Röntgendiffraktometrie David Rafaja, Institut für Werkstoffwissenschaft, Technische Universität Bergakademie Freiberg Im Jahre 1912 haben in München Walter Friedrich und Paul Knipping nach den theoretischen Überlegungen von Prof. Max von Laue die ersten Beugungsexperimente mit Röntgenstrahlen durchgeführt und dabei durch die Interferenz der am Kristallgitter gebeugten Röntgenstrahlen ihre Wellennatur nachgewiesen. Damit wurden die Grundlagen der Röntgendiffraktometrie geschaffen – einer äußerst leistungsfähigen experimentellen Methode, die heutzutage in vielen Bereichen der Wissenschaft von der Physik, über die Materialwissenschaft, Werkstofftechnik, Mineralogie und Chemie bis zur Strukturbiologie Anwendung findet. Insbesondere die mathematische Beschreibung der Beugungseffekte durch die Reflexion von Röntgenstrahlen an aufeinanderfolgenden parallelen (Netz)ebenen, die im Jahre 1913 von William Lawrence Bragg und seinem Vater Prof. William Henry Bragg publiziert wurde, hat der Röntgendiffraktometrie dazu verholfen, dass sie sich zu einer prominenten und zum Teil einzigartigen Technik entwickelt, die heutzutage standardmäßig für Kristallstrukturanalyse, Phasenanalyse, Realstrukturanalyse und Mikrostrukturanalyse verwendet wird. Obwohl die Röntgendiffraktometrie zu den etablierten experimentellen Methoden der Mikrostrukturanalytik gehört und obwohl die Röntgenbeugungsmethoden nach mehr als 100 Jahren seit der Entdeckung der Röntgenbeugung in vielen Anwendungsbereichen durch die Bereitstellung von automatischen Auswertungsroutinen mehr als ausreichend popularisiert wurden, besteht immer noch Bedarf an der Weiterentwicklung der Röntgendiffraktometrie als einer Methode für eine profunde und statistisch relevante Materialanalyse mit der Auflösung auf atomarer Skala. In diesem Kapitel werden vor allem aktuelle Methoden der Röntgendiffraktometrie an nanokristallinen und defektreichen kristallinen Materialien sowie an Werkstoffen mit ausgeprägten mikroskopischen und makroskopischen Spannungsfeldern behandelt, wobei ihre Kristallanisotropie sowie der Einfluss der Kristallanisotropie auf die beobachteten Beugungsphänomene immer wieder betont werden. Die beschriebenen Methoden der Röntgendiffraktometrie werden dennoch auf die kohärente (Braggsche) Streuung der Röntgenstrahlen fokussiert. Die diffuse Streuung, die z.B. beim „total scattering“-Ansatz [1], [2] mit der kohärenten Streuung gleichberechtigt behandelt wird, wird hier nur am Rande betrachtet. 1 Wechselwirkung der Röntgenstrahlen mit der Materie 1.1 Elastische Streuung der Röntgenstrahlen an Elektronen Die Röntgenstrahlen sind elektromagnetische Wellen mit der Wellenlänge zwischen ungefähr 5 Å 1 und 0.1 Å. Im Kontakt mit Materie werden sie sowohl elastisch als auch inelastisch gestreut, wobei die elastische Streuung der Röntgenstrahlen an Elektronen für die Röntgendiffraktion der wichtigste elementare 1 -10 1 Å (Ångström) = 10 m = 0,1 nm. 1 Streuprozess ist. Das Streuvermögen eines im Atom zum Atomkern gebundenen Elektrons kann mit Hilfe der Bewegungsgleichung m d 2r dr + γ + mω0 r = eE0 exp(− iωt ) 2 dt dt (1.1) beschrieben werden [3], [4]. In Gleichung (1.1) steht r für die Auslenkung, m für die Masse, e für die Ladung 2, ω0 für die Eigenfrequenz und γ für die Dämpfung des Elektrons; E0 ist die Amplitude und ω die Kreisfrequenz des elektromagnetischen Feldes (in Form von Röntgenstrahlen). Es wird angenommen, dass sich das schwingende Elektron in der Nähe des Ursprungs des Koordinatensystems befindet und dass die Amplitude der Schwingungen des Elektrons ausreichend klein ist, sodass der ortsabhängige Teil der Phase der elektromagnetischen harmonischen Welle, k 0 ⋅ R0 , in der vollständigen Beschreibung der Amplitude des elektrischen Feldes, [( )] E = E0 ex pi k 0 ⋅ R0 − ωt , (1.2) vernachlässigt werden kann. Die Lösung der Gleichung (1.1) kann in der Form r= eE0 exp(− iωt ) m ω02 − ω 2 + iωγ (1.3) ) ( geschrieben werden. Das oszillierende Elektron verhält sich wie ein elektrischer Dipol mit der Amplitude e 2 E0 exp(− iωt ) er = m ω02 − ω 2 + iωγ (1.4) ) ( und strahlt einen Teil seiner Energie in Form einer Kugelwelle wieder aus. Die elektrische Feldstärke des ( ) Dipols ergibt sich aus seiner Amplitude [s. Gleichung (1.3)], die mit dem Faktor ω 2 sin ϑ c 2 R multipliziert wird: Ed = e 2 E0 exp(− iωt ) ( ) ⋅ ω2 m ω02 − ω 2 + iωγ c 2 R sin ϑ . (1.5) In der Gleichung (1.5) bezeichnet c die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, R den Abstand vom Dipol und ϑ den Winkel zwischen der Auslenkung des Elektrons ( r ) und der Beobachtungsrichtung R (Abb. 1). Der Sinus des ϑ-Winkels beschreibt die Abstrahlcharakteristik des Dipols. Das elektrische Feld eines freien Elektrons kann aus der Gleichung (1.5) für γ = 0 (keine Dämpfung) und ω0 = 0 (keine Bindung zum Atomkern) hergeleitet werden: E 2 FE d e2 = − 2 ⋅ E0 exp(− iωt ) ⋅ sin ϑ . mc R Die Ruhemasse und die Ladung des Elektrons sind m = 9,10956 × 10 2 −31 kg und e = 1,60219 × 10 (1.6) −19 C. Abbildung 1: Abstrahlcharakteristik eines im externen elektromagnetischen Feld schwingenden Elektrons. Die Ausbreitungsrichtung der Primärwelle ist durch den horizontalen Balken, das Elektron durch den Punkt in der Mitte des Bildes dargestellt. Der Vektor r bezeichnet die Auslenkung des Elektrons, der Vektor R die Richtung der gestreuten Welle. Das Minuszeichen im Vorfaktor auf der linken Seite der Gleichung (1.6) bedeutet, dass die Phase der gestreuten Welle um π gegenüber der Primärwelle verschoben ist: exp(− iωt + π ) = − exp(− iωt ) . (1.7) ( ) Der Faktor e 2 mc 2 = 2.81794 × 10 −15 m in der Gleichung (1.6) entspricht dem klassischen Elektronenradius. Vergleicht man die Amplituden des elektrischen Feldes, das von einem gebundenen und von einem freien oszillierenden Elektron ausgestrahlt wird, ( ) Ed mω 2 ω02 − ω 2 ω 3γ , = − i ⋅ 2 EdFE m 2 ω02 − ω 2 2 + ω 2γ 2 m 2 ω02 − ω 2 + ω 2γ 2 ( ) ( ) (1.8) sieht man, dass sich das Verhältnis der Amplituden in der Nähe der Eigenfrequenz stark verändert. Der reelle Teil der Gleichung (1.8) beschreibt die anomale Streuung, der imaginäre Teil die anomale Absorption. Die anomalen Streueffekte werden bei manchen Röntgenbeugungsexperimenten am Synchrotron genutzt, um den Streukontrast zwischen chemischen Elementen mit ähnlichen Atomzahlen zu erhöhen [5]. Die Intensität der elastisch gestreuten Welle lässt sich aus der Gleichung (1.5) durch I = Ed* ⋅ Ed = Ed 2 (1.9) berechnen. Das Symbol Ed* bezeichnet den konjugierten Wert der komplexen Amplitude Ed . Um die Abhängigkeit der Intensität vom Beugungswinkel 3 vollständig beschreiben zu können, ist es günstig, die Amplitude des elektrischen Feldes der Primärwelle E0 in ihre Komponenten zu zerlegen. Bewegt sich der Detektor in der horizontalen Ebene um den Dipol, gilt für die horizontale Komponente der Primär3 Der Beugungswinkel (2θ) wird als der Winkel zwischen dem Primärstrahl und dem diffraktierten Strahl definiert, vgl. Abb. 2. 3 welle ϑ = π/2 – 2θ (Abb. 2a) und für die vertikale Komponente der Primärwelle ϑ = π/2 (Abb. 2b). Daher ändert sich die horizontale Komponente der gestreuten Intensität mit dem Beugungswinkel als I = || d 2 e 4 E0|| ( m ω −ω 2 2 0 ) 2 2 +ω γ 2 2 ⋅ ω4 4 c R 2 ⋅ cos 2 2θ , (1.10) während die vertikale Komponente der gestreuten Intensität konstant bleibt: I d⊥ = 2 e 4 E0⊥ ( m 2 ω02 − ω 2 ) 2 ⋅ ω4 4 2 + ω 2γ 2 c R . (1.11) Abbildung 2: Erläuterung des Polarisationsfaktors für eine horizontal (a) und vertikal (b) polarisierte Primärwelle. Der Detektor bewegt sich in dieser Darstellung nur in der horizontalen Ebene. Die gesamte Intensität ergibt sich als gewichtete Summe von I d|| und I d⊥ , wobei die Gewichtung das Verhältnis zwischen Ed|| 2 2 und Ed⊥ , und daher auch die Polarisation der Primärwelle widerspiegelt: I d = K1 I d|| + K 2 I d⊥ = 2 e 4 E0|| ( m ω −ω 2 2 0 ) 2 2 +ω γ 2 2 ⋅ ω4 c4R2 ( ) ⋅ K1 cos 2 2θ + K 2 . (1.12) Für eine nichtpolarisierte Primärwelle (K1 = K2 = ½) lässt sich die gesamte Intensität in der Form von Id = ( 2 e 4 E0|| m 2 ω02 − ω 2 ) 2 ω4 cos 2 2θ + 1 ⋅ 4 2⋅ 2 + ω 2γ 2 c R (1.13) schreiben. Der Term K1 cos²2θ + K2 in Gleichungen (1.12) und (1.13) wird als Polarisationsfaktor P(2θ) bezeichnet, der quadratische Abstand zwischen dem Dipol und dem Detektor (R²) wird dem LorentzFaktor 4 L zugeordnet. Die sonstigen Faktoren werden üblicherweise als I0 bezeichnet. Die Synchrotronstrahlung ist in der horizontalen Ebene polarisiert. Um eine starke Abnahme der Intensität mit steigendem Beugungswinkel in der horizontalen Ebene (K1 = 1, K2 = 0) zu vermeiden, werden an 4 Der Lorentz-Faktor ist ein (typischerweise) winkelabhängiger Korrekturfaktor, der beschreibt, wie viel von der insgesamt diffraktierten Intensität im Detektor ankommt. Der Lorentz-Faktor hängt stark von der Beugungsgeometrie und von der Winkelakzeptanz des Detektors ab. 4 Synchrotronquellen für Untersuchungen an polykristallinen Materialien in der Regel nur vertikale Diffraktometer genutzt, für die K1 = 0 und K2 = 1, so dass der Polarisationsfaktor konstant bleibt. 