Armut und Würde 2 - pro.kphvie.at

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12 / 2013
PUBLIKATIONSREIHE des
Kompetenzzentrums für Menschenrechtspädagogik
an der
KIRCHLICHEN
PÄDAGOGISCHEN
HOCHSCHULE
WIEN/KREMS
OSKAR DANGL
ARMUT UND WÜRDE 2:
AKTUELLE PROBLEME
Armut und Würde 2: Aktuelle Probleme
Der folgende Kurzbeitrag geht der Frage nach dem
Zusammenhang von Menschenwürde und Armut
nach, wie er sich in einem wichtigen aktuellen
Sammelband darstellt (vgl. POLLMANN & LOHMANN
2012). Alle hier verwendeten Einzelbeiträge stammen
aus diesem Sammelband, dessen Bedeutung für
die Menschenrechtspädagogik damit angemessen
gewürdigt werden soll.
1. Armut als Verletzung von Menschenwürde und
Menschenrechten
Tagtäglich sterben weltweit ca. 100.000 Menschen an den
Folgen vermeidbarer Armut. Armut kann definiert werden
als Mangel an fundamentalen Lebensmöglichkeiten,
gravierende Knappheit an Grundgütern, Fähigkeiten,
Lebensaussichten oder Sozialbeziehungen. Demnach ist
arm, wer nicht genug hat von dem, was man zum Leben
braucht. Unterscheiden kann man zwei Arten von Armut
(vgl. POLLMANN 2012, 433):
• Absolute Armut: Sie liegt dann vor, wenn es um das
Leben selbst geht (keine Möglichkeit zu überleben);
• Relative Armut: die Grenze des menschenwürdigen
Lebens.
Die Armut in der Welt ist überwiegend von Menschen
gemacht. Durch die Armut, vor allem die absolute Armut,
werden die Menschenrechte und die Menschenwürde
verletzt. Unter Würde sollte man nicht eine unverletzbare
natürliche oder göttliche Gabe verstehen, sondern
das menschliche Bedürfnis nach einem Leben in
Selbstachtung. Das kann durch Armut auch verletzt
werden. Unter absoluter Armut kann man auf keinen Fall
menschenwürdig leben (vgl. POLLMANN 2012, 436-438).
Das ist kein neues Problem. NGOs brachten bereits in
den 1990er Jahren das Thema Armut als Grundursache
vieler weltweiter Menschenrechtsverletzungen aufs
Tapet (vgl. MIHR 2012, 399f.). Die Lage hat sich seither nicht
gebessert, ganz im Gegenteil. Es entwickelt sich häufig
ein Teufelskreis aus Armut und Gewalt, der immer neu zu
gravierenden Menschenrechtsverletzungen führt. Hunger,
Armut und mangelnde Bildung sind oftmals Ursachen
für das Ausbrechen von Gewalt (vgl. SCHMELZLE 2012,
416f.). Eine Menschenrechtsverletzung erzeugt sozusagen
die nächste: Aus Armut folgt Krieg. Dem Frieden als
wichtigem Menschenrecht der dritten Generation stehen
also nicht nur bewaffnete Konflikte entgegen, sondern
auch Diskriminierung, Armut und Unterentwicklung (vgl.
KÄMPF 2012, 302f.). Besonders betroffen davon sind z.B.
Frauen: Armut ist weiblich (vgl. HOLZLEITHNER 2012,
338f.). Für die aktuelle Diskussion um die Überwindung
dieses Teufelskreises wichtig sind daher Themen wie sozial
gerechte Entwicklung zur Beseitigung der Armut (vgl.
KÄMPF 2012, 302f.).
2. Armutsbeseitigung: Gerechtigkeit und Menschenrechte
Globale Probleme wie weltweite Armut werden sowohl
als Problem der globalen Gerechtigkeit wie als Verletzung
der Menschenrechte angesehen (vgl. KREIDE 2012, 383).
Damit stellt sich die schwierige Frage, wem die Pflicht zur
Armutsbeseitigung zukommt und wer davon profitieren
soll. Dazu gibt es vier Grundpositionen (vgl. POLLMANN
2012, 433-436):
• Globalmoralische Ausdehnung (P. Singer): Alle
wohlhabenden Menschen sind unmittelbar dazu
verpflichtet. Wer kann, ohne dadurch selbst in Armut zu
verfallen, ist streng verpflichtet, den Armen zu geben.
