D EMOKRATIE Die Zukunftsfähigkeit der zivilen Gesellschaft Demokratie als Lebensform Von Andreas Szelenyi Der Modernisierungsdiksurs über die nachhaltige Entwicklung der Bundesrepublik ist trotz der Debatte um den Wirtschaftsstandort im Gange. Die Lösungsvorschläge reichen von technologischer Innovation bis zur Forderung nach neuen Leitbildern. Lassen sich damit die Probleme einer Unsicherheitsgesellschaft bewältigen? Ein Plädoyer für die Demokratisierung der Demokratie. mweltschutz – so schien es – war spätestens seit der Konferenz von Rio im Jahr 1992 aus dem offiziellen Sprachgebrauch der Politik nicht mehr wegzudenken. Angesichts stagnierenden Wirtschaftswachstums und steigender Arbeitslosenzahlen geraten „grüne“ Themen heute mehr und mehr in den Hintergrund. Was steckt dahinter? Zugrunde liegt die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik, einer hochindustrialisierten Gesellschaft mit mehr oder weniger liberaler Marktwirtschaft und einer repräsentativen Demokratie. Einer Demokratie, die sich wachsendem Legitimationsdruck ausgesetzt sieht, weil ihr als politischem System die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit abhanden zu kommen droht. Lange Zeit galt die Devise des „Weiter so!“ Sie wird durch zunehmende Unsicherheiten in der „Risikogesellschaft“ (Arbeitsplatzverlust, Umweltgefährdungen) mehr und mehr entwertet. Die nichtintendierten, ungesehenen Nebenfolgen überlagern die Erfolge der Demokratie, die auf das Marktprinzip vertraute. Damit werden auch ihre bisher gültigen Prämissen fragwürdig. Statt grenzenlosem Raubbau an der Natur durch ein ausschließlich wachstumsorientiertes Wirtschaften, wird nun eine „nachhaltige Lebensweise“ eingefordert, von Effizienz- und Suffizienzrevolution ist die Rede sowie von „Entschleunigung“ als neuem Leitbild (1). Um diese Ziele nicht nur wirtschaftlich zu erreichen, werden neue Politikinstrumente und -stile verlangt. Dabei wird der öffentliche Diksurs so geführt als bestünde Konsens, was das Ziel der nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebensweise ist. Eine breite, öffentliche – und demokratische – Debatte über zukunftsfähige nachhaltige Entwicklung findet bisher nicht statt. Allenfalls darf noch ein Dialog auf kom- U munaler Ebene über die Umsetzung geführt werden. Und auch diese Verhandlungen finden meißt unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Da die Lösung der Probleme in immer fernere Zukünfte verlegt wird, sollte auch das derzeitige Demokratiemodell trotz – oder gerade – wegen dessen Konkurrenzlosigkeit auf seine Zukunftsfähigkeit untersucht werden. n Krise der End-of-pipe-Demokratie Die These lautet: Was heute an konkreten neueren politischen Institutionen zur Überwindung von Blockaden entwickelt wurde oder vorgeschlagen wird – Mediationsverfahren, Ökorat, Technikoberhaus etc. – ist vergleichbar mit der End-of-pipe-Mentalität technologischer Innovation. Genau so wenig wie das Wirtschaftssystem mit seinem Prinzip Markt grundsätzlich infrage gestellt wird, genau so wenig geschieht dies mit dem politischen System. Ich möchte diese Form des politischen Systems als „End-of-pipe-Demokratie“ bezeichnen. Das heißt: Etablierte politische Institutionen treffen Entscheidungen mit ökologisch und sozial negativen Folgen. Hinterher werden dann Gremien zur Schadensbekämpfung installiert. Mit ein wenig mehr Dialog angereichert, soll das Staatsschiff „flott“gemacht werden für die schwere See des nächsten Jahrtausends. Aber was können neue, nachgeordnete Institutionen leisten? Mediationsverfahren können zwar zeitraubende Blockaden überwinden, dies jedoch nur, wenn die Essentials nicht