STRATEGIE Foto: eugenesergeev – Fotolia Potenziale erkennen und nutzen Mit innovativen und realistischen Maßnahmen die Zukunft gestalten und festigen Seit Jahren befinden sich die deutschen Krankenhäuser in einem stetig zunehmenden Verdrängungswettbewerb, der durch wachsende Qualitätserwartungen seitens der Patienten und fortwährende Konzentrationsprozesse im Gesundheitswesen vorangetrieben wird. Um sich in diesem Spannungsfeld optimal zu positionieren, ist ein auf der Kenntnis des Marktes basierendes bedarfsgerechtes Angebotsportfolio essenziell für ein Krankenhaus. A ls Folge des demografischen Wandels, des medizinischtechnischen Fortschrittes Dr. med. Kirsten Klug, M.Sc. Mitglied der Geschäftsleitung Sanovis GmbH, München 28 I KU Gesundheitsmanagement 9/2015 und neu entstehender Versorgungsstrukturen sehen sich Krankenhäuser einer anhaltend wachsenden Konkurrenz aber ebenso auch neuen Chancen gegenüber. In Zeiten von Ressourcenknappheit und Wettbewerb kann eine Potenzialanalyse ungenutzte Handlungsmöglichkeiten und Optimierungsfelder aufzeigen. Dadurch vermag sie eine in die Zukunft gerichtete Orientierung zu geben und löst eine zielgerichtete Weiterentwicklung aus. Voraussetzung für eine Potenzialanalyse ist eine Datenbasis, die neben dem eigenen Krankenhaus auch die Mitbewerber und politische, epidemiologische, demografische und medizinische Rahmen- Sarah Meyer, M.Sc. Beraterin Sanovis GmbH, München bedingungen und deren Entwicklungen beleuchtet (s. Abb., S. 30). So ermöglicht sie ein aktuelles und auch prospektives Bild des Marktes sowie der eigenen Positionierung darin. Ziel einer Potenzialanalyse ist es, Ansatzpunkte und konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, um die eigene Position am Markt langfristig zu stärken. Gründe für eine Potenzialanalyse Eine Potenzialanalyse kann als strategischer Bestandteil der Unternehmensführung einerseits eingesetzt werden, um die künftige Weiterentwicklung zu planen, die eigene Positionierung weiter zu festigen beziehungsweise auszubauen und auf vorhersehbare Trends sowie externe und interne Entwicklungen frühzeitig zu reagieren. Andererseits kann sie genutzt werden, um auf aktuell bereits eingetretene Veränderungen in den Rahmenbedingungen und somit auf erste Auswirkungen in den hauseigenen Zahlen zu antworten. Dabei werden in der Praxis ver- schieden starke Ausprägungen beobachtet, die durch interne wie externe Veränderungen hervorgerufen werden. So kann es sich um verhältnismäßig unauffällige Folgen handeln, die nur einzelne Bereiche oder ganze Fachabteilungen betreffen, aber auch um bereits tiefgreifende Auswirkungen mit gegebenenfalls unternehmensgefährdender Tragweite. Erfassen der aktuellen Situation Der Kern einer Potenzialanalyse ist die Ist-Analyse. Sie erfasst die aktuelle Situation eines Krankenhauses aus verschiedenen Blickwinkeln und speist sich aus einer Vielzahl von verschiedenen internen und externen Daten (s. Abb., S. 30). Je umfassender und qualitativ hochwertiger die Datenbasis ist, desto exaktere Ergebnisse sind bei einer Potenzialanalyse erzielbar. Gleichzeitig ist es wichtig, sich nur auf relevante Parameter zu fokussieren, die ein möglichst klares Bild vom Krankenhaus und seiner Positionierung zeichnen, sich ergänzen und voneinander abhängen. Hierbei sind Kennzahlen insbesondere zu der Struktur, dem Finanzbereich, der Leistungserbringung, der Qualität, den Prozessen oder dem Marktpotenzial zu nennen. Der erste Fokus liegt auf den Struktur-, Leistungs- und Qualitätsdaten des eigenen Krankenhauses. Neben der Kenntnis der