Dieser radikale Vorschlag ist stark kritisiert worden.
• Sozialstaatliche Begrenzung (W. Kersting): Die
Hilfspflicht ist auf Mitglieder der eigenen Gemeinschaft
begrenzt. Das hat zur Konsequenz, dass die armen
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Länder selbst verantwortlich sind für die Beseitigung
der Armut.
• Internationale Erweiterung (J. Rawls): Armut
wird als globales, internationales Phänomen
wahrgenommen. Wohlhabende Länder sind
verpflichtet, armen Ländern zu helfen. Hier werden
aber die Individuen ausgeblendet.
• Kosmopolitische Entgrenzung (Th. Pogge):
Anspruchsberechtigt sind nicht arme Staaten,
sondern arme Menschen.
Aus der Sicht der Menschenrechte sind alle vier Positionen
kritikwürdig. Die vierte Position scheint die aus der Sicht
der Menschenrechte relativ adäquateste zu sein.
Die weltweite Armut wird als Menschenrechtsverletzung
verstanden, die auf Ungerechtigkeit globaler Institutionen
zurückgeht. Primär Schuld an der globalen Armut tragen
also diese Institutionen, damit aber auch Einzelne, die sie
legitimieren und aufrechterhalten. Wenn das so ist, würde
daraus eine individuelle Pflicht zur Bekämpfung der
Armut resultieren als positive Hilfspflicht. Eine zentrale
Frage der Debatte um die Pflichten ist, ob und in welchem
Ausmaß auch Individuen menschenrechtliche Pflichten
haben oder ob sie per se nur (staatlichen) Institutionen
zugerechnet werden können. In einem politischen,
nicht moralischen Verständnis der Menschenrechte
können Menschenrechtsverletzungen jedenfalls nur
von Institutionen und ihren Repräsentanten begangen
werden (vgl. MIETH 2012, 226f.).
Die Ursachenanalyse zeige, dass das internationale
Finanz-, Wirtschafts- und Rechtssystem maßgeblichen
Einfluss auf die Armuts- und Reichtumsentwicklung
habe. Gerechtigkeit und Menschenrechte verweisen
aufeinander: Menschenrechte formulieren Ansprüche
auf ein gerechtes, globales Institutionensystem. Eine
globale Ordnung wiederum ist dann gerecht, wenn sie
die Realisierung der Menschenrechte ermöglicht (vgl.
KREIDE 2012, 383-385).
Jedenfalls hat die neoliberale Marktwirtschaft die Armut
nicht beseitigt. Sie stellt viel eher eine Ursache von
Armut dar. Auf diese Weise können die Menschenrechte
also nicht geschützt werden (vgl. NEUHÄUSER
2012, 407-409). Es braucht also in Überwindung des
ökonomischen Neoliberalismus eine neue, gerechte,
globale Wirtschaftsordnung. Eine der Folgen der
Globalisierung besteht darin, dass die staatliche
Ordnungspolitik zur Kontrolle der freien Märkte stark an
Handlungsfähigkeit eingebüßt hat. Das führt zu einem
Abbau des Sozialstaates. Aus gerechtigkeitstheoretischer
Perspektive ist diese Entwicklung bedenklich. Alternativ
wäre eine globale Ordnungspolitik vorstellbar, für die die
Menschenrechte als normativer Maßstab dienen könnten
(vgl. NEUHÄUSER 2012, 407):
• Art. 22 AEMR garantiert einen Anspruch auf soziale
Sicherheit und die materiellen Grundlagen für ein
Leben in Würde;
• Art. 25 AEMR spricht vom Recht auf materielle
Grundversorgung und Sicherheit in Fällen von
Arbeitslosigkeit und Krankheit;
• Art. 28 AEMR handelt schließlich vom Anspruch auf
eine soziale und internationale Ordnung, in der die
Menschenrechte voll verwirklicht werden können.
Das Wirtschaftssystem müsste so umgebaut werden, dass
es die materiellen Grundlagen für ein Leben in Würde liefert
(vgl. Art. 22, AEMR). Allerdings fehlt dazu im Moment der
politische Wille (vgl. NEUHÄUSER 2012, 409).
