Wie wir unseren Auftrag verstehen Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst versteht Entwicklung als einen Prozess der Befreiung von Hunger, Armut, Krankheit, von ungerechten Machtstrukturen, die Menschen in ihrer Würde und ihrem Recht verletzen und ihnen die Kontrolle über lebensnotwendige Ressourcen verwehren. Dieser Befreiungsprozess ist weltweit und beschränkt sich nicht auf die wirtschaftlich schwachen Länder. Er nötigt dazu, das eigene Handeln und Unterlassen im Lichte weltweiter Entwicklung zu sehen, die persönliche Einstellung im Umgang mit der Natur als Gottes Schöpfung und den Produkten menschlicher Arbeit neu zu bestimmen. „Entwicklung“ hängt davon ab, dass sich Männer und Frauen gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse und Aktivitäten einbringen können. Geschlechtergerechtigkeit ist eine Voraussetzung für eine demokratische und gerechte Entwicklung in allen Ländern. „Entwicklung“ ist nicht alleinige Aufgabe von Experten und Expertinnen. Sie ist vielmehr angewiesen auf das Engagement und das Mitdenken vieler Menschen in verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Mit der Förderung entwicklungsbezogener Bildung und Publizistik soll deshalb eine breite Partizipation angeregt und ermöglicht werden. Entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik hat die Aufgaben: den Prozess des Umdenkens in der eigenen Gesellschaft zu fördern. Bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen auf allen Ebenen müssen die Interessen der Menschen berücksichtigt werden, die für ihre Rechte und die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu kämpfen haben, Kenntnisse über globale Zusammenhänge und wechselseitige Abhängigkeiten zu vermitteln, zu einer Sensibilisierung von Entscheidungsträger/innen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche für entwicklungspolitische Fragestellungen beizutragen, Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die es auch denjenigen, die nicht dem Kreis der Experten und Expertinnen und Engagierten angehören, erlauben, sich an ihrem Ort aktiv an den Aufgaben der Entwicklung zu beteiligen, die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu wecken, auch wenn Ursachen und Wirkungen komplex sind und die Folgen des eigenen Handelns und des Handelns von anderen nicht in allen Details vorhersehbar und steuerbar sind. „Bildung“ bedeutet laut Brockhaus „die Formung des Menschen im Hinblick auf seine geistigen, seelischen, kulturellen und sozialen Fähigkeiten“; in Abgrenzung zur Erziehung gilt „Bildung heute vor allem als lebenslange, nie endgültig abschließbare Leistung der Eigentätigkeit und Selbstbestimmung des sich gezielt bemühenden Menschen.“ Für die evangelische Kirche ist – auf der Grundlage ihres Glaubens- und Kirchenverständnisses – Bildung von der Reformationszeit an ein zentrales Thema. Bildung soll Teilhabe aller Menschen an gesellschaftlichen Entwicklungen und Entscheidungsprozessen ermöglichen. Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst vertritt diesen emanzipatorischen Aspekt von Bildung, ist sich jedoch bewusst, dass seine Arbeit immer in der Spannung steht zwischen dem Anspruch, den Zielgruppen der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit einerseits Bildungsmöglichkeiten zu bieten und ihnen die Freiheit bei der Wahl der Bildungsinhalte und bei den Schlussfolgerungen zu lassen, und andererseits ein normatives Anliegen zu verfolgen, dessen Werteorientierung Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst als kirchliches Entwicklungswerk nicht in Frage stellen (lassen) kann. -2Diese Spannung lässt sich nicht auflösen; sie kann aber produktiv bearbeitet werden, wenn alle Akteure ihre Anliegen, ihre Werteorientierung und ihre Ziele offen legen und sie damit nicht als alternativlos erscheinen lassen. Für die Förderung entwicklungspolitischer Bildungsarbeit durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst und für die eigenen Bildungsaktivitäten des Entwicklungswerkes bedeutet dies eine klare Absage an alle Formen von Überredung, Manipulation oder Indoktrination. Positiv gewendet heißt dies, dass Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst bei der Beurteilung von Anträgen und bei der eigenen Bildungsarbeit darauf achtet, - dass in den geförderten Programmen Bildungsangebote gemacht werden; - dass Analysen und Lösungen entwickelt und erarbeitet und nicht vorgegeben werden; - dass die Zielgruppen lernen, sich ihrer eigenen Werte, Perspektiven und Ziele bewusst zu werden; - dass die Zielgruppen lernen, Informationen zu befragen, gegebenenfalls auch in Frage zu stellen und zu gewichten und damit das Selbstbewusstsein für die Suche nach eigenen Interpretationen und Lösungswegen entwickeln; - dass Strittiges strittig dargestellt wird; - dass andere Positionen hinterfragt, aber auch respektiert werden können; - dass Menschen das nötige Handwerkszeug erwerben, um sich mit Andersdenkenden zu streiten und dabei kommunikationsfähig zu bleiben; - dass Menschen lernen, gesellschaftliche Handlungsfähigkeit zu entwickeln und zu erhalten; - dass Menschen bereit und in der Lage sind, Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich in die Situation von anderen hineinzudenken; - dass Menschen lernen, Komplexität und die Ungewissheit offener Situationen zu ertragen. Zusammengefasst: Es geht weniger um den Erwerb von immer noch mehr Wissen und Fachkenntnissen (wenngleich auch die nötig sind!), sondern um den Erwerb von Kompetenzen auf der Grundlage eines reflektierten Wertesystems. Die Rahmenbedingungen entwickeln sich – die Förderkriterien auch Die entwicklungspolitische Szene hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stark ausdifferenziert. Die Zahl der Akteure hat zugenommen. Formen und Methoden entwickeln sich ständig weiter und die Ansprüche an die Tiefe der Analyse gehen weit auseinander. Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst begrüßt diese Vielfalt und will sie fördern. Es versteht Vielfalt jedoch nicht als Beliebigkeit und sieht deshalb den Bedarf, aus den Beobachtungen Schlüsse für die Förderpolitik zu ziehen, die dazu beitragen können, die aus der Sicht von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst positiven Ansätze zu stärken: 1. Vorrang bei der Förderung haben solche Vorhaben, die zu selbständigem Arbeiten einladen, die unterschiedliche Analysen vorstellen, die Foren für den Austausch bieten, die Streit über unterschiedliche Ansätze zulassen. 2. Entwicklungspolitische Sachverhalte sind in der Regel komplex. Es ist eine große Kunst, diese Komplexität in der Bildungsarbeit zu reduzieren ohne in der Analyse zu simplifizieren. -33. Entwicklungspolitische Bildung und Publizistik kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich in ihrer Sprache am Verstehenshorizont der Zielgruppen orientiert. Fachbegriffe, Abkürzungen oder Insidersprache laden meist nicht zum Mitdenken und zum Engagement ein. 4. Formen und Inhalte müssen zueinander passen: Die Vermittlungsformen der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit sind vielfältiger und bunter geworden. Problematisch wird es jedoch, wenn sich attraktive Formen von ihren Inhalten lösen und zu viel Eigendynamik entwickeln. Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst geht davon aus, dass Antragsteller die Methoden der Bildungsarbeit intensiv reflektieren und Methoden wählen, die dem Thema angemessen sind. Dazu gehört auch, dass Aufwand und Ertrag in einem vertretbaren Verhältnis stehen müssen. 5. Entwicklungsbezogene Bildungsarbeit steht immer in der Gefahr, dass sie mehr „botschaftsorientiert“ als „zielgruppenorientiert“ ist, da die Akteure der Bildungsarbeit in der Regel mit großem Engagement ein Anliegen vertreten, von dessen Relevanz sie auch andere überzeugen wollen. Das ist legitim. Für die Förderarbeit von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst ist dennoch wichtig, dass die Angebote die Interessenlage, die Vorkenntnisse, die Handlungsmöglichkeiten oder die Zwänge der Zielgruppen berücksichtigen; dazu gehört: - die Zielgruppen müssen genau definiert werden; - die Sprache in den Veranstaltungen und Materialien muss dem Verstehenshorizont der Zielgruppen angemessen sein; - Ängste und Zwänge von Zielgruppen müssen ernst genommen werden; sie sind mit moralisierenden Argumenten und schlechtem Gewissen nicht aus der Welt zu schaffen. Bildungsarbeit und Lobbyarbeit Entwicklungspolitische Aktionsgruppen, Bildungseinrichtungen, Partnerschaftsgruppen oder Weltladengruppen wollen mit ihrer Arbeit zu mehr globaler Gerechtigkeit beitragen. D.h. Bildungsanstrengungen sind ein erster Schritt zu politischer Handlung und Teil politischen Handelns und kein Selbstzweck. Sie dienen der Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements und der selbstbewussten Teilhabe möglichst vieler Menschen an der politischen Diskussion. Eine besondere Form politischen Handelns ist die Lobbyarbeit – die gezielte Beeinflussung politischer oder wirtschaftlicher (mitunter auch kirchlicher) Entscheidungsträger/innen bei ausgewählten politischen Fragestellungen. Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst ist in seiner Förderarbeit und bei seiner eigenen Bildungs-, Informations- und Lobbyarbeit wichtig, dass diese verschiedenen Instrumente in ihrer Funktion richtig wahrgenommen und gezielt und effektiv eingesetzt werden. Dabei ist nicht das eine Instrument wichtiger als das andere – der ziel- und kontextgerechte Einsatz führt zum Erfolg! Lobbyarbeit kann nur funktionieren, wenn sie auf die Komplexität der Weltprobleme mit der bewussten Konzentration auf einzelne konkrete Probleme reagiert, die von den Adressaten der Lobbyarbeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten und in ihrem Verantwortungsbereich gelöst werden oder mit einiger Aussicht bearbeitet werden können – z.B. durch die Gestaltung internationaler Verträge im Rahmen der EU oder – im kommunalen oder kirchlichen Bereich – durch Entscheidungen für ein ökofaires Beschaffungswesen. Dabei muss zwar die Komplexität im Blick bleiben; es wäre jedoch geradezu kontraproduktiv, sie bei jeder politischen Forderung oder bei jeder Aktion detailliert zu benennen. Das würde die Anstrengungen relativieren und ihnen die Stoßkraft nehmen. -4Der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit kann es nicht darum gehen, die Komplexität auszublenden, sondern darum, zu lernen, sie bewusst wahrzunehmen und mit ihr umzugehen. Menschen müssen lernen, sich als verantwortliche und selbstbewusste Subjekte ihres Lernens und Handelns zu verstehen – auch wenn die Folgen nicht in allen Details vorhersehbar sind und die Handlungsmöglichkeiten im Verhältnis zu den Problemen in der Regel begrenzt sind. Juli 2007/September 2012 Barbara Riek