So prachtvoll schief! - Vereinigte Bühnen Bozen

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30.03.2016 - Fritz Vollenweider
So prachtvoll schief!
Florence Foster Jenkins, „die schlechteste Sängerin“, hat an sich selbst geglaubt und
deshalb Erfolg geerntet. Im Berner Effingertheater wirkt das überzeugend.
Nicht irgendeine Bühnengestalt ist sie, nein. Florence Foster Jenkins wurde 1868 in Pennsylvania
(USA) als Tochter aus wohlhabendem Hause geboren. Zweimal scheiterte ihr Temperament an
Schicksalsklippen. Zuerst weigerte sich ihr Vater, ihre talentierte Stimme ausbilden zu lassen.
Jahre später, so vermutet man, steckte ihr Gatte sie mit Syphilis an. Als Folge der damals
üblichen Behandlung mit Quecksilber-Arsen-Präparaten dürfte sie nicht nur ihr Haar verloren,
sondern auch ihr Nervensystem und das Gehör dauerhaft beschädigt haben. Als geschiedene
41-Jährige setzte sie die Hinterlassenschaft ihres Vaters in die Lage, ihren Traum zu erfüllen und
als Sängerin über 30 Jahre lang mit buchstäblich sagenhaftem Erfolg aufzutreten. Als die 76Jährige die Carnegie-Hall mietete und die rund 3000 Platzkarten umgehend verkaufte – eine
lange Schlange Tausender von Fans erhielt keinen Einlass mehr – war der Höhepunkt ihrer
Karriere und ihrer Beliebtheit erreicht. Sie hatte sich so sehr verausgabt, dass sie erkrankte und
einen Monat später starb.
Mehr als eine Biografie
Die Uraufführung von Peter Quilters Stück "Glorious!" fand 2005 in London statt, die Deutsche
Erstaufführung (übersetzt von Horst Johanning) 2007 in Bonn. Der Autor zeichnet
übereinstimmend die Biografie der von sich selbst so begeisterten Sängerin in vier Stationen
nach: Zu Beginn erfährt man, wie der begleitende Pianist engagiert wird. Anfänglich mehr als nur
schockiert, arbeitet er aber dann gut dreissig Jahre lang mit ihr zusammen. Ein nächster Teil
spielt im Aufnahmestudio, ein dritter auf einem der zahlreichen Wohltätigkeitsveranstaltungen mit
höchsten Kreisen als Publikum. Der vierte Hauptteil schliesslich zeigt das legendäre Konzert in
der Carnegie-Hall. Vor diesem Höhepunkt eingebaut läuft eine dramatisch und komödiantisch
geschickt eingeflochtene Art von retardierender „seitlicher Arabeske“, jedoch mit eher wenig
direkter Bedeutung für den Inhalt oder den Ablauf der Handlung. (Dafür allerdings mit grossem
komödiantischem und überraschendem Effekt.) Ein Epilog am Schluss erzählt von Triumph,
Krankheit und Tod der einmaligen Frau.
Der Freundeskreis der Florence auf der Bühne entspricht dem der damaligen Realität. Im Stück
ist vermutlich einzig die Haushalthilfe hinzugefügt. Diese hat es in dieser Inszenierung allerdings
in sich. Unter anderem auch, weil Agnieszka Wellenger die atemlos spanisch schwadronierende
Mexikanerin mit der tänzerisch beschwingten Grazie einer Clownin spielt. Man freut sich an ihr
sogar, wenn sie die einfachen Kulissen des Spielraums verschiebt.
Dieser stammt von Luis Graninger und ist konzeptionell auf einen Flügel, immer wieder frisch
aufgestellte Blumen und verschiebbare Rahmen reduziert. Die Kostüme von Alexia Engl wirken
aufreizend und sowohl aufeinander als auch auf Handlung und Ausstattung der Inszenierung
abgestimmt.
