Top-down oder Bottom-up?

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FORSCHUNG
Top-down oder Bottom-up?
Welche Ansatzwahl und damit verbundene Therapieplanung kann die Effektivität
der Therapie steigern und deren Outcome verbessern? Dieser Beitrag vermittelt
eine Übersicht über aktuelle Studienergebnisse.
MEHR INFOS
DIE AUTORIN
Foto: privat
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Alessa Klingebiel ist Physiotherapeutin, BSc
Prävention-, Therapie- und Rehabilitations­
wissenschaften (PTRW), und arbeitet in einer
Praxisgemeinschaft in Vaihingen.
VON OBEN ODER VON UNTEN?
Diskussion um den
besseren ­Therapieansatz
D
ie Begriffe Top-down (von oben nach unten) und Bottomup (von unten nach oben) verwendet man hauptsächlich in
der Wirtschaft oder im Management. Dort werden diese wie
folgt definiert:
—— Top-down beschreibt eine Methode, bei der man schrittweise von allgemeinen, umfassenden Strukturen zu immer spezielleren Details übergeht.
—— Bottom-up beschreibt eine Methode, bei der man von speziellen Details ausgeht und schrittweise über immer umfassendere Strukturen die Gesamtstruktur eines Systems errichtet.
Die Herangehensweise: Auf die Physiotherapie übertragen bedeutet das eine unterschiedliche Herangehensweise an
die Ebenen der ICF. Der Top-down-Ansatz zielt auf die Priorisierung der Partizipationsebene ab. Die Therapie findet zunächst
handlungsorientiert und auf den Alltag des Patienten abgestimmt statt. Im Gegensatz dazu geht der Bottom-up Ansatz
von der Ebene Körperfunktion und -struktur aus: Danach müssen zuerst einzelne Körperteile oder Bewegungsstrukturen behandelt und funktionstüchtig gemacht werden, bevor auf den
Alltag des Patienten eingegangen werden kann.
Diskussionen in der Neurologie: Vor allem in der neurologischen Rehabilitation wird viel über die beiden unterschiedlichen Ansätze diskutiert. In dem Fachartikel „Top-down oder
Bottom-up? Diskussion therapeutischer Ansätze” von Gabriele
Eckhardt und Anke Greb werden beide Ansätze aufgezeigt und
miteinander verglichen (siehe Info-Grafik). Die Autorinnen kom-
Code scannen, mehr lessen: Den
kompletten Beitrag mit Literaturliste
finden Sie auf unserer Website.
men zu dem Ergebnis, dass keine klare Aussage getroffen werden kann, welcher der beiden Ansätze besser oder richtig ist. Jeder neurologische Patient zeigt ein individuelles Krankheitsbild,
sodass jeweils das Clinical Reasoning entscheiden muss, wie er
am besten behandelt werden sollte. „Konkret bedeutet dies,
dass Patienten, denen die kognitiven, perzeptiven oder propriozeptiven Voraussetzungen fehlen, erst die Teilabschnitte der
Handlung lernen müssen, bevor sie diese in die komplexe Handlung übertragen können (Bottom-up). Im Gegensatz dazu sind
Patienten mit reduzierter Kraft, Koordination, Ausdauer und mit
der Problematik des erlernten Nichtgebrauchs besser mit handlungsbezogenen Aufgaben versorgt (Top-down).“
In Ihrem Artikel „Greifen, halten und manipulieren“ erklärt
Physiotherapeutin Claudia Pott, dass Schlaganfallpatienten mit
motorischen Defiziten wiedererlernte Funktionen während der
Therapie häufig nicht im Alltag umsetzen können. „Sie transferieren Aktivitäten nur dann in das reale Leben, wenn sie diese
vorher ausreichend unter Alltagsbedingungen geübt haben.“
Methoden zur alleinigen Verbesserung der Funktionsebene, die
im Alltag des Patienten keine Rolle spielen, sind demnach nicht
das Mittel der Wahl.
