LANDTAG DES SAARLANDES 15. Wahlperiode Drucksache 15/2001 (15/1939) 08.11.2016 ANTWORT zu der Anfrage der Abgeordneten Dagmar Ensch-Engel (DIE LINKE.) betr.: Situation von Kindern psychisch kranker Eltern Vorbemerkung der Fragestellerin: „In Deutschland leben nach Schätzung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages bis zu drei Millionen Kinder mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil. Diese Kinder sind oftmals gezwungen, innerhalb der Familie Aufgaben zu übernehmen, die üblicherweise von Erwachsenen übernommen werden. Untersuchungen zeigen, dass viele dieser Kinder unter ständiger Angst vor einer Verschlechterung der Krankheit und dem damit verbundenen Ausfalls des psychisch kranken Elternteils und unter Überforderung leiden. Außerdem fühlen sie sich wegen der Krankheit des Elternteils oftmals ausgegrenzt und stigmatisiert. Kinder psychisch Kranker haben außerdem ein deutlich höheres Risiko, später selbst psychische Auffälligkeiten oder Störungen zu entwickeln.“ Vorbemerkung der Landesregierung: In der einschlägigen Fachliteratur wird geschätzt, dass es ca. 3 Millionen Kinder in Deutschland gibt, die einen Elternteil mit einer psychischen Störung erleben. Diese Schätzung erfolgt über Berechnungen aus Studien zur Elternschaftsrate bei psychisch erkrankten Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in ambulanter oder stationärer Behandlung sind, und einer Hochrechnung unter Verwendung der Prävalenzrate von psychischen Störungen in der Gesamtbevölkerung. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist eine Schätzung von ca. 3 Millionen Kinder in Deutschland, die einen Elternteil mit einer psychischen Störung erleben. Ausgegeben: 09.11.2016 (12.09.2016) Drucksache 15/2001 (15/1939) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Wie viele Kinder im Saarland leben mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil? Zu Frage 1: Dazu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor, da es - wie auch von der Fragestellerin in der Vorbemerkung dargestellt - lediglich eine bundesweite Schätzung gibt. Welche Herausforderungen und Probleme ergeben sich aus Sicht der Landesregierung für diese Kinder und wie will die Landesregierung ihnen helfen? Zu Frage 2: Familiäre Belastungen aufgrund der psychischen Erkrankung eines oder beider Elternteile können aus sozialpädagogischer Sicht besondere Herausforderungen für alle Familienmitglieder mit sich bringen. Unterschiede in Bezug auf den Unterstützungsbedarf bestehen aufgrund des konkreten Krankheitsbildes und der ggf. folgenden Auswirkungen auf den familiären Alltag der Kinder bis hin zur Erziehungsfähigkeit des psychisch kranken Elternteils, ggf. beider Eltern. Konkrete Problemlagen können in einer emotionalen Verunsicherung der Kinder aufgrund krankheitsbedingter unberechenbarer Verhaltensweisen von Eltern bestehen. Konfliktbeladene Beziehungsmuster, fehlende Zuwendung bis hin zur Vernachlässigung durch die Eltern beeinträchtigen gegebenenfalls das Kindeswohl. Die erzieherische Unterstützung der Familien ist gesetzliche Aufgabe der örtlichen Jugendhilfe, ebenso wie die Ausübung des staatlichen Wächteramtes bei drohenden Kindeswohlgefährdungen bei schwerwiegenden Krankheitsverläufen mit einem Verlust der Fähigkeit, eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung und Versorgung der Kinder zu gewährleisten. Die Herausforderungen und Probleme bestehen zudem aus folgenden Aspekten: Je nachdem, ob Eltern oder Kind Hilfe benötigen, unterscheiden sich die Zugangsformen und der/die erste Ansprechpartner/in auf der Suche nach Unterstützung. So sind für