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Pressekonferenz
anläßlich der 38. Wiesbadener Tagung des BVA, 19.11.98
Hilfe bei schwersten Augenverletzungen
Hauptursache für einseitige Erblindung sind Verletzungen. Das gilt für alle
industrialisierten Länder, auch für Deutschland. Die meisten Unfälle wären
vermeidbar. Sie werden durch leichtsinniges Verhalten provoziert, oder sie
geschehen, weil auf Schutzmaßnahmen verzichtet wird. Im Haushalt, beim
Heimwerken und in der Freizeit kommen Augenverletzungen weit häufiger vor als an
Arbeitsplätzen, wo Schutzbrillen Vorschrift sind. Bei der Bearbeitung von Metall
splittern Partikel ab, die mit einer sehr hohen kinetischen Energie die Augenhüllen
durchschlagen können. Durch den unvorsichtigen Umgang mit Messern, Scheren
und anderen spitzen Gegenständen entstehen Stichwunden, die als Spießung des
Augapfels bezeichnet werden. Kinderaugen sind von diesen Unfällen besonders oft
betroffen. Verkehrsunfälle, Explosionen und Prügeleien verursachen zumeist
großflächige und stumpfe Traumen. In schweren Fällen zerreißt dabei sogar der
Augapfel. Ätzende Flüssigkeiten wie Säuren und Laugen bewirken verheerende
Zerstörungen der Bindehaut, der Hornhaut, der Linse und schlimmstenfalls sogar des
Augeninneren.
Die Aussicht, auch ein schwer verletztes Auge zu retten, hat sich in den vergangenen
vierzig Jahren ganz wesentlich verbessert. Der Anteil der Patienten, die nach
Verletzungen ein Auge verlieren, ist von 80 % (1972) auf 2 % (1997)
zurückgegangen. Immer häufiger gelingt es, dem Patienten zumindest
"orientierendes Sehen" zu erhalten. Worauf ist dieser enorme Fortschritt
zurückzuführen? Zum einen auf das moderne Operationsmikroskop, das die
verfeinerte Rekonstruktion des Auges ermöglicht. Zum anderen wurden neue
Techniken entwickelt. So kann man heute die Narbenbildung im Auge verringern,
den Glaskörper absaugen, und es stehen Glaskörpertamponaden zur Verfügung wie
Silikonöl und intraokulare Spülungen, die gleichzeitig die überschießende
Wundheilung hemmen.
Verätzungen durch Säuren oder in noch größerem Ausmaß durch Laugen haben zur
Folge, daß die äußeren Hüllen des Auges zugrunde gehen (Nekrose). Es bleiben
entstellende Narben; das Auge ist blind und schrumpft. Bei solchen Unfällen hängt
sehr viel von der "ersten Hilfe" ab. Die sofort zu ergreifenden Maßnahmen sind:
Sofortige und ausdauernde Spülung des Auges mit klarem Wasser oder einer
anderen Flüssigkeit (Öl, Milch, Bier). Fremdkörper wie z.B. Kalkkrümel müssen dabei
unbedingt entfernt werden, und der Patient wird auf dem schnellsten Weg zum
Augenarzt gebracht. In den meisten Fällen ist dieses Vorgehen hilfreich; es versagt
aber, wenn bei umfangreichen Nekrosen tiefe Geschwüre in Lederhaut und Hornhaut
drohen.
Ein aufwendiges Operationsverfahren, bei dem gesundes Gewebe aus der Tiefe der
Augenhöhle nach vorne gezogen und auf die Lederhaut aufgenäht wird
(Tenonplastik), wurde in den 80-er Jahren an der Augenklinik der
Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen entwickelt. Mit dieser
Methode gelingt es, schwerstverätzte Augen vor der drohenden Narbenschrumpfung
zu bewahren. In einem zweiten Eingriff muß dann die getrübte Hornhaut durch eine
klare Spenderhornhaut ersetzt werden (Keratoplastik). Leider trüben sich gerade
nach schweren Verätzungen die Transplantate häufig wieder ein. Versuche, die
Hornhaut durch künstliches Material zu ersetzen, sind in der Erprobung. Der
Durchbruch ist hier noch nicht erreicht.
