Mathematik für Physiker, Informatiker und Ingenieure (Kapitel II) Dr. Gunther Dirr Institut für Mathematik Universität Würzburg Skript vom 5. Februar 2014 Inhaltsverzeichnis Wintersemester 2 II Zahlbereiche 1 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip 2 Ganze und rationale Zahlen . . . . . . . 3 Reelle Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 4 Komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 16 21 32 Wintersemester 2 Kapitel II Zahlbereiche Literatur: • K. Appell & J. Appell „Mengen-Zahlen-Zahlbereiche”, Elsevier, 2005 • Ebbinghaus et al., „Zahlen”, Springer, 1992 1 Natürliche Zahlen und Induktionsprinzip Zitat: (Kronecker 1823–1891) „Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.” Axiomatische Einführung der natürlichen Zahlen (nach Peano 1858–1932) Eigenschaften der natürlichen Zahlen („umgangssprachliche” Variante) 1. Es gibt eine kleinste natürliche Zahl, nämlich 1. 2. Wenn n eine natürliche Zahl ist, so auch n + 1. 3. Wenn n und m verschiedene natürliche Zahlen sind, so auch n + 1 und m + 1. 4. Für alle natürlichen Zahlen n 6= 1 ist auch n − 1 eine natürliche Zahl. 5. Es gilt das Prinzip der vollständigen Induktion, d.h. jede induktive Menge von natürlichen Zahlen stimmt schon mit der Menge aller natürlichen Zahlen überein. Dabei heißt eine Teilmenge I der natürlichen Zahlen induktiv, wenn sie die folgenden Eigenschaften erfüllt: (IA) 1 ∈ I. (IS) Für alle natürlichen Zahlen n gilt: n ∈ I =⇒ n + 1 ∈ I. Formalisierung der obigen Eigenschaften (Peano-Axiome) 3 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE b eine Menge und ν : N b → N b eine Abbildung. Das Paar Definition 1 Sei N b ν) heißt Peano-Struktur, wenn Folgendes gilt: (N, b (P1) Es existiert ein Element b 1 ∈ N. b enthalten, also ν(N) b ⊂ N. b (P2) Das Bild1 von ν ist in N (P3) Die Abbildung ν ist injektiv. b =N b \ {b (P4) Das Bild von ν erfüllt die Identität ν(N) 1}. b stimmt mit N b überein. Dabei heißt eine (P5) Jede ν-induktive Teilmenge von N b b Teilmenge I ⊂ N ν-induktiv, wenn Folgendes gilt: (IA) b 1 ∈ Ib b (IS) Für alle n gilt die Implikation: n ∈ Ib =⇒ ν(n) ∈ I. Die Abbildung ν bezeichnet man auch als Nachfolger-Abbildung. b ν) und (N, e µ) sind Satz 1 (Isomorphiesatz2 ) Je zwei Peano-Strukturen (N, b e isomoph, d.h. es gibt eine bijektive Abbildung ϕ : N → N mit ϕ(b 1) = e 1 und ϕ ◦ ν = µ ◦ ϕ. Beweis. Der interessierte Leser findet einen Beweis des Isomorphiesatzes am Ende dieses Abschnitts. Postulat (Axiom3 aus ZFC) Es gibt eine Peano-Struktur. „Diese” (bis auf Isormorphie eindeutige Peano-Struktur) bezeichnen wir im Weiteren als die Menge der natürlichen Zahlen und schreiben dafür N. Ihre Nachfolger-Abbildung ν notieren wir wie üblich mit ν(n) =: n + 1. Ferner setzen wir N0 := N ∪ {0}. Beweisprinzip der vollständigen Induktion Aus den obigen Eigenschaften der natürlichen Zahlen, können wir folgende Beweistechnik ableiten. Prinzip der vollständigen Induktion: Um zu beweisen, dass eine Aussage E(n) für alle natürlichen Zahlen n gilt, genügt es zu zeigen, dass die Menge {n ∈ N | E(n)} induktiv ist, d.h., es genügt zu zeigen, dass E(1) und für alle natürlichen Zahlen n die Implikation E(n) =⇒ E(n + 1) erfüllt ist. Beispiele: 1) Behauptung:4 Für alle n ∈ N gilt 1 + 2 + 3 + . . . n =: n X k=1 1 Diese k= n(n + 1) . 2 (∗) b→N b erfüllt ist. Forderung ist eigentlich redundant, da sie schon durch ν : N Dedekindsche Isomorphiesatz gilt nur für die obige Formulierung der Peano-Axiome (Prädikatenlogik zweiter Stufe). In anderen Varianten (Prädikatenlogik erster Stufe) können sogenannte Nicht-Standardmodelle existieren (vgl. H.-D. Ebbinghaus, et al., Einführung in die mathematische Logik, BI-Wisenschaftsverlag, 1992 oder D. Hoffman, Grenzen der Mathematik, Springer, 2011.) 3 Genauer gesagt handelt es sich um eine direkte Folge aus dem Axiom des Unendlichen. P 4 Zur formalen Definition des Summenzeichens siehe Beispiel 2, Seite 7. 2 Der 4 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Beweis mittels Induktion: Setze I := {n ∈ N | (∗) }. Dann gilt: (IA) 1 ∈ I, denn 1 P 1(1+1) . 2 k=1= k=1 (IS) Sei nun n ∈ I. Dann gilt n+1 X k= k=1 n X k + (n + 1) = (IV) k=1 (n + 1)(n + 2) n(n + 1) +n+1= . 2 2 Daraus folgt n + 1 ∈ I. Somit ist I induktiv und folglich liefert das Induktionsprinzip die gewünschte Aussage I = N. 2) Behauptung: Sei q ∈ R \ {1}. Dann gilt für alle n ∈ N die Identität n X qk = k=0 q n+1 − 1 . q−1 (∗∗) Beweis mittels Induktion: 1 P (IA) Die Gleichung (∗∗) gilt für n = 1, denn k=0 qk = 1 + q = q 2 −1 q−1 . (Man beachte, (∗∗) gilt auch für n = 0.) (IS) Sei (∗∗) für ein n ∈ N erfüllt. Dann gilt n+1 X qk = k=0 n X q k + q n+1 = (IV) k=0 q n+1 − 1 q n+2 − 1 + q n+1 = . q−1 q−1 Somit gilt (∗∗) auch für n + 1. Aus dem Induktionsprinzip folgt nun, dass die Gleichung (∗∗) für alle n ∈ N gilt. 3) Behauptung: Für alle n ∈ N gilt n X (2k − 1) = n2 + 17. (∗ ∗ ∗) k=1 „Beweis” mittels Induktion: (IS) Sei (∗ ∗ ∗) für ein n ∈ N erfüllt. Dann gilt n+1 X k=1 (2k−1) = n X (2k−1)+(2n+1) = n2 +17+2n+1 = (n+1)2 +17. (IV) k=1 Somit gilt (∗ ∗ ∗) auch für n + 1. Daraus folgt wie üblich nach dem Induktionsprinzip, dass (∗ ∗ ∗) für alle n ∈ N gilt. Vorsicht: Durch Einsetzen konkreter Werte, wie z.B. n = 1, sieht man leicht, dass (∗ ∗ ∗) sicher nicht für alle natürlichen Zahlen gilt. Der Leser finde den Fehler im obigen „Beweis” und ersetze die fehlerhafte Identität (∗ ∗ ∗) durch eine korrekte Version. 5 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE 4) Behauptung I: Für die Potenzmenge jeder endlichen Menge M gilt: |P(M )| = |2M | = 2|M | . Beweis: Wir führen einen Induktionsbeweis über die Mächtigkeit der Menge M . Dazu formulieren wir die Aussage I, wie folgt, um: Behauptung II: Für alle n ∈ N und alle Mengen M mit |M | = n gilt: |P(M )| = 2n . (P) Beweis mittels Induktion: (IA) Sei |M | = 1, d.h. M ist eine 1-elementige Menge. Dann gilt P(M ) = {∅, M } und somit |P(M )| = 2 = 21 , also gilt (P) für n = 1. (IS) Sei nun n eine natürliche Zahl, so dass (P) für alle Mengen der Mächtigkeit n erfüllt ist. Ferner sei M eine beliebige Menge mit |M | = n + 1. Man wähle ein a ∈ M und setze M 0 := M \ {a}. Dann ist M 0 eine Menge der Mächtigkeit n und somit gilt nach Induktionsannahme |P(M 0 )| = 2n . Weiterhin zeigt man leicht für das Mengensystem Sa := {N ∪ {a} | N ∈ P(M 0 )} ⊂ P(M ) die folgenden Aussagen: (i) |P(M 0 )| = |Sa |, denn N 7→ N ∪ {a} ist eine Bijektion zwischen P(M 0 ) und Sa . (ii) P(M ) = P(M 0 ) ∪˙ Sa , wobei der Punkt über dem Vereinigungssymbol besagt, dass die Vereinigung disjunkt ist, also P(M 0 ) ∩ Sa = ∅ gilt. Nun folgt aus der Induktionsvoraussetzung (IV) in Kombination mit (i), (ii) und Lemma 3 aus Kapitel I die Gleichungskette: |P(M )| = |P(M 0 ) ∪˙ Sa | = |P(M 0 )| + |Sa | = 2|P(M 0 )| = 2 · 2n = 2n+1 . Also gilt (P) auch für alle Mengen der Mächtigkeit n + 1 und folglich nach dem Induktionsprinzip für alle endlichen Mengen. Rekursionssatz und Beweis des Isomorphiesatzes Der folgende Satz, den wir zum Beweis von Satz 1 benötigen, dient unabhängig davon als Grundlage zu sogenannten rekursiven Definition. b ν) eine beliebige Peano-Struktur, M eine beSatz 2 (Rekursionssatz) Sei (N, liebige nichtleere Menge und a ∈ M . Ferner sei F : M → M eine beliebige b → M mit folgenden Abbildung. Dann gibt es genau eine Abbildung ϕ : N Eigenschaften: (R1) ϕ(b 1) = a (R2) ϕ ◦ ν = F ◦ ϕ Häufig findet man in der Literatur auch die zu (R2) äquivalente Formulierung 6 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE b (R2’) ϕ(n + b 1) = F ϕ(n) für alle n ∈ N. Dabei bezeichnet n + b 1 den Wert von ν an der Stelle n, also n + b 1 := ν(n). Bevor wir Satz 2 beweisen, wollen wir seine Aussage an einem einfachen Anwendungsbeispiel nachvollziehen. Beispiele: 1) Sei a eine feste reelle Zahl. Wir wollen allgemein die n-te Potenz von a definieren. Idee: an+1 := |a · a{z. . . a} = a · an und a1 := a. (n+1)-mal Formal korrekte Version: Man betrachte die Abbildung F : R → R, x 7→ F (x) = ax. Dann gibt es nach Satz 2 eine Abbildung ϕ : N → R mit ϕ(1) = a und ϕ(n + 1) = a · ϕ(n), also ϕ(2) = a · ϕ(1) = a2 , ϕ(3) = a · ϕ(2) = a3 und allgemein ϕ(n) = an , oder genauer ϕ(n) =: an . 2) Rekursive Folgen: Unter einer (reellwertigen) Folge verstehen wir eine Abbildung von N oder N0 in die Menge der reellen Zahlen. Konvention: Wir bezeichnen im Weiteren Folgen oft mit Kleinbuchstaben also, x : N → R, y : N0 → R usw. Statt x : N → R ist auch die Notation xn n∈N weit verbreitet. Ferner schreibt man meistens xn für den Wert der Folge x : N → R an der Stelle n, also xn := x(n). Sei nun eine beleibige Abbildung f : R → R und ein a ∈ R gegeben. Oftmals können „Folgen“ nicht explizit (wie zum Beispiel xn := 3n + 1) angegeben werden sondern nur rekursiv, d.h. durch ein Bildungsgesetz der Form xn+1 = f (xn ) (∗) und durch die Festlegung eines Anfangswerts x1 := a. Somit stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine (eindeutige) Folge xn n∈N gibt, die diese Bedingungen erfüllt. Die Antwort liefert der Rekursionssatz, denn für die Standard-Peano-Struktur N und die Wahl M := R sowie F := f garantiert Satz 2 gerade die Existenz einer eindeutigen Folge xn n∈N , die (∗) und x1 = a erfüllt. So generiert z.B. die rekursive Vorschrift xn+1 = x2n + 2 , 2xn x1 := 2 , die Zahlenfolge 577 (2, 23 , 17 12 , 408 , . . . ) , √ die – wie wir später sehen werden – gegen 2 konvergiert. 