1 Impulsreferat – Offene Runde (09.10.2008) Politik und Moral Kurt Beck ist nicht mehr Parteivorsitzender. Ist dies eigentlich keine ungewöhnliche Sache, entsteht daraus doch ein Problem, denn zum einen gaben sich die Parteivorsitzenden der SPD seit Jahren regelrecht die Türklinke in die Hand und zum anderen sind die Umstände des Beckschen Rücktritts durchaus als seltsam zu bezeichnen. Offenbar eher durch intrigantes Verhalten Einiger aus dem Hintergrund in den Rücktritt getrieben, scheint die causa Beck zu bestätigen, was „Lieschen Müller“ schon immer wusste: Politiker und mit denen die Politik zeichnen sich vor allem durch folgendes aus – Populismus, Manipulation und Korruption. Und in der Tat trifft man auch bei der stolzen alten Sozialdemokratie immer wieder auf moralisch stark fragwürdige Ereignisse. Von den anderen Parteien sollte man erst gar nicht zu reden. Gehen Politik und Moral, synonym Ethik nun ganz und gar nicht zusammen? Befragen wir dazu doch einfach einen der alten geisteswissenschaftlichen Klassiker: Max Weber und seinen 1919 gehaltenen Vortrag zu „Politik als Beruf“. Für Weber sind wir alle Politiker: Gelegenheitspolitiker, wenn wir wählen gehen Nebenberufliche Politiker, also alle, die von ihrer politischen Tätigkeit nicht leben und nicht für die Politik leben – und Berufspolitiker, also solche, die für die Politik, oder von der Politik leben, was nicht dasselbe ist.1 Weber sieht nun in der Politik zwei Grundprinzipien am Werk. Erstens: „Alle Parteikämpfe sind nicht nur Kämpfe um sachliche Ziele, sondern vor allem auch: um Ämterpatronage.“2 Zweitens: „Wer Politik treibt, erstrebt Macht, - Macht entweder als Mittel im Dienst anderer Ziele – idealiter oder egoistischer – oder Macht um ihrer Selbst willen: um das Prestigegefühl, das sie gibt zu genießen.“3 Weber differenziert zwischen drei Gruppen von Berufspolitikern: Der ökonomisch unabhängige Bildungs-, oder Wirtschaftsbürger, der politische Journalist, wie etwa bei der seinerzeitigen Sozialdemokratie und der eigentlich unpolitische Fachbeamte. Journalisten und Beamte leben „von“ der Politik, als „Lohnschreiber“ und „Lohnredner“.4 Für Weber gab sich das gesamte damalige deutsche Parteiensystem problematisch: Zentrum und SPD hielt er für „geborene Minderheitsparteien“. Vor allem die Sozialdemokratie sei eine Beamtenpartei (bzw. Journalistenpartei-Demagogen) ohne wirkliche Führer. Und die bürgerlichen Parteien deklariert er zu reinen Honoratiorenzünften.5 Dieses Bild scheint sich perpetuiert zu haben. In der Parteienforschung gilt seit langem als ausgemacht, dass die parteipolitischen 1 Max Weber: Politik als Beruf, Stuttgart 1992, S.9, 14, 16f. Ebd., S.20. 3 Ebd., S.7. 4 Ebd., S.20ff., 32f. u. 60. 5 Ebd., S.55ff. 2 2 Rekrutierungsmuster eben nicht an der Eignung, sondern vielmehr am „Stallgeruch“ orientiert sind.6 Diese „Haussozialisation“, wie auch die vom Wohlwollen der Partei abhängige ökonomische Lage bieten schlechte Voraussetzungen für kritisches und vor allem selbstkritisches Denken – eine differenzierte, also reflektierte Welt- und Einsicht ist nach der Parteienforschung höchstens sekundär.7 Was muss ein Berufspolitiker also können? Für Weber braucht er drei entscheidende Qualitäten: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit als leidenschaftliche Hingabe an eine Sache. Verantwortlichkeit als entscheidendes Kriterium des Handelns. Augenmaß