32 AKADEMIETHEATER Der Schrecken des Widerstands ENGEL DES VERGESSENS. Georg Schmiedleitner inszeniert am Akademietheater die Uraufführung von Maja Haderlaps gefeiertem Roman, den er zusammen mit der Autorin auch adaptiert hat. FOTO: GEORG SOULEK E igentlich handelt es sich nur um die Geschichte eines slotet von allen Erinnerungen an die Geschichten der Eltern und Großeltern das Leben wirklich neu beginnen können. Aber diewenischen Mädchens in Kärnten, das den Schrecken seiner Kindheit bannen möchte. Aber dieser Schrecken hat es in ser Engel ist leider selber vergesslich und versäumt viele Kinder sich, da bricht die Gewaltherrschaft der Nazis auf, der Weltzu küssen.“ Auch das Mädchen auf dem Bauernhof in Eisenkapkrieg, die grausamen Partisanenkämpfe in den südlichen pel, wo die 1961 geborene Maja Haderlap aufgewachsen ist, hat Grenzwäldern Kärntens und die damit verbundene Familiengeer übersehen, und so hat es sein Antlitz auch der Vergangenheit zugewandt und betrachtet die Katastrophen und Trümmer der schichte, die Konzentrationslager und ein Kind, das nicht verFamiliengeschichte. steht, warum sein Vater so verstört ist und sich dauernd umbringen will. Peter Handke hat es schön auf den Begriff gebracht: NACHWEHEN „Maja Haderlap hat eine gewaltige Geschichte geschrieben ... Die Autorin selber und der Regisseur haben gemeinsam die Die Großmutter wie noch keine, der arme bittere Vater wie noch Bühnenfassung erarbeitet, in aller Harmonie, wie sie versichern. keiner, die Toten wie noch nie, ein Kind wie noch keines.“ Und Die beiden kennen sich von früher, als Georg Schmiedleitner sie hat mit ihrem autobiografisch grundierten Debütroman Ennoch am Stadttheater Klagenfurt inszenierte, wo Maja Haderlap gel des Vergessens 2011 den Ingeborg-Bachmann-Preis in Kla15 Jahre lang bis 2007 als Chefdramaturgin werkte. Der Roman genfurt gewonnen – in einem Bundesland, das bis in die jüngste Zeit einen verdeckten Kampf gegen seine eigene slowenische eignet sich auf den ersten Blick wenig für eine Dramatisierung, weil er mit verschiedensten Stil-Lagen arbeitet, poetischen, epiMinderheit geführt hat. Nun wird dieser faszinierende Engel des Vergessens (die Buchschen, reflexiven, aber kaum die Dialoge bietet, die das Theater braucht. „Natürlich“, sagt der Regisseur, „muss man danach ausgabe ist im Wallstein Verlag erschienen) in einer Inszenierung von Georg Schmiedleitner im Akademietheater auf die trachten, dass die Bühnenfassung eine andere Form kriegt als der Roman, den wir nicht einfach nachbeten und bebildern, Bühne gebracht. Im Roman tauchen ja zwei dieser Flugwesen auf, einerseits in einem Kryptozitat der Engel der Geschichte, sondern mit den Mitteln des Theaters erzählen. Und weil die wie ihn Walter Benjamin beschrieben hat: „Es gibt ein Bild von Autorin das Theater auch liebt, geht das. Ich war überrascht, wie Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, unverkrampft sie mit ihrer eigenen Geschichte verfährt. Es geht der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, ja immerhin um ihre Familie und sie selber,“ „Wir haben“, setzt Maja Haderlap fort, „die Situationen aus worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerisdem Roman gefiltert, die eine theatrale, sen, sein Mund steht offen und seine Flügel dramatische Qualität haben und so mit sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte AK ADEMIETHEATER den Versatzstücken des Romans eine eimuß so aussehen. Er hat das Antlitz der VerMaja Haderlap gangenheit zugewendet. Wo eine Kette gene theatertaugliche Dramaturgie entwiEngel des Vergessens von Begebenheiten vor uns erscheint, da ckelt.