Eltern insbesondere die Leistungserbringer, wie Ärzte, Hebammen, Psychotherapeuten sowie der öffentliche Gesundheitsdienst, Ansprechpartner, während für das Kind Schule, Jugendhilfe etc. erste Anlaufstellen sind. Der/die erste Ansprechpartner/in entscheidet häufig über den Zugang zu weiteren Hilfen, die aber nicht unbedingt den vollständigen Hilfebedarf abdecken. Die Identifizierung des konkreten und individuellen Unterstützungsbedarfs ist sehr komplex. Erkrankungen von Eltern sind nicht immer diagnostiziert. Falls doch, sind Kinder in manchen Fällen noch kein fester, integrierter Bestandteil in der psychiatrischen Behandlung der Erwachsenen. -2- Drucksache 15/2001 (15/1939) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass psychische Erkrankungen von den Eltern verheimlicht werden, wenn beispielsweise Befürchtungen bestehen, aufgrund der eigenen Krankheit von den eigenen Kindern getrennt zu werden. Dies hat zur Folge, dass die Jugendhilfe erst dann in Anspruch genommen wird, nachdem die Kinder selbst auffällig geworden sind oder ihr Kindeswohl gefährdet ist. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass Kinder versuchen, angepasst und unauffällig zu wirken, so dass durch ihr Verhalten auf den ersten Blick nicht unbedingt ein Bedarf nach Unterstützung sichtbar wird und sie daher von den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe schwer zu erreichen sind. Wie bereits dargelegt, bestehen Unterschiede in Bezug auf den Unterstützungsbedarf aufgrund des konkreten Krankheitsbildes und der ggf. folgenden Auswirkungen auf den familiären Alltag der Kinder bis hin zur Erziehungsfähigkeit des psychisch kranken Elternteils, ggf. beider Eltern. Zudem sind Hilfsangebote unterschiedlich stark planbar. Dies ist davon abhängig, ob die Krankheit bekannt ist und wann sie auftritt (z.B. vor der Geburt vs. nach der Geburt). Es sind passgenaue und ggf. auch interdisziplinär gestaltete Hilfen erforderlich, wobei die zu erbringenden Leistungen in verschiedenen Sozialgesetzbüchern beschrieben sind. Neben einzelnen Projekten und Programmen ist im Hinblick auf die genannten Anforderungen v.a. die Vernetzung und Kooperation zwischen den Institutionen, Akteuren und Maßnahmen, die von der Landesregierung auch unterstützt wird, wichtig. Welche Angebote gibt es im präventiven und niedrigschwelligen Bereich für diese Kinder? Zu Frage 3: Aus dem Bereich der Prävention können folgende Angebote, die von der Landesregierung (mit-)finanziert werden, genannt werden: Ein zentrales Hilfsangebot der Landesregierung, welches der o.g. Strategie entspricht, ist das Landesprogramm Frühe Hilfen, welches das Saarland schon 2007 implementiert hat. Unterstützt von der Einführung des verpflichtenden Einladungswesens zu den Vorsorgeuntersuchungen ist ein dichtes Betreuungsnetz entstanden, das gerade bei belasteten Familien intensive und gute sozialmedizinische Unterstützung leistet. Wesentlicher Bestandteil ist der Elternkurs "Das Baby verstehen" und die aufsuchende Arbeit von ca. 45 geschulten Familienhebammen/Familien-, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger innerhalb des ersten Lebensjahres. Darüber hinaus existiert in jedem Landkreis ein Netzwerk für Eltern, in denen alle Akteure, die im Rahmen der frühen Kindheit tätig sind, passgenaue Hilfen für die Eltern anbieten. Die hohe Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen gewährleistet, dass eventuelle Probleme in der Entwicklung des Kindes früh erkannt werden und eine Vermittlung passgenauer Hilfen, auch über das erste Lebensjahr hinaus, stattfindet. Zur Einschätzung familiärer Belastungen wird ein