Von vorrangiger Bedeutung für die Etablierung eines
globalen gerechten Systems sind die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte. Die
wirtschaftlichen Rechte sind als Freiheitsrechte zu
verstehen. Das selbstbestimmte und eigenverantwortliche
Handeln kann nur dann verwirklicht werden, wenn der
Einzelne seitens des Staates umfassend vor Unterdrückung,
Ausbeutung oder anderen Formen des Zwangs geschützt
ist. Dem Staat kommen in diesem Bereich Achtungs-,
Schutz- und Gewährleistungspflichten zu. Als Hindernisse
gelten folglich Arbeitslosigkeit, fehlende soziale Sicherheit,
extreme Armut, fehlende Gesundheitsversorgung, Mangel
an Bildung usw. (vgl. MAHLER 2012, 272).
Das Recht auf Arbeit ist von großer Bedeutung für die
Realisierung vieler anderer Menschenrechte. Es bildet einen
unabdingbaren Teil der Menschenwürde. Das Recht auf
Arbeit ist ein zentrales wirtschaftliches Menschenrecht, bei
dem es um die Ermöglichung einer freien Teilnahme am
gesellschaftlichen Güter- und Leistungsaustausch geht (vgl.
MAHLER 2012, 272f.). Dasselbe gilt vom Menschenrecht auf
Bildung (vgl. WEIß 2012, 289-291): Es geht darum, für die
vollwertige Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen,
wirtschaftlichen und politischen Leben befähigt zu
werden. Bildung sollte aber nicht nur funktional verstanden
werden, sondern auch als Ziel und Wert an sich begriffen
werden. Sonst droht die Ideologisierung und katastrophale
Verengung auf wirtschaftliche Verwertbarkeit. Das
Menschenrecht auf Bildung ist vom Individuum her und
seinen Bedürfnissen gedacht.
Hinzu tritt das Recht auf Menschenrechtsbildung als
besonders wichtiges Element (Art. 26, AEMR). Bildung
ist darauf gerichtet, die menschliche Persönlichkeit voll
zu entwickeln. Dieses Ziel dient der Verwirklichung der
Menschenwürde und der Stärkung aller Menschenrechte
und Grundfreiheiten. Das Recht auf Bildung ist nicht nur ein
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eigenständiges Menschenrecht, sondern unverzichtbares
Mittel zur Verwirklichung anderer Menschenrechte.
Zum menschenrechtlichen Grundanspruch gehört also
mehr als die Überwindung der absoluten Armut. Es geht
um soziale Sicherheit zum Schutz der Menschenwürde
und zur Ermöglichung eines menschenwürdigen
Lebens. Das Recht auf soziale Sicherheit meint die
Sicherstellung eines angemessenen Lebensstandards
oberhalb des Minimalbedarfs. Es umfasst also mehr
als die Pflicht des Staates, die Menschen vor absoluter
Armut zu bewahren. Die Systeme sozialer Sicherheit
sollen so gestaltet sein, dass jeder einen angemessenen
Lebensstandard erreichen kann, welcher für sein Dasein
in Würde notwendig ist. Das Recht auf soziale Sicherheit
stellt damit eine Grundlage dar für die Verwirklichung
des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard.
Zugleich hat es eine starke politische Dimension, weil es
um gesellschaftliche Solidarität geht (vgl. WYTTENBACH
2012, 280).
Hier stehen die Gewährleistungspflichten des Staates
im Vordergrund. Das funktioniert in Staaten mit einem
etablierten Sozialversicherungssystem einigermaßen.
Das fehlt aber in den Ländern des Südens praktisch
völlig. Entwicklungsländer stehen vor großen Problemen
im Kampf gegen Armut, deren ungeheures Ausmaß eine
Lösung schwierig macht (vgl. WYTTENBACH 2012, 280282). Es erstaunt daher nicht, dass gerade afrikanische
Länder sich für die Realisierung der wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte einsetzen.
Gefordert wird eine Prioritätsverschiebung bei der
Realisierung der Menschenrechte im Sinne der
Privilegierung wirtschaftlicher und sozialer Rechte zur
Realisierung eines menschenwürdigen Daseins. Damit
leisten die afrikanischen Debatten einen wichtigen Beitrag
zur Diskussion und Umsetzung der Menschenrechte, der
darin besteht, dass sie den lokalen Kontext sprengen
und auf institutionelle Rahmenbedingungen verweisen
(vgl. SCHULZ 2012, 355-357).
