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Von Wahnsinnsarie bis Heavy Metal
SMS ShortMusicStories oder: Musik für Einsteiger
Neue werktägliche Sendereihe in SWR2 mit Musikgeschichte(n) für offene Ohren
Georg Brandl: Der Titel der neuen werktäglichen Sendereihe in SWR2 lässt aufhorchen, klingt auf
jeden Fall nicht nach dem, was man gemeinhin im Kulturradio erwartet. Wie kam es zu diesem
Titel und was verbirgt sich dahinter?
Lotte Thaler: Dass der Titel eher locker daherkommt und jugendlich klingt, ist durchaus
beabsichtigt, denn wir möchten mit der Reihe junge Hörer ansprechen und für Themen der
Musik interessieren. Das kann man nicht mit erhobenem Zeigefinger tun, sondern nur auf
Augenhöhe. Deshalb kooperieren wir mit dem Institut LernRadio der Musikhochschule Karlsruhe
und dem SWR-Jugendangebot DASDING.
Jürgen Christ: Natürlich ist der Titel auch ganz konkret zu verstehen: nämlich als Klammer für
insgesamt 250 kompakte Beiträge, die auf unterhaltsame und zugleich informative Weise kurze
Geschichten zu den vielfältigen Themen aus der Welt der Musik erzählen - „ShortMusikStories“
eben.
G.B.: Zugleich verweist der Untertitel der Reihe, „Musik für Einsteiger“ auch auf ein konkretes
musik- und medienpädagogisches Interesse. Was ist dafür der Hintergrund?
L.T.: Es ist leider so, dass in den Schulen der Musikunterricht immer mehr abgebaut wird, dass
Musikschulen geschlossen werden, dass in den Elternhäusern immer weniger Zeit vorhanden ist,
um den Kindern Musik zu vermitteln. In dieser Situation übernehmen wir als öffentlich-rechtlicher
Sender nehmen wir unseren bildungspolitischen Auftrag ernst, und leisten einen Teil dessen, was
draußen nicht mehr stattfindet. Entsprechend versuchen wir mit unseren „ShortMusicStories“ junge
Menschen an die Welt der Musik heranzuführen und ihnen Lust auf mehr zu machen.
G.B.: Was wird denn konkret in dieser Sendereihe zu hören sein?
J.C.: Wir haben das Spektrum bewusst sehr weit gefasst und berücksichtigen gleichermaßen
Themen aus den so genannten Bereichen der E-Musik wie aus der U-Musik. Dementsprechend
wird Musik aus der ganzen Welt, aus allen Zeiten, aus allen Sparten zu hören sein: von ganz
aktueller, zeitgenössischer Musik über Popmusik bis hin zu dem natürlich, was man gemeinhin
als Klassik bezeichnet. Dabei geht es natürlich auch um Musikgeschichte, Grundlagen der Musik,
Musikbegriffe oder Komponisten, ebenso gibt es aber Beiträge zu Musikgeschichte, Studiotechnik,
Musikgeschäft und gesellschaftlichen Phänomenen.
L.T.: Diese thematische Vielfalt trägt auch der Tatsache Rechnung, dass sich heutzutage der
historische Musikbegriff enorm erweitert hat, sowohl zurück bis ins Mittelalter als auch nach
vorne bis in die unmittelbare Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Dass dabei die eigentliche
Klassik von Haydn, Mozart und Beethoven etwas von ihrer herausgehobenen Sonderrolle verliert,
liegt auf der Hand. Musikalisches Grundwissen ist im Jahr 2005 etwas anderes als in den
Jahren 1970 oder 1950.
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G.B.: Sind denn überhaupt schon alle Themen festgelegt?
L.T.: Nein, ein Jahr ist ja eine ziemlich lange Zeit, und da ist es, glaube ich, sehr wichtig,
dass wir Freiräume haben. Bisher haben wir erst rund die Hälfte der Themen bestimmt. Alles
Weitere ist noch offen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich bei dieser Reihe ja um ein
echtes Experiment handelt, für das wir keine Vorbilder haben. Entsprechend werden wir in den
ersten Wochen und Monaten sehr viele Erfahrungen sammeln und diese dann für die
Fortentwicklung der Sendereihe nutzen. Erst wenn die Reihe läuft, können wir feststellen, wo wir
gegebenenfalls nachjustieren müssen.
