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Anmerkungen
Susanne Lin
1 "Der Begriff ,Stereotyp' findet seine Wurzel in den griechischen Wörtern ,stereos' und
,typos'. ,Stereos' wird mit ,starr, fest, ständig, unbeweglich' übersetzt; ,typos' bedeutet ,Muster,
Gattung, Modell, Abdruck, Spur, Eindruck, Finger'. Und diese sprachlichen Wurzeln prägen dann
auch die Bedeutung des Begriffs in der Alltagssprache, wo er aber vor allem in der Form des
Adjektives oder des Adverbes ,stereotyp' auftritt. Dem ,Sprachbrockhaus' zufolge, trägt
,stereotyp' in diesen Fällen die Bedeutung von ,feststehend, starr, abgedroschen' oder auch
übertragen: ,ständig (wiederkehrend), leer, abgedroschen; mit feststehender Schrift gedruckt'.
Das Substantiv ,Stereotyp' taucht im alltäglichen Sprachgebrauch kaum auf." Zitiert nach
GREDING 1994, S. 10.
2 Es existieren verschiedene Ansätze der Sozialpsychologie: Die psychologische (begründet
durch Lewin, Festinger, Schachter, Asch, Campbell und F.H. Allport), die soziologische
(begründet durch Mead, Goffman, French, Homans, Bales) und die dritte Variante, die
analytische Sozialpsychologie im Rahmen psychoanalytischer Theoriebildung (begründet durch
Fromm, Hall & Lindsey, Mitscherlich). Im folgenden ist, wenn ohne besondere
Kennzeichnung von Sozialpsychologie oder sozialpsychologischer Forschung gesprochen wird,
die psychologische Sozialpsychologie gemeint. In der Sozialpsychologie geht es wie in der
Psychologie generell um die Erklärung und Vorhersage menschlichen Verhaltens. Speziell dazu
befasst sich die Sozialpsychologie einerseits mit dem Individuum und intraindividuellen
Prozessen und andererseits mit der Rolle des sozialen (strukturellen) Kontextes für individuelle
Prozesse. Während sich die Persönlichkeitspsychologie primär mit der Frage beschäftigt, wie
bestimmte Eigenschaften erworben werden und wie sie das Verhalten des Individuums in
bestimmten sozialen Situationen beeinflussen, wird in der Sozialpsychologie nach dem Einfluß
gefragt, den die Charakteristiken der sozialen Situation - z.B. die Anwesenheit anderer innerhalb
einer Gruppe - auf das Verhalten der Mitglieder einer Gruppe haben.
3 Hier werden also überwiegend Theorien der analytischen Sozialpsychologie rezipiert.
4 "Die erste Monographie, in der der Begriff ,Stereotyp' auftritt, ist das 1922 erschienene
Werk ,Die öffentliche Meinung' von Walter Lippmann. (...) Lippmanns und somit die erste
sozialwissenschaftliche Begriffsfassung - war noch verschwommen und umfing viele
verschiedene Phänomene. ,Stereotyp' diente in seiner Betrachtung über die öffentliche Meinung
und ihre Entstehung und Wirkung als Bezeichnung für ein Geflecht von Einstellungen,
Meinungen und Überzeugungen, das die Wahrnehmungen des Individuums zu strukturieren und
selektiv zu steuern vermag." Aus: GREDING 1994, S. 10.
5 Dass Vorurteile sowohl positive als auch negative Zuschreibungen und Bewertungen enthalten,
Anmerkungen
1 von 15
wird in der Vorurteilsforschung nicht von allen Autoren geteilt. Da die Entstehungsbedingungen
und Funktionen sowohl von positiven als auch von negativen Zuschreibungen gleich sind,
erscheint eine Beschränkung auf negative Zuschreibungen nicht begründet.
6 Vgl. dazu in bezug auf nationale und ethnische Stereotypen: STROEBE 1980, S. 75:
"Eine der klassischen Untersuchungen nationaler und ethnischer Stereotype wurde 1932
von Katz und Braly (1933) an der Universität Princeton durchgeführt. Katz und Braly gaben
studentischen Versuchspersonen eine Liste mit 84 Eigenschaften, wie zum Beispiel fleißig,
intelligent, methodisch, aggressiv, faul, und forderten sie auf, für mehrere Nationalitäten und
Rassen (Amerikaner, Japaner, Engländer, Iren, Deutsche, Neger, Juden usw.) die fünf
passendsten Eigenschaften auszusuchen. Die Übereinstimmung war überraschend. So
beschrieben 78% der Versuchspersonen Deutsche als ,wissenschaftlich orientiert' (...), 65% als
,fleißig', 32% als ,intelligent' und 32% als ,methodisch'. Neger wurden von 84% der Studenten als
,abergläubisch' und von 75% als ,faul' bezeichnet. Auch anderen Nationalitäten und Rassen
wurden Eigenschaften mit überraschender Einheitlichkeit zugeordnet. (...) Die Untersuchung von
Katz und Braly wurde von Gilbert (1951) und von Karlins, Coffman und Walters (1969) mit
Studenten der Universität Princeton wiederholt. Die Ähnlichkeit der Ergebnisse der drei
Untersuchungen ist erstaunlich." 1982 wurden von Stapf, Stroebe und Jonas Befragungen
zum Deutschenbild amerikanischer Studenten durchgeführt. Auch hier war das
Deutschenstereotyp durch die zugeordneten Eigenschaften ,fleißig' und ,effizient' charakterisiert.
(Vgl. STAPF/STROEBE/JONAS 1986.)
7 Vgl. dazu STROEBE 1988, S. 502f. Insgesamt fußen die sozialpsychologischen Ausführungen
zur Stereotypen- und Vorurteilsforschung insbesondere auf Vorlesungen, Seminaren, Beiträgen
und Büchern von Prof. Dr. Wolfgang Stroebe, Tübingen.
