Tuberöse Sklerose Deutschland e.V. www.tsdev.org INFORMATIONSBLATT 01 Herzbeteiligung bei Patienten mit Tuberöse Sklerose Complex (TSC) 1862 entdeckte v. Recklinghausen erstmalig an einem Neugeborenen Herztumoren kombiniert mit derben Arealen der Hirnrinde – Befunde, die später wegen der großen Vielfalt der Organmanifestationen als TSC (Tuberous Sclerosis Complex) zusammengefasst wurden. Da die Herzbeteiligung bei TSC wenig Symptomatik bot, war ihre Häufigkeit bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts unbekannt. Dies änderte sich mit dem zunehmenden Einsatz der Ultraschalldiagnostik. Dieses Informationsblatt ist für TSC-Betroffene und ihre Familien gedacht, um allgemeine Fragen zur Herzbeteiligung bei Tuberöser Sklerose zu beantworten. 1. Wie sehen die Herzveränderungen bei Tuberöser Sklerose aus? Im Herzen kann es zur Ausbildung von Rhabdomyomen kommen. Das sind gutartige Tumoren, die meist nicht größer als 1 cm werden und sich überall im Herzen entwickeln können. Am häufigsten befinden sie sich aber in der Wand der Herzkammern oder im Septum, einer Trennwand zwischen der linken und rechten Herzhälfte. Rhabdomyome haben nichts mit Krebs zu tun, d.h. sie streuen nicht, bilden also keine Tochtergeschwülste. Viele Tumoren weisen eher auf eine Tuberöse Sklerose hin, als ein einziger Tumor. Sehr selten kann es zu einer generalisierten Störung des Herzmuskels und einer Veränderung der Herzklappen kommen, welche durch die Gewebsverdrängung eines Rhabdomyoms im sich entwickelten Herzen verursacht wird. 2. Wie häufig sind Rhabdomyome? Mit der Ultraschalluntersuchung konnten bei Patienten mit Tuberöser Sklerose in 30-67% der Fälle Rhabdomyome diagnostiziert werden. Andererseits ist bei Nachweis von Tumoren in einem fetalen oder kindlichen Herzen in 30-50% der Fälle Tuberöse Sklerose die Ursache. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass es 2 Häufigkeitsgipfel beim Auftreten von Rhabdomyomem am Herzen gibt. Der eine liegt im Kleinkindesalter (<2 Jahre), der andere im Jugendalter (> 10 Jahre). Ob die Rhabdomyome im Jugendalter irgendwelche Auswirkungen haben, ist noch nicht untersucht. Es ist deshalb ratsam, eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (UKG) zu Beginn der Diagnosestellung durchzuführen. Bei einem asymptomatischen Patienten sollten dann regelmäßige EKGs erfolgen, im Jugendalter zusätzlich ein UKG. Bei Symptomatik (z.B. Atemnot, wiederholte Bewusstlosigkeit, bläuliche Verfärbung der Haut) ist neben dem halbjährlichen bis jährlichen EKG ein UKG erforderlich. 3. Wie werden die Rhabdomyome diagnostiziert? Die Ultraschalluntersuchung des Herzens (UKG, Sonographie des Herzens, Echokardiographie) ist die Methode der Wahl zur Untersuchung der Herztumoren und ihren Auswirkungen auf das Herz. Sie ist sicher, schnell, schmerzlos und ohne jegliche Strahlenbelastung für den Patienten. Sie erlaubt dem Kardiologen einen Einblick in das Herz mit seinen Klappen und den zu- und abführenden Gefäßen. Auf einem Bildschirm können die Herzaktionen verfolgt werden. Die Tumoren selbst stellen sich als weiße, dichte Areale dar, die sich vom übrigen Herzgewebe gut abheben. 1 Anschrift Langflecht 5 b 65375 Oestrich-Winkel Tel & Fax 0700-88 23 76 37 eMail [email protected] Bankverbindung Spendenkonto 123 54 64 Sparkasse Ettlingen BLZ 660 512 20 Schirmherrin Anke Koch Ehefrau des hessischen Ministerpräsidenten Mitgliedschaften des TSD e.V. Kindernetzwerk e.V. Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) Tuberous Sclerosis International (TSI) Tuberous Sclerosis Europe (TSE) Mit der Echokardiographie kann auch das ungeborene Baby im Mutterleib problemlos geschallt werden. So war es möglich, bei Müttern TSC zu diagnostizieren, nachdem beim Feten Rhabdomyome festgestellt wurden. Da die Tuberöse Sklerose autosomal dominant vererbt wird, besteht für Kinder von Betroffenen ein Wiederholungsrisiko von 50 %. Die fetale Echokardiographie bietet sich also für TSC-Patienten als Screening-Methode an, da Rhabdomyome bereits in der 18. - 20. Woche der fetalen Entwicklung diagnostiziert werden können. Allerdings erlaubt dieses Verfahren keinen sicheren Ausschluss eines TSC. Auch der unregelmäßige Herzschlag eines ungeborenen Babys im CTG (Wehenschreiber) kann auf Rhabdomyome hinweisend sein. Mit Hilfe der Echokardiographie lassen sich die Tumoren dann nachweisen. Kernspintomographie (NMR) und Computertomographie (CT) sind weitere nutzbringende diagnostische Mittel, um Tumoren am Herzen darzustellen. Sie kommen meist erst dann zum Einsatz, wenn der TSC-Patient Symptome zeigt, die Ultraschalluntersuchung aber nicht mehr sensitiv genug ist, um die ursächlichen Tumoren nachzuweisen. 4. Was passiert mit den Rhabdomyomen? Rhabdomyome entwickeln sich im ungeborenen Baby und nehmen während der 2. Schwangerschaftshälfte stetig an Größe zu. Sie erreichen ihr maximales Ausmaß etwa zum Zeitpunkt des Geburtstermins. Dann beginnen sie sich deutlich zurückzubilden, insbesondere in den ersten 4 Jahren. Die Rückbildungsrate liegt in diesem Zeitraum über 50%. Viele Tumoren verschwinden sogar vollständig. In der Ultraschalluntersuchung stellen sich die verbleibenden Rhabdomyome als kleiner und weniger dicht dar. Man kann also sagen, dass die Rhabdomyome im Kindesalter mehr Bedeutung haben als im Erwachsenenalter. Die häufigsten Komplikationen, die durch Rhabdomyome verursacht werden, ereignen sich in der Spätschwangerschaft oder in den ersten 12 Lebensmonaten. Bei Kindern mit ACTH-Behandlung (Corticotropin) ist Vorsicht geboten. Hier kann es zu einer Größenzunahme der Tumoren kommen. Engmaschige Kontrollen (EKG, UKG) sind notwendig, um das Wachstum zu kontrollieren. 5. Welche Auswirkungen können die Rhabdomyome haben? 2 Die Symptome sind abhängig von der Lokalisation, der Anzahl und der Größe der Tumoren. Rhabdomyome können eine sekundäre Fehlbildung der Herzklappen verursachen oder den Zuund Abfluss der großen Gefäße behindern. Die meisten Tumoren beeinträchtigen das Herz allerdings nicht, so dass die meisten Kinder und Neugeborenen auch keine Symptome zeigen. Manche Patienten haben aber, trotz einer erheblichen Herzbeteiligung, keinen eindeutigen klinischen Befund. Selten weisen Patienten Tumoren auf, die groß genug sind, die Herzkammern zu verlegen oder den Blutfluss zu behindern. Daraus kann sich eine Stauung entwickeln, d.h. das Herz ist nicht mehr in der Lage, genug Blut in den Körper zu pumpen oder aber das Blut kann nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff gesättigt werden, was zu einer Blaufärbung der Haut (Zyanose) oder zu Atemproblemen führen kann. Die Symptome sind abhängig davon, welche Herzklappe oder welches Blutgefäß beteiligt ist. Manchmal liegen Rhabdomyome