Univ.-Prof. Dr. med. Dr. scient. pth. Dipl.-Psych. Reinhard J. Boerner SFU Vorlesung Psychosomatik Teil 1 Theoretische Grundlagen Die ehemalige Burgmanns- und Hansestadt Quakenbrück, begründet 1235, ist mit 13.000 Einwohnern durch ihre historische Fachwerk-Architektur geprägt. Sie liegt im Artland, einer landschaftlich reizvollen Region mit einem Ensemble historischer Bauernhöfe, 50km nördlich von Osnabrück, in Niedersachsen und ist verkehrstechnisch durch Autobahn und DB gut vernetzt. Es besteht eine lange Bildungstradition durch ein 1354 gegründetes Gymnasium. Christliches Krankenhaus Quakenbrück GmbH Zentrum für Psychologische u. Psychosoziale Medizin • Allgemeinkrankenhaus der Schwerpunktversorgung (420 Betten) • 110 stationäre Betten, 24 Tagesklinikplätze - Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie - Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (80 stationäre Betten, 12 TK-Plätze) (30 stationäre Betten, 12 TK-Plätze) (Fotos mit freundlicher Genehmigung der Samtgemeinde Artland) • Akutklinik mit sektorisiertem Versorgungsauftrag • Klinische Spezialkompetenzen: Depressionen, Angststörungen ADHS, Demenzerkrankungen (Focusliste Topmediziner 2011 - 2016) • Mehrfach als Topklinik Deutschlands für den Bereich Psychiatrie und Angststörungen ausgezeichnet (Focusliste 2011 - 2017) (Internetseite: ww.ckq-gmbh.de) Christliches Krankenhaus Quakenbrück GmbH Zentrum für Psychologische u. Psychosoziale Medizin Vorlesung Psychosomatik (Stand 01.02.2017) 1. Teil: Theoretische Grundlagen • Einführung • Philosophische und wissenschaftstheoretische Grundlagen (Leib-Seele-Problem) - Gegenüberstellung von monistischen, dualistischen u. vermittelnden Positionen - Bedeutung des Leib-Seele-Problems für die Psychotherapie am Beispiel von F. A. Mesmer - Anwendungsbeispiele für die Psychotherapie in Theorie u. Praxis • Geschichtliche Entwicklung • Definitionen von Psychosomatik • Biologische Grundlagen • Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik • Grundlagen der Verhaltensmedizin • Schulenübergreifendes Vorgehen Vorlesung Psychosomatik (Stand 01.02.2017) 2. Teil: Ausgewählte klinische Anwendungsgebiete • Kasuistik (Patient mit Koronarer Herzerkrankung) • Kardiale Erkrankungen - Risikofaktoren der KHK - Stresstheorien - Persönlichkeitstheorien - Depression - Angst und PTBS - Kasuistische Anwendung psychosomatischer Konzepte • Somatoforme Störungen im Überblick • Somatoforme Schmerzstörung am Beispiel chronischer Rückenschmerzen (CLBP) Ausgewählte Literatur Einführung Einführung Was ist Psychosomatik? • Zusammenhang von Psyche (Seele) und Geist sowie Körper, Biologie, Natur des Menschen Einführung Unterschiedliche Gegenstandsbestimmungen und Verständnis von Psychosomatik 1 • Thema von Philosophie („Leib-Seele-Problem“) u. Wissenschaftstheorie • Anthropologisch-ganzheitliches Konzept als Teil der medizinischen Denktradition und –kultur • Spezifisches Verständnis des Zusammenhangs von psychischen und somatischen Erkrankungen - Psychoanalyse/Psychodynamik - Verhaltensmedizin Einführung Warum Psychosomatik? • Jeder von uns hat ein persönliches Verständnis (Konzept) des Zusammenhangs von Natur und Geist • Unsere eigene Definition prägt unser Menschenbild, wissenschaftliches Verständnis wie unseren professionellen Standpunkt • Unsere eigene Definition hängt ab von tradierten und diskutierten theoretischen Konzepten • Zum das Leib-Seele-Problem lassen sich unterschiedliche Antworten benennen. Einführung Unterschiedliche Gegenstandsbestimmungen und Verständnis von Psychosomatik 2 • Eigenes medizinisches Fachgebiet bzw. Ausbildungsfach - Facharzt für Psychosomatik - „Psychosomatic medicine“ à Eigene Facharztqualifikation für die Konsiliarpsychiatrie und –psychosomatik in den USA • Eigenständiges medizinisches Versorgungssystem neben der Psychiatrie (spezifisch für Deutschland, partiell auch in Österreich) Einführung Übung (Selbsterfahrung) • Erinnern Sie sich an Ihre erste (schwerwiegende) körperliche Erkrankung (ggf. Krankenhausaufenthalt) - Wie haben Sie Ihre Erkrankung wahrgenommen (erlebt)? - Welche Gefühle hatten Sie während Ihrer Erkrankung? - Welche Gedanken haben Sie begleitet? - Wie haben Sie sich als Kranker verhalten? Einführung Psychosoziale Dimensionen des Krankseins • Übernahme der Krankenrolle • Erleben des körperlichen Krankseins • Spezifische Emotionen (Ängste, Hoffnungslosigkeit, neutrale Stimmung etc.) • Kognitionen (Erwartungen an den Krankheitsverlauf, Prognose, Heilung, Behinderung) • Verhalten (Vermeidung ärztlicher Behandlung, Widerstand, Offenheit, Compliance, Schonung, Krankschreibung, schneller Wiedereintritt ins normale Leben) Einführung Historische Entwicklung • Spätestens im 19. Jh.: Aufspaltung in eine naturwissenschaftliche („Maschinenmodell“, von Uexküll 2011) und nicht naturwissenschaftliche Medizin durch das Technikideal • Auf der Basis eines naturwissenschaftlichen Paradigmas ungeheure Fortschritte hinsichtlich Diagnose und Therapie somatischer Erkrankungen • Fortschreitende Technisierung, Professionalisierung und Spezialisierung der Medizin (früher Innere Medizin; heute Kardiologie, Diabetologie, Endokrinologie) à „Verlust“ einer ganzheitlichen somatischen Perspektive • Zunehmende Spezialisierung und Abspaltung von „Körpermedizin“ und „Psychomedizin“ - Psychotherapie als eigene Fachrichtung mit eigener neuer Berufsgruppe neben den Ärzten - Verlust einer ganzheitlichen Sichtweise des „Kranken“ („Seelenlose“ Medizin) Einführung Zwei Unterschiedliche Definitionen von Psychosomatik • Ganzheitliches Verständnis des (kranken) Menschen bei psychischen wie körperlichen Erkrankungen (1. Definition) - Anthropologischer Denkansatz aller beteiligten Professionen - Alle Fachrichtungen sind in gleicher Weise zur Zusammenarbeit gefordert - „Ringen“ um gemeinsame Antworten, sofern diese notwendig sind • Spezialisierte Psychosomatik (2. Definition) - Körperliche Erkrankungen ohne nachweisbaren medizinischen Befund Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 1 • 38-jähriger verheirateter Patient wird mit akuten Herzbeschwerden (Druck- u. Engegefühl auf der Brust, Atemnot, Kreislaufversagen) in die Notfallambulanz eingewiesen • Bisher körperlich gesund, keine wesentlichen Erkrankungen bekannt • Medizinische Diagnose: Akuter Herzinfarkt à Intensivstation à nach klinischer Besserung Verlegung auf die Allgemeinstation • Medizinischer Befund: Risikofaktoren Adipositas (1,70m, 95 kg), Hypercholeserinämie • Nach Stabilisierung Einweisung in eine Reha-Klinik, dort weiterhin deutliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit (Gehstrecke) à längere Krankschreibung à erneute Dekomensation à Diagnose koronare Herzerkrankung Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 1 • Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft handelt es sich um gesicherte Risikofaktoren für einen ungünstigen Krankheitsverlauf • Ergänzend zur medizinischen Therapie werden durchgeführt: Psychologische Beratung, Psychoedukation, Entspannungsverfahren, Ernährungsberatung und Schlafregulation (u. a. Medikation) • Der Patient nimmt diese Interventionen positiv an. Die Reha verläuft günstig, nach sechs Monaten ist der Patient wieder voll leistungsfähig. Im Follow-up zeigt sich ein unauffälliger EKG-Befund • Der Patient wurde mit einem ganzheitlichen Therapieansatz (biopsychosoziales Modell) optimal versorgt Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 1 • Derselbe Patient wird noch im Krankenhaus intensiver untersucht • Folgende psychosoziale Risikofaktoren werden bei genauerer Anamnese identifiziert: - Seit Jahren berufliche Anspannung (Stress) - Wenig Ruhe und Pausen - Ungünstige Ernährung (fett- und kalorienreich) - Deutliche Depressivität zwei Monate vor Herzinfarkt - Ausgeprägte Schlafstörungen Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 2 (Rudolf 2008) • Eine junge Frau, kurz vor dem Abitur stehend, verunglückt auf der nächtlichen Heimfahrt von einem Disco-Besuch im Auto eines Freundes, der nicht ihr „richtiger“ Freund ist, sondern jemand, mit dem sie ersatzweise ausgegangen war. • Die Blasenlähmung, die sich nach einigen Tagen einstellte, lässt sich chirurgisch und neurologisch nicht ausreichend erklären. • Die körperliche Hilflosigkeit, welche eine Entlassung vorerst verzögert, schein geeignet, anstehende Auseinandersetzungen mit dem Freund und den Eltern hinauszuschieben, wobei das Mädchen zugleich seine körperliche Beeinträchtigung stark schuldgefühlshaft erlebt. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 3a (Rudolf 2008) • Eine Patientin Ende zwanzig leidet seit mehreren Jahren unter einem schweren juvenilen Diabetes, sie muss strenge Diät halten und Insulin spritzen. • Sie wünscht sich dringend ein Kind, hat aber Angst vor den Geburtskomplikationen und insbesondere vor den körperlichen Spätfolgen des Diabetes. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 4a (Rudolf 2008) • Ein erwachsener Mann verliert seine Mutter, die an einem inoperablen Gallengangskarzinom stirbt. • Seine Trauer ist übertönt von der Erbauseinandersetzung mit der bevorzugten Schwester. • Er beginnt zu kränkeln und entwickelt über Jahre hinweg eine Oberbauchsymptomatik mit Verdauungsstörungen und Darmkrämpfen. Seine Symptome kopieren genau das Beschwerdebild seiner Mutter. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 3b (Rudolf 2008) • Ihr körperliches Leiden ist stark schambesetzt, sie fühlt sich körperlich nicht als vollwertige Frau und fürchtet, von einem gesunden Mann nicht akzeptiert zu werden. • Die Folge ist, dass sie in manchen Zeiten versucht, ihren Körper mit strikter Medikation und Diät unter Kontrolle zu bringen, gewissermaßen asketisch streng mit sich zu verfahren, während sie zu anderen Zeiten die Nächte durchmacht, viel Alkohol trinkt, sich relativ wahllos mit ihren jeweiligen Männerbekanntschaften abgibt, um sich hinterher die größten Vorwürfe zu machen. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 4b (Rudolf 2008) • Er glaubt, ohne die Parallele selbst herzustellen, an Krebs erkrankt zu sein. Er drängt die Ärzte zu immer neuen Untersuchungen und misstraut zugleich ihren Befunden bzw. Mitteilungen. • Seine Verzweiflung ist so stark, dass er plant, sich das Leben zu nehmen. In einer Gruppenpsychotherapie werden die zugrunde liegenden Beziehungsprobleme bearbeitet und die Beschwerden klingen ab. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 5a (Uexküll 2011) • Das Sprechzimmer betritt eine 52-jährige Frau und berichtet, dass sie in den letzten drei Wochen zweimal nachts Anfälle von akuter Atemnot bekommen habe. Die Luft sei ihr weggeblieben, und sie habe gemeint, sterben zu müssen. • Auf die Bitte des Arztes, die Umstände zu schildern, unter denen die Atemnotanfälle aufgetreten seien, berichtet sie unter tiefem Seufzen, dass sie mit einem Ausländer in schlechter Ehe verheiratet sei; er vernachlässige sie und bliebe oft nächtelang weg. • Die so bedrohlich empfundenen Atemnotanfälle seien aufgetreten, als ihr ältester Sohn (18 Jahre) erklärt habe, er wolle sich von der Familie trennen und wegziehen. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 5b (Uexküll 2011) • Während des Berichts der Patientin ändert sich die Stimmungslage des Arztes. Beim Eintreten nahm er eine kleine, adipöse – sie wog, wie sich später herausstellte, bei 161 cm Größe 108 kg – und kurzatmige Frau mit etwas zyanotischen Lippen wahr, die auf ihn zunächst einen „schmuddeligen“ und unsympathischen Eindruck machte, obwohl sie, wie er später bemerkte, keineswegs ungepflegt war. Diese ablehnende Stimmung des Arztes, die der erste Eindruck hervorgerufen hatte, wandelte sich während des Berichts der Patientin in wohlwollendes Interesse und Hilfsbereitschaft. • Nachdem sie dies alles in recht vorwurfsvollem Ton vorgebracht hat, bricht sie in Tränen aus. Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 5c (Uexküll 2011) • Die weitere Untersuchung der Patientin ergab Anzeichen einer durch Adipositas und leichte Hypertonie bedingten Herzinsuffizienz mit Linkshypertrophie des Herzens sowie eine leichte Erhöhung der Blutfette. • Dieser „banale Alltagsfall aus der Sprechstunde“, der gerade seiner vermeintlichen Banalität wegen exemplarisch ist, enthält drei Geschichten: Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 5d (Uexküll 2011) • Die „Geschichte einer Krankheit“: Sie handelt von einem Betriebsschaden im Körper der Patientin. Eine Adipositas und leichte Hypertonie haben zu einer Überlastung des Herzens mit Linkshypertrophie und zu einer Erhöhung der Blutfette geführt. Da Zeichen einer Lungenstauung fehlen, ist es nicht wahrscheinlich, dass die nächtlichen Anfälle von Atemnot mit Todesangst damit erklärt werden können; • die „Geschichte einer Kranken“: Sie berichtet von einer 52-jährigen verbitterten Frau, die schon als Kind abgelehnt wurde und ihren Trost im Essen suchen musste, von ihrer unglükclichen Ehe und, als letzte Kränkung, von ihrem 18jährigen Sohn, der die Familie verlassen will; Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 5e (Uexküll 2011) Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 6a (Boerner 2015) Die „Geschichte einer Arzt-Patient-Beziehung“: • In ihr erfahren wir von der ablehnenden Einstellung des Arztes zu einer „unsympathischen, kleinen, fetten, schmuddeligen Frau“, die ihre Klagen in einem vorwurfsvollen Ton vorbringt. • 43-jähriger Arbeiter, befreundet, 2 Kinder aus 1. Ehe • Die klassische Medizin verlangt vom Arzt, dass er seine persönlichen Gefühle ausschaltet und sich seinen Patienten gegenüber als neutraler Beobachter verhält. • Erste Auffälligkeiten in der Arbeit durch Vergesslichkeit sowie Orientierungsstörungen • Stattdessen sehen wir hier, dass der Arzt seine persönlichen Gefühle registriert und feststellt, dass sie in „wohlwollendes Interesse, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft“ umschlagen, als er versteht, dass seine Ablehnung Ausdruck einer „Gegenübertragung“ war, d. h. seiner unbewussten Reaktion auf die Haltung der Patientin, die sie zwang, ihre negativen Erfahrungen mit anderen Menschen auch auf ihn zu übertragen. • Zunahme der Symptomatik mit Ratlosigkeit, Störungen der Alltagskompetenz Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 6b (Boerner 2015) • Aufgrund der Schwere der Symptomatik à Notaufnahme auf einer geschlossenen psychiatrischen Station • Klinisch ausgeprägte Demenz (Orientierung, Gedächtnis, Affekt, Werkzeugstörungen) • Trotz umfänglicher Organdiagnostik (Labor, MRT-Schädel, Liquor) kein organischer Befund • Bis vor wenigen Monaten psychisch gesund, keine wesentlichen körperlichen Vorerkrankungen bekannt • Stationäre Einweisung durch den Hausarzt mit Verdacht auf eine Demenzerkrankung Einführung Psychosomatisches Fallbeispiel 6b (Boerner 2015) • Nach mehrwöchiger intensiver Untersuchung Hinweise auf ein unterschiedliches Verhaltensmuster teilweise demenzorientiert, teilweise unauffällig wirkend • Es gelingt schließlich, die klinische Symptomatik als Konversionsstörung zu identifizieren - Patientenäußerung: „Ich habe die Orientierung verloren“ - Deutliche Hinweise auf psychosoziale Probleme: Trennungsabsicht der Freundin, Schulden - Unfähigkeit des Patienten, seine Gefühle zu äußern Der psychosomatische Patient 1 (Rudolf 2008) • Für den Arzt ein „Problempatient“ • Symptomchronifiziert • Vielfach durchuntersucht • Von vielen Behandlungsversuchen enttäuscht Der psychosomatische Patient 2 (Rudolf 2008) • Verunsichert, weil er angeblich „nichts hat“ • Beunruhigt, weil ihm niemand helfen kann • Besorgt, dass man ihn für „verrückt“ halten könnte • Bereit, sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen Der psychosomatische Patient 3 (Rudolf 2008) • Bereit, sich defensiv-aggressiv gegen die Medizin zu wenden • Bereit, sich für diese Schwierigkeiten selbst die Schuld zu geben • Affektiv belastet durch Gefühle der Enttäuschung, Verunsicherung, Beschämung, Resignation, Selbstvorwürfe und defensiver Aggressivität Philosophische und wissenschaftliche Grundlagen (Leib-Seele-Problem) Philosophische Grundlagen Leib-Seele-Diskussion Gegenüberstellung von monistischen, dualistischen u. vermittelnden Positionen • Wie definieren wir Natur (Körper) und Geist (Seele)? • Wie verhalten sich Natur und Geist zueinander? Philosophische Grundlagen Leib-Seele-Diskussion Grundsätzliche Positionen • Soma (Natur) und Psyche (Geist) sind ihrem Wesen nach kategorial unterschiedlich und sind durch ein Erklärungsprinzip ausreichend verstehbar (monistisch) • Soma (Natur) und Psyche (Geist) sind ihrem Wesen nach kategorial unterschiedlich, konstituieren gemeinsam den Menschen, erfordern aber unterschiedliche Erklärungsprinzipien (dualistisch) • Soma (Natur) und Psyche (Geist) stellen unterschiedliche Facetten ein und desselben Gegenstandes dar („Zwei Seiten einer Medaille“) und erfordern zu ihrem vollständigen Verständnis alle möglichen Erklärungsprinzipien (vermittelnd, systemisch-integrativ) Monistische Position Monistische Position in der Psychiatrie Monistische Position in der Psychiatrie Wilhelm Griesinger (1817-1868) u. Emil Kraepelin (1858-1926) (Griesinger 1845) • „Krankheiten der Seele sind Krankheiten des Gehirns“ (Griesinger 1845, S. 6) • Psychische Prozesse sowie psychische Störungen lassen sich auf (gestörte) neurobiologische Prozesse zurückführen und sind hierdurch ausschließlich erklärt Monistische Position in der Psychiatrie (F. Holsboer *1945) • „Moderne“ neurobiologische Position • „Personalisierte Medizin“ als Idee einer ausschließlich auf neurobiologischer Forschung (genetische Polymorphismen) begründeten, „maßgeschneiderten“ biologischen Therapie psychischer Störungen (Holsboer 2009) • Psychologisch–psychotherapeutische Interventionen danach sekundär • „Nach diesen Prämissen wird nun die von der deutschen Psychiatrie ungebührlich oft und weitläufig behandelte Frage, ob beim Irresein, bei den Anomalien im Vorstellen und Wollen, die Erkrankung auch wirklich die Seele betreffe, ihre einfache, bejahende Lösung finden [...] Nur wird man allerdings nicht von Krankheiten der Seele selbst zu sprechen haben [...] sondern nur von Krankheiten des Gehirns, durch welche jene Acte des Vorstellens und Wollens gestört werden.“ (Griesinger 1845, S. 6) Monistische Position in der Psychotherapie (Psychoanalyse) • Psychoanalyse als eigene „Wissenschaft des Unbewussten“ • Unterscheidung klinische Forschung „Genuin psychoanalytische Forschung in der psychoanalytischen Situation“ und extraklinische Forschung • Der naturwissenschaftliche Forschungsansatz wird für die Psychoanalyse als grundsätzlich ungeeignet bewertet - Positionierung gegen den evidenzbasierten Forschungsansatz in der Psychotherapieforschung (Prä-Post-Design in der sog. Outcome-Forschung) (Leuzinger-Bohleber 2010) Monistische Position in der Psychotherapie (Gesprächspsychotherapie) Monistische Position in der Psychotherapie (früher Behaviorismus) • „Behavioristisches Manifest“ (Watson 1913) • Betonung der Autonomie von Psychotherapie unabhängig und jenseits der biologischen Grundlagen psychischer Prozesse (Eckert et al. 2006) • Warnung vor einer „Medikalisierung“ der Psychotherapie durch das neurobiologische Paradigma bzw. die Übernahme eines naturwissenschaftlichen Forschungskonzepts (evidenzbasierte Medizin) • Psychologie als experimentelle Naturwissenschaft à Positionierung gegen den „Mentalismus“ in der Psychologie • Behaviorismus als unabhängig von der Biologie bzw. Natur des Menschen à Positionierung gegen das medizinische Paradigma • „Wir haben unseren Charakter, unser Temperament und unsere besonderen Fähigkeiten nicht ererbt. Sie werden uns von unseren Eltern aufgezwungen.“ (Watson ([1928-1929]/1985, S. 120) Dualistische Position Dualistische Position Rene Descartes (1596 – 1650) franz. Philosoph Dualistische Position Rene Descartes • Philosophische Grundlagen Dualistische Position Theoretische Grundlage ist der sog. kartesianische Dualismus: - res cogitans (meint die nicht zu den materiellen Vorgängen gehörenden geistigen Prozesse) - res extensa (meint die Materie mit ihrer räumlichen Ausdehnung) • • Seele und Körper stellen somit verschiedene Wesenseinheiten dar, so dass beide Bereiche nur aus sich heraus erklärt werden können • „Die Natur erklären wir, dass Seelenleben verstehen wir“ („Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie“ 1894) Descartes legte die Grundlage für die naturwissenschaftliche Medizin (Mensch als Maschinenmodell) • Die Verbindung von Psyche und Soma existiert und definiert den Menschen als Ganzes, hat aber für die Erklärung des jeweiligen Bereichs keine Bedeutung Wilhelm Dilthey (1833 – 1911) dt. Theologe u. Philosoph Philosophische Grundlagen Dualistische Position Philosophische Grundlagen Dualistische Position • Prinzipielle Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften Wilhelm Windelband (1848 – 1915) dt. Philosoph • Unterscheidung von Kultur- und Naturwissenschaft • Unterscheidung von nomothetischer und idiographischer Forschung • „Die einen haben es mit der wert- und sinnfreien Natur zu tun, die anderen dagegen mit der sinnvollen und wertbezogenen Kultur“ (Rickert 1926) • „Die einen suchen allgemeine Gesetze“ (generelles apodiktisches Urteil) „die anderen besondere geschichtliche Tatsachen“ (singulärer, assertonischer Satz) • Für Rickert kann im Unterschied zu Dilthey und Windelband „das Psychische auch als Natur“ konzeptionell verstanden werden („Geschichte und Naturwissenschaft 1884) Heinricht Rickert (1863 – 1936) dt. Philosoph Dualistische Position C. G. Jung • Entwicklung von einem naturwissenschaftlichen zu einem geisteswissenschaftlichen Konzept von Psyche und Soma • „...dass ein für uns völlig unüberbrückbarer Gegensatz zwischen stofflicher und seelischer Erscheinung besteht.“ (Jung 1936/1960, S. 588) • „Freud erlag leider der ärztlichen Versuchung, in humoralpsychologischer Weise die seelische Erscheinung auf den Körper zurückzuführen“ Carl Gustav Jung (1910) Dualistische Position C. G. Jung „[...] gehe ich von der Annahme einer Eigengesetzlichkeit der Seele aus. Obschon Seele und Körper irgendwo eine Einheit sind, so sind sie doch in ihrem offenkundigen Wesen dermaßen verschieden, als dass wir gar nicht anders können, als der Seele, ebenso gut wie dem Körper, eine Eigenhaftigkeit zuzuschreiben“ (Jung 1920/1960, S. 310). (Jung 1936/1960, S. 592) Vermittelnde (systemtheoretische) Position Vermittelnde (systemtheoretische) Position • Soma wie Psyche sind unterschiedlich, gehören aber untrennbar zusammen („Zwei Seiten einer Medaille“) Beispiel: Ängste sind auf dem Hintergrund neurobiologischer Prozesse ebenso beschreibbar wie gleichzeitig auch durch psychologische Begriffe • Psychische Vorgänge sind an neuronale Trägerprozesse gebunden, hierdurch aber nicht vollständig beschreib- und erklärbar • Körperliche Vorgänge können durch psychische Prozesse beeinflusst werden (Epigenetik), dies gilt auch umgekehrt (Stress) Vermittelnde (systemtheoretische) Position Theoretische Beispiele • Die Theorie von Schelling • Die Theorie von K. Jaspers • Die Theorie von Kandel (1996; 2012) • Das biopsychosoziale Modell von Engel (1977; 1992) Vermittelnde (systemtheoretische) Position Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schelling (1775 - 1854), Deutscher Philosoph Vermittelnde (systemtheoretische) Position Vermittelnde (systemtheoretische) Position • „Allgemeine Psychopathologie“ (1913) à Phänomenologie als deskriptiver Ansatz à Krankheit ist einerseits Ergebnis der Natur, andererseits sinnstiftend • Schelling entwickelte ab 1796 eine sog. „Naturphilosophie“ • Schelling postulierte die Einheit von Natur und Geist: „Die Natur ist der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur.“ • Betonung der Notwendigkeit der Verbindung von Naturund Geisteswissenschaften (Einleitung zu „Ideen zu einer Philosophie der Natur“. Schelling Werke II, S. 65) • Hervorhebung der Bedeutung eines hermeneutischen Verständnisses von Krankheit und Therapie Karl Jaspers (1883 – 1969) dt. Psychiater u. Philosoph • Ablehnung der monistischen Idee der „natürlichen Krankheitseinheiten“ (s. Griesinger / Kraepelin) Integrative Position Vermittelnde (systemtheoretische) Position „Ein faszinierender Gedanke ist dabei, dass Psychotherapie, sofern sie zu substantiellen Verhaltensänderungen führt, dies offenbar durch eine Veränderung der Genexpression in den Nervenzellen erreicht. „Irgendwo ist Seele ja lebendiger Körper, und lebendiger Körper ist beseelter Stoff; irgendwie und irgendwo gibt es eine unerkennbare Einheit von Seele und Körper, welche ebensowohl körperlich wie seelisch erforscht werden müsste, d. h. diese Einheit müsste dem Forscher ebenso sehr vom Körper abhängen wie vom Seelischen.“ Ein zu diesen Argumenten analoger Gedankengang besagt dann, dass neurotische Störungen mit Veränderungen der neuronalen Struktur und Funktion einhergehen, genau wie bestimmte Geisteskrankheiten strukturelle (anatomische) Veränderungen des Gehirns mit einschließen...