8 W. Stroebe führt aus, daß neben diesen historischen Analysen, in denen möglicherweise auch
noch andere Veränderungen neben dem Anwachsen des Konfliktes für die Verstärkung der
Vorurteile verantwortlich gewesen sein können, es auch noch experimentelle Untersuchungen
gäbe, welche die Annahmen des konflikttheoretischen Ansatzes stärkten, so beispielsweise die
Untersuchungen von SHERIF 1967, s. STROEBE 1988, S. 505.
9 BROWN 1990, S. 405: "Der dramatische Anstieg des Antisemitismus der Hitler-Ära fand
innerhalb des Zeitraums von etwa einem Jahrzehnt statt - eine viel zu kurze Zeit, als daß sich in
einer ganzen Generation deutscher Familien neue Erziehungspraktiken hätten etablieren
können, die zu Autoritarismus und vorurteilsbeladenen Kindern hätten führen können."
10 Kollektive, politische Aggression erfordert nach Nolting darüber hinaus immer, daß ein
Zustand der Unzufriedenheit politisiert wird: Eine bestimmte politische Gruppe wird als der
Schuldige ausgemacht, der deshalb bekämpft werden muß. Dabei werden die
Ursachenzusammenhänge häufig vereinfacht. Vgl. NOLTING 1993, S. 169.
Anmerkungen
2 von 15
11 Dieses und die vorangehenden Zitate, s. ebd., S. 169.
12 Diesen psychoanalytischen Ansatzpunkt machen sich die von der Kritischen Theorie
beeinflußten Friedenspädagogen insofern zu eigen, als sie davon ausgehen, daß die
motivationalen Ursachen zwar in den Konflikten auf individueller Ebene begründet liegen, diese
jedoch durch die herrschenden gesellschaftlichen, unfriedlichen Zustände verursacht werden.
Nicht bedacht werden für die Entstehungserklärung von Stereotypen und Vorurteilen die soziallerntheoretischen, kognitiven und konflikttheoretischen Ansätze.
13 Tajfel und Wilkes führten 1963 ein Laboratoriums-Experiment durch, in dem die Länge von
acht Linien in Zentimetern geschätzt werden sollte, s. STROEBE 1980, S. 77: "Während
eine Kontrollgruppe die Linien ohne Überlagerung durch eine Kategorisierung beurteilte, wurden
in den Experimentalgruppen zwei Kategorisierungsbedingungen eingeführt. Bei systematischer
Kategorisierung wurden die vier kürzeren Linien mit dem Buchstaben ,A' gekennzeichnet, die 4
längeren Linien mit dem Buchstaben ,B'. (Zur Kontrolle wurde die Zuordnung für die Hälfte der
Versuchspersonen umgekehrt vorgenommen.) Zwischen der Kategorisierung und der
kontinuierlichen Variation auf der Urteilsdimension bestand also in dieser Bedingung eine völlig
konsistente und vorhersagbare Beziehung. Bei unsystematischer Kategorisierung wurden die
Buchstaben den Linienlängen zufallsmäßig zugeordnet. Vor Beginn der Beurteilungen wurde
allen Gruppen ihr gesamtes Reizmaterial dargeboten. Erwartungsgemäß führte nur die
systematische Kategorisierung zu einer Akzentuierung der Inter-Klassen-Unterschiede. In dieser
Bedingung wurde die Länge der mit ,A' gekennzeichneten Linien relativ zu den
Kontrollgruppenurteilen unterschätzt und die der mit ,B' bezeichneten Linien überschätzt.
Offensichtlich ,lernten' die Versuchspersonen den systematischen Zusammenhang zwischen
Kategorisierung und Reizvariation und benutzten die Kategorisierung als zusätzlichen Hinweis
bei ihren Urteilen."
14 S. STROEBE 1990, S. 420ff, und vgl. Ausführungen zum konflikttheoretischen Ansatz,
Teilkap. II.1.3.
15 Vgl. Leyens und Codols Ausführungen zur ,Gleichgewichtstheorie' in: LEYENS/CODOL 1990
S. 96/97.
16 Hier könnte der ,psychodynamische Ansatz' stärker berücksichtigt bzw. integriert werden,
den W. Stroebe aufgrund seiner problematischen empirischen Belegbarkeit nicht aufnimmt.
17 S. Erklärungsansätze für die Intergruppendiskriminierung in ,minimalen Gruppen', in:
STROEBE 1990, S. 416ff.
Anmerkungen
3 von 15
18 Greding nimmt in seine Begriffsfassung auf, daß Stereotypen nicht wahrheitsfähig seien.
(GREDING 1994, S. 18) Dieser Begriffsdefinition stimme ich zu. Sie werden aufgrund ihrer
Verallgemeinerungstendenz und der dementsprechenden Undifferenziertheit in der Regel weder
total verifiziert noch total falsifiziert werden können.
19 In diesem Zusammenhang scheint es mir sinnvoll zu sein, noch einmal nachdrücklich auf die
Veröffentlichung von GREDING 1994 hinzuweisen, da er sich zum Ziel setzt, eine
"grundsätzliche Klärung der Struktur und Funktion von Stereotypen" zu erarbeiten.
Greding erörtert (s. Vorwort), "ob und inwiefern unterschiedliche soziale Stereotypen
gegenüber verschiedenen sozialen Gruppen ... einen ihnen gemeinsamen Konstruktionstypus
sichtbar werden lassen, durch den sie in ihrem Aufbau geprägt sind und entlang dem die ihnen
spezifischen Aussagen angeordnet, zusammengebaut und verknüpft werden". Eben diese
Struktur in Stereotypen weist Greding gegenüber den Randgruppen von HIV-Infizierten und an
Aids erkrankten Personen, an homosexuellen Männern, an Juden und Schwarzen in den hier
offenbar konstitutiv angenommenen Bestandteilen auf: "Sie konzentrieren sich auf das
Sexualleben der Betroffenen, schreiben ihnen Lasterhaftigkeit zu, verurteilen sie mit Hilfe
religiöser Begriffe, streichen die ökonomischen Auswirkungen heraus, vergleichen sie mit
Dämonen oder Tieren, streichen ihre Gefährlichkeit heraus und beschwören die von ihnen
ausgehende gesellschaftliche Bedrohung, so daß diese Personengruppen als potentielle
Kriminelle stigmatisiert werden." Der medizinische Begriff der "Degeneration",
mit dem "Außenseiter und Randgruppen der Gesellschaft" als "Denkfigur der
,Entartung' stigmatisiert und kriminalisiert" wurden, fungierte ab der Mitte des 19.
