NORBERT LESER Aspekte der "Wende" Die Unzllfriedenheit mit der großm Koalition hat einen Wechsel notwendig gemacht. Das chicksal der ,eegelllvärtigetl Koalition wird wesentlirh von der Entwicklullg der FPÖ abhän­ gen, doch stehetl alle Parteietl unter einem nelletl,fmchtbaretl Leistlltlgsdnlck. Die Zt4kunjt wird möglichenveise geprägt von eil/em Wechselspiel der Parteietl - zum litzen der Demo­ kratie. Dabei wird es darauf ankommen, dass die Parteien sowohl ihrer innerstaatlichen Inte­ gratiotlsfimktiotl als allch der ellropäi ehen Wirklichkeit gerecht werdell. 49' ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POliTIK 2000 Jeder Punkt in einer histor ischen Abfolge, und erst recht ein Wendepunkt, ist im Kausalverlauf, aber auch in den freien menschlichen Handlungen durch alle vor­ hergehenden Punkte und Akte bestimmt, ist aber seinerseits Ausgangspunkt weite­ rer Entwicklungen. Doch die unmittelbar vorhergehenden Punkte und Abläufe haben vielfach nur den Charakter eines auslösenden Moments für das Her vortreten und Manifestwerden von Tendenzen, die schon weiter zurückliegen und vom Standpunkt der bereits eingetretenen Wende als deren Vorzeichen und Vorläufer erscheinen. So verhält es sich auch bei der im Folgenden zu erörternden Wende von der großen Koalition zur gegenwärtigen schwarz-blauen Regierung. Die dem Wechsel unmittelbar vorhergehenden Vorgänge und Einzelheiten sind gut erforscht, etwa von Gerfried Sperl in seinem Büchlein "Der Machtwechsel". Die authentische Wahrheit über die Vorgänge kennen wohl nur die Hauptakteure der Verhandlun­ gen, aber auch diese Wahrheit ist eine subjektiv gefärbte und muss schon deshalb eine vorletzte bleiben, weil das, was die Beteiligten selbst als Wahrheit ausgeben oder vor sich selbst dafür halten, zum Teil die Rationalisierungen bestimmter Inter­ essenlagen und Interpretationsinteressen, also ,.Derivate" im Sinne Paretos sind, denen bestimmte komplexe "Residuen" zu Grunde liegen. Aus diesen Gründen ist es ergiebiger und sinnvoller, sich auf die weiter zurückliegenden Tendenzen zu konzentrieren und die tatsächlichen Abläufe von diesen her zu verstehen. Wenn man eine Haupttendenz als solche charakter isieren und dem hi�torischen Geschehen zu Grunde legen kann, so ist es die der Unzu­ fr iedenheit mit der großen Koalition, die mittlerweile ohnehin nur mehr eine von zwei Mittelparteien geworden war. In dem Maße, in dem die Koalition der alten Croßparteien stagnierte und Machtauswüchse zeitigte, wie die rücksichtslose Ein­ setzung der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit zur laufenden Verabschiedung von Verfassungsbestimmungen, nahm das Unbehagen weiter Kreise der Bevölke­ rung, aber auch das der qualifizierten Meinungsbildner zu, ohne dass die in der Koalition alten Stils verbundenen Parteien bereit und im Stande gewesen wären, auf diese wachsend schlechte Stimmung durch interne Strukturreformen adäquat zu regieren. Aus einem Mechanismus der einvernehmlichen Lösung anstehender Probleme, der die Koalition lange Zeit, jedenfalls aber im ersten Nachkriegsjahr­ zehnt, war, wurde ein Blockierungsmechanismus, der nicht nur unfähig war, echte Lösungen herbeizuführen, sondern auch eine Stimmung der Lähmung verbreitete, die ihn schließlich zu Fall brachte. 