3) Summenzeichen: Sei xn n∈N eine beliebige reellwertige Folge. Wir wolPn len die schon gebrauchte Schreibweise k=1 xk formal korrekt einführen. Idee: Pn+1 k=1 xk := Pn k=1 xk + xn+1 und P1 k=1 xk := x1 . Formal korrekte Version: Man betrachte die Abbildung F : N × R → N×R, (n, x) 7→ (n+1, x+xn+1 ). Dann gibt es nach Satz 2 eine Abbildung 7 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE ϕ : N → N × R mit ϕ(1) = (1, x1 ) und ϕ(n + 1) = F ϕ(n) . Somit erhält man ϕ(2) (2, x1 + x2 ), ϕ(3) = (3, x1 + x2 + xP 3 ) und allgemein P= n n ϕ(n) = n + 1, k=1 xk , oder genauer ϕ(n) =: n + 1, k=1 xk . Bemerkung: Falls (x1 , x2 , . . . , xNP ) mit N ∈ N eine „endliche “ Folge n reeller Zahlen ist, so definieren wir k=1 xk für n ≤ N , indem wir formal die obige Definition auf die „unendlichen “ Folge (x1 , x2 , . . . , xN , 0, 0, . . . ) anwenden. b ν) eine beliebige Beweis des Rekursionssatzes. (vgl. Appell & Appell) Sei (N, Peano-Struktur und bezeichne n+ b 1 den Wert von ν an der Stelle n, also n+ b 1 := ν(n). Bevor wir mit dem formalen Beweis beginnen, skizzieren wir zum besseren Verständnis kurz die entscheidende Idee. b → M Bweisidee: Wir „konstruieren” statt der gesuchten Abbildung ϕ : N ihren Graphen, d.h. wir zeigen, dass es einen eindeutigen Graphen Γ gibt mit b × M gilt (n, b) ∈ den Eigenschaften:(i) (b 1, a) ∈ Γ und (ii) für alle (n, b) ∈ N b Γ =⇒ n + 1, F (b) ∈ Γ. Der Graph Γ definiert dann in eindeutiger Weise die gesuchte Abbildung ϕ. b × M heißt rekursiv (bzgl. F ), wenn für alle Definition: Eine Relation R ⊂ N b (n, b) ∈ N × M die Implikation (n, b) ∈ R =⇒ n + b 1, F (b) ∈ R gilt. b × M, Man betrachte nun die Gesamtheit R aller rekursiven Relationen auf N b die (1, a) enthalten, also b × M | (b R := {R ⊂ N 1, a) ∈ R ∧ R rekursiv} T und setze Γ := R, d.h. Γ ist die „kleinste” rekursive Relation, die (b 1, a) enthält. b × M ∈ R. Man beachte dabei, dass R ein nichtleeres Mengensystem ist, denn N Im Weiteren zeigen wir, dass Γ die geforderten Eigenschaften besitzt, d.h., wir müssen Folgendes nachweisen: (i) Γ ist rekursiv mit (b 1, a) ∈ Γ. b existiert genau ein b ∈ M mit (n, b) ∈ Γ. (ii) Γ ist ein Graph, d.h. für alle n ∈ N (iii) Γ ist eindeutig, d.h. jeder rekursiver Graph, der auch (b 1, a) enthält, stimmt mit Γ überein. Zu (i): Nach Konstruktion gilt (b 1, a) ∈ R für alle R ∈ R. Also (b 1, a) ∈ Γ. Sei ferner (n, b) ∈ Γ, d.h. (n, b) ∈ R für alle R ∈ R. Daraus folgt n + b 1, F (b) ∈ R für alle R ∈ R, also n + b 1, F (b) ∈ Γ, d.h. Γ ist rekursiv. b | ∃! b ∈ M : (n, b) ∈ Γ}. Wir zeigen Zu (ii): Betrachte die Menge I := {n ∈ N b Dazu genügt es nachzuweisen, dass I induktiv ist. I = N. (IA) b 1 ∈ N , denn (b 1, a) ∈ Γ. Wäre auch (b 1, b) ∈ Γ mit b 6= a, so wäre Γ0 := 0 Γ \ {(b 1, b)} rekursiv, also Γ ∈ R. Dies widerspricht aber der Eigenschaft, dass Γ die „kleinste” rekursive Relation mit (b 1, a) ∈ Γ ist. (IS) Sei nun n ∈ I. Dann existiert genau ein b ∈ M mit (n, b) ∈ Γ. Da Γ rekursiv ist, folgt n + b 1, F (b) ∈ Γ. Wir müssen noch zeigen, dass es kein weiteres 8 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Paar (n+b 1, b0 ) ∈ Γ mit b0 6= F (b) gibt. Angenommen, es gäbe ein derartiges (n + b 1, b0 ) ∈ Γ. Dann wäre aber Γ0 := Γ \ {(n + b 1, b0 )} rekursiv, also Γ0 ∈ R. Dies liefert wiederum einen Widerspruch zur Definition (Minimalität) von b Γ. Somit ist auch n + b 1 ∈ I, also ist I induktiv und folglich gilt I = N. b ist. Damit ist gezeigt, dass Γ ein Graph über N Zu (iii): Sei Γ̃ ein weiterer rekursiver Graph mit (b 1, a) ∈ Γ̃. Dann gilt (per b sind, Konstruktion) Γ ⊂ Γ̃. Da aber Γ und Γ̃ Graphen mit Definitionsbereich N folgt Γ = Γ̃. Insgesamt haben wir gezeigt, dass ein eindeutiger rekursiver Graph Γ mit (b 1, a) ∈ Γ existiert. Folglich erfüllt die zugehörige Abbildung ϕ die Rekursionsvorschrift ϕ(n + b 1) = F ϕ(n) , denn n, ϕ(n) ∈ Γ impliziert n + b 1, F (ϕ(n) ∈ Γ und aus n + b 1, ϕ(n + b 1) ∈ Γ folgt ϕ(n + b 1) = F ϕ(n) . b ν) und (N, e µ) Peano-Strukturen. Wir Beweis des Isomorphiesatzes. Seien (N, b → N e mit ϕ ◦ ν = µ ◦ ϕ müssen zeigen, dass eine bijektive Abbildung ϕ : N und ϕ(b 1) = e 1 existiert. e → N, e n 7→ F (n) := µ(n). Dann existiert Man betrachte die Abbildung F : N b→N e mit ϕ(b nach dem Rekursionssatz 2 eine Abbildung ϕ : N 1) = e 1 und ϕ ◦ ν = F ◦ ϕ = µ ◦ ϕ. (∗) Somit müssen wir nur noch zeigen, dass ϕ ist bijektiv. Analog zu (∗) erhalten e→N b mit ψ(e wir eine Abbildung ψ : N 1) = b 1 und ψ ◦ µ = ν ◦ ψ. (∗∗) Aus (∗) und (∗∗) folgt ψ ◦ ϕ ◦ ν = ψ ◦ µ ◦ ϕ = ν ◦ ψ ◦ ϕ, d.h. η := ψ ◦ ϕ ist eine Lösungen der Rekursionsgleichung η◦ν =ν◦η und ψ(b 1) = b 1, (∗ ∗ ∗) die man durch die Wahl F := ν im Rekursionssatz erhält. Andererseits ist auch die Identität idb eine Lösung von (∗ ∗ ∗) und somit folgt aus der EindeutigkeitsN aussage in Satz 2 die Gleichung ψ ◦ ϕ = idb . Analog zeigt man ϕ ◦ ψ = idÑ und N folglich ist ϕ nach Satz 9 aus Kapitel I bijektiv. Weiter Anwendungsbeispiele des Rekursionssatzes Sei k ∈ N fest. Wir wollen „k + n” und „k · n” definieren. Idee: k + (n + 1) := (k + n) + 1 und k · (n + 1) = k + k · n Formal korrekte Version: Zur Addition: Setze F : N → N, n 7→ F (n) = n+1. Dann existiert ein ϕ : N → N mit ϕ(1) = k + 1 und ϕ(n + 1) = F (ϕ(n)) = ϕ(n) + 1, also ϕ(n) =: k + n. Zur Multiplikation: Setze F : N → N, n 7→ k + n. Dann existiert ein ϕ : N → N mit ϕ(1) = k und ϕ(n + 1) = F (ϕ(n)) = ϕ(n) + k, also ϕ(n) =: k · n. 9 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Satz 3 Die so definierten Operatoren + und · auf N × N genügen den üblichen Rechenregeln, d.h. für alle n, m, k ∈ N gelten: (a) n + (m + k) = (n + m) + k ) n · (m · k) = (n · m) · k (Assoziativität) (b) n+m=m+n ) n·m=m·n (Kommutativität) (c) k · (n + m) = k · n + k · m (Distributivität) Beweis. Die obigen Aussagen können alle mittels Induktionen über n bzw. m gezeigt werden. Wir verzichten hier auf die einfachen, aber etwas länglichen Beweise. Der Wohlordnungssatz Definition 2 Eine Ordungsrelation auf einer Menge M heißt Wohlordnung, wenn eine Totalordnung auf M definiert und jede nichtleere Teilmenge N von M ein kleinstes Element (Minimum) besitzt, d.h. wenn für jede nichtleere Teilmenge N ein n∗ ∈ N existiert mit n∗ n für alle n ∈ N . b ν) eine beliebige Peano-Struktur, dann exisSatz 4 (Wohlordnungsatz) Sei (N, b die mit ν verträglich ist, d.h. die folgende tiert eine eindeutige Ordnung auf N, Eigenschaften besitzt: b gilt b (V1) Für alle n ∈ N 1 n. b gilt die Implikation n m =⇒ ν(n) ν(m). (V2) Für alle n, m ∈ N b Insbesondere liefert eine Wohlordnung auf N. Beweis. Wie im Beweis des Rekursionsatzes definieren wir uns ein geeignetes b dessen Schnittmenge die gesuchte Wohlordnung auf System von Relation auf N, b N ergibt. b ×N b heißt monoton, wenn für alle (n, m) ∈ Definition: Eine Relation R ⊂ N b b N × N die Implikation (n, m) ∈ R =⇒ ν(n), ν(m) ∈ R gilt. b welche Man betrachte nun das System M aller monotonen Relationen auf N, b b die Teilmenge {1} × N enthalten, also b × M | {b b ⊂ R ∧ R monoton} M := {R ⊂ N 1} × N T und setze R := M, d.h. R oder kurz ist die „kleinste” monotone Relab enthält. Man beachte dabei, dass M ein nichtleeres Mengention, die {b 1} × N b ×N b ∈ M gilt. Der restliche Beweis beschränkt sich nun system ist, da R := N 10 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE darauf, die geforderten Eigenschaften und die Eindeutigkeit von nachzuweisen. Da die Argumente ähnlich wie in Satz 2 sind, verzichten wir auf die meisten Details und skizzieren nur den Beweis der Wohlordnungseigenschaft unter der Annahme, dass aller weiteren Eigenschaften schon gezeigt wurden: b die kein kleinstest EleAngenommen, N wäre eine nichtleere Teilmenge von N, b ment besitzt. Dann können wir o.B.d.A. 1 6∈ N voraussetzen, da ansonsten b 1 offensichtlich das kleinste Element von N wäre. Man betrachte nun die Menge b die „echt kleiner“ als alle k ∈ N sind, d.h. I aller n ∈ N, b | ∀k ∈ N : n k ∧ n 6= k} , I := {n ∈ N und zeige, dass I induktiv ist. Dazu benötigt man, die folgenden Hilfsaussagen, die man leicht mittels Induktion beweisen kann: b gilt: n ν(n) ∧ n 6= ν(n) • Für alle n ∈ N b gilt: n k ν(n) =⇒ k = n ∨ k = ν(n). • Für alle n, k ∈ N b Dies steht aber im Widerspruch zu Aus der Induktivität von I folgt nun I = N. b ein der