Beitrag als PDF öffnen

Werbung
NORBERT LESER
Aspekte der "Wende"
Die Unzllfriedenheit mit der großm Koalition hat einen Wechsel notwendig gemacht. Das
chicksal der ,eegelllvärtigetl Koalition wird wesentlirh von der Entwicklullg der FPÖ abhän­
gen, doch stehetl alle Parteietl unter einem nelletl,fmchtbaretl Leistlltlgsdnlck. Die Zt4kunjt
wird möglichenveise geprägt von eil/em Wechselspiel der Parteietl - zum
litzen der Demo­
kratie. Dabei wird es darauf ankommen, dass die Parteien sowohl ihrer innerstaatlichen Inte­
gratiotlsfimktiotl als allch der ellropäi ehen Wirklichkeit gerecht werdell.
49'
ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR
POliTIK 2000
Jeder Punkt in einer histor ischen Abfolge, und erst recht ein Wendepunkt, ist im
Kausalverlauf, aber auch in den freien menschlichen Handlungen durch alle vor­
hergehenden Punkte und Akte bestimmt, ist aber seinerseits Ausgangspunkt weite­
rer Entwicklungen. Doch die unmittelbar vorhergehenden Punkte und Abläufe
haben vielfach nur den Charakter eines auslösenden Moments für das Her vortreten
und Manifestwerden von Tendenzen, die schon weiter zurückliegen und vom
Standpunkt der bereits eingetretenen Wende als deren Vorzeichen und Vorläufer
erscheinen.
So verhält es sich auch bei der im Folgenden zu erörternden Wende von der
großen Koalition zur gegenwärtigen schwarz-blauen Regierung. Die dem Wechsel
unmittelbar vorhergehenden Vorgänge und Einzelheiten sind gut erforscht, etwa
von Gerfried Sperl in seinem Büchlein "Der Machtwechsel". Die authentische
Wahrheit über die Vorgänge kennen wohl nur die Hauptakteure der Verhandlun­
gen, aber auch diese Wahrheit ist eine subjektiv gefärbte und muss schon deshalb
eine vorletzte bleiben, weil das, was die Beteiligten selbst als Wahrheit ausgeben
oder vor sich selbst dafür halten, zum Teil die Rationalisierungen bestimmter Inter­
essenlagen und Interpretationsinteressen, also ,.Derivate" im Sinne Paretos sind,
denen bestimmte komplexe "Residuen" zu Grunde liegen.
Aus diesen Gründen ist es ergiebiger und sinnvoller, sich auf die weiter
zurückliegenden Tendenzen zu konzentrieren und die tatsächlichen Abläufe von
diesen her zu verstehen. Wenn man eine Haupttendenz als solche charakter isieren
und dem hi�torischen Geschehen zu Grunde legen kann, so ist es die der Unzu­
fr iedenheit mit der großen Koalition, die mittlerweile ohnehin nur mehr eine von
zwei Mittelparteien geworden war. In dem Maße, in dem die Koalition der alten
Croßparteien stagnierte und Machtauswüchse zeitigte, wie die rücksichtslose Ein­
setzung der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit zur laufenden Verabschiedung
von Verfassungsbestimmungen, nahm das Unbehagen weiter Kreise der Bevölke­
rung, aber auch das der qualifizierten Meinungsbildner zu, ohne dass die in der
Koalition alten Stils verbundenen Parteien bereit und im Stande gewesen wären,
auf diese wachsend schlechte Stimmung durch interne Strukturreformen adäquat
zu regieren. Aus einem Mechanismus der einvernehmlichen Lösung anstehender
Probleme, der die Koalition lange Zeit, jedenfalls aber im ersten Nachkriegsjahr­
zehnt, war, wurde ein Blockierungsmechanismus, der nicht nur unfähig war, echte
Lösungen herbeizuführen, sondern auch eine Stimmung der Lähmung verbreitete,
die ihn schließlich zu Fall brachte.
