BzMU16 ROSEBROCK Zahlenwinkel

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Stephan ROSEBROCK, Karlsruhe
Entdeckendes Lernen in der Sekundarstufe am Beispiel von
Zahlenwinkeln
1. Entdeckendes Lernen und Zahlenwinkel
Nicht alle mathematischen Themen eignen sich gleichermaßen zum entdeckenden Lernen im Mathematikunterricht. Inhalte sind dann geeignet für
Entdeckendes Lernen in der Schule, wenn es sich um einfach zu verstehende, motivierende Fragen handelt, wenn substanzielle Mathematik dahintersteckt und wenn die Fragen nicht zu schwer sind (Rosebrock 2011). Hier
soll ein solches Thema aus dem Bereich Kombinatorik vorgestellt werden,
welches mathematisch erstaunlich viel bietet.
Für die Grundschule gibt es eine schöne
‚Forschungsaufgabe‘ (Betzold 2012):
Die Zahlen von 1 bis 9 sind so in den
‚Zahlenwinkel‘ links einzuschreiben,
dass im rechten und linken Arm jeweils
4 Zahlen stehen und eine Zahl verbindet
beide Arme. Dabei muss die Summe der
Zahlen im linken Arm gleich der Summe
der Zahlen im rechten Arm sein.
Deutlich schwieriger ist die Frage, wie viele Möglichkeiten es gibt, wenn n
Zahlen so auf n Kästchen zu verteilen sind. Eine Strategie, die Schüler im
Fall n=8 finden können, ist folgende: Schreibt man die 9 in die Ecke, so
bleiben die Zahlen von 1 bis 8 zu verteilen. Die lassen sich in 4 Paare zerlegen mit jeweils Summe 9: (1,8), (2,7), (3,6), (4,5). Diese 4 Paare lassen
sich in 3 Kombinationen verteilen. Sind das alle Lösungen für n=8?
Wir formalisieren das Problem: Sei Wn={1, … , n+1} und k ein Element
aus Wn. Eine Zerlegung von Wn\{k} in zwei Mengen M0 und M1 heißt zulässig, wenn beide Mengen gleich mächtig sind und die Summe der Zahlen
in beiden Mengen gleich groß ist. Sei fn(k) die Anzahl der zulässigen Zerlegungen von Wn\{k}, wobei zwei Zerlegungen, bei denen nur die beiden
Mengen vertauscht werden, nicht unterschieden werden sollen.
2. Ein paar mögliche Entdeckungen
n muss gerade sein, damit man nach dem Streichen der Zahl k zwei gleich
mächtige Mengen bilden kann. Ist n durch 4 teilbar, so muss die zu streichende Zahl k ungerade sein, sonst ist die Summe der übrigen Zahlen ungeIn Institut für Mathematik und Informatik Heidelberg (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2016 (S. x–y). Münster: WTM-Verlag
rade und somit nicht durch 2 teilbar. Lässt n beim Teilen durch 4 den Rest
2, so muss aus demselben Grund k gerade sein.
Es gilt fn(k) = fn(n+2-k). Zum Beweis definiert man eine bijektive Funktion
h: Wn → Wn durch h(m)=n+2-m und rechnet nach, dass eine Lösung mit
der gestrichenen Zahl k auf eine Lösung mit der gestrichenen Zahl n+2-k
abgebildet wird.
Es ist auch nicht sehr schwer, verschiedene Ungleichungen von folgendem
Typ zu beweisen: 2 ⋅ 𝑓𝑛 (𝑘) ≤ 𝑓𝑛+4 (𝑘). Geschickt kann man hier zusätzliche Zahlen für eine zulässige Zerlegung der Menge Wn+4\{k} zu einer zusätzlichen Zerlegung der Menge Wn\{k} auf zwei verschiedene Arten hinzufügen.
Eine schöne Rekursion zur einfachen Ermittlung der Anzahl möglicher Lösungen bekommt man auf folgende Weise:
Sei M = {m1 ,…, mj} eine beliebige endliche Menge natürlicher Zahlen.
Seien 𝑠, 𝑡 ∈ ℕ0 und sei g(M, s, t) die Anzahl der Möglichkeiten s als Summe von genau t Elementen aus M darzustellen.
Es gilt für s > 0:
g(M, s, t) = g(M\{mj}, s, t) + g(M\{mj}, s-mj, t-1)
Dabei beschreibt der erste Summand die Anzahl derjenigen Summen, die
mj nicht enthalten und der zweite Summand die Anzahl derjenigen Summen, die mj enthalten. Es gibt drei Randbedingungen, mit denen dann
schnell die Anzahl der zulässigen Zerlegungen gezählt werden können. Im
Fall der Zahlenwinkel ist
M = {1, … , k-1, k+1, … , n+1}, s = ((n+1)(n+2)/2-k)/2 und
fn(k) = g(M, s, n/2) / 2. Die letzte Division durch 2 kommt zustande, weil
durch die Rekursion auch diejenigen Zerlegungen als zulässig gezählt werden, die sich durch Vertauschen der beiden Mengen ergeben.
Man kann, als Verallgemeinerung des ursprünglichen Problems, sich leicht
klar machen, dass das gegebene Problem sich nicht wesentlich ändert,
wenn man statt mit Wn mit einer Menge {m, … , m+n} startet.
3. Der Spezialfall k = n+1
In diesem Abschnitt untersuchen wir den Fall der gestrichenen Zahl n+1.
Die Summe der übrigen Zahlen {1, … , n} ist n(n+1)/2. Aufgabe ist also,
genau n/2 Zahlen auszuwählen, deren Summe n(n+1)/4 ist.
