Reichenau Psychiatrie Ethik Utako Barnikol 2015

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Utako B Barnikol Reichenau Januar 2015
Stufen
der Selbstbestimmung
bei
Stufen
der Selbstbestimmung
bei psychischen
psychischen Erkrankungen
Störungen
&
Komponenten der Selbstidentität bei Schizophrenie
1. Das Dilemma
1. Fortschreitender mehrdimensionaler Kontrollverlust
2. Progress an Limitationen
3. Rollenverschiebung in sozialen Beziehungen
4. Entfremdung
5. Erinnerungsverlust
6. Selbstentfremdung
1. Das Dilemma
Die Feststellung einer psychischen Krankheit bedeutet
nicht automatisch das Fehlen von Einwilligungsfähigkeit.
Aber an die Kriterien für Einwilligungsfähigkeit
sind hohe Ansprüche zu stellen.
1. Das Dilemma
Komponenten der Einwilligungsfähigkeit:
- Fähigkeit, einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen
- Fähigkeit, bestimmte Informationen in angemessener
Weise zu verarbeiten
- Fähigkeit, die Information angemessen zu bewerten
- Fähigkeit, den eigenen Willen auf der Grundlage von
Verständnis, Verarbeitung und Bewertung der Situation zu
bestimmen
Sonderfall der Selbstreferenz: Einsicht (Insight)
• Eigenwahrnehmung von Krankheit
• Eigenwahrnehmung der
Notwendigkeit/Angemessenheit von Therapie
Erfordert:
• Selbstreferenz
• Bewertung von Krankheitserfahrung – und erleben
• Akzeptanz der Krankenrolle
(nicht notwendigerweise des spezifischen
Krankheitskonzepts)
Aktivierte Hirnareale (fMRT) bei selbstreferentiellen
Prozessen (Gesunde)
Insulärer Kortex
Anteriores
Cingulum
Interior frontal
(orbitofrontal)
Qin P, Northoff G, NeuroImage, 2011
Entscheidungen bei Schizophrenie laufen anders:
Aktive Areale bei Entscheidung über eigene Person in Unsicherheit.
Schizophrenie: Distribuierte Aktivität vgl. Gesunde
Aktivierte Gebiete im fMRT bei
(Schizophrenie)
(Gesunde)
Krug A. et al, Schizophrenia Research, 2014
Willensbestimmung und Einwilligungsfähigkeit
Freie Willensbestimmung (Habermeyer, Saß, 2012):
-
Zielgerichtete Entscheidung treffen mittels kognitiver Fähigkeiten des
Menschen auf der Grundlage von Werten über Reflexion, Abwägen,
Planung und Wahl
-
Realisierung dieser Entscheidung
Einwilligungsfähigkeit :
Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite (Risiken) der
ärztlichen Maßnahme erfassen kann
Komponenten der Einwilligungsfähigkeit zur Therapie
Applebaum and Grisso (1998)
• Verstehen der Information
(inkl. Risiken, Nutzen)
Behalten, Wiedergeben
• Einsicht (appreciation, insight)
(Erkennen eigenen Krankseins, Einsicht in Therapiemöglichkeiten
zur eigenen Person)
Anwenden der Information auf eigene Situation
• Abwägen (reasoning)
„manipulate information rationally“
inkl. Einsichtsfähigkeit zur Problematik,
Vergleich von Alternativen
• Entscheiden
Inkl. deren Kommunikation
(verbal, non-verbal)
Areale relevant für selbstreferentielle Prozesse
(z. B. Einsicht)
Areale relevant für
Selbst-Referenz
(Einsicht)
Fast alle Strukturen sind bei der Schizophrenie volumetrisch und funktionell
beeinträchtigt, insbesondere die mit Einsichtsfähigkeit verbundenen
Selbstreferentielle Entscheidungsprozesse
bei Schizophrenie different Gesunden
Wegen strukturell und funktionell
beeinträchtigten entscheidungs/selbstreferentiell relevanten Arealen bei
der Schizophrenie: kompensatorisch
distribuierte Aktivität
Willensbestimmung und Einwilligungsfähigkeit
Freie Willensbestimmung (Habermeyer, Saß, 2012):
-
Zielgerichtete Entscheidung treffen mittels kognitiver Fähigkeiten des
Menschen auf der Grundlage von Werten über Reflexion, Abwägen,
Planung und Wahl
-
Realisierung dieser Entscheidung
Einwilligungsfähigkeit (Bundesgerichtshof):
Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite (Risiken) der
ärztlichen Maßnahme erfassen kann
Komponenten der Einwilligungsfähigkeit zur Therapie
Applebaum and Grisso (1998)
• Verstehen der Information
(inkl. Risiken, Nutzen)
Behalten, Wiedergeben
• Einsicht (appreciation, insight)
(Erkennen eigenen Krankseins, Einsicht in Therapiemöglichkeiten
zur eigenen Person)
Anwenden der Information auf eigene Situation
• Abwägen (reasoning)
„manipulate information rationally“
inkl. Einsichtsfähigkeit zur Problematik,
Vergleich von Alternativen
• Entscheiden
Inkl. deren Kommunikation
(verbal, non-verbal)
Fehlt eine der Komponenten: Fehlende Selbstbestimmungsfähigkeit
Bedeutung der kritischen Elemente
der settingabhängigen Einwilligungs-Entscheidungsfähigkeit (EWF)
Unabhängige Feststellung von EWF durch Experten (Global )
und Mac Arthur Assessment
Psychiatrische Klinik
mit EWF
Gutes
Verständnis
Schlechtes
Verständnis
87%
ohne EWF
13%
(V. a. Schizophrenie)
mit EWF ohne EWF
61%
(wg.