1.2 Interferenz der elastisch gestreuten Röntgenstrahlen Die an einzelnen Elektronen elastisch gestreuten Wellen überlagern sich gegenseitig, wobei es zu ihrer Interferenz kommt. Betrachtet man die Interferenzeffekte weit weg von den elementaren Streuzentren, d.h., in einem Abstand, der deutlich größer ist als die Abstände zwischen den einzelnen Streuzentren, können die gestreuten Kugelwellen als ebene Wellen mit der Amplitude E = E0d exp(iϕ ) (1.14) betrachtet werden. Die maximale Amplitude in der Gleichung (1.14) ergibt sich aus der elektrischen Feldstärke des Dipols [s. Gleichung (1.5)]: E0d = ( e 2 E0 ) ⋅ ω2 m ω02 − ω 2 + iωγ c 2 R ⋅ sin ϑ . (1.15) Die Phase der Welle in der Gleichung (1.14) kann auf den Ursprung des Koordinatensystems R0 (s. Abb. 3) bezogen werden, so dass sich ϕ aus der Phase der Primärwelle ( k 0 ⋅ R0 − ωt ), und aus der Phasenver- schiebung k 0 ⋅ r − k ⋅ r ergibt: [( )] E = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt + k 0 ⋅ r − k ⋅ r . (1.16) Abbildung 3: Entstehung einer Phasenverschiebung bei der Streuung einer planaren Welle mit dem Wel lenvektor k 0 an zwei Streuzentren mit den Positionsvektoren R0 und R0 + r . k ist der Wellenvektor der betrachteten gestreuten Welle. Bezeichnet man q = k − k0 5 (1.17) als Beugungsvektor, kann die Amplitude der an einem Elektron mit dem Ortsvektor r gestreuten Welle in der folgenden kompakten Form geschrieben werden: [( )] E (r ) = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt exp(− iq ⋅ r ) , (1.18) wo nur die letzte exponentielle Funktion von dem Ortsvektor r abhängt. Betrachtet man die Interferenz der an einzelnen Elektronen in einem isolierten Atom elastisch gestreuten Wellen, ergibt sich die gesamte Amplitude: [( EA tom = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt )]∫∫∫ρ (r )exp(− iq ⋅ r )d r , 3 (1.19) wo ρ (r ) die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons ist. Da die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen außerhalt des Atoms gleich Null ist, kann in der Gleichung (1.19) über einen unendlich großen Raum intergiert werden. Das dreifache Integral steht dann für die Fourier-Transformation (FT) der Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen, und wird als atomarer Streufaktor bezeichnet: f A tom( q ) = ∫∫∫ρ (r )exp(− iq ⋅ r )d 3 r = FT[ρ (r )] . (1.20) Die Atomstreufaktoren werden üblicherweise aus den mit Hilfe von relativistischem Hartree-FockFormalismus berechneten Wellenfunktionen ψ ermittelt, ( ) ≡ FT[ρ (r )] , f A tom( q ) = FT ψ 2 (1.21) und für praktische Anwendung durch die Funktion f Atom (sin θ λ ) = 4 ∑a j ( ) exp − b j sin 2 θ λ2 + c (1.22) j =1 [6] oder, ergänzt um die anomale Streuung (f‘) und die anomale Absorption (f“), durch f Atom (sin θ λ ) = 4 ∑a j ( ) exp − b j sin 2 θ λ2 + c + f ′ + if ′′ (1.23) j =1 [7] approximiert. Die Funktion sin θ λ ist äquivalent dem Betrag des Beugungsvektors ( q ), da sich der Wellenvektor von sin θ λ nur um den Faktor 4π unterscheidet: 4π q= sin θ . λ (1.24) Die Koeffizienten a1, b1, a2, b2, a3, b3, a4, b4 und c aus der Gleichung (1.23) sind in den Internationalen Tabellen für Kristallographie [6] für verschiedene Oxidationszahlen tabelliert, wodurch man den Einfluss der chemischen Bindung auf den Atomstreufaktor berücksichtigen kann. Die wellenlängenabhängigen anomalen Streufaktoren (f‘ und f“) findet man z.B. auf der Webseite von Ethan A. Merritt [8]. 6 Die Interferenz der an mehreren Atomen elastisch gestreuten Wellen kann in der Analogie mit der Gleichung (1.19) als [( E = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt )] ∑ [∫∫∫ρ (r )exp(− iq ⋅ r )d r ]exp(− iq ⋅ r ), (1.25) 3 j j oder in kompakter Form [( E = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt )] ∑ f ( q )exp(− iq ⋅ r ) , j (1.26) j j geschrieben werden, wo die Amplituden der an einzelnen Atomen elastisch gestreuten Wellen mit den entsprechenden Phasen addiert werden. Im Rahmen dieser Beugungstheorie, die als kinematisch bezeichnet wird, wird angenommen, dass jede Primärwelle nur einmal gestreut wird und dass die einmal gestreuten Wellen miteinander nur einmal interferieren können. Die Phase bzw. die Phasendifferenz ergibt sich aus dem Skalarprodukt des Beugungsvektors q und des Positionsvektors des jeweiligen Atoms r j . Der Wichtungsfaktor fj in der Gleichung (1.26) bedeutet das Streuvermögen des Atoms j mit der entsprechenden Oxidationszahl. Die diffraktierte Intensität wird nach der Gleichung (1.9) berechnet: I (q ) = E * E = E0d 2 ∑ f (q ) exp(iq ⋅ r )⋅ ∑ f (q ) exp(− iq ⋅ r ) , * j j j j j (1.27) j wo das Symbol * die konjugierte Funktion bezeichnet. Die Gleichung (1.27) kann für atomare Abstände, rmn = rm − rn , umgeschrieben werden: I (q ) = E * E = E0d 2 ∑∑ f m m fn exp(iq ⋅ rmn ) = E0d n 2 ∑∑ f m m fn exp(i q ⋅ rmn cosφ ) , (1.28) n wo φ der Winkel zwischen q und rmn ist. Bei Substanzen mit gleichmäßig verteilten Atomen entlang von Koordinationssphären, z.B. in Gasen [9] oder in amorphen Substanzen, ergibt sich der Mittelwert aus dem Integral der exponentiellen Funktion über alle möglichen Winkel φ [10]: sin (qrmn ) . exp(iq ⋅ rmn ) = qrmn (1.29) Zusammen mit der Gleichung (1.28) führt die Gleichung (1.29) zur Debye-Formel [9]: I (q ) = E0d 2 ∑∑ f m n 7 m fn sin (qrmn ) qrmn (1.30) 2 Röntgenbeugung an defektfreien kristallinen Materialien Die Diffraktion der Röntgenstrahlen an kristallinen Materialien ohne Mikrostrukturdefekte 5 lässt sich am besten mit Hilfe der Gleichung (1.26) darstellen, in der der Positionsvektor r j durch eine Linearkombination von Basisvektoren des Kristallgitters, r j = x j a + y j b + z j c + n1a + n2 b + n3c , (2.1) Translationsperiodizität eine Elementarzelle ersetzt wird [( E = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt )]∑ f N j [ ( exp − iq ⋅ x j a + y j b + z j c j =1 2.1 )] ∑ exp[− iq ⋅ (n a + n b + n c )]. 1 2 3 (2.2) n1 ,n2 ,n3 Der Strukturfaktor Die erste Summe in der Gleichung (2.2) beschreibt die Röntgenbeugung an einer Elementarzelle mit den Gittervektoren a , b , c , die N Atome mit den Bruchkoordinaten (x j , y j , z j ) enthält. Wenn sich der Beu gungsvektor in der Nähe eines reziproken Gitterpunktes Ghkl befindet, ( ) q = 2πGhkl = 2π ha * + kb * +lc * , (2.3) gilt für das Skalarprodukt des Beugungsvektors mit dem Positionsvektor innerhalb einer Elementarzelle ( ) ( )( ) q ⋅ x j a + y j b + z j c = 2π ha * + kb * +lc * ⋅ x j a + y j b + z j c = 2π hx j + ky j + lz j . ( ) (2.4) Bei der Vereinfachung der Gleichung (2.4) wurden die folgenden Relationen verwendet, a * ⋅a = b * ⋅b = c * ⋅c = 1 und a * ⋅b = a * ⋅c = b * ⋅a = b * ⋅c = c * ⋅a = c * ⋅b = 0 , die direkt aus der Definition der reziproken Gittervektoren, b ×c a×b c×a a* = ; b * = ; c * = , a×b ⋅c a×b ⋅c a×b ⋅c ( ) ( ) ( ) (2.5) folgen. Substituiert man in der Gleichung (2.2) das Skalarprodukt des Beugungsvektors mit dem Positi onsvektor innerhalb einer Elementarzelle, d.h., q ⋅ x j a + y j b + z j c , nach Gleichung (2.4) durch ( ( ) ) 2π hx j + ky j + lz j , ergibt die erste Summe in der Gleichung (2.2) den Strukturfaktor 5 Obwohl die Oberfläche eines Kristalls im physikalischen Sinne einen wesentlichen Defekt darstellt, werden in diesem Kapitel die äußeren Grenzen eines Kristalls und daher die endliche Größe der Kristalle nicht als Mikrostrukturdefekte betrachtet. 8 Fhkl = N ∑f j [ )] ( exp − 2πi hx j + ky j + lz j , (2.6) j =1 der die Streuung der Röntgenstrahlen an den in einer Elementarzelle liegenden Atomen als eine Funktion von Beugungsindizes hkl beschreibt. Es sollte jedoch angemerkt werden, dass bei dieser Herleitung angenommen wurde, dass der Beugungsvektor in der Nähe der reziproken Gitterpunkte liegt [vgl. Gleichung (2.3)]. 2.2 Die Laue-Bedingungen und die Bragg-Gleichung Für q = 2πGhkl [Gl. (2.3)] ergibt das Skalarprodukt des Beugungsvektors mit der Translationsperiodizität ein N-Faches von 2π, ( ) q ⋅ n1a + n2 b + n3c = 2π (hn1 + kn2 + ln3 ) , (2.7) und die zweite Summe in der Gleichung (2.2) bekommt die Form ∑ [ )] ∑ exp(− 2πihn ) ⋅ ∑ exp(− 2πihn ) ⋅ ∑ exp(− 2πihn ) = ( exp − iq ⋅ n1a + n2 b + n3c = N1 1 n1 =1 n1 ,n2 ,n3 N3 N2 = 2 3 n2 =1 N1 N2 N3 n1 =1 n2 =1 n3 =1 ∑1 ⋅ ∑1 ⋅ ∑1 = N N 1 n3 =1 , (2.8) 2 N3 weil sowohl h, k, l als auch n1, n2 und n3 ganze Zahlen sind. Die in der Nähe der reziproken Gitterpunkte diffraktierte Intensität kann schließlich aus der Gleichung (2.2) berechnet werden 2 I m ax = I 0 Fhkl N12 N 22 N 32 , (2.9) wo 2 I 0 = E0d . (2.10) In Gl. (2.9) ist Fhkl der Strukturfaktor und N1, N2 und N3 die Anzahl der Elementarzellen entlang der kris tallographischen Achsen a , b und c . Aus der Gleichung (2.8) ist ersichtlich, dass die Intensität aus der Gleichung (2.9) die maximale Intensität darstellt. Laut der Gleichung (2.8) erreicht die diffraktierte Intensität ihr Maximum, wenn [vgl. Gl. (1.17)] ( ) ( ) ( ) q ⋅ a = k − k 0 ⋅ a = 2πh , q ⋅ b = k − k 0 ⋅ b = 2πk und q ⋅ c = k − k 0 ⋅ c = 2πl . Ersetzt man die Wellenvektoren k und k 0 durch ihren Betrag, 9 (2.11) 2π , k = k0 = (2.12) λ wo λ die Wellenlänge der Röntgenstrahlung ist, entsprechen die Gleichungen (2.11) exakt den LaueBedingungen (s − s0 ) ⋅ a = hλ , (s − s0 ) ⋅ b = kλ und (s − s0 ) ⋅ c = lλ , (2.13) in denen s0 der Einheitswellenvektor des Primärstrahles und s der Einheitswellenvektor des diffraktier ten Strahles sind. Da die Gleichungen (2.11) und (2.13) unter der Voraussetzung q = 2πGhkl [Gl. (2.3)] hergeleitet wurden, sind die Gleichungen (2.3) und (2.11) zwei Äquivalente der Laue-Bedingungen (2.13). Die physikalische Interpretation der Laue-Bedingungen (2.13) ist, dass der Gangunterschied der an je weils zwei Streuzentren mit dem Abstand a , b oder c gestreuten Wellen gleich dem N-Fachen der Wellenlänge ist. Die Laue-Bedingungen in der Form (2.11) beziehen sich auf die Phasendifferenz der gestreuten Wellen, die bei einer konstruktiven Interferenz (Laue-Bedingungen erfüllt) in allen drei Richtungen ein N-Faches von 2π ergeben muss. Abbildung 4: Schematische Darstellung der Wellenvektoren k 0 (Primärstahl) und k (diffraktierter Strahl), des Beugungsvektors q sowie der Winkel θ i (Winkel zwischen dem Primärstahl und der Probenoberfläche), θ o (Winkel zwischen dem diffraktierten Strahl und der Probenoberfläche) und 2θ (Beugungswinkel) in koplanarer Beugungsgeometrie. Der Betrag der Laue-Bedingung (2.3), q = 2π Ghkl , (2.14) 2d sin θ = λ . (2.15) entspricht der Bragg-Gleichung 10 Diese Äquivalenz kann am einfachsten für koplanare 6 Beugungsgeometrie (siehe Abb. 4) nachgewiesen werden. Der Betrag des Beugungsvektors berechnet sich aus seinen kartesischen Komponenten als q = q x2 + q z2 = 2π λ (cosθ o − cosθ i )2 + (sin θ o + sin θ i )2 = θ + θ o 4π sin i sin θ , (2.16) = λ 2 λ 4π und der Betrag des reziproken Gittervektors ist gleich dem reziproken Netzebenenabstand [3]: Ghkl = 1 d hkl . (2.17) Da für positive Beugungswinkel sin θ = sin θ ist, kann die Gleichung (2.14) in die folgende Form umgeschrieben werden, 4π 2π , sin θ = q = λ d hkl (2.18) die nach dem Umstellen die Bragg-Gleichung (2.15) ergibt. Der Unterschied zwischen den Laue-Bedingungen und der Bragg-Gleichung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Laut Laue-Bedingungen muss der (durch den Faktor 2π dividierte) Beugungsvektor einen reziproken Gitterpunkt treffen. Demzufolge werden nicht nur die Beträge des Beugungsvektors und des reziproken Gittervektors miteinander verglichen, sondern auch deren Richtungen. Daher eignen sich die Laue-Bedingungen für die Beschreibung der Positionen der Beugungsmaxima in Einkristallen. Die Bragg-Gleichung vergleicht dagegen nur den Betrag des Beugungsvektors mit dem Betrag des reziproken Gittervektors. Es wird angenommen, dass eine günstige Orientierung des Kristalls vorliegt. Daher spielen die Richtungen dieser Vektoren keine Rolle. Aus diesem Grunde ist die Bragg-Gleichung nur für die Beschreibung der Positionen der Beugungsmaxima in polykristallinen Proben geeignet, in denen ohnedies alle Kristallorientierungen vorliegen. 