Gehirn kommuniziert auf verschiedenen Kanälen

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Gehirn kommuniziert auf verschiedenen Kanälen | Max-Planck-Gesellschaft
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Kognitionsforschung . Neurobiologie
Gehirn kommuniziert auf verschiedenen Kanälen
Das menschliche Gehirn nutzt unterschiedliche Frequenzbänder für
den Informationsfluss zwischen niedrigeren und höheren Arealen
18. Januar 2016
Im Gehirn verarbeitet die Sehrinde– auch visueller Kortex genannt – Sehinformationen
und leitet diese von niedrigeren zu höheren Hirnarealen weiter. Es fließt aber auch
Information in die entgegengesetzte Richtung – um etwa Aufmerksamkeit auf
bestimmte Dinge zu lenken. Woher aber weiß das Gehirn welchen Kurs die jeweilige
Information einschlagen soll? Forscher des Frankfurter Ernst Strüngmann Instituts
(ESI) für Neurowissenschaften in Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft haben
nun am menschlichen Gehirn gezeigt, dass die Sehrinde unterschiedliche
Frequenzkanäle nutzt – je nach dem, in welche Richtung Information transportiert
wird. Die Erkenntnisse wurden nur möglich durch vorangegangene Experimente an
Rhesusmakaken. Sie sollen helfen, die Ursache psychiatrischer Erkrankungen
aufzuklären, bei denen die beiden Kanäle nicht richtig getrennt zu sein scheinen.
Das menschliche Gehirn "funkt" auf
verschiedenen Kanälen: Im Alpha-, Betaund Gamma-Kanal sind die
Nervenzellen mit unterschiedlicher Frequenz
aktiv. So können Informationen zwischen
Gehirngebieten ausgetauscht werden - und
das in jeweils entgegen gesetzter Richtung,
ohne dass sich die Informationsströme
miteinander vermischen.
© ESI/ G. Michalareas
Die Begriffe „Bottom-up“ und „Top-down“ bezeichnen Prozesse, mit denen das menschliche
Gehirn Informationen verarbeitet. „Auf das Sehsystem bezogen heißt Bottom-up: Augen auf –
Information rein. Die Information fließt gewissermaßen von unten nach oben", erklärt Pascal Fries
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vom Ernst Strüngmann Institut für Neurowissenschaften. Anders ausgedrückt: Was wir mit den
Augen wahrnehmen, wandert von niedrigeren zu höheren Gehirnarealen.
Sobald also eine Person ihre Umwelt betrachtet, werden die Eindrücke ständig nach dem Bottomup-Prinzip verarbeitet. Aber woher wissen wir, dass eine Information wichtiger ist als die andere?
Fries: "Dabei hilft uns das Prinzip Top-down. Das Gehirn benutzt bisherige Erfahrungen, um
Informationen in den gegenwärtigen Kontext einzuordnen und auf dieser Basis Vorhersagen zu
treffen.“ Top-down beeinflusst also den Bottom-up-Strom und steuert damit unsere
Aufmerksamkeit hin zu Dingen, die in der jeweiligen Situation wichtig sind. Das kann sowohl
unbewusst, beispielsweise gelenkt durch das plötzliche Auftauchen einer Gefahr, als auch bewusst
geschehen, wenn wir zum Beispiel etwas suchen oder Anweisungen folgen. "Viele Leistungen des
Gehirns lassen sich nur durch dieses Prinzip erklären", sagt Fries.
Damit das Top-down-Prinzip funktioniert, braucht das Gehirn Mechanismen, die Informationen
von höheren zu niedrigeren Gehirnarealen weiterleiten. Die anatomischen Verbindungen in der
Top-down Richtung sind schon lange bekannt, aber nicht, wie die Informationen über diese
Verbindungen geschickt werden.
Versuche an Affen bringen Forscher auf die richtige Spur
Rhesusmakaken brachten die Forscher um Fries auf die richtige Spur. Zunächst untersuchten sie
den bekannten Bottom-up-Strom im Gehirn der Tiere. Dieser nutzt ein gewisses Frequenzband
rhythmischer Nervenzellaktivität, das sogenannte Gamma-Band um die 60 Hertz. Information
wandert von "unten" nach "oben", indem die rhythmischen Aktivitätsschwingungen niederer
Gehirngebiete nach und nach den Rhythmus des nächsthöheren Areals beeinflussen.
Schließlich entdeckten die Neurowissenschaftler auch den Kanal für den Top-down-Strom: den
sogenannten Alpha- und Beta-Frequenzbereich, zwischen 10 und 20 Hertz. Sie konnten zeigen,
dass die hierarchisch angeordneten Gehirnareale der Sehrinde gewissermaßen einen anderen
Frequenzkanal benutzen, um Informationen von höheren zu niedrigeren Arealen zu schicken.
Im der nun vorliegenden Arbeit beschreiben die Forscher dieses Prinzip beim Menschen. "Wir
kannten die Rhythmen und wollten sie im menschlichen Gehirn suchen", erläutert Fries. Sie
benutzten dafür die sogenannte Magnetenzephalografie. Damit wird mit Hilfe äußerer Sensoren
die magnetische Aktivität des Gehirns aufgezeichnet, welche aus den elektrischen Strömen
aktiver Nervenzellen resultiert. Die Messungen erlauben Rückschlüsse auf die Aktivität
bestimmter Gehirnareale. "Die rohen Magnetenzephalografie-Daten vermischen allerdings die
Signale mehrerer Gehirnareale, die dann mit aufwendigen mathematischen Methoden so gut wie
möglich wieder getrennt werden müssen ", sagt Fries.
Große Ähnlichkeiten zwischen Menschen- und Affengehirn
Deshalb waren die Untersuchungen des Makakengehirns so wichtig, denn da Makaken ein dem
Menschen sehr ähnliches Gehirn besitzen, lassen sich daran gewonnene Erkenntnisse in vielen
Fällen auf den Menschen übertragen. Nur dank der Vorarbeiten mit den Tieren konnten die
Forscher die Magnetenzephalografie-Messungen richtig interpretieren.
In ihren Versuchen belegen die Forscher zum ersten Mal, dass auch das menschliche Gehirn
andere Frequenzbereiche für den Informationstransport von hierarchisch höheren zu niedrigeren
Arealen nutzt als den Gammafrequenzbereich des Bottom-up-Stroms. Darüber hinaus
beschreiben die Neurophysiologen beim menschlichen Gehirn die Hierarchie für zusätzliche
Areale, die teilweise nur beim Menschen vorkommen. Insgesamt beläuft sich die Anzahl der
untersuchten Hirnareale beim Menschen auf 26.
Die neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, die Ursachen psychiatrischer Erkrankungen besser zu
verstehen und eines Tages behandeln zu können. Denn bei manchen psychischen Erkrankungen
scheinen der Top-down- und Bottom-up-Strom durcheinander zu geraten. Es gibt Hinweise, dass
bei Menschen mit Schizophrenie der Top-down Strom nicht in normaler Weise mit dem Bottom-up
Strom interagiert. „Ein gesunder Mensch kann zwischen realen Sinneseindrücken und seiner in
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höheren Arealen entstehenden Interpretation gut unterscheiden. Er kann z.B. in einer Wolke die
Züge eines Gesichtes sehen ohne die Wolke für ein Gesicht zu halten. Beim schizophrenen
Patienten kann es dazu kommen, dass er das Gesucht für real hält und damit wohl die Top-down
vermittelte Interpretation für einen Bottom-up vermittelten Sinneseindruck hält“, erklärt Fries.
JD/HR
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