in der Nähe des Erregungsleitungssystems im Herzen. Dieses System ist impulsgebend für Frequenz und Rhythmus des Herzens. Es ist beschrieben, dass es Mikroformen von Rhabdomyomen gibt, die so klein sind, dass man sie im Computertomogramm nicht sehen kann. Sind diese Formen im Erregungsleitungssystem lokalisiert, können sie ebenfalls Herzrhythmusstörungen auslösen. In über 20% der Fälle kommt es dann zu einem unregelmäßigen Herzschlag (Arrhythmie), zu einer supraventrikulären Tachykardie (SVT, erhöhte Herzfrequenz) oder einem 1-3 gradigen AV-Block (erniedrigte Herzfrequenz, Bradykardie). In der medizinischen Literatur gibt es nur wenige Berichte über den plötzlichen Tod von Kindern oder jungen Erwachsenen mit einer lebensbedrohlichen ventrikulären Tachykardie (VT, Kammerflimmern), bei der das Herz nicht mehr fähig ist, das Blut weiter zu transportieren und den Kreislauf aufrecht zu erhalten. Bei Patienten mit Brustschmerzen, Palpitationen (spürbares Herzklopfen oder- hüpfen) und Synkopen (kurzzeitiger Bewusstseinsverlust) ist deshalb Vorsicht geboten. Sie sind mittels Monitoring (24-Stunden-EKG) zu überwachen. Gefährliche ventrikuläre Tachykardien können so erkannt und behandelt werden. Ist es erwiesen, dass ein Rhabdomyom diese gefährliche Rhythmusstörung auslöst, muss eine chirurgische Entfernung des Tumors erwogen werden. Die Rhabdomyositis ist eine sehr seltene Form der Kardiomyopathie (Herzmuskelfunktionsstörung). Tumorknoten sind zwar makroskopisch nicht sichtbar, durchsetzen aber mikroskopisch diffus die Herzmuskelfasern. Auch hier können die oben beschriebenen gefährlichen ventrikulären Tachykardien, aber auch immer wiederkehrende Vorhoftachykardien, auftreten. 6. Können Muskelfasertumoren, ähnlich wie die Rhabdomyome, auch an anderen Organen auftreten? Ja, beispielsweise findet man fibromuskuläre Dysplasien (Veränderungen von Muskelfaser- zellen) auch in den Wänden von Gefäßen. Dort kann es dann zu Aussackungen kommen. Man nennt solch eine Gefäßwandveränderung auch Aneurysma. Aneurysmen kommen in 1-3 % der Fälle an den Hirnbasisarterien vor. An der Hauptschlagader (Aorta) sind in der Literatur bisher 10 Fälle bekannt. Bei der Ultraschalluntersuchung des Herzens sollte die Aorta deshalb immer mitgeschallt werden. Ab einem Querdurchmesser der Aorta von >5 cm besteht die Gefahr, dass die Gefäßwand reißt (Ruptur). Eine Ruptur ist lebensgefährlich und muss sofort operiert werden. ganen zu. Im Gegensatz zu den nicht kardialen Tumoren, die eher progressiv verlaufen, werden Rhabdomyome üblicherweise kleiner. Die Herzaffektionen können die ersten Symptome einer TSC sein bevor Nieren-, Hirn-, oder Hautaffektionen in Erscheinung treten. 7. Wie sieht das weitere Vorgehen bzw. die Behandlung aus? Bezüglich der Rhabdomyome wird bei allen Patienten mit TSC eine Untersuchung des Herzens empfohlen: Dabei gilt die Echokardiographie als Basisuntersuchung. Sie ist indiziert unabhängig vom Alter des Patienten. Symptome ohne Nachweis von Tumoren im Ultraschall machen ein NMR notwendig. Das kann vor allem bei älteren Patienten der Fall sein. Bei denjenigen Patienten, bei denen Tumoren festgestellt wurden, werden die Frequenz und die Notwendigkeit von Kontrolluntersuchungen vom Kardiologen festgelegt. MRI-Untersuchung des Herzens, die Rhabdomyome sind mit Pfeilen markiert Quelle: Franz 2004, J Child Neurol. 