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Eigentlich ist die Influenza-Erkrankung bei Schweinen eine bekannte Erkrankung und die Symptome bei
infizierten Tieren eindeutig. Doch seit dem Sommer 2010 beobachten Landwirte und Tierärzte neue
Symptome, die bisher nicht im Zusammenhang zu Influenza standen. Dr. Stefan Pesch berichtet über die
überraschenden Ergebnisse eines Monitorings in den Schweinebeständen Nordwestdeutschlands.
Das klassische, klinische Erscheinungsbild einer Influenza-Erkrankung umfasst bei
Schweinen, da es sich hierbei in erster Linie
um eine Atemwegserkrankung handelt, eine
erhöhte Körpertemperatur, einen trockenen
Krampfhusten, verminderte Futteraufnahme
und eine pumpende Atmung der Tiere.
Infolge dieses „Pumpens“ liegen v.a. säugende
Sauen vermehrt auf dem Bauch, wodurch die
Ferkel zwangsläufig nur noch schlecht oder
gar nicht gesäugt werden. Doch seit Sommer
2010 wird – zum Teil auch in Betrieben, die
gegen Influenza impfen – immer wieder von
einem Influenza-artigen Geschehen berichtet, das von Symptomen begleitet wird, wie sie
nicht einem klassischen und in den Lehrbüchern beschriebenen Influenzaverlauf zuzuordnen sind.
Foto: Noé
Aborte und nervöse Sauen
Sauen bieten sich nicht zum Säugen an – eines der neuen Symptome bei Influenza.
So wird von Sauenhaltern im Zusammenhang mit einer Influenza-Infektion von einer
Erhöhung der Fruchtbarkeitsstörungen berichtet, gekennzeichnet durch Aborte zwischen dem 50. bis 70. Trächtigkeitstag ohne
massive Fieberschübe. Weiterhin fallen extrem nervöse Sauen auf, die „Leerkauen“, welches mit sichtbarer Schaumbildung einhergeht, Unruhe im Wartestall (laufendes Hinlegen/Aufstehen, „Ohrenschlagen“), sowie
ein stumpfes Haarkleid zeigen. Bei Letzterem
sind die Haarbälge dunkel markiert, wie dies
bei Räude, Stoffwechselerkrankungen und
Belastungen infolge chronischer Infektionen
beobachtet werden kann.
Ebenso wurden Influenza-Infektionen
bei Saugferkeln und Absetzern von Influenzageimpften Sauen beschrieben.
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aktuell
SCHWEIN
Foto: Noé
Foto: Noé
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Schaumbildung bei leer kauenden Sauen im Kastenstand bei extrem nervösen Sauen.
Hierbei stehen Schniefen, Anstoßen,
Niesen, Pumpen und Nervosität im Fokus,
gefolgt von Lidrandnekrosen, Konjunktivitis
(Augenentzündung) und Nasenausfluss. Dies
ist überraschend, da die Dauer einer passiven,
Kolostrum-vermittelten Immunität mit bis zu
10 Wochen veranschlagt wird. Da außerdem
diese Symptome gerade in Betrieben mit
hoher Leistung und gutem Management beobachtet werden, wird derzeit diskutiert, ob möglicherweise infolge zu hoher Hygienestandards sowie der Trennung von Alters- und
Nutzungsgruppen der Aufbau einer Infektionsimmunität nicht immer ausreichend
möglich ist. Darüber hinaus wird das
Vorliegen von „Immunitätslücken“ diskutiert:
Durch die Selektion auf eine hohe Fruchtbarkeit mit damit einhergehender hoher
Milchleistung besteht die Gefahr, dass es zu
„Engpässen“ bei der Versorgung mit materna-
len Antikörpern kommen kann, da durch die
Weitergabe eines Großteils ihrer Antikörper
über die Milch die Sau selbst wieder erhöht
infektionsanfällig wird. Möglicherweise
reicht auch die von der Sau gebildete
Antikörpermenge nicht für alle Ferkel, so dass
auch hierdurch empfängliche Tiere vorhanden sind.
Als Folge dessen zirkuliert das Virus über
längere Zeiträume im Bestand, da es immer
wieder auf empfängliche Einzeltiere und
Tiergruppe innerhalb der Population trifft,
was zum Auftreten von untypischen chronischen Influenza-Symptomen führt. In diesem
Zusammenhang darf nicht vergessen werden,
dass eine Influenza-Infektion aber auch
immer ein wichtiger Wegbereiter für weitere
virale (PRRS) und/oder bakterielle Erreger
(APP) sein kann.