492
NOR8ERT LESER
Es lag eine ähnliche
ituation vor wIe 1966, al
I
"
ASPEKTE DER .WENDE
eine verbreitete Mi s tim­
mung gegen die große Koalition herrschte, ohne dass die an ihr beteiligten Par­
teien vor der Wahl im März ihre Bereit chaft bekundeten, mit die er Form de
Regieren
chlu
zu machen. Er t die Entscheidung der Bevölkerung, die einer
Partei, nämlich der Ö V P, das erste Mal seit 1945 wieder die ab olute Mehrheit
brachte, versetzte die Politiker in die Lage, eine neue Weichenstellung vorzuneh­
men. Im Gegensatz zu 199912000 ging diese Entscheidung, trotzdem ie sich for­
mell noch einige Zeit hinzog, ziemlich glatt von tatten: E
stellte ich bald heraus,
das die beiden Parteien gar keine andere Wahl hatten, als sich zu trennen und al
Regierung einer eit und Oppo ition andererseits zu agieren, wollten ie nicht die
elbstachtung und den Re pekt in den Augen ihrer W ähler aufi
piel setzen. Am
chneU ten freilich ging die Wende 1970 vor sich, als bereits ein Anruf Kreisky in
der Wahlnacht beim FPÖ -Parteiobmann Friedrich Peter eine Minderheitsregie­
rung
ozialdemokrati cher Provenienz sicherte und in weiterer Folge zu insgesamt
13 Jahren sozialistischer Alleinregierung führte.
Nach den Wahlen de
teuer: Die
VP
3. Oktober 1999 war fur alle Beteiligten guter Rat
chien an ihr Ver prechen, in die Opposition zu gehen, wenn sie
nur drittstärkste Partei würde, gebunden, die
sich in die ungewohnte Rolle der
PÖ wehrte ich umgekehrt dagegen,
ppo ition zu begeben, und die FPÖ tand vor
der Ent cheidung, entweder die Rolle der Fundamentaloppo ition weiterzu pielen
oder
ich mit der
V P in eine Regierung zu begeben. Da
und Her doch zur Koalition
V P-FP
es nach langem Hin
gekommen ist, ist eine taktische Meister­
chü seI, die aber nicht mögli h gewesen wäre, wenn nicht in
lei tung Wolfgang
weiten Krei en die Ü berzeugung geherr cht hätte, da
die große Koalition keine
Kapazität zur Lösung an tehender Probleme mehr hat, obwohl die Parteien die er
Koalition zu ammen nach wIe vor eine klare Mehrheit hinter i h hätten. Aber e
fehlte, vor allem wieder bei den Meinungsbildnern, die Überzeugung, da s der
alten Koalition noch eimge zuzutrauen und der Bevölkerung zuzumuten sei. Da
politische Ergebni
war nicht bloß der Ausflus
sondern auch der Versuch, einer verbreiteten
Rechnung zu tragen. Und da da
machtpoliti cher Überlegungen,
timmung, die etwas Neues erwartete,
ö terreichische Wahlrecht die Parteien nicht
zwingt, ich al mögliche Regierungs- oder Oppo ieion partei zu deklarieren, on­
dern den Entscheidungsträgern einen
e
auch legitim,
pielraum der Ent cheidung offen läs t, war
ich politi ch in ewe Richtung zu bewegen, die man vor den
Wahlen zwar nicht angekündigt, aber auch nicht ausge chlo en hatte.
493
ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK 2000
Da
die schwarz-blaue Koalition trotz aller Warnungen und Unkenrufe mit
einer gewis en Notwendigkeit zu
tande kam, ist auch daraus zu ersehen, da s sie
starken widerstreitenden Kräften und Machtfaktoren abgerungen werden konnte,
wozu die Strategie Schü seI allein nicht au gereicht hätte. Denn es war eine mäch­
tige und siegesgewohnte informelle Koalition, die sich gegen den Versuch der
Durchsetzung einer neuen Koalition stemmte und dennoch unterlag.
W ieder einmal gibt die
Bunde präsident T homa
ituation zu einer Alliteration Anlass: Sowohl der
Klestil als auch der um
einen Verbleib als Kanzler
kämpfende V iktor Klima und schließlich auch die bei politischen Aktionen sonst
mei t erfolgreiche "Kronen-Zeitung" (man denke an die Rolle im Kampf um die
Hainburger Au
1984) stemmten sich vehement gegen ein Abgehen von der
gewohnten Form des Regierens. Alle mitsammen konnten aber nicht verhindern,
da s e
am Ende nicht eine Neuauflage der rot-schwarzen, sondern eine neue
Koalition gab. Damit soll diese Koalition nicht in den Rang einer historischen
Notwendigkeit und Unau weichlichkeit erhoben werden, wohl aber scheint mir
festzustehen, dass sie kein bloß irrationaler W illkürakt war, wie e die Kritiker, die
dieser Regierung die Legitimität
treitig machen, behaupten, sondern dass ihr in
Form und Zu ammensetzung ein hohes Maß an Plausibilität und Realitätsverbun­
denheit eigen ist.
