Das Zitat in römischer Prosa

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DR. UTE TISCHER,
UNIVERSITÄT POTSDAM, KLASSISCHE PHILOLOGIE
Das Zitat in römischer Prosa
Habilitationsprojekt, gefördert durch die DFG („Eigene Stelle“)
1. Corpus und Untersuchungsgegenstand
Thema meines Habilitationsprojektes sind Theorie und Praxis des Zitierens in römischen Prosatexten. Ich beschäftige mich darin mit der Frage, wie sich antikes römisches Zitieren so beschreiben lassen könnte, dass man die universalen Züge dieser uns ganz vertrauten literarischen Praxis
ebenso erfasst wie ihre kulturell bedingten Eigenarten. Zu den Punkten, die mich interessieren,
gehören unter anderem Arten, Formen und Gattungsspezifik des antiken Zitierens, das Verhältnis antiker Autoren zu vorhandenen Texten und ihren Umgang damit, die Techniken des Zitierens und der Status der verschiedenen Quellen.
Mein Ausgangspunkt ist ein breit gestreutes Corpus lateinischer Sachprosa, das Texte aus
dem 1. Jh. v. Chr. bis zum 5. Jh. n. Chr., verschiedene Autoren und verschiedene Textsorten
umfasst: (1) Die Schriften Ciceros bilden nicht nur eines der frühesten Corpora lateinischer
Prosa, sondern bieten auch eine geeignete Basis für die Untersuchung gattungsspezifischer Erscheinungsformen des Zitats. (2) Als Vertreter einer Gattung, in der das Zitat sonst eher vermieden wird, stehen die Kaiserbiographien Suetons, die zudem den Umgang mit nicht-literarischem
Quellenmaterial in einem literarischen Text illustrieren. (3) Der Antiquar Aulus Gellius ist nicht
nur eine Quelle des expliziten Zitats par excellence, sondern verdeutlicht auch die vielfältige
Funktionalisierung „exakten“ Zitierens in einem sachlich argumentierenden Text. (4) Die Werke
des Apuleius wiederum vertreten die fiktionale oder semifiktionale Prosa, bei der in Hinblick auf
das Zitieren Parallelen zur dichterischen Verwendung von Zitaten zu erwarten sind. (5) In der
Vergilkommentierung des Servius stellt das Zitat nicht nur die Verbindung zwischen Kommentar und kommentierten Text dar, sondern dient auch in vielfältiger Weise dem exegetischen
Zweck des Werkes.
Zu den behandelten Textsorten gehören also unter anderem Reden, Philosophie, Briefe, antiquarische und exegetische Literatur. Ein Kriterium dieser Auswahl ist die Vielfalt der durch die
Texte repräsentierten Kommunikationssituationen.
Der Schwerpunkt meiner Untersuchung liegt auf Zitaten, die deutlich erkennbar gemacht
sind, sei es durch explizite Identifizierung oder deutliche Absetzung vom umgebenden Text,
etwa durch das Metrum oder den Wechsel des sprachlichen Codes. Obwohl solch „explizites“
Zitieren in einigen Gattungen, etwa der Historiographie, gemieden wird, stellt in anderen, so
beispielsweise in antiquarischen und exegetischen Texten, ein vorherrschendes Argumentationsund Gestaltungsmittel dar. Indem die zitierte Sequenz hier unübersehbar als „fremd“ markiert
wird, aktiviert sie eine auch funktional andere Art des intertextuellen Bezuges als die bisher bevorzugt untersuchten allusiven und eher verdeckten Reminiszenzen in poetischen Gattungen.
2. Theorie des Zitats
Das Zitat kann man als eine Zeichensequenz innerhalb eines Textes beschreiben, die einen besonderen semantischen Status hat. Dieser entsteht dadurch, dass sie als partielle Wiederholung
eines Prätextes erkennbar wird. Das Zitat setzt damit einen Akt der intertextuellen Bezugnahme
voraus, den man als Zitieren bezeichnet.