Schweine im besonderen
Fokus
Von den Influenzaviren haben die
Influenza-A-Viren, die beim Menschen,
Pferd, Schwein und Geflügel vorkommen, die
größte medizinische Bedeutung. Dabei finden Infektionen in erster Linie innerhalb
einer Art statt, so dass humane, equine, porzine und aviäre Influenzavirusstämme unterschieden werden können.
Dem Schwein kommt hierbei eine besondere Rolle zuteil, da es eine zentrale Rolle bei
der Übertragung spielt: Es besitzt Rezeptoren,
die sowohl eine Infektion mit porzinen als
auch mit aviären und humanen Influenza-AViren zulassen. Somit fungiert es als Kreuzungspunkt zwischen den unterschiedlichen
Subtypen.
Eine große genetische Vielfalt, zurückzuführen auf die Mechanismen genetische Drift
und genetische Shift, gehört zu den typischen
Eigenschaften der Influenzaviren. Unter der
Drift versteht man die Anhäufung von
Punktmutationen, die über Jahre stattfindet.
Dahingegen spricht man bei der Shift von
dem Austausch eines oder mehrerer Gensegmente, der in Folge von Doppel- oder
Mehrfachinfektionen des Wirtes mit unterschiedlichen Virusstämmen stattfinden und
zu Neukombinationen bis hin zum Auftreten
völlig neuer Virusvarianten führen kann.
Hierdurch wird auch die Fähigkeit des Virus
ermöglicht, auf andere Tierarten überzugreifen und diese zu infizieren („zoonotisches
Potential“). Verstärkt wird dieses durch einen
regen Reiseverkehr und internationalen
Tierhandel, wodurch Influenzaviren große
Distanzen innerhalb kürzester Zeit zurücklegen können, was zu einer raschen Ausbreitung führen kann.
Monitoring zur
Influenzasituation
Im März letzten Jahres (2011) wurde in
Zusammenarbeit zwischen dem Referenzlabor für Schweineinfluenza des FriedrichLöffler-Institutes auf der Insel Riems, der
Außenstelle für Epidemiologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Bakum und
der Firma vaxxinova GmbH, Münster, ein
Monitoring-Programm zur Bestandsaufnahme der Influenzasituation in Nordwestdeutschland gestartet. Dabei sind die aktuellen Ergebnisse sehr überraschend: Ausgehend
von 382 untersuchten Betrieben war annähernd jeder zweite Bestand (40,3 %) Influenza-infiziert, zudem konnte in einem
Viertel der untersuchten Tupferproben (24,4
%) Influenza-Virus nachgewiesen werden.
Ebenso überraschend ist, dass die Nachweisraten von Influenzavirus nahezu gleichmäßig über das Jahr verteilt sind, so dass im
Gegensatz zur Lehrmeinung die InfluenzaInfektion nicht nur saisonal sondern über das
Jahr verteilt stattfindet.
Eine genetische Untersuchung der Reagenten zeigte, dass Infektionen mit dem klassischen H1N1-Subtyp im Vordergrund stehen, gefolgt von Infektionen mit H1N2 und,
deutlich weniger, H3N2-Infektionen.
Vereinzelt konnte sogar das „Mexiko–Virus“
(H1N1pdm) sowie abgeleitete Varianten
davon nachgewiesen werden. Stammbaumanalysen des Hämagglutinin-Gens zeigten,
dass innerhalb der Subtypen mehrere, zum
Teil deutlich differenzierbare Linien, existieren.
Influenza ganzjähriges
Problem
Festzuhalten bleibt aus den Ergebnissen
des Monitorings, dass Influenza-Viren in größerem Umfang als bisher angenommen ein
Problem darstellen, und dieses unabhängig
von der Jahreszeit. Zudem wird als Folge der
veränderten Klinik in hiesigen Schweinebeständen die Bedeutung einer chronischen
Infektion mit dem Influenzavirus unterschätzt, da Infektionen deutlich häufiger vorkommen, als die klinischen Symptome es vermuten lassen. Diesem erhöhten Infektionsdruck sowie dem Auftreten von chronischen
Influenza-Infektionen mit untypischem Erscheinungsbild muss mit einer gezielter
Diagnostik Rechnung getragen werden, die
auch bereits die Saugferkel beinhaltet. Was die
Immunprophylaxe anbelangt, ist als Antwort
auf die hohe Variabilität dieser Viren eine
regelmäßige Angleichung der Impfstoffe an
die zirkulierenden Stämme vorstellbar, wie
dies in der Humanmedizin seit vielen Jahren
praktiziert wird. Alternativ könnte aber auch
zukünftig, wie in den USA gang und gäbe, der
Weg der bestandsspezifischen Influenzaimpfstoffe beschritten werden, indem Betriebe
gezielt mit Impfstoffen, basierend auf Isolaten
aus diesen Betrieben geimpft werden.n
Dr. Stefan Pesch
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