Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht I (Staatsorganisationsrecht) -Lösungshinweise zu Fall 3Parteienrecht Stand: WS 2010/2011 Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht Teil 1 • Die Bundesregierung könnte zur Überprüfung des Gesetzes das BVerfG anrufen. Mögliches Verfahren ist die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG. Der Antrag hätte Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit • Vss. Sachurteilsvoraussetzungen nach Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht I. Zuständigkeit • Zuständigkeit BVerfG nach Art. 93 I Nr. 2 GG II. Antragsberechtigung • Antragsberechtigt: Bundesregierung, eine Landesregierung oder eine Viertel der MdB • Bundesreg. ist antragsbefugt gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6 BVerfGG III. Antragsgegenstand • Um was geht es? Ist zu überprüfende Norm tauglicher Antragsgegenstand Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht • bestimmt sich nach Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG • Danach tauglicher Antragsgegenstand Bundes- oder Landesrecht • Hier: Parteiengesetz ist Bestandteil des Bundesrechts und somit tauglicher Antragsgegenstand i.S.d. Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG IV. Antragsgrund • Warum möchte der Antragsteller / Kläger das Gesetz überprüft haben? • Richtet sich ebenfalls nach Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I Nr. 1 BVerfGG Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht • „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ • SV: Bundesreg. nur Zweifel an Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Somit liegt gem. Art. 93 I Nr. 2 GG Antragsgrund vor. • § 76 I Nr. 1 BVerfGG legt strengeren Maßstab an („für nichtig“) • Problem: Nach Art. 93 I Nr. 2 GG liegt Antragsgrund vor aber nicht nach § 76 I Nr. 1 BVerfGG • Lösung: Bei str. Geltungsvorrang (Normhierarchie) • Antragsgrund gem. Art. 93 I Nr. 2 GG gegeben Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht V. Form / Frist • Antrag gem. § 23 I BVerfGG in schriftlicher Form. • Keine Frist VI. Zwischenergebnis • Der Antrag der Bundesregierung auf abstrakte Normenkontrolle ist zulässig. B. Begründetheit • Hier materielle Prüfung d.h. hat Antragsteller in der Sache recht • Damit Antrag insgesamt erfolgreich ist, müsste dieser auch begründet sein. Er ist begründet, wenn das Gesetz formell und materiell mit dem GG vereinbar ist (Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG). Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht I. Formelle Verfassungsmäßigkeit • Zuständigkeit, Verfahren, Form des Parteiengesetzes 1. Zuständigkeit (Gesetzgebungskompetenz) • Bund müsste für den Erlass des Parteiengesetzes zuständig sein. • Gds. Gesetzgebungshoheit bei Ländern (Art. 30, 70 I GG), sofern sich aus dem GG nichts anderes ergibt • Gem. Art. 21 III GG sind Einzelheiten der Wahl durch Bundesgesetz bestimmt • Zuständigkeit (+) Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht 2. Gesetzgebungsverfahren und Form • Das Parteiengesetz müsste im Rahmen des im GG vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen • Verfahren- und Formfehler ? a) Gesetzesinitiative • Vgl. Art. 76 I GG • „aus der Mitte des BT“ näher in § 76 GOBT • SV: S-Fraktion hat Gesetz eingebracht • S-Fraktion berechtig, Gesetzesinitiativen einzubringen b) Beschlussfassung • 2 Probleme: Nur 2 Lesungen und bloß 40 Abgeordnete beim Beschluss Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht aa) Im Bundestag (1) Beschluss nach 2 Lesungen • • • • • • Art. 78 GOBT schreibt 3 Lesungen vor Keine Ausnahme nach § 128 GOBT Wie wirkt sich Verstoß gegen GOBT aus? GOBT nicht mit Verstoß gegen GG vergleichbar Zentrale Norm Art. 82 I GG Verfassungswidrigkeit nur, wenn Inhalt der GOBT im GG verankert ist („verfassungsrelevanter“ Inhalt) • Art. 76 ff. keine Aussage zur Lesung. Lediglich Beschluss des BT gem. Art. 77 I GG • Ratio: Parlamentarische Meinungsbildung Sache der Satzungsautonome des BT (vgl. Art. 40 I 2 GG) Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht • 3 Lesung keine notwendige Vss. demokratischer rechtstaatlicher Ordnung • Fazit: Nicht Anzahl der Lesungen entscheidend, sondern ein „Meinungsbildungsprozess“ der in einer Beschlussfassung mündet (2) Zwischenergebnis • Verstoß gegen 3 Lesungen (§ 78 I 1 GOBT) führt nicht zur Verfassungswidrigkeit (3) Beschlussfähigkeit des BT • Wirksamer Beschluss des BT nur unter Vss. des § 45 I GOBT • Danach müssen 50% MdB anwesend sein. Laut SV (-) Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht • Gem. § 45 II GOBT muss Beschlussunf. Bezweifelt und ausdrücklich festgestellt werden • Ratio des § 45 II GOBT: wesentliche Arbeit an Gesetzesvorlage in Ausschüssen und zwischen den Fraktionen • geringe Präsenz während Schlussabstimmung idR ein Zeichen für breiten Konsens • SV: Beschlussunf. nicht ausdrücklich festgestellt und wird daher vermutet • Aber: Demokratieprinzip Art. 20 II GG • Beschlusunf. trotz Vermutung wenn nicht genügend MdB um Beschlussunf. überhaupt festzustellen Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht Vss: 32 MdB (622 MdBx0.05; vgl. § 45 II GOBT) überhaupt anwesend, um Beschlussfähigkeit zu bezweifeln • Laut SV 40 MdB d.h. Beschlussfähigkeit hätte angezweifelt werden könne (§ 45 I GOBT) (4) Zwischenergebnis • Beschlussfähigkeit wird vermutet. Folglich kein formeller Verfassungsfehler bb) Im Bundesrat • • Einspruch gem. Art. 77 III GG laut SV nicht gegeben • Involvierung des BR ordnungsgemäß Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] AG III: Parteienrecht c) Form • Ausfertigung und Verkündung gegeben (Art. 82 GG) 3. Zwischenergebnis • Gesetz formell verfassungskonform AG III: Parteienrecht III. Materielle Verfassungsmäßigkeit • Wird GG von Streitentscheidender Norm inhaltlich eingehalten m.a.W. ob die zu untersuchende Norm mit den Regelungen des GG im Widerspruch steht? • Änderung des Parteiengesetzes könnte gegen Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verstoßen. • Prüfungsschema: RegelungsinhaltÆ EingriffÆ Rechtfertigung AG III: Parteienrecht 1. Schutzbereich • Grundsatz der Chancengleichheit der Parteinen nicht ausdrücklich normiert • Auch Grundlage umstritten • GG setzt parlamentarische Demokratie voraus. • Dies hat ein Mehrparteiensystem und folglich auch die Chancengleichheit der miteinander konkurrierenden Parteien zur Folge • Fazit: Herleitung aus Art 21 I 2 GG • Vgl. auch Art. 21 I 1 GG i.V.m. 38 GG bzw. Art. 21 GG i.V.m. 3 GG Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] • Einfachgesetzliche Ausprägung in § 5 PartG 2. Eingriff • Art. 1. Änderung der PartG könnte gegen Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verstoßen. • Dies wäre dann der Fall, wenn der gewährte Schutzbereich gleichsam verkürzt werden würde. • Hier: Vereinigungen unterhalb der Mitgliedsschwelle werden Vorteile, die der Parteienstatus besitz, geraubt (z.B. staatliche Finanzförderung gem. § 18 ff. PartG oder Wahlwerbung gem. § 5 PartG) 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung • Eingriff in den Grundsatz der Parteiengleichheit könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein • VSS: Ausdrückliche oder durch Auslegung zu ermittelnde Durchbrechung des Gleichheitssatzes überhaupt vorgesehen bzw. möglich aa) Ausdrückliche Ausnahme? • weder in Art. 21 GG noch in anderen verfassungsrechtlichen Norm explizit vorgesehen Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] bb) Durch Auslegung zu ermittelnde Ausnahme? • Gesamtschau (durch Auslegung) anderer grundrechtlicher Bestimmungen bzw. • Verfassungsprinzipien • Differenzierung, welche Vereinigung als Partei zulässig, nicht absolut verboten • Grundsatz der Chancengleichheit verlangt eine strenge, schematische und formale Gleichbehandlung • Fazit: Nur aus zwingende Gründen gerechtfertigt Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] 1. Argument: Zersplitterung d. Parteienlandschaft (-) • Art. 21 I 2 GG sieht gerade Mehrparteiensystem und Freiheit der Parteiengründung vor • Funktionsfähigkeit des Parlaments durch 5% Hürde gesichert 