Schopenhauer APHORISMEN ZUR LEBENSWEIHSIET APHORISMEN ZUR LEBENSWEISHEIT von Arthur Schopenhauer 19. Jahrhundert 1851 WIE KÖNNEN WIR UNSER LEBEN MÖGLICHST ANGENEHM UND GLÜCKLICH FÜHREN? Eigentlich ist das Leben sinnlos. Dauerhaftes Glück ist nicht möglich, Schmerz und Leid sind ständige Begleiter und einen Zweck hat es auch nicht, da weder ein Dasein nach dem Tod noch ein gerechter Gott zu erwarten sind, was einem das Ausharren ja noch schmackhaft gemacht hätte ... So lautet zumindest das pessimistische Fazit Arthur Schopenhauers, dessen Philosophie das Nichtsein dem Sein vorzieht. Besser wäre es, män würde sein ganzes Wollen und Begehren ein für allemal abstellen. Leider kommt der Selbstmord dafür nicht in Frage, da dieser nicht den wahren Ausweg aus dem Kreislauf des Leidens bietet. Will man sich aber auf Erden ein halbwegs glückliches Leben machen, so steht Schopenhauer mit Rat zur Seite ... DIE WEISHEITEN Unterscheiden lernen! Persön- Einsamkeit und glück lichkeit, Besitz, Ansehen - was ist wichtig? Das Glück der Einfachheit Geld macht nicht Den Charakter ausbilden Er glücklich. Im Gegenteil. allein bestimmt über unser Glück Die Glücksfähigkeiten Die höchsten Genüsse sind die Von der Heiterkeit des Sinnes Kannst du mit dir alleine sein? geistigen Die Feinde des Glücks intellektuell Leben! Der Irrtum Geld macht nicht glück- Schmerz vs. Langeweile Freie Musse Mach dein Leben zum Kunst- lich. UNTERSCHEIDEN LERNEN! Ziehe dich zurück! Mit sich selbst zurechtkommen werk! Wenn wir im Leben glücklich sein wollen, dann ist es wichtig, zwischen drei Aspekten zu unterscheiden, die unseren Alltag bestimmen: Was einer ist Kraft, Schönheit, Gesundheit, Temperament, moralischer Charakter, Intelligenz, Bildung ... PERSÖNLICHKEIT Was einer hat Geld und Güter EIGENTUM UND BESITZ Was einer vorstellt was man in der Vorstellung anderer darstellt: Ruhm, Ehre, Rang ... ANSEHEN Für das Wohlsein des Menschen, ja, für die ganze Weise seines Daseins, ist die Hauptsache offenbar das, was in ihm selbst besteht oder vergeht. Die Persönlichkeit ist das, was in uns selbst ist, wohingegen alles andere nur äußerlich ist. Und das, was in uns ist, hat direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden - alles andere jedoch höchstens indirekt. Alles Äußerliche kann uns nur über einen Umweg glücklich oder unglücklich machen: nämlich über den des Inneren. Dinge wie Besitz oder das, was andere über uns sagen, müssen erst einmal unsere Vorstellungen und Gefühle beeinflussen, um überhaupt etwas mit unserem Glück zu tun haben zu können. DEN CHARAKTER AUSBILDEN Natürlich ist es nicht vollkommen gleichgültig, was uns passiert: ob wir in einem wohlhabenden Land leben, ob wir gesund oder krank sind, ob ein guter Freund stirbt - all das kann unser Glück beeinflussen. Kann, muss aber nicht, weil es bloß die objektive Hälfte der Wirklichkeit darstellt. Die subjektive Hälfte aber bildet unser Be Die objektive Hälfte der Gegenwart und Wirklichkeit steht in der Hand des Schicksals und ist demnach veränderlich: die subjektive sind wir selbst: daher sie im Wesentlichen unveränderlich ist. 1 Schopenhauer APHORISMEN ZUR LEBENSWEIHSIET wusstsein, unseren Charakter. Dem kann niemand entfliehen und er ist in erster Linie dafür verantwortlich, welches Leben wir führen und wie wir mit den Dingen des Schicksals