Sozialscreening verwendet, das u.a. auch psychische Erkrankungen der Eltern abfragt. Dadurch besteht im Saarland eine flächendeckend realisierte unterstützende Zusammenarbeit zwischen dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, der Jugendhilfe und den Familienhebammen. Eine zentrale Rolle kommt dabei den Koordinierungsstellen der Landkreise und des Regionalverbandes Saarbrücken zu. -3- Drucksache 15/2001 (15/1939) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Diese Stellen sollen mit einer Sozialarbeiterin/einem Sozialarbeiter oder einer Sozialpädagogin/einem Sozialpädagogen aus der Jugendhilfe und einer Kinderärztin/einem Kinderarzt des Gesundheitsamtes besetzt sein. Die Stellen der Kinderärztinnen und Kinderärzte werden aus dem Landeshaushalt finanziert. Hauptaufgaben der Koordinierungsstellen sind: Aufbau, Erhalt und dynamische Anpassung von Kooperationen Gründung des Netzwerks für Eltern Organisation von Projektauftaktveranstaltungen, Fortbildungsveranstaltungen, Koordinierungstreffen mit den Elternkursanbietern des jeweiligen Landkreises oder Erweiterungen des Angebotes für Eltern beispielsweise um Eltern-Kind-Cafés und ähnliche Angebote. Vermittlung von Anfragen: Dies beinhaltet eine Prüfung, welche Art von Unterstützung in diesem Falle passend ist, um anschließend eine entsprechende Vermittlung der Familie in die Wege zu leiten. Diese Vermittlung kann entweder an ein existierendes Angebot im Rahmen des Netzwerks erfolgen (beispielsweise an eine Beratungsstelle, die Frühförderung, therapeutische Hilfe für ein oder beide Elternteile, eine Betreuungseinrichtung oder auch das Jugendamt) oder es erfolgt eine direkte Vermittlung an ein Projektangebot Koordinierung der aufsuchenden Arbeit Aktuelle Projektthemen werden vierteljährlich zwischen dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, den Koordinatoren und weiteren relevanten Akteuren besprochen. Den Erfolg des Programms belegen nicht zuletzt die Ergebnisse der Evaluation des Landesprogramms Frühe Hilfen-Keiner fällt durchs Netz aus 2012. Derzeit wird das Programm durch landeseigene Mittel und Zuweisungen aus der Bundesinitiative Netzwerk Frühe Hilfen und Familienhebammen 2012-2015 (verlängert bis 2017) finanziert. Auf der Basis der Evaluation wurde in 2014 die Weiterentwicklung der Frühen Hilfen auf den Weg gebracht. Unter dem Label Frühe Hilfen Plus sollen Betreuungsketten entstehen, um so durchgängig Unterstützungsleistungen, gerade für Kinder aus belasteten Familien zu gewährleisten. Da psychische und Verhaltensstörungen auch durch Alkohol- und Drogensucht verursacht werden oder Komorbiditäten sein können, sind an dieser Stelle auch die präventiven und niedrigschwelligen Hilfestellungen im Zusammenhang mit Suchterkrankungen zu nennen. Diese betreffen einerseits Suchterkrankungen von (jungen) Eltern. Andererseits ist zu bedenken, dass aufgrund der beschriebenen Auswirkungen von psychischen Krankheiten der Eltern auf die Kinder, letztgenannte auch selbst suchtgefährdet sein können. Daher sind auch präventive Angebote für Kinder und Jugendliche hier zu nennen, die deren Persönlichkeit stärken und dem Alkohol- und Drogenkonsum vorbeugen sollen. Darüber hinaus sind Schulungsprogramme zur Erkennung von Drogenkonsum an bestimmten Verhaltensmerkmalen wichtig. -4- Drucksache 15/2001 (15/1939) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Präventive und niedrigschwellige Angebote des Landes im Zusammenhang mit Suchtproblematiken sind: Schwanger ohne – Prävention von Substanzkonsum in Schwangerschaft & Stillzeit (früher: ‚Alkohol und Nikotin in der Schwangerschaft‘) Kindergarten