Prinzipien der Trainingstherapie: In der Trainingstherapie
gibt es eine klare Tendenz. Die Entscheidung der Therapeuten
fällt hier meist auf die Bottom-up-Methode. „Training ist regelmäßige körperliche Bewegung zum Zweck der Steigerung oder
Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit auf der Basis von
Wachstumsprozessen in den beanspruchten Organen.“ Gerade
die Wachstumsprozesse sind hierbei der Schlüssel. Denn es
muss erst ein bestimmtes Leistungslevel erreicht werden, bevor
eine physiologische Steigerung möglich ist.
Methodik in der Orthopädie/Chirurgie: Auch in der
manuellen Therapie liegt der Schwerpunkt der Behandlung auf
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FORSCHUNG
► Partizipation und Alltagsbetätigungen stehen in der
Therapie hinten an
► handlungsorientierter Ansatz
► Partizipation, Alltag und Rolle
des Patienten stehen im
Vordergrund
► Erst wenn der Patient die Basisfunktionen wiedererlangt hat,
spielen Aktivitäten eine Rolle
► Aktivitäten sind Inhalt und
Mittel der Therapie
► Funktionsorientierter Ansatz
► Störungen der Körperfunktionen
und -strukturen stehen im
Vordergrund
► Therapeut legt Ziele fest
► Körperfunktionen und
-strukturen berücksichtigt
der Therapeut nur, wenn sie
bei der Störung einer
Tätigkeit eine Rolle spielen
BOTTOM-UP-ANSATZ
Quelle: physiopraxis 11-12/08
TOP-DOWN-ANSATZ
Die Ansätze Bottom-up und Top-down im Vergleich
Bottom-up-Ansätzen. Vor allem nach Operationen, aber auch
bei chronischen Schmerzen wird zuerst an der betroffenen Körperfunktion oder -struktur gearbeitet, um den Weg zur Partizipation zu ebnen. Therapeutisches Vorgehen und Therapieplanung wird durch die Wundheilungsphasen geprägt.
So kann ein Fußballer nach einer Weber-C-Fraktur nicht gleich
an seinem Partizipationsziel (Fußball spielen) ansetzen, sondern
muss erst die Wundheilungsphasen und Frührehabilitation
durchlaufen. Dabei unterstützt ihn der Therapeut durch Maßnahmen auf Körperfunktions- und -strukturebene. Im Vergleich
hierzu kann bei einem frischen Schlaganfallpatienten schon im
Frühstadium der Rehabilitation mit Gangübungen auf dem Laufband (mit Aufhängungssystem) begonnen werden, auch wenn
die Beinfunktion noch nicht wieder vollständig hergestellt ist.
Internationaler Vergleich: Eine Studie der Wissenschaftlerin Sarah Tyson über die Interventionen von britischen Physiotherapeuten bei der Therapie zur Verbesserung der posturalen
Kontrolle nach Schlaganfall zeigte, dass beinahe die Hälfte der
Therapie mit dem Bottom-up- und nur wenige Prozent mehr
mit dem Top-down-Ansatz durchgeführt wurde. Im Gegensatz
dazu fand die amerikanische Physiotherapeutin Nancy Latham
in einer ähnlichen Studie heraus, dass hier fast ausschließlich mit
dem Top-down-Ansatz gearbeitet wurde. Deutschland selbst
weist bislang noch keine Studie zu dieser Thematik auf.
Top-down oder Bottom-up?Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Es gibt zu viele beeinflussende Faktoren,
um eine klare Handlungsempfehlung aussprechen zu können.
Therapeuten sollten über beide Methoden informiert sein, individuell entscheiden und dabei ein gezieltes Clinical Reasoning
einbeziehen. Nur so kann eine qualitativ hochwertige patientenorientierte Physiotherapie erfolgen. Eine Mischform der beiden
Ansätze zu verwenden, kann durchaus sinnvoll sein.
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