Jahrhunderts als Schlüsselbegriff für "das Verständnis und den Umgang mit dem
Phänomen der Abweichung in der Gesellschaft". Die "Denkfigur der
,Degeneration'" wird laut dieser Untersuchung "zum Formationsmuster für sämtliche
Stereotypen gegenüber Randgruppen schlechthin".
20 Es lassen sich verschiedene, immer umfassendere Modelle in der Einstellungsforschung zur
Entstehung und Veränderung von Einstellungen voneinander unterscheiden. Bereits 1960
stellten Rosenberg und Hovland ein umfassendes Einstellungsstrukturmodell vor. Dabei wird eine
Einstellung als ein hypothetisches Konstrukt betrachtet, das zwischen beobachtbaren Reizen und
nachfolgendem Verhalten vermittelt. Im Dreikomponentenmodell von Rosenberg und Hovland das die Autoren als Strukturmodell für Einstellungen verstehen - wird von drei Reaktionsklassen
ausgegangen, einer affektiven, einer kognitiven und einer verhaltensmäßigen. Diese drei
Komponenten wurden zwar voneinander unterschieden, jede jedoch jeweils als konstitutiv für
eine Einstellung betrachtet. In der empirischen Einstellungsforschung, d.h. bei der Messung von
Einstellungen zu bestimmten Einstellungsobjekten, wird allerdings meistens ein eindimensionales
Konzept angewandt. Das eindimensionale Einstellungsmodell reduziert den Einstellungsbegriff
auf eine der o.g. Komponenten, und dem entspricht die Mehrzahl der klassischen Instrumente zur
Messung von Einstellungen entspricht, so beispielsweise die Likert-Skala, die Meinungen über
ein Einstellungsobjekt, also die kognitive Komponente, erfaßt, oder das semantische Differential,
das ausschließlich die affektive Komponente misst. Vgl. STAHLBERG/FREY 1990, S. 144ff.
21 STROEBE 1990, S. 167. Vgl. auch im folgenden S. 166-168.
Anmerkungen
4 von 15
22 Zu einer befriedigenden Bearbeitung dieses Problems ist ein umfassendes politisches
,Programm' notwendig, das hier nicht entwickelt werden kann. M.E. kann die Reduktion von
Vorurteilen und Diskriminierungen gegenüber Ausländern in Deutschland nur dadurch
vorangetrieben werden, daß die Bundesrepublik sich als (De facto-) Einwanderungsland versteht,
das dementsprechend seine Einwanderungsquoten festlegen kann. Hier ansässige ausländische
Mitbürger sollten Statusverbesserungen erhalten. Der politischen und wirtschaftlichen
Regulierung der großen gesellschaftlichen Konflikte, wie es Arbeitslosigkeit und ökonomische
Krisen sind, muß größte Wichtigkeit zugemessen werden. Medien, Schule und Unterricht
müssen über Stereotypen und Vorurteile ,aufklären'. Ziel von Erziehung sollte u.a. die
Wertschätzung eines jeden Menschen und die Internalisierung des Anspruchs eines jeden
Menschen auf Würde und körperliche Unversehrtheit sein. Darüber hinaus müsste eine
Erhöhung von Hemmschwellen in bezug auf die Gewaltanwendung gegenüber Menschen
geleistet werden.
23 Beispiel: ,Ausländer sind gewalttätiger als Deutsche'. Die differenzierte Antwort muß lauten:
Ja und nein. Ja, insofern der Ausländeranteil an Straftatverdächtigen 1992 laut Statistik dreimal
so hoch war wie der Anteil an der ausländischen Wohnbevölkerung. Nein, insofern als auch
eingereiste Ausländer, Angehörige der Stationierungsstreitkräfte, Touristen etc., die in die Zahl
der ausländischen Wohnbevölkerung nicht, in die Zahl der ausländischen Straftatverdächtigen
jedoch mit eingerechnet werden. Weitere Differenzierung: Der hohe Anteil an ausländischen
Straftatverdächtigen besteht bei Eigentums- und Rauschgiftdelikten.
24 S. dazu ,Ausländerfeindliche Argumente' aus GUGEL 19945, S. 23-25.
25 Vgl. in Teilkap. II.1.5.: Vorurteile/Einstellungen und Diskriminierungen/Verhalten.
26 Vgl. dazu die bereits von Gugel formulierte Forderung, "daß traditionelle Lernformen
ergänzt werden durch Schulprojekte und außerschulische Lernorte", in: GUGEL/JÄGER
1994, S. 254 und Klafkis Forderung nach klar unterscheidbaren Unterrichtsformen, in denen der
Projektunterricht konstitutiv berücksichtigt ist, vgl. KLAFKI 19965, S. 311. Diese Forderungen
sind - in natürlich immer noch zu optimierender Weise - bereits in die Schulpraxis eingegangen.
In dem Gymnasium, in dem ich zur Zeit unterrichte, werden die für jede Jahrgangsstufe
verbindlich durchzuführenden fächerverbindenden Themen grundsätzlich als Projekt
durchgeführt.
27 SCHISSLER 1991, S. 186. - Vielleicht sind Schüleraustausche unter dem Gesichtspunkt des
Abbaus von Vorurteilen bislang allerdings zu "naiv" angelegt worden.
28 Dies kann zum jetzigen Zeitpunkt im bestehenden baden-württembergischen Bildungsplan
Anmerkungen
5 von 15
ohne Probleme verwirklicht werden.