Diese Koalition ist aber nicht nur im Hinblick auf den
wider piegelt, eine gute, jedenfali
tatu
quo, den sie
aber tragbare Lö ung, ondern auch unter den
Ampizien de Leistungsdrucks, den sie rur alle Parteien dieses Lande ausübt. Der
..
V P ist e nach Jahrzehnten gelungen, au der
tellung des Zweiten, der em
immer weniger attraktive
Damit hat
mati eh,
und verheißungsvolle
ie die Chance, da
der Kanzlerbonu
rur
Dasein fri tet, au zubrechen.
ie wirkt, freilich nicht auto­
ondern nur dann, wenn die Ge amtleistung der Regierung al
angesehen wird. Die
po itiv
P Ö, die bis zuletzt nicht wahrhaben und ein ehen wollte,
dass die Rolle der Opposition auf sie zukommt, mus nun unter Beweis tellen, da s
sie auch wieder in einer Regierung eine uner etzliche Funktion einnimmt und
nicht wie ihre spanische Schwesterpartei nach dreizehn Jahren Regierung bei
Wahlen auch ein zweites Mal mit dem Ver uch cheitert, wieder an die Regierung
zu gelangen.
Die Frage i t, ob e dieser Regierung gelingen wird, sich als überzeugende
Partner chaft zu prä entieren, und ob sie bei den näch ten Wahlen, wenn diese pro­
grammgemäß er t
494
2003 stattfinden, erneut ein Mandat zur Weiterfuhrung der poli-
NORBERT LESER
I
·
ASPEKTE DER .WENDE
tischen Ge chäfte erhält. Die e Frage hängt in er ter Linie von der Richtung ab, die
die e Regierung einschlägt bzw. beibehält, und i t davon abhängig, zu welcher Par­
tei ich die F PÖ entwickelt.
ollte sie zu einer mittel tändi chen W irt chaftspartei
mutieren, wie die Großdeut chen oder der Landbund in der Er ten Republik,
dürfte ie zwar nicht mit
0
großem Zu pruch wie die oppo itionelle Partei rech­
nen, die Haider groß gemacht hat, könnte sich aber auf ent prechend niedrigerem
perzentuellem Niveau als fixer Bestandteil de
und al
ö terreichi chen Parteiensy tems
nach wie vor für eine Regierungsfunktion in Frage kommende politische
Größe etablieren. In einem solchen Falle könnte man von einem Bürgerblock
prechen, der dem in der Er ten Republik vorherrschenden durchau
vergleichbar
i t. Damit würde sich aber auch heraus teilen, da s sich langfri tig immer wieder
ich die SPÖ mit ihrer sy te­
die wirt chaftlichen Intere sen durchsetzen und das
mati chen Aufwertung der FP
ins eigene Flei ch geschnitten hat.
Haider'sche Version der FPÖ al der Partei de
könnte
es, ent prechende Wahlergebni se
Rückzug der FP
au
ollte Jber die
"kleinen Manne" tragend bleiben,
vorau ge etzt, zu
einem
vorzeitigen
der Regierung und zu vorzeitigen Neuwahlen kommen,
deren Ausgang und Folgewirkung für die österreichische Regierung bzw. deren
künftige Zu ammen etzung völlig offen wäre und neue Kon tellationen eröffnen
könnte, wie e
Halder
die Wahl v m
ktober 1999 getan hat. Da die Per" nli hkeit
3.
in die em Zusammenhang eine besondere Rolle
pielt, die e Reakti n
aber unberechenbar i t, lässt SIch auch schwer progno tizieren, welche Zukunft die
FP
tatsächlich noch vor si h hat und wonn sich die. e von der VergangenheIt de
Aufstiegs, die. ie hinter. ich hat, unter cheldet. W ird Haider, wenn e dle
erfordert. da g
chrumpfte Kind seine eigenen Weg
Fruchte ernten la sen, die er selbst ge ät hat?
der würde er e im Falle des Falles
auf einen Bruch der Koalition ankommen las en, nut der Gefahr, die FP
für immer au
neuen
der Regierung au zu chließen, aber mit der
Hinwendung zur
ppo inon, zur alten
damit
hance, sIe in ewer
tärke zurückzufUhren, Ja zur
ell1: DIe FP
0
wird von allen
ystem eingebundenen ParteIen der härte ten Zer­
111
da pohti
he
cheint jedenfall
icher zu
führenden Macht zu machen?
reIß- und Bewährun
VIel
Ituation
gehen la en bzw. andere die
probe au gesetzt ein.
