Kapitel X. Reibungsinstabilitäten und Quietschen

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Kapitel X. Reibungsinstabilitäten und Quietschen
Einführung
Technische Systeme mit Reibung sind vom Gesichtspunkt der Systemdynamik nichtlineare dissipative, offene Systeme. Auch wenn ein solches System eine stationäre Bewegung ausführen kann,
ist diese nicht immer stabil. Die in vielen technischen Reibungssystemen (Bremsen, Gleitlager,
Rad-Schiene-Kontakte usw.) auftretenden Instabilitäten können zum einen zum erhöhten Verschleiß und Bildung von unerwünschten Strukturen auf den Reiboberflächen (Riffeln auf den
Schienen, Rissbildung, Polygonisierung der Bahnräder), zum anderen zum subjektiv unangenehmen Vibrieren oder Geräuschen verschiedener Natur (Heulen, Pfeifen, Quietschen) führen. Für
das Problem der Bekämpfung von Bremsenquietschen oder Kurvenquietschen gibt es in vielen
Bereichen bis heute noch keine Lösungen, die zuverlässig und preisgünstig technisch umgesetzt
werden könnten. Auch in den Anwendungen, wo Quietschen den technischen Vorgang an sich
nicht beeinträchtigt, sind viele Lösungen alleine wegen des Quietschens und der damit verbundenen Komfortstörung nicht brauchbar. So können in vielen Bereichen der Gleitlagertechnik die
Gleitlager aus Manganhartstahl trotz der hervorragenden Verschleißbeständigkeit nicht eingesetzt
werden, da sie quietschen. In diesem Kapitel untersuchen wir einige Modelle der Reibungsinstabilitäten, die es erlauben, ein besseres Verständnis der Bedingungen einer stabilen oder instabilen
Bewegung zu gewinnen und praktische Empfehlungen zur Bekämpfung der Instabilitäten zu erarbeiten.
Mechanismen von Reibungsinstabilitäten
1. Abfallende Abhängigkeit der Reibungskraft von der Gleitgeschwindigkeit
Als erstes betrachten wir das einfachste Ersatzmodell einer Reibpaarung, in dem einer der Reibpartner als eine starre Ebene und der andere als ein starrer Block der Masse m modelliert wird.
Die ganze Elastizität des Systems wird in einer Feder mit der Steifigkeit k zusammengefasst. Der
Block wird über die Feder mit der Geschwindigkeit v0 über die starre Oberfläche gezogen. Es
wird angenommen, dass die Reibungskraft in der Kontaktfläche eine für alle Gleitgeschwindigkeiten definierte Funktion F ( x ) der Gleitgeschwindigkeit ist.
Bild 1: Ein Block wird auf einer Oberfläche an einer Feder gezogen
Die Bewegungsgleichung für den Block lautet:
mx + F ( x ) + kx = kv0t ,
(1.1)
1
Offenbar hat sie immer eine stationäre Lösung
x = x0 + v0t
(1.2)
mit
x0 = −
F ( v0 )
.
k
(1.3)
Ob diese stationäre Lösung in einem realen Vorgang realisiert werden kann, hängt von der Stabilität dieser Lösung bezüglich immer vorhandenen kleinen Störungen. Zur Untersuchung der Stabilität der stationären Lösung nehmen wir an, dass die stationäre Lösung (1.2) schwach gestört wird.
Das heißt, wir untersuchen eine Lösung der Form
x = x0 + v0t + δ x
(1.4)
mit einer kleinen Abweichung δ x . Nach Einsetzen von (1.4) in die Bewegungsgleichung (1.1)
und Linearisierung bezüglich der Störung δ x erhalten wir die folgende lineare Gleichung für die
Störung:
mδ x+
dF ( x )
δ x + kδ x = 0
dx x = v0
(1.5)
Nach Einsetzen des üblichen Exponentialansatzes δ x ∝ eλt kommen wir zur charakteristischen
Gleichung
λ2 +
1 dF
k
( v0 )λ + = 0 .
m dx
m
(1.6)
Die Wurzeln der charakteristischen Gleichung sind
2
1 dF
⎛ 1 dF ⎞ k
λ1,2 = −
± ⎜
⎟ − .
2m dx
⎝ 2m dx ⎠ m
(1.7)
Haben beide charakteristische Zahlen einen negativen Realteil, so wird eine beliebige Störung der
stationären Lösung (1.2) exponentiell abklingen, und die stationäre Bewegung ist (gegenüber
kleinen Störungen) stabil. Hat dagegen eine der charakteristischen Zahlen (oder beide gleichzeitig) einen positiven Realteil, so ist die Bewegung instabil. Die Bedingung für Stabilität ist in diesem Fall nur erfüllt, wenn
dF
( v0 ) > 0 .
dx
(1.8)
Mit anderen Worten: Instabilität tritt dann auf, wenn die Reibungskraft mit zunehmender Geschwindigkeit abnimmt, wie es z. B. bei geschmierten Systemen beim Übergang von der Mischreibung zur hydrodynamischen Schmierung der Fall ist. Wenn die Reibungskraft von der Geschwindigkeit nur schwach abhängt, so kann man (1.7) in der Form
λ1,2 ≈ −
1 dF
k
1 dF
± − =−
± iω0
2m dx
2m dx
m
(1.9)
umschreiben, aus der offenbar ist, dass die kleine Störung
δ x ∝ eγ t ±iω t
0
(1.10)
2
eine Oszillation mit der Eigenfrequenz ω 0 = k / m des Systems ohne Reibung und einer positi1 dF
darstellt.
ven bzw. negativen Dämpfung γ =
2m dx
Die vorangegangene Analyse zeigt, dass für eine Instabilität nach dem in diesem Abschnitt untersuchten Mechanismus zwei Merkmale charakteristisch sind:
1. Die Bedingung für das Auftreten der Instabilität hängt nur von der Abhängigkeit der Reibungskraft von der Geschwindigkeit ab. Sie kann daher nicht durch Änderung der Steifigkeit des Systems beeinflusst werden.
2. Die charakteristische Frequenz der auf diese Weise auftretenden Schwingungen wird dabei
praktisch nur von der Eigenfrequenz des „Resonators“ (des Tribosystems als Ganzes) bestimmt.