2. Argument: Radikalität kleinerer Parteien (-) • Pauschalisierung nicht möglich • Parteienprivileg aus Art. 21 II GG d.h. Prüfung einzig durch BVerfG 3. Argument: Ausschluss von weniger ernsthaften Parteien (-) Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] • Ausschlaggebend tatsächliche Bedeutsamkeit und Aktivität der Partei • Starre Grenze kein sachgerechter Maßstab • Auch kleinere Vereinigungen können ernsthaft und politisch bedeutsam bzw. einflussreich sein 4. Argument: Ernsthafte politische Betätigung muss über Gründungsstadium hinausgehen. Laut BVerfG kann Partei nicht nur aus Gründern und Funktionären bestehen sondern bedarf Mitgliederstamm (-) • Grenze jedenfalls viel zu hoch und • Nicht geeignet, Verfestigung einer Partei auf Dauer sicherzustellen Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] 4. Zwischenergebnis • Zwingende Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor • Differenzierung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt • Gesetzesänderung materiell verfassungswidrig III. Ergebnis • Antrag der Bundesregierung hat Aussicht auf Erfolg Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] Teil 2 • Verfassungsrechtliche Lage bedeutet formelle Verfassungsmäßigkeit • Aufbau: SchutzbereichÆEingriffÆRechtfertigung I. Verletzung des Art. 21 II GG • Mögliche Verletzung des sog. Parteienprivilegs 1. Regelungsinhalt • Nur BverfG befugt, Verfassungswidrigkeit einer Partei festzustellen • Folglich keine andere staatliche Stelle befugt, Verfassungswidrigkeit geltend zu machen Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] 2. Eingriff • M schätzt die R-Partei als verfassungswidrig ein, macht die Verfassungswidrigkeit der Partei damit nicht rechtlich geltend • Es entstehen keine Rechtsfolgen für R-Partei • Kundgabe der eigenen Meinung nicht durch Art. 21 II GG verboten 3. Zwischenergebnis • Kein Eingriff II Verletzung des Art. 21 I GG 1. Regelungsinhalt Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] • Geschützt wird Gründungsfreiheit • Umfasst sachlogisch auch Betätigungsfreiheit und Gleichbehandlung • Sie sind Abwehrrechte gegen staatliche Behinderungen 2. Eingriff in Art. 21 I GG • Partei wird bei Wählern herabgesetzt • Ergebnisse bei Wahlen werden verschlechtert • Insbesondere Grundsatzdebatte öffentlich 3. Rechtfertigung • Verhältnismäßigkeit i.w.S aa) legitimer Zweck • Sicherung und Wahrung einer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] bb) Geeignet • Geeignet, über Vereinbarkeit der politischen Ziele der R mit GG zu diskutieren • Diskussion hält sich im zulässigen Rahmen für eine parlamentarische Debatte cc) Erforderlich • Gegenüber Initiierung eines Parteiverbots milders Mittel dd) Verhältnismäßig • Entscheidend in Welcher Funktion (Abgeordneter oder Bundesminister) Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] • Als Abgeordneter steht im Rahmender politischen Debatte zu, Meinung zum politischen Gegner zu äußern (Art. 38 I 2 GG) • Zwar sind Abgeordnete Vertreter des gesamten Volkes (Kollektivrepräsentation). Mit diesem Grundsatz aber vereinbar, wenn M nur Interessen von einem Teil des Volkes vertritt • Parteien kommt eine wichtige Rolle in Gesellschaft zu (Art. 21 I 1 GG): Umgekehrt können sie Gegenstand einer Debatte sein • Äußerung sind nicht willkürlich, oder sachfremd. Belegt mit Tatsachen, die von R gar nicht bestritten werden Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] Exkurs: Äußerung als Bundesminister • Als Mitglied der Bundesregierung ganzem Volk verpflichtet, daher Pflicht zur Neutralität (-) • Gegenargument: Bundesregierung, durch Wahlen legitimiert, hat Pflicht das Programm der sie tragenden Parteien zu verwirklichen. Dazu gehören Äußerungen bgzl. politischen Gegner ee) Zwischenergebnis • Äußerung des M als MdB nicht willkürlich oder sachfremd • Rechtfertigung liegt vor. R ist nicht aus Art. 21 I 1 GG verletzt Wiss. Mitarbeiter Roman Grinblat [email protected] III. Ergebnis • Verstoß gegen Bestimmungen des GG insbesondere gegen Art. 21 I 1 GG sind nicht ersichtlich.