29 Vgl. dazu in Teilkap. II.1.10.: Politisch-gesellschaftliche Konsequenzen, insbesondere die
Statusprobleme
von
Ausländern,
die
mit
den
geltenden
Einbürgerungskriterien
zusammenhängen und in Teilkap. II.1.10.: Medienpolitische Konsequenzen.
30 Dies wird allerdings von Vertretern der Kritischen Friedensforschung offenbar unterschiedlich
beurteilt. H. Nicklas u.a. ordnen den Begriff ,organisierte Friedlosigkeit' - ähnlich wie ich - speziell
dem Ost-West-Konflikt zu. Heute treten - nach Nicklas - andere Formen der Gewalt in den
Vordergrund, beispielsweise der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, der eher regressive
Züge trage und nicht mit dem Instrument ,organisierte Friedlosigkeit' zu interpretieren sei (s.
NICKLAS 1995, S. 93). T. Batscheider hingegen bezieht sich auch 1993 noch auf die
Gesellschaftsanalyse von D. Senghaas, in der Senghaas Abschreckung nicht nur als militärische
Strategie, sondern als "Ausdruck eines gesellschaftlichen Gestaltungs- und
Ordnungsprinzips" begreift, das nach Batscheiders Ansicht auch heute noch gelte:
"Als Beleg für diese These können die immer neuen Legitimationsversuche für die
Existenz der NATO angesehen werden, nachdem sich ihre Gegnerin, die WVO, selbst aufgelöst
hatte. Die Zuordnung von Gewalt zu Politik wird auch dann nicht hinfällig, wenn der Ost-WestKonflikt, in dessen Bezugsrahmen Senghaas Analyse steht, sich auflöst." (BATSCHEIDER
1993, S. 70.) Batscheider hat hier m.E. die Konsequenzen des Endes des Ost-West-Konflikts für
die Annahmen Senghaas noch nicht genügend reflektiert. Senghaas selbst hat mittlerweile, wie
aus seinem neuen ,Zivilisierungsprojekt' ersichtlich, ein auffallend positives Verständnis von der
Organisation westlicher Staaten.
31 Die Reihung der Begriffe ,international, national/gesellschaftlich, kleingruppenspezifisch und
individuell' impliziert nicht, daß Struktur und Austrag der Konflikte auf diesen unterschiedlichen
Ebenen gleichen Ursprungs und gleicher Qualität sind.
32 Vgl. Kapitelbezeichnungen in: GUGEL/JÄGER 1994.
33 Die Friedensforschung, -pädagogik und -erziehungskonzeption wird von mir als ,kritisch'
bezeichnet, wenn die eigene friedensforscherische bzw. friedenspädagogische Eingebundenheit
in
gesellschaftliche
Gewaltverhältnisse
selbstkritisch
reflektiert
wird,
ein
auf
Gesellschaftsveränderung angelegtes praxeologisches Interesse im Sinne der Veränderung von
gewaltförmigen, gesellschaftlichen Strukturen erkennbar ist und von einem Zusammenhang
internationaler, nationaler/gesellschaftlicher und individueller Gewaltverhältnisse ausgegangen
werden kann. Kritische Friedensforschung, -pädagogik und -erziehung wird in diesem Sinne als
ab- und eingrenzender Eigenname verstanden und dementsprechend groß geschrieben.
Anmerkungen
6 von 15
34 Der Gewaltproblematik unter Jugendlichen wird sowohl von Gugel als auch von mir gesondert
nachgegangen. S. dazu GUGEL/JÄGER 1994 und im Kap. II. 3.3 dieser Arbeit: Gewalt und
Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen.
35 GUGEL 19913/5, S. 139; präziser: Gugel druckt in GUGEL 19913/5 Informationen und
Beiträge von anderen Autoren unter bestimmten inhaltlichen Stichpunkten ab, hier von
JAWORSKY 1980, S. 16 zum Thema: Funktion und Opfer von Vorurteilen.
36 Vgl. mit den Aussagen der kognitiven Theorien, Teilkap. II.1.6.
37 Vgl. dazu die Auseinandersetzung mit der psychodynamischen Theorie, speziell mit Adornos
,Theorie des autoritären Charakters' in Teilkap. II.1.5.
38 Vgl. mit den konflikttheoretischen Annahmen, Teilkap. II.1.3.
39 Gugel greift hierbei zurück auf MARKEFKA 1984 und LEIPRECHT 1988.
40 Vgl. Teilkap. II.1.4.
41 NICKLAS/OSTERMANN 1993. 1991 erscheint bereits ein Beitrag von Ostermann/Nicklas, der
zumindest zeitlich auf die weltgeschichtlichen Veränderungen Bezug nimmt und bereits neue
Aufgaben für die Friedenserziehung reflektiert. Auf ihn wird allerdings nicht ausführlich
eingegangen, da - im Gegensatz zu der Veröffentlichung NICKLAS/OSTERMANN 1993 keine
Neuorientierung erkennbar ist und er in den wesentlichen Aussagen mit dem kürzer gefaßten
Lexikonartikel ,Friedenserziehung', NICKLAS/OSTERMANN 1986 übereinstimmt. Vgl.:
OSTERMANN/NICKLAS 1991.
42 Eine Auseinandersetzung in bezug auf fundamentale konzeptionelle Probleme
friedenspädagogischer Theorie und ihrer Anwendung auf die politische Realität kommt zu kurz.
So wenig wie eine Problematisierung der ,kritischen' Friedenskonzepte zur Überwindung des
Kalten Krieges im Zusammenhang bzw. Nicht-Zusammenhang mit der tatsächlich erfolgten
Überwindung des Kalten Krieges erfolgte, so wenig wird die anhand der ,JugoslawienProblematik' (auch und gerade in der Friedensbewegung) aufgetauchte Frage nach einem
Anmerkungen
7 von 15
militärischen Eingreifen bzw. einer Militärintervention erörtert.