2.3 Effekt der Kristallgröße Wenn die Laue-Bedingungen (2.3), (2.11) oder (2.13) nicht exakt erfüllt sind, wird die zweite Summe in der Gleichung (2.2) kleiner; die bei diesem geänderten Beugungsvektor gestreute Amplitude und daher auch die diffraktierte Intensität nehmen ab. Um die Änderung der gestreuten Amplitude mit dem Beugungsvektor zu beschreiben, kann die dreifache Summe in der Gleichung (2.2), ∑ [ ( )] ∑∑∑ exp[− iq ⋅ (n a + n b + n c )], exp − iq ⋅ n1a + n2 b + n3c = n1 ,n2 ,n3 N1 N 2 N 3 1 2 3 (2.19) n1 =1 n2 =1 n3 =1 6 Bei einer koplanaren Beugungsgeometrie liegen die beiden Wellenvektoren k 0 und k , der Beugungsvektor q und die Normale zur Probenoberfläche in einer Ebene. Daher kann das Probenkoordinatensystem so gewählt werden, dass q y = 0 ist. 11 in der es über alle Elementarzellen in den Kristallrichtungen a , b und c summiert wird, durch ∑ ∑ ∑ Ω(n , n , n )exp[− iq ⋅ (n a + n b + n c )] = ∫∫∫Ω(r )exp(− iq ⋅ r )d ∞ ∞ ∞ 1 2 3 1 2 3 n1 = −∞ n2 = −∞ n3 = −∞ 3 r= = FT[Ω(r )] (2.20) ersetzt werden, sodass der Einfluss der Größe des Kristalls auf die gestreute Amplitude durch die Fourier Transformation des Formfaktors, FT [Ω(r )] , beschrieben werden kann. Der Formfaktor Ω(n1 , n2 , n3 ) bzw. Ω(r ) ist gleich 1 innerhalb des Kristalls und 0 außerhalb. Unter der Annahme, dass sich der Strukturfaktor (Fhkl) mit dem Beugungsvektor deutlich weniger ändert als die Fourier-Transformation des Formfaktors, kann die Gleichung (2.2) in der folgenden Form geschrieben werden: )] [( E = E0d exp i k 0 ⋅ R0 − ωt Fhkl FT[Ω(r )] . (2.21) Die diffraktierte Intensität ergibt sich dann in der Analogie zur Gleichung (2.9) als 2 2 I (q ) = I 0 Fhkl FT[Ω(r )] . (2.22) Diese Annahme ist für gut kristalline Materialien praktisch immer erfüllt. Eine typische Ausnahme, bei der die Abhängigkeit des Strukturfaktors vom Beugungsvektor berücksichtigt werden muss, ist eine teilweise geordnete Stapelung von zweidimensionalen atomaren Schichten, die z.B. in graphitischen Strukturen oder in Tonmineralen vorkommt. Die Röntgenbeugung an solchen Strukturen lässt sich mit Hilfe der Hendricks-Teller-Theorie [11] beschreiben. Abbildung 5: Vergleich der Form der Beugungslinien für quaderförmige und sphärische Kristallite. 12 2 Der quadratische Betrag des Fourier-transformierten Formfaktors aus der Gleichung (2.22), FT [Ω(r )] , ist exemplarisch für ein Rechteck mit der Kantenlänge 7 von 30 nm (durchgezogene Linie) und für eine Kugel mit dem Radius von 20 nm (gebrochene Linie) in Abb. 5 gezeigt. Für einen Quader mit den Kantenlängen Dx, Dy und Dz gilt [10] ( ) 2 2 sin 2 (q x Dx 2 ) sin q y D y 2 sin 2 (q z Dz 2 ) , FT [Ω(r )] = ⋅ ⋅ 2 (q x 2)2 (q z 2)2 qy 2 ( ) (2.23) für eine Kugel mit dem Radius R [12] 2 16π 2 sin (qR ) FT [Ω(r )] = 4 − R cos(qR ) . q q 2 (2.24) Der Betrag des Beugungsvektors in der Gleichung (2.24) ergibt sich aus q = q x2 + q 2y + q z2 . (2.25) Es folgt aus den Eigenschaften der Fourier-Transformation sowie aus den Gleichungen (2.23) und (2.24), 2 dass die Halbwertsbreite 8 von FT [Ω(r )] reziprok proportional der Größe des Kristalls ist. Da die anderen Faktoren in der Gleichung (2.22), d.h. die Intensität I0 und der Strukturfaktor Fhkl, nur wenig vom Beugungsvektor abhängen, ist auch die Halbwertsbreite der in der Nähe der reziproken Gitterpunkte gemessenen Intensität reziprok proportional zur Größe des Kristalls, FWHM [I (∆q )] = K , D (2.26) wo die Proportionalitätskonstante K von der Form des Kristalls abhängt. Die Abhängigkeit der Proportionalitätskonstante von der Form des Kristalls ist aus der Abbildung 5 ersichtlich. Die beiden Kurven in Abb. 5 haben die gleiche Breite, obwohl die Kantenlänge des Quaders 30 nm und der Durchmesser der Kugel 40 nm waren. 2 Die Gleichung (2.26) ist als Schrerrer-Gleichung [13] bekannt. Da die Funktion FT [Ω(r )] nur von dem Abstand vom jeweiligen reziproken Gitterpunkt abhängt, führt eine endliche Kristallgröße zu der gleichen Verbreiterung aller reziproken Gitterpunkte und nach der Gleichung (2.22) zu der gleichen Verbreiterung aller Beugungslinien. 7 8 Es wird angenommen, dass diese Kante parallel zum Beugungsvektor liegt. Die Halbwertsbreite wird oft als FWHM (englisch „full width at half maximum“) bezeichnet. 13 2.4 Röntgenbeugung an mehreren Kristalliten Bei der Beschreibung der Beugungserscheinungen an mehreren kleinen Kristallen (Kristalliten) kann man die einzelnen Kristallite als Streuzentren für die Röntgenstrahlung betrachten und die gesamte diffraktierte Intensität aus der Interferenz der an einzelnen Kristalliten gestreuten Wellen berechnen [vgl. Gl. (2.21)]. Dabei müssen, wie in Gleichung (1.27), die Amplituden der gestreuten Wellen mit der entsprechenden Phase addiert werden: I (q ) = I 0 ∑ [F N )] ∑ [F ( hkl ,n FT (Ω n )exp − iq ⋅ Rn * ⋅ n =1 N hkl ,n ' FT (Ω n' )exp(− iq ⋅ Rn' )]. (2.27) n '=1 Die Positionsvektoren Rn beschreiben die Positionen der Kristallite; Fhkl ,n sind deren Strukturfaktoren und FT (Ω n ) deren Formfaktoren. Die Summation in der Gleichung (2.27) erfolgt für jeden einzelnen Beugungsvektor, der hier als Parameter auftritt, über alle Kristallite, die im bestrahlten Volumen der un tersuchten Probe liegen. Da die Intensität vom Beugungsvektor q und nicht von seinem Betrag abhängt, spielt die Orientierung der Kristallite zum Primärstahl (wie bei den Laue-Bedingungen) und daher auch die gegenseitige Orientierung der Kristallite eine wichtige Rolle. Das Produkt der Summen in der Gleichung (2.27) kann alternativ als I (q ) = I 0 N F FT (Ω ) + ∑ 2 2 hkl ,n n =1 n m =0 + 2 I 0 Re m=1 N −1 N − m ] [ ∑ ∑[ n =1 ] [ ( )] Fhkl ,n FT (Ω n ) * ⋅ Fhkl ,n+ m FT (Ω n+ m ) exp − iq ⋅ Rm+ n − Rn (2.28) geschrieben werden, wo m = n'−n ist. Die erste Summe (m = 0) in der Gleichung (2.28) beschreibt den Beitrag der einzelnen Kristallite zur gesamten diffraktierten Intensität, die doppelte Summe dann die Interferenz der an unterschiedlichen Kristalliten gestreuten Röntgenstrahlung. Die an unterschiedlichen Kristalliten gestreuten Röntgenstrahlen können jedoch nur interferieren, wenn die Kristallite teilkohärent sind. Das Phänomen der partiellen Kohärenz der Kristallite wird ausführlicher im Kapitel (2.4.2) behandelt. In den meisten polykristallinen Proben sind die Nachbarkristallite gegenseitig nicht kohärent, daher ist die doppelte Summe in der Gleichung (2.28) gleich Null. Die gesamte diffraktierte Intensität ergibt sich dann aus der Summe der an einzelnen Kristalliten diffraktierten Intensitäten: I (q ) = I 0 N ∑F 2 hkl ,n FT (Ω n ) . 2 (2.29) n =1 Die Gleichung (2.29) ist die Grundlage der kinematischen Beugungstheorie, die die einzelnen Kristallite als kohärent streuende Objekte behandelt, die Interferenz der an unterschiedlichen Kristalliten diffraktierten Wellen aber vernachlässigt. 14 2.4.1 Absorption der Röntgenstrahlung Eine weitere Eigenschaft der kinematischen Röntgenbeugung an nichtkohärenten Kristalliten ist, dass bei diesem Streuprozess nur ein Bruchteil der Intensität des Primärstrahles (typischerweise weniger als 1 %) diffraktiert wird. Die restliche Intensität dringt ins Innere der Probe ein, wo die Röntgenstrahlung an anderen Kristalliten diffraktiert werden kann. Beim Eindringen in die Probe wird jedoch die Röntgenstrahlung auch absorbiert. Im Rahmen der kinematischen Beugungstheorie wird die Absorption der Röntgenstrahlung durch das exponentielle Absorptionsgesetz I = I 0 exp(− µL ) (2.30) beschrieben, wo I0 die Ausgangsintensität, I die geschwächte Intensität, µ den linearen Schwächungskoeffizienten und L den Weg der Strahlung in der Probe bedeutet. Für eine flache Probe ist der Weg der Röntgenstrahlung zum diffraktierenden Volumenelement mit der Dicke dz, das in der Tiefe z unter der Probenoberfläche liegt, in Abb. 6 dargestellt. In diesem speziellen Fall ergibt sich die gesamte Intensität aus dem Integral über die infinitesimale Intensität aus der Gleichung (2.30), sin θ i + sin θ o I t (θ i ,θ o ) = I 0 S exp − µz ⋅ sin θ i sin θ o 0 t ∫ = dz = I0 sin θ i + sin θ o sin θ i sin θ o ⋅ 1 − exp − µt ⋅ sin θ i µ (sin θ i + sin θ o ) sin θ i sin θ o = I0 sin θ o sin θ i + sin θ o 1 − exp − µt ⋅ sin θ i sin θ o µ (sin θ i + sin θ o ) , (2.31) = I 0 A wo der Weg der Strahlung in der Probe (L) durch L = L1 + L2 = z z + sin θ i sin θ o (2.32) ersetzt und die Änderung der bestrahlen Fläche mit dem Primärwinkel (S) durch den Faktor sin −1 θ i berücksichtigt wurde. Der Korrekturfaktor A, der sowohl von den beiden Winkeln θi und θo als auch von der Probendicke abhängt, wird als Absorptionsfaktor bezeichnet. Die Intensitätskorrektur aus der Gleichung (2.31) ist besonders wichtig bei der Röntgenbeugung an dünnen polykristallinen Schichten. 15 Abbildung 6: Darstellung des Strahlenganges in einer planaren Probe zur Erläuterung der Absorption der Röntgenstrahlung. Wenn die Dicke der Probe „unendlich“ groß (t > 10 µm) ist, reduziert sich die Gleichung (2.31) auf I t (θ i ,θ o ) = I 0 sin θ o , µ (sin θ i + sin θ o ) (2.33) bzw. bei der symmetrischen Beugungsgeometrie, wo θi = θo ist, auf I t (θ i ,θ o ) = I0 . 2µ (2.34) Den linearen Schwächungskoeffizienten einer kristallinen Phase mit dem Elementarzellvolumen VEZ kann man aus den Absorptionsquerschnitten σi der einzelnen Atome berechnen µ= 1 VEZ N ∑σ i , (2.35) i =1 wo N die Anzahl der Atome in der Elementarzelle ist. Die Absorptionsquerschnitte sind in den Internationalen Tabellen für Kristallographie [6] tabelliert. Für Proben mit einer tiefenabhängigen Absorption, wie z.B. Multilagenschichten, inhomogene Proben oder auch Proben mit ausgeprägten Mikroabsorptionseffekten, muss im Integral (2.31) die Abhängigkeit des linearen Schwächungskoeffizienten von dem Abstand z unter der Probenoberfläche berücksichtigt werden [14], [15], [16]. 2.4.2 Partielle Kohärenz nanoskaliger Kristallite In nanokristallinen Proben sind reziproke Gitterpunkte von einzelnen Kristalliten stark verbreitet [siehe Gl. (2.26)], so dass sich die reziproken Gitterpunkte von Nachbarkristalliten teilweise überlappen können [12]. Eine solche Überlappung der reziproken Gitterpunkte ist für zwei Nanokristallite mit der gleichen Kristallstruktur (in diesem Fall kubisch-flächenzentriert) in Abb. 7 gezeigt. 