Diese Unabhängigkeit der Frequenz der akustischen Strahlung bei instabilen Reibungsvorgängen
wird in vielen tribologischen Systemen und bei der Metallbearbeitung experimentell bestätigt. So
beeinflussen in vielen Fällen praktisch alle Parameter des Tribosystems, wie seine Zusammensetzung, relative Geschwindigkeit der Körper und Rauheit von Oberflächen zwar die Intensität der
akustischen Emission bei Reibung, nicht aber deren Frequenzspektrum [1].
Die betrachtete Art der Instabilität lässt sich beheben, indem im System eine ausreichend große
Dämpfung eingeführt wird. Diese Dämpfung lässt sich durch Schaltung eines linearen Dämpfers
mit der Dämpfungskonstante α parallel zur Feder modellieren. Die Bewegungsgleichung nimmt
unter der Berücksichtigung der Dämpfungskraft die Form
mx + α x + F ( x ) + kx = kv0t
(1.11)
an, die entsprechende linearisierte Gleichung die Form
mδ x + αδ x +
dF ( x )
δ x + kδ x = 0 .
dx x = v0
(1.12)
Die Stabilitätsbedingung lautet in diesem Fall
α+
dF
( v0 ) > 0 .
dx
(1.13)
Diese Bedingung ist bei ausreichend großer Dämpfung auch dann erfüllt, wenn die Ableitung
dF / dx einen negativen Wert hat. Durch eine von außen angebrachte Dämpfung lässt sich eine
instabile Bewegung stabilisieren (das gilt allerdings nur in dem betrachteten einfachen Modell mit
einem Bewegungsfreiheitsgrad).
2. Abwesenheit stationärer Lösungen in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich
Im vorigen Abschnitt sind wir von der Hypothese ausgegangen, dass die Reibungskraft bei beliebigen Geschwindigkeiten bestimmt ist. Es gibt aber keine physikalischen Gründe, warum das immer so sein muss. Im einfachen Reibungsmodell von Tomlinson mit einer unterkritischen Dämpfung gibt es z.B. keine makroskopisch stationären Lösungen mit Gleitgeschwindigkeiten unterhalb einer kritischen Geschwindigkeit. Das Reibungsgesetz im Tomlinson-Modell ist schematisch
im Bild 2 dargestellt. Bei kleinen Kräften befindet sich das System im Gleichgewicht (Geschwindigkeit gleich Null). Übersteigt die Kraft einen kritischen Wert (statische Reibungskraft, Punkt B
im Bild 2), so gibt es keine Gleichgewichtslösungen. Das System "springt" zum Punkt C, dem ein
makroskopisch stationärer Bewegungszustand entspricht. Wird nun die Kraft zurückgenommen,
so kann sich der Körper bei unterkritischer Dämpfung auch bei einer Kräften, die unterhalb der
statischen Reibungskraft liegen, bewegen. Bei Kräften, bzw. Geschwindigkeiten kleiner als dieje-
3
nigen, die dem Punkt D entsprechen, gibt es keine stationären Bewegungszustände des Systems:
Der Körper kommt auf einer mikroskopischen Zeitskala zum Stillstand (Punkt A).
F
Fs
Fc
B
C
A
D
vc
v
Bild 2. Schematische Darstellung des Reibungsgesetzes im Tomlinson-Modell
Wird jetzt der Körper über eine Feder mit einer Geschwindigkeit v0 gezogen, so gibt es eine stationäre Lösung der Bewegungsgleichungen nur wenn v0 > vc ist. Bei kleineren Geschwindigkeiten wird offenbar eine Stick-Slip-Bewegung entstehen: Der Körper befindet sich zunächst im Ruhezustand, die Feder dehnt sich linear mit der Zeit, bis die Federkraft die statische Reibungskraft
erreicht. Nach einem Übergangsvorgang findet sich der Körper in einem stationären Bewegungszustand mit einer Geschwindigkeit oberhalb von vc (Punkt C). Die Federkraft nimmt jetzt mit der
Zeit ab, bis die Kraft und Geschwindigkeit den Punkt D erreicht haben, wonach der Körper wieder in den Ruhezustand übergeht. Bei kleinen Gleitgeschwindigkeiten wird der Körper den größten Teil der Zeit im Ruhezustand verbringen. Die Periode der Stick-Slip-Bewegung kann dabei
aus der Gleichung Fs − Fc kv0T abgeschätzt werden:
T
Fs − Fc
.
kv0
(2.1)
Anders als bei dem dF / dv < 0 -Mechanismus ist die Schwingungsperiode in diesem Fall ungefähr
umgekehrt proportional der Gleitgeschwindigkeit (und die Frequenz entsprechend proportional
der Geschwindigkeit). Die mittlere Reibungskraft über die Periode der Oszillationen ist dabei unF + Fc
gefähr F s
. Die genannten Gesetzmäßigkeiten werden im Bild 3 durch eine numerische
2
Simulation illustriert.
4
Bild 3. Im Bild sind Ergebnisse einer numerischen Simulation für ein "erweitertes TomlinsonModell" gezeigt, bei dem ein Massenpunkt im periodischen Potential mit einer Feder der Federsteifigkeit k=0.01 gezogen wird. Das makroskopische Reibungsgesetz in diesem Modell entspricht dem Bild 2. Bei Gleitgeschwindigkeiten größer als die kritische Geschwindigkeit führt der
Körper eine "makroskopisch stationäre Bewegung" (mikroskopisch ist sie natürlich nicht stationär
und weist schnelle Oszillationen auf einer mikroskopischen Zeitskala auf). Bei Gleitgeschwindigkeiten unterhalb der kritischen Geschwindigkeit entstehen Oszillationen der Federkraft zwischen
den Werten Fs und Fc. Die schwarze Kurve zeigt die Kraft nach der Filterung von hochfrequenten
Komponenten. Man sieht, dass der Mittelwert ungefähr in der Mitte zwischen Fs und Fc liegt.
Auch die Verminderung der Oszillationsfrequenz mit der Abnahme der Gleitgeschwindigkeit ist
gut sichtbar.
