1 I. BERUFSFELD DES PSYCHOLOGEN – PSYCHOLOGENGESETZ PSYCHOLOGENGESETZ (1990): Î Trennung von Psychologie und Psychotherapie (das gibt es weltweit NUR in Österreich) • Psychotherapeut: ¾ nicht-akademische Ausbildung, von verschiedenen Vereinen geleistet ¾ Propädeutikum = Theorieausbildung; 12 Wochen-Praktikum; Erste-HilfeKurs ¾ praktischer Teil der Ausbildung kann nur bei den Vereinen abgelegt werden; Wahl einer bestimmten Therapierichtung (z.B. psychoanalytisches Arbeiten, Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie,...) • Psychologe: ¾ abgeschlossenes Studium als Voraussetzung für Berufsbezeichnung „Psychologe“ ¾ 2 Berufsfelder mit postgradueller Ausbildung = Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe dafür: - Theorieteil: (mind. 160 Stunden) o 10 Fächer (Grundlagen und Methoden der Gesundheitsvorsorge, Klinisch-Psychologische Diagnostik, Psychologische Interventionsstrategien und therapeutische Grundlagen, Rehabilitation, Psychologische Supervision, Gruppenarbeit, Psychiatrie, Psychopharmakologie, Psychopathologie und Psychosomatik, Gutachtenerstellung, Ethik, institutionelle, gesundheitsrechtliche und sonstige Rahmenbedingungen) o Ausbildung geregelt vom Psychologenbeirat am Gesundheitsministerium o Lehrgang angeboten von Uni, BÖP, Kritischen Psychologen, etc. - praktische Ausbildung: o 1480 Stunden in einer Einrichtung des Gesundheits- oder Sozialwesens (d.i. ca. 1 Arbeitsjahr; Liste mit entsprechenden Institutionen o Klinischer Psychologe zusätzlich 800 Stunden, Gesundheitspsychologe zusätzlich 150 Stunden in facheinschlägiger Einrichtung (muss von einem Psychologen geleitet werden und ein multiprofessionelles Team haben) o außerdem 120 Stunden Supervision 2 - Abschluss: o Bestätigungen über Erwerb der fachlichen Kompetenz o erfolgreiche abgelegte Prüfungen aus den Theorieteilen Ö Psychotherapeuten dürfen keine psychologischen GA erstellen (das darf nur ein Klinischer Psychologe) Ö Professionalisierung des Berufsstandes im Gange, d.h. alles gesetzlich geregelt (Schutz!) aber auch viel Bürokratie Ö Gesamtvertrag mit den Krankenkassen; wer Kassentherapeut werden will. muss 1 Jahr in einer Psychiatrie angestellt gewesen sein; Nachteil bei Kassenvertrag -> nicht immer gute Tests, falsche Testzeiten, usw. Berufsumschreibung „Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe“ (HO 21) Ausübung des psychologischen Berufes umfasst: 1. klinisch-psychologische Diagnostik hinsichtlich Leistungsfähigkeit; Persönlichkeitsmerkmalen, Verhaltensstörungen, psychischen Veränderungen und Leidenzuständen sowie sich darauf gründende Beratungen, Prognosen, Zeugnisse und GA. 2. Anwendung psychologischer Behandlungsmethoden zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation von Einzelpersonen und Gruppen oder die Beratung von juristischen Personen, Forschung und Lehrtätigkeit 3. Entwicklung gesundheitsfördernder Maßnahmen und Projekte 4. Ausübung freiberuflich oder im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses Berufspflichten der klinischen Psychologen und Gesundheitspsychologen: 1. Berufsausübung nach bestem Wissen und Gewissen, Beachtung der Entwicklung der Erkenntnisse der Wissenschaft, regelmäßiger Besuch inund ausländischer Fortbildungsveranstaltung 2. Berufsausübung persönlich und unmittelbar; können sich aber Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren genauen Anordnungen und unter ständiger Aufsicht handeln 3. Psychologische Tätigkeiten dürfen nur mit Zustimmung des Behandelten oder seines gesetzlichen Vertreters erfolgen 4. Pflicht zur genauen Information des Behandelten (oder seines gesetzlichen Vertreters) über Inhalt, Art, Umfang und Kosten der Behandlung 5. Darf nur jene psychologischen Behandlungsmethoden anwenden, für die er auch ausgebildet ist 3 6. Will Psychologe von Ausübung seiner Tätigkeit zurücktreten, muss er Behandelten rechtzeitig darüber informieren, damit dieser weitere psychologische Versorgung sicherstellen kann. 7. Pflicht zur Verschwiegenheit 8. Darf keine unsachlichen oder unwahren Informationen geben 9. Bei freiberuflicher Ausübung nur Angabe von Namen, akadem. Grad, Berufsbezeichnung, Adresse, Telefonnummer, Sprechstunden 10. Darf keine Vergütung für die Zuweisung von Patienten geben oder annehmen Psychologenliste: • • • • liegt beim BM für Gesundheit auf binnen 1 Monat muss dort Namensänderung, Dienstordänderung, Verzicht oder Einstellung der Berufsausübung bekanntgegeben werden (wenn sie länger als 3 Monate dauert), und zwar schriftlich Liste = öffentlich, d.h. jeder kann Einsicht nehmen Streichung aus Liste, wenn Beruf länger als 5 Jahre nicht ausgeübt wurde II. ZIEL DER DIAGNOSTIK = SEELISCHE GESUNDHEIT Ziel jeder psychologischen Diagnostik = seelische Gesundheit, die durch individuelle Intervention (wieder)hergestellt wird. Bestimmungsstücke nach Becker & Kaiser (HO 17): 1. Regulationskompetenz: - affektives Gleichgewicht herstellen (Freud) „Herr des seelischen Geschehens sein“ (Jaspers) Bewältigungsfähigkeit (Lazarus) 2. Selbstaktualisierung: - Bedürfnisse verwirklichen (Maslow) Identitätsgefühl erhalten (Mead, Goffman) Initiative (Erikson) 3. Sinnfindung: - Interesse für Aufgaben Wille zum Sinn (Frankl) Wertorientierung 4 ad 1) Regulationskompetenz: • = Emotionen in richtiger Weise handhaben können • Rhythmus -> muss erst an einem Modell gelernt werden, weil nicht angeboren. Erst ab 15./16. Lebensjahr eigene Rhythmen, z.B. SchlafWach-Rhythmus, Nahrung, Ausscheidung, Wechsel zwischen Spiel und Erholung • Affektives Gleichgewicht -> dafür emotionale Intelligenz erforderlich; man muss lernen: - • die Emotionen Arbeit verrichten zu lassen (als Signal, als angenehmes Gefühl, als Motivation, etc.); sich nicht von Emotionen tyrannisieren zulassen (z.B. negative Gedanken -> Gedankenstopp) Wut austragen bzw. einstecken können seelisches Gleichgewicht zu behalten, wenn von außen Schock kommt (z.B. sich entlasten, Urlaub nehmen,...) Herr des seelischen Geschehens sein (Jaspers): „Gefühle sind gute Diener aber schlechte Herrscher“ (z.B. Vater, der dauernd Tobsuchtsanfälle bekommt, ist ein schlechter Vater; z.B. hyperaktive oder sehr aggressive Kinder haben hier Probleme) • Bewältigungsfähigkeit (Lazarus „coping efficiency“): = Fähigkeit, Probleme vernünftig zu lösen (Erstellen einer Hypothese -> Überprüfung -> wenn es nicht so funktioniert, Hypothese ändern) Ö Regulationskompetenz beim Kind erst ab 6. Lebensjahr (vorher werden sie von ihren Gefühlen überwältigt); können jetzt Konflikte mittels Sprache anstatt physischer Kraftakte austragen (brauchen dazu aber spezifische Förderung!) Ö Regulationskompetenz = sehr wichtig bei Angstgefühlen: - Verdrängung der Angst -> man begibt sich in gefährliche Situationen, weil man Angst nicht kennt; Angst kann auch als Stimulus aufgefasst werden (z.B. Stuntmen) - Unterdrückung der Angst -> Angst wird nicht bearbeitet, Folge: Angst richtet sich gegen einen selbst oder schlägt in Aggression um - Angst wird kontraproduktiv, wenn sie länger dauert als sie als Angstsignal notwendig ist -> Angststörungen 5 ad 2) Selbstaktualisierung: • • • eigene Bedürfnisse verwirklichen (Maslow): - Voraussetzung = eigene Bedürfnisse zu erkennen - Möglichkeit finden, die eigenen Bedürfnisse (auch gegen andere, z.B. gegen eigene Familie) durchzusetzen, denn wenn man in lauter Bedürfnisse anderer eingespannt ist, so geht die eigene Identität verloren. - sich von Bedürfnissen verabschieden, die nicht mehr adäquat sind - wenn man sich von einem Bedürfnis verabschieden muss, soll man Ersatz dafür bekommen (z.B. Ehemann erwartet von Frau denselben Service wie von Mama; in Babypause oft Traditionalisierung der Rolle der Frau -> wenn Frau dann wieder arbeitet, bleibt Hausarbeit weiter an ihr hängen = schwere Belastung für Beziehung; Lösungsmöglichkeit: Haushaltshilfe, mit Ehepartner Arbeitsaufteilung aushandeln; wichtig: sehr differenziert beraten!) - ältere, autoritär erzogene Generation schaut oft zuwenig auf eigene Bedürfnisse / Spaßgesellschaft von heute will ausschließlich eigene Bedürfnisse verwirklichen Identitätsgefühl erhalten: - Erikson: Identität entwickelt sich in der Pubertät (1. Entdeckung des Ichs im Trotzalter) - eigene Identität versus übernommene / angelernte Identität (Modell von Marcia). Wenn übernommene Identität nicht mehr funktioniert -> Probleme (z.B. „perfekt sein“ als übernommene Identität in Beruf, Familie, Partnerschaft -> Anorexie als Hilfeschrei -> Therapie: Verhaltenstherapie gegen Essstörung und dynamisches Vorgehen, damit aus übernommener Identität eigene Identität entwickelt werden kann. - Wichtig: Kinder von vornherein so erziehen, dass eigene Identität entwickelt werden kann (sollen Möglichkeit erhalten, verschiedene Rollen auszuprobieren, um herauszufinden, wo sie dahinterstehen können) Initiative (Begriff von Erikson): - alles, was Kompetenzen betrifft, verbirgt sich dahinter (was erreiche ich, etc.) Initiative beim Kind schon sehr früh (z.B. essen, selbst Schuhe anziehen, usw.) -> fördern, stützen und erhalten! Dafür Geduld von Seiten der Eltern notwendig! 6 ad 3) Sinnfindung: Was hilft bei Sinnfindung? • Interesse für Aufgaben: - • Wille zum Sinn (Frankl): - • Probleme bei Kindern, wenn ihnen jegliches Interesse „ausgetrieben“ wurde bei Depression kommt es über den Verlust der Interessen zu Sinnverlust man muss wissen, dass man sich selber Sinn schaffen kann (ebenso wie man sich selber Interessen schaffen kann) Wertorientierung: - gibt eine Richtschnur vor, in welche Richtungen man Sinn entwickeln kann (z.B. jemand, dem ästhetische Werte wichtig sind, wird Sinn im Besuch einer Gemäldeausstellung finden; jemand, dem Essen wichtig ist, wird z.B. Sinn darin finden, dass er Koch oder Feinschmecker wird) - Werthierarchie von Maslow (niedrige Werte hängen mit Lebenserhaltung zusammen Ö Gesund ist, wenn man weiß „mein Leben hat einen Sinn“ Ö beim Kind angeboren = bestimmte Ziele im Leben, z.B. Laufen lernen -> eigener Sinn wird konstruiert; Spiele = immer lustig, wenn sie Sinn haben; Kind hat normalerweise Fragebedürfnis -> Sinn wird konstruiert Ö Ziele sollten erreichbar sein, aber auch eine Herausforderung darstellen; bei großen Zielen Etappenziele setzen und sich darüber freuen Ö Hinweise auf zusammenbrechenden Sinn bei Kindern und Jugendlichen: wenn Kinder nur extrinsisch motiviert sind (d.h. wenn sie von Eltern, Lehrern auf gute Noten getrimmt werden, bricht die Sinnsuche zusammen, wenn es zu schlechteren Noten kommt bzw. wenn niemand mehr da ist, der die Note bewundert (z.B. wenn Kind erwachsen geworden ist!). Betroffener hat nicht gelernt, eigenen Sinn zu entwickeln. Verzweiflung, die daraus resultiert, dass Betroffener unfähig ist, zu eigenen Zielen zu stehen kann bis zum Selbstmord führen! [Intrinsische Motivation ab Pubertät bzw. Jugendalter] Regulationskompetenz, Selbstaktualisierung und Sinnfindung geben ersten Eindruck, wenn Person mit einem Problem zu uns in Praxis kommt (wo könnten ihre Probleme liegen, wo besteht das Bedürfnis nach Entwicklung). Klient kommt mit bestimmten Problem zu uns, wurde z.B. von Bekannten geschickt oder von Arzt, kommt mit irgendwelchen Vordiagnosen. Wir fragen: „Worum geht es?“ „Wo treten Schwierigkeiten auf und in welchem Ausmaß?“ und bilden uns beim Erstgespräch Hypothesen, was das dahinter liegende Problem sein könnte. 7 Beispiel: Mutter kommt mit Kind und beschwert sich, dass Lehrerin Fehler des Kindes überbewertet. Jetzt wenden wir obiges Schema an: 1) Regulationskompetenz: Mutter hat sicher schon mit Lehrerin gesprochen (geringe Regulationskompetenz?) -> nachfragen: „Wann haben Sie das letzte Mal mit der Lehrerin gesprochen? Was wurde dabei gesagt?“ 2) Selbstaktualisierung: Welche Bedürfnisse verwirklicht die Mutter über das Kind? (Ist Kind für sie eine Verlängerung des eigenen Selbst? Agiert sie eigene Probleme über das Kind aus? Ist das Kind für sie absolut unwichtig?) 3) Sinnfindung: Wie zufrieden ist die Mutter als Auskunftsperson mit ihrem eigenen Leben? Wie sinnvoll findet sie die Erziehungsarbeit und Berufsarbeit? III. GUTACHTENERSTELLUNG Bereits vor Diagnose wichtig: • Weiß Patient nicht ohnehin schon, was mit ihm ist und kann er es nur noch nicht akzeptieren? -> Interventionsmöglichkeiten, die mit Selbstheilungskräften arbeiten, sind möglich • Muss Patient ein bestimmtes Problem lösen, für das er noch keine Informationen hat -> Interventionsmöglichkeiten, die mit Selbstheilungskräften arbeiten, sind ungeeignet. Beispiel: Kind mit Diagnose Legasthenie kommt -> wir sagen den Eltern, dass Kind Therapie braucht -> Eltern antworten, dass es eh schon lange in Therapie geht, aber nichts herauskommt. Es stellt sich heraus, dass das eine psychoanalytische Spieltherapie ist -> zum Erlernen der Rechtschreibregeln ungeeignet! Wichtige Aufgabe im Vorfeld der Diagnose = Herausfinden, welche diagnostischen Fragen der Betroffene an mich stellt! (d.h. Was will er wissen? Wieso kommt er zu mir?) -> nicht immer ist das, was er sagt, das endgültige Ergebnis! Beispiel: Kind kommt mit Schulschwierigkeiten. Wir stellen eine Dyskalkulie fest -> Mutter konnte das natürlich nicht wissen 8 Ist eine Intervention nötig, müssen wir auch entscheiden, welche Art bzw. welcher Typus von Intervention, z.B. - bei konkret zu beantwortenden Fragen Verhaltenstherapie oder psychologische Therapie - bei Aufarbeitung emotionaler Probleme oder einer Biographie dynamische Therapie (z.B. Gesprächstherapie, Psychoanalyse) Das muss auch noch im Vorfeld der Diagnose geklärt werden. Gutachter = Diplompsychologe; muss unabhängig sein, unterliegt der Schweigepflicht; niemand kann ihn zur Aussage zwingen, außer es liegt schriftliche Einverständniserklärung des Klienten vor. GA kosten ca. 5000,- ATS (Gerichtsgutachten ca. 12.000,- ATS) Es gibt sehr viele Arten von GA, die sich jeweils auf ein Betätigungsfeld beziehen; z.B.: ¾ Sorgerechtsverfahren ¾ psychologische Nachschulung bei Führerscheinentzug ¾ Berufsberatung ¾ Waffenschein ¾ Entmündigungsverfahren ¾ Sachwalterschaft ¾ Sonderschulzuweisungen ¾ Jugendgericht Definition: • Psychologisches GA = wissenschaftliche Leistung, die darin besteht, aufgrund wissenschaftlich anerkannter Methoden und Kriterien nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation von Daten zu konkreten Fragestellungen Aussagen zu machen. • Ist die Antwort eines Experten (= Diplom-Psychologen!) auf Fragen, zu denen er Stellung nimmt aufgrund - seines Fachwissens - des aktuellen Forschungsstandes und - seiner Erfahrung • Muss enthalten: - Fragestellung - Nennung des Auftraggebers - Untersuchungsverfahren - relevanten Daten - Interpretation der Daten - Schlussfolgerung des Gutachters 9 Kein Gutachten ist: • gutachterliche Stellungnahme: • psychologische Stellungnahme: • = psychologische Antwort auf eine eingeschränkte Einzelfrage (z.B. soll Kind Förderung erhalten?) = Stellungnahme zu einem GA, das man von einem anderen bekommen hat oder zu einer Fragestellung, bei der keine eigenen Befunde erhoben werden Untersuchungsbefund: = eine für Nicht-Psychologen verständlich aufbereitete Aussage über