Annahme, dass N nichtleer ist. Somit hat jede nichtleer Teilmege von N kleinstes Element, d.h. definiert eine Wohlordnung. Bemerkung: Alternativ kann man die Wohlordnung aus Satz 4 auch wie folgt einführen: b : n + k = m) n m :⇐⇒ (n = m ∨ ∃k ∈ N (∗) Die Definition mittels (∗) hat jedoch den Nachteil, dass man zuvor eine „Adb×N b mit Hilfe des Rekursionsatzes 2 einführen muss, vgl. auch dition” auf N Satz 3. Modifizierte Induktionsprinzipen∗ Im Weiteren wollen wir zwei modifizierte Induktionprinzipen und ihre Beziehungen zum klasischen Induktionsprinzip sowie zum Wohlordnungssatz exakt formulieren bzw. untersuchen. Dazu benötigen wir die folgenden Begriffe. b ν), das die Eigenschaften (P1)–(P4) einer Definition 3 (a) Ein Paar (N, Peano-Struktur erfüllt, bezeichnen wir als Prä-Peano-Struktur. b ν) eine Prä-Peano-Struktur. Dann heißt eine Teilmenge I von N b (b) Sei (N, stark ν-induktiv, wenn Folgendes gilt: (IA) b 1∈I b gilt die Implikation: N ⊆ I =⇒ ν(N ) ∈ I (IS∗ ) Für alle N ⊆ N b ν) eine Prä-Peano-Struktur. Eine Ordnung auf N b heißt ν-ver(c) Sei (N, träglich, wenn folgende Eigenschaften gelten: b gilt b (V1) Für alle n ∈ N 1 n. ∗ ergänzendes Material 11 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE b gilt die Implikation: n m =⇒ ν(n) ν(m). (V2) Für alle n, m ∈ N (d) Sei (N, ν) eine Prä-Peano-Struktur und sei eine ν-verträglich Ordnung b Dann heißt eine Teilmenge I von N b schwach ν-induktiv, wenn Folauf N. gendes gilt: (IA) b 1∈I b gilt die Implikation: {k ∈ N b | k n} ⊆ I =⇒ ν(n) ∈ I (IS∗ ) Für alle n ∈ N b ν) minimal, wenn (N, b ν) keine echte (e) Eine Prä-Peano-Struktur heißt (N, Prä-Peano-Struktur enthält, d.h., wenn jede Prä-Peano-Struktur der Form e ν| ) mit b e⊂N b unmittelbar mit (N, b ν) übereinstimmt. Eine Prä(N, 1∈N e N b b Peano-Struktur heißt (N, ν) fixpunktfrei, wenn ν(n) 6= n für alle n ∈ N. Bemerkung: Offensichtlich gelten die folgenden Implikationen: I ist stark ν-induktiv5 =⇒ I ist ν-induktiv =⇒ I ist schwach ν-induktiv6 Beispiele: b und ν : N b →N b wie folgt definiert: 1) Seien N b := N × {0} ∪ Z × {1} ⊂ Z × {0, 1} • N • ν(n, a) := (n + 1, a) b ν) eine echte Prä-Peano-Struktur ist, d.h. Dann zeigt man leicht, dass (N, b (N, ν) ist zwar eine Prä-Peano-Struktur, aber keine Peano-Struktur. Insb ν) keine ν-verträgliche Wohlordnung, vgl. Satz 5. besondere besitzt (N, b und ν : N b →N b wie folgt definiert: 2) Seien N b := N ∪ {∞} • N ( n+1 • ν(n) := ∞ falls n 6= ∞ falls n = ∞ b ν) eine echte Prä-PeanoAuch in diesem Fall zeigt man leicht, dass (N, b Struktur ist. Jedoch besitzt (N, ν) die folgende ν-verträgliche Wohlordnung: ( m, n ∈ N und m ≤ n, • m n :⇐⇒ n = ∞ und m beliebig, wobei ≤ die gewöhnliche Kleiner-Gleich-Relation auf N bezeichne (vgl. Wohlordnungssatz 4). Man beachte im Hinblick auf Satz 5, dass ν nicht fixpunktfrei ist. b ν) eine Prä-Peano-Struktur. Satz 5 (modifizierte Induktionsprinzipen) Sei (N, Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent: 5 siehe 6 Die auch Lemma 1 Implikation gilt für jede ν-verträgliche Ordnung. 12 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE b ν) erfüllt das klassische Induktionsprinzip (IP), d.h. jede ν-induktive (a) (N, b überein. Teilmenge stimmt mit N b ν) besitzt eine ν-verträgliche Ordnung und erfüllt das modifizierte In(b) (N, duktionsprinzip (IP∗ ), d.h. jede schwach ν-induktive Teilmenge stimmt b überein. mit N b ν) erfüllt das modifizierte Induktionsprinzip (IP∗ ), d.h. jede stark ν(c) (N, b überein. induktive Teilmenge stimmt mit N b ν) ist fixpunktfrei und besitzt eine ν-verträgliche Wohlordnung. (d) (N, b ν) ist minimal. (e) (N, b ν), die eine (und somit alle) der Insbesondere ist jede Prä-Peano-Struktur (N, obigen Eigenschaften (a) – (e) erfüllt eine Peano-Struktur im Sinne von Definition 1. b Dann benutzen wir in Weiteren die Notation: Sei eine Ordnung auf N. folgende Kurzschreibweise: k ≺ n :⇐⇒ k n ∧ k 6= n b ν) eine Prä-Peano-Struktur, die das klassische InBeweis. (a) ⇐⇒ (b): Sei (N, b ν) eine duktionsprinzip erfüllt. Dann folgt aus dem Wohlordnugssatz 4, dass (N, eindeutige ν-verträgliche Ordnung besitzt, die unmittelbar eine Wohlordnug b definiert. Sei nun I eine schwach ν-induktive Teilmenge von N. b Angeauf N ∗ b b nommen, I 6= N. Dann gäbe es ein minimales Element n ∈ N \ I und es wäre b | k ≺ n∗ } ⊂ I erfüllt. Da n∗ 6= b die Inklusion {k ∈ N 1, gäbe es einen Vorb können wir gänger n∗ zu n∗ . Aus der Eigenschaft7 n ≺ ν(n) für alle n ∈ N b {k ∈ N | k n∗ } ⊂ I folgern und somit erhalten wir einen Widerspruch zur b d.h. (N, b ν) erfüllt (bzgl. ) das schwach ν-Induktivität von I. Also I = N, modifizierte Induktionprinzip (IP∗ ). Die Umkehrung, d.h. die Implikation (b) =⇒ (a), erhält man unmittelbar aus der Tatsache, dass jede ν-induktive Menge auch schwach ν-induktiv ist. (a) ⇐⇒ (c): Die Behauptung folgt aus Lemma 1 (siehe unten), das besagt, dass die Begriffe stark ν-induktiv und ν-induktive äquivalent sind. (a) ⇐⇒ (d): Da man leicht zeigen kann, dass jede klassische Peano-Struktur fixpunktfrei ist, folgt die Implikation (a) =⇒ (d) unmittelbar aus dem Wohlordnugssatz 4. Die Rückrichtung erhält man wie folgt. Sei eine ν-verträgliche Wohlordnung b und sei I eine induktive Teilmenge von N. b Angenommen I würde nicht auf N b übereinstimmen. Dann wäre N\I b mit N nichtleer und somit gäbe es ein kleinstes b \ I mit n∗ 6= b 1. Folglich besitzt n∗ einen Vorgänger n∗ , also Element n∗ ∈ N ∗ ν(n∗ ) = n . Dann folgt aus Lemma 2 die Abschätzung n∗ ≺ ν(n∗ ) = n∗ und b \ I. somit gilt n∗ ∈ I, denn ansonsten wäre n∗ nicht das kleinstes Element in N 7 siehe Beweis des Wohlordnugssatz 4 und beachte, dass jede klassische Peano-Struktur fixpunktfrei ist (vgl. auch Lemma 2). 13 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Dies liefert aber einen Widerspruch zur Induktivität von I, denn n∗ ∈ I implib d.h. (N, b ν) erfüllt das klassische ziert ν(n∗ ) = n∗ ∈ I. Insgesamt folgt I = N, Induktionsprinzip. b ν) das klassische Induktionsprinzip und sei N e eine Teil(a) ⇐⇒ (e): Erfülle (N, b e e e menge von N, so dass (N, ν|e ) ein Prä-Peano-Struktur b 1 ∈ N ist. Dann ist N N b und somit gilt N b = N, b d.h. (N, b ν) offensichtlich eine ν-induktive Teilmenge von N ist eine minimale Prä-Peano-Struktur. b ν) eine minimale Prä-Peano-Struktur und I eine νSei nun umgekehrt (N, b Dann betrachte man die kleinste ν-induktive Teilinduktive Teilmenge von N. menge I0 , die in I enthalten ist, d.h. \ I0 := {I 0 ⊂ I | I 0 ν-induktiv} . Dann gilt offensichtlich b 1 ∈ I0 und n ∈ I0 impliziert ν(n) ∈ I0 . Somit definiert ν|I0 ein injektive Abbildung von I0 nach I0 . Zum Beweis, dass (I0 , ν|I0 ) eine Prä-Peano-Struktur ist, müssen wir noch ν(I0 ) = I0 \ {b 1} zeigen. Angenommen, n0 6= b 1 und n0 6∈ ν(I0 ). Dann wäre auch I0 \ {n0 } ν-induktiv und folglich wäre I0 nicht die kleinste ν-induktive Teilmenge von I. Daher gilt ν(I0 ) = I0 \ {b 1} b ν) enthalten ist. und somit ist (I0 , ν|I0 ) eine Prä-Peano-Struktur, die in (N, b ν) folgt die gewünschte Identität I0 = N, b also Aufgrund der Minimalität von (N, b b auch I = N, d.h. (N, ν) erfüllt das klassische Induktionsprinzip. Lemma 1 Jede stark ν-induktive Menge ist auch ν-induktiv und umgekehrt. Beweis. Da jede stark ν-induktive Menge offensichtlich auch ν-induktiv ist, beweisen wir nur die Umkehrung. Sei also I nicht stark ν-induktiv. Dann existiert eine Teilmenge N ⊆ I mit ν(N ) 6⊆ I. Somit gibt es ein n ∈ N ⊆ I mit ν(n) 6∈ I und folglich ist I auch nicht induktiv. b ν) eine fixpunktfreie Prä-Peano-Struktur mit ν-verträglicher Lemma 2 Sei (N, Wohlordnung . Dann sind die folgenden Aussagen8 erfüllt: b gilt die Abschätzung n ≺ ν(n), d.h. n ν(n) und n 6= ν(n). (a) Für alle n ∈ N b mit n k ν(n) folgt n = k oder k = ν(n). (b) Für alle k, n ∈ N Beweis. Zu (a): Man betrachte die Menge b | ν(n) ≺ n . I := n ∈ N Wir zeigen im Weiteren I = ∅. Denn angenommen, I wäre nicht leer. So gäbe es ein Minimum n∗ ∈ I mit ν(n∗ ) ≺ n∗ . Aus der Fixpunktfreiheit und Monotonie von ν bzgl. würde dann ν ν(n∗ ) ≺ ν(n∗ ) folgen und somit wären für n∗ := ν(n∗ ) die Abschätzungen n∗ ≺ n∗ und ν(n∗ ) ≺ n∗ erfüllt. Dies würde aber ein Widerspruch zur Minimalität von n∗ liefern. Folglich gilt I = ∅ und damit ergibt b Man beachte, dass der Fall ν(n) = n aufgrund der sich n ≺ ν(n) für alle n ∈ N. b Fixpunktfreiheit von (N, ν) ausgeschlossen ist. 8 Im Beweis des Wohlordnungssatz 4 wird eine analoge Hilfsaussage für klassische PeanoStrukturen bewiesen. 