492 NOR8ERT LESER Es lag eine ähnliche ituation vor wIe 1966, al I " ASPEKTE DER .WENDE eine verbreitete Mi s tim­ mung gegen die große Koalition herrschte, ohne dass die an ihr beteiligten Par­ teien vor der Wahl im März ihre Bereit chaft bekundeten, mit die er Form de Regieren chlu zu machen. Er t die Entscheidung der Bevölkerung, die einer Partei, nämlich der Ö V P, das erste Mal seit 1945 wieder die ab olute Mehrheit brachte, versetzte die Politiker in die Lage, eine neue Weichenstellung vorzuneh­ men. Im Gegensatz zu 199912000 ging diese Entscheidung, trotzdem ie sich for­ mell noch einige Zeit hinzog, ziemlich glatt von tatten: E stellte ich bald heraus, das die beiden Parteien gar keine andere Wahl hatten, als sich zu trennen und al Regierung einer eit und Oppo ition andererseits zu agieren, wollten ie nicht die elbstachtung und den Re pekt in den Augen ihrer W ähler aufi piel setzen. Am chneU ten freilich ging die Wende 1970 vor sich, als bereits ein Anruf Kreisky in der Wahlnacht beim FPÖ -Parteiobmann Friedrich Peter eine Minderheitsregie­ rung ozialdemokrati cher Provenienz sicherte und in weiterer Folge zu insgesamt 13 Jahren sozialistischer Alleinregierung führte. Nach den Wahlen de teuer: Die VP 3. Oktober 1999 war fur alle Beteiligten guter Rat chien an ihr Ver prechen, in die Opposition zu gehen, wenn sie nur drittstärkste Partei würde, gebunden, die sich in die ungewohnte Rolle der PÖ wehrte ich umgekehrt dagegen, ppo ition zu begeben, und die FPÖ tand vor der Ent cheidung, entweder die Rolle der Fundamentaloppo ition weiterzu pielen oder ich mit der V P in eine Regierung zu begeben. Da und Her doch zur Koalition V P-FP es nach langem Hin gekommen ist, ist eine taktische Meister­ chü seI, die aber nicht mögli h gewesen wäre, wenn nicht in lei tung Wolfgang weiten Krei en die Ü berzeugung geherr cht hätte, da die große Koalition keine Kapazität zur Lösung an tehender Probleme mehr hat, obwohl die Parteien die er Koalition zu ammen nach wIe vor eine klare Mehrheit hinter i h hätten. Aber e fehlte, vor allem wieder bei den Meinungsbildnern, die Überzeugung, da s der alten Koalition noch eimge zuzutrauen und der Bevölkerung zuzumuten sei. Da politische Ergebni war nicht bloß der Ausflus sondern auch der Versuch, einer verbreiteten Rechnung zu tragen. Und da da machtpoliti cher Überlegungen, timmung, die etwas Neues erwartete, ö terreichische Wahlrecht die Parteien nicht zwingt, ich al mögliche Regierungs- oder Oppo ieion partei zu deklarieren, on­ dern den Entscheidungsträgern einen e auch legitim, pielraum der Ent cheidung offen läs t, war ich politi ch in ewe Richtung zu bewegen, die man vor den Wahlen zwar nicht angekündigt, aber auch nicht ausge chlo en hatte. 493 ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK 2000 Da die schwarz-blaue Koalition trotz aller Warnungen und Unkenrufe mit einer gewis en Notwendigkeit zu tande kam, ist auch daraus zu ersehen, da s sie starken widerstreitenden Kräften und Machtfaktoren abgerungen werden konnte, wozu die Strategie Schü seI allein nicht au gereicht hätte. Denn es war eine mäch­ tige und siegesgewohnte informelle Koalition, die sich gegen den Versuch der Durchsetzung einer neuen Koalition stemmte und dennoch unterlag. W ieder einmal gibt die Bunde präsident T homa ituation zu einer Alliteration Anlass: Sowohl der Klestil als auch der um einen Verbleib als Kanzler kämpfende V iktor Klima und schließlich auch die bei politischen Aktionen sonst mei t erfolgreiche "Kronen-Zeitung" (man denke an die Rolle im Kampf um die Hainburger Au 1984) stemmten sich vehement gegen ein Abgehen von der gewohnten Form des Regierens. Alle mitsammen konnten aber nicht verhindern, da s e am Ende nicht eine Neuauflage der rot-schwarzen, sondern eine neue Koalition gab. Damit soll diese Koalition nicht in den Rang einer historischen Notwendigkeit und