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Als eine von nur zwei Universitäts-Augenkliniken in Europa
setzt die RUB-Augenklinik die lichtadjustierbare Linse ein
Scharfe Sicht auf Probe
Ohne Brille lesen, am Computer arbeiten oder Autofahren – diese Wünsche
kann eine neuartige Linse Patienten mit
Grauem Star (Katarakt) erfüllen. Die lichtadjustierbare Linse (LAL), die die RUB-Augenklinik im Knappschaftskrankenhaus
Bochum als eine von nur zwei als „Center
of Excellence“ ausgewählten UniversitätsAugenkliniken seit knapp drei Jahren einsetzt, macht es möglich. Ihre Brechkraft
lässt sich nach dem Einsetzen mit UV-Licht
einstellen. Erst wenn der Patient zufrieden
ist, wird die Linseneinstellung fixiert. Studien haben gezeigt, dass die Sicht nicht nur
dauerhaft gut bleibt, sondern dass sich die
LAL auch für „extreme“ Augen eignet.
Beim Grauen Star (Katarakt) trübt sich
die Linse im Auge schleichend ein, so dass
die Sicht allmählich schwindet. Irgendwann muss die Linse ersetzt werden – heute ein Routine-Eingriff, der in Deutschland
über 650.000mal im Jahr durchgeführt
wird. Die Hornhaut des Auges, welche die
Linse bedeckt, wird nur maximal etwa 2,8
Millimeter weit geöffnet, die eigene Linse
abgesaugt und eine Ersatzlinse eingesetzt.
Diese kann der Augenarzt so wählen, dass
bekannte Sehschwächen wie Kurz- oder
Weitsichtigkeit damit korrigiert werden.
Allerdings gelingt das nicht immer sehr
genau. „Beim Einheilen der Linse kann es
passieren, dass sie ihre Position ein klein
wenig verändert, oder dass die Hornhaut
vernarbt und uneben wird. Diese Vorgänge sind vorher nicht absehbar und können daher nicht in die Wahl der Linse einkalkuliert werden“, erklärt Dr. Fritz Hengerer, Leitender Oberarzt der RUB-Augenklinik im Knappschaftskrankenhaus Bochum (Direktor: Prof. Dr. Burkhard Dick).
Aber auch die DIN-Norm für Intraokularlinsen erlaubt den Herstellern gewisse Toleranzen bei der Fertigung der Linsen. Je
nach Brechwert können Abweichungen
vom auf der Packung angegebenen Wert
von +/- 0,5 bis +/- 1,0 Dioptrien zulässig
sein. Abweichungen von der aufwändig berechneten angestrebten Zielrefraktion sind
die Folge. Die Patienten kommen daher oft
auch nach der Operation nicht ohne eine
Brille aus, die die bleibenden oder neu entstandenen Sehfehler korrigiert.
Die Bochumer Augenspezialisten setzen daher auf eine neue Linse, die sich
nach dem Einsetzen noch justieren lässt,
und das ohne weiteren Eingriff: Die Lichtadjustierbare Linse (LAL, Abb. 2) wurde
1999 von Dr. Daniel Schwarz und dem späteren Nobelpreisträger für Chemie Robert
Grubbs entwickelt. Sie ist gefüllt mit einer
Silikonmasse, die kurze Silikon-Monomere
enthält. Bei Bestrahlung mit UV-Licht einer
bestimmten Wellenlänge (365 Nanometer)
kommt eine photochemische Reaktion in
Gang, die zur Verkettung der kurzen Moleküle an der bestrahlten Stelle der Linse
führt. Die entstehenden größeren Moleküle führen zu einem Ungleichgewicht in
der Verteilung der kleinen Moleküle innerhalb der Linse. In den 15 Stunden nach
der Bestrahlung diffundieren daher Monomere aus der Umgebung an die bestrahlte Stelle, um ein Gleichgewicht herzustel-
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len. Die Folge ist eine Verdickung der Linse an der bestrahlten Stelle (s. Abb. 3). So
lässt sich die Linse innerhalb bestimmter
Grenzen beliebig formen (s. Abb. 4). Der
Patient hat nach einer Justierung Gelegenheit, seine neu eingestellte Sicht für einige Zeit in den verschiedenen Alltagssituationen zu testen. Ist er nicht zufrieden, wird
nachjustiert. Ein Computer berechnet und
steuert dabei die Beleuchtung.