Plus WIESEL Klasse2000 REBOUND Verkehrssicherheitsprogramm SaarBOB 7 aus 14- Maßnahme gegen Alkoholmissbrauch und Komatrinken FreD - Frühintervention bei erstauffälligen Suchtmittel-/Drogenkon-sumenten HaLT Drogenerkennung“ - Diagnose psychoaktiver Beeinflussung Auch die Initiativen weiterer Akteure des Gesundheitswesens im Saarland zeigen, dass sie inzwischen für eine ganzheitliche Betrachtung und Unterstützung der betroffenen Familien sensibilisiert sind und in dieser Form auch leisten wollen. Dies verdeutlichen die beiden folgenden Beispiele: a) Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Saarland und die Techniker Krankenkasse haben eine Vereinbarung über ergänzende Leistungen nach § 43 SGB V für Familien mit Kindern von schwer erkrankten Eltern abgeschlossen. Ziel der Vereinbarung ist die Vermeidung von psychischen Störungen bei Familien, insbesondere Kindern, in deren Familien durch das Auftreten einer schweren Erkrankung eines Elternteils ein hohes Risikopotenzial besteht. Anspruchsberechtigt sind TK-Versicherte Eltern, mit u.a. psychischen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sowie deren Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Diese Vereinbarung ist seit Oktober 2015 in Kraft getreten. b) Die Ärztekammer des Saarlandes und Psychotherapeutenkammer des Saarlandes haben am 15. Februar 2014 gemeinsam ein klinisches Wochenende zum Thema Kinder psychisch kranker Eltern gestaltet, um sich berufsübergreifend diesem Thema zu widmen und sich fortzubilden. Sieht die Landesregierung eine Notwendigkeit für die Einrichtung bzw. Förderung weiterer Hilfsangebote für Kinder psychisch Kranker? Wenn ja: Was wird die Regierung konkret unternehmen? Zu Frage 4: Eine enge und frühzeitige Kooperation zwischen den betreffenden Einrichtungen des Gesundheitswesens (psychiatrische Klinik, in der der kranke Elternteil behandelt wird; Krankenkasse) und der Jugendhilfe kann dazu beitragen, die Situation zu klären und sie für die Kinder im Bedarfsfall dann weniger belastend zu gestalten. -5- Drucksache 15/2001 (15/1939) Landtag des Saarlandes - 15. Wahlperiode - Unter Federführung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie wurden Psychiatrie-Experten-Rat und Landesbeirat Kinder- und Jugendpsychiatrie /pychotherapie und Kinder - und Jugendhilfe als Gremien unter anderem zur Verbesserung der Kooperation eingerichtet. In diesen Gremien werden Situation, Bedarf und Hilfeleistungen für Kinder psychisch kranker Eltern diskutiert und Lösungen erarbeitet. Darüber hinaus beschäftigt sich der Runde Tisch Kindergesundheit, an der alle Akteure des Gesundheitswesens im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit beteiligt sind, mit einer Verbesserung der Maßnahmen von Kindern chronisch kranker Eltern. Wird die Landesregierung das bislang einzige saarländische Projekt, das sich ausdrücklich an die Kinder psychisch kranker Eltern wendet, die „OASE“ in St. Wendel, in den kommenden Jahren finanziell unterstützen? Wenn nein: Warum nicht? Zu Frage 5: Wie in der Antwort zu Frage 3 dargestellt, ist das Saarland mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die sich an Kinder psychisch kranker Eltern richten, gut aufgestellt. Der Caritasverband Schaumberg-Blies hat 2015 einen Antrag zur Mitfinanzierung des Projektes OASE für das Jahr 2016 beim Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie gestellt. Wenn der Träger für das Projekt OASE ein belastbares Finanzierungskonzept mit allen Partnern und Beteiligten vorlegt, kann im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel eine finanzielle Unterstützung erfolgen! -6-