thematisiert werden. So hat ein solches Forum 1993 in BadenWürttemberg ein Konzept für den künftigen Umgang mit Sondermüll erarbeitet – Vermeidung und Verwertung geht vor Verbrennung – ; die Standortfrage für eine Verbrennungsanlage wurde jedoch ausgeklamPolitische Ökologie · 46 · Mai/Juni ‘96 63 D EMOKRATIE Politische Ökologie 1 Vgl. WI-Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ 2 vgl. dazu Samuel Hays : Conservation and theGospel of Efficiency Athaeneum Press, New York, 1978 3 Benjamin Barber: Starke Demokratie, Hamburg 1994 mert. Am entscheidenden Punkt, nämlich beim Aufeinanderprallen privatistisch orientierter Nutzenkalküle, bleiben die Fragen ungelöst. n Die Ökologisierung der Demokratie Eine „ökologische Demokratie“ muß zuerst eine Demokratisierung der Nachhaltigkeitsdebatte erreichen. Denn welche Interpretation von Sustainable Development letzlich als Leitbild zu Veränderungen führt, ist in höchstem Maß eine gesellschaftspolitische Entscheidung und nicht etwa eine technologische. Hinter der Nachhaltigkeitsdebatte verbergen sich verschiedene sozial-politische Projekte mit jeweils unterschiedlichen Ideen, wie das Verhältnis Gesellschaft – Umwelt definiert sein sollte. Damit wird auch deutlich, daß es bei der ökologischen Frage, bei genauerem Hinsehen, letztlich um kulturelle Politik geht, also um Lebensformen und weniger um technologischen Umweltschutz (2). Es ist ja gerade zu begrüßen, daß Konzepte zur gesellschaftlichen Reorganisation im Zeitalter ökologischer Gefährdungen ausgearbeitet werden, wie beispielsweise durch die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“; nur sollten sie in ihrem Wesen als kulturelle Entwürfe erkannt werden. Und es sollte darüber nachgedacht werden, wer darüber diskutieren sollte und in welDer Weg aus dieser ökonomischen, cher Arena. Da es sich ökologischen und sozialen Depriva- um kulturelle Politik tion heraus, führt über eine Stärkung handelt, müssen mögdes bürgerlichen Selbstbewußtseins. lichst alle Betroffenen eines „ökologischen Kulturkreises“ in den Diskurs um die Frage einbezogen werden, wie eine – auch für künftige Generationen – noch lebenswerte Erde gestaltet werden kann. Momentan machen sich die NGO’s auf internationaler Ebene zum Sprachrohr der Weltbürgergesellschaft. Ihnen gelingt es zwar, neue Themen in die etablierte Politik einzubringen. An einem Wandel des demokratischen Politikprozesses, wie sie die neuen kulturellen Entwürfe nahelegen, arbeiten sie aber (noch) nicht. Reformiert gehört die einzelstaatliche, repräsentative Demokratie mit ihrem Delegationsprinzip. Sie muß mehr Öffentlichkeit institutionalisieren, will sie weiteren Legitimationsverlust vermeiden. Der derzeit zu beobachtende Motivationsverlust des Bürgers an politischer Beteiligung, zeigt sich an der sinkenden Wahlbeteiligung und dem Rückzug in das Private. Diese Tendenzen sind im Politik-Establishment zum Teil erkannt worden. „Von oben“ wird versucht, mehr diskursive Verfahren einzuführen, also mehr Einbindung ” 64 Politische Ökologie · 46 · Mai/Juni ‘96 gesellschaftlicher Gruppen zu erreichen, etwa durch Konsens-Konferenzen oder Mediation. Was sich hier abzeichnet, sind Ansätze für eine Modernisierung der repräsentativen Demokratie – allerdings mit „End-ofpipe“-Charakter ohne grundsätzliche Veränderung im politischen System. Das genügt jedoch nicht. Die weitere Demokratisierung der Demokratie ist die Chance für ihre Zukunftsfähigkeit. Konkret heißt das: Die Suche nach den Leitbildern für ein zukunftsfähiges Deutschland sollte in einem breiten gesellschaftlichen Prozeß erfolgen. Modernisierung der Demokratie durch einige Wenige anstelle