DIe beiden ehemal
großen Parteien hätten e
in der Hand gehabt, durch
eine rechtzeItige Wahlrechtsreform in RIchtung MehrheIt wahlrecht dafUr zu
or­
gen, da . ihnen die Macht erhalten bl ibt, allerdings mcht die gleichzeiti 'e in Form
des Beieinandersein
nTI
Rahmen einer Koalition,
ondern die der Ablö ung im
49�
ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK
2000
Nacheinander. Da sie sich dazu nicht entschließen konnten, sondern die Form der
gleichzeitigen Machtausübung unter Teilung des Staates in zwei Reichshälften vor­
zogen, mus ten ie in Kauf nehmen, dass sich aJs Reaktion auf diese Erstarrung der
Demokratie neue Parteien und im Besonderen die FPÖ aJs FundamentaJoppo ition
herausbildete und das System des Proporzes, der das ganze Land überzog, in Frage
stellte. Auch die Grünen sind als Reaktion auf die mangelnde Sensibilität der alten
großen Koalition fur Umweltfragen und Probleme der Demokratiereform auf den
Plan getreten und ind, ohne die Funktion einer dritten Volkspartei anstreben und
wahrnehmen zu können wie die FPÖ, doch zu einer festen Größe im neuen politi­
schen System geworden, die auch Aussicht hat, eine Rolle aJs Regierungspartei zu
spielen. Lediglich die Liberalen haben es offenbar nicht geschafft, sich zu erhaJten,
sie zerbrechen an der Unmöglichkeit, gleichzeitig Rechtsüberholerin der ÖV P in
W irtschaftsfragen und Linksüberholerin der linken Parteien in Kulturfragen zu sein.
Doch es lohnt ich, nach dem veränderten Stellenwert der be tehenden Par­
teien im politischen
y rem auch einen Blick auf die inhaltliche Positionierung
die er Parteien zu werfen und die Tendenzen herau zuarbeiten. Die Frage ist, mit
welchen Vorgaben und programmatischen Überlegungen die Parteien an die
Lösung der von ihnen zu bewältigenden Probleme herangehen und wie
ich die
Ansätze der einzelnen Parteien zueinander verhalten. Dabei sind P rozesse des Ver­
blassens der alten Leitbilder und der Konvergenz und inhaltlichen Über chneidung
der Parteien zu beobachten, aber auch Tendenzen des Rollentau ches zwischen den
Parteien Gleichzeitig mit die�em Prozess des Un charfwerdens der traditionellen
Leitbilder und dem Verschwimmen der Grenzen zwi ehen den alten "Lagern" ist
die zunehmende Bedeutung der Persönlichkeiten in der Politik festzustellen. Da
die Inhalte nicht mehr so eindeutig wie früher sind, kommt es im Proze . der
demokrati ehen Konkurrenz immer mehr dazu. dass die Menschen sich an Per ön­
lichkeiten mit glaubwürdiger Praxis und anziehender
tatur orientieren und die
jeweiligen Parteipräferenzen bei Wahlen per önlichkeitsabhängiger ind al früher.
Die Parteien sind nicht mehr nur gezwungen, Kompromi se einzugehen,
sondern werden elbst immer mehr zu politischen Größen, dIe auch in sich selbst
einen Ausgleich zwi ehen widerstreitenden Tendenzen herstellen müssen und
durch die innerparteiliche Komprol11issbildung daran gewöhnt werden, auch Kom­
promisse mit konkurrierenden Parteien einzugehen.
