Keine heile Welt bei Bachs Sohn Man kann klassische Musik als routinemäßigen Beitrag zur Kultur und Bildung im Alltag bringen – oder man kann sie lebendig vergegenwärtigen. Letzteres ist dem Moderator der „Kammermusik auf dem Dinkelberg“, Michael Ruf, mit dem letzten Konzert der Saison geglückt. Das lag auch am geschlossenen Programm aus der Zeit von Friedrich dem Großen. Nach Urte Lucht (Cembalo) hat der Preußenkönig nämlich in seinem Schloss Sanssouci in Potsdam etwa 1000 Konzerte veranstaltet und zum Teil selbst mitgestaltet. So fragten sich die begeisterten Hörer und Hörerinnen im evangelischen Gemeindezentrum Östringen, ob der Regierungschef der Preußen vor 260 Jahren wirklich so flüssig und virtuos Flöte spielen konnte, wie es an diesem sonnigen Frühlingssonntag am Tor des Kraichgaus zu hören war. Na ja, dachten viele, er hatte ja den Flötenlehrer Johann Joachim Quantz, dem er am Lebensabend sogar eine Pension spendierte. Bei dessen D-Dur Sonate betonte Heike Nikodemus zusammen mit der Cembalistin im Arioso-Satz den Gegensatz zwischen dem gemächlichen Schreittanz und den schwindelerregenden Sechzehnteln. Mit ihrer historischen Traversflöte, die sie auch erläuterte, konnte sie auch bei der g-moll Sonate des Preußenkönigs selbst die im Barock so geliebten starken und schwachen Töne abwechseln lassen. „Das richtige Artikulieren macht Spaß“, kommentierte sie nach dem Konzert. „Diese Flötenmusik ist etwas Ästhetisches!“. Das merkten die Gäste gleich am Anfang, als die Sonate G-Dur von Friedrich Wilhelm Benda (gestorben 1814) erklang. Der Sohn von Friedrichs Hofmusiker lässt das Allegro mit stürmischen Läufen im Vierertakt beginnen, beschleunigt das Ganze noch mit vielen Verzierungen – und hält plötzlich inne, mit einem Legato der Flöte und einem Echo auf dem Cembalo. Dieses Hin und Her – es passt zur Sturm- und Drangzeit. So passte auch als Zugabe das weitere Allegro desselben Komponisten. Auf die Frage „Ist hier überall heile Welt?“ protestierte Urte Lucht im anschließenden Gespräch. „Bei Carl Philipp Emanuel Bach geht es zur Sache: Die Welt ist da oft in Unordnung!“ Tatsächlich hatte sie bei der Cembalo-Sonate g-moll dieses Sohnes von Johann Sebastian Bach sozusagen alle Register gezogen: die neuartigen, orgelnden Basstöne, die marschmäßigen und dann wieder bedächtigen Passagen. „Attacca!“ hieß ja auch der Kommentar des Komponisten nach dem Adagio: und „vorwärtstreibend“ interpretierte Lucht diese Musik, die schon auf die Impressionisten vorausweist. Dagegen hat Vater Bach bei der abschließenden Sonate h-moll (BWV 1030) ein ruhigeres Werk geschrieben. Aber auch hier konnten die beiden gut harmonisierenden Meisterinnen ihres Fachs mit rasanten Fugen und Staccato-Passagen beeindrucken. Badische Neueste Nachrichten am 16.04.2013 von Eike Schmidt-Lange