Pressemitteilung

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Pressemitteilung
Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie,
Universitätsklinikums Heidelberg, Universität Ulm
Embargo bis Sonntag, den 13. November 2005, 18.00 Uhr WEZ
Schadensbegrenzung bei Schlaganfall
Zellsignal könnte über Leben und Tod beschädigter Gehirnzellen entscheiden
Monterotondo/Heidelberg/Ulm, 13. November 2005. –
Richter über Leben oder Tod von Gehirnzellen nach
einem Schlaganfall könnte ein spezifisches Zellsignal
sein. Dies haben Wissenschaftler an den Universitäten
von Heidelberg und Ulm und einer Forschungseinheit des
Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie
(EMBL) im italienischen Monterotondo entdeckt. Ihre
Studie, veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe von Nature
Medicine, enthält deutliche Hinweise auf neue Therapiemöglichkeiten für Schlaganfallpatienten über die Steuerung eines an der Signalübermittlung beteiligten Moleküls.
Jahr für Jahr sterben Millionen Menschen oder müssen
mit dauerhaften Behinderungen leben, wenn infolge eines
Schlaganfalls die Blutzufuhr zu ihrem Gehirn und damit
die Versorgung ihrer Gehirnzellen mit lebenswichtigem
Sauerstoff und Nährstoffen unterbrochen wird. Das
endgültige Schicksal der Zellen scheint jedoch davon
abzuhängen, was nach dem Schlaganfall geschieht. Einer
wissenschaftlichen Entdeckung zufolge nutzen beschädigte und absterbende Gehirnzellen über den so
genannten NF-κB-Signalweg ganz aktiv ein „Kommunikationsnetzwerk“. Zellen verfügen über zahlreiche solcher
Netzwerke, die bestimmte Gene ein- oder ausschalten,
auf die chemische Zusammensetzung der Zelle oder aber
deren Verhalten einwirken. Die meisten Medikamente
wirken auf Moleküle ein, die innerhalb dieser Netzwerke
wichtige Funktionen übernehmen.
Wohl war bekannt, dass der NF-κB-Signalweg in
Neuronen aktiv ist; seine Funktion jedoch kannte man
nicht. „Manches deutete darauf hin, dass der Signalweg in
Nervenzellen ein Selbstzerstörungsprogramm in Gang
setzt, die so genannte Apoptose“, erklärt Markus
Schwaninger von der Universität Heidelberg, einer der
Leiter des Forschungsprojekts. „Wenn das stimmt, könnte
das Signal beim Absterben von Neuronen nach
Schlaganfällen oder anderen Hirnschädigungen durchaus
eine Rolle spielen.“ Zur Überprüfung dieser Hypothese
hatte Schwaningers Forschungsteam eine ausgeklügelte
Methode entwickelt, mit der sie Mäuse, ein Modellorganismus zur Erforschung neuer Behandlungsmethoden, in einen dem Schlaganfall ähnlichen Zustand
versetzten.
Was würde eine Ausschaltung des NF-κB-Gens in
Neuronen nach einem Schlaganfall bewirken? Zur
Beantwortung dieser Frage benötigten die Wissenschaftler Genmausmodelle. Die Forschungsgruppe von
Manolis Pasparakis in der Einheit Mausbiologie des
EMBL entwickelte einen „konditionellen Knockout“Mausstamm, in dem sich die Aktivität des Proteins IKK2,
das NF-κB aktiviert, steuern lässt. Die Forscher können
dabei exakt bestimmen, wann sie das Molekül in
Neuronen ausschalten. „Bei gängigeren Methoden wird
ein Gen durch seine Ausschaltung endgültig und aus allen
Geweben eines Tieres entfernt“, erläutert Pasparakis.
„Auf NF-κB ist diese Methode nicht anwendbar, da das
Signal in anderen Zelltypen überlebenswichtige
Funktionen erfüllt. Um unsere Hypothesen zur Rolle des
Gens zu überprüfen, brauchten wir daher einen
präziseren Kontrollmechanismus.“ Zeitgleich mit
Pasparakis’ Arbeit hatten Bernd Baumann und Thomas
Wirth an der Universität Ulm zwei weitere Mausmodelle
entwickelt, in denen sich IKK2 in Neuronen beliebig häufig
aus- und wieder einschalten lässt. „Dieses System
zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass wir den
Signalweg gezielt in Neuronen und zu nahezu jedem
gewünschten Zeitpunkt aktivieren und blockieren
können“, betont Wirth. Über die Zusammenführung ihrer
Fachkenntnisse konnten die Forscher ein klares Bild von
der Wirkungsweise des Proteins nach einem Schlaganfall
entwickeln.
Sie fanden heraus, dass Mäuse mit der hyperaktiven
Form von IKK2 in Neuronen und mit übermäßiger NF-κBSignalisierung stärkere Schäden davontragen und dass
weit mehr Zellen absterben als sonst. Bei einem
blockierten IKK2-Signal jedoch bleiben geschädigte
Zellen länger am Leben und scheinen sich sogar zu
erholen. Zudem sind diese Auswirkungen langfristiger Art:
Noch Tage nach dem Schlaganfall waren Neuronen in den
beschädigten Geweben am Leben.
