1. Die Theorie • Grundlagen der Statik • Stabkräfte berechnen 1.1.2 Stabkräfte berechnen Wozu brauche ich dieses Thema? Man braucht die Berechnungsmethoden dieses Themas, um die Kräfte in Fachwerken zu berechnen. Auch Seilkräfte, z.B. im Bridle, können so ermittelt werden. Voraussetzung: Alle nachfolgenden Berechnungen beziehen sich auf Fachwerke. Das bedeutet, dass alle Stabkräfte (auch Seilkräfte) zentral auf einem Punkt angreifen. Das gilt auch für die Lasten, die nur in Knoten wirken. Das Resultat sind lediglich Druck- oder Zugkräfte in den Stäben. Bei Versatz von Stäben oder Kräften außerhalb von Knotenpunkten besteht kein Fachwerk. Es entstehen zusätzliche Biegemomente (s. 1.1.5 – Schnittgrößen). Bild 12 24 1. Die Theorie • Grundlagen der Statik • Stabkräfte berechnen Um nun die Stabkraftberechnung kennen zu lernen, greifen wir zu einem Beispiel, das im Rigging zu Hause ist. Es wird ein Abgriff an einer Traverse mit Rundschlinge untersucht. Es ist wichtig zu wissen, wie groß die Kräfte in den Strängen des Anschlagmittels sind, um entsprechendes Material auswählen zu können. Natürlich gibt es die gebrauchsfertigen Tabellen zu den Anschlagmitteln, die die zugehörigen Faktoren der Belastbarkeit für verschiedene Winkel angeben. Dennoch ist es wichtig zu wissen, wie sich diese Werte erklären und wo sie herkommen. Bsp.: Abgriff einer Traverse mit Rundschlinge Bild 13 Für diese Anordnung werden nun die Kräfte in den Strängen der Rundschlinge berechnet. Auch für die Stabkraftberechnung gibt es ein schrittweises Lösungsverfahren: 1. Skizze des statischen Systems am Knotenpunkt anfertigen 2. Komponentenzerlegung der „schiefen“ Kräfte 3. Aufstellen und Lösen der Gleichgewichtsbedingungen 25 1. Die Theorie • Grundlagen der Statik • Stabkräfte berechnen 1. Skizze des statischen Systems Man greift sich für die Skizze stets einen Knotenpunkt mit einer bekannten Kraft heraus. In unserem Beispiel ist das sehr leicht, weil es nur einen relevanten Knotenpunkt gibt – den mit der Lastangabe 10,0 kN. Alle bekannten Kräfte werden in bekannter Richtung eingezeichnet. Alle unbekannten Kräfte werden vom Knotenpunkt weg gezeichnet. Es wird für die unbekannten Kräfte also zunächst angenommen es seien Zugkräfte, die in unserem Beispiel am Schäkel ziehen. Bild 14 26 1. Die Theorie • Grundlagen der Statik • Stabkräfte berechnen 2. Komponentenzerlegung der „schiefen“ Kräfte Als „schiefe“ Kräfte wirken hier nur die Kräfte der Rundschlinge. Sie bestehen jeweils aus einer X- und einer Y-Komponente. Die bekannte Kraft 10 kN wirkt direkt auf der YAchse und braucht daher nicht zerlegt zu werden. Die Zerlegung selbst funktioniert wie bereits bei Kapitel 1, „Zusammenfassen von Kräften“, beschrieben. In unserem Fall haben beide Stränge den gleichen Namen, da beide durch identischen Winkel die gleiche Kraft aufnehmen. Für jede unserer Komponenten ergibt sich somit: sin 55° = Sx / S cos 55° = Sy / S Nun löst man die Gleichungen nach Sx und Sy auf: Sx = sin 55° * S Sy = cos 55° * S anders umgestellt: S = Sx / sin 55° S = Sy / cos 55° Zahlenwerte können im Fall der unbekannten Kräfte nicht eingesetzt werden. Mehr können wir in diesem Schritt nicht tun. 27 1. Die Theorie • Grundlagen der Statik • Stabkräfte berechnen 3. Aufstellen der Gleichgewichtsbedingungen Der Begriff der Gleichgewichtsbedingungen muss zunächst erläutert werden: Gleichgewicht bedeutet in der Statik, dass alle Kräfte, die auf einen ruhenden Körper wirken, zueinander im Gleichgewicht stehen. Das bedeutet, dass alle Kräfte sich gegenseitig kompensieren und in ihrer Gesamtwirkung so erscheinen, als sei keine Kraft vorhanden. Mathematisch gesehen ist die Summe aller Kräfte gleich null – so als wäre keine Kraft vorhanden. Würde die Summe der Kräfte nicht gleich null sein, so würde der Körper beschleunigen. Für eine Aufhängung würde dies heißen, dass der Körper abstürzt. Nun aber zurück zu unserer Konstruktion. Wir drücken das Gleichgewicht nun mathematisch als Summe aller auftretenden Kräfte aus. Da es zwei Richtungen gibt (X,Y), gibt es auch zwei Gleichungen. ΣFix = 0 ΣFiy = 0 Summe aller Kräfte in X-Richtung ist gleich null Summe aller Kräfte in Y-Richtung ist gleich null Jetzt werden alle Kräfte in der Gleichung gelistet. Beginnen wir mit der Y-Richtung, da bereits eine Kraft in dieser Richtung bekannt ist (10 kN). Für alle Kräfte wird hier das richtige Vorzeichen angesetzt. Jede Kraft (Pfeil) wird berücksichtigt! ΣFiy = 0 = 10,0 kN – Sy – Sy (Sy negativ, weil Pfeile nach unten) Diese Gleichung wird nach Sy aufgelöst: <> 0 = 10,0 kN – 2 x Sy <> 2 * Sy = 10,0 kN <> Sy = 5,0 kN Sy ist die Vertikalkomponente unserer Aufhängung. Um an die Kraft im Strang selbst zu kommen, müssen wir den Zusammenhang zwischen Sy und S herstellen. Dazu können wir auf die Komponentenzerlegung zurückgreifen. Dort steht: S = Sy / cos 55° eingesetzt: S = 5,0 kN / cos 55° = 8,717 kN Die zweite Gleichung ΣFix = 0 wird hier nicht mehr benötigt! 28 1. Die Theorie • Grundlagen der Statik • Stabkräfte berechnen In jedem Strang der Rundschlinge wirkt eine Kraft von 8,717 kN. Man kann das Ergebnis auch mit dem Programm „Zentrales Kräftesystem V2.0“ überprüfen, indem man alle Kräfte dort einsetzt und nachsieht, ob wirklich Gleichgewicht herrscht. Das heißt, dass Fres = 0 sein muss! Bild 15 Wir haben richtig gerechnet! 29