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DR. UTE TISCHER,
UNIVERSITÄT POTSDAM, KLASSISCHE PHILOLOGIE
Ein Zitat lässt sich daher formal in vier Kategorien erfassen: (1) in Bezug auf die zitierte Passage
selbst, (2) in Bezug auf den Prätext, auf den sie sich bezieht, (3) in Bezug auf den Text, in welchem sie zitiert wird, und (4) in Hinblick auf ihre Markierung, d.h. die Mittel, durch die sie erkennbar wird.
Das Zitat entfaltet seine Wirkung, indem es auf einen extratextuellen Kontext referiert, der
vom Rezipienten aktualisiert werden muss. Um die Funktion von Zitaten beschreiben zu können, ist es daher unerlässlich, nicht nur die Instanz des zitierenden Textproduzenten, sondern
auch diejenige des deutenden Rezipienten zu berücksichtigen. „Zitieren“ erscheint dann nicht
nur als ein Phänomen der Intertextualität, sondern auch als ein Kommunikationsakt. In meiner
Arbeit untersuche ich es daher als intertextuelle literarische Kommunikation. Ich lege dafür ein
Modell des Zitierens zugrunde, das die semiotische Intertextualitätsbeziehung zwischen zitierendem und zitiertem Text in ein allgemeines Kommunikationsmodell integriert, welches die Beziehung zwischen Sender und Adressaten abbildet.
Aus dieser Sicht ist der zitierende Text mitsamt dem Zitat, das er enthält, ein Medium, durch
welches ein Produzent (hier: der zitierende Autor) einem Rezipienten (hier: dem Leser) eine
Nachricht oder Information zukommen lassen will. Für die Analyse des Zitierens ergeben sich
daraus zunächst die drei Kategorien Autor, (zitierender) Text und Leser. „Intertextuell“ wird
diese Kommunikation durch die Besonderheit, dass sie über den Rückgriff beider Kommunikationspartner auf einen anderen, den zitierten Text, verläuft. Zum zitierenden Text kommt als
Kategorie also noch der zitierte Prätext hinzu.
Diese Kommunikation kann nur gelingen, wenn Autor und Leser zusammenarbeiten: Der
Autor liest den Prätext, deutet ihn, wählt die zitierte Sequenz aus, fügt sie wiederholend in seinen
eigenen Text ein und macht sie als Wiederholung kenntlich. Der Leser wiederum erkennt die
Stelle als Zitat und aktiviert mit Hilfe der Textsignale mehr oder weniger konkrete Kenntnisse
über dessen ursprünglichen Kontext, die er benötigt, um dem Befund „Zitat“ Sinn zu verleihen.
Die Voraussetzung dafür, dass diese indirekte Art der Kommunikation gelingt, ist eine kulturelle Schnittmenge zwischen Autor und Rezipient, die im Kommunikationsmodell als „Code“
und „Kontext“ erfasst ist. Beide, Autor und Leser, müssen einerseits ein Zeichensystem teilen,
eine Art „Zitiergrammatik“, die regelt, was als Zitat gilt und was nicht. Andererseits ist ein geteiltes kulturelles Wissen um die möglichen Referenzziele des Zitats nötig.
Will man zu einer allgemeinen Beschreibung des Zitierens kommen, wäre das Beziehungsgeflecht zwischen diesen Instanzen zu analysieren: Es wäre zu fragen, wie sich das Zitieren als
Kommunikation zwischen Autor und Leser im allgemeinen und unter verschiedenen Rahmenbedingungen gestaltet und welche Kommunikationsziele jeweils damit verfolgt werden.
Jedes konkrete Zitat setzt den gesamten Kommunikationszusammenhang des Zitierens implizit voraus und trägt ihn quasi in sich. Das hat die methodische Folge, dass die vier oben beschriebenen formalen Kategorien den Ausgangspunkt der Untersuchung des Zitierens bilden
müssen, und dass man sich über sie auch dem „Konzept“ oder der „Vorstellung“ des Zitierens
bei den Römern annähern kann, die kaum einmal explizit geäußert werden.
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