16 c* _ 315 _ 115 _ 315 _ 204 _ 204 _ 313 _ 313 _ 311 _ 311 _ 115 004 _ 113 _ 202 _ 202 115 _ 113 315 204 004 204 313 113 113 313 202 202 002 _ 111 _ 200 _ 200 315 115 311 111 311 200 000 a* 200 Abbildung 7: Schematische Darstellung der Überlappung der stark verbreiteten reziproken Gitterpunkte von zwei kubisch-flächenzentrierten Nanokristalliten mit den gleichen Gitterparametern. Die Nanokristallite haben geringfügig unterschiedliche Orientierungen. Die grauen reziproken Gitterpunkte gehören einem Kristallit, die weißen reziproken Gitterpunkte dem anderen. Die einzelnen reziproken Gitterpunkte sind mit den entsprechenden Beugungsindizes markiert. Die grauen reziproken Gitterpunkte gehören zu einem Kristallit, die weißen reziproken Gitterpunkte zum anderen. Die gegenseitige Drehung der reziproken Gitter entspricht der gegenseitigen Drehung der Kristallite im direkten Raum. Wenn sich die reziproken Gitterpunkte von mindestens zwei Kristalliten teilweise überlappen, ist ∑ ∑ [Fhkl FT (Ω)]∗n ⋅ [Fhkl FT (Ω)]n+m exp[− iq ⋅ (Rm+n − Rn )] ≠ 0 , N −1 N − m (2.36) m =1 n =1 und der zweite Term in der Gleichung (2.28) darf nicht vernachlässigt werden. Solche Kristallite können dann für die Röntgenbeugung partiell kohärent sein, wenn gleichzeitig der entsprechende Gangunter schied (s − s0 ) ⋅ Rm+ n − Rn kleiner als die longitudinale Kohärenzlänge der Röntgenphotonen λ2 (2∆λ ) ist. Die Einheitsvektoren s0 und s stehen für die Richtung des Primärstahles und für die Richtung des ( ) diffraktierten Strahles. Die Symbole λ und ∆λ bezeichnen die Wellenlänge und die Spektralbreite der Röntgenstrahlung. Die longitudinale Kohärenzlänge der Röntgenphotonen, die aus einer Röntgenröhre austreten, beträgt weniger als 1 µm, kann aber durch zusätzliche Röntgenoptik [17] oder durch eine spezielle Messanordnung [18] mehrfach verlängert werden. In der Analogie zu den Effekten der optischen Kohärenz [19] kann dann die Gleichung (2.28) folgendermaßen modifiziert werden: I (q ) = I 0 N F FT (Ω ) + ∑ 2 2 hkl ,n n =1 n m =0 + 2 I 0 Re m=1 N −1 N − m ∑ ∑[ n =1 ] [ ( )] Fhkl ,n FT (Ω n ) * ⋅ Fhkl ,n+ m FT (Ω n+ m ) exp − iq ⋅ Rm+ n − Rn C m,n ] [ wo 17 , (2.37) ( ) ( ) λ2 C m,n = 1 wenn (s − s0 ) ⋅ Rm+ n − Rn ≤ 2∆λ λ2 C m,n = 0 wenn (s − s0 ) ⋅ Rm+ n − Rn > . 2∆λ (2.38) Mit Hilfe von 2π (s − s0 ) q = k − k0 = (2.39) λ kann die Gleichung (2.38) alternativ in der Form ( ) ( ) πλ C m,n = 1 wenn q ⋅ Rm+ n − Rn ≤ 2∆λ πλ C m,n = 0 wenn q ⋅ Rm+ n − Rn > 2∆λ (2.40) geschrieben werden, die dem Argument der exponentiellen Funktion in der Gleichung (2.37) entspricht. Die Auswirkung der partiellen Kohärenz auf die diffraktierte Intensität kann am einfachsten an zwei par tiell kohärenten Kristalliten mit der gleichen Kristallstruktur und mit dem Abstand ∆R erläutert werden. Für solche Kristallite vereinfacht sich die Gleichung (2.37) wesentlich: { [ )]} ( 2 2 2 I (q ) = I 0 Fhkl FT(Ω1 ) + FT(Ω 2 ) + 2 R e FT * (Ω1 )FT(Ω 2 )exp − iq ⋅ ∆R . (2.41) Für reelle Formfaktoren FT (Ω1 ) und FT (Ω 2 ) , wie zum Beispiel für die Formfaktoren von prismatischen [Gleichung (2.23)] oder kugelförmigen Kristalliten [Gleichung (2.24)], gilt sogar I (q ) = I 0 Fhkl 2 {[FT (Ω )] 2 1 ( )} 2 + [FT (Ω 2 )] + 2 FT (Ω1 )FT (Ω 2 )cos q ⋅ ∆R . (2.42) [FT (Ω 2 )]2 beschreiben die an einzelnen Kristalliten diffrak 2 tierte Intensität, der Faktor 2 I 0 Fhkl FT (Ω1 )FT (Ω 2 )cos(q ⋅ ∆R ) den Interferenzterm [20]. Die Bedeutung Die Faktoren I 0 Fhkl 2 [FT (Ω1 )]2 und I 0 Fhkl 2 des letzten Faktors wird in graphischer Form in Abb. 8 dargestellt. Die breite durchgezogene Linie in Abb. 8 zeigt das Produkt von FT (Ω1 ) und FT (Ω 2 ) , die gestrichelte Kurve den Kosinus der Phasendifferenz, und die dünne durchgezogene Linie den gesamten Interferenzterm cos q ⋅ ∆R , FT (Ω1 )FT (Ω 2 )cos q ⋅ ∆R . Aus der Abbildung 8 ist ersichtlich, dass der Interferenzterm die anfangs brei- ( ) ( ) te Beugungslinie schmaler macht. Es handelt sich um einen analogen Effekt zur Interferenz der Röntgenstrahlen an einzelnen Elementarzellen innerhalb eines Kristallits, der im Kapitel 2.3 beschrieben wurde. Die physikalische Interpretation dieses zusätzlichen Effektes ist relativ einfach. Die Röntgenbeugung kann zwei nacheinander folgende kohärente Kristallite nicht voneinander unterscheiden, so dass die Linienbreite einem doppelt so großen Kristallit entspricht, d.h. die Linienbreite wird laut der Gleichung (2.26) halbiert. 18 Normierte Intensität q – 2πGhkl Abbildung 8: Auswirkung der partiellen Kohärenz von Nanokristalliten auf die Breite und Form der Beugungslinien. Die Abhängigkeit der diffraktierten Intensität von der Länge des Beugungsvektors wird für nichtkohärente Kristallite durch die breite durchgezogene Linie und für kohärente Kristallite durch die dünne durchgezogene Linie dargestellt. Die gestrichelte Kurve entspricht der zusätzlichen Modulation der diffraktierten Intensität durch die Phasendifferenz an Nachbarkristalliten, cos q ⋅ ∆R , wo ∆R der Abstand der Nachbarkristallite ist. Der Term q − 2πGhkl bezeichnet den Abstand des Endpunktes des Beugungsvektors vom reziproken Gitterpunkt Ghkl. ( ) Die Auswirkung der Kohärenzeffekte auf die Form der diffraktierten Intensität wird anhand von einer Simulation in Abb. 9 dargestellt. Die reziproken Gitterpunkte für die Berechnung der diffraktierten Intensität nach Gleichung (2.42) wurden durch eine Gauß-Funktion mit der Integralbreite von 1/D beschrieben: [ ( )] F T(Ω ) = D 2 e x p− 4π 2 D 2 (q x + ∆q x ) + q 2y + q z2 . 2 (2.43) In der Gleichung (2.43) ist D die Kristallitgröße (5 nm), qx, qy und qz sind die entsprechenden Komponenten des Beugungsvektors und ∆qx ist die Verschiebung eines der reziproken Gitterpunkte, die der Missorientierung der Kristallite (vgl. Abb. 7) entspricht. 19 Abbildung 9: Simulation der diffraktierten Intensität in der Nähe der sich überlappenden reziproken Gitterpunkte. Links werden die Ergebnisse der nichtkohärenten Streuprozesse abgebildet, rechts wird der Effekt der partiellen Kohärenz der Nachbarkristallite dargestellt. Die Simulationen wurden für die Verschiebungen von ∆qx = 0, ∆qx = 0.024 Å-1 und ∆qx = 0.042 Å-1 (von oben nach unten) durchgeführt. 20 Der funktionale Zusammenhang zwischen der Missorientierung der Kristallite (ω) und der Verschiebung der reziproken Gitterpunkte ( ∆q x ) folgt aus der Abbildung 10 und wird durch die Gleichung (2.44) als eine lineare Funktion des Betrages des Beugungsvektors ( q ) beschrieben: ω ∆q x = 2 q sin 2 (2.44) qz ω q qx Abbildung 10: Zusammenhang zwischen der Missorientierung der Nanokristallite im direkten Raum (ω), dem Betrag des Beugungsvektors ( q ) und der Verschiebung der reziproken Gitterpunkte in der qxRichtung. Die in Abb. 9 gezeigten Abhängigkeiten der diffraktierten Intensitäten von qx und qz, d.h. zweidimensionale Schnitte (qy = 0) im reziproken Raum, wurden für die Verschiebungen von ∆qx = 0 (Abb. 9a und 9d), ∆qx = 0.024 Å-1 (Abb. 9b und 9e) und ∆qx = 0.042 Å-1 (Abb. 9c und 9f) berechnet. Die Bilder auf der linken Seite (a-c) zeigen die an nichtkohärenten Kristalliten diffraktierten Intensitäten, die Bilder auf der rechten Seite (d-f) den Einfluss der partiellen Kohärenz auf die Form der zweidimensionalen Beugungslinien. Die Abbildung 11 zeigt die in der Nähe von qx = 0 diffraktierte Intensität als Funktion der Abweichung vom Bragg-Winkel (∆qz). Die grauen Kurven in Abb. 11 repräsentieren den nichtkohärenten Fall, die schwarzen Kurven den Einfluss der partiellen Kohärenz auf die Linienform. Man sieht, dass bei vollständig kohärenten Kristalliten (∆qx = 0) die Breite der Beugungslinie wesentlich abnimmt. Zusätzlich bekommt die ursprünglich gaußförmige Linie eine andere Form, die stark an eine Cauchy-Lorentz-Funktion erinnert. Mit zunehmender Verschiebung der reziproken Gitterpunkte (∆qx) vergrößert sich die Breite der Beugungslinien von nur partiell kohärenten Kristalliten, bis sie die Breite der an nichtkohärenten Kristalliten diffraktierten Linien erreicht, sobald die partielle Kohärenz der Kristallite erlischt. Die Abhängigkeit der Linienbreite von der Verschiebung der reziproken Gitterpunkte wird in Abbildung 12 zusammengefasst. Da nach der Gleichung (2.44) die Verschiebung der reziproken Gitterpunkte linear vom Betrag des Beugungsvektors abhängt, kann diese Abhängigkeit in Form des Williamson-Hall-Plots [21] dargestellt werden. 21 Abbildung 11: Die in der Nähe von qx = 0 diffraktierte Intensität als Funktion der Abweichung vom Bragg-Winkel (∆qz). Diese Intensitätsprofile entsprechen den vertikalen eindimensionalen Scans in Abb. 9 bei ∆qx = 0. Die hellgrauen Linien zeigen die nichtkohärente Beugung an benachbarten Nanokristalliten, die schwarzen Linien den teilkohärenten Fall. Die Abbildung 12 zeigt die Abhängigkeit der gemessenen Linienbreite vom Beugungsvektor für die Kristallitgrößen von 3 und 5 nm. Bei einer vollständigen Überlagerung der reziproken Gitterpunkte (∆qx = 0, d.h., bei ω = 0 oder q = 0 ) wird die kleinste Linienbreite beobachtet. Diese Linienbreite ergibt sich aus der Beugung an Clustern von partiell kohärenten Nanokristalliten, sodass sie ungefähr die reziproke Größe solcher Cluster wiedergibt [20]. Mit zunehmender Verschiebung der reziproken Gitterpunkte und daher mit ihrer abnehmenden Überlappung werden die Beugungslinien zunehmend breiter, bis sie für nichtkohärente Kristalliten exakt die Breite erreichen, die nach der Scherrer-Gleichung (2.26) der tatsächlichen reziproken Kristallitgröße entspricht. 22 Abbildung 12: Abhängigkeit der Linienbreite von der Verschiebung der reziproken Gitterpunkte. Die Kurven stammen aus der oben beschriebenen Simulation für Nanokristallite mit der Größe von 3 nm (obere Kurven) und 5 nm (untere Kurven). Die mit den Beugungsindizes markierten Dreiecke entsprechen den Missorientierungen der kubisch-flächenzentrierten Nachbarkristallite von 1.2° (linkes Bild) und 0.5° (rechtes Bild). Wegen der linearen Abhängigkeit des Betrages des Beugungsvektors q von ∆q x [s. Gleichung (2.44)] ist diese Darstellung äquivalent dem Williamson-Hall-Plot [21]. 