Unau weichlichkeit erhoben werden, wohl aber scheint mir festzustehen, dass sie kein bloß irrationaler W illkürakt war, wie e die Kritiker, die dieser Regierung die Legitimität treitig machen, behaupten, sondern dass ihr in Form und Zu ammensetzung ein hohes Maß an Plausibilität und Realitätsverbun­ denheit eigen ist. Diese Koalition ist aber nicht nur im Hinblick auf den wider piegelt, eine gute, jedenfali tatu quo, den sie aber tragbare Lö ung, ondern auch unter den Ampizien de Leistungsdrucks, den sie rur alle Parteien dieses Lande ausübt. Der .. V P ist e nach Jahrzehnten gelungen, au der tellung des Zweiten, der em immer weniger attraktive Damit hat mati eh, und verheißungsvolle ie die Chance, da der Kanzlerbonu rur Dasein fri tet, au zubrechen. ie wirkt, freilich nicht auto­ ondern nur dann, wenn die Ge amtleistung der Regierung al angesehen wird. Die po itiv P Ö, die bis zuletzt nicht wahrhaben und ein ehen wollte, dass die Rolle der Opposition auf sie zukommt, mus nun unter Beweis tellen, da s sie auch wieder in einer Regierung eine uner etzliche Funktion einnimmt und nicht wie ihre spanische Schwesterpartei nach dreizehn Jahren Regierung bei Wahlen auch ein zweites Mal mit dem Ver uch cheitert, wieder an die Regierung zu gelangen. Die Frage i t, ob e dieser Regierung gelingen wird, sich als überzeugende Partner chaft zu prä entieren, und ob sie bei den näch ten Wahlen, wenn diese pro­ grammgemäß er t 494 2003 stattfinden, erneut ein Mandat zur Weiterfuhrung der poli- NORBERT LESER I · ASPEKTE DER .WENDE tischen Ge chäfte erhält. Die e Frage hängt in er ter Linie von der Richtung ab, die die e Regierung einschlägt bzw. beibehält, und i t davon abhängig, zu welcher Par­ tei ich die F PÖ entwickelt. ollte sie zu einer mittel tändi chen W irt chaftspartei mutieren, wie die Großdeut chen oder der Landbund in der Er ten Republik, dürfte ie zwar nicht mit 0 großem Zu pruch wie die oppo itionelle Partei rech­ nen, die Haider groß gemacht hat, könnte sich aber auf ent prechend niedrigerem perzentuellem Niveau als fixer Bestandteil de und al ö terreichi chen Parteiensy tems nach wie vor für eine Regierungsfunktion in Frage kommende politische Größe etablieren. In einem solchen Falle könnte man von einem Bürgerblock prechen, der dem in der Er ten Republik vorherrschenden durchau vergleichbar i t. Damit würde sich aber auch heraus teilen, da s sich langfri tig immer wieder ich die SPÖ mit ihrer sy te­ die wirt chaftlichen Intere sen durchsetzen und das mati chen Aufwertung der FP ins eigene Flei ch geschnitten hat. Haider'sche Version der FPÖ al der Partei de könnte es, ent prechende Wahlergebni se Rückzug der FP au ollte Jber die "kleinen Manne" tragend bleiben, vorau ge etzt, zu einem vorzeitigen der Regierung und zu vorzeitigen Neuwahlen kommen, deren Ausgang und Folgewirkung für die österreichische Regierung bzw. deren künftige Zu ammen etzung völlig offen wäre und neue Kon tellationen eröffnen könnte, wie e Halder die Wahl v m ktober 1999 getan hat. Da die Per" nli hkeit 3. in die em Zusammenhang eine besondere Rolle pielt, die e Reakti n aber unberechenbar i t, lässt SIch auch schwer progno tizieren, welche Zukunft die FP tatsächlich noch vor si h hat und wonn sich die. e von der VergangenheIt de Aufstiegs, die. ie hinter. ich hat, unter cheldet. W ird Haider, wenn e dle erfordert. da g chrumpfte Kind seine eigenen Weg Fruchte ernten la sen, die er selbst ge ät hat? der würde er e im Falle des Falles auf einen Bruch der Koalition ankommen las en, nut der Gefahr, die FP für immer au neuen der Regierung