unzureichender
„Reasoning“)
19%
81%
(Urteilen +
„Reasoning“
gut)
(„Reasoning“
stets
unzureichend)
39%
(wg.
Unzureichender
Einsicht)
7%
92%
(wg.
unzureichender
Einsichti)
Owen et al., BJP, 2013
Bedeutung der kritischen Elemente
der settingabhängigen Einwilligungs-Entscheidungsfähigkeit (EWF)
Unabhängige Feststellung von EWF durch Experten (Global )
und Mac Arthur Assessment (Mac CAT-T)
mit EWF
Gutes
Verständnis
Schlechtes
Verständnis
87%
ohne EWF
13%
mit EWF
61%
(wg.
unzureichender
„Reasoning“)
19%
81%
(Urteilen +
„Reasoning“
gut)
(„Reasoning“
stets
unzureichend)
ohne EWF
39%
(wg.
unzureichendem
„Urteilen“)
7%
92%
(„Urteilen“ stets
unzureichend)
Owen et al., BJP, 2013
Prozeduren-, Nutzen/Risiko-Settingsabhängig
Beurteilung von Einwilligungsfähigkeit
• Kriteriengeleitete Beurteilung
(z. B. UK: Mental Capacity Act 2005,
USA: Legal Standards – stepwise from minimal
to most stringent)
• Semistrukturiertes Interview
(z. B. Mac Arthur Competence Assessment Tol –
Mac CAT-T)*
* Semiquantitativ in vier Dimensionen, keine übergreifende binare Beurteilung
Einschränkungen
Einwilligungsfähigkeit bei Schizophrenie
• Verstehen
– im akuten
psychotischem Zustand
• Einsicht/Urteilen
– Information anwenden
auf eigene Situation
– im akuten und
chronischen Zustand
Selbstidentität
• Prä-reflexiv
Automatisch gegeben, kein kognitiver Akten,
Artikulation der eigenen Person (begleitendes Selbstgefühl)
dazu gehören:
Gefühl der Meinhaftigkeit von Handlungen
und des Denkens
Erleben zeitlich überdauernder Kontinuität,
Gefühl im Körper zu leben,
Gefühl der Weltzugehörigkeit
• Reflexiv
Kognitiver Akt
Kritische Reflexion auf das eigene Leben und Selbst
Selbstvergewisserung (ich bin es, der denkt)
Ich-Entwicklung
Selbstidentität bei Schizophrenie
• Störung des Erlebens der Selbstidentität initial auf
prä-reflexivem Niveau
„Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit“
• Oft schon prodromal vorhanden
• Grundlage für die Transformation von
Wahrnehmung, Selbstwahrnehmung und
Selbsterleben bei Halluzinationen und
Wahnentwicklung
• Sekundär:
Beeinträchtigung reflexiver Selbstidentität
(Theory of Mind)
Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit
Beispiele, Selbstberichte (Prodromal)
Gefühl, dass er sich auflöst und verschwindet.
Gefühl, dass keine Grenzen zwischen ihm und der Umgebung
bestehen.
Gefühl, in verschiedenen Situationen eine unterschiedliche Person
zu sein.
Gefühl, er sei ein anonymer Fremder in sich selbst.
Gefühl, dass Gedanken entschwinden und festgehalten werden
müssen.