3
Literatur
HOLZLEITHNER Elisabeth (2012): Feministische
Menschenrechtskritik; in: POLLMANN Arnd & LOHMANN
Georg (Hrsg.), Menschenrechte. Ein interdisziplinäres
Handbuch, Verlag J.B. Metzler: Stuttgart, 338-343
KÄMPF Andrea (2012): Frieden; in: POLLMANN Arnd
& LOHMANN Georg (Hrsg.), Menschenrechte. Ein
interdisziplinäres Handbuch, Verlag J.B. Metzler:
Stuttgart, 302-304
KREIDE Regina (2012): Menschenrechte und globale
Gerechtigkeit; in: POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg
(Hrsg.), Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch,
Verlag J.B. Metzler: Stuttgart, 383-389
MAHLER Claudia (2012): Wirtschaftliche Rechte;
in: POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg (Hrsg.),
Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag
J.B. Metzler: Stuttgart, 272-275
MIETH Corinna (2012): Unterlassungs-, Schutz- und
Hilfspflichten; in: POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg
(Hrsg.), Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch,
Verlag J.B. Metzler: Stuttgart, 224-228
MIHR
Anja
(2012):
Die
Rolle
von
Menschenrechtsorganisationen und NGOs; in:
POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg (Hrsg.),
Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag
J.B. Metzler: Stuttgart, 379-400
NEUHÄUSER Christian (2012): Globale Wirtschaftsordnung;
in: POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg (Hrsg.),
Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag
J.B. Metzler: Stuttgart, 407-409
POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg (2012) (Hrsg.),
Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag
J.B. Metzler: Stuttgart
POLLMANN Arnd (2012): Armut; in: POLLMANN
Arnd & LOHMANN Georg (Hrsg.), Menschenrechte.
Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag J.B. Metzler:
Stuttgart, 433-438
SCHMELZLE Cord (2012): Militärische Interventionen,
>failed states>, >Schurkenstaaten<; in: POLLMANN
Arnd & LOHMANN Georg (Hrsg.), Menschenrechte.
Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag J.B. Metzler:
Stuttgart, 410-417
SCHULZ Dorothea E. (2012): Menschenrechte und
afrikanische Kulturen; in: POLLMANN Arnd & LOHMANN
Georg (Hrsg.), Menschenrechte. Ein interdisziplinäres
Handbuch, Verlag J.B. Metzler: Stuttgart, 353-357
WEIß Norman (2012): Bildung; in: POLLMANN Arnd
& LOHMANN Georg (Hrsg.), Menschenrechte. Ein
interdisziplinäres Handbuch, Verlag J.B. Metzler:
Stuttgart, 289-292
WYTTENBACH Judith (2012): Soziale Sicherheit;
in: POLLMANN Arnd & LOHMANN Georg (Hrsg.),
Menschenrechte. Ein interdisziplinäres Handbuch, Verlag
J.B. Metzler: Stuttgart, 280-282
Autor
DDr. Oskar Dangl
Studium der katholischen Theologie mit Schwerpunkt Alttestamentliche Bibelwissenschaften; Studium der Pädagogik mit
Schwerpunkt Skeptische Pädagogik; Lehrender an der Kirchlichen
Pädagogischen Hochschule Wien/Krems in den Bereichen Erziehungswissenschaft und Religionspädagogik; Leiter des Kompetenzzentrums Menschenrechtspädagogik; Lehrbeauftragter an
der Universität Wien (Institut für Bildungswissenschaft); Tätigkeit
im Rahmen der kirchlichen Erwachsenenbildung (Theologischer
Fernkurs).
IMPRESSUM: Herausgeber: Kompetenzzentrum für Menschenrechtspädagogik an der KPH Wien/Krems, Mayerweckstr.1, 1210 Wien; Dr. Monika Bayer, MSc und DDr. Oskar
Dangl; [email protected]; [email protected]; http://pro.kphvie.ac.at/mere; DOI: 10.1371/journal.pbio.0020449; © bei der Autorin/dem Autor
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