au zu chließen, aber mit der Hinwendung zur ppo inon, zur alten damit hance, sIe in ewer tärke zurückzufUhren, Ja zur ell1: DIe FP 0 wird von allen ystem eingebundenen ParteIen der härte ten Zer­ 111 da pohti he cheint jedenfall icher zu führenden Macht zu machen? reIß- und Bewährun VIel Ituation gehen la en bzw. andere die probe au gesetzt ein. DIe beiden ehemal großen Parteien hätten e in der Hand gehabt, durch eine rechtzeItige Wahlrechtsreform in RIchtung MehrheIt wahlrecht dafUr zu or­ gen, da . ihnen die Macht erhalten bl ibt, allerdings mcht die gleichzeiti 'e in Form des Beieinandersein nTI Rahmen einer Koalition, ondern die der Ablö ung im 49� ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK 2000 Nacheinander. Da sie sich dazu nicht entschließen konnten, sondern die Form der gleichzeitigen Machtausübung unter Teilung des Staates in zwei Reichshälften vor­ zogen, mus ten ie in Kauf nehmen, dass sich aJs Reaktion auf diese Erstarrung der Demokratie neue Parteien und im Besonderen die FPÖ aJs FundamentaJoppo ition herausbildete und das System des Proporzes, der das ganze Land überzog, in Frage stellte. Auch die Grünen sind als Reaktion auf die mangelnde Sensibilität der alten großen Koalition fur Umweltfragen und Probleme der Demokratiereform auf den Plan getreten und ind, ohne die Funktion einer dritten Volkspartei anstreben und wahrnehmen zu können wie die FPÖ, doch zu einer festen Größe im neuen politi­ schen System geworden, die auch Aussicht hat, eine Rolle aJs Regierungspartei zu spielen. Lediglich die Liberalen haben es offenbar nicht geschafft, sich zu erhaJten, sie zerbrechen an der Unmöglichkeit, gleichzeitig Rechtsüberholerin der ÖV P in W irtschaftsfragen und Linksüberholerin der linken Parteien in Kulturfragen zu sein. Doch es lohnt ich, nach dem veränderten Stellenwert der be tehenden Par­ teien im politischen y rem auch einen Blick auf die inhaltliche Positionierung die er Parteien zu werfen und die Tendenzen herau zuarbeiten. Die Frage ist, mit welchen Vorgaben und programmatischen Überlegungen die Parteien an die Lösung der von ihnen zu bewältigenden Probleme herangehen und wie ich die Ansätze der einzelnen Parteien zueinander verhalten. Dabei sind P rozesse des Ver­ blassens der alten Leitbilder und der Konvergenz und inhaltlichen Über chneidung der Parteien zu beobachten, aber auch Tendenzen des Rollentau ches zwischen den Parteien Gleichzeitig mit die�em Prozess des Un charfwerdens der traditionellen Leitbilder und dem Verschwimmen der Grenzen zwi ehen den alten "Lagern" ist die zunehmende Bedeutung der Persönlichkeiten in der Politik festzustellen. Da die Inhalte nicht mehr so eindeutig wie früher sind, kommt es im Proze . der demokrati ehen Konkurrenz immer mehr dazu. dass die Menschen sich an Per ön­ lichkeiten mit glaubwürdiger Praxis und anziehender tatur orientieren und die jeweiligen Parteipräferenzen bei Wahlen per önlichkeitsabhängiger ind al früher. Die Parteien sind nicht mehr nur gezwungen, Kompromi se einzugehen, sondern werden elbst immer mehr zu politischen Größen, dIe auch in sich selbst einen Ausgleich zwi ehen widerstreitenden Tendenzen herstellen müssen und durch die innerparteiliche Komprol11issbildung daran gewöhnt werden, auch Kom­ promisse mit konkurrierenden Parteien einzugehen. So i t die P Ö gezwungen, so viel wie nötig von ihrer angestammten ubs­ tanz zu behaJten und so viel wie möglich von neuen Inhalten und Anregungen NORBERT LESER I ASPEKTE DER .WENDE" aufzunehmen. Bruno Kreisky war wohl der letzte ozialdemokratische Politiker, der den pagat