43 Dem psychoanalytischen Ansatz folgt auch die Veröffentlichung ,ARGUMENTE GEGEN DEN
HASS' 1993; Bd I: Bausteine für Lehrende in der politischen Bildung, Bd II: Textsammlung. Bd I
beschäftigt sich mit drei Themenblöcken: I. Vorurteil und Fremdenfeindlichkeit, II. ,Republikaner'
und Rechtsextremismus und III. Fakten gegen Vorurteile - Realität und Probleme der Migration.
In Themenblock I werden ebenso wie bei der Nicklas/Ostermann´schen Rezeption der
Vorurteilsforschung psychoanalytische Definitionen des Vorurteils zugrundelegt, z.B.: ",Von
anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken.' (Allport); (...) ,Vorurteil ist eine Form
von Feindseligkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen, die gegen ganze Gruppen oder
einzelne Glieder solcher Gruppen gerichtet ist. Für denjenigen, der das Vorurteil hegt, hat es eine
bestimmte irrationale Funktion.' (Ackermann/Jahoda)" (a.a.O., S. 23.) Dementsprechend
wird auf die "Zähigkeit des Vorurteils" aufgrund der persönlichkeitsspezifischen
Verankerung hingewiesen, auf den Zusammenhang zwischen "Vorurteil, Autorität und
Gehorsam" (a.a.O., S. 33.) Es wird - aufbauend auf Adornos ,klassischer Studie' - alles
reproduziert, was aus psychodynamischer Sicht die Negativbewertung des Vorurteils und des
Charakters unterstützt, der sich dessen bedient. Z.B.: "Ein Vorurteil kommt selten allein,
wer etwas gegen Türken hat, mag in der Regel auch die Zigeuner nicht, geht davon aus, daß die
Deutschen sauberer und fleißiger sind als der Rest der Welt, und hält auch Abweichungen von
der klassischen Rollenteilung zwischen Mann und Frau letztlich für unnatürlich. (...)"
(a.a.O., S. 33)
44 SCHMIDHÄUSER 1988, S. 360. Das Wort ,sozial-deformierte' Menschen stammt von mir, nicht
von Schmidhäuser; es soll deutlich machen, was für ein Menschenbild ,vorurteilhaften
Menschen' zugewiesen wird.
45 OSTERMANN/NICKLAS 1976. NICKLAS/OSTERMANN 1976 haben darüber hinaus auf den
Seiten 145-152 Lernzielkataloge für die Bereiche Internationales System, Gesellschaft,
Individuum zusammengestellt. Für den individuellen Bereich benennen sie die
Lernzielzusammenhänge Vorurteil, nationale Stereotypen und internationale Solidarität, FreundFeindbilder und Aggression. Den Lernzielzusammenhang Vorurteil auf der Analyseebene des
,Individuums' bestimmen sie u.a. folgendermaßen: "Einsehen, daß sich hinter Intoleranz
gegenüber anderen häufig die eigene Unsicherheit und ein Gefühl der Bedrohung durch den
anderen verbirgt. (...) Erkennen, daß Schwächen und Fehler bei dem anderen dann besonders
genau gesehen und scharf verurteilt werden, wenn man selber von diesen Fehlern nicht frei ist.
Lernen, daß man die Ursachen für Vorurteile zuerst bei sich selber suchen muß und nicht beim
anderen."
46 Vgl. das mit dieser Annahme übereinstimmende Einstellungsstrukturmodell von Rosenberg
und Hovland, Teilkap. II.1.9. ,Konativ' bedeutet hier soviel wie ,verhaltensorientiert'.
47 Nach Fishbein und Ajzen ist die Verhaltensbestimmung und -vorhersage differenzierter zu
Anmerkungen
8 von 15
bestimmen; der Schluss, dass Menschen sich einfach ihren Einstellungen bzw. Vorurteilen
gemäß verhalten, ist so nicht zulässig. Vgl. dazu die Ausführungen in Teilkap. II.1.9.
,Vorurteile/Einstellungen und Diskriminierungen/Verhalten'.
48 OSTERMANN/NICKLAS 1976, Vorwort, S. VI/VII. Das zitierte - auf Adorno zurückgehende Vorurteil der eigenen Vorurteilslosigkeit ist kein Vorurteil...
49 Gegen diese Nicht-Veränderbarkeit von Vorurteilen läßt sich mit Ruedi Brassel-Moser die
interessante Argumentation, der hier allerdings nicht weiter gefolgt werden kann, von Bernd Estel
verwenden, welcher Vorurteile eben gerade "unter dem Gesichtspunkt von mit Erfolg
attackierten (..) Urteilen" analysiert. Vorurteile werden hier als "erfolgreich kritisierbare
soziale Urteile" bezeichnet. Dieser Prozeß sei als ein Reflex auf gesellschaftlichen Wandel
zu verstehen. "Mit diesem Prozeß der Modernisierung ist somit ein Schwund an sozialer
Gewissheit zu konstatieren. Diese war jedoch in der traditionalen Gesellschaft Grundlage
unbestrittener sozialer Urteile gewesen. In den modernen westlichen Gesellschaften gelingt es
nun nicht mehr, eine ähnliche Verbindlichkeit zu etablieren. (...) Die früher unhinterfragten
sozialen Urteile verlieren ihre selbstverständliche und geteilte Geltung und werden - weil nun
bestreitbar und bestritten - zu Vorurteilen. (...) Als Beispiel verweist Estel auf die Veränderung
der sozialen Beurteilung der Rolle der Frau. Noch im letzten Jahrhundert sei die Auffassung, die
Frau gehöre ,ins Haus', ein allgemein geteiltes Urteil gewesen und weitgehend unhinterfragt
geblieben. Heute jedoch werde eine solche Vorstellung vorwiegend als Vorurteil
identifiziert." Aus: BRASSEL-MOSER 1989, S. 33/35.
50 OSTERMANN/NICKLAS 1976, S. 5. Wegen des unpassenden Beispiels, das auf nicht
vergleichbaren Sachverhalten beruht, verzichte ich auf den Nachweis der Unlogik!