Zusammenfassend kann man sagen, daß dank der Fortschritte der deutschen
Augenheilkunde heute sehr vielen Patienten mit schwersten Augenverletzungen eine
Restfunktion ihres Sehvermögens erhalten werden kann. Aber sie müssen ertragen,
daß oft mehrere Eingriffe und Klinikaufenthalte erforderlich sind.
Verletzungen, bei denen Fremdkörper in das Augeninnere eindringen oder die
Augenhüllen zerreißen, stellen eine der größten Herausforderungen an die
Augenchirurgie dar. Seit Eingriffe mit endoskopischen Instrumenten unter dem
Operationsmikroskop im Augeninneren möglich sind, die ein Vordringen bis zur
Netzhaut erlauben, haben sich die Chancen wesentlich verbessert, auch
schwerstverletzte Augen zu erhalten. Mit einer einzigen Operation werden die
zerrissenen Augenhüllen vernäht, tief in den Augapfel eingedrungene Fremdkörper
entfernt und zerstörte Gewebsanteile abgesaugt. Damit beugt der Operateur einer
besonders gefürchteten Komplikation, der Narbenbildung im Augeninneren, vor.
Bilden sich solche Narben, dann ziehen sie entweder die Netzhaut von der sie
ernährenden Aderhaut ab, oder sie zerstören den Strahlenkörper des Auges. Die
Folge: Im Augeninneren kann keine Flüssigkeit mehr gebildet werden, und das Auge
schrumpft.
Bei schweren Verletzungen ist meist auch die Augenlinse durchschlagen. Sie wird
dann entfernt und durch eine Kunststofflinse ersetzt. Ist die Hornhaut ebenfalls
verletzt, wird unter Umständen eine Hornhauttransplantation erforderlich.
Vorbeugen ist besser als Heilen.
Das beste Beispiel für die segensreiche Wirkung der Prophylaxe ist der enorme
Rückgang der Frontscheibenverletzungen nach Einführung der Anschnallpflicht.
Auch der größte Teil der übrigen Augenunfälle ist vermeidbar. Augenärzte empfehlen
dringend, bei Augen gefährdenden Arbeiten im Haus und bei bestimmten Sportarten,
Schutzbrillen zu tragen.
Info:
Vitreoretinale Chirurgie (Corpus vitreum = Glaskörper, Retina = Netzhaut):
Eingriffe im Augeninneren. Dabei werden durch ein Endoskop Instrumente und eine
Lichtquelle - bei Bedarf auch Laserlicht - in das Auge eingeführt. Der Operateur
steuert die Funktionen Schneiden, Spülen, Absaugen. Der vom Glaskörper befreite
Innenraum wird mit einer Gasblase oder mit Silikon gefüllt.
Keratoplastik:
Transplantation eines Scheibchens von der Hornhaut eines Verstorbenen auf die
Hornhaut des Patienten, der zuvor ein Scheibchen ähnlicher Größe entnommen
wurde. Nachsorge besonders wichtig, da drohende Abstoßungsreaktionen mit
sofortiger hochdosierter Kortisonbehandlung aufgehalten werden können.
Hornhautbank:
Spenderhornhäute werden konserviert und bei Bedarf jeweils für den Empfänger
abgerufen, für den sie geeignet sind. Durch das neue Transplantationsgesetz wurden
für die Hornhautspende klare Rechtsverhältnisse geschaffen. Die Erwartungen
richten sich auf eine erhöhte Anzahl von Hornhautspenden. Derzeitiger Bedarf an
Hornhauttransplantaten in Deutschland: ca. 5.000 pro Jahrbei etwa 3.500 Spenden.
Keratoprothese:
Ersatz einer Hornhaut durch einen Kunststoffzylinder. Die Verankerung kann durch
unterschiedliche Materialien erfolgen. Bekannteste Methode: die Keratoprothese
nach Stampelli, bei der zur Verankerung ein eigens zugeschliffener Zahn verwendet
wird. Das Verfahren ist noch mit vielen Problemen behaftet.
Prof.Dr.med. Bernd Kirchhof
Augenklinik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
Tel (0241) 8088191
Fax (0241) 8888408
e-mail: [email protected]
Abbildungen eines Auges nach Laugenverätzung sowie nach Therapie mit Hornhautverpflanzung und
Limbusstammzelltransplantation können beim Autor angefordert werden.
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