Auch bei diesem Mechanismus lässt sich die Instabilität durch Einführung einer passenden Dämpfung beheben: Wird parallel zur Feder ein Dämpfer mit einer solchen Dämpfungskonstante α0
eingeführt, sodass
α0 vc = Fs − Fc
(2.2)
ist, so ist die im Bild 2 beschriebene Hysterese nicht möglich, da die Reibungskraft bei der kritischen Geschwindigkeit bereits gleich der statischen Reibungskraft ist. Um die Güte der Abschätzung (2.2) zu illustrieren, betrachten wir ein numerisches Beispiel. Auf dem Bild 4a sind Ergebnisse numerischer Lösung der Gleichung
x(t ) + α x (t ) + sin( x(t )) = k ( X (t ) − x(t ))
(2.3)
mit α = 0.6 , k = 0.02 und einer sich mit wachsender Geschwindigkeit ändernden Koordinate
X (t ) . Bei kleinen Geschwindigkeiten sieht man eine ausgeprägte Stick-Slip-Bewegung. Die kritische Geschwindigkeit lässt sich mit vc 0.5 bestimmen; die minimale kinetische Reibungskraft
ist Fc 0.72 . Nach (2.2) sollte ins System zur Behebung der Instabilität eine zusätzliche Dämpfung α0 0.56 eingeführt werden. Die gesamte Dämpfung wäre somit α = 1.16 . Die Dynamik
des Systems mit dieser Dämpfung ist im Bild 4b dargestellt. Man sieht, dass die makroskopische
Stick-Slip-Bewegung nicht mehr vorhanden ist.
b
5
α = 0.6
α =1.16
Geschwindigkeit
Geschwindigkeit
a
b
Bild 4. a: Abhängigkeit der Federkraft von der momentanen Gleitgeschwindigkeit (proportional
zur Zeit) im System (2.3) mit einer unterkritischen Dämpfung α = 0.6 . b: Dasselbe mit der kritischen Dämpfung α = 1.16 .
Die Gleichung (2.2) liefert also eine einfache und zuverlässige Abschätzung der zur Behebung
einer Instabilität erforderlichen Dämpfung. Diese Methode funktioniert aber nicht immer (s. Aufgabe 1).
3. Abhängigkeit der Stabilitätsbedingungen von der Steifigkeit des Systems und internen
Variablen
In den in Anschnitten 1 und 2 betrachteten Mechanismen der Instabilität ist die Bewegung bei
einer mittleren Gleitgeschwindigkeit unterhalb einer kritischen Geschwindigkeit immer instabil,
unabhängig von anderen Parametern des Systems (z.B. von der Steifigkeit der Feder). In der Praxis zeigt sich allerdings, dass viele Systeme sich durch Änderung der Steifigkeit des Systems stabilisieren lassen. Um diese Eigenschaft zu verstehen und ausnutzen zu können, müssen die Ursachen untersucht werden, die zur Abhängigkeit der Stabilitätsbedingung von der Steifigkeit des
Systems führen.
Eine mikroskopische Betrachtung des Reibungsprozesses zeigt, dass die Reibungskraft ein Ergebnis von Prozessen in einer Zwischenschicht zwischen beiden kontaktierenden Körpern und in deren Oberflächenschichten auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Skalen ist. Verläuft ein
Teil dieser Prozesse auf einer Skala, die vergleichbar oder größer ist als die charakteristische Skala der instabilen Bewegung, so dürfen diese Prozesse nicht "pauschal" durch ein makroskopisches
Reibungsgesetz charakterisiert werden, sondern sie müssen explizit betrachtet werden. Mit anderen Worten: Während die makroskopische stationäre Reibungskraft immer nur eine Funktion von
der Gleitgeschwindigkeit und der Normalkraft ist, kann die momentane Reibungskraft bei hochfrequenten Reibungsvorgängen von zusätzlichen "internen Variablen" mit eigener Dynamik abhängen. Die Änderung der Steifigkeit des Systems ändert die charakteristische Frequenz der instabilen Bewegung und kann somit das Zusammenspiel von Prozessen auf verschiedenen Zeitskalen beeinflussen.
In der Literatur gibt es mehrere Versuche, den Reibungsvorgang mit internen Variablen zu modellieren. Die Idee von internen Variablen wurde ursprünglich von Ruina [4] auf Erdbebendynamik
6
angewendet. In manchen Fällen haben diese Variablen klare physikalische Bedeutungen (wie z.B.
die Temperatur), in anderen Fällen werden in den internen Variablen phänomenologische Erfahrungen und Beschreibungen zusammengefasst. Allgemein erhält man für N interne Variablen folgendes Differentialgleichungssystem:
mx + kx = − F ( x , yi ) + kv0t
y i = gi ( yi , x )
mit i = 1… N
(3.1)
Im Folgenden sollen Systeme mit einer internen Variable betrachtet werden. Dazu wird für das
System
mx + kx = − F ( x , y ) + kv0t
y = g ( y , x )
(3.2)
die lineare Stabilitätsanalyse durchgeführt. Aus Symmetriegründen hängt die Funktion g nicht
vom Ort x ab, wenn die Oberflächen homogen sind. Nur dieser Fall soll hier betrachtet werden.
Stabilitätsanalyse
Die stationären Lösungen des Gleichungssystems (3.2) sind gegeben durch
xst = x0 + v0t
g ( y st , v0 ) = 0
(3.3)
F ( v0 , y st )
. Falls sich die implizite Funktion g ( y st , v0 ) = 0 nach y st auflösen lässt, so ist
k
y st = y st ( v0 ) . Für kleine Störungen δ x, δ y folgt nach linearer Entwicklung um die stationären
mit x0 = −
Punkte aus (3.3) und Einsetzen des Exponentialansatzes eλt :
( λ 2 + f v λ + ω 0 )δ x + f y λδ y = 0
2
(3.4)
− g vδ x + ( λ − g y )δ y = 0
Dabei gelten folgende Abkürzungen:
ω0 2 :=
k
1 ∂F
; f v :=
m
m ∂x
x = v0 , y = y st
; f y :=
1 ∂F
m ∂y
x = v0 , y = y st
; g v :=
∂g
∂x
x = v0 , y = yst
; g y :=
∂g
∂y
x = v0 , y = yst
(3.5)
Dieses Gleichungssystem hat nur dann nicht-triviale Lösungen, wenn die Systemdeterminante
verschwindet, was zu folgendem charakteristischen Polynom führt:
λ 3 + ( f v − g y )λ 2 + (ω0 2 + f y g v − f v g y )λ − ω0 2 g y = 0
(3.6)
Stabilität der stationären Bewegung bedeutet, dass nur Lösungen mit Re λ < 0 in Frage kommen.
