11. Woche 11.1 Das Ritz’sche Variationsverfahren Die Möglichkeit, die Wellenfunktion eines Quantensystems über die Eigenfunktionen eines bekannten Operators zu entwickeln ist die Grundlage mehrerer sehr effektiver Näherungsmethoden der Quantenmechanik. Eine davon ist das Ritz’sche Variationsverfahren, das oft zur Abschätzung der Energien von unteren Zuständen (vor allem des Grundzustand) benutzt wird. Die Wichtigkeit solcher Abschätzungen ist in der Vorlesung erörtert. Energie des Grundzustandes Zur Berechnung der Energie E0 des Grundzustandes benutzt man die Ungleichung: D E E0 ≤ ψ Ĥ ψ für beliebige, Pdie Randbedingungen erfüllende ψ(x). Der Beweis ist einfach: Da ψ(x) = ∞ n=0 an ψn (x), gilt anhand der Orthonormalitätseigenschaft ∞ ∞ D E X D E X 2 |an |2 En |an | ψn Ĥ ψn = ψ Ĥ ψ = n=0 n=0 ≥ E0 Daher gilt (z.B. ∞ X n=0 D E E0 = min ψ Ĥ ψ E0 = mit |an |2 = E0 . Z Z ψ ∗ (r)Ĥψ(r)dr ψ ∗ (r)ψ(r)dr = 1. Zur praktischen Berechnung der REnergie des Grundzustandes wählt man eine Testfunktion ψ(r; α, β, ...), mit ψ ∗ (r; α, β, ...)ψ(r; α, β, ...)dr = 1, die von Parametern α, β, ... abhängig ist und die die Randbedingungen erfüllt, und berechnet das Integral Z I(α, β, ...) = ψ ∗ (r; α, β, ...)Ĥψ(r; α, β, ...)dr. 1 Dann berechnet man die Parameter α0 , β0 , ..., die I(α, β, ...) minimieren, ∂I ∂I = = ... = 0. ∂α α=α0 ∂β β=β0 E = I(α0 , β0 , ...) ist dann die Näherung für die Energie des Grundzustandes. Hat man Glück, bekommt man eine hervorragende Näherung schon mit einem Parameter. Beispiel: Grundzustand des harmonischen Oszillators: in dimensionslosen Koordinaten 1 1 d2 + ξ 2. Ĥ = 2 2 dξ 2 Die natürlichen Randbedingungen entsprechen ψ(ξ) → 0 für ξ → ±∞. Die WF des Grundzustands ist, bekannterweise, eine Gaußglocke ψ0 (ξ) = 1 π 1/4 e−ξ 2 /2 . Die entsprechende Energie E0 ist genau 1/2 (in Einheiten von ~ω). Wählen wir unsere Testfunktion in Form α 1/4 αξ 2 ψ(ξ) = , exp − π 2 die die Randbedingungen erfüllt und die Tatsache berücksichtigt, dass die entsprechende WF gerade sein muss. Dann Z ∞ 1 1 2 1 1 d2 α+ . ψ(ξ) + ξ ψ(ξ) dξ = I(α) = ψ(ξ) − 2 dξ 2 2 4 α −∞ Das Minimieren ergibt den genauen Wert von α = 1 und E = 1/2. In diesem Fall stimmt die Testfunktion (und die Energie) mit exakten Werten überein. Nehmen wir z.B. eine Testfunktion √ 1/4 2a ψ(ξ) = √ π(1 + ax2 ) R∞ (auch eine symmetrische Glocke, auf 1 normiert: −∞ ψ 2 (ξ)dξ = 1, sonst ähnelt sie nicht besonders der richtigen WF). Die Energie ist dann Z ∞ 1 2 2 + a2 1 d2 ψ(ξ) + ξ ψ(ξ) dξ = . I(a) = ψ(ξ) − 2 dξ 2 2 4a −∞ 2 √ √ Diese ist minimiert für a = 2, und entspricht E = 2/2, 41% höher als die genaue Energie. Die Wahl der Testfunktion war nicht besonders günstig, da sie für ξ → ±∞ zu langsam abfällt. Angeregte Zustände: Bezeichnen wir die Wellenfunktion des Grundzustands durch ψ0 . Es gilt dann D E E1 = min ψ1 Ĥ ψ1 mit hψ1 |ψ1 i = 1, hψ1 |ψ0 i = 0. (Beweis genau wie beim Grundzustand, unter Berücksichtigung der Orthogonalität). Gleichermassen kann man die Variationsprinzipien für die höheren Zustände formulieren, indem man die WFen annimmt, die zu den WFen aller darunterliegenden Zustände orthogonal sind. Das ist bedeutend komplizierter als das Variationsverfahren für den Grundzustand. In einigen Fällen sind die Orthogonalitätsbedingungen bei geeigneter Wahl der Testfunktionen anhand der Symmetrieeigenschaften erfüllt. Beispiel: 1. angeregten Zustand für den harmonische Oscillator. Anhand der Symmetrie des Potentials ist die WF des Grundzustandes eine gerade Funktion von ξ. Die Funktion des 1 angeregten Zustandes ist dann ungerade, und deswegen der WF des Grundzustandes automatisch orthogonal. Anhand des Knotensatzes hat diese Funktion einen Knoten. Einfachste Form: 2β 3/2 βξ 2 ψ1 (ξ, β) = √ ξ exp − . 2 π Man bekommt Z ∞ 1 d2 1 1 2 3 I1 (β) = ψ1 (ξ, β) − β+ . ψ1 (ξ, β) + ξ ψ1 (ξ, β) dξ = 2 dξ 2 2 4 β −∞ Das Minimieren ergibt E1 = 3/2 (in Einheiten von ~ω). Bemerkung: Oft ist der Hamiltonian eines Systems als die Summe Ĥ = Ĥ0 + Ŵ 3 darstellbar, wobei der Hamiltonian Ĥ0 im gewissen Sinne ”einfach” ist, das bedeutet, dass sein Spektrum und seine Eigenfunktionen bekannt sind. Hierbei bezeichnen wir das System, das durch den Hamiltonian Ĥ0 beschrieben wird, als ”ungestörtes System”, und Ŵ als ”Störung”. Diese Störung wird als im gewissen Sinne “klein” angesehen, so dass die allgemeine Struktur des Spektrums gleich bleibt und jedem Zustand n (n ist die Gesamtheit aller Quantenzahlen, die den Zustand nummerieren) mit der Energie En des ungestörten Systems ein Zustand des gestörten Systems gegenübersteht. Be(0) nutzen wir nun die Wellenfunktionen ψn des ungestörten Systems als Testfunktionen, so erhalten wir für En des gestörten Systems En ≈ En(0) + ψn(0) Ŵ ψn(0) . Dieser Ausdruck wird oft als 1. Ordnung Störungstheorie bezeichnet (siehe nächste Vorlesung). 4