“ Aber da stellt sich doch die Frage, Di., 8. September, 19.30 sieht er eine einzige Katastrophe, die unabwie stark die Autorin unter der Bearbeitung Regie: Georg Schmiedleitner des Romans gelitten hat? „Es war schon lässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie Bühne: Volker Hintermeier eine psychische Herausforderung, auch ein ihm vor die Füße schleudert.“ Den anderen Kostüme: Su Bühler schmerzhafter Prozess und wenn Georg Engel hat Maja Haderlap zufällig, erzählt sie, Mit: Elisabeth Orth (Großmutter), Gregor nach den Arbeitssitzungen wieder weggein Schalom Aschs 1939 veröffentlichten RoBloéb (Vater, Foto r.), Petra Morzé (Mutter), man Der Nazarener gefunden, „da taucht fahren ist, kamen die Nachwehen, was eiAlina Fritsch (Junges Ich), Alexandra Hengleich zu Beginn dieser Engel des Vergesgentlich mit meinem Roman passiert. Aber kel (Altes Ich), Sven Dolinski, Sabine Haupt da war es hilfreich, dass ich so lange am sens auf, der aus der jüdischen Mythologie Theater gearbeitet habe: die Dramaturgin kommt und die Funktion hat, die neugebo6. Sept., 19.00 (VA), 10., 11. Sept., 19.30, 14., 26., 28., 29. Sept., 20.00 Maja hat die Autorin Haderlap besänftigt.“ renen Kinder zu küssen, damit sie unbelas- ¬ BÜHNE 9 2015 bueh1509_AKADEMIETHEATER Haderlap.indd 32 21.08.15 11:27 ¬ 2015 X BÜHNE bueh1509_AKADEMIETHEATER Haderlap.indd 33 21.08.15 11:27 FOTO: REINHARD MAXIMILIAN WERNER Roman, die auch in der Inszenierung vorkommen wird, in der lange nach dem Krieg eine slowenische Freundesrunde, darunter der Vater, der schon längst vom Bundespräsidenten als Widerstandskämpfer ausgezeichnet worden ist, in einem Eisenkappler Wirtshaus zusammensitzt und von Ex-Nazis als „Heimatverräter“ beschimpft wird: Es seien die Partisanen gewesen, die das Peršman-Massaker begangen hätten. Gemeint ist eine benachbarte Bauernfamilie der Haderlaps, die vom Kleinkind bis zur Großmutter nachweislich von einer SS-Mörderbande abgeschlachtet worden war. Die Szene illustriert die deutschnationale, faschistoide Grundstimmung eines Landes, die blieb, auch wenn die Hitler-Bilder weggeräumt und die Nazi-Uniformen abgelegt wurden. Der gefolterte Vater zerbricht daran. Als er eine Zeugenaussage in einer Untersuchung machen soll, die später fallen gelassen DAS TEAM. Maja Haderlap und Georg Schmiedleitner haben gemeinsam den Roman für die Bühne adaptiert. wurde, bringt er kein Wort heraus, denn er sitzt demselben Polizisten gegenüber, der ihn damals 12-jährig mehrmals am Hals an einem Baum aufhängte und wieder runterließ, nur um von dem in Todesangst zappelnden Jungen zu erfahren, ob der Großvater aus dem Wald Im Zentrum des Romans steht ein Figurendreieck: die Großnach Hause gekommen sei. Später ist er auf dem Revier noch an mutter (gespielt von Elisabeth Orth), die aufgrund von Sippenhaftung ins KZ Ravensbrück deportiert wurde, weil sich ihr einen Kleiderhaken gehängt und ausgepeitscht worden. Die Spätfolgen sind furchtbare Nervenkrisen, nach innen und außen Mann den Kärntner Partisanen angeschlossen hat. Sie überlebt es knapp und nur, weil sie die Identität einer Toten annehmen gerichtete Zerstörungsanfälle unter Alkohol, mit denen er seine Familie terrorisiert. Die Kinder flüchten in den Wald, wenn er wiekann. Dann ist da ihr Sohn, der