2.4.3 Experimentelle Beispiele der partiellen Kohärenz nanoskaliger Kristallite Die im vorigen Kapitel diskutierten Kohärenzeffekte wurden häufig in dünnen nanokristallinen metastabilen Schichten von (Ti,Al)N [12], (Cr,Al)N [22] und (Zr,Al)N [23] sowie in Nanokompositen auf der Basis von Bornitrid [24] beobachtet. In diesen Arbeiten konnte weiterhin mit Hilfe der Kombination der Röntgenbeugung (XRD) und der Transmissionselektronenmikroskopie mit Hochauflösung (HRTEM) experimentell nachgewiesen werden, dass aus der Abhängigkeit der Linienbreite vom Betrag des Beugungsvektors sowohl die wahre Größe der Nanokristallite als auch die Größe der Cluster von partiell kohärenten Nanokristalliten berechnet werden kann. Darüber hinaus war es möglich, die gegenseitige Missorientierung der benachbarten nanoskaligen Kristallite aus der Verbreiterung der Röntgenbeugungslinien zu bestimmen. Ein Beispiel dafür wird in Abb. 13 gezeigt. Die Größe der Cluster von partiell kohärenten Nanokristalliten ergibt sich aus der Extrapolation der durch die partielle Kohärenz beeinflussten Linienbreiten zum Ursprung des reziproken Raumes, d.h. zu sin θ = 0. Diese Linienbreiten sind im Bereich der kleinen Beugungsvektoren (sin θ = 0 bis 0,75). Die wahre Kristallitgröße wird dagegen aus den bei großen Beugungsvektoren gemessenen Linienbreiten (sin θ > 0,8) bestimmt, wo die Verbreiterung der Beugungslinien nicht mehr vom Betrag des Beugungsvektors abhängt. Nach der Gleichung (2.18) ist der Sinus der Hälfte des Beugungswinkels (sin θ) direkt proportional dem Betrag des Beugungsvektors. Im HRTEM-Bild (Abb. 13) sind die entsprechenden Mikrostrukturmerkmale markiert. 23 Abbildung 13: Abhängigkeit der Breite der Röntgenbeugungslinien von sin θ (links) und das HRTEM-Bild (rechts) einer dünnen Schicht mit der chemischen Zusammensetzung Cr0.92Al0.08N. Die mittlere Missorientierung der nanoskaligen Kristallite lag in diesem Fall zwischen 0.50° und 0.56°. Die partielle Kohärenz der Nanokristallite wurde nicht nur in kompakten einphasigen Materialien, sondern auch in einphasigen nanokristallinen Pulvern mit einer starken lokalen Vorzugsorientierung der einzelnen Kristallite beobachtet [25]. Auch in diesem Fall führte die partielle Kohärenz zur deutlichen Abnahme der Linienbreite bei kleinen Beugungswinkeln und zu einer Sättigung der Linienbreiten bei großen Beugungswinkeln, wo sich die reziproken Gitterpunkte nicht mehr überlagern. Generell können die Effekte der partiellen Kohärenz der Kristallite auftreten, wenn es zur Überlappung der reziproken Gitterpunkte kommt, vgl. Gleichung (2.37). Daher sind sie nicht auf einphasige Materialien beschränkt, sondern werden auch in mehrphasigen Werkstoffen beobachtet, die aus Phasen mit einigen ähnlichen Netzebenenabständen bestehen. Eine mögliche Heteroepitaxie der beteiligten Phasen sorgt für eine starke lokale Vorzugsorientierung von Kristalliten mit unterschiedlichen Kristallstrukturen und begünstigt wesentlich deren partielle Kohärenz [26]. Eine solche partielle Kohärenz von Nanokristalliten mit unterschiedlichen Kristallstrukturen beobachtete A. Leineweber in Ni1+δSn während der Phasenumwandlung der hexagonalen Struktur mit der Raumgruppe P63/mmc in die orthorhombische Kristallstruktur mit der Raumgruppe Pbnm [27]. Auf der Nanoskala werden Kohärenzeffekte zwischen einzelnen Mikrostrukturbestandteilen in der Regel vorausgesetzt. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Theorie der Röntgenbeugung in periodischen Multilagenschichten [28], in der während der Berechnung von diffraktierten Intensitäten zunächst die Strukturfaktoren einzelner Schichten im Multilagenstapel mit entsprechendem Phasenfaktor multipliziert und danach addiert werden. Auf einem ähnlichen Prinzip basiert auch die Beschreibung der Röntgendiffraktogramme in stark plastisch deformierten hochlegierten austenitischen Stählen [29], die den Effekt der umwandlungsinduzierten Plastizität (den TRIP-Effekt) aufweisen. In diesen Stählen kommt es zur Bildung und später zur Anordnung von Stapelfehlern auf den kubisch-flächenzentrierten Netzebenen {111}, die 24 die Röntgenbeugung als eine allmähliche Phasenumwandlung der kubischen Struktur des Austenits in die hexagonale Struktur des ε-Martensits interpretiert. 2.4.4 Kinematische Theorie der Röntgenbeugung an mehreren Kristalliten In der kinematischen Beugungstheorie wird die Kohärenz der Nachbarkristallite vernachlässigt. Die Gleichung (2.28) vereinfacht sich damit wesentlich, indem lediglich die an einzelnen Kristalliten diffraktierten Intensitäten und nicht die gestreuten Amplituden mit entsprechenden Phasen addiert werden. Die vereinfachte Gleichung (2.28) kann dann in der Form [vgl. Gl. (2.29)] I (q ) = I 0 P N ∑∑ F (q ) p =1 n =1 2 p [ ] 2 ⋅ FT Ω n, p (q ) = I 0 ∑ F (q ) ∑ FT [Ω (q )] P 2 p p =1 N n, p n =1 2 (2.45) geschrieben werden, wo man sowohl über die einzelnen Phasen (p) als auch über einzelne Kristallite der jeweiligen Phase (n) addiert. Der Intensitätsfaktor I0 enthält ein Produkt der Intensität des Primärstahls, des Lorentz-Faktors, des Polarisationsfaktors (s. Kapitel 1.1) und des Absorptionsfaktors (Kapitel 2.4.1). In der Gleichung (2.45) kann weiterhin die Summe der Formfaktoren einzelner Kristallite einer bestimmten Phase durch 2 V p Φ p (q ) FT Ω n, p (q ) = 2 VEZ ,p ∑ [ N n =1 ] (2.46) ersetzt werden, wo VEZ , p das Volumen der Elementarzelle, V p das Volumen der diffraktierenden Kristal lite (d.h. der Kristallite, deren Netzebenen (hkl) senkrecht zum Beugungsvektor liegen) und Φ p (q ) die normierte Profilfunktion ist: ∫ Φ (q )dq = 1 . (2.47) p So erhält man die Beschreibung der kinematisch diffraktierten Intensität als Funktion des Beugungsvektors: I (q ) = S ⋅ L ⋅ P ⋅ A ⋅ P 2 F (q ) p ⋅ V p p =1 2 VEZ ,p ∑ ⋅ Φ p (q ) . (2.48) In der kinematischen Beugungstheorie wird oft angenommen, dass sich der Strukturfaktor innerhalb ei nes reziproken Gitterpunktes nicht verändert, sodass der Term F (q ) durch F (hkl ) ersetzt wird. Dies bedeutet, dass der Strukturfaktor im entsprechenden reziproken Gitterpunkt gerechnet wird, wo ( ) q = 2π ha * + kb * +lc * , 25 (2.49) siehe Kap. 2.1 und Gl. (2.3). Unter dieser Voraussetzung kann auch die Integralintensität einer bestimmten Beugungslinie einer bestimmten Phase als F (hkl ) p ⋅ V p F (hkl ) p ⋅ V p ( ) q d q S L P A = I p (q )dq = S ⋅ L ⋅ P ⋅ A ⋅ ⋅ Φ = ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ p 2 2 VEZ VEZ ,p ,p 2 I int, p 2 ∫ ∫ (2.50) gerechnet werden. Für polykristalline Proben kann weiterhin der Beugungsvektor q in Gl. (2.48) durch den Betrag ersetzt werden (s. Kapitel 2.2). Für eine koplanare Beugungsgeometrie folgt dann aus der Gleichung (2.16) 4π q≡ q = sin θ , (2.51) λ was bedeutet, dass die diffraktierte Intensität in der Gleichung (2.29) als eine Funktion des Beugungswinkels (2θ) betrachtet werden kann: I (2θ ) = S ⋅ L ⋅ P ⋅ A ⋅ P F (hkl ) p ⋅ V p p =1 2 VEZ ,p ∑ 2 ⋅ Φ p (2θ ) . (2.52) In polykristallinen Proben, die aus defektfreien Kristalliten bestehen, wird die Form der Profilfunktion Φp hauptsächlich durch die Form und Größe der Kristallite bestimmt, wie es im Kapitel 2.3 beschrieben wurde. 3 Einfluss der Mikrostrukturdefekte auf das Röntgendiffraktogramm Verschiedene Mikrostrukturdefekte in untersuchten Werkstoffen beeinflussen die Röntgendiffraktogramme auf unterschiedliche Art und Weise. Daher wird die Röntgendiffraktometrie als eine sehr geeignete Methode für die Mikrostrukturanalyse angewendet. Die Mikrostrukturdefekte selbst kann man nach verschiedenen Kriterien klassifizieren. Für die Zwecke der Röntgenbeugungsanalyse werden jedoch oft die Mikrostrukturdefekte nach ihrer Dimension gegliedert. 3.1 Punktdefekte Als Punktdefekte werden Kristallstrukturdefekte auf atomarem Niveau bezeichnet. Deren räumliches Ausmaß ist typischerweise auf die Umgebung einzelner Atome beschränkt. Zu Punktdefekten zählen Leerstellen, die im Gegensatz zur regulären Kristallstruktur besetzten Zwischengitterplätze und Substitutionsatome. Solche regelwidrige Besetzung der Gitterplätze führt oft zu einer lokalen Gitterverzerrung, deren Auswirkung auf das Diffraktogramm sich sehr gut mit Hilfe der Gleichung (1.27) darstellen lässt. Danach kann die diffraktierte Intensität als 26 I (q ) = I 0 ∑ f (q ) exp[iq ⋅ (r * j j j )] ∑ f (q ) exp[− iq ⋅ (r +uj ⋅ j j +uj )] (3.1) j geschrieben werden, wobei die regemäßigen Atompositionen r j aus der Gleichung (1.27) durch die um eine Verschiebung u j veränderten Atompositionen r j + u j ersetzt wurden. Eine nicht korrelierte Verschiebung der Atome führt zur Abnahme der Intensität der Beugungslinien und zum Anstieg der Intensität außerhalb der (regulären) Braggschen Maxima, der als diffuse Streuung bezeichnet wird. Dieser Effekt wird für zufällige Auslenkungen der Atome aus ihrer regulären Positionen in Abb. 14 dargestellt. Das Diffraktogramm in Abb. 14 wurde für eine bestimmte kristallographische Richtung (der z-Achse) gerechnet, q ≡ (0,0, q z ) und r j = (0,0, jd ) , wo d der Netzebenenabstand in der z-Richtung ist. Die atomaren Aus lenkungen u j folgten einer Normalverteilung mit der relativen Breite von σ u j d = 0.014 . ( ) (Intensität)1/2 120 90 60 30 0 0 20 40 60 80 -1 Beugungsvektor (nm ) Abbildung 14: Die Diffraktogramme einer eindimensionalen Kristallstruktur gerechnet ohne Auslenkung der Atome (dünne Linie) und mit zufälligen Auslenkungen der Atome aus ihren Gleichgewichtspositionen (dicke Linie). Die Intensitäten werden in der Wurzelskala dargestellt, um die diffuse Streuung besser sichtbar zu machen. Die Röntgenbeugung an Kristallen mit Punktdefekten wird dadurch charakterisiert, dass die Intensität der Bragg-Maxima mit steigendem Betrag des Beugungsvektors sukzessiv abnimmt. Diese Abnahme der kohärenten Streuung wird durch die Zunahme der nichtkohärenten (diffusen) Streuung kompensiert. Für zufällige Auslenkungen der Atome aus ihren regelmäßigen Positionen können diese beiden Abhängigkeiten mit Hilfe eines einfachen Modells quantifiziert werden, in dem die Gleichung (3.1) für Atompaare in die folgende Form umgeschrieben wird: I (q ) = I 0 ∑∑ f (q ) f (q )exp[iq ⋅ (r − r )] exp[− iq ⋅ (u * j j k j k 27 k j − uk )] . (3.2) Die Skalarprodukte q ⋅ u j und q ⋅ u k entsprechen den Projektionen der atomaren Auslenkungen in die Richtung des Beugungsvektors, und können daher mit Hilfe der Hälfte des Beugungswinkels als 4πu j sin θ λ bzw. als 4πu k sin θ λ geschrieben werden. Demnach gilt [ ( exp − iq ⋅ u j − u k )] = 4πi exp − sin θ u j − u k . λ ) ( (3.3) Für kleine Auslenkungen der Atome kann der Mittelwert in der Gleichung (3.3) in die Taylorreihe zweiter Ordnung zerlegt werden, e ix = 1 + i x − 12 x 2 , (3.4) was der Annahme eines harmonischen bzw. elastischen Verhaltens der lokalen Deformation in der Nähe des Punktdefektes entspricht. Für symmetrische Auslenkungen der Atome aus der Gleichgewichtspositi- [ ] on ist 〈x〉 = 0 und daher ist e ix = exp − 12 x 2 . In dieser Näherung lässt sich die rechte Seite der Gleichung (3.3) als 8π 2 4π exp − i sin θ u j − u k = exp − 2 sin 2 θ u j − u k λ λ ( ( ) ) 2 = 8π 2 8π 2 16π 2 = exp − 2 sin 2 θ u 2j ⋅ exp − 2 sin 2 θ u k2 ⋅ exp 2 sin 2 θ u j u k = λ λ λ = exp − M j exp(− M k ) exp 2 M jk ( ) (3.5) ) ( schreiben. Setzt man Gl. (3.5) in die Gleichung (3.2) ein, erhält man die folgende Formel für die diffraktierte Intensität: ∑∑ f (q ) f (q ) exp[iq ⋅ (r I (q ) = I 0 * j j k j )] −M 2M − rk e j e − M k e jk . (3.6) k Falls die atomaren Auslenkungen uj und uk nicht korreliert sind, ist u j u k = 0 (für j ≠ k) und damit ( ) exp 2 M jk = 1 . Die Gleichung (3.6) kann daher in die folgende Form umgeschrieben werden, I (q ) = I 0 ∑ f (q )exp(iq ⋅ r )e * n −Mn n ⋅ n − I0 ∑f n 2 −2 M n n e + I0 ∑ f (q )exp(− iq ⋅ r )e n n ∑f 2 n −Mn − , (3.7) n n wo nur über den Index n addiert wird. Die letzten beiden Beiträge zur diffraktierten Intensität korrigieren den im ersten Teil der Gleichung (3.7) enthaltenen Einfluss der atomaren Auslenkungen für j = k [in Gl. (3.6)]. Für j = k ist uj = uk und daher u j u k = u 2j = u k2 ≠ 0 , was bedeutet, dass der Intensitätsterm für j = k, d.h. der letzte Term in Gl. (3.7), durch die atomare Unordnung nicht geschwächt wird. Mit dem vor28 letzten Intensitätsterm wird die im ersten Term der Gleichung (3.7) bereits enthaltene geschwächte Intensität abgezogen. Führt man einen neuen Strukturfaktor ein, der die atomaren Auslenkungen aus den idealen Positionen berücksichtigt, F (q ) = ∑ f n (q ) exp − iq ⋅ rn − n q 2 u n2 , 2 (3.8) ergibt sich die diffraktierte Intensität als 2 I (q ) = I 0 F (q ) + I 0 ∑f 2 n n − ∑f 2 n n ( ) exp − q 2 u n2 , (3.9) wo der erste Teil der kohärent diffraktierten Intensität den Beugungslinien entspricht, die nur bei bestimmten Beugungsvektoren vorkommen, während der zweite Teil die nichtkohärente diffuse Streuung beschreibt. Aus der Gleichung (3.9) ist ersichtlich, dass die Intensität der diffusen Streuung mit wachsendem Beugungsvektor zunimmt, wie es bereits in Abb. 14 gezeigt wurde. 3.2 Mikrodehnung Ähnlich wie Punktdefekte erzeugen auch viele andere Mikrostrukturdefekte lokale Deformationsfelder, die im Diffraktogramm sichtbar sind. Die lokalen Gitterdeformationen führen zu einer Variation der Netzebenenabstände, die als Mikrodehnung bezeichnet wird: ε 1 2 2 ∆d ≡ d 2 1 2 . (3.10) Die Variation der Netzebenenabstände verursacht eine Variation des Beugungswinkels, die als Linienverbreiterung messbar ist und die mit Hilfe des Differentials der Bragg-Gleichung (2.15), 2∆d sin θ + 2d cosθ∆θ = 0 , (3.11) folgendermaßen quantifiziert werden kann: ∆θ = ε 2 1 2 tan θ . (3.12) In Gl. (3.12) steht die Linienbreite ∆θ im Bogenmaß. Typischerweise wird die Linienbreite aber nicht als ∆θ sondern als ∆2θ gemessen, sodass die beiden Seiten der Gleichung (3.12) mit einem Faktor 2 multipliziert werden müssen. Alternativ wird die Linienbreite im reziproken Raum als ∆q angegeben. Aus den Gleichungen (2.18) und (3.12) folgt dann die entsprechende Linienbreite: 29 ∆q = 4π λ cosθ∆θ = 4π ε2 λ 1 2 sin θ . (3.13) Eine weitere alternative Beschreibung der Abhängigkeit der Linienbreite vom Beugungswinkel folgt ebenfalls aus der Gleichung (2.18), in der der reziproke Netzebenenabstand 1/d als d* bezeichnet wird, d* = q 2 sin θ . = 2π λ (3.14) Die entsprechende Linienbreite ergibt sich dann als ∆d ∗ = ∆q 2 2 = ε 2π λ 1 2 sin θ = ε 2 1 2 d∗. (3.15) 2.8 ∆d* (10-3 Å-1) 2.4 2.0 1.6 1.2 0.8 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 sin θ Abbildung 15: Williamson-Hall-Plot – die lineare Abhängigkeit der Linienbreite vom sin θ . Die offenen Kreise bezeichnen die Messdaten, die Linie den linearen Fit. In der Kombination mit der Scherrer-Gleichung (2.26) bilden die Gleichungen (3.12), (3.13) oder (3.15) die Grundlage der Williamson-Hall-Methode [21], nach der der beugungswinkelunabhängige Teil der Linienverbreiterung (∆q oder ∆d*) der effektiven reziproken Kristallitgröße (K/D) und der beugungswinkelabhängige Teil der Linienverbreiterung der Mikrodehnung entspricht. Speziell für die Linienbreite ∆d* gilt ∆d * = K +2 ε2 D 1 2 sin θ λ = K + ε2 D 1 2 d∗, (3.16) wo die beiden Beiträge zur Linienverbreiterung, d.h. der Effekt der kleinen Kristallitgröße ( ∆d D* ) und der Effekt der Mikrodehnung ( ∆d ε* ), linear addiert wurden. Die durch die Gleichung (3.16) beschriebene Abhängigkeit der Linienbreite vom sin θ ist in Abb. 15 graphisch dargestellt. Der Achsenabschnitt bei sin θ = 0 ergibt die reziproke Kristallitgröße, K/D. Der Anstieg der linearen Abhängigkeit ist gleich dem Wert von 2 ε2 λ und daher proportional der Mikrodehnung. 30 Die einfache Summe der von der kleinen Kristallitgröße und von der Mikrodehnung stammenden Linienverbreiterungen [Gl. (3.16)] entspricht der Linienbreite einer Funktion, die durch die Faltung 9 von zwei Cauchy-Lorentz-Funktionen fD und fε mit den Halbwertsbreiten ∆d D* und ∆d ε* entsteht: f D(C ) ∗ f ε(C ) ≡ [( I Dmax ) 1 + d * − d 0* ∆d D* ] 2 ∗ [( I εmax ) 1 + d * − d 0* ∆d ε* ] 2 . (3.17) Das bedeutet, dass wenn sowohl der Effekt der kleinen Kristallitgröße als auch der Effekt der Mikrodehnung jeweils durch eine Cauchy-Lorentz-Funktion beschrieben werden könnte, würde die Näherung aus Gl. (3.16) exakt gelten. Mehrere Autoren [siehe, z.B. [30]] haben jedoch gezeigt, dass der Effekt der Kristallitgröße zwar durch eine Cauchy-Lorentz-Funktion beschrieben werden kann, der Effekt der Mikrodehnung jedoch in den meisten Fällen der Gauß-Funktion folgt. Bei der Faltung von zwei GaußFunktionen, f D(G ) 2 2 d * − d 0* d * − d 0* max ∗ f ε(G ) ≡ I Dmax exp − ln 2 * ∗ I ε exp − ln 2 ∆d * , ∆ d D ε (3.18) muss die Gesamtbreite der gefalteten Funktion als Summe der quadratischen Breiten der einzelnen Funktionen gerechnet werden, so dass die Gleichung (3.16) in einer modifizierten Form geschrieben werden muss: (∆d ) * 2 3.3 ( ) K sin θ K 2 ∗ 2 = +4 ε2 = + ε d . λ D D 2 2 2 (3.19) Versetzungen Das oben beschriebene Konzept der Mikrodehnung kann relativ allgemein angewendet werden, um die lokalen Änderungen bzw. Fluktuationen der Netzebenenabstände, die z.B. durch die lokalen Variationen der chemischen Zusammensetzung oder durch Kristallgitterdefekte wie Versetzungen, Versetzungsstrukturen und planare Defekte hervorgerufen werden, zu quantifizieren. Es ermöglicht aber weder die Identifizierung der für die Linienverbreiterung verantwortlichen Mikrostrukturphänomene, noch die Bestimmung von statistischen Kenndaten, wie z.B. der Defektdichte. Für eine detaillierte Mikrostrukturanalyse sind Modelle notwendig, die die Auswirkung der Mikrostrukturdefekte auf das Röntgendiffraktogramm beschreiben. Die entsprechenden Mikrostrukturmodelle für Versetzungen wurden von Wilkens [31] und Krivoglaz [32] aufgestellt und von Klimanek und Kužel [33], [34] sowie von Ungár et al. [35], [36] weiterentwickelt. 9 Die „Faltung“ bedeutet hier das Faltungsintegral, ∫ ∞ −∞ f D ( y ) f ε (x − y )dy ≡ f D ∗ f ε . 31 Nach Ungár et al. [36] ist die quadratische Mikrodehnung proportional der Versetzungsdichte ρ: 2 ≈ ε hkl ρb 2 C hkl M 2 4π (3.20) Die Proportionalitätsfaktoren in Gl. (3.20) sind der Burgersvektor der Versetzungen b , der Wilkensfaktor M [31], der von der Anordnung der Versetzungen abhängt, und der Kontrastfaktor der Versetzungen Chkl, der hauptsächlich für die Abhängigkeit der Mikrodehnung von der kristallographischen Richtung zuständig ist. Die Kontrastfaktoren der Versetzungen wurden erstmals für die hexagonale Kristallsymmetrie aus den elastischen Konstanten berechnet [33], [34]. Später haben Ungár et al. gezeigt, dass die Kontrastfaktoren der Versetzungen in kubischen Kristallen mit Hilfe der kubischen Invarianten Γhkl = h 2 k 2 + k 2l 2 + l 2 h 2 (h 2 + k2 + l2 (3.21) ) 2 als C hkl = C h 00 (1 − ζΓhkl ) (3.22) berechnet werden können, weil die kubische Invariante auch die Symmetrie der elastischen Konstanten beschreibt, siehe z.B. [37]. Ersetz man in der Gleichung (3.19) die Mikrodehnung aus Gl. (3.20) und den Kontrastfaktor aus den Gleichungen (3.21) und (3.22), erhält man die modifizierte Williamson-HallAbhängigkeit [36]: (∆d ) ( ) ρb 2 M 2 K C h 00 (1 − ζΓhkl ) d ∗ = + 4π D 2 ∗ 2 hkl 2 sin 2 θ ρb 2 M 2 K C h 00 (1 − ζΓhkl ) 2 . (3.23) = + π λ D 2 Der Parameter ζ in den Gleichungen (3.22) und (3.23) steht für das Ausmaß der Kristallanisotropie der ( ) 2 Linienbreite ∆d * . Für die Zwecke der linearen Regression kann die Gleichung (3.23) in der folgenden Form geschrieben werden: (∆d ) ∗ 2 hkl sin 2 θ ρb 2 M 2 sin 2 θ ρb 2 M 2 K ζ C C h 00 − Γ = = + h 00 hkl π π λ2 λ2 D 2 sin 2 θ sin 2 θ K 2 4 ε ζ − Γ = + 4 ε h200 h 00 hkl λ2 λ2 D 2 . (3.24) Die freien Parameter des Mikrostrukturmodells aus der Gleichung (3.24) sind (K D )2 , ε h200 und ζ. Die ( ) 2 Inputdaten sind die Verbreiterung der Beugungslinien durch Versetzungen ∆d * , die Linienpositionen (sin θ) und die Beugungsindices, aus denen die kubische Invariante Γhkl mit Hilfe der Gleichung (3.21) gerechnet wird. Ein Beispiel für die Richtungsabhängigkeit der Verbreiterung der Beugungslinien in einem austenitischen Stahl ist in Abb. 16 gezeigt. Das Bild auf der linken Seite stellt die klassische WilliamsonHall-Abhängigkeit dar, das Bild auf der rechten Seite den modifizierten Williamson-Hall-Plot. Der klassi32 sche Williamson-Hall-Plot kann offensichtlich die Abhängigkeit der Linienverbreiterung von der Kristallrichtung nicht beschreiben, macht aber das Ausmaß der Anisotropie der Mikrodehnung gut sichtbar. Der modifizierte Williamson-Hall-Plot ist dagegen eine gerade Linie. Der Grad der Kristallanisotropie (ζ) beeinflusst direkt die Werte auf der x-Achse. 7 311 10 (∆d*)2 (10-6 Å-1) (∆d*)2 (10-6 Å-1) 6 8 311 6 200 4 220 2 222 5 200 4 3 0.2 111 2 111 0.0 220 222 0.4 0.6 0.0 0.8 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 sin θ (1-ζΓ) sin θ Abbildung 16: Der Williamson-Hall-Plot (links) und der modifizierte Williamson-Hall-Plot (rechts) eines plastisch deformierten austenitischen Stahls. Die einzelnen Messwerte (kleine Kreise) sind mit den Beugungsindizes bezeichnet. Die Messdaten wurden in den beiden Bildern durch die Gleichung (3.24) angepasst. Die angepassten Daten sind als durchgezogene Linie dargestellt. Die gestrichelten Linien im linken Bild zeigen die Grenzwerte der quadratischen Mikrodehnung für die kristallographischen Richtungen 〈111〉 und 〈100〉. 