51 Vgl. OSTERMANN/NICKLAS 1976, S. 8. Dieser Interpretation entspräche innerhalb der
psychodynamischen Annahmen die ,Sündenbocktheorie' auf dem Hintergrund der FrustrationsAggressions-Hypothese, deren Gültigkeit allerdings von Nolting eingeschränkt wird.
52 Vgl. die ,Darstellung des psychodynamischen Ansatzes' in den sozialpsychologischen
Ausführungen und die an diesem Ansatz geäußerte Kritik, speziell die Pettigrew´schen
Untersuchungen in Teilkap. II.1.5. Auch Gugel teilt in seiner tabellarischen Auflistung der
Entstehungsbedingungen von Vorurteilen die Kritik an der Rückführung der ,Vorurteilhaftigkeit'
auf rein erzieherisch-personale Bedingungen, s. Teilkap. II.2.
53 OSTERMANN 1988, S. 459. Ostermann stellt auf S. 459 ein dementsprechendes MitscherlichZitat vor die neue Vorurteils-Definition: "Der Gewinn, den ein geteiltes Vorurteil abwirft, liegt
darin, daß wir in konformem Verhalten mit der Gruppe auch ihre spezifischen Erleichterungen
Anmerkungen
9 von 15
mitgenießen dürfen. Wir dürfen mit den Wölfen heulen, wir dürfen nach Vorurteilen agieren,
mithandeln und unsere eigene Triebspannung damit erleichtern. Die Ablenkung der
Triebspannung nach außen, auf Minoritätsgruppen, ist gleichsam der ökonomische Trick zur
Erhaltung des Gruppengleichgewichts."
54 OSTERMANN 1988, S. 461/462. Wieso in kritisch-friedenspädagogischer Sicht trotz dieser
gerade dargestellten, rein lerntheoretischen Erklärung für die Übernahme von Stereotypen und
Vorurteilen schon im Kindesalter letztlich ,defizitäre Prozesse' angenommen werden, leuchtet
m.E. nicht ein.
55 Vgl. GUGEL 19913/5, S. 139. Auch Gugel nimmt als ,psychologische Mechanismen', die
innerpsychisch für die Entstehung von Vorurteilen verantwortlich sind, die drei oben genannten
an.
56 Vorurteile sind jedoch kein ,fremdenspezifisches' Phänomen. Genauso gibt es Vorurteile
gegenüber Frauen etc.; Vorurteile, die ihren Ausgangspunkt nicht in der fremden Nationalität
haben.
57 Auf die unterschiedlichen Konzeptionen einer multikulturellen Gesellschaft kann an dieser
Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. dazu: GUGEL 19913/5, S. 145ff.; GUGEL 1993, S. 242253; OSTERMANN 1991.
58 Vgl. dazu Teilkap. II.1.10.
59 Auf die verschiedenen Konzeptionen und Probleme interkultureller Erziehung kann an dieser
Stelle nicht eingegangen werden. Ich verweise dazu auf (1) GUGEL/JÄGER: Friedenserziehung
und Interkulturelles Lernen, in: GUGEL/JÄGER 1994, S. 51-53; (2) AUERNHEIMER 1995; (3)
BRUMLIK 1992. (4) Seit Januar 1993 erscheint in der Zeitschrift ,PÄDAGOGIK' unter der
Betreuung von Dr. Lutz van Dijk die regelmäßige Rubrik ,INTERKULTURELL', die
Erfahrungsberichte über Unterricht und Schulleben sowie Forschungs- und Tagungsergebnisse
zu Problemen rassistischer Gewalt etc. vorstellt. (5) BOMMES/RADTKE 1993.
60 GUGEL/JÄGER: Friedenserziehung und Interkulturelles Lernen, in: GUGEL/JÄGER 1994, S.
51. - Vgl. dazu auch aus der Empfehlung Nr. 78 ,Kulturelle Bildung', verabschiedet von der 43.
Internationalen Erziehungskonferenz der UNESCO im September 1992, UNESCO heute, extra,
1992/1993, S. 370:"Interkulturelle/multikulturelle Bildung bezeichnet einen Typ von Bildung,
Anmerkungen
10 von 15
der für Lernende innerhalb und außerhalb der Schule angelegt ist und die Achtung vor der
kulturellen Vielfalt, das gegenseitige Verständnis und den Sinn für kulturelle Bereicherung
fördern soll. (...) In allen Lernbereichen sollen Lehrpläne, Kurse und Veranstaltungen entwickelt
werden, die den Respekt für die kulturelle Unterschiedlichkeit fördern und das Verständnis für
Kulturen verschiedener Bevölkerungsgruppen vermitteln."
61 Das Folgende entspricht den konflikttheoretischen Ausführungen im Teilkap. II.1.3. zur
Entstehung von Vorurteilen. Der konflikttheoretische Ansatz wird hier noch einmal insbesondere
in bezug auf das Verhalten in Gruppenprozessen dargestellt.
62 Vgl. Einführung in die sozialpsychologische Vorurteilsforschung, Teilkap. II.1.
63 Vgl. BROWN 1990, S. 426, Tabelle 16.2. ,Reaktionen auf eine negative, soziale Identität'.
64 Vgl. Teilkap. II.1. Sozialpsychologische Vorurteilsforschung.
65 NICKLAS/OSTERMANN 1994, S. 13. Dies ist den vorausgehenden Beiträgen Ostermanns
allerdings nicht zu entnehmen.
66 In diesem Zusammenhang relativieren Nicklas/Ostermann den Erklärungswert von Adornos
"authoritarian personality" (!), da dieser Charaktertypus offensichtlich "gebunden
(war, d.V.) an die spezifische Situation des Wilhelminischen Reiches und die Nazizeit.