Im Gegensatz zu Gleichung (1.6) ist diese charakteristische Gleichung kubisch. Die für Re λ < 0
notwendigen und hinreichenden Bedingungen liefert das sog. Hurwitz-Kriterium, das zu folgenden drei Stabilitäts-Bedingungen führt:
−gy > 0
fv − g y > 0
(3.7)
f v (ω0 + f y g v − f v g y ) − f y g v g y + f v g y > 0
2
2
Man erkennt nun zum einen, dass die Stabilität nicht nur von der Änderung der Reibungskraft mit
der Geschwindigkeit f v abhängt, sondern insbesondere auch die Federsteifigkeit (über die Frequenz ω0 ) in die Bedingungen mit eingeht. Andererseits sind nun auch instabile Bewegungen
7
möglich, obwohl f v > 0 gilt, da die Stabilität bereits dann verloren geht, wenn nur eine Ungleichung des Systems (3.7) nicht erfüllt ist. Nimmt man nun f v > 0 und g y < 0 , und setzt
g y = − g y , so folgt nach einigen Umformungen, dass die Federsteifigkeit im Falle einer stabilen
Gleitbewegung folgende Bedingung erfüllen muss:
ω0 2 =
fv + g y
k kc
> =−
m m
fv
(f g
y
v
+ fv g y
)
(3.8)
Die kritische Federkonstante kc ist damit eine Funktion der Zuggeschwindigkeit v0 (da alle Größen über (3.5) von v0 abhängen) und gibt im k - v0 -Diagramm die Kurve an, die die Grenze des
stabilen Bereichs kennzeichnet.
Schmierung mit polaren Molekülen
Als konkretes Beispiel eines Reibungssystems mit internen Variablen betrachten wir ein geschmiertes System, wobei als Schmiermittel ein Fett benutzt wird. Das Schmiermittel wird modelliert als ein dünner Film polarer Moleküle, die mit einem Ende an den festen Oberflächen haften.
Die anderen Enden wechselwirken miteinander so, dass durch die „Verknotung“ eine zeitliche
Abhängigkeit der Reibungskraft entsteht. Wir approximieren die zeitliche Abhängigkeit der statischen Reibungskraft mit einem exponentiellen Gesetz:
t
−
⎛
FR = F0 ⎜ 1 − e τ
⎝
⎞
⎟.
⎠
(3.9)
Im Falle des Gleitens hingegen werden die „Verknotungen“ gelöst. Führt man nun eine ZeitVariable als interne Variable ein, die damit auch ein Maß für den Verknotungsgrad der Moleküle
ist, so findet man folgende phänomenologische Gleichung:
y = 1 −
yx
.
D
(3.10)
Die zugehörige Kraft lautet dann:
y
− ⎞
⎛
FR = F0 ⎜ 1 − e τ ⎟ .
⎝
⎠
(3.11)
Es gilt y = t , wenn das System im Haftzustand ist, die Zunahme der Haftkraft durch immer größere Moleküldurchdringung nach Gl.(3.9) wird also richtig beschrieben. Im Gleitzustand ist die
stationäre Lösung hingegen gegeben durch
y0 =
D
v0
(3.12)
was zu einer konstanten Reibungskraft führt, die nicht den maximalen, aber einen nichtverschwindenden Wert
v
− c ⎞
⎛
FR = F0 ⎜ 1 − e v0 ⎟ < F0
⎜
⎟
⎝
⎠
besitzt. Dieser wird u.a. durch eine charakteristische Geschwindigkeit vc =
(3.13)
D
τ
bestimmt, die
8
durch die charakteristischen Größen D und τ gegeben ist. Die charakteristische Länge D gibt die
Längenskala an, auf der die Verbindungen der Moleküle gebrochen werden, was in der Praxis
einige Ångström sind, während die charakteristische Zeit τ die Relaxationszeit der Eigendiffusion der Moleküle angibt (sie kann im Bereich Sekunden liegen).
Es ist klar, dass in diesem System nur sehr kleine Geschwindigkeiten zu einer nicht verschwindenden bleibenden Reibungskraft aufgrund der Verknotung der Kettenmoleküle führen, denn für
große Geschwindigkeiten ist
v
− c ⎞
⎛
v0 vc
FR = F0 ⎜ 1 − e v0 ⎟ ⎯⎯⎯
→0 .
⎜
⎟
⎝
⎠
(3.14)
Sehr wichtig ist dieser Effekt jedoch für den Anfangszustand: hier wird sich zunächst, nach hinreichend langer Haftungszeit, ein maximaler Verkettungsgrad ergeben, der bei einer anfänglichen
Bewegung des Systems zunächst überwunden werden muss. Dabei können sehr große Kräfte auftreten, die i.a. als Losbrechinstabilitäten bezeichnet werden.
Das zugehörige Stabilitätsdiagramm hat folgende Gestalt:
Bild 5: Verlauf der Instabilitätsgrenze für ausgewählte Parameterwerte
und ergibt sich aus der Formel für die kritische Federsteifigkeit:
⎛
k kc
1 v0 ⎞ ⎛ F0 vc
v
1 v0 ⎞
exp( − c ) −
> = γ 2 ⎜1 +
⎟⎜
⎟
2
m m
v0 γτ vc ⎠
⎝ γτ vc ⎠ ⎝ mDγ v0
(3.15)
4. Kritische Dämpfung und konstruktive Verhinderung des Quietschens
Die Betrachtung von kontaktierenden Körpern eines Reibungssystems als Einzelmassen ist eine
starke Vereinfachung der Realität. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkung die verteilte Elastizität von Tribopartnern hat. Insbesondere ist es von Interesse nachzuprüfen, ob die Einführung
einer Dämpfung in das System die Entwicklung der Instabilität auch dann verhindern kann, wenn
diese Dämpfung „weit entfernt“ von der Reiboberfläche eingeführt wird.
9
In diesem Abschnitt modellieren wir die Bewegung eines starren Körpers auf einer elastischen
Schicht. Wir gehen sofort zu der linearisierten Aufgabe über und nehmen an, dass im System
kleine Schwingungen bereits vorhanden sind. Es soll festgestellt werden, ob ihre Amplitude mit
der Zeit wächst oder abnimmt. Zu diesem Zwecke untersuchen wir die Energiedissipation in einer
ebenen elastischen Schicht (Platte) mit der Dicke l, welche an der oberen Oberfläche periodisch
angeregt wird (Bild 8). Diese Aufgabe ist eine Teilaufgabe bei der Untersuchung der Stabilitätsbedingungen bei trockener Reibung. Je besser die Energie im System dissipiert wird, desto besser
ist die Stabilität des Reibungsvorgangs. Eine maximale Stabilität wird erreicht, wenn die gesamte
von der oberen Fläche abgestrahlte Energie an der unteren Oberfläche dissipiert wird. Dieser optimalen Situation entspricht eine ebene Welle, die sich in der Richtung von der oberen Oberfläche
zu der unteren Oberfläche ausbreitet.