2 2 Analog zu Kontrastfaktoren der Versetzungen in kubischen Kristallen können auch die Kontrastfaktoren von Versetzungen in Kristallen mit hexagonaler Symmetrie mit Hilfe der hexagonalen Invariante aus den Beugungsindizes hkil berechnet werden [38]: C hkil = α + [β (h [h 2 2 ) ] + k 2 + i 2 + γl 2 l 2 +k +i + 2 2 3 2 (a c ) ] 2 2 2 l , (3.25) In der Gleichung (3.25) sind a und c die hexagonalen Gitterparameter und i = −(h + k ) . Die Werte der Koeffizienten α, β und γ hängen von dem Typ und vom Burgersvektor der Versetzungen sowie von den elastischen Konstanten des Materials ab. 3.4 Planare Defekte Zu den häufigsten zweidimensionalen Defekten in Kristallen gehören Korngrenzen, Antiphasengrenzen, Stapelfehler und Zwillingsgrenzen. Ebenfalls diese Kristallstrukturdefekte beeinflussen das Diffraktogramm. Die Korngrenzen sind im Diffraktogramm zwar nicht direkt sichtbar, weil sie nicht zur Röntgenbeugung beitragen. Die Dichte der Korngrenzen hängt jedoch mit der Kristallitgröße zusammen und hat daher einen direkten Einfluss auf die Linienbreite, wie es im Kapitel 2.3 beschrieben wurde. Bei sehr klei33 nen Kristalliten spielt ebenfalls die Art der Korngrenzen (Kleinwinkel- oder Großwinkelkorngrenze) eine wichtige Rolle. Die Präsenz von Kleinwinkelkorngrenzen kann zu der im Kapitel 2.4.2 beschriebenen partiellen Kohärenz der Nachbarkristallite führen, die die Abhängigkeit der Breite der Beugungslinien vom Betrag des Beugungsvektors beeinflusst. Eine typische Erscheinung ist dabei der Anstieg der Linienbreite mit steigendem Betrag des Beugungsvektors, der in einem bestimmten Bereich des Beugungsvektors nach Gl. (3.19) als scheinbare Mikrodehnung interpretiert werden kann (vgl. Abb. 13). Auf der anderen Seite kann es in speziellen Fällen, wie z.B. bei der Bildung von Versetzungswänden [39], zu einer tatsächlichen Erhöhung der Mikrodehnung an Korngrenzen kommen. Abbildung 17: Beispiel einer Antiphasengrenze. Die Antiphasengrenze ist mit der schwarzen gestrichelten Linie, die Verschiebung der Atome mit dem weißen Pfeil markiert. Das Auftreten von Antiphasendomänen (Abb. 17) ist mit einer Änderung der Phase der gestreuten Welle verbunden, siehe Gleichung (2.2), weil die Atome an den beiden Seiten der Antiphasengrenze zwar prinzipiell die gleichen Gitterpositionen besetzen, der Ursprung der jeweiligen Domäne jedoch verschoben wird. Dadurch kommt es zur Änderung des Strukturfaktors für bestimmte Beugungsindizes hkl und zur Änderung der Intensität von entsprechenden Beugungslinien [10]. Weiterhin verursacht die Bildung von Antiphasendomänen eine Fragmentierung des Kristalls, die zur richtungsabhängigen Verbreiterung der Beugungslinien führt, als würde es sich um eine hkl-Abhängigkeit der Kristallitgröße handeln. Als Stapelfehler wird eine Änderung der Stapelfolge von bestimmten Netzebenen bezeichnet [10]. Ein typisches Beispiel ist die Änderung der Reihenfolge der Netzebenen {111} in einem kubischflächenzentrierten (kfz) Kristall von …ABCABCABC… zu …ABCAB|ABCA… Der senkrechte Strich bezeichnet die Position des Stapelfehlers. Die Sequenz …AB|AB…, die in der Nähe des Stapelfehlers in der kfzStruktur auftritt, wird von der Röntgenbeugung als Teil einer hexagonalen dichtgepackten (hdp) Struktur interpretiert (vgl. Abb. 18), die wegen einer unterschiedlichen Länge der Elementarzelle in der betroffenen Richtung nicht vollständig kohärent mit der kubischen Struktur ist. Während sich die kfz-Struktur in der Stapelrichtung 〈111〉 über drei Netzebenen {111} (ABC) erstreckt, beträgt die Länge der hdp-Struktur in der Richtung 〈001〉 nur zwei Netzebenen {001} (AB). Typische Beispiele von Kristallstrukturen, die zur Bildung von Stapelfehlern neigen, sind austenitische Stähle mit einer niedrigen Stapelfehlerenergie sowie viele Materialien, die sowohl in der kubischen als auch in der hexagonalen Struktur kristallisieren oder in denen es bei höheren Temperaturen zu einem Phasenübergang kommt, wie z.B. Kobalt. 34 Kubisch Hexagonal A B C A B B A A Richtung 〈111〉 Richtung 〈001〉 Abbildung 18: Vergleich der kubisch-flächenzentrierten (kfz, links) und der hexagonalen dichtgepackten Kristallstruktur (hdp, rechts). Die Reihenfolge der entsprechenden basalen Netzebenen, d.h. {111} in kfz und {001} in hdp, wird als …ABCABC… in kfz und als …ABABAB… in hdp bezeichnet. Isolierte Stapelfehler beeinflussen die Breite der Beugungslinien prinzipiell ähnlich wie andere planare Kristallstrukturdefekte. Sie tragen zur Fragmentierung der kohärent diffraktierenden Domänen bei und verkleinern dadurch die effektive Kristallitgröße. Die Stapelfehler bilden sich jedoch bevorzugt auf bestimmten Netzebenen, sodass die Änderung der effektiven Kristallitgröße wieder stark von der Kristallrichtung abhängt. So sind in der kfz-Struktur mit den Stapelfehlern auf den {111}-Netzebenen nur die Beugungslinien betroffen, für die (h + k + l ) mod 3 ≠ 0 ist. In einer polykristallinen Probe muss es über alle äquivalenten Netzebenen (hkl) gemittelt werden, so dass sich der Effekt der {111}-Stapelfehler in einer kfz-Struktur auf die Breite der Röntgenbeugungslinien nach Warren [10] als ∗ ∆d hkl = K 1.5α + β + D a ∑m b h+k +l hkl h2 + k 2 + l 2 (3.26) beschreiben lässt. Der erste Term in der Gleichung (3.26) entspricht der reziproken Kristallitgröße aus der Scherrer-Gleichung (2.26), a ist der kubische Gitterparameter, α die Dichte der isolierten Deformationsstapelfehler und β die Dichte der Wachstumsstapelfehler (Zwillingsgrenzen). Der Mittelwert wird über alle Permutationen der Beugungsindizes hkl gerechnet, die den beeinflussten Beugungslinien mit (h + k + l ) mod 3 ≠ 0 entsprechen. Das Symbol mhkl bezeichnet die Anzahl der äquivalenten Netzebenen für jedes hkl, d.h. die Flächenhäufigkeit. Die Werte der Summe aus der Gleichung (3.26) sind in der Tabelle 1 für relevante Beugungslinien zusammengefasst. 35 Tabelle1: Die Zusammenfassung von hkl-abhängigen Faktoren, die den Beitrag der Stapelfehler {111} zur ∑ h + k + l m h + k + l , und zur Linienverschiebung, ∑ ± (h + k + l ) [m (h + k + l )] , in einer kfz-Struktur bestimmen und deren Vergleich mit der kubi- Linienverbreiterung, 2 2 2 hkl b 2 2 2 hkl b ( schen Invarianten aus Gl. (3.21), Γhkl = h 2 k 2 + k 2 l 2 + l 2 h 2 hkl ∑h+k +l b mhkl h 2 + k 2 + l 2 ∑ ± (h + k + l ) m (h + k + l ) 2 2 2 2 + k2 + l2 ) 2 . 111 200 220 311 222 400 331 420 422 333 511 3 4 1 1 3 3 4 1 7 1 4 17 20 24 0 1 8 1 4 1 19 1 20 0 0 0 99 361 1 4 1 3 1 4 b ) (h − 1 2 2 2 11 1 4 − 1 4 9 121 1 11 − 2 19 − 4 27 − 3 4 ⋅ 27 hkl h 2 k 2 + k 2l 2 + l 2 h 2 (h 2 +k +l 2 1 3 ) 2 2 0 1 3 4 25 51 729 In hexagonalen Kristallen ergibt sich die durch Stapelfehler bedingte Linienverbreiterung ebenfalls aus einer effektiven (reziproken) Kristallitgröße und wird durch die Gleichung (3.27) beschrieben: ∗ ∆d hkl = K D für h − k = 3 N K ld hkl + 2 (3α + 3β ) D c K ld (3α + β ) = + hkl D c2 ∗ ∆d hkl = ∗ ∆d hkl für h − k = 3N ± 1 und l gerade (3.27) für h − k = 3 N ± 1 und l ungerade. Aus der Gleichung (3.27) ist ersichtlich, dass in einer hdp-Kristallstruktur die Breite der Beugungslinien 002, 110, 112 und 004 durch die Stapelfehler nicht beeinflusst wird. Verbreitet werden dagegen die Beugungslinien 100, 101, 102, 103, 200, 201, 202, 104, 203, 210 und 211. Durch das unterschiedliche Verhalten von Beugungslinien mit geraden und ungeraden l-Indizes ist es weiterhin möglich, die Deformationsstapelfehler und die Wachstumsstapelfehler (Zwillingsgrenzen) unabhängig voneinander zu quantifizieren, was bei einer kfz-Struktur auf diesem Wege nicht möglich ist. Auf der anderen Seite beeinflussen die isolierten Deformationsstapelfehler in kfz-Materialien nicht nur die Breite sondern auch die Positionen der Beugungslinien [10]. Diese Linienverschiebung kann als eine zusätzliche anisotrope Gitterdehnung interpretiert werden [40]: 36 ε hkl ∑ ± (h + k + l ) ∆d hkl 3α b . = 0 =− 4π h 2 + k 2 + l 2 mhkl d hkl ( ) (3.28) Durch die Stapelfehler werden nur, wie in der Gleichung (3.26), die Positionen der Beugungslinien beeinflusst, für die (h + k + l ) mod 3 ≠ 0 ist. Das Vorzeichen (±) in Gl. (3.28) ist positiv für (h + k + l ) mod 3 = 1 und negativ für (h + k + l ) mod 3 = 2 . Die richtungsabhängigen Faktoren aus der Gleichung (3.28) werden für eine kfz-Struktur in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Gleichung (3.28) ermöglicht die Bestimmung der Dichte der isolierten Stapelfehler. Da die Stapelfehler typischerweise durch die Separation von Partialversetzungen wachsen, die ursprünglich durch die Dissoziation von vollständigen Versetzungen entstanden sind, wird insbesondere in der Anfangsphase der Separation von Partialversetzungen die lokale Gitterdehnung auch durch die Wechselwirkung von Partialversetzungen mitbestimmt. Die Wechselwirkung von Partialversetzungen modifiziert die Kristallsymmetrie der lokalen Gitterdeformation [40] und ermöglich eine indirekte Messung der Breite der Stapelfehler. Bei höheren Stapelfehlerdichten steigt auch die Wahrscheinlichkeit der Stapelfehleranordnung. Solche geordneten Stapelfehler können nicht als isolierte Stapelfehler betrachtet werden, und die klassische Warren-Theorie verliert ihre Gültigkeit. Das heißt, dass solche Stapelfehler nicht zu der Linienverbreiterung und zu der Linienverschiebung führen, die durch die Warren-Theorie vorhergesagt wurden. Vielmehr wachsen durch eine periodische Anordnung von Stapelfehlern in einer kubischen Struktur die Bereiche, die die Röntgenbeugung als hexagonal interpretiert. Im Röntgendiffraktogramm ist dann eine Art Phasenumwandlung zu erkennen. Solche Phänomene wurden in hochlegierten austenitischen Stählen [29] und in metastabilen Titanaluminiumnitriden [41] beobachtet. In den hochlegierten austenitischen Stählen führte die periodische Anordnung der Stapelfehler nach jeder zweiten Netzebene {111} zur Bildung von (hdp) ε-Martensit, der den Effekt der umwandlungsinduzierten Plastizität (transformationinduced plasticity, TRIP) begleitet. Im metastabilen (Ti,Al)N begleiten die geordneten Stapelfehler die Umwandlung des aluminiumreichen kubisch-flächenzentrierten (Al,Ti)N in die thermodynamisch stabile wurtzitische Modifikation. In anderen Materialien führt die Anordnung von Stapelfehlern zur Bildung von Polytypen. Als Beispiele von Elementen oder binären Verbindungen, die oft Polytypen bilden, sind verschiedene Modifikationen vom Graphit und Diamant, Siliciumcarbid (SiC), Bornitrid (BN) und Zinksulfid (ZnS) zu nennen. Allein für SiC sind in der Literatur ca. 25 Polytypen mit den Raumgruppen F 4 3m , P 6 3 mc und P3m1 berichtet worden. 