Dennoch ist diese Komödie, in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Bühnen Bozen produziert
und von Christian Mair inszeniert, mehr als eine Biografie. Es ist ein Feuerwerk der Kalauer; die
Pointen jagen sich oft mit verblüffenden rhetorischen Effekten. Den absurdesten Situationen wird
der perlende Charme eines auch oft ins Ironische spiegelnden Witzes des Worts, der Gestik und
der Mimik abgewonnen. Dorothy, die aufgetakelte Freundin und Assistentin der Florence, erhält
von Patrizia Pfeifer eine belustigende Mischung von Femme fatale und ziellos sich ausbreitender
Schwärmerin. In die verbissen verkrampfte Überbringerin einer Petition gegen die Unmusikalität
bei den Veranstaltungen mit der schieftönenden Sängerin verwandelt sich nochmals Agnieszka
Wellenger so gut, dass man sie kaum wiedererkennt.
Von links: Patrizia Pfeifer (Dorothy), Agnieszka Wellenger (Mrs. Verindah-Gedge), Horst Krebs
(St.Clair Bayfield), Brigitte Jaufenthaler (Florence Foster Jenkins).
Horst Krebs wirkt als Manager und Liebhaber St. Clair Bayfield vielseitig, jovial und, wenn er auch
ein Flirtchen mit Dorothy kaum ablehnen könnte, als wahrhaft guter, aufrichtiger Freund. Dem
armen Cosme McMoon schmerzen die Ohren ob den halsbrecherischen, abenteuerlich falsch
tönenden Koloraturen und Melodieführungen der begeisterten Sängerin. Das Geheimnis seiner
jahrelangen Treue als deren Begleiter am Flügel ist kaum zu verstehen. Wie Florian Eisner
jedoch diesen widersprechenden Gefühlen und Situationen Glaubwürdigkeit verleiht, das wirkt
eindrücklich.
Florence Foster Jenkins (Brigitte Jaufenthaler) als Königin der Nacht in der Carnegie-Hall
Bleibt Florence Foster Jenkins. Schon zu ihren Lebzeiten hat man darüber den Kopf geschüttelt,
dass sie den Spott und das Gelächter ihres falschen Singens wegen kaum wahrnahm. Hier auf
der Bühne wird sie als Frau mit einer fast riesenhaften Kraft gezeichnet, mit welcher sie nicht nur
an sich selber glaubt, sondern sogar noch überzeugt ist, ihre zahllosen Bewunderer mit ihrem
Gesang glücklich zu machen. Brigitte Jaufenthaler macht es möglich, dass auch die Menschen
im Zuschauerraum letztlich daran glauben. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hat die
reale Miss Foster noch falscher gesungen als Brigitte Jaufenthaler in dieser Inszenierung, und
das ist bemerkenswert. Es braucht nämlich grosse Konzentration und nicht unbeträchtliches
Können, um neben einer fehlerfreien Klavierbegleitung dermassen „nur ein wenig“ falsch zu
singen. Die relative Nähe am korrekten Melodieverlauf, die wenigen tapsigen falschen Töne –
beides wirkt so als Darstellung des Schiefen, Unglaublichen noch stärker. Es wird dem Urbild
auch gerechter. So kann das Menschliche durchscheinen und ertrinkt nicht im Grotesken. Das ist
die Stärke an Brigitte Jaufenthalers Interpretation. Sie gestaltet aus dieser tragischen Gestalt
keine schwankhafte Karikatur, sondern eine Person voller positiver Energie, voll
unerschütterlichem Glauben an sich selbst und an ihren Traum. Damit wird aus dem Feuerwerk
der Kalauer etwas, das im Innersten auch noch andere Saiten zu berühren vermag.
Am
Anfang: Die Sängerin und der Pianist Cosme McMoon (Florian Eisner)
Bilder: © Marco Riebler
Weitere Aufführungen bis 22. April
DAS Theater an der Efingerstrasse - Glorious
Tags:
Peter Quilt
Florence Foster Jenkins
Glorious
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