14 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE b mit n ≺ k ≺ ν(n). Dann erhielte Zu (b): Angenommen, es existierten n, k ∈ N man aufgrund der Monotonie von ν bzgl. die Abschätzung n∗ ≺ k∗ ≺ ν(n∗ ), wobei n∗ und k∗ die Vorgänger von n bzw. k bezeichnen, und könnte mit Hilfe der Abschätzung n∗ ≺ ν(n∗ ) = n aus Teil (a) zeigen, dass die Menge b | ∃k ∈ N b : n ≺ k ≺ ν(n) I := n ∈ N b aus der Abkein Minimum besitzt, also leer ist. Somit folgt für alle n, k ∈ N schätzung n k ν(n) die Aussage n = k oder k = ν(n). Da N eine Peano-Struktur ist, also das klassische Induktionsprinzip (IP) erfüllt, erhalten wir aus Satz 5 das folgende Resultat. Folgerung 1 In N gelten auch die modifizierten Induktionsprinzipen (IP∗ ) und (IP∗ ), wobei (IP∗ ) die Wohlordnung aus Satz 4 zugrunde liegt. Prinzip der vollständigen Induktion∗ für „N × N“ Wir betrachten einen Satz der Form: Für alle natürlichen Zahlen n, m gilt E(n, m). Können wir eine derartige Aussagen auch mittels „Induktion” beweisen? – Ja, indem wir sie formal als „iterierte” All-Aussage, also als ∀n ∈ N ∀m ∈ N : E(n, m) schreiben, und sie dann mit Hilfe des Prädikats F (n) := ∀m ∈ N : E(n, m) umformuliert in ∀n ∈ N : F (n). Man beachte, dass die Reihenfolge der All-Quantoren ∀n und ∀m vertauscht werden kann und sich der Beweisansatz dadurch ändert. Im Allgemeinen sind aber in beiden Fällen zwei „iterierte” Induktion — einmal über n und einmal über m – nötig. Beispiel: Wir führen die obige Vorgehensweis an einem einfachen Beispiel vor. Behauptung: Für alle natürlichen Zahlen n, m gilt (1 + 2m )n ≥ 1 + mn. Beweis mittels Induktion: Wir definieren uns die Eigenschaft/das Prädikat F (n) := ∀m ∈ N : (1 + 2m )n ≥ 1 + mn und zeigen mittels Induktion über n, dass F (n) für alle n ∈ N gilt. (IA) Wir müssen zeigen, dass F (1) gilt, also dass (1 + 2m ) ≥ 1 + m für alle m ∈ N erfüllt ist. Dies beweist man leicht mittels Induktion über m. Wir verzichten hier auf diesen Teilbeweis. (IS) Sei nun F (n) für ein n ∈ N erfüllt. Dann gilt (1 + 2m )n+1 = (1 + 2m )n (1 + 2m ) ≥ (1 + mn)(1 + 2m ) (IV) ≥ (1 + mn)(1 + m) = 1 + m(n + 1) + m2 n (IA) ≥ 1 + m(n + 1) ∗ ergänzendes Material 15 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE und somit ist F (n) für n + 1, also nach dem Induktionsprinzip für alle n ∈ N erfüllt. 2 Ganze und rationale Zahlen Mittels geeigneter Äquivalenzklassenbildung kann man aus den natürlichen Zahlen sowohl die ganzen als auch die rationalen Zahlen „konstruieren”. Wir führen diese Konstruktion hier nicht explizit durch, sondern verweisen den interessierten Leser auf die zitierte Literatur (z.B. Ebbinghaus et al.). Vielmehr wollen wir uns in diesem Abschnitt darauf beschränken, die algebraische Strukture von Z und Q genauer zu untersuchen. Algebraische Strukture von Z und Q Definition 4 Eine nichtleere Menge G, versehen mit einer Verknüpfung ◦ : G × G → G, heißt Gruppe, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind: (a) Die Verknüpfung ◦ ist assoziativ, d.h. für alle a, b, c ∈ G gilt a ◦ (b ◦ c) = (a ◦ b) ◦ c. (b) Es gibt ein eindeutiges neutrales Element e ∈ G, d.h. für alle a ∈ G gilt e ◦ a = a ◦ e = a. (c) Für alle a ∈ G existiert ein eindeutiges inverses Element a−1 ∈ G, d.h. für alle a ∈ G gilt a ◦ a−1 = a−1 ◦ a = e. Falls ◦ zusätzlich kommutativ ist, also a ◦ b = b ◦ a für alle a, b ∈ G gilt, so heißt G kommutativ oder abelsch. Bemerkung: Da man die Eindeutigkeit des neutralen Elements bzw. der inversen Elemente aus den anderen Gruppeneigenschaften folgern kann (vgl. Übung), müsste man diese eigentlich nicht explizit fordern. Beispiele: 1) (Z, +), (Q, +) und (R, +) sind abelsche Gruppen. 2) (Rn , +) ist eine abelsche Gruppe, wobei die Verknüpfung + wie folgt definiert ist: (x1 , . . . xn ) + (y1 , . . . yn ) := (x1 + y1 , . . . xn + yn ) . b ˆ◦ ) beliebige Gruppen. Dann ist (G × G, b •) 3) Seien allgemein (G, ◦) und (G, mittels der Definition b (a, â) • (b, b̂) := (a ◦ b, â ˆ◦ b̂) für alle a, b ∈ G und alle â, b̂ ∈ G eine Gruppe. 4) Sei M eine beliebige nichtleere Menge und bezeichne SM die Menge aller bijektiven Abbildungen von M nach M , d.h. SM := {ϕ : M → M | ϕ bijektiv} . 16 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Dann definiert die Komposition9 ◦ von Abbildungen eine Verknüpfung auf SM , so dass eine Gruppen entsteht. Für den Spezielfall M := {1, . . . , n} schreiben wir Sn := S{1,...,n} . Die Gruppen Sn liefern für n ≥ 3 Beispiele endlicher, nicht abelscher Gruppen. Lemma 3 Sei (G, ◦) eine Gruppe und seien a, b ∈ G. Dann besitzen die Gleichungen a ◦ x = b und x ◦ a = b die eindeutigen Lösungen x = a−1 ◦ b bzw. x = b ◦ a−1 . ∗ Beweis. Wir betrachten zuerst die Gleichung a ◦ x = b. (∗) Offensichtlich gilt a ◦ (a−1 ◦ b) = (a ◦ a−1 ) ◦ b = e ◦ b = b , d.h. x = a−1 ◦ b ist eine Lösung von (∗). Sei umgekehrt x eine Lösung von (∗). Dann gilt x = (a−1 ◦ a) ◦ x = a−1 ◦ (a ◦ x) = a−1 ◦ b , also x = a−1 ◦ b. Somit ist x = a−1 ◦ b die eindeutige Lösung von (∗). Analog zeigt man, dass x ◦ a = b die eindeutige Lösung x = b ◦ a−1 besitzt. Definition 5 Eine nichtleere Menge R versehen mit zwei Verknüpfungen +, ∗ : R × R → R heißt Ring mit Eins, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind: (a) Das Paar (R, +) ist eine abelsche Gruppe. (b) Die Verknüpfung ∗ ist assoziativ. (c) Es gibt ein eindeutiges Eins-Element 1 ∈ R mit 1 6= 0, d.h. für alle a ∈ R gilt 1 ∗ a = a ∗ 1 = a. Dabei bezeichne 0 ∈ R das eindeutige neutrale Element bezüglich +. (d) Die Verknüpfungen + und ∗ erfüllen die Distributivgesetze, d.h. für alle a, b, c ∈ R gilt a ∗ (b + c) = (a ∗ b) + (a ∗ c) (b + c) ∗ a = (b ∗ a) + (c ∗ a) Falls ∗ zusätzlich kommutativ ist, also falls a ∗ b = b ∗ a für alle a, b ∈ G, so heißt R kommutativ. Ferner bezeichnet man die Verknüpfungen + und ∗ als Addition bzw. Multiplikation auf R. Satz 6 Die Menge der ganzen Zahlen (Z, +, ·), versehen mit der üblichen Addition und Multiplikation, bildet einen kommutativen Ring mit Eins. 9 Hier bezeichnet ◦ nicht eine beliebige Gruppenoperation wie in Definition 4, sondern speziell die Komposition von Abbildungen, vgl. Definition ?? Kapitel I 17 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Beweis. Da die Menge der ganzen Zahlen im Allgemeinen aus der Menge der natürlichen Zahlen konstruiert wird, kann der Beweis der obigen Aussage leicht auf die Eigenschaften der Addition und Multiplikation der natürlichen Zahlen zurückgeführt werden. Nachdem wir aber diese Konstruktion nicht explizit durchgeführt haben, müssen wir an der Stelle auf einen Beweis verzichten. Beispiele: 1) Sei p eine beliebige natürliche Zahl. Die Äquivalenzklassen [n]p := {k ∈ Z | p teilt k − n}, die man durch die Äquivalenzrelation k ∼p n :⇐⇒ p teilt k − n erhält, bilden mittels der folgenden Addition und Multiplikation [n]p + [n0 ]p := [n + n0 ]p bzw. [n]p · [n0 ]p := [n · n0 ]p einen endlichen, kommutativen Ring mit Eins, den wir im Weiteren mit Zp bezeichnen (vgl. Übungen). 2) Ein Funktion f : R → R heißt reelle Polynomfunktionen oder kurz reelles Polynom, wenn es ein n ∈ N und reelle P Zahlen a0 , . . . , an gibt, so dass für alle x ∈ R die Identität f (x) = k=0n ak xk gilt. Dann ist die Menge P (R) aller reellen Polynome, versehen mit der üblichen Addition und Multiplikation von Polynomen, ein kommutativer Ring mit Eins. 3) Seien allgemein (R1 , +, ∗) und (R2 , +, ∗) beliebige Ringe mit Eins. Dann ist auch (R1 × R2 , +, ∗) mittels der Definitionen (a1 , a2 ) + (b1 , b2 ) := (a1 + b1 , a2 + b2 ) (a1 , a2 ) ∗ (b1 , b2 ) := (a1 ∗ b1 , a2 ∗ b2 ) für alle a1 , b1 ∈ R1 und alle a2 , b2 ∈ R2 ein Ring mit Eins. Weitere Beispiele (nicht kommutativer) Ring folgen im Kapitel ??, „Lineare Algebra“, Abschnitt ??. Definition 6 Eine nichtleere Menge K, versehen mit zwei Verknüpfungen +, ∗ : K × K → K, heißt Körper, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind: (a) (K, +, ∗) ist ein kommutativer Ring mit Eins. (b) (K \ {0}, ∗) ist eine abelsche Gruppe, wobei 0 ∈ K das eindeutige neutrale Element bzgl. + bezeichne. Lemma 4 In jedem Körper (K, +, ∗) gelten die folgenden Rechenregeln: (a) Für alle a ∈ K gilt 0 ∗ a = a ∗ 0 = 0. (b) Für alle a ∈ K gilt (−1) ∗ a = a ∗ (−1) = −a, wobei −a das eindeutige inverse Element zu a bzgl. + bezeichne. Insbesondere gilt (−1) ∗ (−1) = 1. (c) Für alle a, b ∈ K gilt die Implikation: a ∗ b = 0 =⇒ a = 0 ∨ b = 0. Beweis. Da die Multiplikation ∗ auf K kommutativ ist, genügt es bei (a) und (b) jeweils eine die beiden Gleichungen zu zeigen. 