als die Fähigkeit der Distanz zu Menschen und Dingen (es also auf sich wirken zu lassen). Politik wird also vor allem mit dem Kopf gemacht.8 Das Folgende kann sich der Politiker also nicht erlauben: Eitelkeit, Unsachlichkeit, Verantwortungslosigkeit, reines Machtstreben oder „Eindruckschinderei“. Wo ist also der ethische Ort der Politik, bzw. wie steht es mit der Beziehung von Ethik und Politik?9 Für Weber gibt es einmal die Ethik der Bergpredigt, der Moral der zweiten hingehaltenen Backe, der Ethik der Gesinnung, aber auch der Würdelosigkeit. Der Politiker muss aber dem Übel widerstehen, sonst ist er für dessen Überhandnahme verantwortlich – er kommt für sein Handeln auf. Er muss also verantwortungsethisch handeln. Der Gesinnungsethiker dagegen handelt nach seiner Gesinnung, ohne wenn und aber, im Zweifelsfalle auch weit entfernt von den Fakten der Realität.10 Er übernimmt ja auch nur Verantwortung für sich selbst. (Weber macht das immer am Pazifismus fest) In der Politik aber, vor allem wenn man Politik als Beruf betreibt, muss man sich den ethischen Paradoxien der Realität und seiner Verantwortung, was aus diesen unter Druck werden kann bewusst sein.11 Der Politiker übernimmt schließlich Verantwortung für Viele. (Man könnte Weber bildhaft so verstehen: Das gesinnungsethische „Heil der Seele“ gegen das verantwortungsethische „Heil des Lebens“) Weber wird aber wieder versöhnlich: Gesinnungs- und Verantwortungsethik sind keine absoluten Gegensätze, es ist durchaus möglich, dass für jeden der Augenblick des lutherischen 6 Karsten Grabow: Zur Rolle der Eliten in der demokratischen Gesellschaft, in: Oskar Gabriel/Beate Neuss/Günther Rüther (Hgg.): Eliten in Deutschland. Bedeutung – Macht – Verantwortung, (Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd.506), Bonn 2006, S.19-40, hier S.35. Der dort vertretene konservative Ansatz ändert nichts am Befund. 7 Detlef Grieswelle: Fortschritt oder Stagnation. Blockieren Eliten notwendige politische Entscheidungen?, in: Gabriel/Neuss/Rüther: Eliten, S.218-231, hier S.228. 8 Weber, S.62. 9 Ebd., S.63f., 65 u. 67. 10 Ebd., S.68ff., 72. 11 Ebd., 78f. 3 „hier stehe ich, ich kann nicht anders“ kommen könnte. Sie sind also eher einander ergänzend, zusammen machen sie den „echten Menschen“ aus, der den „Beruf zur Politik“ hat. Und auch nur der kann wirklich Politik als Beruf betreiben, denn Politik ist das langsame Bohren harter Bretter und „[...] alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, das man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre.“12 Soweit Weber, der mit seiner Konzeption der Verantwortungsethik also darauf verweist, dass Ethik, mindestens aber das reflektierte Abwägen ethischer Prinzipien in moralisch schwierigen Situationen zwingend zur Politik gehören. Politiker sind also Agenten, wie Parteien Agenturen moralischen Handelns sind. Die Frage ist dann aber, wie setzt man das um – sind alle Parteioberen, bzw. hier in unserem Fall auch die in der zweiten Reihe amoralisch? Oder schlicht „nur“ inkompetent – Weber, wie auch die moderne Parteienforschung haben schließlich ihre Zweifel an den Fähigkeiten vieler Politiker. Gehören sie dann nicht von ihren Aufgaben entbunden? Ob man in ihnen öffentliche Personen oder Eliten sieht, sie sollten doch wohl Vorbild sein? Oder scheint das Problem grundsätzlich übertrieben? Wenn nicht, was tun wir also? 12 Weber, S.81.