G.B.: Gibt es denn eine Chronologie der Beiträge, etwa von den Anfängen notierter Musik im
Frühmittelalter bis zur Loveparade?
L.T.: Nein, wir vermeiden bewusst jede Chronologie. Man muss also nicht um die Sendung 43
zu verstehen, alle vorausgegangenen Sendungen auch gehört haben. Jeder Beitrag soll in sich
abgeschlossen sein und muss für sich alleine stehen können. Entsprechend liegt das
Experimentelle dieser Sendereihe nicht nur in der Breite der Themen, sondern auch in ihrer
zeitlichen Organisation, die es ermöglicht, jederzeit einzusteigen. Dabei achten wir
selbstverständlich darauf, dass es eine innere Dramaturgie gibt: So wird es sicher nicht
vorkommen, dass wir drei Porträts von Komponisten hintereinander senden, auch wird es keine
Woche geben, in der nicht auch ein Pop-Thema berücksichtigt wird.
J.C.: Man muss bei einer auf so einen langen Zeitraum angelegten Sendereihe natürlich auch
bedenken, dass wir nicht erwarten können, dass die Hörer jeden Tag zwischen 17.50 Uhr und
18.00 Uhr am Radio sitzen und auf ihre tägliche „ShortMusikStory“ warten. Hinzu kommt, dass
eine solche Art der Darstellung vielleicht auch viel eher einem geänderten Verständnis der
jungen Menschen entspricht, die an eine Gleichzeitigkeit der verschiedensten Stilrichtungen von
Musik gewöhnt sind und eine innere Logik nicht unbedingt an zeitlicher Abfolge festmachen.
G.B.: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Internet?
J.C.: Selbstverständlich ist geplant, die Reihe durch ein umfangreiches Internetangebot zu
ergänzen, das parallel zu den Sendungen ausgebaut wird. Dort kann man gezielt nach einzelnen
Themen recherchieren, es gibt vertiefende Informationen, Literaturhinweise und CD-Empfehlungen
und natürlich wird dort auch eine Übersicht aller gesendeten und geplanten Beiträge zu finden
sein. Zusätzlich sollen Manuskripte und Audio-Files zur Verfügung gestellt werden.
G.B.: Wesentliche Voraussetzung für „ShortMusikStories“ ist die Kooperation des SWR mit dem
Institut LernRadio, einem viersemestrigen Aufbaustudiengang, in dem Absolventen deutscher
Musikhochschulen zu diplomierten Musikjournalisten ausgebildet werden. Wie sieht denn diese
Kooperation ganz konkret aus?
L.T.: Der wichtigste Aspekt dieser Kooperation ist, dass Studenten des LernRadios diese Reihe
als Autoren bestreiten. Etwa 25 Studenten und Absolventen des LernRadios produzieren die
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einzelnen Beiträge. Dabei werden sie innerhalb des LernRadios von Tutoren betreut. Die
Schlussredaktion liegt dann bei Wolfgang Gushurst (DASDING), Wolf Loeckle (BR/LernRadio)
und mir.
J.C.: Aus Sicht der beteiligten Studenten bietet diese Kooperation eine wunderbare Chance, Radio
hautnah zu erleben und Erfahrungen zu sammeln, von denen sie später, wenn sie in den Beruf
rausgehen, nur profitieren können. Auch wenn wir in Karlsruhe eine eigene Frequenz haben
(UKW-Frequenz im Großraum Karlsruhe 104,8 MHz, Anm. d. Red.) und ein eigenes
Programm machen, können wir diese professionellen Arbeitsbedingungen und redaktionellen
Abläufe so nicht vermitteln.
G.B.: Könnte man in diesem Sinne von einem doppelten medienpädagogischen Konzept der
Reihe sprechen? Einerseits Jugendliche für Musikthemen zu interessieren und auf der anderen
Seite, Studenten des LernRadios an ihren späteren Beruf als Musikjournalisten heranzuführen.
J.C.: Ganz genau, wobei die Studierenden einen enormen Respekt davor haben, Beiträge für ein
so renommiertes Kulturprogramm zu produzieren. Sie wollen es sehr gut machen. Und
dementsprechend geben sie sich größte Mühe und brauchen mitunter viel Zeit für ihre Beiträge.
Das birgt natürlich auch ein Problem, denn sie haben im Rahmen ihres Studiums natürlich noch
viele andere Aufgaben zu bewältigen. Deshalb haben wir auch die Möglichkeit eingeräumt,
mehrere Beiträge für diese Sendereihe zu kumulieren und die besten als Diplomarbeit
einzureichen.