umgehen. DIE HÖCHSTEN GENÜSSE Das Leben hält für den Menschen mehrere Arten von Genuss bereit: die sinnliche Lust, ein heiteres Familienleben, Geselligkeit, Unterhaltung, Bildung. Die höchsten Genüsse aber bietet dem Menschen nur der Geist. Alles zuvor Genannte ist doch nur kurzzeitig und wird schnell schal. Die geistigen Genüsse, die des Denkens, aber sind lang anhaltend und vielfältig. Aber ob wir sie wirklich genießen können, hängt in erster Linie von unserem Charakter ab. Im Leben ist es immer so, als wären wir zu Gast bei einem Abendessen. Solange noch nichts aufgetischt ist, warten wir geduldig. Und wenn kein Essen mehr da ist, beschweren wir uns nicht. DER IRTTUM Für unser Glück zählt also vor allem das, was wir sind: unsere Persönlichkeit. Denn nur sie liegt wirklich in unserer Macht, kann uns nicht genommen werden. Alles andere dagegen ist zweitrangig. Was das Schicksal für uns bereithält, zählt daher nur in zweiter Linie; was wirklich zählt, ist, wie wir darauf reagieren. Weil es die Persönlichkeit ist, die für unser Glück ausschlaggebend ist, ist es auch wichtiger, gesund zu leben und sich selbst zu bilden, als sich um Besitz und Reichtümer zu kümmern. Die proportionale Zuordnung "Je reicher, desto glücklicher" ist nämlich ein beliebter Trugschluss: Großer Überfluss vermag wenig zu unserem Glück. Statt für mehr Wohlbehagen zu führen, stören Besitz und Reichtum unser Glück nur durch die Sorgen, die mit ihnen einhergehen: Wie kann ich sie erreichen? Wie kann ich sie erhalten? Wie kann ich sie schützen? Wie kann ich sie sinnvoll für mich nutzen? Glücklicher wird derjenige, der sich stattdessen neben der Gesundheit und dem Erwerb des Nötigen darum kümmert, geistige Fähigkeiten auszubilden, die ihm echten, lang anhaltenden und unverfälschten Genuss erlauben. Gar manchen daher sehn wir, in rastloser Geschäftigkeit, emsig wie die Ameise, vom Morgen bis zum Abend bemüht, den schon vorhandenen Reichtum zu vermehren. Über den engen Gesichtskreis des Bereichs der Mittel hiezu hinaus kennt er nichts: sein Geist ist leer, daher für alles andere unempfänglich. DAS GLÜCK DER EINFACHHEIT DIE GLÜCKSFÄHIGKEITEN Hieraus aber folgt, dass die größte aller Torheiten ist, seine Gesundheit aufzuopfern, für was es auch sei, für Erwerb, für Beförderung, für Gelehrsamkeit, für Ruhm, geschweige für Wollust und flüchtige Genüsse: vielmehr soll man ihr alles nachsetzen. Welche Fähigkeiten spielen für unser Glück die größte Rolle? Ein edler Charakter, ein fähiger Kopf, ein glückliches Temperament, ein heiterer Sinn und ein wohlbeschaffener, völlig gesunder Leib - das sind die Eigenschaften, die wir zu erhalten versuchen sollten. Unter ihnen aber nimmt die Heiterkeit des Sinnes die wichtigste Stellung ein. Denn sie ist schon selber das Glück. Sie belohnt sich unmittelbar selbst, ohne Umwege. So kann sie auch am ehesten alle anderen Fähigkeiten und Glücksgaben ersetzen: ein fröhliches Gemüt ist zwar nicht alles, aber ohne es ist alles nichts. Die Heiterkeit der Seele zu fördern ist also das Beste, was wir für unsere Glückseligkeit tun können. Und dafür ist nichts weniger wichtig als Geld und Besitz, und nichts wichtiger als die eigene Gesundheit. Nur wer gesund ist, so Schopenhauer, kann auch wirklich heiter sein und zufrieden mit seinem Leben. Und um dies zu erreichen, gibt er