Fachtag des AK Kinder psychisch kranker Eltern 11. Okt. 2011 Auswirkungen postpartaler Depressionen auf die kindliche Entwicklung Dr. Dorothea Blomeyer, Dr. B. Schmid & Prof. Dr. M. Laucht Zentralinstitut fü für Seelische Gesundheit Mannheim Kinder psychisch kranker Eltern Erste Berichte 1 Kinder psychisch kranker Eltern Anfänge in der Kinder- u. Jugendpsychiatrie Postpartale psychische Störungen Erscheinungsform und Epidemiologie „Baby Blues“ Blues“: bei circa 50% aller Mü Mütter Dauer: Stunden bis Tage spontanes Abklingen Postpartale Depression: Depression: bei 1010-15% Dauer: > 2 Wochen bis Monate (2 - 6 M) Behandlung (Medik (Medik.. & Psychotherapie) Postpartale Psychosen: Psychosen: bei etwa 0,1% Manie, Schizophrenien, schwere Depressionen : Verwirrtheitszustä Verwirrtheitszustände, Wahnideen, Halluzinationen Behandlungsbedü Behandlungsbedürftig 2 Kinder postpartal depressiver Mütter Forschungsfragen und -resultate I Risiko fü für Stö Störung der kindlichen Entwicklung Gestö Gestörte EntwicklungsEntwicklungsfunktionen - um Faktor 22-3 erhö erhöht - sozialsozial-emotionale > kognitive Entwicklung - Verhaltensstö Verhaltensstör. > emotionale Stö Stör. - Kindheit > Jugend Spezifitä Spezifität I Wichtiger fü für langfristige Folgen: - Anzahl depressiver Episoden - Schwere der Depression als Zeitpunkt der Depression Kinder postpartal depressiver Mütter Forschungsfragen und -resultate II Spezifitä Spezifität II Wirkungsmechanismen (Mediatoren) Moderatoren Familiä Familiäre Lebensumstä Lebensumstände: - niedriges Bildungsniveau - chronische Schwierigkeiten - gestö gestörte Partnerbeziehung - genetische Faktoren - Erziehungsverhalten/– Erziehungsverhalten/–einstellungen - MutterMutter-KindKind-Interaktion - Geschlecht des Kindes: m > w - Temperament des Kindes - MutterMutter-KindKind-Interaktion - Vater: Verfü Verfügbarkeit, psych. Gesundheit 3 Fragestellungen Was sind die langfristigen Folgen der PPD für die kindliche Entwicklung? - Welche Entwicklungsbereiche sind betroffen? Welche Rolle kommt der frühen Mutter-KindInteraktion zu? – Wie beeinflusst sie die langfristigen Folgen der PPD? Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter AG Neuropsychologie des KindesKindes- und Jugendalters Leitung: Prof. Dr. M. Laucht, Dipl.Dipl.-Psych. Prof. Dr. D. Brandeis, Brandeis, M.A. Psych. Wiss. Mitarbeiter: Dr. D. Blomeyer, Dipl.Dipl.-Psych. R. Boecker, Dipl.Dipl.-Psych. Dr. A. Buchmann, Dipl.Dipl.-Psych. N. Holz, M.Sc. M.Sc. Wiss. Berater: Prof. Dr. G. Esser, Dipl.Dipl.-Psych. Dr. Ch. JennenJennen-Steinmetz, Dipl.Dipl.-Math. Prof. Dr. Dr. M.H. Schmidt, Dipl.Dipl.-Psych. Sozialarbeit: E. Reichert, Soz.arb. Soz.arb. Sekretariat: S. Heinzel 4 Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter 85.4 % (N = 384; 199 Mädchen, 185 Jungen) 86.3 % 89.6 % 92.7 % 94.8 % 96.1 % 97.0 % Organisches Risiko 20092009-10 Psychosoziales Risiko 97.8 % 0 1 2 19971997-98 1 19941994-96 19901990-92 19881988-90 Alter (J;M) t1 t2 2;0 t3 t4 t5 23;0 t7 20012001-03 1986 - 88 t8 20052005-07 0 2 t9 20082008-09 t6 22;0 19;0 15;0 11;0 8;0 4;6 Erhebungszeitpunkte Risikogruppen 0 = kein 1 = mäß iges mäßiges 2 = hohes Risiko 0;3 Diagnostik Psychische Störungen der Eltern Screening: erweiterte Beschwerden-Liste nach v. Zerssen (1976), Fragen zu Substanzkonsum strukturiertes klinisches Interview SKID (Wittchen et al., 1997) Diagnose nach DSM-IV und ICD-10 5 PPD: Gruppenmerkmale PPD (n = 22) KONTROLL (n = 116) p Geburtsgewicht (g) 2.792 (±937) 2.796 (±853) ns Gestationsalter (Wochen) 36.8 (±3.78) 37.5 (±3.47) ns Index obstetrischer Belastungen 1.18 (±0.96) 1.16 (±1.09) ns 50.0 54.3 ns 27.5 (±5.4) 29.1 (±3.9) ns 50.0 25.0 .016 61.9 (±10.2) 42.0 (±7.7) .000 Variablen Geschlecht des Kindes (% weiblich) Alter der Mutter bei Entbindung (Jahre) Bildung der Mutter (%)* Beschwerden-Score (von Zerssen) Anmerkungen. * Hauptschulabschluss oder niedriger Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Was wird aus Kindern postparatal depressiver Mütter? die langfristige Entwicklung 6 Kinder postpartal depressiver Mütter Kognitive Entwicklung vom Säuglings- zum Schulalter 120 ns ns *** ** *** **** ns + 110 Gesamt- IQ N=114 100 N=22 90 80 PPD Kontrollgr. 0;3 2;0 4;6 8;0 11;0 98,67 98,27 96,23 93,47 97,6 99,84 107,14 106,3 103,3 104,4 Jahre kontrolliert: Bildung d. Mutter Kinder postpartal depressiver Mütter Schulerfolg mit 15 Jahren 70 60 Kontroll PPD p < .01 56,9 50 38,1 40 30 35,3 33,3 23,8 20 10 6,9 0 Hauptschule Realschule Schultyp Gymnasium kontrolliert: Bildung d. Mutter 7 % Kinder postpartal depressiver Mütter Psychische Auffälligkeiten vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter 60 ns + * ** RR=4.74 ** ns ** % psychisch auff auffä ällig 52,6 50,0 40 40,9 PPD N=19 Kontroll 31,8 27,3 N=109 20 19,0 18,2 0 0;3 2;0 4;6 8;0 11;0 15;0 19;0 Jahre kontrolliert: Alter, Bildung d. Mutter Kinder postpartal depressiver Mütter Psychiatrische Diagnose mit 11 Jahren 30 Risiko OR 9.0 ** 27.3 25 20 % 15 10 9.1 5 4.5 3.6 3.6 3.6 0 ADHS PPD (n=22) SSV AS/DS Kontroll (n=112) kontrolliert: Bildung d. Mutter 8 Kinder postpartal depressiver Mütter Psychiatrische Diagnose mit 15 Jahren 20 alles ns 15 14,3 % 10 9,5 7,8 6,9 5 4,8 4,3 0 HKS SSV PPD (n=21) AS/DS Kontroll (n=116) kontrolliert: Bildung d. Mutter Kinder postpartal depressiver Mütter Psychiatrische Diagnose mit 19 Jahren 30 2.9 + 20 26.3 21.1 Risiko OR ns 10.3 * 21.1 % 10 11 9.2 0 1.8 Sucht SSV/APS PPD (n=19) AS/DS Kontroll (n=109) kontrolliert: Bildung d. Mutter 9 Kinder postpartal depressiver Mütter Suchtverhalten mit 19 Jahren Rauschtrinken Kontroll PPD p < .05 0,8 0,6 0,93 0,4 0,2 0 PPD 2,5 1 0,37 Tabakabhängigkeit (FTND) Häufigkeit Binge Drinking / Monat Kontroll Tabakabhängigkeit p < .001 2 1,5 2,05 1 0,5 0,51 0 kontrolliert: Geschlecht, Bildung d. Mutter Mannheimer Risikokinderstudie Eine Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Jugendalter PPD oder depressive Störung der Mutter spezifischer Zusammenhang? 10 Verlauf der postpartalen Depression vom Säuglings- zum Schulalter (n = 21) 14% 43% 43% Anzahl der Episoden 1 2-3 4-5 Chronizität der postpartalen Depression Externale Auffälligkeiten vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter Anzahl externaler Symptome 6 *** ** *** *** * *** 4 persistent >= 4 episodisch < 4 Kontroll 2 0 2;0 4;6 8;0 11;0 15;0 19;0 Jahre 11 Mannheimer Risikokinderstudie Eine Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Jugendalter Familiäre Begleitumstände spezifischer Zusammenhang? Kinder postpartal depressiver Mütter Familiäre Begleitumstände Relatives Risiko 0 1 2 3 4 5 Gestörte Partnerbeziehung 4,23 Chronische