Auf der Suche nach Behandlungsmethoden für die
tödliche Erkrankung Schlaganfall geben zwei Faktoren
Anlass zur Hoffnung auf Erfolg. Zum einen wirkte sich die
Ausschaltung des IKK2-Signals noch Stunden nach dem
Schlaganfall positiv aus – ein wichtiger Aspekt für die
Behandlung menschlicher Patienten, die normalerweise
erst einige Zeit nach dem Vorfall im Krankenhaus
eintreffen. Darüber hinaus ließen sich die gleichen Effekte
erzielen, als die Forscher die Aktivität von IKK2 mit einem
kleinen künstlichen Molekül blockierten – exakt dort, wo
ein Medikament ansetzen müsste. Die Chancen stehen
gut, dass IKK2 in unseren Gehirnzellen vergleichbare
Wirkung hat, denn das NF-κB-Signalnetzwerk
menschlicher Zellen ist dem der Modelle sehr ähnlich. Da
NF-κB auf seinem Weg zudem eine Reihe weiterer
wichtiger Signale übermittelt, arbeiten Pharmaunternehmen bereits seit einiger Zeit an der Entwicklung
von Molekülen, die an einzelnen Etappen des Signalwegs
ansetzen.
Manolis Pasparakis, EMBL
Oliver Herrmann und Markus Schwaninger,
Universitätsklinikum Heidelberg
Thomas Wirth,
Universität Ulm
Bernd Baumann,
Universität Ulm
Source Article:
O. Herrmann, B. Baumann, R. de Lorenzi, S. Muhammad, W. Zhang, J. Kleesiek, M. Malfertheiner, M. Köhrmann,
I. Potrovita, I. Maegele, C. Beyer, J. Burke, M.T. Hasan, H. Bujard, T. Wirth, M. Pasparakis & M. Schwaninger.
IKK mediates ischemia-induced neuronal death. Nature Medicine, 13. November 2005 (online publication)
Ansprechpartner:
Sarah Sherwood, EMBL Information Officer, Heidelberg, Germany, Tel: +49 6221 387 125, www.embl.org, [email protected]
Dr. Annette Tuffs, Press Office, University Hospital and Medical Faculty, University of Heidelberg, Tel. +49 6221 56 4536,
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/index.php?id=1712, [email protected]; Prof. Dr. Markus Schwaninger, University
Hospital and Medical Faculty, University of Heidelberg, Germany, Tel. +49 6221 56 37535, [email protected]
Dr. Thomas Wirth, Dept. Physiological Chemistry, Ulm University, Tel. +49 731 502 3270, [email protected]
Über EMBL:
Das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie ist ein Grundlagenforschungsinstitut, das mit öffentlichen Geldern
aus 18 Mitgliedsländern finanziert wird - unter ihnen die meisten EU-Länder, die Schweiz und Israel. Die Forschung bei
EMBL wird durch etwa 80 unabhängige Gruppen durchgeführt, die das Spektrum der Molekularbiologie abdecken. Das
Laboratorium gliedert sich in fünf Einheiten: das Hauptlabor in Heidelberg sowie Außenstellen in Hinxton (das Europäische
Institut für Bioinformatik), Grenoble, Hamburg und Monterotondo in der Nähe von Rom. Die Eckpfeiler von EMBLs Mission
sind: Grundlagenforschung im Bereich der Molekularbiologie durchzuführen, Wissenschaftler, Studenten und Gäste auf
jedem Niveau auszubilden, den Wissenschaftlern in den Mitgliedsstaaten zentrale Dienste anzubieten und neue
Instrumente und Methoden für die Lebenswissenschaften zu entwickeln. An dem internationalen PhD-Programm von
EMBL nehmen etwa 170 Studierende teil. Das Laboratorium fördert außerdem ein aktives Programm „Wissenschaft und
Gesellschaft“. Besucher aus Presse- und Öffentlichkeit sind herzlich willkommen.
Über Universitätsklinikum Heidelberg:
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten medizinischen Zentren in Deutschland und Europa. Knapp
8.000 Mitarbeiter sind in Krankenversorgung, biomedizinischer Forschung, Lehre, Logistik und Verwaltung tätig. In 42
Kliniken und Fachabteilungen werden jährlich knapp 600.000 Patienten ambulant und stationär behandelt. Klinikum und
Medizinische Fakultät Heidelberg gemeinsam gehören zudem zu den bundesweit aktivsten biomedizinischen
Forschungseinrichtungen in Deutschland und bilden jedes Jahr mehrere hundert Ärzte und Mitarbeiter anderer
Gesundheitsberufe aus.
Über Universität Ulm:
Innovative Forschung, Interdisziplinarität und eine erfolgreiche Ausbildung zeichnen die 1967 gegründete Universität Ulm
aus. Sie entstand aus einer Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Hochschule und ist die jüngste Universität des Landes
Baden-Württemberg. Inzwischen ist sie zum Herzstück der Ulmer Wissenschaftsstadt auf dem Oberen Eselsberg
geworden. Zur Wissenschaftsstadt gehören neben Universität und Fachhochschule mehrere assoziierte Institute,
zahlreiche Kliniken sowie bedeutende Forschungs- und Entwicklungszentren der Industrie, u. a. von DaimlerChrysler,
Siemens und Nokia. Insgesamt sind in der 1987 auf Initiative der Universität gegründeten Wissenschaftsstadt rund 8000
hochwertige Arbeitsplätze entstanden. Die Universität zählt derzeit 7200 Studierende in den Fakultäten Medizin,
Naturwissenschaften, Informatik, Ingenieurwissenschaften sowie Mathematik und Wirtschaftswissenschaften.
Forschungsschwerpunkte sind Lebenswissenschaften und Medizin, Informations- und Kommunikationstechnologien, Biound Nanomaterialien sowie Finanzdienstleistungen und ihre mathematische Methodik. An ihr lehren derzeit 230
Professoren.
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