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DR. IRIS HAUTH
PRÄSIDENTIN DGPPN
Internetbasierte Interventionen in der Behandlung von
psychischen Störungen:
Überblick, Qualitätskriterien und Perspektiven
Gemeindepsychiatrie 2.0 – Fachtagung zu Chancen und Grenzen von E-Mental-Health
Berlin, 11. November 2016
Zentrum für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und
Psychosomatik
361 Betten/inklusive 86 Tagesklinikplätze, 49 Betten Neurologie, 43
Plätze TWG, PIA, MVZ, 2 Seniorenpflegeheime
AGENDA
1. Was sind internetbasierte Interventionen?
2. Internationale Evidenz
Bei welchen Indikationen gibt es Evidenz für die
Wirksamkeit?
3. Perspektiven für internetgestützte
Interventionen in Deutschland:
DGPPN-Qualitätsstandards
Was sind internetbasierte Interventionen?
 Internetbasierte interaktive Selbsthilfeprogramme
 Ziel: Verhaltensänderung des Nutzers
(Stärkung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen und/oder
Abbau gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen)
 beinhalten psychoedukative Elemente und/oder Ansätze aus
der kognitiven Verhaltenstherapie
 Feedback (statistisch automatisiert oder persönlich)
Unterscheidung: begleitete vs. unbegleitete Interventionen
BREITES SPEKTRUM AN ANGEBOTEN
Phase der Versorgung
Prävention
Frühintervention im
Rahmen
einer
gestuften
Versorgung
Einsatz in
der Primärversorgung
Vorbereitung einer
Psychotherapie
während
der
Wartezeit
Ergänzung
einer
Psychotherapie
oder
Pharmakotherapie
(blended
treatment)
Behandlung von
unterversorgten
Gruppen
Behandlung in
medizinischen
Settings
Rückfallpro
phylaxe
nach
Abschluss
einer
Behandlung
BREITES SPEKTRUM AN ANGEBOTEN
Beispiele für Interventionen
Vermittlung von
Selbstmanagement
Strategien
via E-Mail
Nicht
angeleitetes
Selbstmanagement
Therapeutenunabhängige
SelbsthilfeProgramme
Inhalte und
Übungen
zur
Vorbereitung der
Psychotherapie
Unterstützung
der
Behandlung, z.B.
durch EMails oder
Programme
Kultursensible
muttersprachliche
InternetIntervention bei
Migranten
Behandlung von
komorbiden
Depressionen
Chat- oder
E-MailBrücke
EINTEILUNG INTERNETBASIERTER
INTERVENTIONEN
Interventionen lassen sich anhand
verschiedener Eigenschaften einteilen:
 Phasen der Behandlung
Prävention, Behandlung, Nachsorge, Rückfallprävention
 Präsentation der Inhalte
textbasiert, multimedial, Videos, Audios, starr oder angepasst an Nutzer
 Therapeutenkontakt
Selbstmanagementinterventionen mit und ohne Unterstützung;
Fernbehandlung durch einen Therapeuten (z. B. per Chat oder E-Mail)
 Therapeutische Ansätze
Kognitive Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie, andere
Ansätze; störungsorientiert oder transdiagnostisch
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „Interapy“ aus den Niederlanden
Patientenzielgruppen:
 Depression
 posttraumatische
Belastungsstörung
 Angststörung
 langanhaltende Trauer
 arbeitsbedingter
psychischer Stress
 Essstörung
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
 Therapeutisches
Schreiben
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „Beating the blues“ aus UK
Patientenzielgruppen:




Angststörung
Stress
Depressionen
Niedergeschlagenheit
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „Good days ahead“ aus den USA
Patientenzielgruppen:
 Depression
 Angststörung
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „Deprexis“
Patientenzielgruppen:
 Erwachsene mit
Symptomen einer
unipolaren Depression
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
 Positive Psychologie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „iFightDepression“
Patientenzielgruppen:
 Menschen mit leichter
bis mittelgradiger
Depression
 (Jugendliche zwischen
15 und 24 Jahren und
Erwachsene ab 25
Jahren)
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „Novego“
Patientenzielgruppen:






Leichte bis mittelgradige
Depressionen
Postpartale Depressionen
Herzerkrankungen
Chronischer Rückenschmerz
Burnout
Ängste (Panik und Phobien)
Therapeutischer Fokus:



Kognitive Verhaltenstherapie
Systematische Therapie
Achtsamkeitstraining
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „Net-Step“
Patientenzielgruppen:
 Menschen mit sozialen
Phobien
 Angst- und Panikstörung
 Depressionen
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „TK-DepressionsCoach“
Patientenzielgruppen:
 Erwachsene mit einer
leichten bis mittelgradigen
Depression
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
 Positive Psychologie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „ProMind“
Patientenzielgruppen:
 Leichte bis mittelgradige
Depression
 Stress/Burnout
Therapeutischer Fokus:
 Kognitive
Verhaltenstherapie
INTERNETBASIERTE SELBSTHILFEPROGRAMME
Beispiel „MoodGYM“
ZIELGRUPPE
An wen richten sich die internetbasierte
Interventionen?
