Krankheitsmodelle Dr. István Tiringer Institut für Verhaltenswissenschaften Gesundheit und Krankheit • Gesundheit und Krankheit sind nicht nur biologische Tatsachen, sondern auch Phänomene des subjektiven Befindens und der Beziehung der Person zu ihrem Körper • Aber! – beachtliche Streuung von physiologischen Regelgrößen (der Krankhietswert bleibt oft unkalr) • Kontinuum von gesund zu krank • Bedingt gesund – Risikofaktoren Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit • Die Medizin braucht klare Grenzen zwischen gesund und krank (Versicherungsleistungen – Krankschreibung) – biologische Ebene einer Krankheit („disease”). • Aus der Sicht der Betroffenen (der Kranken): Kranksein („illness”). • Bezugssystem Gesellschaft – soziale Abweichung – Kontrolle („sickness”) • Divergenz der verschiedenen Aspekte Pathogenese - Salutogenese • Große Vortschritte in der Definition und Ursachenforschung, in der Behandlung und Verhütung von Krankheiten • Faktoren die zur Erhaltung (sogar Steigerung) der Gesundheit beitragen (salutogenetische Faktoren) werden weniger erforscht • Bedeutung von systemischen und zellulären Schutz- und Reparaturmechanismen Gesundheitskonzepte • Gesundheit ist selbstverständlich – meistens implizite Vorstellungen • Gesundheitskonzepte variieren nach Alter, Geschlecht, soziokultureller und religiöser Orientierung, sowie nach sozialer Schicht • Gemeinsame Kernelemente von Gesundheitskonzepte Subjektive Krankheitsvorstellungen • Beeinträchtigung von Befinden • Negative Gefühle (bekümmert sein, sich bedroht, schuldig, nicht vollwertig fühlen) • Einschränkung von Handlungsfreiheit • Krankheit als Chance (Neubesinnung), als Freiraum („Flucht in die Krankheit”) • Unterschiedliche Konzepte von Laien und Ärzte – Frühstadien chronischer Krankheiten (unspezifische Symptome) • Befinden – Befund Gesundheit als Norm • Zustand des völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens (WHO Definition) • Gesundheit ist ein Grundrecht • Berücksichtigung von Wertvorstellungen, Lebensumstände der Patienten • Mehrdimensionale Messung von Gesundheit – gesundheitsbezogene QOL Gesellschaftliche Aspekte • • • • Leistungsfähigkeit – Leistungsbegrenzung Krankheit als soziale Abweichung Wiederherstellung von Leistungsfähigkeit Negative Wirkungen der engen Verbindung von Gesundheit und soziale Normalität („healthism”) • Alter, Hinfälligkeit, Hässlichkeit, soziale Benachteiligung – Krankheit • Jugendlichkeit, Schönheit, Sportlichkeit, beruflicher Erfolg – Gesundheit; ~sindustrie Soziale Kontrolle, Medikalisierung • Definitionsmonopol von Krankheit • Politisch, sozial bedrohlich eingestufte Attitüde und Verhaltensweisen wurden als „geisteskrank” etikettiert • Prozess der Zivilisierung (N. Elias) • Gesundheit wird zu einem zentralen, immer mehr Lebensbereiche dominierenden gesellschaftlichen Wert („im Namen der Gesundheit”; prädiktive Medizin, Gentherapie – Menschenwürde) Verhaltensmodelle Die Grundidee der klassischen Verhaltenstheorie (Behaviorismus) ist, dass man das Verhalten einer Person allein durch ihre Erfahrungen mit der Umwelt erklären kann • Das lerntheoretische Modell Psychische Krankheiten durch Lernprozesse entstehen und aufrechterhaltet werden Lernformen: klassisches-, operantes Konditionieren und das Modelllernen psychische Störung = ungünstiges, nicht zielführendes (dysfunktionales) Verhalten Moderne Verhaltensmodelle • Das kognitive Modell Im kognitiven Modell wird der Einfluss von Bewertungen und Interpretationen auf das Gesundheits- und Krankheitsverhalten betont internale und externale Attribution, • Der kognitiv-behaviorale Ansatz Sowohl Lernprozesse als auch Kognitionen (Bewertungen, Interpretationen) eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen spielen • Verhaltensmedizin Biopsychologische Modelle Unabhängige Var. Manipulation des Substrates Zerstörung einer Hirnregion Reiz erkennen Elektrische Reizung einer Hirnregion Fluchtverhalten Gabe eines Pharmakons Such(t)verhalten Abhängige Variable Verhalten Psychophysiologische Modelle