“ (Kandel 1996) Eric Kandel (geb. 1929) österreich. Naturwissenschaftler u. Psychoanalytiker (Jung 1920/1960, S. 588) Vermittelnde (systemtheoretische) Position Vermittelnde (systemtheoretische) Position • Einer der führenden Psychosomatiker in den USA „Eine psychotherapeutische Behandlung von Neurosen und Persönlichkeitsstörungen müsste dann, wenn sie erfolgreich ist, auch zu strukturellen Veränderungen der involvierten Neuronen führen. Wir stehen also vor der faszinierenden Möglichkeit, mit weiter verbesserter Auflösung von Brain-Imaging-Methoden diese nicht nur zur Diagnose diverser psychischer Erkrankungen einzusetzen, sondern auch zur Erfolgskontrolle bei Psychotherapien.“ (Kandel 1996) • Überwindung des dualistischen Denkens durch die Einführung eines Mehrebenen-Systems (Biopsychosoziales Modell) • Betonung der prinzipiellen Gleichwertigkeit biologischer, psychologischer, sozialer Faktoren für die Diagnose und Therapie somatischer wie psychischer Erkrankungen George L. Engel (1913 – 1999) US-amerikanischer Psychiater u. Psychoanalytiker Anthropologische Tendenz zum Dualismus (Rudolf 2008) • Die grundsätzliche Möglichkeit, dass der eigene Körper vom „Ich“ wie ein Objekt der Außenwelt erlebt und behandelt werden kann, begünstigt (in unserem eigenen Erleben) eine dualistische Vorstellung und wirft die Frage auf, wie sich Seelisches auf Körperliches auswirkt oder umgekehrt. Warum favorisieren wir die dualistische Position? Gerd Rudolf (gab. 1939) • Die Verwirrung in der Leib-Seele-Diskussion rührt nicht zuletzt aus der gegebenen Möglichkeit, gleichzeitig zu sein und zu haben. Anthropologische Tendenz zum Dualismus Anthropologische Tendenz zum Dualismus (Rudolf 2008) (Rudolf 2008) • Ich bin es, der denkt und ich bin körperlich anwesend (hier wird die Einheit von Ich und Denken oder Körperlich-Sein ausgedrückt) • In der Formulierung, ich habe diesen Gedanken und ich habe diesen Körper, scheint es, als wären wir zu zweit: Hier bin ich und dort sind meine Gedanken oder mein Körper. • Ein wesentliches Problem für das theoretische Verständnis für die Beziehung von Psyche und Soma ist, dass „die Gleichzeitigkeit von psychischem Erleben und körperlicher Funktion offenbar schwerer zu denken ist, als eine Abfolge von Ursache und Wirkungen.“ (Rudolf 2008, S. 13) • „Der lebende Körper ist nicht bloß Materie im physikalischen Sinne und das Psychische, das Mentale ist nicht Bestandteil einer höheren geistigen Welt.“ (Rudolf 2008, S. 12) • „In der Tat sind mentale Prozesse an die Architektur und die Funktionsweisen des zentralen Nervensystems gebunden.“ (Rudolf 2008, S. 12) Anthropologische Tendenz zum Dualismus (Rudolf 2008) • „Die ganzheitliche menschliche Person [kann] sowohl aus der psychischen wie aus der körperlichen Perspektive gesehen werden, wobei wir dazu tendieren, das Psychische als Subjekt (ich) und das somatische als Objekt (mein Körper) zu beschreiben.“ (Rudolf 2008, S. 13) Bedeutung des Seele-Leib-Problems für die Psychotherapie Franz Anton Mesmer (1734-1815) Büste Franz-Anton Mesmers von Franz Xaver Messerschmidt 1770 F. A. Mesmer Kupferstich um 1784; Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt a. M. Zur Person Einschätzung von Mesmers Werk • Der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer (1734 – 1815) gilt als Wegbereiter der modernen Psychotherapie • Dies gilt für die Hypnose, die Psychoanalyse Freuds und Jungs wie auch die Esoterik • “Ja, man wird mich jetzt nicht missverstehen, wenn ich sage, dass in diesem Sinne, da eben alles eigentliche Heilen nur vom Unbewussten ausgeht, der Mesmerismus wirklich das Urheilmittel genannt werden muss.” • Der „Mesmerismus“ stellte die erste neuzeitliche Psychotherapiebewegung dar, mit Verbreitung u.a. in Frankreich, Deutschland, Österreich, Niederlande, England, Schweden und Russland sowie USA und Haiti. • Der „Mesmerismus nahm über fünf Jahrzehnte (zwischen ca. 1780 u. 1830) einen wichtigen Einfluss auf das kulturelle und geistige Leben in den europäischen Metropolen (Paris, Berlin) (Carus 1857) Carl Gustav Carus ( 1789 - 1869), deutscher Mediziner, Maler, Naturphilosoph • Insbesondere in der Romantik (1800 – 1830) fand Mesmer eine breite Rezeption bei den wichtigsten Philosophen und Literaten der Zeit (Boerner 2016a, b) Einschätzung von Mesmers Werk Einschätzung von Mesmers Werk • „Alle psychotherapeutische Methoden von heute und ein gut Teil aller psychotherapeutischen Probleme gehen kerzengerade auf diesen einen Mann, Franz Anton Mesmer, zurück.“ (Zweig 1931, S. 137) • Mesmers Lehre ist die „vom philosophischen Standpunkt aus betrachtet, die inhaltschwerste aller jemals gemachten Entdeckungen.“ (Schopenhauer 1851, S. 255) Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) deutscher Philosoph, Autor u. Hochschullehrer Stefan Zweig (1881 – 1942) österreichischer Schriftsteller Mesmers Biographie • 23.5.1734 Geburt in Iznang/Bodensee als drittes Kind eines Aufsehers der Fürstbischhöflichen Jagd • Ab 1750 Studium der Theologie, Philosophie (Promotion) und Rechtswissenschaften (Mathematik, Physik u. Sprachen) in Dillingen u. Ingolstadt sowie ab 1760 Medizin in Wien • 1766 Medizinische Dissertation „De planetarum influxu“ (Mitglied der Medizinischen Fakultät) • 1759 – 1778 lebt Mesmer in Wien, heiratet und zieht in ein Palais, wo er seine ärztliche Praxis eröffnet Mesmers Residenz ab 1768, Wiener Landstraße 261 in Wien Mesmers Biographie • 1774 Mit 40 Jahren erste Behandlung der 28-jährigen „Jungfer Franzl Oesterlin“, Entdeckung des „animalischen Magnetismus“, der Therapie ohne Magnete durch die Person Mesmers • Jan. 1775 Mesmer teilt seine Entdeckung („Magnetkur“) den ärztlichen Akademien von Paris, London, Berlin u. Zürich mit, stößt jedoch auf Desinteresse und Ablehnung • 1775 Mesmer wird Mitglied der „Kurbayerischen Akademie der Wissenschaften“ („Fall Gaßner“) Schloss Rothmühle Schwechat / Wien Schloss Rothmühle Festsaal • 1777 Letztlich erfolglose Behandlung der 17-jährigen jungen, blinden, prominenten Pianistin Maria Theresia Paradis in Wien • 1778 Mesmer wird durch die Ärzteschaft abgelehnt, verlässt enttäuscht Wien und zieht nach Paris Mesmers Biographie Aufenthalt in Paris (1778-1785) • Gründung einer ärztlichen Praxis in verschiedenen Palais Franz Anton Mesmer, Stich von Meyer, (In: Deutsch OE. Mozart und seine Welt, Bärenreiter 1961, S. 87) Mesmers Biographie Aufenthalt in Paris (1778-1785) • Konstituierung seiner berühmten Gruppentherapie („Baquet“) • Enormer Zustrom von Hunderten von Patienten aller Bevölkerungsschichten • Mesmer wird „Mode“, sämtliche Zeitungen und Journale befassen sich mit ihm (in Archiven sind 20.000 Seiten Pariser Journale nachweisbar!) Hôtel Bullion, 9 rue Coq-Héron Mesmers Wohnsitz und Praxis ab 8. Aug. 1778, später Praxisräume des Mesmerschülers D´Eslon Bericht des englischen Arztes Dr. John Grieve Einer Therapiesitzung in Mesmers Haus im Mai 1784 „Gruppentherapie“ am Baquet zu Mesmers Pariser Zeit In Ramsey W. 1918, S. 84-85, zitiert in Ellenberger (1970/1996, S. 104) Mesmerische Gruppentherapie in Paris um 1784 Ölgemälde „Mesmeric therapy. A group of mesmerised French patients“ Bibliothéque Nationale Paris, Collection De Vinck Nr. 900 Welcome HS (1913) Handbook of the Historical Medical Museum, XVII-th International Congress of Medicine. The Museum of the Section of the History of Medicine, London, Katalognr. 140, S. 77. Mesmers Biographie Aufenthalt in Paris (1778-1785) • Mesmer ist Freimaurer und hat Kontakt zur Freimaurerszene in Paris • Zeit der größten Triumphe, Mesmer und seine Therapie werden zu einem gesellschaftlichen Ereignis bis in das Königshaus (Marie Antoinette) hinein. • Gleichzeitig schroffe Ablehnung von Seiten der Ärzte wie Teilen der Öffentlichkeit Karikatur der Mesmerschen Theorie des animalischen Magnetismus Kupferstich Jean-Jacques Paulet, London 1784 (Bayerische Staatsbibliothek, Signatur M. med. 45, Seite 112/113) Mesmers Biographie „Schicksalsjahr 1784“ Mesmers Biographie • Gründung der „Gesellschaft der Harmonie“ (Verbreitung seiner Lehre in geheimen Zirkeln an zahlende Mitglieder) • 1785 – 1790 Mesmer reist umher, besucht u. a. die „Gesellschaften der Harmonie“ in der Schweiz u. Deutschland • Ablehnung seiner Therapie durch die vom Ludwig XIV einberufenen wissenschaftlichen Kommissionen als unwissenschaftlich à Verbot der Therapiedurchführung durch Mesmers Schüler d´Eslon • 1791/1793 Aufenthalt in Wien, dort wird er wegen des Vorwurfs revolutionärer Äußerungen ausgewiesen • Beginn einer öffentlichen Rufmordkampagne gegen Mesmer (Vorwurf Scharlatanerie) à Nachlassen seiner Therapieerfolge • 1792; 1799 – 1802 Letzter Aufenthalt in Paris, dort erhält er einen Ausgleich für sein verlorenes großes Vermögen mit einer lebenslangen Pension in beträchtlicher Höhe Mesmers Biographie • 1803 – 1815 Mesmer lebt zurückgezogen in der Bodenseeregion an verschiedenen Wohnorten (Riedetsweiler/Meersburg, Frauenfeld von 1804 - 1812, Konstanz, schließlich Meersburg) • 1812 Man hält ihn lange für tot, der Berliner Arzt Wolfart besucht ihn, seine Manuskripte erscheinen 1814 • 5.3.1815 Mesmer stirbt kinderlos nach einem Schlaganfall und wird in Meersburg begraben F. A. Mesmer mit 75 Jahren. Miniaturportrait v. Joseph Einsle 1809 in Frauenfeld gemalt (Privatbesitz). Das „Walzmühlenkontor“ (Foto um 1940). Mesmers Frauenfelder Adresse zwischen 1804 u. 1812. Grabstein Mesmers in Meersburg Mesmerdenkmal an der Hafenmole von Meersburg Gängige Therapien des 17. Jahrhunderts • Für psychische Störungen existierten keine probaten Therapien Mesmers Therapie • Aderlässe • Verabreichung von Tinkturen • Schröpfen • Behandlung mit Magneten • Behandlung mit „Elektrisiermaschinen“ Frühe elektrostatische Experimente Mesmers Therapie Der Fall Oesterlin – Entdeckung des „Animalischen (thierischen) Magnetismus“ • 28-jährige Bedienstete in Mesmers Haus. • Chronische Erkrankung („viele Jahre mit Gichtern“; Mesmer 1779/1781, S. 13) mit phasenhaftem Verlauf • „Mit einem hysterischen Fieber verbanden sich Zuckungen, anhaltendes Erbrechen, Schwermuth, Wahnwitz, manchmal Raserey, Starrsucht, Ohnmachten, Lähmungen, die etwelche Tage anhielten und andere dergleichen gräßliche Zufälle.“ (Mesmer 1775) Elektrostatische Entladung einer Leydener Flasche über einer Menschenkette, Kupferstich, Paris 1753, Bibliothek Deutsches Museum 1966 B 503 (Ausschnitt) • „Die schlimmsten Zustände bey ihr waren, daß das Blut ungestümm in den Kopf drang, und die fürchterlichste Zahn- und Ohren-Schmerzen verursachte, welche mit Wahnwitz, Wuth, Erbrechen und Ohnmachten verbunden waren.“ (Mesmer 1779/1781, S. 13) Mesmers Therapie Der Fall Oesterlin – Entdeckung des „Animalischen (thierischen) Magnetismus“ • Die Behandlung erstreckte sich über 2 Jahre (1773 u. 1774; Mesmer 1779/1781, S. 13; Tischner u. Bittel 1941, S. 35 ff.) • Der Patientin wurden zwei gebogene Magnete an die Füße und ein herzförmiger an die Brust gehängt. Mesmers Therapie Der Fall Oesterlin – Entdeckung des „Animalischen (thierischen) Magnetismus“ • 28.7.1774 Mesmer entdeckt bei der Therapie, dass nicht Magnete sondern er selbst (über seine Hand bzw. Finger) den Therapieerfolg hervorruft à „Fluidumtheorie“; Theorie des „Animalischen (thierischen) Magnetismus“ (Mesmer 1775, S.19-21; 1779/1781, S. 13 ff.; zitiert in Knubben 2015, S.56) • Auslösung der therapeutischen „Krise“: „Diß verursachte ihr, in sehr kurzer Zeit, außerordentliche Empfindungen. Sie fühlte, innerlich, ein schmerzhaftes Strömen einer sehr feinen Materie, welches sich bald da, bald dorthin, endlich aber in die unteren Theile des Körpers zog und sie sechs Stunden von allen fernern Anfällen befreite.“ (Mesmer 1779/1781, S. 15) Mesmers Therapie Der Fall Oesterlin – Entdeckung des „Animalischen (thierischen) Magnetismus“ • „Die Beobachtung dieser Wirkungen […] bestätigte meine vorhergehende Gedanken, von dem Einfluß eines allgemein würkenden Principiums, überzeugte mich, daß ein vom Magnet ganz verschiedner Stof, (dann er für sich kann unmöglich auf diese Arzt auf die Nerven wirken) ihn wirksam mache.“ (dto., S. 15 f.) Mesmers Therapie Grundlagen Mesmers Theorie Das „Fluidum“ • Mesmer postuliert ein „Fluidum“, eine feine, nicht sichtbare Materie, die die Welt und schließlich die Nerven durchdringt (Mesmer 1779, S. 74). • Krankheiten aller Art entstehen aus der Ungleichverteilung des „Fluidums“ im menschlichen Körper. Die Therapie hat zum Ziel, dieses Gleichgewicht wieder herzustellen. Mesmers Therapie Grundlagen • Die Übertragung des „Fluidums“ erfolgt durch den „Magnetiseur“: • Der „Magnetiseur“ verfügt über eine besondere Anreicherung des Fluidums, die er Kraft seiner Person auf Patienten wie auch Objekte übertragen kann. „Alles, was ich berührte [machte ich] so magnetisch, dass gedachte Körper für sich die nähmliche Wirkung auf die Kranke taten, als die Magnete selbst. Ich ladete Flaschen mit der magnetischen Materie, wie man solche bei der Elektrik zu thun pflegt.