18 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Zu (a): Sei a ∈ K beliebig und setze b := 0 ∗ a. Somit müssen wir b = 0 zeigen. Offensichtlich gilt 0 ∗ a = (0 + 0) ∗ a = 0 ∗ a + 0 ∗ a , also b = b + b. Indem man −b auf beiden Seiten der letzten Gleichung addiert, erhält man, wie gewünscht, 0 = b. Zu (b): Sei a ∈ K beliebig. Dann gilt a + (−1) ∗ a = 1 + (−1) ∗ a = 0 ∗ a = 0 . Somit ist (−1) ∗ a das eindeutige inverse Element zu a bzgl. der Addition, also (−1) ∗ a = −a. Zu (c): Seien a, b ∈ K mit a ∗ b = 0 und sei a 6= 0. Somit müssen wir b = 0 zeigen. Da a 6= 0 gilt, existiert ein eindeutiges inverses Element a−1 zu a bzgl. ∗ und folglich erhalten wir aus Teil (a) und der Voraussetzung a ∗ b = 0 die Gleichungskette b = (a−1 ∗ a) ∗ b = a−1 ∗ (a ∗ b) = a−1 ∗ 0 = 0 , also b = 0. Satz 7 Die Menge der rationalen Zahlen (Q, +, ·), versehen mit der üblichen Addition und Multiplikation, bildet einen Körper. Beweis. Wie im Fall von Satz 6 verzichten wir auch hier auf einen Beweis, da wir die notwendige Konstruktion der rationalen Zahlen aus den ganzen Zahlen nicht explizit durchgeführt haben. Beispiele: 1) Seien K1 und K2 beliebige Körper. Begründen Sie, warum im Fall von Körpern im Gegensatz zu Ringen die komponentenweise Addition und Multiplkation (vgl. Beispiel 3, Seite 18) auf dem kartesischen Produkt K1 × K2 keine Körperstruktur liefert . √ √ 2) Die Menge Q[√ 2] := {a+b 2 | a, b ∈ Q} ist ein (Teil-) Körper (der reellen Zahlen), der 2 enthält aber nicht mit R übereinstimmt. 3) Beispiele für endliche Körper erhält man durch die Äquivalenzklassenringe Zp (siehe Seite 18) für den Fall, dass p eine Primzahl ist. Konvention: Sei (K, +, ∗) ein beliebiger Körper. Dann definieren wir um Klammern zu sparen wie üblich die „Punkt-von-Strich“–Regel, d.h. a ∗ b + c := (a ∗ b) + c und a + b ∗ c := a + (b ∗ c). für alle a, b, c ∈ K. Ferner unterdrücken wir in vielen Fällen das Multiplikationssymbol „∗”, d.h. wir schreiben einfach ab statt a ∗ b. Angeordnete Körper Definition 7 Sei (K, +, ∗) ein Körper und sei ≤ eine Totalordnung auf K. Dann heißt (K, +, ∗, ≤) angeordneter Körper, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind: 19 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE (i) Für alle a, b, c ∈ K gilt a ≤ b =⇒ a + c ≤ b + c. (ii) Für alle a, b, c ∈ K mit 0 ≤ c gilt a ≤ b =⇒ ac ≤ bc. Notation: Sei K ein angeordneter Körper. Dann definieren wir für a, b ∈ K die Schreibweisen: (i) a ≥ b :⇐⇒ b ≤ a (ii) a < b :⇐⇒ (a ≤ b ∧ a 6= b) (iii) a > b :⇐⇒ (a ≥ b ∧ a 6= b). Folgerung 2 Sei (K, +, ∗, ≤) ein angeordneter Körper. Dann gelten für alle a, b, c ∈ K die folgenden Rechenregeln: (a) a ≤ b ⇐⇒ −b ≤ −a (b) a ≤ b ∧ c ≤ 0 =⇒ ac ≥ bc (c) a ≤ b ∧ c ≤ d =⇒ a + c ≤ b + d (d) 0 ≤ a ≤ b ∧ 0 ≤ c ≤ d =⇒ 0 ≤ ac ≤ bd Falls in (c) und (d) eine der beiden Abschätzungen auf der linken Seite strikt ist und falls in (d) zusätzlich 0 < a und 0 < c gilt, so sind auch die entsprechenden Abschätzungen auf der rechten Seite strikt. Ferner gilt für alle a ∈ K die Aussage a2 ≥ 0 und a2 = 0 ⇐⇒ a = 0, d.h. Quadrate sind immer größer gleich null. Insbesondere gilt also 1 > 0. Beweis. Zu (a): Sei also a ≤ b. Nach Eigenschaft (i) aus Definition 7 gilt dann a − (a + b) ≤ b − (a + b), also −b ≤ −a. Die Umkehrung folgt analog. Zu (b): Sei also a ≤ b und c ≤ 0. Dann folgt aus Teil (a) die Abschätzung 0 ≤ −c und somit impliziert die Eigenschaft (ii) aus Definition 7 die Ungleichung −ac ≤ −bc. Nochmalige Anwendung von Teil (a) liefert die Behauptung. Zu (c): Aus a ≤ b und c ≤ d folgt mittels (i) aus Definition 7, a + c ≤ b + c und b + c ≤ b + d, also a + c ≤ b + d. Zu (d): Aus 0 ≤ a ≤ b und 0 ≤ c ≤ d folgt mittels (ii) aus Definition 7, 0 ≤ ac ≤ bc und 0 ≤ bc ≤ bd, also 0 ≤ ca ≤ bd. Wir zeigen noch, dass Quadrate immer größer gleich null sind: 1. Fall a ≥ 0: Dann folgt aus Eigenschaft (ii) der Definition 7 die Abschätzung a2 ≥ 0. 2. Fall a ≤ 0: Dann erhalten wir aus Teil (b) die Abschätzung a2 ≥ 0. Also gilt in jedem Fall a2 ≥ 0 und mittels Lemma 4 (c) erhält man die Äquivalenz a2 = 0 ⇐⇒ a = 0. Insbesondere folgt aus den obigen Abschätzung 1 > 0, denn 1 = 12 und somit ist 1 ein Quadrat. Der Fall 1 6= 0 ist per definitionem ausgeschlossen. Die obigen Zusatzaussagen über strikte Abschätzungen zeigt man leicht mit Hilfe des folgenden Lemmas. Lemma 5 Seien x, y ∈ K. Dann gilt: (a) 0 < x ∧ 0 ≤ y =⇒ 0 < x + y 20 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE (b) 1 < x ∧ 1 ≤ y =⇒ 1 < xy Beweis. Zu (a): Aufgrund von Folgerung 2 (c) müssen wir nur den Fall 0 = x+y ausschließen. Angenommen, es gälte 0 = x + y, also x = −y. Dann wäre nach Folgerung 2 (a) x ≤ 0 im Widerspruch zur Voraussetzung 0 < x. Somit erhalten wir 0 < x + y. Zu (b): Aufgrund von Folgerung 2 (d) müssen wir nur den Fall 1 = xy ausschließen. Angenommen, es gälte 1 = xy, also x = y −1 . Dann wäre x ≤ 1, denn aus 1 ≤ y folgt y −1 ≤ 1 (Man beachte, dass Folgerung 2 (b) die Abschätzung 0 < y −1 impliziert, falls y > 0 gilt), und somit erhält man einen Widerspruch zur Voraussetzung 1 < x. Damit ergibt sich insgesamt 1 < xy. Definition 8 Ein angeordneter Körper (K, +, ∗, ≤) heißt archimedisch, falls zu allen a, b ∈ K mit 0 < a ≤ b ein n ∈ N existiert, so dass b < n · a := a + . . . + a . | {z } n-mal Satz 8 Die Menge der rationalen Zahlen (Q, +, ·, ≤), vershen mit den üblichen Rechenoperationen und der von N „vererbten” Totalordnung, ist ein archimedisch angeordneter Körper. Beweis. Die in Satz 4 auf N konstruierte Ordnung läßt sich auf Q übertragen. Dabei verliert sie zwar ihre Wohlordnungseigenschaft, „vererbt“ aber ihre Totalordnung. Da wir diese Konstruktion nicht explizit durchgeführt haben, benutzen wir im Weiteren (ohne Beweis), dass Q bzgl. ≤ ein angeordneter Körper ist. Wir zeigen hier nur, dass Q archimedisch ist. Sei also 0 < a ≤ b mit a = pq , b = rs und p, q, r, s ∈ N. Diese Wahl von p, q, r und s ist möglich, da nach Voraussetzung a > 0 und b > 0 gilt. Dann erhalten wir für n := qr + 1 die Abschätzung n · a = (qr + 1) · p p r p r = pr + ≥ p + > = b , q q s q s d.h. Q ist archimedisch. 3 Reelle Zahlen Warum reelle Zahlen? Wichtige Gleichungen und geometrische Größen lassen sich nicht durch rationale Zahlen ausdrücken. So hat z.B. die Gleichung x2 = 2 keine rationale Lösung (siehe Satz 9) und das Verhältnis zwischen Durchmesser und Umfang eines Kreises keinen rationalen Wert. Durch eine geeignete Erweiterung unseres Zahlenbereichs, d.h. durch die reellen Zahlen, kann man die genannten „Löcher“ in der Menge der rationalen Zahlen „stopfen“. Im Weiteren beschäftigen wir uns mit der Konstruktion und den wichtigsten Eigenschaften der reellen Zahlen. Zuvor wollen wir aber an einem einfachen Beispiel zeigen, dass derartige „Löcher“ wirklich existieren. Satz 9 Die Gleichung x2 = 2 besitzt keine rationale Lösung. 21 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Widerspruchsbeweis. Sei x = pq mit p, q ∈ Z \ {0} eine Lösung der Gleichung x2 = 2. Dann können wir annehmen, dass pq „vollständig” gekürzt ist, d.h. ggT(p, q) = 1. Aus der Identität p2 q2 = 2 folgt offensichtlich p2 = 2 · q 2 . (∗) Somit ist p2 durch 2 teilbar. Da 2 aber eine Primzahl10 ist, muss auch p durch 2 teilbar sein. Also gilt p = 2 · p0 mit p0 ∈ Z. Wenn man dies in (∗) einsetzt, so erhält man 4 · (p0 )2 = 2 · q 2 , also 2 · (p0 )2 = q 2 . Damit ist analog auch q durch 2 teilbar. Dies ist aber ein Widerspruch zu Annahme ggT(p, q) = 1. Also gibt es keine rationale Zahl x mit x2 = 2. Axiomatische Einführung der reellen Zahlen Definition 9 Sei M eine beliebige Menge und sei ≤ eine Ordnung auf M . (a) Eine Teilmenge N ⊂ M heißt von oben (unten) beschränkt, wenn es ein m ∈ M gibt, so dass für alle n ∈ N die Ungleichung n ≤ m (bzw. n ≥ m) erfüllt ist. Jedes derartige m ∈ M bezeichnen wir als obere (untere) Schranke von M . Falls N von oben und von unten beschränkt ist, so heißt N beschränkt. (b) Eine obere Schranke m∗ von N ⊂ M , die in N enthalten ist, wird Maximum von N genannt. Analog heißt eine untere Schranke m∗ von N , die in N enthalten ist, Minimum von N . Notation:11 max N (Maximum von N ) bzw. min N (Minimum von N ), falls dieses existiert. (c) Sei N ⊂ M eine von oben beschränkte Menge. Ein Element s ∈ M heißt Supremum von N , wenn s kleinste obere Schranke von N ist, d.h., wenn s = min{m∗ ∈ M | m∗ obere Schranke von N } . Analog definiert man das Infimum i ∈ M einer von unten beschränkten Menge N ⊂ M als die größte untere Schranke von N , d.h. i = max{m∗ ∈ M | m∗ untere Schranke von N } . Notation:11 sup N (Supremum von N ) bzw. inf N (Infimum von N ), falls dieses existiert. Bemerkung: Somit ist s ∈ M Supremum von N ⊂ M , wenn folgende Bedingungen erfüllt: (i) s ist eine obere Schranke von N . 10 Man kann hier auch problemlos auf das Primzahlargument verzichten, jedoch lässt sich der obige Beweis dadurch leicht auf jede Gleichung der Form xn = s, wobei n ≥ 2 eine natürliche Zahl und s eine beliebige Primzahl bezeichnet, übertragen. 11 Die Notation wird durch die Eindeutigkeit von Maximum/Supremum bzw. Minimum/infimum (siehe Lemma 6) gerechtfertigt. 