die Ergebnisse einer Untersuchung mit psychologischen Verfahren Grundsätze psychologischer Gutachten-Erstellung: 1. allgemeine Grundsätze: • Gutachter muss darauf bedacht sein, seine Unabhängigkeit zu wahren • Position des Gutachters vor Gericht: - Verschwiegenheitspflicht - als Sachverständiger in Strafprozess hat Gutachter kein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn der Untersuchte die Untersuchung von Rechts wegen dulden musste oder die Aussage verweigern hätte können, dies aber nicht getan hat. - Hat der Untersuchte dem Psychologen aber freiwillig Dinge erzählt, die nicht mit dem GA zusammenhängen, oder weiß der Psychologe etwas aus früheren Untersuchungen des Betreffenden, so darf er darüber die Aussage verweigern. • Gutachter unterliegt der Schweigepflicht auch gegenüber dem Gericht, wenn es um Tatsachen geht, die er im Rahmen der Begutachtung erfährt, die aber nicht mit der Fragestellung zusammenhängen • Gutachter kann Begutachtung ablehnen, wenn er sich befangen fühlt • Besteht eine persönliche Beziehung zwischen Gutachter und Klienten, so muss der Auftraggeber des GA vorher darüber informiert werden (z.B. Verwandtschaft, Therapeut-Patient-Beziehung) • Vor der Begutachtung schriftliche Einverständniserklärung des zu Begutachtendens einholen (Freiwilligkeit!); den Probanden mitteilen, was untersucht werden soll; Hinweis darauf, dass Gutachter verpflichtet ist, Ergebnisse an Auftraggeber weiterzugeben. • Gibt Proband seine Zustimmung nicht, so kann kein GA erstellt werden, sondern nur eine psychologische Stellungnahme; Auftraggeber muss aber vorher darüber informiert werden! 10 • Soziales Umfeld des Probanden darf nur einbezogen werden, wenn Zustimmung des Probanden oder seines gesetzlichen Vertreters vorliegt. Bei Kindern, Jugendlichen oder Entmündigten -> eigene Stellungnahme des Probanden berücksichtigen! • Ohne Einwilligung des Probanden darf GA nicht an Dritte weitergegeben werden (Ausnahme = Auftraggeber) 2. Erhebungs- und Darstellungsprinzipien: • Mit GA beauftragter Psychologe muss GA persönlich erstellen, darf aber Hilfskräfte, die unter seiner Aufsicht stehen dazu heranziehen • Auswahl der Untersuchungsverfahren muss aus Fragestellung herleitbar und nachvollziehbar sein. • GA sollen nicht auf einer einzigen, sondern auf mehreren voneinander unabhängigen Datenquellen beruhen (z.B. Exploration, Verhaltensbeobachtung, unterschiedliche Tests, Befunde) • Bei Befunden Quellenangabe (ev. auch die Art der Dokumentierung, z.B. Tonbandprotokoll) • Aussagen von Dritten sind als solche zu kennzeichnen • Sprache des GA soll für Adressaten verständlich sein; keine herabsetzenden oder verletzenden Ausdrücke (außer es ist direkte Rede des Untersuchten) • Gliederung für die Darstellung der Ergebnisse: - Kurzbeschreibung der angewandten psychodiagnostischen Instrumente - Beschreibung der für die Fragestellung relevanten Verhaltensweisen des Probanden - Mitteilung der Ergebnisse, die für die Fragestellung relevant sind - Interpretation der Ergebnisse nach den wissenschaftlich-psychologischen Regeln • Es muss klar erkennbar sein, wie der Gutachter zu Befund und Stellungnahme kommt. • Stellungnahme soll Problemlage sowie Bedingungen für Entstehung und Aufrechterhaltung des Problems kenntlich machen • Vorschlag konkreter Maßnahmen, die schlüssig an die diagnostischen Befunde anknüpfen und dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen müssen. 11 3. Erforderliche Einzelangaben: Psychologisches GA soll folgende Angaben enthalten: - präzise Formulierung der Fragestellung, von der das GA ausgeht - Nennung des Auftraggebers bzw. Fragestellers - Nennung der Untersucher - Referierung vorliegender Informationen (z.B. aus Akten, Vorgutachten) - Nennung und Charakterisierung der Untersuchungsmethoden - vollständige Darstellung der für die Fragestellung relevanten Untersuchungsergebnisse, soweit nicht rechtliche oder ethische Bedenken entgegenstehen - Interpretation und Diskussion der Befunde - explizite Stellungnahme zur Fragestellung - Unterschrift des Gutachters Weiters wichtig: Ö Sorgfaltsmaßstab beachten, d.h. man muss sich bewusst sein, lebensentscheidende Informationen weiterzugeben, daher entsprechende Sorgfalt notwendig Ö Bemühen um Objektivität, d.h. allgemeine Begriffe mit entsprechender Hintergrundinfo verknüpfen, keine eigenen Emotionen in die Situation hineintragen, nicht Partei ergreifen, keine vorgefassten Meinungen haben Ö „Hilfreiches GA“ erstellen, d.h. Ergebnisse so darstellen, dass sie keinen Schaden anrichten, - z.B. bei Intelligenzbegutachtung NIE schreiben „Das Kind ist durchschnittlich, sondern NORMAL“; z.B. nicht Legasthenie sondern Teilleistungsstörung schreiben, da Begriff Legasthenie stigmatisiert, z.B. keine psychiatrischen Begriffe verwenden, die per Definition eine psychiatrische Arbeit erfordern (bei entsprechender Vermutung eine psychiatrische Diagnose einholen!) Hilfreiches GA beinhaltet Lösungsmöglichkeiten, d.h. Konsequenzen, die sich aus Ergebnis ableiten -> Interventionsmöglichkeiten