eigenen Stärken und Schwächen ist es für ein Krankenhaus wichtig, den Markt zu kennen, um sich gezielt ausrichten und strategische Ziele formulieren zu können. Eine solche Wettbewerbsanalyse befasst sich mit den Daten der Mitbewerber unter anderem aus den strukturierten Qualitätsberichten. Ein weiterer Schwerpunkt bei der Analyse liegt auf der Betrachtung der Finanzdaten, die neben der Rentabilität auch Rückschlüsse auf den Personal- und Materialaufwand zulassen und dies im Detail wenn bereits eine Kostenträgerrechnung etabliert ist. Zu einer ersten Orientierung werden auch hier Benchmarkzahlen herangezogen. Ergänzt wird die Datenbasis durch intern erhobene Prozessdaten aus SITZEN EIN ARZT UND EIN MANAGER ZUSAMMEN AM TISCH. KEIN WITZ! OPERATION WIRTSCHAFTLICHKEIT: VON DER KONZEPTION BIS ZUR UMSETZUNG. Nie war der wirtschaftliche Druck auf Krankenhäuser so hoch wie heute. Doch die kaufmännische Sicht ist nur die eine Seite, der medizinische Blick die andere. Wir bringen die unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnisse zusammen und entwickeln gemeinsam eine Lösung, die sich nach den individuellen Anforderungen Ihres Hauses richtet. Wir schaffen Transparenz, decken Optimierungspotenziale auf und beraten Sie in Sachen Strategie und Management, Finanzen, Controlling und Risikomanagement aber auch bei der Anbahnung, Durchführung und Umsetzung von Fusionen. Unsere Expertise im Personal- und Change-Management sichert dabei die Nachhaltigkeit der Umsetzung. Dies tun wir so umfassend wie nötig und so effizient wie möglich. Darauf können Sie sich verlassen – versprochen! Lernen Sie uns jetzt kennen auf www.zeb-healthcare.de Ist-Situation Blick in die Zukunft STRATEGIE Analyse externer Daten Wettbewerb Einweiserstrukturen Epidemiologie Medizinische Innovationen & Fortschritte Gesellschaftliche Veränderungen Sektorenübergreifende Strukturen Medien Demografie Tendenzen in der Politik Entwicklungen im Gesundheitswesen je nach Bedarf weitere Analysen Analyse interner Daten Struktur Prozesse Leistungs­geschehen & Qualität Finanzen Außen- und Innendarstellung Einweiserverhalten je nach Bedarf weitere Analysen Entscheidungsgrundlage für eine marktorientierte Strategie und Ausschöpfung operativer Optimierungspotenziale Abb.: Darstellung einer Potenzialanalyse den Primär-, Sekundär- und Tertiärprozessen. Mit Primärprozessen ist gemeinhin die Erbringung der eigentlichen Leistung, die Therapie eines Patienten, gemeint. Die Sekundärprozesse ergänzen die Primärprozesse, sie generieren Leistungen für den Patienten, und liegen damit beispielsweise im Bereich der diagnostischen Bildgebung oder dem Labor. Die Tertiärprozesse runden das Bild der Leistungserbringung durch nicht direkt am Patienten angesiedelte, unterstützende Prozesse ab, wie beispielsweise Tätigkeiten im Bereich der Reinigungsdienste und der Verwaltung. Die Ergebnisse aus 360°-Umfragen fließen ebenso in eine Potenzialanalyse ein. Die Zufriedenheit der Patienten, Mitarbeiter und Einweiser sowie weiterer Personen können sehr wertvolle Aufschlüsse über die für die jeweilige Personengruppe relevanten Prozesse liefern. Das Krankenhaus wird in diesen Analysen sowohl im Gesamtbild als auch in Form einzelner Fachbe- 30 I KU Gesundheitsmanagement 9/2015 reiche beziehungsweise Abteilungen sowie entlang des gesamten Behandlungsprozesses des Patienten betrachtet, interne Einflussfaktoren auf den Erfolg am Markt werden herausgearbeitet. Genaue Analyse Die Kenntnis des vorhandenen Marktpotenzials und des eigenen Marktanteils ist ein weiterer und wesentlicher Aspekt für