σ = σ 0 e− iω t
x
l
Bild 6.
Gelöst wird die Wellengleichung
∂ 2u G ∂ 2u
=
∂t 2 ρ ∂x 2
(4.1)
wobei G ist der Schubmodul und ρ die Dichte der Platte. Die Dissipation an der unteren Oberfläche berücksichtigen wir, indem wir annehmen, dass die Platte unten nicht unmittelbar mit einer
starren Oberfläche, sondern über eine linearviskose Schicht verbunden ist. Die Randbedingungen
lauten unter diesen Annahmen wie folgt:
G
∂u
∂x
= σ 0 eiω t
(4.2)
∂u
∂t
(4.3)
x =0
und
G
∂u
∂x
=α
x =l
x =− l
Wir suchen eine Lösung in der Form einer sich in der negativen Richtung ausbreitenden Welle
(also keine Abspiegelung an der unteren Grenze):
u = u0 eiω t +ikx
(4.4)
Das Einsetzen in die Gleichungen (4.1), (4.2) und (4.4) liefert:
ω = G/ρ
(4.5)
10
Gu0ik = σ 0
(4.6)
Gu0ik = α u0iω
(4.7)
Aus der letzten Gleichung folgt, dass die gesuchte Lösung mit einer vollständigen Absorption der
Energie auf der unteren Grenze nur bei einem bestimmten Wert der Dämpfungskonstante existiert:
α = Gρ
(4.8)
Bei dieser Dämpfung gibt es keine Rückstrahlung der von oben fallenden Welle.
Wie könnte diese kritische Dämpfung realisiert werden? Um realistische konstruktive Lösungen
vorschlagen zu können, haben wir ein weiteres Modell untersucht, in dem eine elastische Schicht
mit elastischen Eigenschaften von Stahl mit einem viskoelastischen Material (Polymer) gekoppelt
ist. Wegen deren mathematischen Kompliziertheit werden diese Berechnungen hier nicht aufgeführt (s. aber Aufgabe 2). Das Ergebnis der Berechnungen: Eine optimale Dämpfung wird unter
Annahme von für Polymere typischen elastischen und viskosen Eigenschaften bei einer Schichtdicke von größenordnungsmäßig 5 cm erreicht. Dieser konstruktiver Vorschlag wurde realisiert
und in einem Experiment untersucht.
Ergebnisse einer experimentellen Realisation der oben beschriebenen Idee
Das Ziel war, die Quietschgeräusche in Gleitlagern aus Manganhartstahl zu beheben. Die beiden
kontaktierenden Körper einer tribologischen Paarung - der innere und der äußere Zylinder eines
Gleitlagers - wurden einmal ohne Polymerschicht und einmal mit Polymerschicht gefahren. Charakteristische Ausmaßen der Schicht können dem Bild 6 entnommen werden.
Bild 7. Buchsen aus Manganhartstahl mit Polymerbeschichtung.
Im Bild 8 sind die gemessenen Spektraldichte in beiden Experimenten gezeigt.
11
a
b
Bild 8. Im Bild a ist Spektraldichte der akustischen Strahlung in einem Gleitlager ohne Polymerschicht und im Bild b mit Polymerschicht gezeigt. Die Intensität ist in dB angegeben, so dass die
gesamte Intensität im zweiten Fall um mehrere Größenordungen kleiner ist, als im ersten (nicht
gedämpften) Fall.
Im System mit einer dämpfenden Schicht war nur das Geräusch der Prüfmaschine selbst zu hören.
Das Quietschen war vollständig verschwunden.
5. Festigkeitsaspekte beim Quietschen
Man hört oft, dass das Quietschen nur ein Problem der Komfortbeeinträchtigung ist und dass das
technische System an sich nicht beeinträchtigt wird. In diesem Paragraphen untersuchen wir die
Frage, inwieweit diese Behauptung richtig ist. Wir betrachten wieder das im Paragraph 1 beschriebenes Modell, nehmen jetzt aber an, dass der obere Körper nicht starr sondern elastisch ist
und die Ausmaße l × d × h hat (l ist die Länge in der Bewegungsrichtung, h - Höhe des Körpers).
Eine explizite Betrachtung der Elastizität des Körpers wird uns erlauben, die inneren Spannungen
abzuschätzen. Wir fragen nach der Amplitude der Schwingungen des Körpers, die sich infolge der
12
Instabilität einstellen und der elastischen Spannungen im Körper. Die lineare Stabilitätsanalyse
führt zu einer exponentiell steigenden Schwingungsamplitude. Diese wird in einem realen System
durch Nichtlinearitäten begrenzt. Die stärkste Nichtlinearität tritt dann auf, wenn die Oszillationsamplitude der Geschwindigkeit die mittlere Gleitgeschwindigkeit erreicht. Dabei ändert sich die
Gleitrichtung; mit ihr ändert sich abrupt das Vorzeichen der Reibungskraft. Die Amplitude der
Geschwindigkeitsschwingungen wird deshalb immer von oben durch einen Wert ungefähr gleich
der mittleren Gleitgeschwindigkeit v0 beschränkt. Die Oszillationsamplitude ist dementsprechend
gleich x0 = v0 / ω und die Amplitude der Kraft gleich F0 = kx0 = kv0 / k / m = v0 km .