auflisten und Vorschläge für Konsequenzen machen (z.B. Empfehlung von Trainingsmöglichkeiten, Empfehlung einer bestimmten Therapie, usw.) Im Gespräch den Betroffenen erklären, was die Diagnose wirklich bedeutet - z.B. Kind mit niedriger Intelligenz, hat Probleme in der Hauptschule -> Eltern erklären, dass es sehr verdienstvoll ist, die HS so absolviert zu haben und besprechen, was es mit HS-Abschluss anfangen könnte (z.B. Anlernberuf) Ö Verschwiegenheitspflicht gilt auch gegenüber Freunden und der Familie; Fälle nur in Supervision besprechen 12 Ö Auch Kinder und Jugendliche in schonender Weise über Zweck der Begutachtung aufklären („informierte Zustimmung“) Ö Standesregeln beachten (keine unsachliche oder persönlich herabsetzende Kritik eines Kollegen; Grundsatz der Kollegialität beachten; Auseinandersetzung mit Kollegen nur beim Landesverband und nicht öffentlich Ö als gerichtlich beeideter Sachverständiger muss man sich an bestimmte zeitliche Fristen halten; man darf keine Geschenke annehmen (auch nicht von Kindern!) Ö Orientierung an Vordiagnose, wenn vorhanden (ist aber nur ein HINWEIS! Muss kritisch bewertet werden! Ö Diagnose muss von Eltern akzeptiert werden, daher bewusst auf die Wortwahl achten, Eltern bei Fördermaßnahmen unterstützen Ö Diagnose hat Ziel, bestmöglich zu fördern bzw. bestmögliche Gesundheit herzustellen, muss deshalb so realistisch wie möglich sein! Ö Motivation des Probanden fördern, d.h. Kind vor der Testung alles erklären, ihm das Gefühl vermitteln, dass man ein netter Mensch ist, der ihm helfen will; emotionale Ebene ansprechen! Ö GA sollen nicht auf einer einzigen, sondern auf mehreren voneinander unabhängigen Datenquellen beruhen, daher: 3 Punkte-Regel beachten (d.h. erst wenn in 3 unterschiedlichen Situationen die vorläufige Diagnose bestätigt werden kann, ist eine Schlussfolgerung berechtigt; - z.B. Delinquenz: stehlen, lügen, Schule schwänzen - große Unterschiede in Subtests = Hinweis auf Legasthenie Î Fallbeispiel: Kind nimmt anderen Schulsachen weg, möchte nicht in die Schule gehen, läuft vom Unterricht weg -> Verdacht auf Störung des Sozialverhaltens (wenn nur Weigerung in die Schule zu gehen, wurde Kind vielleicht nur zu früh eingeschult) Hier aber 3 beobachtbare, voneinander unabhängige Indizes: - Kind nimmt Sachen weg - Kind läuft weg - Kind will nicht in die Schule gehen Daher: hält sich nicht an Spielregeln Ö Explizite Stellungnahme zur Diagnose; Psychologe trägt die Verantwortung für die Konsequenzen! Accountabiliy = für das, was man tut, muss man auch einstehen! 13 Ö Kann man keine festen Aussagen tätigen, Wahrscheinlichkeiten angeben! - Statusdiagnostik: gegenwärtiger Zustand wird erhoben; eher sichere - Prozessdiagnostik: = Aneinanderreihung von Staten (prozessbegleitende - Aussage; DSM-IV oder ICD-10 verwenden Diagnostik) und Aussage über Prozessverläufe Prognose Ö Jedes GA muss mit einem ausführlichen, intensiven Elterngespräch bzw. einer Elternberatung verbunden sein. Es soll sichergestellt werden, dass die Eltern die vorgeschlagenen Maßnahmen auch setzen! 14 IV. DIAGNOSTISCHER PROZESS Nimmt Ausgang bei Fragestellung und endet meistens mit ihrer BeantwortungDazwischen = Prozesse der Urteilsbildung und das Erstellen eines GA. Beantwortung der Fragestellung = Entscheidung für Behandlung, Beratung, Gespräch. Konsequenzen, die aus einer Diagnose erfolgen, müssen auf Basis der gesammelten Daten erfolgen. Diagnostischer Prozess (Definition): = Ablauf von Maßnahmen, mit deren Hilfe und unter Anwendung diagnostischer Methoden eine mit diagnostischer Zielsetzung vorgegebene Fragestellung so beantwortet wird, dass für einen Auftraggeber eine Entscheidungshilfe bzw. eine Entscheidung herbeigeführt werden kann Verschiedene Informationsquellen Anamnese und Exploration = die wichtigsten Methoden zur Erfassung von psychiatrischen Symptomatiken; können durch Zusatzmethoden NICHT ersetzt werden! Rund 70% der Diagnosen können aufgrund einer guten Anamnese und Exploration gestellt werden. 1) Anamnese: = Erhebung der Vorgeschichte des Patienten und seiner Familie; wird unterteilt in a) Problemanamnese: nicht nur das Kind, sondern auch die betroffenen Personen werden befragt (z.B. Eltern, etc.); Grund: wegen Gefahr der Einseitigkeit; im GA genau angeben, wer was gesagt hat; Sinn: möglichst genau erheben, wie es zu dieser Problemsituation gekommen ist; Befragte sollen Situation möglichst genau beschreiben (eventuell aufzeichnen) b) Familienanamnese: - soll erheben, ob eine bestimmte Störung in Familie gehäuft auftritt (z.B. bei Legasthenie) - soll Familienstruktur erheben (wie kam es zur Eheschließung? Berufstätigkeit der Mutter? des Vaters?...) c) Institutionsanamnese: in welchen Institutionen war Kind längere Zeit (z.B. Krankenhaus, Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Ferienheim, Hort, Pflegefamilie,...); welche Miterzieher hatte es? Gab es einen Schulwechsel? d) individuelle Anamnese: Wie hat das Kind selbst seinen Lebenslauf erlebt? Was sagt es selbst dazu (sofern es sich erinnern kann)? 