Gefühl, dass sich die Erscheinung beim Blick in den Spiegel ändert.
Gefühl, sich auf eigene Körperbewegungen konzentrieren zu
müssen, die üblicherweise automatisch ablaufen und keine
Aufmerksamkeit erfordern.
„Spatiotemporal disruption“ bei Schizophrenie
(Fehlende Integration in dem „Bewußtsseinsstrom“)
„When I move quickly, it is a strain on me.
Things got too quickly for my mind. They
get blurred and it is like being blind. It´s as
if you were seeing a picture one moment
and another picture the next“.
Northoff, World Psychiatry, 2014
Decision-Making Network,
Showing Projections Between Neocortical and Subcortical Regions
Rosenbloom MH, J Neuropsychiatry Clin Neurosci 24:3, Summer
2012
Komponenten der Einwilligungsfähigkeit
Applebaum and Grisso
(1998)
• Verstehen der Information
(inkl. Risiken, Nutzen)
Behalten, Wiedergeben
• Urteilen (appreciation)
Anwenden der Information auf eigene Situation
(Ausschluss fehlende Krankheitseinsicht)
• Abwägen (reasoning)
„manipulate information rationally“
inkl. Einsichtsfähigkeit zur Problematik,
Vergleich von Alternativen
• Entscheiden
Inkl. deren Kommunikation
(verbal, non-verbal)
MCA Mental
Capacity Act (2005)
• Verstehen der
entscheidungsrelevanten
Information
• Behalten dieser Information
• Nutzen und Abwägen
als Teil des
Entscheidungsprozesses
„a person is not to be treated as
unable to make a decision
merely because he makes an
unwise decision“
• Kommunikation der
Entscheidung
Neuropsychologische Voraussetzungen für
Einwilligungsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen
Bereiche
Verstehen
(understanding)
Funktionen
Gedächtnis (working,
episodic)
Aufmerksamkeit
Appreciation
(Urteilen)
Reasoning
(Abwägen)
Choice Selection
(Entscheidung treffen,
kommunizieren)
„Decision making“
Simplified Neuroanatomic Model of Decisions Making
(Appreciation, Reasoning, Choice Selection)
Anterior
Cangular
Cortex
Basalganglia
Amygdala
„anticipating,
using, weighing“
(reasoning)
Choice
Selction
Orbitofrontal
Cortex
„appreciating“
Missing: Ventromediald PFC, Laperal PFC, Pariental Cortex, insula
Gleichgerrcht E, et al., Nature Reviews Neurology, 2010
Simplified Neuroanatomic Model of Decisions Making
(Appreciation, Reasoning, Choice Selection)
Anterior
Cangular
Cortex
Basalganglia
Amygdala
„anticipating,
using, weighing“
(reasoning)
Choice
Selction
Orbitofrontal
Cortex
„appreciating“
Missing: Ventromediald PFC, Laperal PFC, Pariental Cortex, insula
50% der Hospizbewohner betroffen (Burton, J Am Psych, 2012)
Gleichgerrcht E, et al., Nature Reviews Neurology, 2010
Menschen mit Behinderung:
Zugang zur benötigten Unterstützung
Supported Decision Making
Vorausverfügungen
Shared decision making
(with expert)
Empowerment
Assisted Decisions/
„Representative Agreement“
Information based non-directive
communication tools
(„decision aids“)
Instead of Guardianship and Substituted Decisions
Does a proxy‘s decision to consent to treatment
reflect the will of the patient?
2
(Chi = 4.99, p=0.025)
Decision of the
MCI patient
S urrogate decision of the
Proxy (close relative)
No
Yes
No
5
8
Yes
2
22
• 2*2 Table: Agreement only 70.3%.
• There is a tendency for more positive decisions in proxies.
Particularly with regard to the scenario “PEG tube
treatment”, more proxies decide in favor of treatment
compared to the patients.
Decision Aids: Video vs. Verbal Information in MCI Cases
*
• MacCAT summary score values of healthy participants (below 5th
percentile, 87.5% of Max.) were used as reference standard to define
incapabability to provide informed consent.
• Only 77.2% of MCI patients would be rated as capable to provide
informed consent under written presentation of information
condition.
• Film-supported presentation of information leads to 95% of MCI
patients judged as capable (significant difference (18%), p = 0.046).