Die Justierung der Linse dauert nur
40 bis 150 Sekunden, während derer der
Patient einen grün blinkenden Punkt
fixiert. Zur Stabilisierung wird eine Kon-
taktlinse aufgesetzt (s. Abb. 1, linke Seite). Der Augenarzt behält die Linse des
Patienten durch ein Fadenkreuz im Blick
und gleicht mit einer Art Joystick eventuelle Augenbewegungen aus.
„Üblicherweise justieren wir nur ein- bis
zweimal“, berichtet Dr. Hengerer. „Dann
sind die meisten Patienten zufrieden, und
wir können die Linse fixieren.“ Dazu wird
die gesamte Linse dann mit einer höheren
UV-Lichtdosis der gleichen Wellenlänge beleuchtet. Anschließend lässt sich ihre Form
nicht mehr verändern, und die Patienten
können sich auch von ihrer UV-Schutzbril-
Abb. 1: Beleuchtungsbehandlung in der RUBAugenklinik. Die aufgesetzte Kontaktlinse (s. linke
Seite) dient der Stabilisierung.
le verabschieden, die vom Zeitpunkt der
Operation an ständiger Begleiter ist. „Die
Linsen sind vor der Fixierung empfindlich.
Wenige Stunden draußen an einem sonnigen Tag ohne UV-Schutz könnten unkontrollierte Veränderungen der Brechwerte
hervorrufen und die Nachjustierung erschweren“, so Dr. Hengerer. Auf der Rückseite ist die Linse übrigens mit einem UVSchutz ausgestattet, der die Netzhaut des
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Abb. 2: Lichtadjustierbare Linse: 6,0 mm bikonvexe
Optik mit C-förmigen Plexiglas (PMMA)-Bügelchen,
Gesamtlänge: 13,0 mm.
Patienten bei der Bestrahlung und besonders danach dauerhaft abschirmt.
Nach Erfahrung des Augenarztes wünschen sich die Patienten ganz Unterschiedliches von ihrer Augenlinse. Die
meisten Patienten genießen die Freiheit,
nach der Einstellung der Linse völlig klare Sicht in die Ferne ohne Brille zu erleben. Andere wiederum sind am zufriedensten mit einem „Sehfehler“ von -1,5
Dioptrien. Diese leichte Kurzsichtigkeit
erlaubt es den Patienten, ohne Brille am
Computer zu arbeiten oder ihr Handydisplay abzulesen. Dass die Fernsicht nicht
100-prozentig scharf ist, stört diese Patienten weniger: Sie tragen für eine optimale Fernsicht eine Brille.
Um den Komfort durch die neue Linse
noch weiter zu verbessern, ermöglicht Dr.
Hengerer auf Wunsch inzwischen auch die
multifokale Einstellung. Im Zentrum der
Linse befindet sich dann der Nahsichtbereich. Schaut der Linsenträger in die Ferne,
öffnet sich die Pupille und somit die Sicht
durch die gesamte Linse, deren äußere Bereiche für die Fernsicht optimiert sind. Der
zentrale Bereich stört dann nicht. Ebenfalls
möglich ist es, die Linsen beider Augen unterschiedlich einzustellen, d.h. eine für die
Nah- und die andere für die Fernsicht. „Ein
Unterschied von bis zu zwei Dioptrien zwischen beiden Augen bereitet dem Gehirn
aufgrund der geringen Bildgrößenunterschiede keine Schwierigkeiten“, sagt Dr.
Hengerer.
Gemeinsam mit Forschungspartnern der
Universität Murcia (Spanien) arbeitet Hengerer daran, den Einsatz der Linse weiter
zu optimieren. So kann man damit nicht
nur die „üblichen“ Sehfehler wie Kurz- und
Weitsichtigkeit sowie Hornhautverkrümmung ausgleichen, sondern auch „Brechungsfehler höherer Ordnung“, deren
Ursache in verschiedenen Bereichen des
Auges liegen. „Wir haben im Auge 30.000
Messpunkte“, erklärt Dr. Hengerer die
Genauigkeit der Diagnostik und Adjustierung. „Beim zusätzlichen Ausgleich dieser
Abb. 4: Beleuchtungsmuster für die Korrektur von Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit und Hornhautverkrümmung (Astigmatismus, v.l.). In den beleuchteten Bereichen (hell) verdickt sich die Linse.