zwischen traditionellen Inhalten bzw. Anhängern und den Wech el­ wählern ge chafft hat. Inzwischen i t offenkundig geworden, dass sich ein Teil der sozialistischen Programmatik durch Erfolg, zum Teil durch eingetretenen Mi erfolg überholt hat. Es i t und bleibt da hi torische Verdienst der ozialdemokratie, der Motor bei der Etablierung des modernen Wohlfahrt staates gewe en zu ein und die anderen ParteIen in diesen Proze s eingebunden zu haben. In dem Maße aber, in dem die er Wohlfahrtsstaat nicht mehr im bi herigen Umfang zu finanzieren i t und die PÖ ich gegen diesen Um- und Abbau wehrt, wird sie zu einer konserva­ tiven Kraft, die nicht mehr dynami ch agiert, sondern abwehrend reagiert. Andere Punkte der historischen Programmatik der folg bzw. das PÖ ind durch den erlebten Mis er­ cheitern an der Realität nicht einmal mehr defen iv zu halten, ie wurden und werden mehr oder weniger stillschweigend fallen g('la�s('n und hi torischen Akten gelegt. den zu 0 ist die Forderung nach der Ver taatlichung bzw. Ver­ gesell chaftung der Produktionsmittel nicht mehr länger aufrechtzuerhalten, da sich herausgestellt hat, das die Ver taatLichung mehr Probleme chafft al löst und daher al genereller Regulierung mechani mu nicht mehr in Frage kommt. Der W idertand gegen die Privati ierung ist nur mehr ein temporärer und partiell r, nicht mehr prinzipieller Natur. Ganz ähnlich, ja noch härfer treten die Gegensätze zur ursprünglichen Ziel etzung im Falle des hi toris hen Po tulate der der .. Aufhebung des Unter chied zwi hen Arm und Reich" herv r, den tian Broda in der Debatte zum Parteipr gramm der 1111ert hat. [ I leichheit und hn ­ PÖ 1958 110 h hineinrekla- se Forderung wurde zwar nicht in die. er chärfe aufgenommen und weitergeführt, immerhin aber wies man der kla senlo en Gesell haft noch einen Ehrenplatz zu. ach dreißIg Jahren soziah tischer Herrschaft i t dIe Ges 1\ chaft weiter denn zuvor von der ErreIchung diese hehren Ziele entfernt. Alle ken belehren uns, da s ich trotz der Verbreiterung des Wohlstandes die tati ti­ chere ZWl- chen Arm und Reich vergrößert und nicht verringert hat. Ange iches die er Tat a­ che erhebt ich für nachdenkliche Beobachter de ge eil chafthchen Proze e die Frage, ob das ur prünghche Resultat von vornherein illu ori ch war oder nur, obwohl prinzipiell erreichbar, aus eigenem Versagen verfehlt wurde. In beiden Fäl­ len i t dIe sozialisti che Programmatik und ZIelrichtung negativ betroffen. War da deklarierte Ziel Immer chon illu on ch, 0 fällt der Vorwurf auf die oziali ti che Programmatik zurück, war e aber reali tisch, 0 liegt ein Versagen der hl tori. chen Praxi vor. Die e Problematik wird noch dadurch verschärft, da ich im choße 497 ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK 2000 und unter der Ägide de Sozialismus eine neue Klas e politisch und wirt chaftlich Begünstigter etabliert hat, deren Einfluss und Interessen bereits so stark geworden ind, dass die Sozialdemokratie chon aus diesem Grunde nicht mehr in der Lage i t, ihrer historischen Ziel etzung treu zu bleiben. Die jüngsten Beispiele Franz Vra­ nitzkys und Viktor Klimas führen deutlich vor Augen, dass das Engagement in der Politik nicht mehr Dien t an einer guten und hohen ache, sondern eine Durch­ gangsphase zu noch lukrativeren Geschäften und noch bequemeren Ruhekissen ist. Der "Gott Nimm" ,den die Sozialdemokraten einerzeit den Christlichsozialen al den bei ihnen herrschenden vorgehalten haben,ist längst zum Gott auch der Kla se der ozialdemokratie geworden,ja tritt dort viel unverblümter zu Tage als bei Par­ teien, bei denen Unternehmerpersönlichkeiten au eigener Kraft und Lei tung schöpfen und daher der Faszination und Versuchung des Geldes nicht im gleichen Maße unterliegen wie die, die ihren Auf! tieg in erster Linie der politischen Kar­ riere verdanken. In diesem Zusammenhang ist auch ein regelrechter RoJlentausch festzu tei­ len, der das kJa ische Schema von Links und Rechts gehörig durcheinander bringt. 