Sozialstruktureller Wandel und signifikante Veränderungen im Erziehungsstil, insbesondere nach
1968, haben, wie die Sozialisationsforschung zeigt, eher narzißtische Persönlichkeitsmerkmale
in den Vordergrund treten lassen." (NICKLAS/OSTERMANN 1994, S. 7)
67 GUGEL/JÄGER 1994, S. 124/125, stellen letztlich fünf verschiedene Ansätze zur Erklärung
jugendlichen, gewalttätigen Rechtsextremismus' dar, die sich aber mit den von
NICKLAS/OSTERMANN 1994 dargestellten in Übereinstimmung bringen lassen: "Bei der
Suche nach den Ursachen für die Übernahme rechtsextremer Orientierungsmuster werden in der
Wissenschaft und Politik verschiedene Hypothesen diskutiert. Als eine der wesentlichsten
Ursachen wird dabei der sich vollziehende globale Wandel der Gesellschaft (Modernisierung) mit
seinen Konsequenzen für das Individuum (u.a. Notwendigkeit der Mobilität, Individualisierung)
gesehen. Neben dieser grundlegenden Annahme gibt es weitere Erklärungsmuster, die sich an
verschiedenen Problembereichen von Gesellschaft und Politik orientieren. Gesellschaftskritische
Erklärungsansätze gehen davon aus, daß rechtsextreme Orientierungen bei Jugendlichen die
Anmerkungen
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aktuelle Ausprägung jugendlichen Protestverhaltens sind (...). Ein eher ökonomisch orientierter
Erklärungsversuch greift die Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen insbesondere in
den Bereichen Arbeit und Wohnen auf. Die starken Konkurrenzbeziehungen im Arbeitsleben
werden dabei insbesondere im Verhältnis zu den Fremden gesehen. Die Differenz zwischen dem
eigenen Anspruchsniveau und den tatsächlichen Möglichkeiten, dieses zu erreichen, erzeugt
Unzufriedenheiten, die sich gegen die (vermeintlichen) Verursacher bzw. Nutznießer der eigenen
Misere wenden. Ein eher politischer Erklärungsversuch stellt den Vertrauensverlust der
politischen Parteien und Funktionsträger in den Mittelpunkt der Betrachtung. Gesellschaftliche
und politische Probleme werden nicht (mehr) zufriedenstellend angegangen und gelöst.
Jugendliche wenden sich von dieser ritualisierten Art der Politik ab und suchen radikale
Alternativen. Der historische Erklärungsversuch bemängelt die unzureichende Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit. (...)".
68 Die Rolle der Medien wird von NICKLAS/OSTERMANN 1994, vgl. S. 19ff, sehr kritisch
beurteilt und zwar dahingehend, dass diese eine unterstützende Funktion für die
fremdenfeindlichen Gewalttaten haben. Diese wurden einerseits hochstilisiert in Sinne einer
Renaissance des Rechtsextremismus und Neonazismus in Deutschland und gaben andererseits
publikumswirksame Beispiele im Sinne von Vorbildern für weitere Gewalttaten ab. Als Beleg
dafür kann angeführt werden, daß die Zahl fremdenfeindlicher Ausschreitungen nach den
Straftaten massiv anstieg, beispielsweise in Hoyerswerda und Rostock, die als spektakuläres
Ereignis in den Medien dargestellt wurden.
69 WILLEMS 1993, S. 99 selber gibt leicht differierende Zahlen: "... über 70 Prozent der
ermittelten Tatverdächtigen sind jünger als 20 Jahre und mehr als 35 Prozent sogar jünger als
18 Jahre."
70 Vgl. WILLEMS 1993, S. 99. Willems sagt, daß "eine Dominanz defizitärer
Familienstrukturen, sozialer Problemlagen wie erhöhte Arbeitslosigkeit oder fehlender
schulischer Abschluß (...) nur für eine Teilgruppe der Täter gefunden werden" konnte. Es
handle sich um relativ normale Jugendliche bis auf die im folgenden erwähnten Abweichungen.
71 NICKLAS/OSTERMANN 1994, S. 23. Nach WILLEMS 1993, S. 99 unterscheiden sie sich
hinsichtlich "der politisch-ideologischen Orientierung, hinsichtlich der grundsätzlichen
Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit, aber auch hinsichtlich biographischer Erfahrungen
sowie schulischer und beruflicher Erfolge".
72 WILLEMS 1993, S. 100-102. Willems benennt die Typen mit Typ 1, 2, 3, 4 in umgekehrter
Reihenfolge.
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73 NICKLAS/OSTERMANN 1994, S. 54. Vgl. hierzu den hervorragenden Beitrag von
KOWALSKY 1993. Kowalsky schildert differenziert die verschiedenen Anti-RechtsextremismusStrategien, ihre Vertreter und vor allem die Gründe der Ineffizienz der verschiedenen Strategien.
Er benennt als solche (1) die ,Antifaschismus-Strategie', (2) das linke und rechte Lager der
,Aufarbeitungsstrategie',
(3)
die
,Repressionsstrategie',
(4)
die
,Psychobzw.
Ausgrenzungsstrategie', (5) die ,Aufklärungsstrategie', (6) die ,Antikapitalismusstrategie', (7) die
,Antirassismusstrategie' und (8) die Antinationalismusstrategie. Kowalsky kommt zu dem Schluß,
daß heutiges antirechtsextremistisches Denken und Handeln weitgehend von der AntifaschismusStrategie der 30er Jahre geleitet sei und deshalb an den heutigen Herausforderungen
vorbeigehe, da der heutige Rechtsextremismus ein Phänomen der Moderne, erwachsen aus
dem Kern hochentwickelter Industriegesellschaften und deshalb ein Resultat vielschichtiger sozialer, beruflicher, familiärer, schulischer etc. - Desintegrations- und Auflösungsprozesse eines
umfassenden Modernisierungsprozesses sei.
74 HEITMEYER 1993. Dieser Artikel bezieht sich bereits auf Heitmeyers empirische
Untersuchungen in HEITMEYER 1992.