So i t die
P Ö gezwungen, so viel wie nötig von ihrer angestammten
ubs­
tanz zu behaJten und so viel wie möglich von neuen Inhalten und Anregungen
NORBERT LESER
I
ASPEKTE DER .WENDE"
aufzunehmen. Bruno Kreisky war wohl der letzte ozialdemokratische Politiker, der
den
pagat zwischen traditionellen Inhalten bzw. Anhängern und den Wech el­
wählern ge chafft hat. Inzwischen i t offenkundig geworden, dass sich ein Teil der
sozialistischen Programmatik durch Erfolg, zum Teil durch eingetretenen Mi erfolg
überholt hat. Es i t und bleibt da
hi torische Verdienst der
ozialdemokratie, der
Motor bei der Etablierung des modernen Wohlfahrt staates gewe en zu
ein und
die anderen ParteIen in diesen Proze s eingebunden zu haben. In dem Maße aber,
in dem die er Wohlfahrtsstaat nicht mehr im bi herigen Umfang zu finanzieren i t
und die
PÖ ich gegen diesen Um- und Abbau wehrt, wird sie zu einer konserva­
tiven Kraft, die nicht mehr dynami ch agiert, sondern abwehrend reagiert. Andere
Punkte der historischen Programmatik der
folg bzw. das
PÖ ind durch den erlebten Mis er­
cheitern an der Realität nicht einmal mehr defen iv
zu
halten, ie
wurden und werden mehr oder weniger stillschweigend fallen g('la�s('n und
hi torischen Akten gelegt.
den
zu
0 ist die Forderung nach der Ver taatlichung bzw. Ver­
gesell chaftung der Produktionsmittel nicht mehr länger aufrechtzuerhalten, da sich
herausgestellt hat, das die Ver taatLichung mehr Probleme chafft al löst und daher
al genereller Regulierung mechani mu nicht mehr in Frage kommt. Der W idertand gegen die Privati ierung ist nur mehr ein temporärer und partiell r, nicht
mehr prinzipieller Natur. Ganz ähnlich, ja noch
härfer treten die Gegensätze zur
ursprünglichen Ziel etzung im Falle des hi toris hen Po tulate der
der .. Aufhebung des Unter chied
zwi
hen Arm und Reich" herv r, den
tian Broda in der Debatte zum Parteipr gramm der
1111ert hat. [
I
leichheit und
hn ­
PÖ 1958 110 h hineinrekla-
se Forderung wurde zwar nicht in die. er
chärfe aufgenommen und
weitergeführt, immerhin aber wies man der kla senlo en Gesell haft noch einen
Ehrenplatz zu.
ach dreißIg Jahren soziah tischer Herrschaft i t dIe Ges 1\ chaft
weiter denn zuvor von der ErreIchung diese hehren Ziele entfernt. Alle
ken belehren uns, da s ich trotz der Verbreiterung des Wohlstandes die
tati ti­
chere
ZWl-
chen Arm und Reich vergrößert und nicht verringert hat. Ange iches die er Tat a­
che erhebt ich für nachdenkliche Beobachter de ge eil chafthchen Proze e
die
Frage, ob das ur prünghche Resultat von vornherein illu ori ch war oder nur,
obwohl prinzipiell erreichbar, aus eigenem Versagen verfehlt wurde. In beiden Fäl­
len i t dIe sozialisti che Programmatik und ZIelrichtung negativ betroffen. War da
deklarierte Ziel Immer chon illu on ch, 0 fällt der Vorwurf auf die oziali ti che
Programmatik zurück, war e aber reali tisch, 0 liegt ein Versagen der hl tori. chen
Praxi
vor. Die e Problematik wird noch dadurch verschärft, da
ich im
choße
497
ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK 2000
und unter der Ägide de Sozialismus eine neue Klas e politisch und wirt chaftlich
Begünstigter etabliert hat, deren Einfluss und Interessen bereits so stark geworden
ind, dass die Sozialdemokratie chon aus diesem Grunde nicht mehr in der Lage
i t, ihrer historischen Ziel etzung treu zu bleiben. Die jüngsten Beispiele Franz Vra­
nitzkys und Viktor Klimas führen deutlich vor Augen, dass das Engagement in der
Politik nicht mehr Dien t an einer guten und hohen
ache, sondern eine Durch­
gangsphase zu noch lukrativeren Geschäften und noch bequemeren Ruhekissen ist.