Schwierigkeiten 4,22 Wenig soziale Unterstützung 4,18 Broken Home der Mutter 3,51 Eltern schlecht ausgebildet 3,49 Vater psychisch auffällig Mutter alleinerziehend 3,36 2,88 12 Externale Symptome mit 11 J Spezifischer Effekt der postpartalen Depression (% erklärte Varianz) 1 5,7 *** Chronische Schwierigkeiten Postpartale 0,3 Depression ns *** 3,2 Niedriges Bildungsniveau d. Eltern 1 ** 3,0 Geschlecht nach Kontrolle von familiären Risiken und Geschlecht (hierarchische multiple Regression) Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Frühe Mutter-Kind-Beziehung Mediator der Entwicklungsfolgen 13 Diagnostik Frühe Mutter-Kind-Interaktion Vorgehen ♦ Verhaltensbeobachtung von Mutter-Kind Paaren in halb-standardisierten Situationen (Dauer 10 min) ♦ Videographische Aufzeichnung im Videostudio mit Hilfe split-screen Technik Auswertung ♦ durch trainierte Rater mit hoher Interraterübereinstimmung (Ü > 85%, K > .70) ♦ computer-unterstützte Analyse der Videoaufzeichnungen Kodierungsverfahren Setting ♦ Beurteilungsskalen (Bewertung von Verhaltensmustern, 1 min) 3 Monate: Pflege- und Spielsituation („am Wickeltisch“) ♦ Kategorialskalen (Häufigkeit u. Dauer von Verhaltensmustern, 1 sec) Postpartale Depression der Mutter Auffälligkeiten in der Interaktion zw. Mutter u. Säugling Mutter Säugling Passivität oder Intrusivität vermehrter Rückzug und Vermeidung Weniger positiver Affekt Vermeidung des Blickkontaktes Mehr negativer Affekt Geringes Ausmaß an positivem Affektausdruck Weniger expressives Ausdrucksverhalten Niedriger Aktivitätslevel Weniger körperliche Berührung Erhöhte Irritabilität Mangelnde Kontingenz Geringere Fähigkeit zur Selbstregulation Geringe Sensitivität für kindliche Signale Unglücklichsein, häufigeres Weinen Weniger Sprache Stressparameter erhöht (Kortisol, Herzfrequenz) modifiziert nach Reck et al. (2004) 14 Postpartal depressive Mütter Auffälligkeiten in der Interaktion mit dem Säugling Mütter blicken weniger vokalisieren weniger sind weniger reaktiv stimulieren weniger verhalten sich häufiger stereotyp * * * * ** Säuglinge blicken weniger * reagieren weniger mit Lächeln ** Interaktion weniger Blickkontakt * weniger gelungene Elicits ** Dysfunktionale Interaktionsmuster Negative Gegenseitigkeit „Teufelskreis“ Betreuungsperson verhält sich passiv, abweisend Betreuungsperson empfindet Ärger, fühlt sich hilflos Kind ist irritiert, fühlt sich „hilflos“ Kind verhält sich passiv, quengelt, schreit modifiziert nach Schneewind (1998) 15 Frühe dysfunktionale Interaktionsmuster Säugling negativ - Mutter wenig responsiv Kontrollgruppe % PPD Gruppe 80 80 70 70 60 60 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 Responsivität der Mutter: normal gering Interaktion p < .040 0 negativ positiv negativ positiv Stimmung des Säuglings Videobeispiel für Mutter-Kind-Interaktion 16 Frühe dysfunktionale Interaktionsmuster Säugling negativ - Mutter wenig responsiv Anzahl Verhaltensprobleme 2,0 Stimmung des Säuglings Interaktion (p<.023) 1,5 Negativ S (n=122/26) 1,0 (p<.069) Positiv 0,5 S (n=153/23) 0,0 2;0 4;6 8;0 11;0 Jahre Responsivität der Mutter: normal gering U (p<.021) Mannheimer Risikokinderstudie Längsschnittstudie von der Geburt bis zum Erwachsenenalter Frühe Mutter-Kind-Beziehung Moderator der Entwicklungsfolgen 17 Interaktionsverhalten