0 hat die FPÖ, die man gerne als rechtsradikal abtut und denunziert, unter dem Druck Jörg Haiders wenigstens versucht, wa die ozialdemokratie läng t auf­ gegeben hat: die Gier der eigenen Anhänger zu zügeln und Einkommensobergren­ zen aus dem T itel der Politik durchzlI etzen. Der Erfolg der FPÖ beruhte nicht zuletzt darauf, das kr3ti diese Partei von der dafür eigentlich zuständigen ozialdemo­ mit T hemen venorgt wurde, deren sich diese Partei nicht mehr anzunehmen getraut. Es kann sein, da s die e Kompetenzen wieder an die ozialdemokratie zurückfallen, wenn sie ihre Oppo ition rolle zu einer Reformierung ihrer Pro­ grammatik lind zu einer Be innung auf ihre traditionellen Aufgaben zurückführt. Es kann aber auch sein, dass ie nicht mehr die Kraft zu einer oJchen glaubwürdi­ gen Erneuerung findet und ihre be ten Zeiten bereits hinter sich und nicht er t vor ich hat. Auch für die ÖVP ergibt ich eine pannungslage zwi chen verschiedenen Interessen und Denkansätzen, die as imiliert und integriert werden müssen. Die tärke der ÖVP lag nach 1945 nicht zuletzt darin, da s ie ich nicht al bürgerliche Klas enpartei deklarierte wie die alten chen truktur hristlichsozialen, ondern mit ihrer bündi­ ignali ierte, dass ie e sich zutraute und zu ihrer Aufgabe machte, alle Gruppen der Bevölkerung zu beheimaten und intern zu versöhnen. Überhaupt zehrte die ÖV P mehr als zwei Jahrzehnte davon,das sie weniger al die PÖ von NORBERT LESER I · ASPEKTE DER .WENDE den hi torischen Traditionen belastet war, die formell an die 1934 in Ehren und im Kampf untergegangene oZlaldemokratie anknüpfte und ich als deren Fortsetzerin deklarierte. Die Ö V P kon tituierte ich, nicht nur, aber auch, um sich von einer autoritären Vergangenheit zu distanzieren, als Partei neuen Typs. 197 ging die er Vorteil und Vor prung der Ö V P flir mehr als zwei Jahrzehnte, die ozialdemokra­ tisch dominiert waren, verloren. Mit der Übernahme der Regierungsverantwor­ tung hat die V P wieder die harlCe zurückerobert, einen neuen Vor prung zu gewinnen, nicht nur, wa die W ählerzahl anbelangt, ondern auch im T hemenflihrer haft und einer be seren Integration partei, al e die !One emcr P zu vermag. Aber auch der Weg der ÖV P i t elbst im besten Falle durch ein ein pan­ nungsfeld zwischen "sozial-ökologi cher Marktwirts haft" (losef Riegler), katholicher oziallehre und reinem eoliberali mus charakteri iert. Alle die e Elemente und Traditionen sind wichtig lind notwendig, aber die richtige 00 ierung die el Komponenten i t eine Maßfrage, die nur von Fall zu Fall ent hieden werden kann und nicht durch ein generelles Rezept und Konzept zu lösen ist. Die unter Umständen auch de halb eine bes ere hance als die V P hat PÖ , den Kampf um die Zukunft zu gewinnen, "eil ie ich nie 0 viel an Veränderung vorgen Olmen .. P , bei der e leichter zur Enttäu chung der eigenen Anhänger hat wie die kommt, weil die Di. krepanz zwisch n hjstori chell1 Ideal und dem tat. ächli h Erreichten viel augenfalliger i. t. Dennoch i t es fragwürdig, wenn die ÖV P da hristentull1 und die finden ich nur mehr dass. owohl dlt� hemmend PÖ den oziali. mus flir Ich reklamiert, denn beide Ideen