Unter Berücksichtigung der Beziehungen F0 = σ 0ld , k = Gld / h und m = ρ ldh , wobei σ 0 die
Spannungsamplitude, G der Schubmodul und ρ die Dichte des Materials sind, erhalten wir für
die Amplitude der Spannungen
σ 0 = v0 ρ G
(5.1)
Die Spannungen hängen somit nur von der Gleitgeschwindigkeit ab! Dies ist ein sehr allgemeines
Ergebnis, das auch unter der Berücksichtigung von anderen Anregungsmoden gültig bleibt: Die
Spannungen in dem durch Reibungsinstabilität des betrachteten Typs erregten Oszillationen hängen nicht vom Wellenvektor der angeregten Schwingungen ab und werden nur durch die Gleitgeschwindigkeit bestimmt. Die Geschwindigkeit
v0 =
σF
ρG
(5.2)
mit σ F als Festigkeitsgrenze des Materials ist somit in der Regel eine kritische Gleitgeschwindigkeit, nach der das Material zerstört wird. Aber auch schon unterhalb dieser Geschwindigkeit können die Schwingungen zu den Ermüdungseffekten führen. Für einen Stahl mit der Zugfestigkeitsgrenze 500 MPa und der daraus resultierenden Scherfestigkeitsgrenze (nach Von Mises)
σ F = 288 MPa erhalten wir für die kritische Geschwindigkeit v0 12,4 m/s. Bei größeren Gleitgeschwindigkeiten würde Quietschen zur Zerstörung von stählernen Bauteilen führen!
6. Sprag-Slip
In allen vorangegangenen Modellen wurde nur die Bewegung des Systems in der Gleitrichtung
untersucht. In Wirklichkeit kann auch die Bewegung in der Richtung senkrecht zur Reiboberfläche das Verhalten eines tribologischen Systems wesentlich beeinflussen. In diesem Abschnitt betrachten wir das einfachste Modell, dass die Verknüpfung der Normal- und der Longitudinaldynamik beschreibt. Wir untersuchen ein System vom Typ "Stift-Scheibe" und modellieren es als
ein Massenpunkt mit zwei Freiheitsgraden (in x und y-Richtungen und elastischer Kopplung mit
der Ebene und dem Befestigungssystem. Der Stift sei unter einem Winkel θ zur Normale geneigt
(Bild 8). Die Neigung führt dazu, dass die Bewegungsfreiheitsgrade in x und y-Richtungen gekoppelt sind: Eine Verschiebung des Kontaktpunktes in der x-Richtung ändert die Länge des Stiftes und somit die normale Druckkraft, die wiederum die Bewegung in der Longitudinalrichtung
beeinflusst.
Zur Aufstellung der Bewegungsgleichungen nehmen wir an, dass das System in der Stabrichtung
durch den Steifigkeitskoeffizienten k& und in der Querrichtung durch den Steifigkeitskoeffizienten k ⊥ charakterisiert wird. Eine Verschiebung in der x-Richtung um x führt zu einer Verschiebung in der Stabrichtung Δ & = x sinθ und in der Querrichtung Δ ⊥ = x cosθ . Eine Verschiebung in
der y-Richtung ruft die folgenden Verschiebungen in der Longitudinal- und Querrichtung hervor:
Δ & = − y cosθ , Δ ⊥ = y sin θ . Eine gleichzeitige Verschiebung in beiden Richtungen führt also zu
den folgenden Quer- und Longitudinalbewegungen des Stabes:
13
Δ & = − x sinθ + y cosθ
(6.1)
Δ ⊥ = x cosθ + y sin θ
(6.2)
θ
y
x
Bild 9. Illustration zum Sprag-Slip.
Die potentielle Energie des Systems ist somit
k& Δ & k ⊥ Δ ⊥ 2
+
2
2
1
= x 2 ( k& sin 2 θ + k⊥ cos 2 θ ) − xy ( k& − k⊥ ) sin 2θ + y 2 ( k& cos 2 θ + k⊥ sin 2 θ )
2
2
U=
(
)
(6.3)
Die Bewegungsdifferentialgleichungen ohne Berücksichtigung der Reibungskräfte würden die
Form haben:
mx + x ( k& sin 2 θ + k⊥ cos 2 θ ) −
1
y ( k& − k⊥ ) sin 2θ = 0
2
(6.4)
my + y ( k& cos2 θ + k⊥ sin 2 θ ) −
1
x ( k& − k⊥ ) sin 2θ = 0
2
(6.5)
Zur Einführung der Reibungskräfte werden wir noch die vertikale Federkraft brauchen:
∂U
1
= y ( k& cos2 θ + k⊥ sin 2 θ ) − x ( k& − k⊥ ) sin 2θ
∂y
2
(6.6)
Die Bewegungsdifferentialgleichungen mit einer konstanten Normalkraft und einer geschwindigkeitsunabhängigen Reibungskraft haben die Form:
mx + x ( k& sin 2 θ + k⊥ cos 2 θ ) −
1
y ( k& − k ⊥ ) sin 2θ
2
1
⎡
⎤
= − ⎢ N − y ( k& cos 2 θ + k⊥ sin 2 θ ) + x ( k& − k⊥ ) sin 2θ ⎥ μ
2
⎣
⎦
my + y ( k& cos 2 θ + k⊥ sin 2 θ ) −
1
x ( k& − k⊥ ) sin 2θ = N .
2
(6.7)
(6.8)
14
Entsprechende charakteristische Gleichung:
mλ 2 + ( k& sin 2 θ + k ⊥ cos 2 θ ) −
−
μ
(k
2
&
− k ⊥ ) sin 2θ ; −
1
k& − k ⊥ ) sin 2θ + μ ( k& cos 2 θ + k⊥ sin 2 θ )
(
2
mλ 2 + ( k& cos 2 θ + k ⊥ sin 2 θ )
1
( k& − k⊥ ) sin 2θ ;
2
(6.9)
Wir bemerken, dass bei gleichen longitudinalen und transversalen Steifigkeiten die beiden Bewegungen entkoppelt sind. Bei
Δk = k & − k ⊥ k &
(6.10)
kann man die Gleichung (6.9) leicht lösen. Die Stabilitätsbedingung lautet
sin 2θ >
k&
Δk ⋅ μ
(6.11)
Daraus sieht man, dass die Bewegung stabil sowohl bei kleinen Winkeln, als auch bei ausreichend
großen Winkeln (in der Nähe 90°) ist. Die "ungünstigsten" Winkel sind Winkel in der Nähe von
45°. Eine Instabilität gibt es weiterhin nur wenn
k&
<1
Δk ⋅ μ
(6.12)
ist (andernfalls kann die Gleichung (6.11) bei keinen Winkeln erfüllt werden).
AUFGABEN
Aufgabe 1. Untersuchen Sie das makroskopische Reibungsgesetz für das im Kapitel... §... beschriebene Modell mit Scherschmelzen bzw. "Scher-Erweichen" der Oberflächenschicht.