19:690 Zur weiteren Basisuntersuchung gehört ein EKG (Elektrokardiogramm). Das 24-Stunden-EKG ist sinnvoll, um auch kurz dauernde Arrhythmien nachzuweisen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn beim Patienten Symptome nachweisbar sind, das EKG („kurzer Streifen“) aber einen normalen Stromkurvenverlauf zeigt. Bei Patienten mit Tumoren ohne wesentliche Herzbeeinträchtigung genügen regelmäßige EKG-Kontrollen, auch im Hinblick dessen, dass die Rhabdomyome im Verlauf eher kleiner werden. Werden Rhythmusstörungen nachgewiesen, entscheidet der Kardiologe, ob eine medikamentöse Therapie notwendig ist. In den wenigen Fällen, in denen hämodynamische Störungen auftreten (Stauung, Zyanose etc.) oder eine lebensbedrohende, therapieresistente Arrhythmie, ist eine sofortige Entfernung des Tumors indiziert. Sogar eine Teilentfernung des Tumors kann problemlösend sein, wenn die komplette Entfernung das Herzgewebe entscheidend zerstören würde. Ultraschall des Herzens, auch hier sind die Rhabdomyome mit Pfeilen markiert Quelle: Roach et el. 2004, J Child Neurol 19:643 8. Stehen Rhabdomyome in direktem Zusammenhang zu anderen Manifestationen der TSC? Bei der TSC lassen Anzahl und Größe der Rhabdomyome keine Rückschlüsse auf den Schweregrad der Manifestationen der TSC in anderen Or- Bearbeiterin: Dr. med. Carmen Gallitzendorfer, Mitglied des Bundesvorstandes des Tuberöse Sklerose Deutschland e.V. 3 Literatur: Cardiac Involvement in Tuberous Sclerosis by Dr. Hilary Smith, Consultant Paediastrician in Community Child Health, Royal Manchester Children’s Hospital, Fact Sheet No 22 of the Tuberous Sclerosis Association Cardiac Manifestations in People with Tuberous Sclerosis Complex, written by Regina. L. Lanting, University of Texas, Houston, published by Tuberous Sclerosis Alliance Tuberöse Sklerose, eine Krankheit, die (auch) unter die Haut geht, Prof. Dr. med. Hans-Dieter Rott, Tuberöse Sklerose Deutschland e. V., 2. unveränderte Auflage 12/03 Genotype-Phenotype Correlation in Cardiac Rhabdomyomas of Patients with TSC1 and TSC2 Mutations by Sergiusz Joswiak et al, ein Referat anlässlich der internationalen TSC-Tagung in Cambridge Rechtlicher Hinweis: Mit den Infoblättern des Tuberöse Sklerose Deutschland e.V. werden Basisinformationen für Betroffene, deren Angehörige und weitere Kontaktpersonen bereitgestellt. Sie sollen Hilfestellung im Umgang mit der Erkrankung geben und zur weiteren Aufklärung hierüber beitragen. 4 Die Informationen berücksichtigen den jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft und werden regelmäßig aktualisiert. Ungeachtet dessen sind sie kein Ersatz diagnostischer und / oder therapeutischer Maßnahmen durch den Facharzt und sollten keinesfalls Anlass für eine eigenmächtige Veränderung oder den Abbruch ärztlicher Ver- ordnungen sein. Dies kann zu lebensbedrohlichen Situationen führen! Die Informationsblätter wollen auch nicht für einzelne Personen und / oder Institutionen werben oder Ratschläge erteilen. Eine Weitergabe des Informationsblattes an den behandelnden Arzt ist sinnvoll und erwünscht. Soweit in einzelnen Informationsblättern auf Links verwiesen wird, welche nicht vom Verfasser stammen, distanziert sich dieser ausdrücklich und erklärt, dass ein rechtsgeschäftlicher Wille mit der Bereitstellung solcher Verweise nicht verbunden ist. Stand: 01.05.2006