einer demokratischen Öffentlichkeit ist ein Widerspruch in sich. Das kann ernsthaft niemand wollen, nicht einmal Befürworter eines starken Etatismus oder Politiker, die den Bürger als unmündigen Laien einschätzen. n Demokratie als politische Einstellung Wie kann eine solche Demokratisierung der Demokratie erfolgen? Eine Alternative zur „End-of-Pipe-Demokratie“ ist eine diskursive Demokratie. In ihrem Zentrum steht das Ver- und Aushandeln. Daß heißt auch, kritisch zu hinterfragen, wer welche Themen für eine politische Entscheidung in die befugten Gremien einbringen kann. Schon hier müßten die Zugangsmöglichkeiten demokratisiert werden. Leitbild einer diskursiven Demokratie ist der mündige, kompetente Bürger. Er soll als wiedererstarkter Citoyen über seine Zukunft aktiv mitentscheiden. Die diskursive Demokratie steht in der Tradition der republikanischen Theorieansätze. Demokratie ist nach dieser Sicht mehr als nur eine Regierungsform; Demokratie ist eine bestimmte Haltung und Einstellung zum Umgang mit Fragen des Gemeinwohls, ist politische Kultur. Diese „starke Demokratie“ wie sie in ähnlicher Weise der amerikanische Demokratietheoretiker Benjamin Barber beschreibt (3), geht davon aus, daß der Mensch zu kollektivistischem Denken fähig ist und nicht ausschließlich aus Eigennutz handelt. Eine solchermaßen motivierte Gesellschaft wäre eine Alternative zu einer durch sich selbst schwach gewordenen liberalen Demokratie, die das Private als höchstes Freiheitsrecht so vehement verteidigt, daß der Blick auf das Gemeinwesen verloren geht. Die Fragmentierung der sozialen Ordnung, das Phänomen der Individualisierung wird in diesem Zusammenhang oft beschrieben. Einer Gesellschaft mehr individuelle demokratische Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen, fällt vielen Akteuren etablierter Politik noch schwer und könnte doch gerade die Antwort sein. Der Weg aus dieser ökonomischen, ökologischen und sozialen Deprivation heraus, führt über eine Stärkung des bürgerlichen Selbstbewußtseins. Erfährt der Bürger und die Bürgerin, daß ihre Entscheidungen tatsächlich unmittelbare Auswirkungen haben, für ihn selbst wie für das Gemeinwesen, erfahren sie ihre Rolle als Souverän neu. Dies wiederum kann gemein- wohlorientiertes Handeln fördern und zwar eher, als der Aufruf zu mehr Verfassungspatriotismus für die parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, solange sich diese als erstarrt und unflexibel präsentiert. Grundvoraussetzung für eine in dieser Weise veränderte Form der politischen Auseinandersetzung ist der Abschied von der Vorstellung, das politische Grundüberzeugungen auf Letztbegründungen, auf Wahrheit beruhen. Es mutet geradezu paradox an, wenn die Parteien versuchen, ihre Programme als die einzig glaubwürdigen Lösungen anzubieten, gleichzeitig insbesondere die – noch – großen Volksparteien immer wieder verkünden, daß die großen Probleme nur im Konsens gelöst werden können. Die Abkehr vom Dogma führt nicht zu einem Relativismus, betont aber, daß es in einer verhandelnden Demokratie um Urteil und Entscheidung geht – mit der Zusatzklausel einer prinzipiellen Revidierbarkeit der Entscheidungen. Das Aushandeln solcher Handlungsanweisungen für das Wohl einer Gemeinschaft wird verstanden als Institutionalisierung eines dialogischen Konfliktmodus. Mit ihm soll eine Reform der Demokratie durch den unmittelbar beteiligten Souverän ermöglicht werden. Eine von Letzbegründungen und „Sachzwängen“ befreite Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Demokratie kann neue Dialogstile befördern, erstarrte Fronten aufbrechen und die Beteiligten dazu bringen, sich in die