Der "Gott Nimm" ,den die Sozialdemokraten einerzeit den Christlichsozialen al
den bei ihnen herrschenden vorgehalten haben,ist längst zum Gott auch der Kla se
der
ozialdemokratie geworden,ja tritt dort viel unverblümter zu Tage als bei Par­
teien, bei denen Unternehmerpersönlichkeiten au
eigener Kraft und Lei tung
schöpfen und daher der Faszination und Versuchung des Geldes nicht im gleichen
Maße unterliegen wie die, die ihren Auf! tieg in erster Linie der politischen Kar­
riere verdanken.
In diesem Zusammenhang ist auch ein regelrechter RoJlentausch festzu tei­
len, der das kJa ische Schema von Links und Rechts gehörig durcheinander
bringt.
0
hat die FPÖ, die man gerne als rechtsradikal abtut und denunziert, unter
dem Druck Jörg Haiders wenigstens versucht, wa die
ozialdemokratie läng t auf­
gegeben hat: die Gier der eigenen Anhänger zu zügeln und Einkommensobergren­
zen aus dem T itel der Politik durchzlI etzen. Der Erfolg der FPÖ beruhte nicht
zuletzt darauf, das
kr3ti
diese Partei von der dafür eigentlich zuständigen
ozialdemo­
mit T hemen venorgt wurde, deren sich diese Partei nicht mehr anzunehmen
getraut. Es kann sein, da s die
e
Kompetenzen wieder an die
ozialdemokratie
zurückfallen, wenn sie ihre Oppo ition rolle zu einer Reformierung ihrer Pro­
grammatik lind zu einer Be innung auf ihre traditionellen Aufgaben zurückführt.
Es kann aber auch sein, dass ie nicht mehr die Kraft zu einer oJchen glaubwürdi­
gen Erneuerung findet und ihre be ten Zeiten bereits hinter sich und nicht er t vor
ich hat.
Auch für die ÖVP ergibt ich eine
pannungslage zwi chen verschiedenen
Interessen und Denkansätzen, die as imiliert und integriert werden müssen. Die
tärke der ÖVP lag nach 1945 nicht zuletzt darin, da s ie ich nicht al bürgerliche
Klas enpartei deklarierte wie die alten
chen
truktur
hristlichsozialen, ondern mit ihrer bündi­
ignali ierte, dass ie e sich zutraute und zu ihrer Aufgabe machte,
alle Gruppen der Bevölkerung zu beheimaten und intern zu versöhnen. Überhaupt
zehrte die ÖV P mehr als zwei Jahrzehnte davon,das sie weniger al die
PÖ von
NORBERT LESER
I
·
ASPEKTE DER .WENDE
den hi torischen Traditionen belastet war, die formell an die 1934 in Ehren und im
Kampf untergegangene
oZlaldemokratie anknüpfte und ich als deren Fortsetzerin
deklarierte. Die Ö V P kon tituierte ich, nicht nur, aber auch, um sich von einer
autoritären Vergangenheit zu distanzieren, als Partei neuen Typs. 197
ging die er
Vorteil und Vor prung der Ö V P flir mehr als zwei Jahrzehnte, die ozialdemokra­
tisch dominiert waren, verloren. Mit der Übernahme der Regierungsverantwor­
tung hat die
V P wieder die
harlCe zurückerobert, einen neuen Vor prung zu
gewinnen, nicht nur, wa die W ählerzahl anbelangt, ondern auch im
T hemenflihrer
haft und einer be seren Integration partei, al
e die
!One emcr
P
zu
vermag. Aber auch der Weg der ÖV P i t elbst im besten Falle durch ein
ein
pan­
nungsfeld zwischen "sozial-ökologi cher Marktwirts haft" (losef Riegler), katholicher
oziallehre und reinem
eoliberali mus charakteri iert. Alle die e Elemente
und Traditionen sind wichtig lind notwendig, aber die richtige 00 ierung die el
Komponenten i t eine Maßfrage, die nur von Fall zu Fall ent
hieden werden kann
und nicht durch ein generelles Rezept und Konzept zu lösen ist. Die
unter Umständen auch de halb eine bes ere
hance als die
V P hat
PÖ , den Kampf um
die Zukunft zu gewinnen, "eil ie ich nie 0 viel an Veränderung vorgen Olmen
..