22 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE (ii) s ≤ m∗ für alle oberen Schranken m∗ von N . Lemma 6 Sei M eine beliebige Menge und sei ≤ eine Ordnung auf M . (a) Falls N ⊂ M ein Maximum (Minimum) besitzt, so ist dieses eindeutig. (b) Falls N ⊂ M ein Supremum (Infimum) besitzt, so ist dieses eindeutig. (c) Falls N ⊂ M ein Maximum (Minimum) besitzt, so ist dieses auch Supremum (Infimum) von N . Beweis. Zu (a): Seien m∗ und m0 Maxima von N . Dann gilt m∗ ≤ m0 , da m∗ ∈ N und m0 Maximum von N ist. Analog erhält man m0 ≤ m∗ . Daraus folgt m∗ = m0 . Zu (b): Die Aussage folgt unmittelbar aus Teil (a) und der Charakterisierung des Supremums (Infimums) als Minimum (Maximum) aller oberen (unteren) Schranken. Zu (c): Sei m∗ Maximum von N und sei m eine beliebige obere Schranke von N . Dann gilt m∗ ≤ m, da m∗ ∈ N und m obere Schranke von N ist. Folglich ist m∗ die kleinste obere Schranke von N , also das Supremum von N . Beispiele: 1) Sei M := Q versehen mit der gewöhnlichen Kleiner-Gleich-Relation ≤. (a) Sei N := {0, 1, 2}. Dann gilt max N = sup N = 2 und min N = inf N = 0. (b) Sei N := {x ∈ Q | x > 0}. Hier existieren weder Maximum, Supremum noch Minimum von N , aber inf N = 0. (c) Sei N := { n1 | n ∈ N}. Dann gilt max N = sup N = 1 und inf N = 0. Das Minimum von N existiert nicht. x2 +2 n (d) Sei N := {an | n ∈ N} mit xn+1 := 2·x und x1 = 2, also N = n 3 17 577 2, 2 , 12 , 408 . . . . Dann gilt max N = sup N = 2. Ferner kann man zeigen, dass in Q weder Minimum noch Infimum von N existieren. Dieses Beispiel werden wir im Folgenden noch genauer untersuchen. 2) Sei M := P {1, 2, 3, 4} ,versehen mit der ⊆-Relation als Ordnung und sei N := {2}, {1, 2}, {2, 3} . Dann sind {1, 2, 3} und {1, 2, 3, 4} obere sowie ∅ und {2} untere Schranken von N . Ferner gilt sup N = {1, 2, 3} und inf N = min N = {2}. Das Maximum von N existiert nicht. Definition 10 Ein angeordneter Körper (K, +, ∗, ≤) heißt vollständig angeordnet, wenn jede nichtleere, von oben beschränkte Menge ein Supremum besitzt. Folgerung 3 (a) In einem vollständig angeordneten Körper besitzt jede nichtleere, von unten beschränkte Menge ein Infimum. (b) Jeder vollständig angeordnete Körper ist archimedisch. 23 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Beweis. Zu (a): Sei K ein vollständig angeordneter Körper und sei N 6= ∅ nach unten beschränkt, z.B. durch b ∈ K, d.h. b ≤ a für alle a ∈ N . Daraus folgt, dass N 0 := {−a | a ∈ N } durch −b nach oben beschränkt ist, vgl. Folgerung 2. Somit besitzt N 0 ein Supremum. Setze s := sup N 0 . Dann ist −s das Infimum von N , denn es gilt: (i) −a ≤ s für alle a ∈ N , also −s ≤ a für alle a ∈ N . (ii) Für jede untere Schranke b von N ist −b obere Schranke von N 0 , also s ≤ −b und somit b ≤ −s. Zu (b): Sei K ein vollständig angeordneter Körper. Angenommen, K wäre nicht archimedisch. Dann gäbe es a, b ∈ K mit 0 < a ≤ b und n · a ≤ b für alle n ∈ N, d.h. die Menge N := {n · a ∈ K | n ∈ N} wäre durch b nach oben beschränkt. Somit würde N ein Supremum s := sup N besitzen und s − a wäre folglich keine obere Schranke von N , d.h. es gäbe ein n∗ ∈ N mit n∗ · a > s − a. Daraus würde aber (n∗ + 1) · a = (n∗ · a) + a > s − a + a = s im Widerspruch zur Definition von s folgen. Daher existiert kein Supremum von N und folglich gibt es ein n0 ∈ N mit b < n0 · a. Satz 10 Die Menge {x ∈ Q | 0 ≤ x2 ≤ 2} ist noch oben beschränkt und besitzt kein Supremum in Q. Folgerung 4 Der Körper (Q, +, ·, ≤) der rationalen Zahlen ist nicht vollständig angeordnet. Beweis der Folgerung. Die Behauptung folgt unmittelbar aus Satz 10. Beweis von Satz 10. Setze N := {x ∈ Q | 0 ≤ x2 ≤ 2}. Angenommen, es gäbe ein Supremum s := sup N in Q. Wir wollen dies im Weiteren zum Widerspruch führen. Da 1 ∈ N , können wir o.B.d.A s > 0 annehmen, da 0 ∈ N . 2 1. Fall: Angenommen, s2 < 2. Setze ∆ := min s, 2−s . Dann gilt 3s (s + ∆)2 = s2 + 2s∆ + ∆2 ≤ s2 + 2s∆ + s∆ = s2 + 3s∆ ≤ 2 ↑ ∆≤s und daraus folgt s + ∆ ∈ N . Dies ist aber ein Widerspruch zur Supremumseigenschaft von s. 2 −2 2. Fall: Angenommen, s2 > 2. Setze ∆ := min s, s 2s > 0. Dann gilt s−∆ ≥ 0 und somit erhält man für x > s − ∆ die Abschätzung x2 > (s − ∆)2 = s2 − 2s∆ + ∆2 ≥ s2 − 2s∆ ≥ s2 − 2s · s2 − 2 = 2, 2s d.h. x 6∈ N . Folglich gilt für alle x ∈ N die Abschätzung x ≤ s − ∆, d.h. s − ∆ ist eine obere Schranke von N . Da s − ∆ aber echt kleiner als s ist, steht dies im Widerspruch zur Supremumseigenschaft von s. 3. Fall: Angenommen, s2 = 2. Dies widerspricht unmittelbar Satz 9. Somit haben wir insgesamt gezeigt, dass N kein Supremum in Q besitzt. 24 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Satz 11 (Isomorphiesatz) Es gibt einen (bis auf Isomorphie) eindeutigen, vollständig angeordneten Körper. Dieser enthält in eindeutiger Weise12 die Menge der rationalen Zahlen als Teilkörper. Beweis. Einen vollständigen Beweis der obigen Aussage kann man z.B. in Ebbinghaus et al., „Zahlen“, Springer, 1992 finden. Definition 11 Diesen (bis auf Isomorphie) eindeutigen Körper aus Satz 11 bezeichnen wir im Weiteren als den Körper der reellen Zahlen und schreiben dafür R. Bemerkungen zu Konstruktion von R In der Standardliteratur findet man gewöhnlich drei verschieden Konstruktionsverfahren der Menge der reellen Zahlen (vgl. auch Ebbinghaus et al., „Zahlen“, Springer, 1992): Dedekindsche Schnitte (Dedekind 1831–1916) Die Grundidee Dedekinds besteht darin, rationale Zahlen q mit Mengen der From Sq := {p ∈ Q | p > q} ⊂ Q zu identifizieren und eine Addition bzw. Multiplikation für diesen Menge so zu definieren, dass die Gleichungen Sq + Sq0 = Sq+q0 und Sq · Sq0 = Sq·q0 für alle q, q 0 ∈ Q erfüllt sind. Beim genaueren Studium dieser „Konstruktion“ zeigt sich, dass die wesentlichen Eigenschaften der Mengen Sq die folgenden sind: (i) Sq ist nichtleer und nach unten beschränkt. (ii) Für alle r, s ∈ Q gilt die Implikation (s ∈ S ∧ r ≥ s) =⇒ r ∈ Sq . (ii) Sq besitzt kein Minimum. Davon ausgehend bezeichnet man jede Teilmenge S ⊂ Q, die (i)–(iii) erfüllt, als Dedekindschen Schnitt. Man kann nun auf die Menge aller Dedekindschen Schnitte die obige Addition bzw. Multiplikation so fortsetzen, dass ein vollständig angeordneter Körper entsteht. Den rationalen Zahlen entsprechen dann gerade die Schnitten der From Sq mit q ∈ Q, alle anderen Schnitte heißen irrational. Intervallschachtelungen (Weierstraß 1815- -1897, Bolzano 1781–1848) Die Grundidee dieses Konstruktionsverfahrens besteht darin, eine reelle Zahl mit „einer“ Intervallschachtelung in Q, die sich auf diese reelle Zahl „zusammenzieht“, zu identifizieren. Die Schwierigkeit besteht darin, dass eine derartige Intervallschachtelung nicht eindeutig ist. Daher muss man durch geeignete Äquivalenzklassenbildung Intervallschachtelungen, die sich auf denselben Punkt zusammenziehen, miteinander identifizeiren. Cauchy-Folgen (Cantor 1845–1918, Cauchy 1789–1857) Die Konstruktion mittels Cauchy-Folgen ist der obigen Konstruktion mittels Intervallschachtelungen sehr ähnlich. Statt Intervallschachtelungen betrachtet man hier Cauchy-Folgen von rationalen Zahlen (vgl. Kapitel ??), die sich auf die 12 vgl. Satz 9 25 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE zu konstruierende reelle Zahl zusammenziehen. Ähnlich wie bei Intervallschachtelungen besteht auch hier das Problem, dass verschieden CauchyFolgen dieselbe reelle Zahl repräsentieren können. Daher ist wiederum eine geeignete Äquivalenzklassenbildung nötig, um Cauchy-Folgen, die dieseble reelle Zahl repräsentieren, miteinander identifizieren zu können. Weitere grundlegende Eigenschaften von R Lemma 7 (Binomischer Lehrsatz) (a + b)n = n X n k=0 k Sei n ∈ N0 und seien a, b ∈ R. Dann gilt ak bn−k = n X n k=0 k ak bn−k , (∗) wobei die Binomialkoeffizienten nk für n, k ∈ N0 und n ≥ k wie folgt definiert sind: n n! := k!(n − k)! k Pn Insbesondere gilt die Identität k=0 nk = 2n . Beweis. Zum Beweis von (∗) siehe Übung; die zweite Identität folgt unmittelbar aus (∗) angewandt auf a = b = 1. Satz 12 (Existenz n-ter Wurzeln) Für jede nicht negative reelle Zahl y ≥ 0 und für jedes n ∈ N existiert genau eine nicht negative reelle Zahl x ≥ 0 mit xn = y. Diese eindeutige, nicht negative reelle Zahl x ≥ 0 bezeichnen wir im √ Weiteren mit n y. Beweis. Seien n ∈ N und y ≥ 0 gegeben. Zur Eindeutigkeit: Seien x1 ≥ 0 und x2 ≥ 0 Lösungen der Gleichung xn = y. Angenommen, x1 6= x2 , also o.B.d.A. 0 ≤ x1 < x2 . Dann erhält man mittels Induktion aus Folgerung 2 die Abschätzung 0 ≤ xk1 < xk2 für alle k ∈ N. Dies liefert aber einen Widerspruch13 zur Annahme xn1 = xn2 = y und somit existiert höchstens eine nicht negative Lösung der Gleichung xn = y. Zur Existenz: Falls y = 0, so ist x = 0 offensichtlich die gesuchte (eindeutige) nicht negative Lösung der Gleichung xn = y. Sei also y > 0 und Ny := {x ∈ R | 0 ≤ xn ≤ y}. Dann ist Ny nach oben beschränkt (z.B. durch m = 1 falls y ≤ 1, oder durch m = y falls y ≥ 1) und somit besitzt Ny ein Supremum s := sup Ny . Wir zeigen im Weiteren, dass s die gesuchte Lösung der Gleichung xn = y ist. Dazu beachte man, dass s > 0 gilt, denn 1 ∈ Ny für y ≥ 1 bzw. y ∈ Ny füry ≤ 1. n 1. Fall: Angenommen, sn < y: Setze ∆ := min s, 2y−s > 0. Damit erhält n sn−1 13 Alternative kann man die Eindeutigkeit x = x auch mit Hilfe der Identität xn − xn = 1 2 1 2 (x1 − x2 )(xn−1 + xn−2 x2 + · · · + x2n−1 ) zeigen. Man beachte dabei die Abschätzung x1n−1 + 1 1 xn−2 x2 + · · · + xn−1 > 0 für x2 > x1 ≥ 0 oder x1 > x2 ≥ 0. 