F O C U S | H U C E - microlab Innovatives Langzeit-Speiseröhren-EKG Langzeit-EKG-Rekorder: Konventioneller EKG-Rekorder, welcher das EKG-Signal mittels Hautelektroden registriert (oben). Langzeit-SpeiseröhrenEKG-Rekorder (unten). Beide Geräte wurden mit einem unterschiedlichen Massstab aufgenommen, vgl. dazu die 1-Euro-Münze Foto: Adrian Zurbuchen (ARTORG) Herzrhythmusstörungen werden mittels Elektrokardiogramm (EKG) diagnostiziert. Oft sind dabei EKG-Aufnahmen über viele Tage notwendig. Die Aufzeichnungsqualität ist häufig mangelhaft und die Patienten sind durch die Untersuchung beeinträchtigt. Ingenieure entwickeln in Zusammenarbeit mit Ärzten daher eine Technik zur verbesserten EKG-Diagnostik: das Langzeit-Speiseröhren-EKG. Dr. med. Andreas Häberlin Assistenzarzt Kardiologie/Elektrophysiologie, Inselspital Bern & ARTORG Cardiovascular Engineering, Universität Bern Foto: Adrian Zurbuchen (ARTORG) In der Schweiz leiden zehntausende Menschen an Herzrhythmusstörungen (sog. Arrhythmien). Die Betroffenen verspüren die Rhythmusstörungen allerdings häufig nicht, zumal diese oft nur kurzzeitig auftreten und dann wieder verschwinden. Dennoch können solche Arrhythmien – quasi aus heiterem Himmel – schwerwiegende Komplikationen wie z. B. Hirnschläge zur Folge haben. Der rechtzeitigen und korrekten Diagnose von Herzrhythmusstörungen kommt somit grosse Bedeutung zu. Zur Suche und Diagnose von Arrhythmien wird üblicherweise ein sogenanntes Langzeit-Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet. Dabei werden an der Hautoberfläche des Patienten Elektroden angebracht. Der daran angeschlossene EKG-Rekorder (Abb. «Langzeit-EKG-Rekorder», oben) registriert die elektrischen Signale des Herzens während mehreren Tagen. Das EKG wird anschliessend auf das Vorhandensein von relevanten Arrhythmien untersucht – soweit die Theorie. In der Praxis sind die EKG-Signale (insbesondere die Vorhofssignale) häufig von schlechter Qualität und die Patienten durch Hautirritationen aufgrund der Hautelektroden beeinträchtigt. 8 hitech 2/ 2013 Einzigartige interdisziplinäre Kooperation Um die genannten Nachteile der konventionellen LangzeitEKG-Aufzeichnung zu vermeiden, waren Ärzte der Abteilung für Kardiologie des Inselspitals Bern auf der Suche nach einer Alternative. In enger Zusammenarbeit mit dem Institute for Human Centered Engineering (HuCE) und dem ARTORG Center for Cardiovascular Engineering der Universität Bern wurden die Voraussetzungen zur Aufzeichnung eines Langzeit-Speiseröhren-EKGs geschaffen. Bei dieser Technik wird die elektrische Herzaktivität mittels eines dünnen, in der Speiseröhre eingelegten Katheters aufgezeichnet. Die Speiseröhre liegt unmittelbar hinter dem linken Herzvorhof, welcher bezüglich Arrhythmie-Diagnostik speziell interessant ist. Durch die räumliche Nähe von Herz und Elektroden können hervorragende Signale aufgezeichnet werden (Abb. «EKG-Signale», oben). Die Patienten empfinden die EKG-Registrierung in der Speiseröhre nach einer kurzen Angewöhnungszeit dabei nicht als störend oder unangenehm. Technisch innovativer Ansatz Die medizinischen Anforderungen an ein Langzeit-Speiseröhren-EKG-Aufzeichnungssystem sind sehr hoch. Der Patientenkomfort ist zentral, gleichzeitig soll eine hervorragende Aufzeichnungsqualität erzielt werden. Die am Projekt beteiligten Ingenieure und Ärzte streben daher eine höchstmögliche Miniaturisierung des ganzen Rekorders an. In Hinblick darauf müssen z. B. die gespeicherte Datenmenge, wie auch der Energieverbrauch der benötigten Elektronik möglichst gering gehalten werden. Dazu werden innovative Lösungsansätze wie das «Sub-Nyquist Sampling» verfolgt und eine ultra-low-power Chip-Technologie aus der Uhrenindustrie angewendet. Die aufge- Das Projektteam v.l.n.r.: Marcel Jacomet, Josef Goette, Andreas Häberlin, Lukas Bösch, Thomas Niederhauser, Sandro Burn, Thanks Marisa, Andreas Habegger, Michael Nydegger; abwesend: Rolf Vogel Foto: BFH-TI zeichneten EKG-Signale müssen anschliessend in digitaler Form auf einem leistungsstarken PC verarbeitet, d. h. gefiltert und vorklassifiziert werden. Letztlich sollen die EKG-Daten dem Arzt in einer übersichtlichen Form präsentiert werden, die eine rasche Interpretation ermöglicht. Der im Hinblick auf erste klinische Studien entwickelte Prototyp des Rekorders (Abb. «Langzeit-EKG-Rekorder», unten) erfüllt die gestellten Anforderungen bereits zu einem grossen Teil. Allerdings ist der hinter dem Ohr getragene Rekorder noch relativ gross und die Aufzeichnungsdauer auf wenige Tage limitiert. Ausblick Durch die enge Kooperation von Ärzten und Ingenieuren konnten zentrale Aspekte der Langzeit-Speiseröhren-Elektrokardiografie untersucht werden. Das Langzeit-Speiseröhren-EKG ermöglichte bereits bei mehreren Patienten die Diagnose von relevanten Herzrhythmusstörungen, was mittels der konventionellen Technik nicht gelang. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Institut HuCE - microLab und dem ARTORG verfügen die Ärzte am Inselspital nun über weltweit einzigartige Erfahrung und Möglichkeiten bezüglich Arrhythmiediagnostik mittels Langzeit-Speiseröhren-EKG. Die vielversprechenden klinischen Resultate, wie auch die gute Patientenakzeptanz, haben die Projektpartner dazu bewogen, den innovativen Ansatz dieser Technik weiterzuverfolgen. In naher Zukunft soll die Miniaturisierung des Systems weiter vorangetrieben und im Rahmen einer klinischen Studie evaluiert werden. Ziel ist die komplette Integration der Energieversorgung und der Elektronikkomponenten in den dünnen Speiseröhren-Katheter. Dieser soll von aussen nicht sichtbar sein und vom Patienten während mehreren Wochen getragen werden können. Dies würde eine qualitativ hochstehende Langzeit-EKG-Registrierung bei guter Patiententoleranz ermöglichen und so ernsthaften Konsequenzen von Rhythmusstörungen vorbeugen – zum Wohle des Patienten. Kontakt: > [email protected] > Infos: huce.ti.bfh.ch/microlab EKG-Signale: Simultan aufgezeichnetes Speiseröhren-EKG (oben) und konventionelles Langzeit-EKG (unten). Das Vorhofssignal ist aufgrund seiner grösseren Amplitude im SpeiseröhrenEKG wesentlich einfacher zu erkennen. Quelle: Klinik für Kardiologie, Inselspital 2/ 2013 hitech 9