Perspektive des Widerstreitenden hineinzuversetzen. Dazu ist notwendig, daß die unterschiedlichen Werthaltungen in einer Gesellschaft gerade als solche zum Thema des demokratischen Erneuerungsdiskurses gemacht werden. Denn politisches Handeln ist eben nicht rein rational und kognitiv begründbar. Das bedeutet jedoch nicht, daß am Ende eines solchen Willensbildungsprozesses einmütig geteilter Konsens steht. Unterschiedliche Meinungen sind ja einer der wesentlichsten Bausteine der Demokratie. Überspitzt formuliert, kann man anfügen: Der Mangel an echten politischen Alternativen zwischen den Volksparteien hat zum Motivationsverlust der Bürger an der Wahrnehmung ihrer politischen Rechte beigetragen. Auch der mündige, politisch aktive Bürger, der gemeinwohlorientiert handelt, wird sich nicht permanent einmischen: Das wäre utopisch und eine Überforderung. Es wird immer mehr und weniger Engagierte geben. Die Erfahrung, konkret und bemerkbaren Einfluß ausüben zu können, ermuntert jedoch, sich am politischen Willensbildungsprozess unmittelbar zu beteiligen und nicht nur den Gang zur Wahlurne anzutreten. Echte Partizipation, wie sie vielerorten bei der Umsetzung der lokalen Agenda 21 zumindest theoretischer Bestandteil ist, wird befürwortet und muß gefördert werden. Je stärker aus diesen Beratungs- tatsächlich Entscheidungsgremien würden, desto eher wären sie Foren für „nachhaltige“ Demokratie. Eine zukunftsfähige Demokratie beruht auf einer allgemeinen Kultur der Auseinandersetzung, wie sie Jürgen Habermas und andere einfordern. Allerdings geht es weniger um Entscheidungen zwischen entweder – oder, sondern zuvorderst um den Modus des prozeßhaften Aushandelns selbst. In diesem Sinne bedeutet eine diskursive Demokratie nicht ein bißchen Mehr an Demokratie. Damit gemeint ist tatsächlich eine fundamentale institutionelle Verlagerung von Verhandlungs- und Entscheidungsmacht. Ziel ist es, die Strukturen aufzubrechen, wonach Verbände, Lobbyismus, Interesseneliten und Volksparteien Motor der Politik sind. Wissenschaftlern, Ökonomen und anderen sozialen Akteuren kommt bei dieser Reform eine wichtige Funktion als Diskursteilnehmer zu. Sie müssen mit ihren unterschiedlichen Szenarien in demokratische Verfahren integriert werden, sich der Auseinandersetzung mit dem „starken“ Bürger stellen. Solange wissenschaftliches Fachwissen oder der Zwang des Marktes nicht hinterfragt werden, verläuft die dadurch beeinflußte gesellschaftliche Entwicklung undemokratisch. Daß Debatten geschlossen werden müssen, wird nicht bestritten. Dies wird auch künftig überwiegend im Parlament geschehen, die partizipativen Elemente sollen ja gerade vor der Entscheidung verstärkt werPolitische Ökologie · 46 · Mai/Juni ‘96 65 D EMOKRATIE Politische Ökologie Zum Autor Andreas Szelenyi, geb. 1967, studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Germanistik in Freiburg und München (Ulrich Beck). Studienschwerpunkt: Moderisierungstheorien. Kontakt Andreas Szelenyi, Barellistraße 1a, 80638 München, Tel.: 089/172565 den. Doch ist anzunehmen, daß eine Umwandlung der Meinungs- und Willensbildung in politisches Handeln durch gesellschaftliches Aushandeln anhand von konkreten Themen und Vorhaben einen höheren Grad an Legitimation erreichen dürfte, als wenn alle vier Jahre über mehr oder weniger glaubwürdige Gesamtpakete von integrativen Volksparteien abgestimmt wird. Eine solche demokratische Lebensform macht es für konkrete Projekte und Vorhaben auf dem Weg zur nachhaltigen Lebensweise möglich, die gesellschaftlich ausgehandelten Szenarien vor einer technologischen Innovation festzulegen. Danach können Wissenschaftler und