postpartal depressiver Mütter Baby Talk und Responsivität als Moderatoren der Entwicklung Sozial-emotionale Entwicklung mit 8 J Anzahl Verhaltensauffälligkeiten 6 6 Interaktion p<.02 Interaktion p<.002 4 4 2 2 0 0 PPD wenig Babytalk Kontroll PPD viel Babytalk wenig responsiv Kontroll mehr responsiv kontrolliert: Bildung d. Mutter Interaktionsverhalten postpartal depressiver Mütter Baby Talk und Responsivität als Moderatoren der Entwicklung im Schulalter Kognitive Entwicklung 110 110 Interaktion p<.035 Interaktion p<.002 100 90 90 Verbal-IQ 100 80 80 PPD Kontroll PPD Kontroll wenig Babytalk viel Babytalk wenig responsiv mehr responsiv 18 Zusammenfassung I Kinder PPD Mütter • haben im Mittel niedrigeren IQ zur Grundschulzeit • Gehen seltener aufs Gymnasium • höheres Risiko für psychische Erkrankungen – Insbesondere Verhaltensstörungen im Kindesalter – Sucht- und Verhaltensstörungen im jungen Erwachsenenalter Zusammenfassung II • Bei genauerer Betrachtung: – Rezidivierende Depr. (>4 Episoden) – Chronische Schwierigkeiten – Niedriges Bildungsniveau der Eltern – Mutter Kind-Interaktion • Responsivität der Mutter • Vokalisationen / Babytalk der Mutter 19 Schlussfolgerungen • Depression der Mutter behandeln • Soziale Risikofaktoren entschärfen • Mutter-Kind-Interaktion spezifisch trainieren Ich danke ganz herzlich: Ihnen fü für die Aufmerksamkeit den StudienteilnehmerInnen für ihre Treue und Geduld der DFG und dem BMBF für die langjä langjährige finanzielle Fö Förderung den heutigen und ehemaligen MitarbeiterInnen für ihr groß großes Engagement: Lioba Baving, Baving, Katja Becker, Regina Boecker, Boecker, Arlette Buchmann, Buchmann, Giulietta Cucchiaro, Cucchiaro, Richard Dinter, Dinter, Monika DinterDinter-Jörg, rg, Gü Günter Esser, Erikson Furtado, Furtado, Dirk Gerdes, Gerdes, Martin Gerhold, Gerhold, Miriam Gschwendt, Gschwendt, Sibylle Heinzel, Johannes Herrle, Herrle, Anne Dyer, Dyer, Ingrid Hösch, sch, Annette Hoffmann, Erika Hohm, Hohm, Martin Holtmann, Nathalie Holz, Wolfgang Ihle, Laufer, Ihle, Christine JennenJennen-Steinmetz, Manfred Laucht, Claudia Laufer, Walter Lö Maras, Alexander Marcus, Anika Petrova, Löffler, Petrova, Marga E-mail: : Athanasios [email protected] mail dorothea.blomeyer@zi Polowczyk, Polowczyk, Elisabeth Reichert, Arnulf Reiser, Thomas Rellum, Rellum, Frauke Rose, Aribert Rothenberger, Brigitte Schmid, Martin H. Schmidt, Petra Steigleider, Steigleider, Birgit Stock, Internet: www.ziwww.zi-mannheim.de RosaRosa-Maria Stö Stöhr, hr, Joachim Thyssen, Thyssen, Patricia TrautmannTrautmann-Villalba, Villalba, Frigga von Gontard, Gontard, Diana Weindrich und Hiltrud Weinel. Weinel. Mehr Info? 20 Schlussfolgerungen • Depression der Mutter behandeln • Soziale Risikofaktoren entschärfen • Mutter-Kind-Interaktion spezifisch trainieren SSRIs und Stillen • In der Regel bei Antidepressiva „Stillen nicht empfohlen“ • WHO Working Group on Drugs and Human Lactation : manche SSRIs „wahrscheinlich sicher“ (Paroxetin, Sertralin), andere ungünstig (Fluoxetin) Î gut Säugling beobachten auf NW und Absetzsymptome 21 Kinder alkoholkranker Väter Psychische Auffälligkeiten vom Kleinkind- zum Schulalter 60 ns ** ** * % auffällig 50 40 30 20 10 0 2;0 4;6 8;0 11;0 ALKOHOL 26,9 50,0 46,2 38,5 N=26 Kontrollgr. 15,5 19,2 20,7 16,1 N=193 Jahre 22