1 2 26 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE man für s + ∆ die Abschätzung n X n n−1 n n n n−1 (s + ∆) = s + s ∆ + ...∆ ≤ s + s ∆ 1 k k=1 n y − sn X n y − sn n ≤ sn + 2 ≤ y, ≤ sn + n 2 k 2n n n k=1 wobei die vorletzte Ungleichung aus Lemma 7 folgt, und somit gilt s + ∆ ∈ Ny . Dies widerspricht aber der Supremumseigenschaft von s. n 2. Fall: Angenommen, y < sn . Setze ∆ := min s, 2sn s−y > 0. Dann folgt n−1 s − ∆ ≥ 0 und somit erhält man für x > s − ∆ die Abschätzung n n−1 n n−2 2 xn > (s − ∆)n = sn − s ∆+ s ∆ ± . . . (−1)n ∆n 1 2 n n X n sn − y X n n n−1 n ≥s −s ∆ ≥s − ≥ y, k 2n k k=1 k=1 wobei sich die letzte Ungleichung wiederum aus Lemma 7 ergibt. Folglich ist s − ∆ im Widerspruch zur Supremumseigenschaft s eine obere Schranke von Ny . 3. Fall: Da R vollständig angeordnet ist, muss Ny ein Supremum s ∈ R besitzen und somit bleibt nur noch die Möglichkeit sn = y. Seien y1 , y2 ≥ 0. Dann gilt: q √ √ √ 1 (a) n y1 y2 = n y1 n y2 und n y11 = √ n y , falls y1 6= 0. 1 Folgerung 5 (b) y1 ≤ y2 ⇐⇒ √ n y1 ≤ √ n y2 Beweis. Zu (a): siehe Übung √ √ Zu (b): „⇐=“: Aus n y1 ≤ n y2 und Folgerung 2 folgt unmittelbar die Abschät√ √ zung ( n y1 )n ≤ ( n y2 )n , also y1 ≤ y2 . „⇐=“: Sei o.B.d.A. y2 > 0. Dann erhält man aus 0 ≤ y1 ≤ y2 dieqAbschätzung 0 ≤ yy12 ≤ 1. Nun zeigt ein einfacher Widerspruchsbeweis 0 ≤ n yy12 ≤ 1 und √ √ somit folgt aus Teil (a) die Abschätzung 0 ≤ n y1 ≤ n y2 . Definition 12 Seien x, y ∈ R. Dann definieren wir den Betrag von x wie folgt ( x falls x ≥ 0 |x| := −x falls x < 0. Ferner definieren wir den Abstand zwischen y und y durch d(x, y) := |x − y|. Folgerung 6 Die Funktionen | · | : R → R, x 7→ |x| und d : R × R → R, (x, y) 7→ d(x, y) besitzen die folgenden Eigenschaften: (a) |x| ≥ 0 und |x| = 0 ⇐⇒ x = 0, (positive Definitheit) 27 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE (b) |x · y| = |x| · |y|, (c) |x + y| ≤ |x| + |y|, (Dreiecksungleichung) (d) d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0 ⇐⇒ x = y, (e) d(x, y) = d(y, x), (Symmetrie) (f) d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z), (Dreiecksungleichung) wobei x, y, z ∈ R beliebige reelle Zahlen bezeichnen. Bemerkung: Die Eigenschaften (a)–(c) definieren eine Norm auf R; die Eigenschaften (d)–(f) eine Metrik. Beweis. Wir beweisen exemplarisch nur die Eigenschaften (b), (c) und (f). Zu (b): 1. Fall: x ≥ 0, y ≥ 0. Dann gilt x · y ≥ 0. Daraus folgt |x · y| = x · y = |x| · |y|. 2. Fall: x < 0, y < 0. Dann gilt x·y > 0, also |x·y| = x·y = (−x)·(−y) = |x|·|y|. 3. Fall: x < 0, y ≥ 0. Dann gilt x·y ≤ 0, also |x·y| = −(x·y) = (−x)·y = |x|·|y|. 4. Fall: x ≥ 0, y < 0. Analog zu Fall 3. Zu (c): 1. Fall: x ≥ 0, y ≥ 0. Dann gilt x + y ≥ 0, also |x + y| = x + y = |x| + |y|. 2. Fall: x < 0, y < 0. Dann gilt x+y < 0, also |x+y| = −(x+y) = (−x)+(−y) = |x| + |y|. 3. Fall: (i) x < 0, y ≥ 0 und x + y ≥ 0. Dann gilt |x + y| = x + y ≤ −x + y = |x| + |y|. (ii) x < 0, y ≥ 0 und x + y < 0. Dann gilt |x + y| = −(x + y) = −x + (−y) ≤ −x + y = |x| + |y|. 4. Fall: x ≥ 0, y < 0. Analog zu Fall 3. Zu (f): Für beliebige x, y, z ∈ R gilt Teil (c) d(x, z) = |x − z| = | x − y + y − z | | {z } | {z } =:a ≤ |a| + |b| =:b = |x − y| + |y − z| = d(x, y) + d(y, z). Definition 13 Seien a, b ∈ R. Wir definieren die folgenden Kategorien beschränkter Intervalle: [a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b} (abgeschlossenes/kompaktes Intervall) [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} (halboffenes Intervall) (a, b] := {x ∈ R | a < x ≤ b} (halboffenes Intervall) (a, b) := {x ∈ R | a < x < b} (offenes Intervall) 28 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Für unbeschränkte Intervalle benutzen wir die Notation: (−∞, b] := {x ∈ R | x ≤ b} , (−∞, b) := {x ∈ R | x < b} [a, +∞) := {x ∈ R | a ≤ x} , (a, +∞) := {x ∈ R | a < x} und insbesondere R− 0 := (−∞, 0] , R− := (−∞, 0] , R+ 0 := (−∞, 0] , R+ := (−∞, 0] . Zusätzlich definieren wir die offene bzw. abgeschlossene Kugel um a ∈ R mit Radius r ≥ 0 wie folgt: Br (a) := {x ∈ R | d(a, x) < r} (offene Kugel) Kr (a) := {x ∈ R | d(a, x) ≤ r} (abgeschlossene Kugel) und Lemma 8 Für r ≥ 0 gelten die folgenden Identitäten: Br (a) = (a − r, a + r) und Kr (a) = [a − r, a + r] . Beweis. Wir zeigen zuerst die Inklusion Br (a) ⊂ (a−r, a+r). Sei also x ∈ Br (a), also |a − x| < r. Daraus folgt x = a + x − a ≤ a + |x − a| < a + r und a = x + a − x ≤ x + |a − x| < x + r , also x < a − r und a − r < x, d.h. x ∈ (a − r, a + r). Sei nun x ∈ (a − r, a + r). Dann gilt |a − x| = max{a − x, x − a} ≤ max{a − (a − r), (a + r) − a} = r , also x ∈ Br (a) und somit gilt auch die Inklusion (a − r, a + r) ⊂ Br (a). Die Identität Kr (a) = [a − r, a + r] zeigt man völlig analog. Definition 14 Eine Teilmenge D ⊂ R heißt dicht in R, wenn sie mit jeder echten14 , offenen Kugel Br (x) einen nichtleere Durchschnitt besitzt, d.h., wenn D ∩ Br (x) 6= ∅ für alle x ∈ R und alle r > 0 gilt. Satz 13 Lemma 9 Der Körper Q der rationalen Zahlen ist dicht in R. (a) Zu jedem ε > 0 existiert ein n ∈ N mit 0 < 1 n < ε. (b) Seien a, b ∈ R mit a < b. Dann existiert ein q ∈ Q mit a < q < b. 14 Eine Kugel heißt echt oder nicht trivial, wenn ihre Radius echt größer null ist. 29 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Beweis des Lemmas. Zu (a): Sei ε > 0. Falls ε > 1, so ist die Aussage offensichtlich für n = 1 erfüllt. Falls ε ≤ 1, so gilt 0 < 1 ≤ 1ε . Da R nach Folgerung 3 archimedisch ist, existiert somit ein n ∈ N mit 0 < 1ε < n, also 0 < n1 < ε. Zu (b): Sei o.B.d.A. a ≥ 0. Setze ε := b − a > 0. Dann existiert nach Teil (a) ein n ∈ N mit 0 < n1 < ε. Da R archimedisch ist, ist die Menge N := {k ∈ N | k · 1 n > a} nichtleer und besitzt nach dem Wohlordnungssatz 4 ein Minimum. Setze k0 := min N . Dann gilt offensichtlich a < kn0 , aber auch kn0 < b. Denn wäre b ≤ kn0 , so würde dies die Abschätzung a = b − (b − a) < b − 1 k0 − 1 ≤ . n n im Widerspruch zur Definition von k0 implizieren. Damit ist q := nale Zahl mit der gewünschten Eigenschaft. k0 n eine ratio- Beweis des Satzes. Sei x ∈ R und ε > 0 gegeben. Dann existiert nach obigem Lemma ein q ∈ Q mit x − ε < q < x + ε, also q ∈ Q ∩ Br (x). Definition 15 Eine Folge (In )n∈N nichtleerer Intervalle mit In+1 ⊂ In für n ∈ N heißt Intervallschachtelung in R. Beispiele: Setze In := − n1 , n1 und Jn := [n, ∞) für n ∈ N. Dann sind (In )n∈N und (Jn )n∈N Intervallschachtelungen in R mit \ \ In = {0} und Jn = ∅ . n∈N n∈N Satz 14 Sei (In )n∈N eine Intervallschachtelung kompakter, nichtleerer Intervalle in R, d.h. für alle n ∈ N existieren geeignete reelle Zahlen an ≤ bn mit In = [an , bn ]. Dann gilt \ In 6= ∅ . n∈N Kurzversion: Der Durchschnitt jede kompakten Intervallschachtelung in R ist nichtleer. Falls zusätzlich die Folge der Durchmesser dn := |bn − an | beliebig klein wird für große15 n ∈ N, so existiert genau eine reelle Zahl x ∈ R mit \ In = {x} . n∈N Beweis. Sei In = [an , bn ] mit an ≤ bn . Dann folgt aus In+1 ⊂ In , die Abschätzung an ≤ an+1 ≤ bn+1 ≤ bn für alle n ∈ N. Somit sind die Mengen N := {an | n ∈ N} und N 0 := {bn | n ∈ N} von oben (z.B. durch m := b1 ) bzw. von unten (z.B. durch m0 := a1 ) beschränkt. Im Weiteren zeigen wir: \ In = [sup N, inf N 0 ] 6= ∅ . (∗) n∈N 1. Schritt: Wir zeigen zuerst sup N ≤ inf N 0 , also [sup N, inf N 0 ] 6= ∅. 15 Eine exakte Definition dieser etwas vagen Formulierung liefert Definition ?? in Kapitel ??. 30 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE 1. Fall: Sei n ≤ k. Dann gilt an ≤ ak ≤ bk . 2. Fall: Sei n ≥ k. Dann gilt an ≤ bn ≤ bk . Daraus folgt an ≤ bk für alle n, k ∈ N und somit sup N ≤ bk . (∗∗) Da aber (∗∗) für alle k ∈ N erfüllt ist, erhalten wir weiterhin sup N ≤ inf N 0 . 2. Schritt: Als Nächstes zeigen wir \ In ⊆ [sup N, inf N 0 ] . n∈N T Sei x ∈ n∈N In . Dann gilt offensichtlich an ≤ x ≤ bn für alle n ∈ N, also ist x eine obere Schranke für N und eine untere Schranke für N 0 . Somit gilt sup N ≤ x ≤ inf N 0 . 3. Schritt: Abschließend zeigen wir \ In ⊇ [sup N, inf N 0 ] . n∈N T Sei x ∈ / n∈N In , d.h. es existiert ein n ∈ N mit x ∈ / [an , bn ]. Sei o.B.d.A. x < an . Daraus folgt x < sup N , also x ∈ / [sup N, inf N 0 ]. Somit erhalten wir insgeamt aus Schritt 1–3 die Behauptung (∗) und folglich ist der Durchschnitt der Intervallschachtelung (In )n∈N insbesondere nicht leer. Zur Zusatzbehauptung: Aus der Abschätzung 0 ≤ inf N 0 − sup N ≤ bn − an für alle n ∈ N folgt inf N 0 = sup N , falls bn − an beliebig klein wird für große n ∈ N. Satz 15 Die Menge R der reellen Zahlen ist überabzählbar, d.h. es gibt keine surjektive Abbildung von N nach R. Beweis. Angenommen, R wäre abzählbar. Dann gäbe es eine surjektive Abbildung ϕ : N → R, mit deren Hilfe wir rekursiv eine Intervallschachtelung (In )n∈N mit den folgenden Eigenschaften konstruieren könnten: (i) In ist komapt und nichtleer. (ii) Für alle n ∈ N gilt ϕ(n) ∈ / In . Dies ist z.B. wie folgt möglich: 1. Schritt: Setze I1 := [a1 , b1 ] mit a1 = ϕ(1) + 1 und b1 = ϕ(1) + 2. 