 Großteil gerichtet an Personen im jungen bis höheren
Erwachsenenalter (ca. 18 – 65 Jahre)
 Personen, die bisher keinen Kontakt zum
Gesundheitssystem hatten (Autonomie)
 Zielgruppe mitunter speziell Kinder und Jugendliche
(Prävention von Essstörungen, Übergewicht & Adipositas,
Rauchen, Behandlung von Enkopresis, Umgang mit
chronischen Schmerzen)
 Seltener ältere Personen (> 65 Jahre) im Fokus
INTERNATIONALE EVIDENZ
Bei welchen Indikationen
gibt es Evidenz für die
Wirksamkeit?
Zielrichtung:  Behandlung und Behandlungsunterstützung
 Prävention
Grundlage: Meta-Review = Systematische Literaturrecherche nach
Übersichtsarbeiten und Metanalysen
Evidenzbewertung beruht auf dem etablierten Beurteilungsverfahren des Scottish Intercollegiate Guidelines
Network (SIGN): Zweistufiges Verfahren (Studientyp, Methodische Qualität)
Quelle: Röhr, Stein, Riedel-Heller (2016) Sind Online-Coaches zur Intervention bei psychischen
Erkrankungen wirksam? Ein Meta-Review. Psych Prax (eingereicht)
GLEICHZEITIG: FORSCHUNGSLÜCKEN
Evidenzebenen, eingeteilt nach ausgesuchten Störungen
Einteilung psychologischer
Internet-Interventionen
Synchrone Kommunikation
(zeitgleich, z. B. Therapie über
audiovisuelle Medien)
Asynchrone Kommunikation
(zeitversetzt, z. B. Therapie via EMail)
Nicht angeleitete
Selbstmanagement -Interventionen
Angeleitete Selbstmanagement Interventionen
Quelle: Klein et al. (2016)
SubstanzStörungen
Schizo- Depres- Panik- Soziale
phrenie
sion
Störung Phobie
PTSD
x
x
+
x
x
+
x
x
+
x
x
x
++
+
++
++
++
+
x
x
++
++
++
++
+=Evidenz, ++=hohe Evidenz, X=Forschungslücke
WIRKSAMKEIT
Wirksamkeit begleiteter vs. unbegleiteter
internetbasierter Interventionen
 Eine dezidierte Bewertung der Nutzenevidenz differenziert nach
begleiteten und unbegleiteten Interventionen innerhalb der
spezifischen Indikationen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
möglich, da nur sehr wenige Übersichtsarbeiten diesen Faktor in ihren
Analysen berücksichtig haben
 Professionell begleitete als auch unbegleitete Interventionen sind
wirksam, tendenziell wird Wirksamkeitsvorteil von begleiteten
Programmen berichtet
WIRKSAMKEIT
Fragen über Fragen …
 Welche Interventionskomponenten sind
besonders effektiv und wie lange bleiben die
Effekte bestehen? – Nachhaltigkeit?
 Was ist die optimale Länge und Intensität von
internetbasierten Interventionen verschiedener
Indikationen (wie viel therapeutischer Kontakt,
welche Module)?
WIRKSAMKEIT
Hinweise für Wirksamkeitsvorteile bei:
 längerer Programmdauer
 stärkerer Interaktivität/Multimodalität
 klarer Zielsetzung
 personalisierter Rückmeldung und/oder
 höherem Grad an professioneller Begleitung
 Adressierung einer spezifischen Indikation
 solider Eingangsdiagnostik
 theoriegeleiteter Konzeptualisierung (häufig auf Basis von KVT)
WIRKSAMKEIT
Zusammenfassung:
 Solide Studienbasis für die Evidenz der Wirksamkeit von
internetbasierten Interventionen mit überwiegend
akzeptabler und hoher methodischer Qualität
 Internetbasierte Interventionen für breites Spektrum an
Indikationen wirksam, sinnvolle Ergänzung zu
herkömmlichen Versorgungsangeboten
 Professionell begleitete als auch unbegleitete
Interventionen wirksam, tendenziell Wirksamkeitsvorteil
von begleiteten Programmen berichtet
WIRKSAMKEIT
Aber …
 Programme tendenziell eher schwierig auffindbar
 Fehlen einer einheitlichen Bewertung zur Identifizierung
wirksamer und kosteneffizienter internetbasierter
Interventionen für Verbraucher und Krankenkassen
 Qualitätsstandards für Programminhalte und der medialen
Vermittlung erforderlich
PERSPEKTIVEN INTERNETGESTÜTZTER
INTERVENTIONEN IN DEUTSCHLAND
DGPPN-Kriterien für Qualität im Internet
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Indikation
Intervention
Sicherheitsaspekte
Wirksamkeit
Nutzerperspektive
Gesundheitsökonomie
Integrierbarkeit in die Versorgung
Rechtliche Aspekte
Datenschutz
Quelle: Klein et al. (2016) Internetbasierte Interventionen in der Behandlung von psychischen Störungen:
Überblick, Qualitätskriterien und Perspektiven. Nervenarzt (accepted)
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
1. Indikation
Beschreibung der psychischen Beschwerden,
zu deren Behandlung die Intervention
geeignet ist
 Spezifisch (z. B. depressive Symptome,
Angstsymptome, ...) oder transdiagnostisch?