Techniker daran gehen, die „sozialverträgliche“ Umsetzung des ausgehandelten Leitbilds in Angriff zu nehmen. Die Implementation wäre dann wieder gesellschaftlich zu bewerten (an diesem Punkt setzt heute erst Technikfolgenabschätzung in kleinen, demokratisch nicht legitimierten, Gremien ein). Langfristigkeit, heute in der Politik oft vermißt, wird dadurch erzeugt, daß der Citoyen frühzeitig am Meinungsbildungsprozeß beteiligt ist. Abgelöst wird die Politik einer Demokratie, die vor allem auf Trends und Entwicklungen reagiert beziehungsweise ihre oft nichtintendierten „hausgemachten“ Probleme zu beseitigen versucht, wenn durch die „Sachzwanglogik“ nichts mehr politisch entscheidbar erscheint – so präsentiert sich im Augenblick die „End-of-pipe-Demokratie“ n Partizipation ja, aber wie? Am Beispiel der Mobilitätsfrage möchte ich die Problematik demokratisch nicht legitimierter Entscheidungen, die eine ganze Gesellschaft in ihren Auswirkungen betrifft, verdeutlichen: Bis in Parlamenten ein Konzept zur zukunftsfähigen Mobilität auf den Weg gebracht worden ist, haben Automobilkonzerne schon längst ihre Vorstellungen von „intelligenten Verkehrssystemen“ ausgearbeitet. Mit neuen technischen Projekten zur Stauvermeidung wird die Effizienzsteigerung des Individualverkehrs vorangetrieben. Damit wird versucht, die Debatte um zukunftsfähige Verkehrskonzepte zu dominieren. Durch strategische Allianzen wird die Automobilfrage zum Multimobilitätsdiskurs umdefiniert. Gesellschaftliche Partizipation ist in diesem Prozeß unerwünscht, solange die neuen Technologien noch nicht implementiert worden sind. Die Entmachtung des (nationalstaatlichen) politischen Systems wird sichtbar und zeigt zugleich den Veränderungsdruck, der auf industrialisierte demokratische Gesellschaften ausgeübt wird. Politik wird schon lange nicht mehr ausschließlich in der traditionellen Politikarena gemacht. Subpolitik (Ulrich Beck) überlagert sie. Warum ist dieser Vorgang aus demokratietheoretischer Sicht so brisant? Hier werden technologische Innovationen ausgelöst, die hochpolitisch „angereichert“ sind, ohne daß sie gesellschaftlich legitimiert wurden. 66 Politische Ökologie · 46 · Mai/Juni ‘96 Denn die Entscheidung, welche Form der Fortbewegung zukunftsfähig ist, bedeutet eine gesellschaftliche Neuorganisation und muß vom „starken“ Souverän als Beteiligtem und nicht nur als Betroffenem mitgestaltet werden. Die Prodzedur darf nicht darauf hinauslaufen, per Volksentscheid für oder gegen einen Straßentunnel zu stimmen. Ohne die Frage nach dem Leitbild zukünftiger Mobilität diskursfähig gemacht zu haben, bleibt die Forderung nach einer Institutionalisierung eines demokratisierten Willensbildungsprozesses ausgeklammert. Erst wenn die Gesellschaft über mehrere möglich erscheinende Szenarien verhandelt, wird Kompetenz geschaffen. Danach kann ein Entscheid sinnvoll sein. Durch die demokratische Legitimation einer bereits frühzeitig beteiligten Öffentlichkeit kann es künftig leichter werden, Akzeptanz für Leitbilder wie „Entschleunigung“ zu schaffen beziehungsweise diese politisch umzusetzen. Eine Demokratie, die versucht, ihren Souverän frühzeitig in den Entscheidungsfindungsprozeß einzubinden, könnte eine agierende Bewegung auslösen. Für diese Form der „Nachhaltigkeit“ müssen Institutionen geschaffen werden, bevor einmal mehr wieder nur noch Zeit bleibt für nachträgliche Reparaturarbeiten. Der Weg zu einer modernisierten Demokratie, die auch im nächsten Jahrtausend noch bestehen kann, ist steinig. Angesichts der Lähmung, die in den liberalen repräsentativ-demokratischen Systemen festzustellen ist, muß er aber gegangen werden.