Lösung:
(1) Analytische Berechnungen. Im übergedämpften Fall wird das Verhalten der Schichten durch
die Differentialgleichungen
⎞
1⎛
μ
(1)
u = ⎜ σ −
sin k0u ⎟
η⎝
k0 d
⎠
⎛
μ = −2γ ⎜ 2α (T − Tc ) μ + 2bμ 2 +
⎝
⎞
2μ
1 − cos k0u ) ⎟
2 2 (
k0 d
⎠
(2)
beschrieben [...]. Die analytischen Überlegungen ergeben für die statische Reibspannung
⎛
1 ⎛
1 1
⎞⎞⎞
⎛ 1
4κ 2 − 4κ + 9 ⎟⎟ ⎟
σ S = ⎜ κ − sin ⎜ arccos ⎜ − κ + +
2 ⎝
4 4
⎝ 2
⎠⎠⎠
⎝
1 ⎛
1 1
⎞⎞
⎛ 1
+ sin ⎜ 2arccos ⎜ − κ + +
4κ 2 − 4κ + 9 ⎟⎟
4 ⎝
4 4
⎝ 2
⎠⎠
und die kinetische Reibspannung
σ K =
2κ − 1
H ( 2κ − 1) ,
2
wobei
15
1
2
κ = α (Tc − T ) k02 d 2 ,
τ=
1
.
2α (Tc − T ) γ
Die kritische Geschwindigkeit, d. h. die kleinste Geschwindigkeit bei der die Bewegung gerade
noch stattfindet, kann man mit den dargestellten Überlegungen nicht berechnen. Das liegt daran,
dass die Formeln nur für ausreichend große Geschwindigkeiten gelten, d. h. in Fällen bei denen
die Änderung des Schubmoduls sehr viel langsamer abläuft als die Bewegung. Mit der Relaxationszeit τ des Ordnungsparameters kann man diese Bedingung als
2π
u (3)
k0τ
formulieren.
(2) Numerische Berechnungen
Die Differentialgleichungen (1) und (2) können numerisch gelöst werden, ohne der Beschränkung
(3) zu unterliegen. Für eine vorgegebene Spannung σ erhält man den Zeitverlauf für u ( t ) und
μ ( t ) . Erhöht man die Spannung sehr langsam, kann man den Zusammenhang zwischen der angelegten Spannung und der mittleren Geschwindigkeit
u ermitteln (Bild 9). Die numerisch berechneten Spannungen σ S und σ K zeigen eine gute Ü-
bereinstimmung mit den analytisch bestimmten. Man erkennt ferner, das die kritische Geschwin−1
digkeit in der Größenordnung von 2π ( k0τ ) liegt.
Auch in diesem Fall gibt es eine stationäre Bewegung nicht für alle Gleitgeschwindigkeiten. In
einem Versuch, in dem die mittlere Geschwindigkeit kontrolliert wird, wird es demnach eine
Stick-Slip-Bewegung entstehen. Ein möglicher Mechanismus des Quietschens ist somit eine dynamische Erweichung und Verfestigung von Oberflächenschichten.
Bild 10: Außenangelegte Spannung in Abhängigkeit von der mittleren Geschwindigkeit für
κ =1
Es sei bemerkt, dass trotz einer formalen Ähnlichkeit des Reibungsgesetzes im Bild 9 mit dem im
Bild 2, ist der physikalische Inhalt beider sehr verschieden. Die Hysterese ist in diesem Fall mit
der Kinetik des Schubmoduls verbunden.
16
Aufgabe 2. Betrachten Sie ein System bestehend aus einer elastischen Schicht und einer viskoelastischen Schichten. Das System wird an der Oberfläche der elastischen Schicht periodisch angeregt. Zu bestimmen sind die Bedingungen für die Abwesenheit der Rückstrahlung der elastischen
Wellen (d.h. volle Absorption durch die viskoelastische Schicht).
Lösung: Wir untersuchen die elastischen Scherwellen einer festen, elastischen und unendlich ausgedehnten Schicht (Bild 10).
Bild 11.
Die Anregung wird – da wir später auch mit komplexen Amplituden rechnen werden – mit
σ x = 0 = σ 0 e−iω t
(11.4)
angenommen. Im elastischen Material werden Scherwellen auftreten (und nur Scherdeformationen werden wir hier berücksichtigen), die mit der Wellengleichung
d2
ρ1u − G1 2 u = 0
(11.5)
dx
beschrieben werden, wobei ρ1 die (konstante) Dichte und G1 der Schermodul des oberen Materials sind. Über den komplexwertigen Ansatz
u = u0 eikx − iω t
(11.6)
erhält man daraus die Dispersionsrelation
ω 2 = c12 k 2 =
G1
ρ1
k2
(11.7)
und daraus
k = ±ω
ρ1
G1
(11.8)
Im viskoelastischen Material gilt eine ähnliche Gleichung. Dort jedoch finden auch dissipative
Prozesse statt, die sich mit einem komplexen elastischen Modul beschreiben lassen. Hier folgt aus
dem Ansatz
u = u0 eilx −iω t
(11.9)
17
die Dispersionsrelation
ω 2 = c22l 2 =
G2
ρ2
l2
(11.10)
mit komplexwertigem Schubmodul G2 und komplexwertigem Wellenvektor l , sodass
G2 := GR + iGI
(11.11)
l := l R + ilI
oder, alternativ, in Betrag und Phase dargestellt:
G2 = G2 eiφ
(11.12)
l = l eiψ
Da die Frequenz reell sein soll, folgt aus Gl. (11.10) nach Einsetzen von Gl. (11.12):
ψ1 = −
φ
2
(11.13)
φ
ψ2 = − +π
2
Wenn der komplexe Schermodul bekannt ist, können zwei Wellenvektoren berechnet werden. Für
die Beträge gilt
l =ω
ρ2
(11.14)
G2
Wir werden die Lösung des Wellenvektors mit l = l eiψ 1 ansetzen und den zweiten Winkel durch
den negativen Wellenvektor ausdrücken.
Wir lösen die jeweiligen Wellengleichungen nun durch den Ansatz
u1 ( x, t ) = aeikx + be−ikx e−iω t
(11.15)
sowie in der zweiten Schicht
(
)
(
)
u2 ( x, t ) = ceilx + de−ilx e−iω t
Die Randbedingungen an den Rändern der beiden Schichten lauten:
σ (0, t ) = G1u1′(0, t ) = σ 0 e−.iω t
u1 ( H , t ) = u2 ( H , t )
σ ( H , t ) = G1u1′( H , t ) = G2u2′ ( H , t )
(11.16)
(11.17)
Die Randbedingung am unteren Ende hängt davon ab, ob die Schicht hier freibeweglich (freies
Ende) oder eingespannt ist (festes Ende).