Vater (gespielt von Gregor Bloéb), der mit 12 Jahren von den Nazi-Schergen entsetzlich geder einmal droht, mit seinem Jagdgewehr alle zu erschießen. Der Polizist, der noch andere Vergehen beging, hat foltert wurde, und schließlich das Mädchen, seine völlig unbehelligt in Kärnten weitergelebt. Tochter, die Ich-Erzählerin, die versucht, die VerheeDieser Vater, erklärt der Regisseur, repräsentiert rungen und den Albtraum dieser Familie aufzuarbei„eine Symbolfigur des österreichischen Widerstands ten. „Dieses Ich“, erklärt Schmiedleitner, „haben wir und dessen verlorenen Kampf um Anerkennung in zwei Figuren aufgespalten, eine jüngere und eine und Gerechtigkeit gegen staatlich geförderte Ignoältere, um den Zwiespalt zwischen erlebter Familiengeschichte und dem Kommentar dazu besser zeigen ranz, grenzenlose Dummheit und Verachtung. Er ist zu können. Man sieht, wie eine unbewältigte Vereine Art verlorener, trauriger Clown der Geschichte, der um sich schlägt aus Unvermögen mit der eigegangenheit zu schlimmen Zerwürfnissen innerhalb einer Familie führt. Es geht ja nicht um eine Genen Vergangenheit umzugehen.“ Da stellt sich schon die Frage, ob sich wenigstens heute in Kärnschichte von Helden, sondern Verlierern, die sich selMAJA HADERLAP: ber zerfleischen, obwohl, und das ist das Verstöten etwas geändert hat? „Das Buch“, erzählt Maja HaEngel des Vergesrende an dieser Geschichte, es sich eigentlich um derlap, „hat bewirkt, dass in den Familien offener dasens, 288 Seiten, Helden handelt, tapfere Kämpfer gegen den Schrerüber gesprochen wird. Und es gibt Ansätze zu ForGöttingen 2011, Wallstein Verlag cken der Nazi-Diktatur, die dann dafür im eigenen men von Erinnerungskultur mit ersten GedenkLand mit Verachtung gestraft wurden. Darin liegt tafeln. Die Politik aber verhält sich nach wie vor der Knackpunkt der ganzen Handlung“. zurückhaltend.“ Letztlich, übernimmt der Regisseur, „ist die Verdrängung noch immer umfassend. Wenn man eine Umfrage machen würde, was für eine Rolle die slowenischen WIDERSTANDSKÄMPFER Partisanen am Ende des Krieges in Kärnten gespielt haben, bin Der Roman und mit ihm die Inszenierung führt schonungsich überzeugt, dass die Kenntnis auf Null hinausläuft. Das ist ja los in ein „dunkles, vergessenes Kellerabteil des Hauses Österauch das Verdienst des Romans, davon zu erzählen, und das bereich“ und den dort begrabenen Treppenwitz der Geschichte, dass die slowenischen Partisanen, die in diesem Land als Einzige feuert das Engagement des Ensembles ungemein, weil wir hier den Mut hatten, einen nennenswerten militärischen Widereine Geschichte bringen, von der niemand weiß.“ stand gegen die Faschisten aufzunehmen, dafür mit Folter, VerUnd was wünscht sich das Kreativteam soll die Inszenieschleppung, Tod und Massakern an ihren Familien bezahlten rung bewirken? Gerechtigkeit für die Kärntner Slowenen? „Das und schließlich nach dem Krieg als Banditen, Mörder sowie Vawäre zu anmaßend“, rufen sie fast unisono und dann etwas durcheinander: „Aber wenn der Abend mit seiner Emotion terlandsverräter diskriminiert wurden. Noch im Jahr 1990 weiund Bildhaftigkeit Lust machen würde, sich mit dem Thema zu gerte sich Jörg Haider vom Bundespräsidenten verliehene EhB beschäftigen, das wäre toll!“ renzeichen für Verdienste um die Befreiung Österreichs an eheLOTHAR LOHS malige Partisanen zu übergeben. Gespenstisch die Szene im ¬ BÜHNE 9 2015 bueh1509_AKADEMIETHEATER Haderlap.indd 34 21.08.15 11:27