15 e) Beratungs- und Therapieanamnese: welche Beratungs- und therapeutischen Angebote wurden bisher in Anspruch genommen? welche Befunde gibt es darüber? f) Schwangerschaft und Geburt: besonders wichtig, wenn man vermutet, dass Mutter Kind nicht gern hat Man unterscheidet auch zwischen: • • subjektiver Anamnese (Daten stammen vom Patienten selbst) objektiver Anamnese (Daten stammen von Angehörigen oder Außenstehenden) Wichtig zu beachten: Ö psychiatrische Krankheiten werden im Zuge der Familienanamnese gern verschwiegen, weil sie immer noch als Makel gesehen werden, übder den man nicht gern spricht Ö Angaben, die man darüber erhält = oft unpräzise, daher geschicktes Herausfiltern der relevanten Informationen durch den Diagnostiker notwendig Ö Anamnese bezieht sich immer auf die Vergangenheit, daher Heranziehung von dokumentierten Berichten notwendig (z.B. Geburtsberichte, Zeugnisse, usw.), um Ungenauigkeiten zu vermeiden Ö Konfliktkonstellationen (z.B. Konflikt Mutter – Tochter) stellen sich oft erst nach mehreren Gesprächen heraus ANAMNESE-SCHEMA (Remschmidt, 1972): 1) Aufnahmemodus: Tag, Zeit, Begleitung, einweisender Arzt, Einweisungsgrund, Unterbringungsmodus 2) Anamnese: a) Familienanamnese: • • • • Standardangaben zu Verwandten (Großeltern, Eltern, Geschwister), Alter, Krankheiten (chronische, frühe psychische Störungen, etc.) aktueller Beruf Persönlichkeit und Entwicklung der Eltern und Geschwister Sozioökonomische Lage der Eltern Gesprächseindruck von den Eltern 16 b) Eigenanamnese: • • • • • • • • • frühe Entwicklung (Schwangerschaft, Geburt, Neugeborenenperiode, Säuglings- und Kleinkindentwicklung, Vorschulalter, Primordialsymptomatik) Schule und Beruf (Einschulung, Schulstand, Leistung, Schularbeitensituation, Berufspläne, Ausbildung in Lehre und Beruf) Sexualität (sexueller Entwicklungsstand, Einstellung zur Sexualität, sexuelle Aktivität) frühere Krankheiten (Beginn, Maßnahmen, Verlauf) soziale Situation (Freundschaften, soziale Stellung bei Gleichaltrigen, Interaktion und Aktivität außerhalb der Familie, soziale Auffälligkeiten, Freizeitgestaltung) Primärpersönlichkeit, Hobbys und Interessen Genussmittel, Drogen und Medikamente (Alkohol, Nikotin, Medikamente, etc.) Familiendynamik (Beziehungen zu den übrigen Familienmitgliedern) aktuelle Symptomatik (Beginn, situativer Kontext, Intensität, Maßnahmen, Verlauf) c) Sicherungsfagen 2) Exploration: = Befragung im Lauf der Anamnese; muss nach bestimmten Regeln durchgeführt werden, um die richtigen Antworten zu erbringen. Anamnese beschäftigt sich vor allem mit der Vergangenheit; Exploration mit den derzeitigen Krankheitserscheinungen. Untersucht wird: • • • • • Aufmerksamkeit Gedächtnis Denken Aktivität Art und Weise der psychischen Störungen Exploration erfordert viel Erfahrung und Taktgefühl, soll der Individualität des Patienten und dessen Familie angepasst werden. Vertrauensbasis zwischen Untersucher und Patienten = wichtig Normalfunktionen und psychopathologische Abweichungen werden gemeinsam betachtet, um dem dimensionalen Ansatz in der Psychopathologie Rechnung zu tragen -> zwischen normalem und krankhaftem Verhalten besteht mehr ein graduell quantitativer Unterschied als ein qualitativer Unterschied! 17 Erstgespräch = Explorationsgespräch: - meist mit Eltern ohne Kind -> erster Problemrahmen; was könnte dahinter stecken? - ohne Einbeziehung von Eltern und Umwelt ist Diagnose sinnlos! - wörtliche Rede nicht beschönigen („des geht ma am Oasch“), Relevantes mitschreiben (mit Zeitangaben); Tonbandaufzeichnungen nur als Ergänzung (in Gruppe ist Einzelperson auf Tonband fast nicht identifizierbar) - Situation genau schildern lassen -> wird so nachvollziehbarer (z.B. Raumaufteilung, Ordnung, schlechte Akustik in Schule, Größe der Wohnung, Umgebung -> Schemazeichnung!) - Fragen in Hinblick auf die Ressourcen (wer kann zur Lösung des Problems beitragen? welche Hindernisse gibt es (z.B. Lösung durch bessere Raumaufteilung, bessere Ordnung durch Hausaufgabenheft, Telefonnummern der Mitschüler, Mutter kontrolliert Aufgaben,...) - Über das Kind sollte man folgendes wissen: ¾ Kompetenz des Kindes (der Eltern) ¾ Persönlichkeit des Kindes o Emotionen (mit sich selber umgehen) o Interaktion mit sozialer Umwelt (mit anderen umgehen) EXPLORATIONS-SCHEMA: ¾ äußerliches Erscheinungsbild: Größe, Gewicht, Reife, Fehlbildungen, Kleidung, Sauberkeit ¾ Kontakt- und Beziehungsfähigkeit: Abhängigkeit von der Begleitperson, Aufnahme der Beziehung zum Untersucher, Rapport, Selbstsicherheit, Kooperation ¾ Emotionen: Stimmung, Affekte, psychomotorischer Ausdruck ¾ Denkinhalte: Ängste, Befürchtungen, Phantasien, Träume, Denkstörungen, Selbstkonzept, Identität ¾ Kognitive Funktionen: Aufmerksamkeitssteuerung, Orientierung, Auffassung, Wahrnehmung, Gedächtnis, allgemeine Intelligenz ¾ Sprache: Umfang, Intonation, Artikulation, Vokabular, Komplexität, Sprachverständnis, Gesten 18 ¾ Motorik: Antrieb und Aktivität, qualitative Auffälligkeiten: Tic, Stereotypien, Automutilation ¾ soziale Interaktionen: Position innerhalb der Familie / Schulklasse / Freundeskreis, etc. 3) Verhaltensbeobachtung: Verhaltensbeobachtung bei Kindern erstreckt sich auf folgende Bereiche, und zwar auf die Beobachtung: • • • • • während der Untersuchung (bei Exploration) der Interaktion mit den Eltern in Leistungs- und Anforderungssituationen (z.B. während der psychologischen Tests) des Verhaltens gegenüber Mitpatienten und dem Personal des schulischen Verhaltens bzw. des Verhaltens in anderen Situationen Man unterscheidet folgende Beobachtungssituationen: • Gelegenheitsbeobachtung: erfolgt mehr oder weniger zufällig -> wenig repräsentativ; kann aber wichtige Informationen geben (z.B. über Zwangsrituale, die Patient in Gesprächen und bei sonstigen Beobachtungen verschwiegen oder unterdrückt hat) • systematische Beobachtung: bestimmte Verhaltensweisen werden unter zu Hilfenahme von Beobachtungsskalen beschrieben. Hier kann man auch teilnehmende Beobachtung unterscheiden = vor allem in Gruppensituationen geeignet • Sonderformen der Beobachtung: Auswertung von Tagebüchern, Biographien, Krankengeschichten Kind wird ins Spielzimmer eingeladen und beobachtet, wie es sich verhält in - freier Spielsituation (z.B. Szeno-Test) - systematischer (= gelenkter) Spielsituation (z.B. Spiel mit anatomisch korrekten Puppen -> Missbrauch; siehe Friedrich!) - es kann auch eine Aufgabe vorgegeben werden (z.B. Puzzle, Hausaufgabe), die gemeinsam gelöst wird; vgl. Trudewind: Hausaufgabensituation = - „ökologische Schlüsselsituation“ Lerntherapie unseres Instituts wird zu 90% in der Familie selbst abgehalten; Grund: nur so erfährt man Dinge, die man in standardisierter Situation nie erfahren würde Î Spiel macht Themen leichter ansprechbar, darf aber nicht überbewertet werden, da kein eindeutiger Beweis! Es muss keine Botschaft dahinterstecken! (3 Punkte-Regel beachten!) 19 4) Beurteilungen: = - Aussagen von Dritten; müssen deutlich von eigenen Aussagen abgegrenzt werden. wortwörtliche Aufzeichnung! Je dramatischer und emotioneller, desto eher Beurteilung (z.B. „Meine Mutter brüllt immer“ – „Mach es mir vor!“) - Je allgemeiner die Aussage, umso eher verfälscht (z.B. „Das Kind stiehlt.“ – „Wie oft hat es schon etwas weggenommen?“) - Bei Informationen aus Gruppe vorsichtig sein (Lehrer kann maximal 5 Kinder gleichzeitig beobachten während er unterrichtet) -> sich mehrere Stunden in den Unterricht setzen! 5) Testverfahren: a) lernzielorientierte Tests: Probleme bei Spezialkenntnissen (z.B. Handarbeiten, Sport, Musik, Zeichnen,...); im motorischen Bereich gibt es für elementare Fähigkeiten sehr gute Testverfahren, für die komplexeren Fähigkeiten aber nicht mehr b) standardisierte Tests: - haben meist wenig mit Theorie der Klassifizierung des DSM-IV oder ICD-10 zu tun routinemäßige Entwicklungs- und Intelligenztests Auswirkung auf Therapie: bei hoher Intelligenz = Kind eher zur Generalisation von Regeln fähig und versteht schneller immer überlegen, ob nicht Fördermangel besteht! 6) Produkte des Betreffenden z.B. Zeichnungen, Hausübungshefte, Schularbeitshefte, Basteleien,... 7) Vorgutachten: von anderen kompetenten Stellen 20 Klassifikationsschemata • Sparsamkeitsprinzip: mit möglichst wenig Beschreibungsdimensionen möglichst viel erfassen können • Theoretische Zusammenfassungen sollen aber auch erschöpfend sein! • Vorteil der Diagnoseschemata: man kann sich über Landes- und Fachgrenzen hinaus verständigen • Nachteil: Individualität oder Erfindungsreichtum kommt oft zu kurz 2 große Einteilungsprinzipien: a) ICD (= International Classification of Diseases) der WHO b) DSM (= Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders) der APA Î In Österreich werden psychologische Leistungen mit Krankenkassen derzeit nach ICD-9 abgerechnet; Î sonst wird ICD-10 verwendet (entspricht mehr dem europäischen Gebrauch, der vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass mehr Wert auf psychoanalytische Entwicklungstheorie gelegt wird) Î Rahmen des ICD-10 reicht nicht immer aus (vor allem für Diagnose von normalen Kindern und Jugendlichen nicht immer ganz geeignet) 21 V. EINTEILUNG PSYCHISCHER STÖRUNGEN NACH NISSEN Nissen unterscheidet folgende Störungsgruppen A. Intelligenzstörungen Ö ist eine der größten Ursachen für Auffälligkeiten Ö es handelt sich dabei um Kompetenzprobleme (auch nicht intellektuelle Kompetenzprobleme werden dazugezählt; z.B. Kind zeigt sehr schlechte Leistungen in Turnen, Kind kann wegen schlechter Feinmotorik nicht zeichnen,...) Ö Bei jeder Begutachtung auch einen standardisierten Intelligenztest vorgeben (z.B. Kind arbeitet in Schule nicht mit, entweder weil es unter- oder überfordert ist) 1. Spielstörung: • bei Kleinkindern (entspricht der Lernstörung bei Schulkindern) • 2 Typen bereits beim 1 ½ jährigen Kind: - - patterner („Strukturierer“): konstruktivistische Interessen, spielt lieber mit Bauspielzeug dramatist („Dramatiker“): Begabungsschwerpunkt eher im sprachlichen Bereich Î entspricht Cattells