Für freies Ende ergibt sich die Randbedingung
σ ( H + h, t ) = G2u2′ ( H + h, t ) = 0
(11.18)
für festes Ende entsprechend
u2 ( H + h, t ) = 0 .
(11.19)
Die folgende Rechnung wird für das freie Ende durchgeführt, die Rechnung für festes Ende bleibt
dem Leser zur Übung überlassen.
Einsetzen der Ansätze (11.15) und (11.16) in die Randbedingungen (11.17) und (11.18) liefert die
folgenden Gleichungen:
18
G1ik(a − b) = σ 0
aeikH + be−ikH = ceilH + de−ilH
G1ik(aeikH − be−ikH ) = G2il(ceilH − de−ilH )
(11.20)
G2il(ceil ( H + h) − de−il ( H + h) ) = 0
Wir sind nun speziell an dem Fall interessiert, wo maximale Dissipation in der zweiten Schicht
auftritt. Dies ist gerade dann der Fall, wenn keine rücklaufende Welle im ersten Medium existiert,
also b = 0 ist. Dann reduziert sich das Gleichungssystem (11.20) auf
a=
σ0
ikG1
aeikH = ceilH + de−ilH
G1kae
ce
ikH
il ( H + h)
= G2 l(ce
= de
ilH
− de
(11.21)
−ilH
)
−il ( H + h)
Die Lösung dieses Gleichungssystems ist nur dann eindeutig möglich, wenn die folgende Nebenbedingung erfüllt ist:
G1k
= −i tanlh
(11.22)
G2 l
Stellt man den Tangens durch Exponentialfunktionen dar, kann man die rechte Seite umformen,
und man erhält, nachdem die linke Seite mit l = l R + ilI erweitert und Gl.(11.10) berücksichtigt
wurde:
Gk
sinh(2l I h) − i sin(2l R h)
G1k
l = 1 2 (lR + ilI ) =
(11.23)
2
G2 l
cosh(2lI h) + cos(2l R h)
ρ2ω
Schreibt man den Wellenvektor mit Betrag und Phase und berücksichtigt Gl. (11.8) und (11.14),
so erhält man
sinh(2 l hsin ψ ) − i sin(2 l h cosψ )
ρ1G1
(cosψ + i sin ψ ) =
(11.24)
cosh(2 l h sin ψ ) + cos(2 l h cos ψ )
ρ 2 G2
Diese beiden Gleichungen (Real- und Imaginärteil) müssen nun gelöst werden. Dabei ist klar,
dass Variation der Schichtdicke h der viskoelastischen Schicht alleine nicht ausreicht, um beide
φ
Gleichungen zu erfüllen. Daher erlauben wir auch eine Variation des Phasenwinkels ψ = − , der
2
direkt an den Materialparameter
G
φ = arctan I
(11.25)
GR
gekoppelt ist.
Wir führen folgende Abkürzungen ein
A :=
ρ1G1
ρ 2 G2
(11.26)
x := 2 l h
und erhalten:
A(cosψ + i sin ψ ) =
sinh(x sin ψ ) − i sin(x cos ψ )
cosh(x sin ψ ) + cos(x cos ψ )
(11.27)
19
Diese Gleichung ist nun für gegebenes A zu lösen. Wir schreiben Gl. (11.27) in Real- und Imaginärteil getrennt:
A cosψ (cosh(x sin ψ ) + cos(x cosψ )) = sinh(x sin ψ )
(11.28)
Asin ψ (cosh(x sin ψ ) + cos(x cosψ )) = − sin(x cosψ )
(11.29)
Wir nehmen zunächst an, dass ψ klein ist. Für x können wir eine solche Annahme aber nicht machen, denn da ψ positiv ist, steht in Gl. (11.29) links eine positive, rechts aber eine negative Größe. Daher müssen wir x so wählen, dass ein positives Vorzeichen entsteht, wir setzen also
x = π +δ
(11.30)
Zunächst ergibt sich damit aus der Division von Gl.(11.29) durch Gl.(11.28):
sin (x cos ψ ) sin (x cos ψ − π )
tan ψ = −
=
sinh (x sin ψ )
sinh (x sin ψ )
und nach Entwicklung bis zur zweiten Ordnung
⎛ ⎛ ψ2⎞
⎞
2
− π⎟ δ − π ψ
sin ⎜ x ⎜ 1 −
⎟
2 ⎠
⎝ ⎝
⎠
2 ,
ψ≈
≈
sinh (xψ )
(π + δ )ψ
(11.31)
(11.32)
woraus folgt:
3
2
δ ≈ πψ 2 .
Einsetzen in Gl.(11.28) und Entwicklung bis zur zweiten Ordnung liefert:
⎛ π 2ψ 2 δ 2 ⎞
A⎜
+ ⎟ = (π + δ )ψ ,
2⎠
⎝ 2
(11.33)
(11.34)
also erhält man nach Einsetzen von (11.33)
ψ=
2
πA
(11.35)
und damit
x
h=
=
2l
Numerische Werte (für A=33) sind
6
π A2 .
2l
π+
x = 3,14335
ψ = 0,0192842
Die linke Seite von Gl. (11.27) wird mit diesen Werten zu
32, 9938 + i0, 6363
die rechte hingegen zu
32, 9938 + i 0, 6380
was also in guter Näherung übereinstimmt.
Für das feste Ende ergibt sich:
sinh(2 l hsin ψ ) + i sin(2 l h cosψ )
ρ1G1
(cosψ + i sin ψ ) =
cosh(2 l h sin ψ ) − cos(2 l h cos ψ )
ρ 2 G2
(11.36)
(11.37)
(11.38)
(11.39)
(11.40)
Die Lösung kann man um δ und Δ mit
20
ψ=
π
4
−Δ
(11.41)
2 l h=δ
entwickeln und erhält:
δ=
Δ=
Die Lösung für ψ nahe
π
2
A
(11.42)
δ2
24
bedeutet, dass φ ≈ −
π
, also verschwindet der Realteil des komple4
2
xen Schubmoduls fast ganz und es wird eine viskose Flüssigkeit mit minimalem Schubmodul beschrieben.
Literatur
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V.L. Popov: Technical Physics 46, 605 (2001)
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21
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