wie Kaolin oder Bentonit vordere Spitzenplätze ein. Es gibt eine kleine Erdölförderung (knapp 3 Prozent des Verbrauchs) und eine bedeutendere Erdgasförderung (11 Prozent des Verbrauchs). Der Steinkohlenbergbau soll 2018 schließen. Einen Metallerzbergbau gibt es in Deutschland auch nicht mehr. Der tausendjährige Rammelsberg schloss 1988, die beiden letzten Metallerzgruben Bad Grund und Meggen 1992; der Kupfer-, Uran- und Zinnbergbau der früheren DDR überlebte die Wiedervereinigung nicht. Möglicherweise kommt es aber in Zukunft wieder zu der Eröffnung eines Kupfererzbergwerkes aus dem Kupferschiefer in der Lausitz. Dieses sind alles Primärrohstoffe aus der Geosphäre. Wir müssen aber auch die Sekundärrohstoffe aus der Technosphäre berücksichtigen. Die fossilen Energierohstoffe werden richtig verbraucht, die mineralischen Rohstoffe werden aber nur benutzt. Sie werden von der Geosphäre in die Technosphäre überführt und können recyclet werden. Deutschland nimmt eine Spitzenposition beim Recycling ein. So betragen die Kupferrezyklingraten gemessen an der Raffinadeproduktion in Deutschland 54 Prozent, in der EU 45 Prozent, in den USA 41 Prozent und weltweit nur 13 Prozent. Auch beim Blei liegt der Recyclingwert über 50 Prozent, beim Stahl bei 45 Prozent, beim Aluminium bei 35 Prozent und bei den schwieriger zu recycelten Stahlveredlern wie beim Kobalt zwischen 20 und 25 Prozent oder 10 Prozent beim Molybdän. Nimmt man eine andere Bezugsgröße, nicht den Gesamteinsatz, sondern bezieht alles auf das anfallende Sekundärmaterial, so liegt z.B. beim Glasrecycling die Wiederverwertungsquote in Deutschland bei 94 Prozent. Die Erdölförderung stieg von 1950 von circa 0,5 Mrd. Tonnen auf heute fast 4 Mrd. Tonnen. Das Verhältnis von Reserven zu Verbrauch stieg im gleichen Zeitraum von etwa 20 auf 40. 20 Umweg: Photosynthese, Wachstum der terrestrischen und marinen Pflanzen und Umwandlungsprozess in geologischen Zeiträumen zu Kohle, Erdöl und Erdgas. Um Lösungen für Funktionen zu finden, stehen uns drei Ressourcen zur Verfügung: als wichtigste die menschliche Kreativität, alle primären Ressourcen der Geosphäre und alle sekundäre Ressourcen der Technosphäre. Für industrialisierte Länder wie Deutschland gewinnt die letzte immer mehr an Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Metalle. Sie werden gebraucht und nicht verbraucht, nur überführt von der Geosphäre in die Technosphäre und stehen als sekundäre Ressource zur Verfügung. Kamen bei der weltweiten Aluminiumverwendung 1960 17 Prozent aus der Technosphäre, waren es 2009 schon 30 Prozent und für 2020 werden 37 Prozent abgeschätzt. Solange die Verbräuche wachsen – im Augenblick insbesondere durch den Rohstoffhunger der bevölkerungsreichen Schwellenländer, insbesondere China – wird man immer auf Primärrohstoffe der Geosphäre zurückgreifen müssen, da gar nicht genügend Sekundärrohstoffe zur Verfügung stehen. Rohstoffverbrauchskurven über die Zeit sind aber sigmoidale Lernkurven: erst ein flacher Anstieg, dann in der Hauptverbrauchsphase ein steiler Anstieg, der in einer Verflachungs- oder Sättigungsphase mündet, bevor eine neue Wachstumskurve, Lernkurve beginnt. In den 1980er und 1990er Jahren zeigte z. B. der Verbrauch von Stahl deutlich eine derartige Verflachungsphase. Er war nur um knapp 0,9 Prozent jährlich gestiegen; in der Periode von 1990 bis 1995 waren die Verbrauchsraten sogar negativ. Dagegen stiegen in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends die jährlichen Wachstumsraten auf das fast Sechsfache, im Wesentlichen bedingt durch China. Wenn circa 80 Prozent der Menschheit eine derartige Sättigungsphase der Rohstoffverbräuche erreichen, sollte es möglich sein, überwiegend aus der Technosphäre zu leben. Wer diese Gedankengänge kritisch nachverfolgt, wird auf eine Lücke stoßen: es gibt drei Rohstoffe, für welche das Prinzip „Lö- Rohstoffsicherung Struktur der deutschen