“ (Mesmer 1775, S.22) - Bereits durch Anwesenheit, Fingerzeig - Berührung des Körpers durch Handauflegen und Bestreichung der krankhaften Körperpartien • Das „Fluidum“ kann aufbewahrt, kanalisiert und dann auf andere Personen und Objekte (Bäume etc.) übertragen werden („Baquet“ = „Gesundheitszuber“) Mesmers Therapie Pariser Zeit Mesmers Therapie Berichte von Zeitzeugen • „Individueller Magnetismus“ (Für besonders befähigte sensible Menschen): Manuelle Therapie durch Mesmer persönlich • Neu: „Gruppentherapie“ („kollektiver Magnetismus“): - Am Baquet - Nicht an Gewittertagen - Geschlossene Vorhänge, Spiegel, musikalische Untermalung der „Krisen“ - Musikalische Untermalung (Orchester) bzw. Einsatz der „Glasharmonika“ (spezielles Instrument, das Mesmer perfekt beherrschte) beim Eintreffen von Mesmer (Thullier 1990, S. 262ff.) Mesmerische Gruppentherapie in Paris um 1784 Bibliothéque Nationale Paris, Collection De Vinck Nr. 900 • „Von morgens um 6 Uhr bis in die Nacht wird sein Haus bestürmt, ist ein Schauplatz, wo die wunderlichsten Auftritte vorfallen. Der eine lacht, der andere weint, der dritte gähnt, der vierte schreyt. Vapeurs, Gichter, Rasen, Ohnmachten vereinigen sich wechselseitig, die Szene vollkommen zu machen. Oft genug befiehlt Er niemand vorzulassen, und immer wird durch unzählbare Bitten dieser Befehl durchbrochen“ (d´Eslon 1783, S. 78 f.) Mesmers Therapie Grundlagen • Einsatz des Baquets erst in der Pariser Zeit • Standardisierte Herstellung • 10 Fuß Durchmesser, 18 Zoll hoch • Aufgefüllt mit zerstoßenem Glas, Sand, Siderit (Eisenkalk) und Eisenspähnen Letztes erhaltenes Baquet (Gesundheitszuber) aus der Zeit Mesmers Lyon um 1800 (mit freundlicher Genehmigung der Mesmer Ausstellung Meersburg 2015) Glasharmonika unsigniert um 1810, Staatliches Institut für Musikforschung, Kat.-Nr. 812 Mesmers Therapie Grundlagen Mesmers Therapie Behandelte Krankheiten • Mesmer behandelte sowohl Patienten der Aristokratie für z. T. erhebliche Summen, arme und mittellose Patienten hingegen kostenlos • Seine Therapie erstreckte sich im Regelfall über mehrere Sitzungen, teilweise wurden Therapiezeiträume von über einem Jahr (Fälle „Oesterlin“ u. „Paradis“) oder Jahren (d`Eslon 1781; Hufeland 1809) berichtet • „Hysterisches Fieber“, „Zuckungen“, anhaltendes Erbrechen, „Schwermuth“, „Wahnwitz“, „Raserei“, „Starrsucht“, Ohnmachten, Lähmungen • Eine wesentliche, insbesondere die Ärzteschaft provozierende Neuerung war, dass die Therapie nicht in erster Linie von Ärzten, sondern von Laien durchgeführt wurde. • Daneben „Gichter“, „Fallsucht“, Hemiplegie, „monatliche Blutungen“, Koliken, Krebs, „Gelbsucht“ und Taubheit (z. B. Fall „Oesterlin“, Mesmer 1775; Knubben 2015, S.54) (Mesmer 1779; 1781; d´Eslon 1780/1781; Tischner u. Bittel 1941, S. 86 f.) • Trotz aller vehementen Kritik wurden tatsächlich bei einer hohen Zahl dieser Patienten beeindruckende und nachhaltige Therapieerfolge erzielt (Ellenberger 1973/1996, S. 115; d´Eslon 1780/1781) Mesmers Therapie Universeller Therapieanspruch • „Die Natur bietet dem Menschen-Geschlecht ein allgemeines Heil- und Verwahrungs-Mittel gegen alle Krankheiten an.“ (Mesmer 1779/1781, S. 5) • „Daß dieß Principium, Nerven-Krankheiten unmittelbar, andere mittelbar heile.“ („27 Merksätze“; dto., S. 53) Mesmers Theorie Mesmers Theorie Mesmers Theorie Der „sechste Sinn“ • Bereits Paracelsus (1493-1541) beschrieb die heilende Kraft von Magneten • Der Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602-1680) beschrieb den Magnetismus als elementare Naturkraft, die alle Bereiche der Natur zusammenhält, von ihm stammte der Begriff „animalischer Magnetismus“ • Im 18. Jh. wurde die Elektrizität (Blitzableiter) entdeckt und zunehmend als Grundprinzip menschlichen Lebens erkannt • Mesmer vertrat zeitlebens die Auffassung, ein Naturprinzip entdeckt zu haben • „Allein ich finde für meinen Gegenstand keine bestimmte eigentliche Ausdrücke. Will ich mich verständlich machen, so muss ich Bilder, Vergleichungen, Annäherungen zu Hülfe nehmen, und diese Sprache behält trotz allen genauen Berichtigungen, noch immer tausend Unvollkommenheiten […].“ (Mesmer 1781/1783, S. 45 f.) • Mesmer glaubte, zu den innersten Kräften der Natur in einer direkten Beziehung zu stehen und diese zum Nutzen der Menschheit anwenden zu können („intuitives Naturgefühl in Verbindung mit einer charismatischen Begabung“) (Benz 1977, S. 12ff. ) Mesmers Theorie Der „sechste Sinn“ Wissenschaftstheoretische Auffassung • „Der thierische Magnetismus muss in meinen Händen als ein sechster künstlicher Sinn betrachtet werden. Sinne lassen sich weder erklären noch beschreiben - blos fühlen -. Vergeblich würde man sich bemühen einem Blindgebohrnen die Theorie der Farben begreiflich zu machen. Man muss ihn sehend, das ist Fühlen machen.“ (Mesmer 1781/1783, S. 46; Unterstreichung durch den Referenten) Wissenschaftliche Einordnung Welche Position nimmt Mesmer in der Leib-Seele-Debatte ein? Die Pariser Kommissionen 1784 Pariser Kommissionen • „Im Bezug auf die Existenz und den Nutzen des Magnetismus sind sie [die Kommissäre] zu dem einstimmigen Schlusse gelangt, dass das Vorhandensein eines tierischen Fluidums durch nichts bewiesen wird; dass diese Fluidum, da es nicht vorhanden ist, keine günstige Wirkung ausüben kann, und das die heftigen Wirkungen, welche an Kranken bei öffentlicher Behandlung wahrgenommen wurden, von der Berührung, der Erregung der Einbildungskraft und von der mechanischen Nachahmung herrühren.“ … (Bailly et al. 4.9.1784; weitere Zitierung in Florey 1995, S. 150) Die Pariser Kommissionen 1784 • „Wenn […] ein solcher Irrthum aus dem Gebiethe der Wissenschaften heraus kommt und unter dem gemeinen Haufen sich verbreitet, um die Gesinnungen zu theilen, und aufrührerisch zu machen, wenn er Kranken ein betrügerisches Heilmittel darbietet, und sie abhält, andere Mittel zu suchen […], so findet eine gute Regierung ihren Nutzen darin, ihn auszurotten.“ (Bailly nach Wolters 1988, S. 128) Wissenschaftliche Einordnung • Einwand von d´Eslon (1780), treuester Anhänger Mesmers: „Denn wann diese Art von Arzney, die in der Einbildung läge, für die Menschen wahrhaft das beßte Heilmittel wäre, warum sollen Wir also nicht diese Arzney der Einbildung in wirklichen Gebrauch setzen?“ (zitiert nach Schürer-Waldheim 1930, S. 119 ff.) Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur • Armeegeneral Armand-Marc-Jacques de Chastenet, Marquis de Puységur („ Marc “ nach Edelman 2015/ Sziede 2015, S. 89) • Schüler von Mesmer • Entdeckung des künstlichen „Somnambulismus“ Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur In: A. M. J. de Puységur (1784 b) Mémoires pour servir à l'histoire et à l'établissement du magnétisme animal. Marquis de Puységur (1751– 1825) • Einführung einer öffentlichen Gruppentherapie um eine alte Ulme • Heilung von 300 Patienten mit 62 verschiedenen körperlichen und psychosomatischen Leiden innerhalb eines Monats (Ellenberger 1970/1996, S. 115). Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur Therapie • Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur Therapie Bei dem jungen Bauern Victor Race, der sich eine Brustfellentzündung zugezogen hatte und den Puységur „magnetische Striche“ zuführte, beobachtete er, wie der Kranke ohne die „Krise“ nach Mesmer einschlief (Kaech 1947, S. 384) • Einige Patienten besaßen in diesem Zustand „luzide Fähigkeiten“ • Sie konnten in einer Art Innenschau in ihren Körper blicken und selbst Diagnosen über ihre Krankheiten mitteilen • In diesem sonderbaren Schlaf sprach Victor, und wechselte dabei seinen Gedankengang nach dem Wunsch des Marquis (Kaech 1947, S. 384) • • Während dieser Sitzung verfiel er in einen anderen Bewusstseinszustand, in dem er zwar weggetreten, aber dennoch ansprechbar war und über eine geschärfte Sinneswahrnehmung verfügte In einigen besonderen Fällen war es sogar möglich, das die Behandelten auch bei anderen Menschen und über weite Distanzen hinweg Krankheiten diagnostizieren und entsprechende Heilmittel vorschlagen konnten (Ellenberger 1970/1985, S. 116) • Nur in seltenen Fällen, gab es Somnambule, die meinten, fähig zu sein, mit Wesen auf anderen Planeten zu kommunizieren oder Geister und Tote sehen zu können Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur Fallbeispiel einer „magnetischen Kur“ 1817 • Der Oberamtschirurg und Geburtshelfer Georg H. Nick (1775 – 1843) aus Leonberg schreibt: „[ich fuhr ihr mit meiner Hand] über den Hals und die Brust zur Herzgrube, wo ich drückend verweilte und ging sanft über den Unterleib und die Schenkel gleitend zu den Zehen. Darauf ward sie ruhiger, und nach 3 bis 4 Mahl wiederholter Manipulation ließen ihre Krämpfe völlig nach. • „Ich glaube an die Existenz einer Kraft in mir. Aus diesem Glauben leitet sich mein Wille ab, sie wirksam werden zu lassen. Die ganze Lehre vom thierischen Magnetismus ist in zwei Worten enthalten: Glauben und Wollen.“ […] Mit aufgelegter Hand auf ihre Herzgrube fragte ich sie: Wie geht es Ihnen? Sie antwortete mit sanfter Stimme: „Mir ist wohl.“- Wo ist Ihre Krankheit? „In den Nerven“, war ihre Antwort; und wodurch können Sie wieder geheilt werden? „Nur auf die Art womit Sie mich jetzt beruhigen, und zwar ganz allein durch Sie.“ (Nick 1817, S. 8) (Osten 2015, S. 37) Wissenschaftliche Einordnung Welche Position nimmt Puységur in der Leib-Seele-Debatte ein? (De Puységur in einem Vortrag vor der Freimaurergesellschaft Straßburgs 1785; 1807, S. 108-152; Ellenberger 1970/1996, S. 117) Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur Kritik von Mesmer „Diese irrige Meinung [im Besitz der Kunst zu seyn, Somnabüle machen zu können, die allein als unfehlbare Orakel anzusehen wäre, durch die alles zu erlernen sey und deren Besitz allein in den Stand setzte, Kranke zu heilen] […] und der daraus entstandene Missbrauch bildete in Straßburg eine besondere Sekte, die durch unbescheidenes Experimentieren der guten Sache schädlich wurde, indem sie dieselbe um die Achtung brachte, die ihr gebührte, und Anlass zu dem allgemeinen Unglauben [an den Mesmerismus] gab, der in Teutschland Wurzeln gefasst hatte“ (Mesmer 1812, S. 259) Weiterentwicklung des Mesmerismus de Puységur Kritik von Mesmer Mesmerismus und Romantik „Vorzüglich beklagte er sich, dass seine Schüler den Magnetismus mit dem Somnambulismus vermengt hätten und sich berufen glaubten, aus allen Kranken Somnambule zu machen; dies, meine er, sei der guten Sache und der Lehre viel nachteiliger gewesen, als ihre offenen Feinde und Widersacher“ (Dr. Johann Heinrich Egg, Arzt im Ellikon im Thurgau bei seinem Besuch Mesmers 1804 in Frauenfeld; in: „Morgenblatt für gebildete Stände“, Oktober 1820; zit. in Milt 1953, S. 08) • Die Romantik befasste sich in Abgrenzung zur Aufklärung mit dem „Innenleben des Menschen“ und suchte nach einem neuen Weg einer Verbindung von Natur und Geist • Gotthilf Heinrich Schubert: „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften“ (1808) • Der künstliche „Somnambulismus“ bzw. der „Mesmerismus“ wird zu einem wichtigen Thema in der Romantik • Philosophie: Fichte, Schelling, Schubert, Hegel, Schleiermacher, Schopenhauer • Literatur: Jean Paul, Novalis, ETA Hoffmann, Kleist Internationale Verbreitung • Frankreich • Baden-Württemberg, Bremen und Preußen • Österreich / Schweiz • Niederlande • Dänemark, Schweden • Russland • England • USA / Haiti Verbreitung des Mesmerismus USA (Boerner 2017a, b) • General Lafayette wird einer der ersten begeisterten Schüler Mesmers • 17.8.1784 Treffen mit Washington auf dessen Wohnsitz Mt. Vernon mit Austausch über Mesmer • 25.11.1784 Brief Washingtons an Mesmer mit ausgesprochen positiver Einschätzung von dessen Werk und Wirken (Founders online, national archives) Lafayette und Washington bei deren Treffen auf Washingtons Landsitz Mt. Vernon, August 1784 Schlein (2007, S. 60-74) Positive Impulse des Mesmerismus Welche Ideen Mesmers sind heute noch bedeutungs- u. wirkungsvoll für unser Verständnis der Psychotherapie? Anwendungsgebiete für die Psychotherapie in Theorie und Praxis Kombination von Psycho- u. Pharmakotherapie aus wissenschafts- bzw. therapietheoretischer Sicht Psychoanalytische Position Kombination von Psycho- u. Pharmakotherapie aus wissenschafts- bzw. therapietheoretischer Sicht Psychiatrische Position Ermann (1995) Medikamente be- oder verhindern die wirksame Durchführung psychoanalytischer Verfahren Hoffman & Bassler (1995) Medikamente können psychoanalytische Verfahren ermöglichen, ergänzen, behindern sie grundsätzlich nicht Griesinger (1817-1868) „Krankheiten der Seele sind Krankheiten des Gehirns.