purenwei e in der p Isti chen PraxIs. hn. tdemokraten als auch die Faktoren 111 Ihrer ist jedenfalls gut, zlaldemokraten fOrderhche und chatzki te haben und mcht von vornherein fest. teilt, wer die Menschen mit einen Antworten bes er bediene. Das zwingt alle Beteilig­ ten, Ihr Be tes zu geben und . ich mcht auf welkenden hi tori ehen Lorbeeren aus­ zuruhen . In die em Wettkampf .. ird es wohl keine e1l1deutigen und dauernden ieger, sondern ein Wechselspiel geben, da der Demokratie lIlsgesamt gut tut. Ob e auch .. VP einen lachenden Drttten geben kann, der die beiden tradltlonellen Parteien und P Ö überholt, wird die Zukunft lehren. Die FP wäre prinZipiell in der Lage, 1Il die Rolle einer dritten Volkspartei hllleinzuwach en, weil sie e1l1en Quer chmtt der Bevölkerung dar teilt und nicht mit 0 Vielen retardierenden Faktoren, in Form von Intere envertretungen und anderen Lobby , ver ehen ist wie die Ö V P und die PÖ . Auch die Partei der Grünen kann eine \ ichtige Rolle plelen und ogar 111 499 ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH FÜR POLITIK 2000 Regierungsverantwortung hineinwachsen. Trotzdem ist die Partei der Grünen eher eine Addition von Einzelgruppen und aktiven Minderheiten als eine alle Gruppen der Bevölkerung integrierende Volkspartei, was zugleich ein Nachteil und ein Vor­ teil ist, die je nach der historischen Situation als solche zum Tragen kommen kön­ nen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist natürlich die Integration aller Parteien und die Österreichs insgesamt in die größere europäische Gemeinschaft. Auch hier geht es um einen Balanceakt, der von den Parteien einzeln und gemein­ sam gewagt werden muss. Das innerstaatliche Problem des Föderalismus, der mit dem Bundesstaat und der Zentralgewalt um die Verteilung der Zuständigkeiten und um die konkrete Wahrnehmung der jeweiligen Aufgaben ringt, wiederholt sich in Konfrontation der Einzelstaaten mit der europäischen Gemeinschaft . Es geht nicht nur um den Konflikt zwischen nationalen Interessen und europäischen Belangen, die allen Staaten gemeinsam aufgegeben sind, sondern auch darum, dem Brusseler Zentralismus und der von ihm entwickelten Bürokratie eigenständige Kräfte gegenüberzustellen, die aus den Einzelstaaten stammen und Impulse nach außen und oben abgeben, ohne dass es zu einem Dauerkonflikt kommt, ohne dass aber anderseits auch die legitimen Interessen der nationalen und regionalen Vielfalt unter die Räder kommen. Diese "Wende" zu Europa hin, die schon durch die Volksabstimmung im Juni 1994 und den erfolgten Beitritt besiegelt wurde, aber so wie die Bewährung dcr Dcmokratie eine dauernde A l1fgabe. ein � tändiger Prozess und nicht eine abge­ schlossene Sache ist, ist die größere und eigentliche Wende, in die sich die politi­ sche Wende Österreichs einzufUgen hat . Nach dem Wegfall der europäischen Sank­ tionen gegen Ö sterreich steht außer Streit, dass alle Parteien des politischen Systems Österreichs berufen und qualifiziert sind, an diesem Prozess mitzuwirken. Erst wenn die Parteien sowohl ihrer innerstaatlichen Integrationsfunktion als auch der in die europäische W irklichkeit gerecht werden, bewegen sie sich auf der Höhe der zeitgemäßen Anforderungen und stellen unter Beweis, dass sie ihrem T itel als "pars", Teil des Ganzen zu sein, entsprechen und sich weder innerstaatlich noch auch darüber hinaus als das Ganze fühlen und damit in Gefahr sind, in den totalen Egoismus oder in den noch gefährlicheren Totalitarismus, der die Strukturgesetze der Demokratie missachtet und verkennt, abzugleiten. 500