 Schweregrad der Symptome? (z. B. Eignung nur bei
leichten bis mittelgradigen oder auch bei schwerer
ausgeprägten Beschwerden)
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
2. Intervention
Beschreibung der Intervention
 Art der Intervention
 Transparente Beschreibung
 Dauer der Nutzung
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
3. Sicherheitsaspekte
Beschreibung der bekannten
Nebenwirkungen und dem Vorgehen bei
Gefährdungssituationen
 Sind in den Studien unerwünschte Wirkungen
systematisch erfasst worden?
 Wie reagiert das System bei Auftreten
von Notfällen (z. B. Suizidalität)?
 Werden dem Nutzer automatisiert Hilfestellungen
empfohlen?
 Wird eine professionelle Bezugsperson, z. B. der
behandelnde Psychiater, informiert?
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
4. Wirksamkeit
Beschreibung der Studien zur Feststellung
der Wirksamkeit der Intervention
 Erfüllt die Intervention die Kriterien für eine
evidenzbasierte psychologische Intervention,
d. h. gibt es mindestens zwei Studien zweier
unabhängiger Forschergruppen, welche die
Überlegenheit über eine Kontrollgruppe oder die
Gleichwertigkeit mit einer etablierten Therapie
zeigen?
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
5. Nutzerperspektive
Beschreibung des Wissens über die
Nutzerperspektive
 Ist die Intervention barrierefrei oder –arm (z.B.
breit zugänglich bzgl. Seh- und Hörvermögen der
Nutzer)? In welchen Sprachen ist die Intervention
verfügbar?
 Welche Abbruchraten bzw. Completerraten werden
in den Studien beschrieben? Wurde die
Nutzerzufriedenheit gemessen?
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
6. Gesundheitsökonomie
Beschreibung des Kosten-NutzenVerhältnisses
 Was kostet die Intervention pro Nutzer?
 Bestehen gesundheitsökonomische Analysen für
die Anwendung dieser Intervention im deutschen
Gesundheitssystem? Was ist deren Ergebnis?
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
7. Integrierbarkeit in die Versorgung
Beschreibung der Schnittstelle zwischen
Intervention und Behandler
 Gibt es eine Möglichkeit für den Behandler, das
Nutzungsverhalten seines Patienten zu
beobachten?
 Kann der Behandler in einem verschlüsselten EMail-System in der Intervention mit seinem
Patienten kommunizieren?
 Wird im Rahmen der Intervention systematisch der
Erfolg der Intervention überprüft? Welche
Empfehlungen werden bei ausbleibendem Erfolg
der Intervention gegeben?
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
8. Rechtliche Aspekte
Beschreibung der bei der Nutzung der
Intervention zu berücksichtigenden
rechtlichen Rahmenbedingungen
 Sozialrechtlich: Sind die für die Nutzung der
Intervention anfallenden Kosten erstattungsfähig?
Kann der Kliniker im Rahmen der Intervention
erbrachte Leistungen mit der Krankenkasse
abrechnen?
 Berufsrechtlich: fallen die im Rahmen der
Intervention durch den Kliniker erbrachten
Leistungen unter das Fernbehandlungsverbot?
 Haftungsrechtlich: Wer haftet bei Fehlern in der
internetbasierten Intervention? Der Behandler
oder der Entwickler der Intervention?
DGPPN-QUALITÄTSKRITERIEN
9. Datenschutz
Beschreibung der Datenschutzeigenschaften
der Intervention und der Anforderungen an
den Kliniker
 Kann der Nutzer sich auch anonym bei der
Intervention anmelden?
 Erfolgt der Austausch der Daten mit dem System
über eine verschlüsselte Verbindung?
 In welchem Land werden eventuelle Daten
gespeichert? Innerhalb welcher Frist werden diese
gelöscht? Kann der Nutzer die Löschung der Daten
veranlassen?
 Welche Anforderungen bestehen an das IT-System
des Behandlers, wenn er im Rahmen der
Intervention mit seinem Patienten kommuniziert?
FAZIT
 Internetbasierte Interventionen wurden für eine Vielzahl
von psychischen Erkrankungen entwickelt
 Evidenz für die Wirksamkeit dieser Programme liegt bei
vielen Indikationen vor - relevante Ergänzung zur
herkömmlichen Routineversorgung!
 Sowohl begleitete als auch unbegleitete Interventionen
sind wirksam
 Es bedarf Qualitätsstandards für internetbasierte
Interventionen, um besonders wirksame Angebote unter
vielen kenntlich zu machen
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