75 WILLEMS 1993, S. 103/104 beurteilt das Desintegrationstheorem differenzierend
dahingehend, dass mit diesem "sozial-strukturellen Erklärungsmuster" alle die
unterschiedlichen Handlungsweisen der einzelnen Individuen nicht erfaßt werden können. Bei
der Erklärung fremdenfeindlicher Prozesse hält er neben "Deklassierungs- und
Desintegrationserfahrungen"
"vor
allem
Vorstellungen
einer
ungerechten
Benachteiligung der Deutschen und einer illegitimen Privilegierung der Asylbewerber" für
ausschlaggebend. Ähnlich nimmt er auch zur Beck´schen ,Individualisierungsthese' Stellung. Auch
hier veranschlagt er eine Vielfalt von menschlichen Verhaltensmöglichkeiten, mit denen auf die
aus
der
Individualisierungstendenz
moderner
Gesellschaften
erwachsenden
Orientierungsprobleme etc. reagiert werden kann.
76 Vgl. Heitmeyers Gesellschafts- und Institutionenkritik HEITMEYER 1994. Im Heitmeyer´schen
Sinne beurteilen auch Hans-Uwe Otto und Roland Merten die rechtsradikale Gewalt:
Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland: Jugend im Kontext von Gewalt, Rassismus
und Rechtsextremismus, in: OTTO/MERTEN 1993, S.13-34.
77 RAJEWSKI/SCHMITZ 1992. Auch BUTTERWEGE 1995 hält Heitmeyers RechtsextremismusDefinition für unzureichend, da das politische Bewusstsein unberücksichtigt bliebe.
78 RAJEWSKI/WELKERLING 1995, S. 324. M.E. stellen Rajewski und Welkerling richtigerweise
dar, dass "die Weigerung der europäischen Politik, die weltweiten Fluchtbewegungen als
eine globale Friedensaufgabe zu behandeln, (...) eine menschenrechtskonforme Lösung
insbesondere durch die Länder (verhindert, d.V.), die dies aufgrund ihrer ökonomischen,
politischen
und
ideologischen
Ressourcen
am
ehesten
könnten"
(RAJEWSKI/WELKERLING 1995, S. 325). Würde die "Migration nach Deutschland und
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nach Europa insgesamt als Teil der weltweit erzwungenen Wanderungsbewegungen gesehen
und als Ausdruck von wachsender Verflechtung zwischen Herkunfts- und Einwanderungsländern
innerhalb eines sich integrierenden Weltmarktes erkannt, gelänge der Politik auch eine
realistische Lageeinschätzung. Sie würde mittel- und langfristig der Fremdenfeindlichkeit den
Boden entziehen" (RAJEWSKI/WELKERLING 1995, S. 325/326).
79 Zur Übersicht aus GUGEL/JÄGER 1994, S. 118: "Rechtsextreme Parteien sind in einer
wachsenden Zahl von Ländern Europas in den Parlamenten vertreten und stellen seit 1989
Abgeordnete im Europäischen Parlament. VertreterInnen von NPD, der DVU und den REPs
sitzen in verschiedenen Landtagen und in vielen Kommunalparlamenten der BRD. Politisches
Profil dieser Parteien: ,Deutschland den Deutschen', ,Ausländer raus'. Ende 1993 gab es in der
BRD 80 rechtsextreme Organisationen und sonstige Zusammenschlüsse. Insgesamt gehörten
ihnen ca. 60.000 Menschen an. Die meisten organisierten Rechtsextremisten gehören zu einigen
wenigen mitgliederstarken Parteien wie den REP und der DVU. Ca. 1400 Personen werden
nationalsozialistischen Gruppierungen zugerechnet, darüberhinaus wird von mehreren tausend
rechtsextrem orientierten Skinheads ausgegangen."
80 GUGEL/JÄGER 1994, S. 132. Auf diesen Unterschied hebt auch BUTTERWEGE 1995 ab, der
die Ausschreitungen allerdings als Protest wertet. Er unterscheidet den 68er und den 90er
Jugendprotest dahingehend, daß die heutigen Protestler nicht gegen den Staat rebellieren und
von daher das Gewaltmonopol des Staates nicht herausgefordert sei. ,Rechter Terror' richte sich
nämlich in der Regel gegen Menschen, die keine Staatsbürger sind. Jenen gegenüber sollen
Abwehrreaktionen des Staates erzwungen werden.
81 Daten der Anschläge: September 1991 bis zum Mai 1993; Verabschiedung des
Asylkompromisses: Mai 1993; Zahlen der in Deutschland eingetroffenen Asylbewerber: Von 1988
von 103.000 jährlich bis 1992 auf 438.000 steigend. Genauer: Die Zahlen der in Deutschland
eingetroffenen Asylbewerber beliefen sich 1988 auf 103.000, 1989 auf 121.000, 1990 auf
193.000, 1991 auf 256.000, 1992 auf 438.000, 1993 auf 323.000, 1994 auf 127.000, 1995 auf
128.000. Quelle: Index Funk 3714, abgedruckt in: Schwarzwälder Bote, 162. Jhrg., Nr. 112,
15./16. Mai 1996, S. 1. Die Zahl der Mitgliedschaften in rechtsextremen Gruppen, unter Abzug
von Mehrfachmitgliedschaften, beläuft sich von 64.500 (1993) über 56.6000 (1994) auf 46.100
(1995). Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten ist 1995 allerdings von 5400 auf 6200
angestiegen. Die mutmaßlich von Rechtsextremisten verübten Straftaten belaufen sich auf 7896,
die Gewalttaten sind von 1489 (1994) auf 837 (1995) abgesunken. Aus: FAZ, 25.05.96, S. 1/2.
82 Die ,Täterfrage', den Anschlag von Lübeck betreffend, ist nicht geklärt.
83 Vgl. dazu auch VON HENTIG 1993.
Anmerkungen
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© 2002, Susanne Lin
Überarbeitete Fassung aus:
Susanne Lin: Vorurteile überwinden - eine friedenspädagogische Aufgabe. Grundlegung und
Darstellung einer Unterrichtseinheit. Beltz-Verlag, Weinheim und Basel 1999, S. 29 - 138.
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