3.5 Turbostratische Kristallstrukturdefekte Zu weiteren Kristallstrukturdefekten, die hier näher beschrieben werden, gehören turbostratische Kristallbaufehler. Die turbostratischen Defekte kommen häufig im hexagonalen Graphit [42] und in Materialien mit ähnlicher Kristallstruktur, wie z.B. im hexagonalen Bornitrid [43], sowie in Tonmineralen [44] vor. Nach der Originaldefinition von Biscoe & Warren [42] bestehen turbostratische Strukturen aus stark gegenseitig missorientierten Basisebenen, was in hexagonalen Systemen die Netzebenen {001} sind. Sehr 37 häufig ist eine gegenseitige Verdrehung der Basisebenen um die [001]-Richtung, die die reziproken Gitterpunkte mit l ≠ 0 und h ≠ 0 oder mit l ≠ 0 und k ≠ 0 stark verbreitet. In hexagonalen Kristallstrukturen mit turbostratischer Anordnung der Basisebenen hängt die Linienverbreiterung vor allem vom Beugungsindex l und vom Netzebenenabstand dhkl ab: ∗ ∆d hkl = 2l γ . d 2 hkl πc 1− γ (3.29) Die Beugungslinien mit h, k = 0 oder l = 0 werden von den turbostratischen Defekten nicht beeinflusst. Die weiteren Einflussfaktoren in der Gleichung (3.29) sind der Gitterparameter c und der Grad der turbostratischen Unordnung γ. Der Parameter γ ist gleich Null für eine ungestörte Struktur und gleich 1 für eine vollständig turbostratische Struktur, in der die Verdrehungen der benachbarten Basisebenen nicht mehr korreliert sind. 20 40 60 80 006 200 201 202 114 112 104 110 102 004 103 100 100 101 101 002 Intensität (s-1) 102 100 Beugungswinkel (°2θ) Abbildung 19: Diffraktogramm des graphitischen Bornitrids (Raumgruppe P 6 3 mmc ) mit turbostratischer Struktur. Die Positionen der Beugungslinien mit den Indizes hkl sind im unteren Teil des Bildes dargestellt. Ein Beispiel eines Diffraktogramms einer hexagonalen Kristallstruktur mit hoher Dichte der turbostratischen Defekte ist in Abb. 19 abgebildet. Die Beugungslinien 100, 110 und 200 werden von den turbostratischen Defekten nicht beeinflusst, und daher sind sie relativ scharf. Ihre Breite entspricht nach Kapitel 2.3 der lateralen Ausdehnung der Basisebenen {001}, d.h. der senkrecht zur Kristallrichtung [001] gemessenen Kristallitgröße. Mit zunehmendem Beugungsindex l (und gleichen h und k) werden die Beugungslinien sukzessiv breiter, wie es z.B. an den Linien 100, 101, 102, 103, 104 oder 110, 112, 114 zu sehen ist. Da nach der Bragg-Gleichung (2.15) der Netzebenenabstand dhkl mit steigendem Beugungswinkel abnimmt, ist die Verbreiterung der Beugungslinien mit steigendem l für kleine Beugungswinkel (d.h. für die Beugungslinien 100, 101, 102, 103 und 104) stärker ausgeprägt als für größere Beugungswinkel (d.h. für die Beugungslinien 110, 112 und 114), siehe Gl. (3.29). Die Beugungslinien 100, 101, 102, 103 und 104 38 sind kaum voneinander zu unterscheiden und bilden das sogenannte 10-Band, das zu höheren Beugungswinkeln stark asymmetrisch ist. Die Beugungslinien 00l (d.h. 002, 004 und 006) entstehen durch die Röntgenbeugung an den Netzebenen {001}. Daher ist ihre Verbreiterung unabhängig von dem Ausmaß der turbostratischen Defekte. Die Verbreiterung der Beugungslinien 00l wird hauptsächlich durch die Fluktuationen der Netzebenenabstände d00l und nicht durch die Missorientierung der Netzebenen {001} um die Richtung [001] verursacht. Häufig führen verschiedene Mikrostrukturdefekte zu unterschiedlichen Abhängigkeiten der Linienverbreiterung von den Beugungsindices. Dies erlaubt dann die Unterscheidung von mehreren Arten von Mikrostrukturdefekten, wie es am Beispiel von turbostratischen Defekten, Welligkeit der basalen Netzebenen, Versetzungen und Stapelfehlern im hexagonalen Bornitrid [45] gezeigt wurde. 3.6 Instrumentelle Verbreiterung der Beugungslinien Die im Kapitel 3.2 eingeführte und in Kapiteln 3.3, 3.4 und 3.5 für die Bestimmung der Versetzungsdichte, der Stapelfehlerwahrscheinlichkeit und der turbostratischen Unordnung genutzte Linienbreite hatte die Bedeutung der Linienverbreiterung durch Mikrostrukturdefekte. Die gemessene Breite der Beugungslinien enthält jedoch auch die instrumentelle Linienverbreiterung, die durch eine endliche Winkelauflösung des Röntgendiffraktometers zustande kommt. Diese instrumentelle Linienverbreiterung muss zunächst von Messdaten „abgezogen“ werden, damit man die reine physikalische Linienverbreiterung erhält. Der instrumentelle Effekt auf die Messdaten wird generell durch das Faltungsintegral h( x ) = ∞ ∫ f ( y )g (x − y )dy ≡ f ∗ g (3.30) −∞ beschrieben. Die Funktionen h, f und g in der Gleichung (3.30) stehen für die gemessenen Daten (h), für den physikalischen Effekt (f) und für die instrumentell bedingte Verzerrung der Messdaten (g). Um die Funktion f zu erhalten, ist eine Entfaltung der Messdaten notwendig. In speziellen Fällen lässt sich die Entfaltung ohne großen rechnerischen Aufwand durchführen. Für Cauchy-Lorentz-Funktionen f, g und h werden in der Analogie mit der Gleichung (3.17) die physikalische und die instrumentelle Linienverbreiterung addiert. Dementsprechend kann die physikalische Linienbreite als die Differenz der beiden Linienbreiten ∆d h∗ und ∆d g∗ berechnet werden: ∆d ∗f = ∆d h∗ − ∆d g∗ . (3.31) Für Gauß-Funktionen f, g und h gilt in der Analogie mit der Gleichung (3.18), dass die Quadrate der gemessenen Linienbreiten ∆d h∗ und ∆d g∗ subtrahiert werden: (∆d ) = (∆d ) − (∆d ) . ∗ 2 f ∗ 2 h 39 ∗ 2 g (3.32) Für die Entfaltung anderer Funktionen kann das Faltungstheorem genutzt werden, nach dem die FourierTransformation des Faltungsintegrals als Produkt der Fourier-Transformationen der gefalteten Funktionen geschrieben werden kann: FT (h ) = FT ( f ∗ g ) = 2π ⋅ FT ( f ) ⋅ FT (g ) . (3.33) Aus der Gleichung (3.33) kann dann die Funktion f folgendermaßen berechnet werden: FT (h ) f = FT −1 , FT (g ) (3.34) wo das Symbol FT-1 für die inverse Fourier-Transformation steht. Insbesondere bei Messdaten, die zufällige Intensitätsschwankungen (Rauschen) enthalten, bietet das Faltungstheorem keine geeignete Lösung. Solche Messdaten bzw. deren Fourier-Transformationen FT(h) und FT(g) können geglättet werden, z.B. ( ) ( ) ( ( ) ) mit Hilfe von Gauß-Funktionen exp − t 2 σ h2 und exp − t 2 σ g2 , die das Hochfrequenzrauschen unterdrücken: FT (h )exp − t 2 σ h2 . f ′ = FT −1 2 2 FT (g )exp − t σ g (3.35) Der Grad der Glättung ist reziprok proportional dem Wert von σ. Aus der Sicht des Faltungstheorems bedeutet jedoch eine solche Glättung eine zusätzliche Faltung und daher eine Verbreiterung der beiden Funktionen, die formal als eine Verbreiterung der Funktion f‘ gegenüber der „idealen“ Funktion f verstanden werden kann, f ′ = f ∗ sf , (3.36) wo sf die inverse Fourier-Transformation der effektiven Glättungsfunktion ist: [ ( )] s f = FT −1 exp − t 2 σ 2f . (3.37) Die Breite der Glättungsfunktion aus Gl. (3.37) ergibt sich aus den Breiten der Glättungsfunktionen, die an die Funktionen h und g angewendet wurden [46]: σ 2f = σ g2σ h2 σ g2 − σ h2 . (3.38) Aus den Gleichungen (3.38) und (3.37) ist ersichtlich, dass nur Glättungsfunktionen mit σ g2 > σ h2 sinnvoll sind, d.h. dass die Funktion h stärker geglättet werden muss als die Funktion g. Eine alternative Entfaltungsmethode haben Sánches-Bajo und Cumbrera [47] vorgeschlagen. Sie haben die gesuchte Funktion f in die Fourier-Reihe überführt, 40 f (x ) = m ∑ C j cos( jω0 x ) + j =0 m ∑S sin ( jω0 x ) mit ω0 = j j =0 2π , ∆ (3.39) wo ∆ die Anzahl der Messdaten und m die Anzahl der Fourier-Koeffizienten ist. Das Faltungsintegral (3.30) kann dann als h′(x ) = m m ∑ C [cos( jω x ) ∗ g ] + ∑ S [sin( jω x ) ∗ g ] j j 0 j =0 (3.40) 0 j =0 geschrieben werden. Die Fourier-Koeffizienten Cj und Sj werden mit Hilfe der Methode der kleinsten Fehlerquadrate ermittelt: m χ = C j [cos( jω0 x ) ∗ g (x )] + n =1 j =0 N 2 ∑∑ 2 S j [sin ( jω0 x ) ∗ g (x )] − h(x ) = min . j =0 m ∑ (3.41) In der Gleichung (3.41) bedeutet N die Anzahl der Messdaten, m die Anzahl der Fourier-Koeffizienten, g(x) die instrumentelle Linienverbreiterung und h(x) die an der untersuchten Probe gemessenen diffraktierten Intensitäten. Für diskrete Messdaten (diffraktierte Intensitäten), die in einem endlichen Bereich der Beugungswinkel aufgenommen wurden, lässt sich das Faltungsintegral (3.30) als folgende Summe schreiben, hm = N ∑f n g n−m , (3.42) n =0 die optional als ein Matrixprodukt dargestellt werden kann: g0 g −1 g −2 g −m g1 g0 g −1 g2 g1 g0 g −m+1 g −m+ 2 ⋅ g −m+ n gn g n−1 g n−2 f1 h1 f 2 h2 f 3 = h3 . f n hm (3.43) Die entfaltete Funktion f kann dann aus der Gleichung (3.43) mit Hilfe der Methode der kleinsten Fehlerquadrate unter der Einschränkung der nichtnegativen f-Werte (non-negative least-squares, NNLS) nach Lawson und Hanson [48] berechnet werden. Bei allen Entfaltungsmethoden spielt die Kenntnis der instrumentellen Funktion eine zentrale Rolle. Aus der Gleichung (3.33) folgt, dass die instrumentelle Funktion direkt gemessen werden könnte, wenn die physikalische Linienverbreiterung der δ-Funktion entsprechen würde, f ≡ δ , h = FT −1 [FT (δ ∗ g )] = FT −1 [1 ⋅ FT (g )] = g . 41 (3.44) Man kann aber leider keinen Standard für Röntgenbeugungsexperimente finden, der keine intrinsische Linienverbreiterung zeigen würde. Daher muss damit gerechnet werden, dass mit Hilfe einer Standardprobe nicht nur die instrumentelle Linienverbreiterung des Diffraktometers gemessen wird, sondern auch die physikalische Linienverbreiterung, die durch die Realstruktur der Standardprobe verursacht wird. Diese Methode ist trotzdem immer anwendbar, wenn die physikalische Linienverbreiterung der gemessenen Probe größer ist als die physikalische Linienverbreiterung des Standards. Kann diese Voraussetzung nicht erfüllt werden, z.B. bei der Untersuchung von beinahe idealen Proben mit einer sehr kleinen eigenen physikalischen Linienverbreiterung, ist es ratsam, die instrumentelle Linienverbreiterung zu reduzieren. Dies bedeutet üblicherweise die Verbesserung der Spektralqualität der Primärstrahlung und die Verminderung der Divergenz des Primärstahles durch einen Primärmonochromator, sowie die Erhöhung der Winkelauflösung des Detektors, z.B. durch das Ersetzen der Detektorblende durch einen Kristallanalysator. 42 Literaturverzeichnis [1] T. Egami und S. Billinge, Underneath the Bragg Peaks: Structural analysis of complex materials, Pergamon Press, 2003. [2] R. Neder und T. Proffen, Diffuse Scattering and Defect Structure Simulations - a Cookbook using the Program DISCUS, Oxford University Press, 2009. [3] L. Azároff, Elements of X-ray Crystallography, New York: McGraw-Hill Book Company, 1968. [4] S. 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