Menschen mit Behinderung:
Zugang zur benötigten Unterstützung
Supported Decision Making
Vorausverfügungen
Shared decision making
(with expert)
Empowerment
Assisted Decisions/
„Representative Agreement“
Information based non-directive
communication tools
(„decision aids“)
Instead of Guardianship and Substituted Decisions
Willensbildung bei eingeschränkter Autonomie
Vorausverfügung
Natürlicher Wille
Bestimmt durch persönliche
Werthaltungen und
Lebensziele
Bestimmt durch aktuelle
erfahrene Situation
Antizipation noch nicht
unmittelbar erlebter
Lebenslagen
Ausdruck unmittelbar
erlebter Wünsche
Eindeutig und verbal,
autonomer
Entscheidungsprozess
Evtl. Schwer zu
dechiffrieren oder im
Kontext
Wer definiert Krankheit?
Gesellschaft
Krankheit
Person
Wer definiert Krankheit?
Gesellschaft
Mangelnde
Rollenerfüllung
(„Sickness“)
Krankheit
„Physiologische
Funktionsstörung“
(„Disease, Disorder,
Crisis“)
Person
Leiden
(„Illness“)
Wer definiert Krankheit?
Gesellschaft
Mangelnde
Rollenerfüllung
(„Sickness“)
Krankheit
„Physiologische
Funktionsstörung“
(„Disease, Disorder,
Crisis“)
Person
Leiden
(„Illness“)
Psychische Erkrankung: Soziale Dimension
Mangelnde
Rollenerfüllung
Krankheit
(Disease, Disorder)
Ablehnung
wegen
abweichendem
Verhalten/Zwang
Subj. Leiden
Ablehnung
der Krankenrolle,
der Behandlung
Krankheit als Stigma
Psychische Erkrankung: Soziale Dimension
Mangelnde
Rollenerfüllung
(Sickness)
Krankheit
(Disease, Disorder)
Ablehnung
wegen
abweichendem
Verhalten/Zwang
Subj. Leiden
(Illness)
Ablehnung
der Krankenrolle,
der Behandlung
Empowerment,
Recovery
Soziale Inklusion
Krankheit als
Kontext xPerson - Interaktion
Die Rolle des Arztes
Mangelnde
Rollenerfüllung
Unerwünschtes
Verhalten
Krankheit als
Physiologische
Funktionsstörung
Leiden
Recht auf
Krankheit
Ärztliche Rolle:
Fürsorge und Heilen,
Respekt vor Autonomie
Die Doppelrolle des Psychiaters
Mangelnde
Rollenerfüllung
Unerwünschtes
Verhalten
Krankheit als
Physiologische
Funktionsstörung
Öffentliche Rolle:
Unterbringung, Zwang,
Verletzung der Autonomie
Leiden
Recht auf
Krankheit
Ärztliche Rolle:
Fürsorge und Heilen,
Respekt vor Autonomie
Die Doppelrolle des Psychiaters
Mangelnde
Rollenerfüllung
Unerwünschtes
Verhalten
Krankheit als
Physiologische
Funktionsstörung
Öffentliche Rolle:
Unterbringung, Zwang,
Verletzung der Autonomie
Ärztliche Rolle:
Fürsorge und Heilen,
Respekt vor Autonomie
Vereinbarkeit von 3 Funktionen
- ohne Vertrauensverlust –
???
Leiden
Recht auf
Krankheit
Medizinische Entscheidungssituationen
Eindeutige Situationen:
Autonomie (ohne Suizidalität oder Fremdaggressivität)
Informed Consent
Eingeschränkte Autonomie (mangelnde Einsicht)
Fürsorge, Ziele: Wiedergewinn von Autonomie und Abwendung
schwerer Gesundheitsschäden, ggf. Zwangsmaßnahmen
Ethische Dilemma-Situationen:
Autonomie und akute Suizidalität
Unterbringung auch ohne Zustimmung zur Behandlung?
Autonomie und akute Fremdaggressivität (krankheitsbedingt)
Unterbringung auch ohne Einwilligung zur Behandlung?
Autonomie und chronische Suizidalität
Unterbringung? Ggf. in extremen Fällen Sterbehilfe?
Vorausverfügung gegen natürlichen Willen
Unterlassung lebensrettender Maßnahmen?
„Aufbruch
in das Jahrhundert des Patienten“ *
Recht auf
-
Respekt vor persönlicher Autonomie
Freiheit der Bewegung
Würdiges Leben
Optimaler Gesundheitszustand
(inkl. Therapie und Gefahrenabwehr)
Aufklärung und Information
Fürsorge
eigene Werthaltungen und auch irrationale
Ziele
Krankheit
*G. Gigerenzer, JA Muir Gray, 2013
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