Modell der „crystallized intelligence“ versus „fluid intelligence“; in Schule braucht man beide Intelligenzarten • Kind spielt keine Phantasiespiele -> das kann in logisch festgelegten Bevorzugung liegen; Phantasiespiele = sehr wichtig z.B. für Aufsatzschreiben! • Kind spielt überhaupt nicht -> Spielstörung • Eltern müssen Spiel des Kindes fördern -> Information an sie über die Wichtigkeit des Spiels geben (z.B. in orientalischen Kulturen wird Kinderspiel oft als unbedeutend angesehen) • auch Computerspiele können fördern -> z.B. Tetris fördert räumliches Denken 22 2. Lernbehinderung: • • wird bei Nissen und auch im ICD-10 zu wenig differenziert dazu gehören z.B. Aufmerksamkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen, usw. 3. Teilleistungsstörungen: • hier hat in den letzten Jahren vor allem die Rechenstörungen zugenommen (Eltern zählen aus Zeitmangel zuwenig mit den Kindern...) • Im ICD spielen hier vor allem die akustischen Störungen große Rolle (Legasthenie wird dort zu den akustischen Störungen gezählt, weil im Englischen akustische Aspekte größere Rolle spielen) 4. Geistige Behinderungen B. Zerebrale Störungen: Ö Psychologen können sie nur vermuten, müssen sie von Mediziner bzw. Neurologen bestätigen lassen (EEG!) Ö dazu gehört MCD = „Minimale Cerebrale Dysfunktion“ (= leichte globale Hirnfunktionstörung, bei der Zusammenspiel der Funktionen ist gestört) Ö In so einem Fall zu einem EEG raten, um abzuklären, ob organische Schädigung und in welchem Ausmaß vorliegt; wichtig für Therapie! 1. Leichte Hirnfunktionsstörungen 2. Schwere Hirnfunktionsstörungen 3. Psychische Störungen bei Epilepsie: Man unterscheidet zwischen ¾ „petit mal“ (Kind fällt durch Unaufmerksamkeit auf) ¾ „grand mal“ (Epilepsie mit Krampfanfällen) C. Psychotische Störungen: 1. Autismus im Kindesalter: • im ICD-10 den „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ zugeordnet • schwere Störung des Kontaktverhaltens 2. Psychosen und „Grenzfälle“ bei Kindern: • Hierher gehört Borderline-Störung • Kind verhält sich so seltsam, dass es mit gängigen Kategorien nicht mehr zu erfassen ist, es reicht aber noch nicht aus, um psychiatrische Diagnose zu treffen 23 3. Affektive Psychosen: • dazu gehören Manie und Depression 4. Schizophrene Psychosen bei Jugendlichen D. Konstitutionelle Störungen: Ö diese Störungen verschwinden heute oft im Bereich der Borderline-Störung 1. Neuropathie und Psychopathie: • „Psychopathie“ = heute nicht mehr gebräuchlich; Störung des Willens- und Affektlebens (z.B. heftige Gefühlsstürme abwechselnd mit Gefühlskälte) • Neuropathie = Störungen, die mit der (unwillkürlichen) Steuerung der eigenen körperlichen Funktionen zusammenhängen. Ein Teil davon wird heute den Psychosomatischen Störungen zugerechnet. 2. Retardierung und Akzeleration: • Entwicklung hängt sehr stark von Genetik ab, aber natürlich auch von Förderung! • Akzeleration = Beschleunigung (z.B. Rost beschreibt einen Buben, der mit 1 ½ Jahren lesen konnte und mit 10 Jahren sein Studium abgeschlossen hatte) • Retardierung = Verlangsamung der Entwicklung 3. Reaktion und Abnorme Reaktion E. Sozialisationsstörungen: 1. Deprivation: • liegt vor, wenn Kind das für seine Entwicklung Nötige nicht bekommt 2. Dissozialität: • Kind / Jugendlicher kann sich sozial nicht in Gesellschaft einordnen 3. Pubertätskrisen: • sehen oft sehr dramatisch aus • angeborene Entwicklungskrise • keine dramatischen Entscheidungen treffen • man darf sie nicht mit Dissozialität verwechseln 4. Drogen- und Alkoholmissbrauch: • Hier ist vor allem Aufklärung der Jugendlichen und der Eltern wichtig 24 F. Emotionale Störungen: Ö Unterscheidung bei Nissen ist hier anders als im ICD; nicht vollständig Ö Unterschieden wird: ¾ Intelligenzbereich (Kompetenzbereich) ¾ Persönlichkeitsbereich (ist gekennzeichnet durch Emotionen und Interaktion mit anderen Personen; für diesen Bereich haben sich die Big Five gut bewährt (Intraversion, Extraversion,...) Ö Bei Nissen fehlt die Manie (tritt im Kindesalter sehr selten auf) 1. Aggressivität: • wenn Aggression von Gesellschaft weitgehend toleriert wird, fallen eher die weniger aggressiven Kinder auf 2. Angst und Phobie: • in der Phobie ist Angst weitgehend übertrieben • Phobie ist an bestimmten Bereich gebunden (z.B. Flugangst, Klaustrophobie,...) 3. Depression 4. Zwang: • im 1. Lebensjahr (orale Phase) kann durch falsche Erziehung Neigung zur Angst entstehen • in analer Phase entstehen eher die Zwangsstörungen 5. Hysterie: • falsche Erziehung führt zur Überforderung des Kindes • Kind glaubt, dass Eltern es nicht lieben • Eltern kümmern sich zu wenig um Kind • entsteht ca. im Alter von 3-4 Jahren 6. Suizidalität: • muss mit Depression zusammen betrachtet werden • Selbstmord kommt im Kindesalter relativ selten vor G. Psychosomatische Störungen 1. Funktionelle Störungen: • Störungen bestimmter Funktionssysteme 2. Appetit- und Essstörungen: • sind heute sehr wichtig 3. psychosexuelle Störungen: • in USA glaubt man, dass sie durch Umwelteinflüsse entstehen