ein Krankenhaus, um seine Möglichkeiten gezielt ausschöpfen zu können. Die hierfür notwendigen epidemiologischen und demografischen Daten sind über die statistischen Landesämter beziehbar oder die Krankenhäuser verfügen selbst über dieses Datenmaterial in Softwarelösungen. Bei dieser Analyse wird für jede ICD-10- und OPS-Ziffer der Anteil der Patienten, welche im eigenen Krankenhaus stationär behandelt wurden, im Vergleich zur Gesamtzahl der stationären Patienten aus einem Landkreis angegeben. Vertieft man diese Analyse, wird die Patientenzahl auch auf Gemeinde- ebene anhand der Bevölkerungsstruktur kalkuliert, der Kernmarkt, die Wettbewerbsmärkte und der restliche Markt definiert und die Patientenströme visualisiert. Hierbei sind auch Merkmale wie die Infrastruktur, die Bevölkerungsdichte oder auch die Altersstruktur im Einzugsgebiet bedeutend. Um sich dauerhaft stabil im Markt zu positionieren, ist es unerlässlich für ein Krankenhaus, seine Einweiser genauestens zu kennen, um durch ein gezieltes Einweisermanagement die Erlöse weiter steigern und stabilisieren zu können. Hierfür werden die Art und Anzahl der ICD-10-Hauptdiagnosen und OPS-Kodierungen über einen bestimmten Zeitraum als auch die abgerechneten Gesamterlöse einzelnen Einweisern zugeordnet. In Kombination mit der Analyse des Marktpotenzials wird sichtbar, in welchen Gemeinden, bei welchen Einweisern und Indikationen es sich lohnen könnte, die Akquise zu verstärken. Um die Potenziale für eine Positionierung des eigenen Krankenhauses in einem sich stetig entwickelnden Markt ausloten zu können, werden neben einer IstAnalyse die zukünftigen Einflussfaktoren berücksichtigt. Das betrifft die eigenen Entwicklungen wie die des Wettbewerbs, die epidemiologischen, demografischen und medizinischen Entwicklungen wie auch die aufkommenden gesellschaftlichen Trends sowie politisch induzierten Veränderungen und deren Auswirkungen auf das Krankenhaus. Eine derartig gestaltete Potenzialanalyse legt den Grundstein für eine Strategie, die neben den aktuellen Gegebenheiten auch die künftigen Herausforderungen zu bewältigen weiß. Aktuell rückt besonders die Entwicklung von Versorgungslücken im niedergelassenen Bereich, gerade in ländlichen Regionen, in den Fokus. Diese können sich bei einer Bewertung der Entwicklung des Marktes bereits abzeichnen und bieten für das Krankenhaus neue Möglichkeiten, das eigene Leistungsspektrum an den Bedürfnissen des Marktes auszurichten. Damit es zu einer flächendeckenden Versorgung beitragen kann, bieten sich verschiedene Konzepte für neue Versorgungsstrukturen an. Eine tatsächliche sektorenübergreifende Versorgung scheitert bisher noch weitestgehend an den bestehenden sektoral unterschiedlichen Vergütungsstrukturen und bietet damit wenig Spielraum für Konzepte über den gesamten Behandlungsverlauf eines Patienten. Je nach Standort des Krankenhauses und der vorhandenen Versorgungsstruktur beziehungsweise prognostizierbaren Veränderungen, kann sich eine Ausweitung des Leistungsspektrums im beispielsweise ambulanten oder teilstationären Bereich jedoch rechnen. Nutzen der Potenziale Wenn die Stärken und Schwächen des Krankenhauses sowie die möglichen Chancen und Risiken fokussiert erarbeitet wurden, liegt ein klar strukturiertes Bild vor. Es befähigt das Krankenhausmanagement und die Leistungserbringer, die wichtigen Entscheidungen zu treffen, um vorhandene operative und strategische Potenziale zu heben. Die können im internen Bereich liegen im Sinne einer Verbesserung beispielsweise von Prozessen im Kontext eines Lean-Management oder