“ (Griesinger 1845, S. 6) Holsboer (2009) Psychische Erkrankungen sind neurobiologisch determiniert. Die Pharmakotherapie stellt dementsprechend einen kausalen und ausreichenden Therapieansatz dar. Psychotherapie ist ein komplementärer Ansatz, der letztlich auch nur auf die Regulierung neuronaler Netzwerke zielt. Kapfhammer (2011) Psychiatrie befasst sich mit der Diagnose und Therapie psychischer Störungen auf dem Hintergrund eines integrativen Modells biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren Kombination von Psycho- u. Pharmakotherapie aus wissenschafts- bzw. therapietheoretischer Sicht Gesprächstherapeutische Positionen Yalom (2003) Es ist die Beziehung, die heilt. Obwohl es sich hierbei um den zentralen Grundsatz der GT handelt kann die praktische Therapie sehr wohl andere Therapieansätze wie eine Medikation insbesondere bei schwer erkrankten Patienten einschließen. Eckert et al. (2007) Das humanistische Paradigma der Gesprächspsychotherapie steht in unabdingbarem Gegensatz zu dem medizinischen Modell. Die „Medikalisierung“ der Psychotherapie durch Übernahme medizinischer Modelle der Diagnostik und Therapie ist absolut abzulehnen. Wissenschaftstheoretische-philosophische Positionen am Beispiel des Problems der Willensfreiheit Kombination von Psycho- u. Pharmakotherapie aus wissenschafts- bzw. therapietheoretischer Sicht Verhaltenstherapeutische Positionen Grawe (2004) Die Psychotherapie hat sich durch empirische Forschung zu bewähren. Psychologische Interventionen sind durchaus auf dem Hintergrund der Veränderung neurobiologischer Netzwerke zu verstehen. Eine Kombination mit Medikamenten ist daher durchaus möglich und sinnvoll. Marks (1993); Margraf (2000) Verhaltenstherapie ist die einzig empirisch untermauerte Psychotherapieform bei psychischen Störungen und beansprucht daher die Priorität bei der Auswahl von Behandlungsverfahren. Medikamente sind grundsätzlich überflüssig und beinhalten die Gefahr der Symptomsuppression. Eine Ausnahme stellen höchstens schwerst erkrankte Patienten dar. Wissenschaftstheoretische-philosophische Positionen am Beispiel des Problems der Willensfreiheit • „Vermittelnde modifiziert kompatibilistische Position“ (nach Fuchs 2006, S. 55) • Der Mensch ist biologisch determiniert à Es existiert kein freier Wille (monistisch-naturalistische Position, z. B. Roth (2009) • Relative Unabhängigkeit der Subjektivität unter Respektierung der natürliche Grundlage psychischer Prozesse • Der Wille des Menschen ist vollständig frei, da nicht an Natur oder Biologie gebunden (monistisch-psychologische Position) • Die neuronalen Trägerprozesse sind nicht ausschließlich durch physikalische Gesetzmäßigkeiten bestimmt à jedoch auch nicht ausschließlich durch „rein“ psychische Prozesse • Die Bestimmtheit von Prozessen des Überlegens, Wertens, Vorziehens und Entscheidens sind nicht vollständig auf physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeiten zu reduzieren à aber auch nicht vollständig auf „rein“ psychologische Gesetzmäßigkeiten Geschichtliche Entwicklung Geschichtliche Entwicklung Frühe historische Theorien der Psychosomatik Geschichtliche Entwicklung Temperamentenlehre Geschichtliche Entwicklung Temperamentenlehre • Der griechische Arzt Hippokrates sowie der römische Arzt Galenus unterschieden vier Temperamente i. S. einer ersten Persönlichkeitstypologie - Choleriker - Sanguiniker - Melancholiker - Phlegmatiker • Ganzheitliche Auffassung psychischer und somatischer Prozesse durch die Verbindung der Temperaments- mit der „Säftelehre“: - Temperamentstyp als Ausdruck einer spezifischen Konstellation von Körpersäften • Unter Temperament werden heute biologische Grundmerkmale der Persönlichkeit verstanden (Reaktivität, Tempo, Reaktionsgeschwindigkeit, etc.) (Boerner 2015) • Über CG. Jung (1921), Pawlow (1935), Eysenck (1953), Strelau (1990; 2008) besteht eine Kontinuität der Temperamentsforschung bis heute • Das Temperament ist auch heute für die psychologischen Wissenschaften wie die Psychotherapie hochrelevant (Boerner 2015) - Prägung der Psychopathologie - Assoziation mit psychischen Störungen - Markiert Grenzen der Veränderung - Psychische Erkrankungen als Ergebnis einer Pathologie von Körpersäften • Die Temperamentenlehre war in der Medizin wie Psychologie bis in das 20. Jh. hinein eine unbestrittene Grundlage zum Verständnis des Menschen wie auch von körperlichen und seelischen Erkrankungen Boerner RJ (2015) Temperament. Forschung-Klinik-Praxis. Springer, Heidelberg, Berlin. Geschichtliche Entwicklung Frühe psychosomatische Modellvorstellungen • 1776 Einführung des Neurosenbegriffs („neurosis“) à alle nichtentzündlichen Nervenkrankheiten einschließlich psychischer Krankheiten • Idee, dass das Gehirn körperliche Organsysteme beeinflusst • Annahme sog. funktioneller psychischer Störungen bei somatisch nicht erklärbaren Körpersyndromen William Cullen (1710 – 1790) engl. Mediziner u. Chemiker Geschichtliche Entwicklung 18. u. frühes 19. Jahrhundert • Bolten „Gedanken von psychologischen Kuren“ (Halle, 1751) • J. C. Reil „Rhapsodien über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen“ (Halle, 1803) - Forderung einer engen Verbindung von „Physiologie und Pathologie der Seele, psychische Heilmittellehre und psychische Therapie“ (Kronfeld 1928, S. 17) • „Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens“ (Johann Christian August Heinroth 1818) - Betonung der Rolle von Affekten und Leidenschaften der Persönlichkeit für die Entstehung und den Verlauf von körperlicher Erkrankungen Geschichtliche Entwicklung Romantische Medizin Carl Gustav Carus (1789-1869) • Hofarzt des sächsischen Königshauses • Breitgefächerte Interessengebiete neben der Medizin: Malerei, Mineralogie, Psychologie • Betonung der Bedeutung psychischer und sozialer Faktoren für die Entstehung und Therapie somatischer wie psychischer Erkrankungen Geschichtliche Entwicklung Geschichtliche Entwicklung Verbindung von Psychiatrie und Geisteswissenschaften • Ablehnung der monistischen (rein biologischen) Idee von „natürlichen Krankheitseinheiten“ (s. Griesinger / Kraepelin) Psychosomatik und Psychiatrie • Betonung der unbedingten Notwendigkeit einer Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaften zum Verständnis der Seele wie von psychischen Krankheiten Karl Jaspers (1883 – 1969) dt. Psychiater u. Philosoph Geschichtliche Entwicklung Adolf Meyer (1866-1950) • „Allgemeine Psychopathologie“ (1913) à Phänomenologie als deskriptiver Ansatz à Krankheit ist einerseits Ergebnis der Natur (Biologie), andererseits hat Krankheit eine Bedeutung im psychosozialen Sinne (Hermeneutik) Geschichtliche Entwicklung Adolf Meyer (1866-1950) • Ausbildung zum Psychiater und Neuropathologen in Zürich (Forel und v. Monakow) • Emigration 1892 in die USA, 1893 Habilitation in Chicago • 1896 Studienreise durch Europa (Besuch verschiedener psychiatrischer Kliniken) sowie Besuch bei Kraepelin in Heidelberg • 1910 Lehrstuhl f. Psychiatrie, 1913 – 1941 Direktor der Psychiatrie an der JohnsHopkins-University/Baltimore • Auf seine Initiative wurden S. Freud und CG. Jung 1909 zu ihrer ersten Vortragsreise in die USA eingeladen • Er stellte J.B. Watson ein psychologisches Labor für dessen Forschung zur Verfügung • Mehrere Generationen US-amerikanischer Psychiater wurden durch seine Ideen maßgeblich beeinflusst Geschichtliche Entwicklung Adolf Meyer (1866-1950) • Hervorhebung einer präzisen psychopathologischen Befunderhebung mit ausführlicher Anamnese einschließlich der Biografie • Akzeptierte die Grundgedanken von Freud zur Bedeutung der Sexualität in der menschlichen Entwicklung • In seiner „Psychobiologie“: - Jeder Patient als untrennbare psychologische und somatische Einheit - Krankheit als Resultat einer komplexen Interaktion von innerer Pathologie und äußerer Fehlanpassung Geschichtliche Entwicklung Adolf Meyer (1866-1950) • 1910 Forderung Meyers nach psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern à Keine Trennung von psychischer und somatischer Medizin • 1911 Einführung eines psychiatrischen bzw. psychologischen Unterrichts für Medizinstudenten (z. B. „Psychobiologie“ im ersten klin. Medizinsemester) • Einführung einer spezifischen psychiatrischen Facharztweiterbildung • Begründung einer medizinischen Psychologie (initial mit J.B. Watson) • Initiierung einer Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie Winters EE, Bowers AM (Hrsg.) (1957) Psychobiology: a Science of Man. Adolf Meyers „Thomas W. Salmon Memorial“ Vorlesungen (1931). Charles C Thomas, Springfield IL. Geschichtliche Entwicklung Psychosomatik und Innere Medizin Geschichtliche Entwicklung Beiträge der Inneren Medizin • Innere Medizin wurde bis vor wenigen Jahrzehnten als umfassende medizinische Grunddisziplin verstanden, die verschiedene Teilaspekte heutiger Einzeldisziplinen (Kardiologie, Rheumatologie, Diabetologie, physikalische Medizin, Endokrinologie) umfasste. • Viele Internisten verstanden sich von daher als „Generalisten“, denen eine ganzheitliche Wahrnehmung des somatisch Kranken wichtig war. • Ludolf von Krehl (1932) postulierte: „Es gibt keine Krankheit per se, wir kennen nur kranke Menschen.“ Hiermit wird die Bedeutung von der Persönlichkeit sowie der Lebensumstände für die Entstehung und die Therapie somatisch Kranker hervorgehoben. Geschichtliche Entwicklung Viktor v. Weizsäcker (1886-1957) Geschichtliche Entwicklung Viktor v. Weizsäcker (1886-1957) • Philosoph, Neurologe und Internist • 1932 stellte er seine Ideen zum sog. Gestaltkreis vor, mit dem er die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung theoretisch zu erfassen suchte (publiziert 1940) • Mit seiner „Anthropologischen Medizin“ begründete er das Primat des Subjekts in der Medizin als gleichberechtigt dem objektiven, organmedizinischen Denken. • Hauptthese bildet der erste Satz des Gestaltkreises: „Um Lebendes zu erforschen, muss man sich am Leben beteiligen.“ Geschichtliche Entwicklung Viktor v. Weizsäcker (1886-1957) • Entwicklung einer „Tiefenpsychologischen Körperpsychotherapie“ mit funktioneller Entspannung • 1945: Ordinariat für allgemeine klinische Medizin an der Uni Heidelberg, aus der die psychosomatische Abteilung der heutigen Krehl-Klinik entstanden ist. • 1950: Eröffnung der ersten Klinik für Psychosomatik, deren Leitung später Mitscherlich übernahm. Geschichtliche Entwicklung Thure v. Uexküll (1908-2004) Geschichtliche Entwicklung Thure v. Uexküll (1908-2004) • Medizinstudium 1928-1934 • 1935 Tätigkeit an der Charité Berlin • 1948 Habilitation, Medizinische Poliklinik Uni-München • 1966 Lehrstuhl für Innere Medizin, „Reformuniversität“ • 1979 Erstausgabe seines Lehrbuchs „Psychosomatische Medizin“ Geschichtliche Entwicklung Thure v. Uexküll (1908-2004) • Sein Credo: Überwindung des Maschinenmodells für den Körper durch eine ganzheitliche Sichtweise und Medizin. Überwindung der Aufspaltung des heutigen Gesundheitswesens in eine somatische und psychologische Medizin (Uexküll 2011, S. 6) • „Die Medizin verliert einen beharrlichen Anwalt der Sache des Individuums, das auf seine ganz eigene Art die Welt und sich selbst versteht. Er beklagte das Verschwinden des Menschen aus der Medizin, die sich einem „Körper ohne Seele“ widmet.