In diesem Zusammenhang möchte ich eines ganz deutlich herausstellen: Mit diesem Projekt
leisten alle Beteiligten echte Pionierarbeit, denn es gibt in der gesamten Radiolandschaft und im
universitären Bereich nichts Vergleichbares. Ich weiß, dass sich ähnlich gelagerte Studiengänge
alle zehn Finger nach einer so fantastischen Gelegenheit lecken würden. Deshalb bin ich, als
Leiter dieses Instituts, nicht nur froh, sondern auch sehr dankbar, dass wir die Initiative des
SWR hier so aufgreifen durften.
G.B.: Sie sagten eingangs, dass die einzelnen Beiträge der Reihe durchaus auch als Appetizer
dienen sollen, die Lust auf mehr Informationen machen. Heißt das, dass über die jeweiligen
Musikthemen hinaus mit „ShortMusikStories“ zugleich auch ganz allgemein junge Hörer an das
Kulturradio herangeführt werden sollen?
L.T.: Das ist ein wichtiger Aspekt für alle Kulturprogramme und Kulturschaffenden gleichermaßen:
Wir brauchen Nachwuchs. Das bedeutet auch, dass wir auf die jungen Menschen zugehen und
sie ansprechen müssen, und zwar in allen Bereichen, in denen es um Kultur geht. Natürlich
erwarten wir nicht, dass die jungen Hörer gleich in Scharen SWR2 einschalten, aber wenn wir
das Interesse anregen können und deutlich machen können, dass im Programm von SWR2
immer auch Sendungen zu finden sind, die junge Hörer ansprechen, dann ist das schon eine
ganze Menge. Gleichzeitig muss man natürlich betonen, dass SMS nicht ausschließlich auf ein
junges Publikum zielt, sondern sich an alle Kulturinteressierten wendet, die offen sind für neue
Vermittlungsformen im Radio.
G.B.: Welche Rolle spielt denn in diesem Zusammenhang die Kooperation mit DASDING?
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Im Bereich des Hörspiels kooperieren SWR2 und das SWR-Jugendangebot ja schon seit
längerem, nun also auch in der Musik. Hat diese Zusammenarbeit auch eine
programmstrategische Relevanz?
L.T.: Wir sind sehr froh über diese Kooperationen, natürlich auch, um ein jüngeres Publikum mit
Themen aus der Kultur anzusprechen und dafür zu interessieren. Bei „ShortMusicStories“
übernimmt DASDING eine sehr prägende Rolle, was die Themenplanung und die redaktionelle
Betreuung angeht. Zusätzlich sendet DASDING auch ausgewählte Beiträge. Und genau das halte
ich strategisch für enorm wichtig: Dass man kulturelle Themen nicht nur in einem Programm
platziert, sondern versucht auch in anderen Programmen entsprechende Themen aufzugreifen.
Das ist vielleicht kulturpolitisch das Notwendigste.
J.C.: Ein ganz wichtiger Aspekt dabei ist natürlich auch, dass durch die Sendung ausgewählter
Beiträge in DASDING eine Art Cross-Promotion entsteht, womit wir wieder bei der AppetizerFunktion jedes einzelnen Beitrags wären. Wenn es so gelingt, den ein oder anderen DASDINGHörer dazu zu bringen, weitere Beiträge der Reihe in SWR2 zu hören, wäre das doch eine
tolle Sache.
G.B.: Flexibilität und die Bereitschaft sich für Musik zu interessieren, die außerhalb der eigenen
Hörgewohnheiten liegt, fordert die Reihe ja nicht nur von jungen DASDING-Hörern, sondern
auch von den eher klassisch geprägten SWR2-Hörern. Welchen Reflex versprechen Sie sich für
das Programm von SWR2?
L.T.: Natürlich werden durch diese Sendereihe auch in SWR2 immer wieder eher ungewohnte
Themen und Töne zu hören sein. Damit muten wir unseren Hörern zwar auch einiges zu, aber
ich bin zuversichtlich, dass sie die dafür nötige Offenheit mitbringen. Ich habe die Erfahrung
gemacht, dass kulturinteressierte Menschen gerne auch einmal über ihren Tellerrand hinaus
schauen, und dafür bieten die „ShortMusicStories“ mit Sicherheit Anlässe genug.
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