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UV-Strahlung
Stärkere Brechkraft
UV-Strahlung
Lichtempfindliche
Silikonmoleküle
Verkettete
Silikonmoleküle
Nicht verkettete Moleküle diffundieren in die
bestrahlte Region, die sich dadurch verdickt.
Erneute Bestrahlung fixiert die Linse.
Matrix
sogenannten Aberrationen höherer Ordnung sind mit der LAL auch Sehschärfen
von weit über 100 Prozent erreichbar.“
Um solches „Tuning“ geht es aber nicht
vorrangig, sondern um Lebensqualität. Inzwischen wurden im Knappschaftskrankenhaus seit April 2008 rund 350 Patienten mit
den neuen Linsen versorgt, so viele wir nirgendwo anders in Europa. Die ersten 150
von ihnen hat Dr. Hengerer im Rahmen
einer Studie über anderthalb Jahre hinweg
regelmäßig nachuntersucht. Nach einem
Jahr lagen alle Augen – egal ob kurz- oder
weitsichtig – innerhalb von maximal einer
Dioptrie um den angestrebten Zielwert herum, auch „extreme“ Augen mit starken
Fehlsichtigkeiten. Bei durchschnittlichen
Augen lagen 99 Prozent innerhalb von 0,5
Dioptrien vom Zielwert, 95 Prozent sogar
nur bis 0,25 Dioptrien davon entfernt. Bei
„extremen“ Augen traf dies immerhin auf
zwei Drittel der Augen zu (s. Abb. 5).
Rund zwei Drittel aller Patienten mit
Grauem Star, schätzt Hengerer, sind für
Abb. 3: Schema der UV-Adjustierung: Das Licht führt zur Verkettung kurzer Moleküle in der Linse. In den
folgenden Stunden gleichen die kurzen Moleküle das Konzentrationsgefälle aus, indem sie an die Stelle der
verketteten, jetzt langen Moleküle wandern. Dadurch verdickt sich die Linse an der bestrahlten Stelle.
die LAL geeignet. Das Hauptkriterium ist,
dass sich die Pupille mindestens sechs Millimeter weit öffnen muss, damit sich die
Linse komplett beleuchten lässt. Da im Alter die Fähigkeit zur Öffnung der Pupille
nachlässt, kommt die Linse nicht für jeden
infrage. Ausschlusskriterien sind zudem
andere Augenkrankheiten wie etwa fortgeschrittener Grüner Star oder schwere Schäden am Auge durch Diabetes.
Dass sich die Linse in Zukunft durchsetzen wird, bezweifelt Dr. Hengerer nicht.
Zwar ist sie teurer als herkömmliche Linsen, aber einzelne Krankenkassen gehen
inzwischen zu Zuzahlungsmodellen über.
Sie übernehmen die Kosten für den Einsatz einer Standardlinse, und der Patient
zahlt nur zu, was bei Sonderlinsen wie
der lichtadjustierbaren Linse an zusätzlichen Kosten anfällt. Zum anderen errei-
chen jetzt langsam die Menschen das Alter, in dem der Graue Star häufiger wird,
die sich in jungen Jahren die Fehlsichtigkeit mit Laserverfahren haben korrigieren lassen. „Wenn die Hornhaut einmal
gelasert ist, kann man noch weniger zuverlässig berechnen, welche Werte die Ersatzlinsen haben müssen“, erklärt der Augenarzt. „Die lichtadjustierbare Linse ist
dann eine elegante Möglichkeit, den Patienten scharfes Sehen ohne Brille zu ermöglichen.“ Nicht zuletzt legen Patienten
auch immer mehr Wert auf Lebensqualität und damit auch gute Sicht.
md
Abb. 5: Ergebnisse der prospektiven Studie an der RUBAugenklinik mit 110 „normalen“ (links), 21 stark kurzsichtigen (Mitte) und 15 stark weitsichtigen (rechts)
Augen. Nach einem Jahr lagen alle Augen innerhalb
von ±1,0 Dioptrie um den angestrebten Zielwert.
1 %
5 %
4 %
19 %
28 %
95 %
innerhalb ±0,25 Dioptrien
zwischen ±0,25 Dioptrien und ±0,5 Dioptrien
67 %
zwischen ±0,5 Dioptrien und ±1 Dioptrie
14 %
67 %
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