P , bei der e leichter zur Enttäu chung der eigenen Anhänger
hat wie die
kommt, weil die Di. krepanz zwisch n hjstori chell1 Ideal und dem tat. ächli h
Erreichten viel augenfalliger i. t. Dennoch i t es fragwürdig, wenn die ÖV P da
hristentull1 und die
finden
ich nur mehr
dass. owohl dlt�
hemmend
PÖ den
oziali. mus flir
Ich reklamiert, denn beide Ideen
purenwei e in der p Isti chen PraxIs.
hn. tdemokraten als auch die
Faktoren 111 Ihrer
ist jedenfalls gut,
zlaldemokraten fOrderhche und
chatzki te haben und mcht von vornherein fest. teilt,
wer die Menschen mit einen Antworten bes er bediene. Das zwingt alle Beteilig­
ten, Ihr Be tes zu geben und . ich mcht auf welkenden hi tori ehen Lorbeeren aus­
zuruhen .
In die em Wettkampf .. ird es wohl keine e1l1deutigen und dauernden
ieger,
sondern ein Wechselspiel geben, da der Demokratie lIlsgesamt gut tut. Ob e auch
..
VP
einen lachenden Drttten geben kann, der die beiden tradltlonellen Parteien
und
P Ö überholt, wird die Zukunft lehren. Die FP
wäre prinZipiell in der Lage,
1Il die Rolle einer dritten Volkspartei hllleinzuwach en, weil sie e1l1en Quer chmtt
der Bevölkerung dar teilt und nicht mit
0
Vielen retardierenden Faktoren, in Form
von Intere envertretungen und anderen Lobby , ver ehen ist wie die Ö V P und die
PÖ . Auch die Partei der Grünen kann eine
\
ichtige Rolle plelen und
ogar 111
499
ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK
2000
Regierungsverantwortung hineinwachsen. Trotzdem ist die Partei der Grünen eher
eine Addition von Einzelgruppen und aktiven Minderheiten als eine alle Gruppen
der Bevölkerung integrierende Volkspartei, was zugleich ein Nachteil und ein Vor­
teil ist, die je nach der historischen Situation als solche zum Tragen kommen kön­
nen.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist natürlich die Integration aller
Parteien und die Österreichs insgesamt in die größere europäische Gemeinschaft.
Auch hier geht es um einen Balanceakt, der von den Parteien einzeln und gemein­
sam gewagt werden muss. Das innerstaatliche Problem des Föderalismus, der mit
dem Bundesstaat und der Zentralgewalt um die Verteilung der Zuständigkeiten und
um die konkrete Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben ringt, wiederholt sich in
Konfrontation der Einzelstaaten mit der europäischen Gemeinschaft . Es geht nicht
nur um den Konflikt zwischen nationalen Interessen und europäischen Belangen,
die allen Staaten gemeinsam aufgegeben sind, sondern auch darum, dem Brusseler
Zentralismus und der von ihm entwickelten Bürokratie eigenständige Kräfte
gegenüberzustellen, die aus den Einzelstaaten stammen und Impulse nach außen
und oben abgeben, ohne dass es zu einem Dauerkonflikt kommt, ohne dass aber
anderseits auch die legitimen Interessen der nationalen und regionalen Vielfalt
unter die Räder kommen.
Diese "Wende" zu Europa hin, die schon durch die Volksabstimmung im
Juni 1994 und den erfolgten Beitritt besiegelt wurde, aber so wie die Bewährung
dcr Dcmokratie eine dauernde A l1fgabe. ein � tändiger Prozess und nicht eine abge­
schlossene Sache ist, ist die größere und eigentliche Wende, in die sich die politi­
sche Wende Österreichs einzufUgen hat . Nach dem Wegfall der europäischen Sank­
tionen gegen Ö sterreich steht außer Streit, dass alle
Parteien des politischen
Systems Österreichs berufen und qualifiziert sind, an diesem Prozess mitzuwirken.
Erst wenn die Parteien sowohl ihrer innerstaatlichen Integrationsfunktion als auch
der in die europäische W irklichkeit gerecht werden, bewegen sie sich auf der Höhe
der zeitgemäßen Anforderungen und stellen unter Beweis, dass sie ihrem T itel als
"pars", Teil des Ganzen zu sein, entsprechen und sich weder innerstaatlich noch
auch darüber hinaus als das Ganze fühlen und damit in Gefahr sind, in den totalen
Egoismus oder in den noch gefährlicheren Totalitarismus, der die Strukturgesetze
der Demokratie missachtet und verkennt, abzugleiten.
500
Herunterladen