Rohstoffimporte 2009, Anteile am Gesamteinfuhrwert in Prozent Quelle: „Bundesrepublik Deutschland Rohstoffsituation“ (2009), DERA/BGR Nichtmetalle Edelmetalle Sonstige Metalle 0,2% Stahlveredler 7,3% 2% 3,6% Eisen & Stahl 3,8% NE-Metalle Erdöl 36,9% 11,3% Import 2009 83,9 Mrd. Euro 1,6% Sonstige Energierohstoffe 4,6% Kohle sung für Funktionen“ nicht gilt. Es sind die Rohstoffe, die die Pflanzen zum Wachsen benötigen: Kalium, Stickstoff und Phosphor. Sie sind nicht Die Deutsche Rohstoff AG will eine Zinksubstituierbar, die Blei-Lagerstätte im kanadischen Wrigley Pflanzen brauchen ausbeuten. Die Ergenbisse der Exploratisie als solche; sie onsbohrungen sind vielversprechend. sind zum Wachstum der Pflanzen genauso notwendig wie Luft und Wasser. Für Kali und Stickstoff gibt es kein Problem. Stickstoff gibt es unbegrenzt in der Luft, beim Rohstoff für Kalium, den Kalisalzen, sind die Ressourcen sehr hoch (das Verhältnis von Reserven zu Verbrauch ist über 300), und es gibt ein unbegrenztes Potenzial im Meer. Beim Phosphor, bzw. dem Rohstoff Phosphat, gibt es dagegen keine unbegrenzte Ressource. Daher wird heute verschiedentlich, auch in der Presse, die Meinung vertreten, dass die Menschheit auf eine Phosphat- und damit Ernährungskatastrophe zusteuert. Es gilt, einen ruhigen Kopf zu bewahren. Es wurde oben dargelegt, dass das Verhältnis bekannte Reserven zu Verbrauch eine Kennziffer ist, die nichts über Reichweiten aussagt. Sie sagt jedoch etwas darüber aus, wie lange wir Zeit haben, Lösungen zu finden, unsere Vorlaufzeit. Beim Phosphat ist diese Vorlaufzeit sehr hoch, fast 370 Jahre. In diesem Zeitraum muss eine Lösung gefunden werden, Phosphat so im Kreislauf zu führen, dass keine Verluste durch Abfluss ins Meer mehr erfolgen, zum Beispiel durch verbessertes Recycling und Perfektionierung des „Precision Farming“. Hierbei wird so dosiert gedüngt, dass nur soviel Dünger ausgebracht wird, wie die Pflanze wirklich benötigt. In der Vergangenheit sind große Effizienzgewinne erreicht worden; die meisten Länder weisen einen Rückgang des Düngemitteleinsatzes bei keineswegs einem Rückgang der Ernteerträge auf. Warum soll dieser Weg der Ressourceneffizienzsteigerung nicht auch weiterhin begehbar sein? Folgt man diesen Gedankengängen, so sind die Zukunftsprobleme bei den sogenannten nicht-erneuerbaren Ressourcen lösbar. Erdgas 28,6% Viel kritischer sind die erneuerbaren Ressourcen, Nahrungsrohstoffe für eine wachsende Bevölkerung. Sie brauchen Wasser und Boden. Das Wasserproblem ist noch mit Energie lösbar, jedes Wasser kann aufbereitet werden, auch Salzwasser. Nur bedingt lösbar mit Energie ist jedoch das Bodenproblem. Wir verlieren jeden Tag große Mengen von Boden in die Flüsse und ins Meer. Boden wird nur ganz langsam durch Verwitterung neu gebildet. Die Bodenressourcen, nicht die nicht-erneuerbaren Ressourcen, sind das große Zukunftsproblem. Hier sind wir von einer Lösung noch sehr weit entfernt. Autor Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Friedrich-W. Wellmer Präsident a.D. der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Neue Sachlichkeit 32 30655 Hannover Fon: +49 (0)511 / 614522 oder (0)511 / 3906479 Fax: +49 (0)511 / 6960843 [email protected] Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Friedrich-Wilhelm Wellmer ist Präsident a.D. der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) sowie des früheren Niedersächsischen Landesamtes für Bodenforschung, heute Teil des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie, in Hannover. Er ist Honorarprofessor für Wirtschaftsgeologie und Rohstoffpolitik der TU Berlin. Für seine Leistungen auf dem Rohstoffsektor erhielt er u. a. die Ehrendoktorwürden der TU Bergakademie Freiberg sowie der TU Clausthal und ist Träger der Georg-Agricola-Gedenkmünze der GDMB Gesellschaft für Bergbau, Metallurgie, Rohstoff- und Umwelttechnik und anderer Auszeichnungen. 21