Wir kodieren eine zulässige Zerlegung auf folgende Weise: Wir betrachten
Worte 𝑤 = 𝑥1 , … , 𝑥𝑛 mit 𝑥𝑖 ∈ {0,1} und gleich vielen Einsen wie Nullen,
wobei 𝑥𝑖 = 𝑙 heißt: 𝑖 ∈ 𝑀𝑙 . Z.B. bedeutet das Wort 11000011 für n=8:
M0 = {3, 4, 5, 6} und M1 = {1, 2, 7, 8}.
Ein solches Wort 𝑤 = 𝑥1 , … , 𝑥𝑛 heißt zulässig, falls es die folgende Formel
(1) erfüllt:
𝑛
𝑛
∑ 𝑖𝑥𝑖 = ∑ 𝑖(1 − 𝑥𝑖 )
𝑖=1
𝑖=1
Ein Wort ist damit zulässig, falls es zu einer zulässigen Zerlegung von
Wn\{n+1} führt. Auf der linken Seite der Formel steht nämlich die Summe
der Zahlen aus M1 und auf der rechten Seite die Summe der Zahlen aus M0.
𝑛
Es gibt genau (𝑛/2
) binäre Worte der Länge n mit genau n/2 Einsen. Dieser
Binomialkoeffizient ist also eine obere Schranke für die Anzahl möglicher
zulässiger Zerlegungen von Wn\{n+1}.
Wir schildern ein, auf den ersten Blick, völlig anderes Problem: Wir haben
eine Balkenwaage mit einem Balken der Länge n-1, der genau in der Mitte
gelagert wird. Wir möchten n/2 gleich schwere Gewichte so an ganzzahligen Punkten lagern, dass die Waage im Gleichgewicht bleibt. Wir kodieren
die Positionen einer solchen Gewichtsverteilung durch ein Wort 𝑤 =
𝑥1 , … , 𝑥𝑛 mit 𝑥𝑖 ∈ {0,1} mit gleich vielen Nullen wie Einsen. Dabei bedeutet xi = 1, dass an Position i ein Gewicht hängt.
Zum Beispiel hat man für n=8 bei
dem Wort 10010110 die Waage im
Gleichgewicht. Es hängen Gewichte
an Positionen 1, 4, 6, 7. Die Waage
ist an der Stelle 4,5 gelagert. Die Abstände auf der linken Seite bis zur Mitte sind 3,5 und 0,5, zusammen 4. Die Abstände rechts sind 1,5 und 2,5 mit
derselben Summe, so dass die Waage im Gleichgewicht ist. Gleichzeitig
sehen wir, dass M0 = {2, 3, 5, 8} und M1 = {1, 4, 6, 7} eine zulässige Zerlegung von W8\{9} ist.
Was wir hier am Beispiel sehen, ist allgemein wahr: Die Waage ist genau
dann im Gleichgewicht, wenn es sich um eine zulässige Zerlegung der zugehörigen Mengen handelt, genauer:
Satz: Ein Wort 𝑤 = 𝑥1 , … , 𝑥𝑛 mit 𝑥𝑖 ∈ {0,1} mit gleich vielen Nullen wie
Einsen interpretiert als Positionen in einer Balkenwaage führt genau dann
zum Gleichgewicht in dieser Waage, wenn das Wort zulässig ist.
Der Beweis ist nicht schwierig, man muss nur die Gleichung zum Gleichgewicht der Balkenwaage hinschreiben und umformen bis man die Formel
(1) erhält.
Der Autor hat mit einem Seminar in einer
8. Hauptschulklasse das Thema getestet.
Wir sind dabei mit einer Balkenwaage
gestartet und haben uns zu den Zahlenwinkeln vorgearbeitet. Links die Prüfung
einer Schülerin, ob eine Waage im
Gleichgewicht ist.
Die Balkenwaage führt uns zu einer unteren Schranke: Hängen wir links beliebig
Gewichte, können die rechts immer
symmetrisch ergänzt werden, d.h.
𝑓𝑛 (𝑛 + 1) ≥ (𝑛/2
).
𝑛/4
Durchläuft n die Vielfachen von 4, so ergibt sich für fn(n+1) eine bekannte
Folge (siehe OEIS): 1, 4, 29, 263, 2724, 30554, …
Barrow (Barrow 2010) fand folgende äquivalente Formulierung: Wie kann
man die Ruder von n Ruderern so in einem Ruderboot platzieren (also jeweils links oder rechts vom Boot), dass beim Rudern das Boot nicht nach
rechts oder links zieht?
Literatur
Barrow D., Rowing and the Same-Sum Problem Have Their Moments, arXiv:0911.3551,
(2010).
Bezold A., Argumentationskompetenzen im Unterrichtsalltag fördern,analysieren und
bewerten}, in: Prozessbezogene Kompetenzen: Fördern, beobachten, bewerten. Tagungsband des AK Grundschule in der GDM 2012. Hrsg. A. Steinweg. University of
Bamberg Press, Bamberg (2012), S. 9-22.
Rosebrock, S. (2011). Begabungs- und Kreativitätsförderung aus Sicht der Mathematikdidaktik, in Schenz/Rosebrock/Soff (Hg.). Von der Begabungsförderung zur Begabungsgestaltung – Vom kreativen Umgang mit Begabungen in Mathematik, LITVerlag, Berlin, S. 85 - 96.
OEIS. (2016) The On-Line Encyclopedia of Integer Sequences. A168238;
https://oeis.org/A168238
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