“ (Langewitz 2004) (7. Aufl. 2011) • Begründung einer ganzheitlichen, psychosomatischen Medizin auf seiner Ulmer Modellstation Geschichtliche Entwicklung Pioniere der psychoanalytischen Psychosomatik Geschichtliche Entwicklung Sigmund Freud (1856-1939) Geschichtliche Entwicklung Sigmund Freud (1856-1939) Geschichtliche Entwicklung Sigmund Freud (1856-1939) • Begründung einer psychodynamischen Konversionstheorie - Krankheit als Symptom eines unbewussten Konflikts - Verschiebung der Bedeutung von realen Traumatisierungen hin zu innerseelischen, bewussten und unbewussten Verarbeitungsmöglichkeiten • Betonung des eigenständigen aktiven Lösungsmodus von speziell aus frühen Entwicklungsabschnitten fortdauerndes Konflikten • Freud war durchaus skeptisch hinsichtlich der Idee einer generellen Übertragbarkeit seiner theoretischen Annahmen auf alle körperlichen Erkrankungen • In der frühen Psychoanalyse gab es jedoch sehr spekulative Konzepte einer allgemeinen unbewussten Krankheitslehre • Konversionsmechanismus: Umwandlung einer ödipalen Vorstellung mit sexuellen und aggressiven Triebwünschen in körperliche Symptome - Die Theorie zur Bioanalyse (Sandor Ferenczi), • Die körperliche Symptomatik ist ein Kompromiss zwischen dem unbewussten ödipalen Konflikt und dessen Abwehr durch Verdrängung und schafft einen primären Krankheitsgewinn - sowie einer universellen Konversion bei allen organischen Erkrankungen (Felix Deutsch) - zum vitalistischen Panpsychismus (Groddeck 1923) • Starke Assoziation mit der Idee der hysterischen Persönlichkeit Geschichtliche Entwicklung Helen Flanders Dunbar(1902-1959) Geschichtliche Entwicklung Helen Flanders Dunbar(1902-1959) • Hauptwerk: „Emotions and bodily changes“ (1935), führte die Ideen Meyers fort • Sie absolvierte in Europa eine psychoanalytische Ausbildung • Überzeugt davon, dass frühe biografische Erfahrungen die Persönlichkeitsstruktur prägen und damit auch psychophysiologische Reaktionsmuster • Sie untersuchte den Zusammenhang von emotionalen Reaktionsstilen (Persönlichkeitsprofilen) und somatischen Erkrankungen • Es konnten signifikante Zusammenhänge zwischen spezifischen Persönlichkeitsprofilen und z.B. Angina pectoris und Herzinfarkt gesichert werden. Geschichtliche Entwicklung Helen Flanders Dunbar(1902-1959) Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) • 1942: Begründung der „Society for Research in Psychosomatic Problems“ sowie Übernahme der Schriftleitung der „Psychosomatic Medicine“ (begründet 1939) • Ihr Ziel war es, eine empirische und experimentelle Psychophysiologie zu entwickeln • Psychosomatik sollte keine eigenständige medizinische Disziplin, sondern eine grundlegende Perspektive und Denkweise ganzheitlicher Medizin darstellen Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) Konzept der psychosomatischen Störungen („holy seven“) • Aufgewachsen in Budapest, Medizinstudium in Berlin • Asthma bronchale • Erster Ausbildungskandidat des Berliner Psychoanalytischen Instituts (Leitung: K. Abraham), dort Dozent und Lehranalytiker • Ulcus pepticum • 1930 verließ Alexander Berlin und wurde Prof. für Psychoanalyse an dem Chicagoer Institut für Psychoanalyse • Neurodermitis • Sein Hauptwerk „Psychosomatic medicine“ (1950) • Colitis ulcerosa / Morbus Crohn • Rheumatoide Arthritis • Hypertension • Hyperthyreose Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) • Verstand den Körper in einer strikten Dualität des physiologischen Organismus • Ging hierbei von der Unterscheidung in ein sympathisches und parasympathisches Nervensystems aus • Er postulierte die prinzipielle Hemmbarkeit von zwei grundlegenden Handlungstendenzen • Das somatische Symptom bedeutet für Alexander im Gegensatz zur Konversionsneurose nicht den Versuch „eine Emotion zum Ausdruck zu bringen, sondern die physiologische Reaktion der vegetativen Organe auf anhaltende und periodisch wiederkehrende emotionale Zustände.“ (Alexander 1951, S. 22-23) - Flucht und Angriff (sympathikoton) - Aufgabe und Rückzug (parasympathikoton) Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) • Zentral war seine Konfliktspezifitätshypothese: • Für Alexander ist das körperliche Symptom Ergebnis einer vom Über-Ich gesteuerten Blockade der psychischen Verarbeitung emotionaler Konflikte. • Gehemmte Emotionalität ist somit die Zentrale Ursache psychosomatischer Störungen. • Eine beständige physiologische Erregung als Affektkorrelat führt zur funktionellen Störung bzw. Organneurose mit struktureller Läsion in einem Organsystem. - Danach liegen den sieben psychosomatischen Störungen spezifische, typische Konfliktkonstellationen vor • Zwei zentrale theoretische Entwicklungsstränge - Beschränkung der psychosomatischen Perspektive auf lediglich 7 Erkrankungen - Einschränkung der therapeutischen Perspektive auf ausschließlich psychodynamische Erklärungen Geschichtliche Entwicklung Franz Alexander (1891-1964) Geschichtliche Entwicklung Alexander Mitscherlich (1908-1982) • Tatsächlich ließen sich Assoziationen von typischen Konflikten bei einzelnen psychosomatischen Störungen nachweisen (Weiner 1977) • Tatsächlich aber zeigten sich eher allgemeine Konfliktdimensionen (Kapfhammer 2011, S. 1280): - Konflikt von selbstbehaupteter Unabhängigkeit vs. infantiler Abhängigkeit - Unspezifische Themen aus der oralen und analen Entwicklung - Emotionale Bestrebungen zwischen progressiver und regressiver Ausrichtung - Häufige Schuld- und Schamaffekte mit damit verbundenen Über-Ich und Selbstwertproblemen Geschichtliche Entwicklung Alexander Mitscherlich (1908-1982) Geschichtliche Entwicklung Alexander Mitscherlich (1908-1982) • Arzt und Psychoanalytiker • Bedeutsamer Vertreter einer psychoanalytisch orientierten Psychosomatik bzw. Medizin • 1947: Herausgeber der Zeitschrift „Psyche“ • 1949: Begründung der Abteilung Psychosomatische Medizin an der Universität Heidelberg • 1960 – 1967 Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/ Main • Mitscherlich löste die Psychosomatik weitgehend aus der somatischen Medizin und befasste sich in erster Linie mit psychischen Störungen • Psychosomatische Erkrankungen konnten seiner Auffassung nach nur psychodynamisch bzw. psychoanalytisch verstanden werden • Er prägte mindestens eine Generation von sich ausschließlich analytisch verstehenden Psychosomatikern • Durch seinen Einfluss kam es zur Einrichtung psychosomatischer Lehrstühle an deutschen Universitätskliniken, die sein Konzept vertraten Geschichtliche Entwicklung Alexander Mitscherlich (1908-1982) • Modelltheorie der zweiphasigen Verdrängung als Grundlage chronifizierter psychosomatischer Störungen mit folgenden Merkmalen: - Vorausgehende grobe neurotische Fehlhaltung - Somatisierung der Affekte - In der Auslösesituation realer oder phantasierter Objektverlust - Grundstimmung von Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit • Mitscherlich verstand seinen Ansatz als auf alle somatischen Erkrankungen bezogen („Krankheit als Konflikt“, 1966) Geschichtliche Entwicklung Alexander Mitscherlich (1908-1982) • Für ihn war seine Psychosomatik ein emanzipatorischer, auf die Aufdeckung unbewusster Konflikte zielender Ansatz • Als Ausdruck seines emanzipatorisch-gesellschaftskritischen Ansatzes publizierte er einige wichtige sozial- und gesellschaftskritische Arbeiten: - „Medizin ohne Menschlichkeit“ (1960) - „Auf dem Weg zur Vaterlosen Gesellschaft“ (1963) - „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ (1965) Geschichtliche Entwicklung Geschichtliche Entwicklung Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) • Studium der Physiologie u. Medizin • Forschungsaufenthalte bei den deutschen Physiologen Ludwig u. Heidenhain 1877, 1884, 1886 • Kenntnis der Werke von Freud, Kraepelin u. Kretschmer • 1895 Lehrstuhl der Physiologie an der Universität Petersburg • 1904 Nobelpreis f. Medizin • Zahlreiche Auslandsreisen (z. B. USA 1926, 1929) Pioniere der Verhaltensmedizin Geschichtliche Entwicklung Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) Klassische Konditionierung • Erstmaliger Nachweis der Lernbarkeit körperlicher Vorgänge (1903) - Hunde reagierten beim Anblick von Futter oder Geruch mit Speichelfluss (autonomer Reflex) - Bei Kombination mit einem neutralen Stimulus in enger zeitlicher Kontingenz mit dem Futterreiz löst dieser nach einer Reihe von Wiederholungen als diskriminativer Reiz allein die physiologische Reaktion aus (bedingter Reflex) Geschichtliche Entwicklung Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) Klassische Konditionierung • Auf der Grundlage jahrzehntelanger Forschung bei Hunden Feststellung der unterschiedlichen individuellen Konditionierbarkeit • Grundlegung einer Typologie des Nervensystems: - Erregter-, gehemmter und zentraler Typ • Anwendung des Konditionierungsparadigmas auf psychische Störungen in den 20er- u. 30er-Jahren des 20. Jh. - „Experimentelle Neurosen“ bei Hunden - Versuch der Erklärung von Hypnose und psychotischen Störungen als Ergebnis klassischer Konditionierung Blick vom Platz des Experimentators durch die geöffnete Tür in den Versuchsraum (aus Pawlow SW IV, 373) Bildquelle: Zeier 1984 Bd. 1, S. 32 Klassische Konditionierung Erstbeschreibung des Erwerbs der psychophysischen Furchtreaktion (Phobie) bei Kleinkindern Klassische Konditionierung Erstbeschreibung des Erwerbs der psychophysischen Furchtreaktion (Phobie) bei Kleinkindern • • Konditionierung eines 14-Monate alten Babys durch den Pawlow-Schüler Krasnogorski (1907) • US-amerikanische Studie durch die Psychologin F. E. Mateer (1918) an „mentally deficient“ (geistig behinderten) und „normalen“ Kindern unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Intelligenz - Methodisch fundierte Studie unter Beachtung ethischer Gesichtspunkte wie der sog. Rekonditionierung Das Watson-Experiment à Erwerb phobischer Reaktionen bei einem 9-Monate alten Kleinkind (Watson u. Rayner 1920) John Broadus Watson (1878 – 1958) Boerner RJ (2014) Watsons „Behavioristisches Manifest“ von 1913. Die Entwicklung des Behaviorismus in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts. In: Karenberg A, Kumbier E (Hrsg.) Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde, Band 20. Königshausen & Neumann, Würzburg, S. 191 -216. Klassische Konditionierung Erstbeschreibung des Erwerbs der psychophysischen Furchtreaktion (Phobie) bei Kleinkindern Das Experiment „Little Albert“ (1920) (Watson u. Rayner 1920) - Das vermeintlich körperlich wie seelisch gesunde Kleinkind erlernte auf furchterregende Reize (Glockenschlag, Schlange) Furchtreaktionen - Von Watson als alternative Erklärung zu Freuds Darstellung einer kindlichen Phobie („Kleiner Hans“ Freud 1907) positioniert - Das am häufigsten zitierte psychologische Experiment überhaupt erwies sich jedoch als methodisch und ethisch fragwürdig (Boerner 2014) - In den USA erfuhr das Experiment jedoch eine unkritische Popularität, insbesondere zur Begründung einer verhaltensorientierten Psychotherapie Watson mit dem „kleinen Albert“ (Bildquelle: Artikelmagazin.de) Boerner RJ (2014) Watsons „Behavioristisches Manifest“ von 1913. Die Entwicklung des Behaviorismus in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts. In: Karenberg A, Kumbier E (Hrsg.) Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde, Band 20. Königshausen & Neumann, Würzburg, S. 191 -216. Geschichtliche Entwicklung Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) Operante Konditionierung (Lernen am Erfolg) Experimentelle Anordnung der „Skinnerbox“ Operante Konditionierung (Lernen am Erfolg) • Leitidee à Verhalten wird über die erlebten Konsequenzen erworben (erlernt) (sog. S-R-Ansatz) • Tierexperimenteller Forschungsansatz (s. Abb.) nach Zeier (1984), 183 Geschichtliche Entwicklung Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) Operante Konditionierung (Lernen am Erfolg) Geschichtliche Entwicklung Burrhus Frederic Skinner (1904-1990) Operante Konditionierung (Lernen am Erfolg) • Skinner führte seine Experimente ausschließlich mit Tieren durch • Die Übertragbarkeit auf Menschen wurde in mehrfacher Hinsicht bestätigt • Gesetz der operanten Konditionierung: • Pädagogik (Entwicklung systematischer Lernprogramme) - Unmittelbar an Verhaltensweisen anschließende belohnende Konsequenzen führen zu einer erhöhten Auftrittswahrscheinlichkeit dieser Verhaltensweisen - Unmittelbar an Verhaltensweisen anschließende negative Konsequenzen führen zu einer verringerten Auftrittswahrscheinlichkeit bis Löschung dieser Verhaltensweisen • Klinische Psychologie (Psychische Störungen als Fehlverhalten) • Gesundheits- u. Krankheitsverhalten als Ergebnis systematischer Lernprozesse (Patientenrolle, Symptomverstärkung, sekundärer Krankheitsgewinn) Geschichtliche Entwicklung Albert Bandura (geb. 1925) Modelllernen Geschichtliche Entwicklung Albert Bandura (geb. 1925) Modelllernen • Entdeckung des Prinzips des Imitationslernens (Lernen am Modell) (Bandura 1960): - Sog. Bobo-Doll-Experiment: Kinder imitieren das aggressive Verhalten von „Modellkindern“ in einer experimentellen Situation - Menschen kopieren das Verhalten des gezeigten Modells (Verhalten eines anderen Menschen), wenn dieses bestimmte Eigenschaften aufweist: Attraktivität, Erfolg, Sympathie. - Praktisches Beispiel in der Psychosomatik: Erwachsene imitieren das Krankheitsverhalten ihrer Eltern, sofern dies erfolgreich war (z. B. Symptomschilderung bzw. Klagen führt zu Zuwendung) Geschichtliche Entwicklung Gruppenübung Pioniere der psychosomatischen Stresstheorie Definieren Sie Stress Geschichtliche Entwicklung Walter Cannon (1871-1945) Stress als Reflex Geschichtliche Entwicklung Walter Cannon (1871-1945) Stress als Reflex • Erster Wissenschaftler, der das Stressphänomen (Cannon 1915; 1939) beschrieb • Das Stammhirn reagiert reflexartig auf alles überraschend Neues • Zwei Verhaltensalternativen: Fliehen oder Kämpfen • Die Reflexantwort erfolgt aufgrund der Gefährlichkeit der Situation • Durch den Stressor werden alle notwendigen Organe in eine „Alarmbereitschaft“ gesetzt • Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin sowie die Aktivierung des Sympathikus à Durchblutungserhöhung, Konstriktion der peripheren Gefäße, vermehrte Herzaktivität, sowie Durchblutung von Muskeln Geschichtliche Entwicklung Hans Seyle (1907-1982) Medizinische Stresstheorie Geschichtliche Entwicklung Hans Seyle (1907-1982) Medizinische Stresstheorie • Der aus Ungarn stammende Mediziner entwickelte das Stresskonzept Cannons weiter - Beobachtung im zweiten Jahr seines Medizinstudiums (1926) • Experimentelle Ableitung der allgemeinen Stresstheorie (1926; 1936; 1953; 1957) • Entdeckung stereotyper somatischen Stressreaktionen auf belastende Aufgaben - Patienten mit höchst unterschiedlichen Krankheiten zeigen viele einheitliche Symptome Stresstheorie nach H. Seyle • Beschreibung des Allgemeinen Anpassungs- und Adapationssyndroms • Beschreibung von drei Phasen: - Alarmreaktion (Sympathicus, Katecholamine, Adrenalin) - Widerstandsphase (Parasympathicus-Aktivierung, hohe Cortisol-Ausschüttung) - Erschöpfungsphase (Adaptive Kapazität geht verloren, Energiebereitstellungsprobleme, Cushing-Syndrom, Langzeitfolgen: Hypertonie, Herz-, Nieren- u. Entzündungserkrankungen) Geschichtliche Entwicklung Richard Lazarus (1922-2002) Psychologische Stresstheorie Psychologische Stresstheorie nach R. Lazarus Psychologische Stresstheorie nach R. Lazarus • Lazarus differenziert drei Stufen der Bewertung (Appraisal) • Transaktionales Stressmodell (Lazarus 1974) • Stress als komplizierte Wechselwirkung zwischen Anforderungen der Situation und der handelnden Person (emotional-kognitive-Bewertung) • Im Gegensatz zu Selyes Stresstheorie ist nicht der objektive Reiz oder Situation für eine Stressreaktion relevant, sondern die subjektive Bewertung • Primäre Bewertung: - Zunächst Situationseinschätzung (positiv, irrelevant oder gefährlich) - Anschließend Bewertung als Herausforderung, Bedrohung oder Schädigung • Sekundäre Bewertung (Coping): - Einschätzung, ob die Situation mit den vorhandenen Ressource bewältigt werden kann (Abhängig von Situation, Persönlichkeitseigenschaften und kognitiven Strukturen) - Aggression oder Flucht, Änderung der Bedingungen oder Verleugnung Psychologische Stresstheorie nach R. Lazarus Beispiele biologischer Grundlagen Die neurobiologische Stressachse (nach Ladd et al. 2000) • Lazarus differenziert drei Arten des Copings: - Problemorientiertes Coping (Informationssuche, Aktivitäten oder Unterlassung von Handlungen) - Emotionsorientiertes Coping (Abbau emotionaler Erregung) - Bewertungsorientiertes Coping (Neubewertung = reappraisal) (Heim u. Meinschmidt 2003) Die neurobiologische Stressachse Die neurobiologische Stressachse • Erhöhte Cortisolspiegel • Die körperlichen Reaktionen auf Stressoren (Lärm, Hektik, Überbelastung) werden über die HPA-Achse vermittelt (Kapfhammer 2011) • Erhöhtes CRF à Verstärktes Risiko für Depressionen (Risikofaktor für KHK) • Über die Ausschüttung erster Stresshormone im Gehirn (CRF, ACTH) kommt es in der Nebenniere zur Synthese des Stresshormons Cortisol - Erhöhtes Risikoprofil für Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Blutzuckeranstieg (Diabetes mellitus) - Vermehrte Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin à Erhöhung von Blutdruck und Herzfrequenz • Chronisches Stresssyndrom à Risiko verstärkte Blutgerinnung und Thrombenbildung (für KHK wichtig) • Verringerte Synthese von Serotonin à Erhöhtes Risiko für Verschlüsse der Herzkranzgefäße wie auch von Depressionen • Veränderung der Synthese mehrfach ungesättigter Fettsäuren (Omega-3-Fraktion), die ansonsten das Risiko für Herzstillstand und –tod reduziert Die neurobiologische Stressachse Risikofaktoren • Erhöhung des CRF à Depressionen / Risikofaktor für die KHK • Ausdauertraining senkt die Sterblichkeit bei Herz- Kreislauferkrankungen um bis zu 30% und beeinflusst darüber hinaus zahlreiche KHK-Risikofaktoren günstig (Jolliffe et al. 2001) Geschichtliche Entwicklung Das biopsychosoziale Modell von Engel Geschichtliche Entwicklung • 1934- 1938 Studium der Medizin an der Johns-HopkinsUniversity/Baltimore • Geprägt durch den Psychiater Adolf Meyer • 1946 Gründung des Instituts f. Psychiatrie in Rochester/New York • Führender Psychosomatiker in den USA George L. Engel (1913 – 1999) US-amerikanischer Psychiater u. Psychoanalytiker Geschichtliche Entwicklung George L. Engel • Überwindung des Leib-Seele-Dualismus durch Integration der verschiedenen Ebenen • Entwicklung eines biopsychosozialen Entwicklungsmodells für die Psychosomatik (systemtheoretisches Modell) (Engel 1977; 1997; Novack et al. 2007) • Hierarchisches Modell von aufeinander aufbauenden Systemebenen (Biologie, personale Ebene, soziale Ebene) • Jede Stufe des Systems schließt alle anderen ein, ist aber durch die vorangegangenen nicht ausschließlich erklärbar. Geschichtliche Entwicklung George L. Engel • Die personale Ebene mit ihren psychologischen Merkmalen wird maßgeblich von der Neuro- und Molekularbiologischen Ebene bestimmt, ist aber durch diese nicht voll erklärbar. • Die verschiedenen Prozesse laufen parallel auf den verschiedenen Systemebenen ab, aus der zeitlichen Kontingenz ist nicht notwendigerweise eine kausale Relation abzuleiten. • Das Modell erlaubt keine Aussagen darüber, ob und wenn ja, in welchem Umfang Störungen auf der einen Ebene von Störungen auf anderen Ebenen begleitet oder gefolgt werden. Biopsychosoziales Modell (Engel 1977; 1997; mod. nach Nowak et al. 2007) Gruppenübung • Nennen Sie Persönlichkeiten aus Psychiatrie, Medizin und Psychoanalyse, die für einen ganzheitlichen Ansatz der Psychosomatik eingetreten sind? Definition von Psychosomatik im Überblick Definition von Psychosomatik Gruppenübung Etablierung des Fachs Psychosomatik in der Medizin (in Deutschland) • Was verstehen Sie unter Psychosomatik? • 1950: Begründung der ersten Psychosomatischen Universitätsklinik in Heidelberg (Leitung: Prof. Mitscherlich) • 1970: Einführung der Fächer Psychosomatische Medizin, Medizinische Psychologie und Medizinische Psychologie in die Approbationsordnung für Ärzte • 1992: Einführung des Facharztes Psychosomatische Medizin • 2007: Einführung des Facharztes Psychiatrie und Psychosomatische Medizin (in Österreich) Psychosomatische Medizin Systemisch-integrative Position „Psychosomatische Medizin stellt eine ärztliche Perspektive dar, die systematisch biologische, psychologische und soziale Einflussfaktoren auf die Entstehung, die Auslösung und den Verlauf von körperlichen Erkrankungen und funktionellen Körpersyndromen untersucht und behandelt.“ (Kapfhammer 2011, S. 1273) Psychosomatische Medizin Psychodynamisch-psychoanalytische Position „Psychosomatische Medizin ist die Lehre von den körperlichseelisch-sozialen Wechselwirkungen in der Entstehung, im Verlauf und in der Behandlung von menschlichen Krankheiten. Sie muss ihrem Wesen nach als eine personenzentrierte Medizin verstanden werden.“ (Hoffmann et al. 2009, S. 9) Psychosomatische Medizin Systemisch-integrative Position „Gesundheit und Krankheit müssen als ein komplexes, vielfach verwobenes Gefüge verstanden werden, in dem biologische, psychologische und soziale Elemente von Gesundheit und Krankheit als gleichwertige Bedingungen der menschlichen Existenz zu begreifen sind.“ (Wissenschaftsrat 1992) Psychosomatische Medizin Psychodynamisch-psychoanalytische Position „Psychosomatik ist bemüht, die bewussten und unbewussten Bedeutungen von Lebensereignissen und intrapsychischen Prozessen für das psychische und somatische Gleichgewicht zu verstehen.“ (Rudolf 2008, S. 13) Psychosomatische Medizin Verhaltensmedizin „Im Kontext einer biopsychosozialen Sichtweise von Gesundheit und Krankheit ist die Verhaltensmedizin das interdisziplinäre Arbeitsfeld, in dem Gesundheits- und Krankheitsmechanismen unter Berücksichtigung psychosozialer, verhaltensbezogener und biomedizinischer Wissenschaften erforscht werden und die empirisch geprüften Erkenntnisse und Methoden in der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation eingesetzt werden.“ (Ehlert 2003, S. 4) Psychosomatische Medizin Verhaltensmedizin (Ehlert 2003) Gemäß einer engen Definition im Kontext von Verhaltenstherapie und Verhaltensmodifikation umfasst die Verhaltensmedizin: • die klinische Anwendung von Techniken, die aus der experimentellen Analyse von Verhalten abgeleitet und zur Evaluation, Prävention und Behandlung körperlicher Erkrankungen oder physiologischer Funktionsstörungen eingesetzt werden • die empirische Erforschung der Zusammenhänge zwischen Verhalten, somatischen Erkrankungen und Problemen der Gesundheitsversorgung Psychosomatische Medizin Verhaltensmedizin (Ehlert 2003) Im Kontext einer biopsychosozialen Sichtweise von Gesundheit und Krankheit ist die Verhaltensmedizin das interdisziplinäre Arbeitsfeld, in dem: • Gesundheits- und Krankheitsmechanismen unter Berücksichtigung psychosozialer, verhaltensbezogener und biomedizinischer Wissenschaften erforscht werden • die empirisch geprüften Erkenntnisse und Methoden in der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation eingesetzt werden Beispiele biologischer Grundlagen Beispiele biologischer Grundlagen Die wichtigsten Hirngebiete Beipsiele biologischer Grundlagen Die wichtigsten Neurotransmitter und -familien (nach Kosslyn u. Rosenberg 2001) (nach Rosenzweig et al. 2001) (Heim & Meinschmidt, 2003) (Heim u. Meinschmidt 2003) Psychosomatische Medizin Psychodynamisch-psychoanalytische Position „Psychosomatik ist bemüht, die bewussten und unbewussten Bedeutungen von Lebensereignissen und intrapsychischen Prozessen für das psychische und somatische Gleichgewicht zu verstehen“ (Rudolf 2008, S. 13) Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Gerd Rudolf (geb. 1939) Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Beschreibung der vier Grundkonflikte (Rudolf 2008) • Aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse wie klinischer Erfahrungen ordnet Rudolf spätere psychosomatische Erkrankungen spezifischen altersabhängigen Konfliktsituationen zu • Im Sinne seines psychoanalytisch/psychodynamischen Konzepts ist die Herausarbeitung und Lösung dieses Grundkonflikts entscheidende Voraussetzung für die Symptombesserung Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Frühe Konflikte (Rudolf 2008) Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Beschreibung der vier Grundkonflikte (Rudolf 2008) • Frühe Grundkonflikte (erste 6. Lebensmonate) • Depressiver Grundkonflikt (ab dem 6. Lebensmonat) • Grundkonflikt der Autonomie (1.-2. Lebensjahr) • Grundkonflikt der Identität (ab dem 2. Lebensjahr) Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Frühe Konflikte (Rudolf 2008) • Enge Verknüpfung mit somatoformen Störungen • Das Körpererleben ist nicht integriert in das Gesamterleben • Auf der Basis gestörter früher Objektbeziehungen entwickelt sich das Körperselbst nicht in den üblichen Schritten • Das Körpergeschehen hat keine zum ICH dazugehörige emotionale Bedeutung sondern ist von heftigen schwer verstehbaren und fassbaren Affekten begleitet • Das Kind lernt daher nicht, über die gestörte Beziehung zur Mutter seinen eigenen Körper und seine eigenen Emotionen kennen und differenzieren • Der Körper wird rein objekthaft erlebt, wodurch das SELBST bedroht wird • Der Zugang zur eigenen Emotionalität und eigenen Körperlichkeit ist eingeschränkt • Die Möglichkeit von Verständigung, Austausch und Bezogenheit wird angezweifelt • Die Unlusterfahrung wird weniger psychisch als vielmehr körperlich repräsentiert • Die bedrohliche Körpererfahrung wird durch forcierte kognitive Bemühungen bewältigt • Zugleich sucht das bedrohte SELBST mächtige Helfer (Ärzte), die ihm eine organische Erklärung und Therapie vermitteln können Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Depressiver Grundkonflikt (Rudolf 2008) • Enge Verknüpfung mit Schmerzzuständen • Zentrale Angst vor Verlust des Sicherheit gebenden Objekts Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Grundkonflikt der Autonomie (Rudolf 2008) • Enge Verknüpfung mit angstbezogenen Körperbeschwerden, z.B. somatoformen autonomen Funktionsstörungen, Hypochondrien, Essstörungen • Intrapsychisch frühe Möglichkeit zu klagen und zu fordern à emotionale Daueranspannung à Verarbeitungsmodus des Durchhaltens und des forcierten altruistischen Angebots à Selbstverleugnung/ Selbstüberforderung à psychische und somatische Erschöpfung (Selbstausbeutung) • Kampf um die Selbstständigkeit der eigenen Person, Angst, einen Verselbstständigungsschritt zu gehen, bzw. das Sicherheit gebende Objekt hierdurch aufzugeben • Sympathikotone und muskuläre Daueranspannung führt zu chronifiziertem Schmerzgeschehen à autoaggressive Dynamik à überflüssige Operationen, schmerzhafte medizinische Interventionen à chronisch-destruktiver Verlauf • Die Angst wird körpernah erfahren: Angst vor Herztod, Ersticken, umzufallen, keine Luft zu bekommen etc. Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Grundkonflikt der Autonomie (Rudolf 2008) • Charakteristisch sind widerstreitende Affekte wie Angst und Wut • Auch eine Entkoppelung von Angst und Körperbeschwerden und Fehlfunktionen ist möglich: „Im Darm bewegt sich etwas, die Gallenblase krampft sich zusammen.“ Grundlagen psychodynamischer Psychosomatik Grundkonflikt der Identität (Rudolf 2008) • Enge Verknüpfung mit Konversionssymptomen: • Diese Vorgänge führen zu körperbezogenen Ängsten und hypochondrischen Krankheitsüberzeugungen • Ausgeprägte Autonomieproblematik (Kontrolle behalten, Kontrolle abgeben) als Hauptthema der Psychotherapie • Häufig Chronifizierung mit zirculärer Selbstverstärkung - Störungsbilder, die neurologisch anmuten, ohne organisch erklärt zu werden, z.B. Lähmungserscheinungen in Gliedmaßen, Gang-, Schluck-, Blasenentleerungsstörungen, Blindheit, Dämmerzustände, phobischer Attackenschwindel • Im Symptom ist „etwas untergebracht“ (Affekt, Begierde, ein Handlungsentwurf, eine Vorstellung) - Elemente der eigenen Identität sind herausgebrochen, werden nach außen gezeigt • Psychotherapie besteht darin, dem psychosexuellen Kern der Identität zu bestätigen, widersprüchliche Affekte zu integrieren (Ambivalenzfähigkeit), eine „Klarifizierung von Affekten“ zu erreichen. Alexithymie (Nemiah u. Sifneos 1970) Frühe Konflikte und ihre strukturellen Folgen: Der Ausfall der emotionalen Bedeutungsfunktion Alexithymie (Nemiah u. Sifneos 1970) Frühe Konflikte und ihre strukturellen Folgen: Der Ausfall der emotionalen Bedeutungsfunktion Schwierigkeiten: Schwierigkeiten: • eigene Gefühle zu identifizieren und zu differenzieren • zwischen Gefühlen und Körpersensationen zu unterscheiden • positive Emotionen zu erleben (Anhedonie) • Traurigkeit anders als Leere, Überdruss, Schmerz wahrzunehmen • Angst anders als Spannung, Unruhe wahrzunehmen • sich in die Gefühle anderer empathisch einzufühlen • Zugang zu Fantasien, Träumen, Idealitäten und Zukunftsentwürfen zu finden • sich in Übergangswelten zu begeben und mit Übergangsobjekten zu beschäftigen • Die Notwendigkeit, innere Leere durch Handlung auszufüllen • Die Notwendigkeit, sich in hohem Maße sozial konform zu verhalten • Die Notwendigkeit, Sprache möglichst konkret und handlungsnah einzusetzen Alexithymie (Nemiah u. Sifneos 1970) • Nichtdifferenzierung zwischen Affekt und körperlichem Korrelat • Mangelnde Verbalisierung des affektiven Erlebens • Eingeschränkte Symbolisierung und reduziertes Phantasieerleben • Operativer Denkstil und konkretistischer Realitätsbezug Grundlagen der Verhaltensmedizin Verhaltensmedizin Allgemeine Definition • Verhaltensmedizin stellt die Anwendung der Verhaltenstheorie/Verhaltenstherapie auf medizinische Fragestellungen dar. Verhaltensmedizin (Ehlert 2003) • Die Verhaltensmedizin umfasst die klinische Anwendung von Techniken, die aus der experimentellen Analyse von Verhalten abgeleitet und zur Evaluation, Prävention und Behandlung körperlicher Erkrankungen oder physiologischer Funktionsstörungen eingesetzt werden • die empirische Erforschung der Zusammenhänge zwischen Verhalten, somatischen Erkrankungen und Problemen der Gesundheitsversorgung Die Verhaltensmedizin u. beteiligte Disziplinen und Unterdisziplinen Definition der Verhaltensmedizin 1 (Leupoldt u. Ritz 2008) • VT basiert auf psychologischen Theorien (Lernen, Gedächtnis, Emotionen, Verhalten) • VT versteht sich als systematische, zielgerichtete Veränderung von Verhalten, Emotionen und Kognitionen auf der Grundlage empirischen Wissens bzw. psychologischer Gesetzmäßigkeiten • Theoretische Grundlage bildet das Wissen aus den psychologischen Fachdisziplinen sowie anderen Fachgebieten - Lerngesetze - Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung über die Entstehungsmechanismen normalen und pathologischen Verhaltens Definition der Verhaltensmedizin 2 Verhaltensmedizin Verhaltensanalyse • Fokus der VT ist nicht nur die Veränderung von Verhalten, sondern beinhaltet eine ganzheitliche Sichtweise sowie Störungsperspektive für den Klienten/Patienten • Umfassende, detaillierte Exploration des Patienten und seiner psychischen Problematik im Sinne des biopsychosozialen Modells • Ausgangspunkt der Therapie stellt die umfassende Verhaltensanalyse dar, einschließlich der biographischen Anamnese sowie der biologischen Faktoren • Erarbeitung eines S – O – R – C – K – Modells zur Hypothesenbildung krankheitsentstehender und aufrechterhaltender Faktoren • Zielparameter ist ein operationales Verhaltensmodell, das eine Überprüfung des Therapieprozesses und eine gezielte Evaluation ermöglicht - S= Situations- und Ausgangsvariable • Therapie wird als kontinuierlicher Prozess von Diagnose und Therapie mit der Festlegung von mit dem Patienten vereinbarten Therapiezielen verstanden - R= Reaktion • Dem Patienten kommt eine aktive Rolle sowohl bei der Therapiezielbestimmung sowie im Therapieprozess zu - K= Konsequenz - O= Organismusvariable - C= Kontingenz Abgrenzung der Verhaltensmedizin zur (psychodynamischen) Psychosomatik (Ehlert 2008) • Die psychosomatische Medizin ist im deutschsprachigen Raum stark an psychoanalytischen Konzepten orientiert • Demgegenüber leitet sich die Verhaltensmedizin aus der Lerntheorie und der empirischen Psychologie ab • Bedeutend längere Tradition der psychosomatischen Medizin und daraus resultierende stärkere Etablierung in der Medizin • Geringerer Stellenwert präventionsorientierter Fragestellungen in der psychosomatischen Medizin • Explizitere Orientierung der Verhaltensmedizin an naturwissenschaftlichen Methoden • Stärkeres multidisziplinären Selbstverständnis der Verhaltensmedizin Klinische Anwendungsbeispiele Verhaltensmedizin Beispiele für verhaltensmedizinische Interventionen Verhaltensmedizin Patientenbeispiel (Engel 1980; Leupoldt u. Ritz 2008) (Ehlert 2003) • Patient mit akutem Verschluss der Koronararterien • Umfassende organmedizinische Abklärung • Typische Persönlichkeitseigenschaften/Bewältigungsmechanismen des Patienten (Bedürfnis nach Kontrolle, Erleben der Krankheit als Schwäche) • Behinderung einer früheren Untersuchung z.B. durch unbeachtete Gefühle der Ohnmacht während einer misslungenen arteriellen Punktierung im Krankenhaus à auf niedrigerer Ebene Mobilisierung des sympathischen Nervensystems à Instabilität des kardialen Systems • Berücksichtigung sozialer Einflussfaktoren (stabilisierende Rolle von Ehepartnern; Beachtung der Gesundheit, Ressourcenstärkung) Verhaltensmedizin Gesundheitsängste: Ätiologische Faktoren Verhaltensmedizin Gesundheitsängste: Therapie (Hautzinger 2008; Boerner 2011) (Hautzinger 2008; Boerner 2011) • Ängstlichkeit als emotionaler Ausdruck zwischen gesunder Befürchtung und pathologischer Überängstlichkeit • Erhöhte vegetative Irritabilität, erhöhtes Arousal (Temperament), zerebrale Hirnschädigung (Alkohol) • Aktivierung kognitiver Schemata (z.B. körperliche Symptome stellen eine Gefahr dar) • Differenzierung von „Repressor/Blunter“ und „Sensitizer/Monitors“: Risiken verleugnend oder beachtend (Rief 2005) • Problemlösekompetenz vorhanden oder nicht vorhanden à Sorgenverhalten à negative Verstärkung von Angst à Aktivierung der Stressachse à Arousalsteigerung à Angstverstärkung • Entspannungsverfahren, Biofeedback, körperbezogene Therapieformen à Arousalreduktion • Förderung ressourcenschonender und salutogenetischer Lebensführung (körperlicher Ausgleich, ausreichender Schlaf, Vermeidung von Stressoren, Vermeidung übermäßiger Genussmittel) • Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen à Sorgenexposition à Selbstkontrolle zur Bewältigung katastrophisierender Kognitionen Verhaltensmedizinische Therapie „Stress-Impfungstraining“ Verhaltensmedizinische Therapie „Stress-Impfungstraining“ (Meichenbaum 1985/2012; Kaluza 2004) (Meichenbaum 1985/2012; Kaluza 2004) • Phase 1 („Informationsphase“) • Empirisch geprüftes, strukturiertes verhaltenstherapeutisches Verfahren • Basiert auf lern- und kognitiven Theorien • Ziel: Stresserkennung und –bewältigung • Einsetzbar als Therapiebaustein bei einer Vielzahl psychosomatischer und psychischer Störungen - Erörterung der Bedeutung psychologischer Faktoren für die Krankheitsentstehung und den Verlauf - Erarbeitung der Bedeutung eigener Gedanken und Bewertungen für die Stressbewältigung - Individuelle Problemanalyse mit der Herausarbeitung konkreter stressinduzierender Gedanken • Phase 2 („Übungsphase“) - Erlernen von Entspannungsverfahren sowie Techniken der Atemkontrolle - Rollenspiele - Erlernen der Gedankenstopp-Technik - Individuelle Erarbeitung einer konstruktiven Stressbewältigungssituation mit dem Ziel „Lernen am Erfolg“ • Phase 3 („Anwendungsphase“) - Stufenweise Konfrontation des Patienten mit den für ihn relevanten Stresssituationen mit anschließender therapeutischer Diskussion und Anleitung Allgemeine psychosomatische Perspektive Der psychosoziale Standpunkt (Kapfhammer 2011) Schulenübergreifendes Vorgehen Strategien zur Verbesserung der Compliance 1 Strategien zur Verbesserung der Compliance 2 (nach Petermann u. Mühling 1998) (nach Petermann u. Mühling 1998) • Patientenschulung zur Wissensvermittlung und Aufklärung über die Krankheit bzw. die Behandlung mit Diskussion und Vereinbarung der Therapieziele • Interozeptionstraining zur Wahrnehmungsverbesserung relevanter Körperprozesse, z.B. von Prodromalsymptomen oder indirekten Indikatoren für eine Erkrankung • Kognitive Therapietechniken zur Veränderung unangemessener Krankheitskonzepte, irrationaler Vorstellungen und zum Aufbau von Veränderungserwartung und Kontrollüberzeugung • Verhaltensmodifikation durch Einsatz von kontingenter Verstärkung und Erfolgsrückmeldung • Praktische Verhaltensübungen zum richtigen Umgang mit Medikamenten, Hilfsmitteln, Selbstbeobachtungsinstrumenten • Selbstkontrolltechniken wie z.B. Selbstbeobachtung mit Hilfe von Tagebüchern, Selbstinstruktionen, Stressimmunisierung • Gedächtnishilfen zur Erinnerung an Behandlungsschemata, Termine, Informationen • Monitoring im Sinne stärkerer Überwachung z.B.durch den Arzt (Ehlert 2003) • Einbeziehung des sozialen Netzwerkes, um die Behandlung des Patienten zu unterstützen (Ehlert 2003) Prägnante Coping-Muster (Rudolf 2008) Die Bedeutung körpertherapeutischer Ansätze (Leupoldt u. Ritz 2008) • Nicht wahrhaben wollen, Verleugnung • Isolierung von Gefühlen (Gleichgültigkeit, Neutralität) • ablenkende Aktivität, Übertönen • ablenkende soziale Kontakte • Grübeln, Schuld suchen, Schuld zuschreiben • Klagen, Passivität • sozialer Rückzug, vermehrter Gebrauch von Alkohol und Medikamenten • aktive Informationssuche, Problemanalyse • positive Fantasien über die verbleibenden Möglichkeiten • Suche nach sozialer Unterstützung, Suche nach emotionaler Entlastung • religiöse Sinngebung • Unabhängig von der psychoanalytisch bzw. psychodynamischen Grundorientierung sind Körpertherapien, wie etwa Bioenergetik (Lowen 1975) und Biodynamik (Boyesen u. Boyesen 1977) wirksam • Berücksichtigung fernöstlicher Praktiken („Achtsamkeit“) als Therapiebaustein der dritten Welle der Verhaltenstherapie • Biofeedback als traditionelles, wirksames Interventionsprinzip bei einer Vielzahl von psychosomatischen und psychischen Störungen • USA: 1988 Gründung des National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM) des National Institutes of Health