Abhängige Variable Änderung des Substrates Formveränderung der Nervenzellen Unabhängige Var. Manipulation des Verhaltens Training Elektrische Hirnaktivität Reizdarbietung Neurotransmitter erniedrigt Such(t)verhalten induziert Psychophysiologische Modelle Da die Zusammenhänge zwischen körperlichen Vorgängen, Verhalten und Erleben in der Regel gering sind, erfordert die Beschreibung menschlichen Verhaltens die simultane Erfassung aller drei Reaktionsebenen • Situationsstereotype • Reaktionsstereotype • Reaktionen sind auch von körperinternen Homöostasen und Regulationen abhängig Psychophysiologische Modelle • Peripher-physiologische und endokrine Maße werden vor allem in der Forschung von Emotionen und in der Psychosomatik verwendet. • Starke, anhaltende negative Gefühle und Stimmungen können zu Erkrankungen führen/verschlechtern • Positive Emotionen sind eher protektiv Spontanfluktuationen des elektrischen Hautwiderstands (Leitfähigkeit) Ruhepause Vorbereitungsphase a, Blinkreflex b, registrierter Signal c, Integration des Signals nach mehreren Abläufen d, Potenzierung des Schreckreflexes bei gesunden und antisozialen Psychopathen Aktivierungsanstieg in verschiedenen Hirnregionen beim Betrachten emotionaler Bilder Aktivierungsanstieg in verschiedenen Hirnregionen beim Betrachten emotionaler Bilder Aktivierung und Leistung • Jedes Verhalten liegt auf einem Kontinuum von Tiefschlaf bis extremer Erregung (relativ lineare Beziehung zwischen EEG-Desynchronisation und subjektiver Erregung • Im peripheren Nervensystem gilt eher ein Prinzip der Reaktionsfraktionierung – Reiz-Reaktions-Stereotype Kognitive Leistung und Aktivierungsniveau Autonome Kontrolle von Sympathikus und Parasympathikus • Zwischen den beiden Ästen des vegetativen Nervensystems besteht relative Unabhängigkeit; je nach Situationsanforderung können sie einander reziprok hemmen, gemeinsam aktiviert und unkorreliert sein • Flexible Einordnung von vegetativen Reaktionen (zB. Herzfrequenz ↓ parasymp.; Hautwiderstand ↓ - symp.) Autonome Kontrolle von Sympathikus und Parasympathikus Sozialpsychologie und Gesundheit • Einstellungen – überdauernde Wahrnehmungs-, Zuordnungseigenschaften – sind gelernt und können sich weiter differenzieren • Kognitvie „Dissonanzen” • Überzeugungen – ferfestigte Einstellungen Das Ergebnis der handlung ist besonders erstrebenswert o. erfolgsversprechend – Rauchen – Körpeliches Training – Einstellung-Verhalten Korrelation ↓ Sozialpsychologie und Gesundheit • Darstellung von Gefahren gesundheitsschädigenden Verhaltens (verharmlosend, drastisch) • Gesundheitserziehung – Warnungen stets in Verbindung mit Hinweisen, wie das Verhalten verändert werden kann • Gruppendruck und Rauchen in der Adoleszenz • Rückfallrisiko – Verführungssituationen Weight Watchers, Anonyme Alkoholiker Soziale Konformität Soziologische Erklärung • • Wechselwirkungen zwieschen menschlichen Handeln und den gesellschaftlichen Strukturen, in die Handeln eingebettet ist Definition der soz. Situation – Rahmen, der die Freiheitsgrade der Handlung einschränkt (siehe nächste Abbildung) 1. Gelegenheiten und Restriktionen des individuellen Handelns 2. Akteure – individuelle Präferenzen, Interessen und Fähigkeiten 3. Sozialer Wandel Das Grundmodell einer soziologischen Erklärung Medizinische Soziologie • Hauptaufgebe der medizinischen Soziologie ist der Nachweis sozialer Einflüsse auf Entstehung und Verlauf von Krankheiten sowie auf die Förderung von Gesundheit (zB. gesundheitschädigendes Verhalten) Plasmacotininspiegel, Anzahl gerauchter Zigaretten und sozioökonomische Lage Medizinische Soziologie • Soziale Situationen beeinflussen Gesundheit und Krankheit nicht nur über gesundheitsrelevante Verhaltensweisen, sondern ebenso über neuronale, neuroendokrine und über das Immunsystem vermittelte Stressreaktionen im Organismus (soziale Einflüsse und Stressreaktionen – intensive und langandauernde Emotionen, alltägliche sich kumulierende Belastungen) Mentale und emotionale Arbeitsbelastungen – Risiko einer koronaren Herzkrankheit