auch im externen Fokus, welcher gegebenenfalls eine Neuausrichtung eines Fachbereiches induziert. Zu der Landkarte der identifizierten Potenziale bietet es sich in der Praxis an, konkrete Maßnahmen und deren Priorität zu definieren, um eine zielgerichtete Umsetzung optimal vorzubereiten. Werden beispielsweise Auffälligkeiten im Personaleinsatz des ärztlichen und pflegerischen Dienstes im Sinne einer möglichen Überoder Unterbesetzung anhand der Erlös- und Kostendaten sowie der eingesetzten Vollkräfte sichtbar, wäre ein erster möglicher Ansatzpunkt gefunden, das Haus effektiver gestalten zu können. In der Folge würde sich eine detaillierte Personalkapazitätsanalyse anschließen, welche nicht nur die Organisationsstruktur prüft, sondern auch Ineffizienzen in der Tagesorganisation, den Dienstmodellen und vor allem den Prozessen detektieren kann. Ein Indikator in der Potenzialanalyse für nicht reibungslos funktionierende Prozesse sind beispielsweise lange Wartezeiten im OP bei gleichzeitig hohen Überstunden nach Dienstende. Wenn weitere Anzeichen für ein nicht optimal funktionierendes OP-Management sprechen, wäre ein Projekt zur Analyse und Optimierung des OPManagement mit einem starken Fokus auf die Prozesse angebracht, da der OP mitunter die teuerste Ressource im Krankenhaus ist. Ein Beispiel aus dem Bereich der Verwaltungsprozesse, die das Betriebsergebnis unmittelbar betreffen, sind verzögerte Abrechnungen stationärer Leistungen. Zum Beispiel der Zeitraum zwischen der Entlassung des Patienten und der Freigabe der kodierten Daten zur Abrechnung, die Bearbeitungsdauer für die Erstellung und den Versand der Abrechnung oder die Rate der Erhebung von Verzugszinsen. Aus diesen Analysen ergibt sich die Kalkulation der Zinsverluste oder des Cash-Flows, die Maßnah- men zur Prozessoptimierung prioritär werden lassen können. Eine ungewöhnlich lange Bearbeitungszeit von MDK-Anfragen kann zusätzlich auf ein nicht optimal organisiertes Aktenmanagement oder eine nicht hinreichend durchgesetzte Entlastung der behandelnden Ärzte in diesem Prozess hindeuten. STRATEGIE Blick in die Zukunft Kennzahlen mit Außenwirkung Eine weitere wichtige Prozesskennzahl ist die Latenz der Erstellung des endgültigen Arztbriefes und dessen Versendung ab Entlassung des Patienten. Sie weist nicht nur auf interne Optimierungspotenziale bezüglich Verantwortlichkeiten, Standards, effizienteren Einsatz der EDV oder Disziplin hin, sondern auch auf die Wirkung nach außen im Hinblick auf die Zufriedenheit der Einweiser. Eine kurze Latenz der Arztbriefversendung kann mitunter zu einem Wettbewerbsvorteil im Einweisermanagement beitragen. Weitere mögliche Ansatzpunkte beginnen bei einem ausgereiften Internetauftritt und können sich über ein gezieltes Einweisermanagement, dem Ausgliedern einzelner Servicedienste bis hin zu der Umsetzung eines Lean-Management und einer strategischen Neuausrichtung erstrecken. Fazit Eine Potenzialanalyse ist die geeignete Entscheidungsbasis für eine marktorientierte Strategie sowie die Grundlage für die Ausschöpfung der eigenen operativen Optimierungspotenziale. Mit den strukturiert herausgearbeiteten Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken befähigt sie das Krankenhaus, seine operativen und strategischen Potenziale zu erkennen und die richtigen kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen für eine starke Positionierung am Markt zu ergreifen. $ Dr. med. Kirsten Klug, M.Sc. Sarah Meyer, M.Sc. Sanovis GmbH Richard-Strauss-Straße 69 81679 München [email protected] KU Gesundheitsmanagement 9/2015 I 31