2. Schritt: Man bezeichne mit I11 das erste Drittel des Intervalls I1 , mit I12 das zweite Drittel und mit I13 das dritte Drittel, also I11 : = [a1 , a1 + 13 ] , I12 : = [a1 + 13 , a1 + 23 ] , I13 : = [a1 + 23 , b1 ] . 31 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Wähle nun α ∈ {1, 2, 3}, so dass ϕ(2) ∈ / I1α , und setze I2 := I1α . Allgemein ergibt sich In+1 aus In = [an , bn ], indem man wie zuvor In drittelt und aus den Teilintervalle bn −an ], 3 bn −an , an + 2(bn3−an ) ] , 3 2(bn −an ) , bn ] 3 In1 : = [an , an + In2 : = [an + In3 : = [an + ein Inα =: In+1 , α ∈ {1, 2, 3} so aus wählt, dass ϕ(n + 1) ∈ / Inα . Damit erhält man rekursive eine Intervallschachtelung (In )n∈N mit den gewünschten Eigenschaften (i) und (ii). T Nun Tfolgt aus Satz 14, dass der Durchschnitt n∈N In nicht leer ist. Sei also x ∈ n∈N In . Dann existiert ein n ∈ NTmit ϕ(n) = x. Andererseits gilt jedoch nach Konstruktion ϕ(n) ∈ / In , also x ∈ / n∈N In . Dieser Widerspruch zeigt, dass es derartige Abbildung ϕ nicht geben kann, d.h., dass R ist überabzählbar. 4 Komplexe Zahlen Warum auch noch komplexe Zahlen? Obwohl die Konstruktion der reellen Zahlen eine Vielzahl von algebraiaschen und geometrischen Problemen gelöst hat, gibt es weitere „einfache“ algebraische Gleichungen, wie z.B. x2 + 1 = 0, die keine reelle Lösung besitzen. Die Einführung der komplexen Zahlen diente in erster Linie der Konstruktion von Quadratwurzeln negativer Zahlen. Überraschender Weise zeigte sich im Nachhinein, dass nun „jede“ algebraische Gleichung (über den komplexen Zahlen) eine Lösung hat. Genauer gesagt gilt der folgende tiefliegende Satz der Algebra, dessen Beweis hier zu weit führen würde. Pn Satz (Fundamentalsatz der Algebra) Jedes Polynom p(z) := k=0 ak z k mit komplexen Koeffizienten a0 , . . . , an und an 6= 0 zerfällt in genau n Linearfaktoren, d.h. es gibt komplexe Zahlen z1 , . . . , zn mit p(z) = an (z − z1 ) · (z − z2 ) · · · (z − zn ) , wobei die Zahlen z1 , . . . , zn nicht notwendigerweise verschieden sein müssen. Zählt man also Nullstellen eines Polynoms entsprechend ihrer Vielfachheit16 , so besitzt jedes komplexe Polymon vom Grad n genau n Nullstellen. Konstruktion der komplexen Zahlen (nach Wessel 1745–1818 und Gauß 1777–1855) Wir definieren auf R2 eine Addition bzw. Multiplikation wie folgt (a, b) + (c, d) := (a + c, b + d) (a, b) · (c, d) := (ac − bd, ad + bc) 16 d.h. entsprechend ihrer Häufigkeit in der Folge z , . . . , z . Man spricht also von einer n 1 Nullstelle der Vielfachheit k oder kurz von einer k-fachen Nullstelle, wenn die Zahl zi genau k-mal in der Folge z1 , . . . , zn auftaucht. 32 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Satz 16 (R2 , +, ·) ist ein Körper. Beweis. Zur Addition: Offensichtlich bildet R2 bzgl. + eine kommutative Gruppe mit neutralem Element (0, 0). Neutrales Element der Multiplikation: Das Paar (1, 0) ist das eindeutige neutrale Element der Multiplikation, denn es gilt: (a, b) · (1, 0) = (a · 1 − b · 0, a · 0 + b · 1) = (a, b) , (1, 0) · (a, b) = (1 · a − 0 · b, 1 · b + 0 · a) = (a, b) . Inverse Elemente der Multiplikation: Die folgende einfache Rechnung zeigt, dass a −b das eindeutige multiplikativ inverse Element zu (a, b) 6= (0, 0) durch a2 +b 2 , a2 +b2 gegeben ist: a −b a · a − b · (−b) a · (−b) + b · a (a, b) · , , = = (1, 0) a2 + b2 a2 + b2 a2 + b2 a2 + b2 −b a a · a − (−b) · b b · a + a · (−b) , , · (a, b) = = (1, 0) . a2 + b2 a2 + b2 a2 + b2 a2 + b2 Der „Rest“ ist offensichtlich! Definition 16 Den Körper (R2 , +, ·) aus Satz 16 bezeichnen wir im Weiteren als den Körper der komplexen Zahlen und schreiben dafür kurz C. Konvention: Sei (a, b) ∈ C und sei i := (0, 1). Dann gilt (a, b) = (a, 0) + i(b, 0) (∗) Identifizieren17 wir ferner die reellen Zahlen a, b mit den Paaren (a, 0) und (b, 0), so können wir (∗) wie folgt schreiben (a, b) = a + ib . Bemerkung: Die komplexe Zahl i wird in der Literatur oft imaginäre Einheit genannt.√Wegen ihrer Eigenschaft i2 = −1 findet man teilweise auch die Schreibweise −1. Es ist nicht vollständig geklärt, auf wen die die Bezeichnung „imaginär“ (= unwirklich/eingebildet) zurückgeht. Manche Quellen schreiben sie Descartes (1596–1650) zu, der die Verwendung von komplexen Zahlen noch ablehnte. Andere hingegen nennen in diesem Zusammenhang Cardano (1501–1576), der mit Hilfe komplexer Zahlen – ähnlich der Lösungsformel18 für quadratische Gleichungen – Lösungsformeln für Polynome 3. und 4. Gardes entwickelte (vgl. Ebbinghaus et al., „Zahlen“, Springer, 1992). Kuriosum: Wir möchten uns an dieser Stelle für die Verletzung deutscher Industrienormen entschuldigen, denn in der Elektrotechnik wird gemäß DIN 1302 und DIN 5483-3 das Symbol j statt i benutzt, um eine Verwechslung mit andern Größen (Stromstärke) zu vermeiden. 17 Die Abbildung a 7→ (a, 0) ist ein Körperisomorphismus von R nach C. 18 Lösungsformel für quadratische Gleichungen ax2 + bx + c = 0: 33 x1/2 = √ −b± b2 −4ac 2a KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Definition 17 Sei z := a + ib eine beliebige komplexe Zahl mit a, b ∈ R. Dann ist der Realteil bzw. der Imaginärteil von z wie folgt definiert Re z := a und Im z := b . Eine komplexe Zahl z heißt rein reell, falls Im z = 0, und rein imaginär, falls Re z = 0. Ferner bezeichnet man die komplexe Zahl z̄ := a − ib als die zu z := a + ib komplex konjugierte Zahl, also z̄ := Re z − i Im z. Eine Betrags- bzw. Abstandsfunktion für komplexe Zahlen erhält man mittels p p |z| := (Re z)2 + (Im z)2 = a2 + b2 und d(z, x) := |z − w| . Folgerung 7 Seien z, w und v beliebige komplexe Zahlen. Dann gilt: (a) z + w = z̄ + w̄, Re z = 12 (z + z̄) und Im z = 1 2i (z − z̄). (b) z · w = z̄ · w̄ und |z|2 = z · z̄. Ferner sind die nachfolgenden Norm- bzw. Metrikeigenschaften erfüllt: (N1) |z| ≥ 0 und |z| = 0 ⇐⇒ z = 0 (N2) |z · w| = |z| · |w| (N3) |z + w| ≤ |z| + |w| und (M1) d(z, w) ≥ 0 und d(z, w) = 0 ⇐⇒ z = w (M2) d(z, w) = d(w, z) (M3) d(z, w) ≤ d(z, v) + d(v, w). Beweis. Wir zeigen hier nur die Eigenschaften (b), (N2) und (N3). Der Beweis der übrigen Aussagen erfolgt in den Übungen. Zu (b): Sei z := a + ib und w := c + id mit a, b, c, d ∈ R. Dann gilt z̄ · w̄ = (a − ib)(c − id) = ac − bd − i(ad + bc) = z · w und z · z̄ = (a + ib)(a − ib) = a2 + b2 = |z|2 . Zu (N2): Seien z, w ∈ C beliebig. Dann folgt aus Teil (b) die Identität |z · w|2 = zw · zw = (z · z̄) · (w · w̄) = |z|2 · |w|2 , also |z · w| = |z| · |w|. 34 KAPITEL II. ZAHLBEREICHE Zu (N3): Seien z, w ∈ C beliebig. Dann folgt mittels Teil (b) die Abschätzung |z + w|2 = (z + w) · (z̄ + w̄) = z · z̄ + w · w̄ + z · w̄ + z̄ · w = |z|2 + |w|2 + 2 · Re(z · w̄) ≤ |z|2 + |w|2 + 2 · |z · w̄| 2 = |z|2 + |w|2 + 2 · |z| · |w| = |z| + |w| . Da |z + w| ≥ 0 und |z| + |w| ≥ 0, folgt aus der obigen Rechnung die gewünschte Abschätzung |z + w| ≤ |z| + |w|. Definition 18 (a) Wir definieren analog zu Definition 13 die offene bzw. abgeschlossene Kugel um z ∈ C mit Radius r ≥ 0 wie folgt Br (z) := {w ∈ C | d(z, w) < r} (offene Kugel) Kr (z) := {w ∈ C | d(z, w) ≤ r}. (abgeschlossene Kugel) und (b) Eine Teilmenge M der komplexen Zahlen heißt beschränkt, wenn es eine abgeschlossene Kugel Kr (z) gibt, so dass die Inklusion M ⊂ Kr (z) gilt. Bemerkung: 1) Man beachte, dass die Begriffe „nach oben“ bzw. „nach unten beschränkt“ im Komplexen sinnlos sind. 2) Aufgrund der Dreiecksungleichung kann man in Definition 18(b) ohne Einschränkung z = 0 wählen. Satz 17 Der Teilkörper Q + iQ := {a + ib ∈ C | a, b ∈ Q} liegt dicht in C. Beweis. X Graphische Veranschaulichung Abbildung II.1: Addition Abbildung II.2: Multiplikation Polardarstellung: z = a+ib = r ·(cos ϕ+i sin ϕ) (siehe Kapitel ??, Abschnitt ??). 35 Stichwortverzeichnis Kapitel II abelsch, 16 Abstand, 27 Abstandsfunktion, 33 angeordneter Körper, 19 archimedisch, 21 assoziativ, 16 beschränkt, 22, 34 Betrag, 27 Betrags-, 33 Binomialkoeffizienten, 26 Dedekindschen Schnitt, 25 dicht, 29 Gruppe, 16 Imaginärteil, 33 induktiv, 3 Infimum, 22 Intervallschachtelung, 29 inverses Element, 16 Körper, 18 kleinstes Element, 10 kommutativ, 16, 17 komplex konjugierte, 33 Körper der komplexen Zahlen, 32 Körper der reellen Zahlen, 25 Maximum, 22 Menge der natürlichen Zahlen, 4 Metrik, 27 Minimum, 10, 22 Nachfolger-Abbildung, 4 neutrales Element, 16 Norm, 27 obere (untere) Schranke, 22 Peano-Struktur, 4 Prinzip der vollständigen Induktion, 3 Realteil, 33 rein imaginär, 33 rein reell, 33 Ring mit Eins, 17 Supremum, 22 36 vollständig angeordnet, 23 von oben (unten) beschränkt, 22 Wohlordnung, 10