ganz praktische Tipps: Ausschweifungen vermeiden, heftige Gefühlsausbrüche ebenso wie zu große Denkanstrengungen, zwei Stunden Bewegung in frischer Luft pro Tag, kaltes Baden ... Unsere heutige sitzende Lebensweise sorgt am meisten dafür, dass wir unzufrieden sind und unsere Seelenzustand sich verschlechtert, denn wir erleben ein dauerndes Ungleichgewicht zwischen der Unruhe im Inneren und der äußerlichen Unbeweglichkeit. Leben aber ist Bewegung, weiß schon Aris 2 Schopenhauer APHORISMEN ZUR LEBENSWEIHSIET toteles, und daher ist nur durch sie körperliche Gesundheit und mit ihr das menschliche Glück zu erreichen. DIE FEINDE DES GLÜCKS Es klingt so einfach. Warum sind wir aber trotzdem so selten glücklich? Schmerz und Langeweile sorgen dafür, dass sich kein innerer Frieden dauerhaft einstellen will. Ironie des Schicksals: je weniger Schmerzen wir haben, desto größer wird die Langeweile – und umgekehrt. Jeder Mensch wird entweder stärker von Unruhe und Schmerzen heimgesucht oder stärker von Langeweile gequält. Die wahre Ursache der Langeweile ist jedoch die innere Leere, die uns immer wieder nach Ablenkung durch äußere Reize dürsten lässt. Unsere Sucht nach Unterhaltung, Gesellschaft, Vergnügen und Luxus entstammt dieser inneren Leere. Wir können ihr nur den inneren Reichtum, einen Reichtum des Geistes, entgegenhalten. EINSAMKEIT UND GLÜCK Dieser Reichtum des Geistes zeigt sich darin, die Einsamkeit aushalten zu können. In der Einsamkeit kann der Mensch sich beweisen, was er an sich selbst hat: ob er abhängig von äußeren Reizen ist oder mit sich selbst und seinen Gedanken genug hat. Dies ist auch für den geistreichen Menschen der sichere Weg zum Glück. Geselligkeit hingegen ist nur ein Zeichen von geistiger Armut und von Gewöhnlichkeit. Je mehr wir also an uns selbst genug haben, je besser wir die Einsamkeit und das Alleinsein aushalten können, desto sicherer wird uns das Glück sein. Wer wenig äußere Unterhaltung nötig hat und “die Quelle seiner Genüsse in sich selbst findet”, ist unabhängiger und damit glücklicher. Alle äußeren Quellen der Freude wie Reichtum, Ehre, Besitz, Freundschaft und auch Liebe, sind ja von anderen abhängig und damit unsicher und vergänglich. MIT SICH SELBST ZURECHT KOMMEN INTELLEKTUELL LEBEN! Diese zeigt sich allerdings in dem Maße, wie wir in der Lage sind, es allein mit uns selbst und unserer Gedanken auszuhalten: in einem stillen Kämmerlein ohne jegliche Ablenkung, ohne Gesellschaft, Fernsehen, Internet – ja sogar ohne Bücher! Wer geistreich ist, wird von seiner Geisteskraft schon genug unterhalten – zudem ist diese Unterhaltung edler und beständiger. Diese Fähigkeit zur “Sensibilität” besteht in Kontemplation und Meditation, im reinen Denken, im Empfinden und Dichten, im Erfinden und Philosophieren im Bilden und Musizieren … der Genuss, der in der Ausübung dieser Tätigkeiten liegt, verspricht das größte, weil beständigste und am häufigsten wiederkehrende Glück! Wir haben nämlich zwei Leben, ein praktisches und ein intellektuelles. Der geistreiche Mensch wird vor allem nach Schmerzlosigkeit, Ruhe und Muße streben, folglich ein stilles, bescheidenes, aber möglichst unangefochtenes Leben suchen und demgemäß die Zurückgezogenheit und sogar die Einsamkeit wählen. Demnach ist eine vorzügliche, eine reiche Individualität und besonders sehr viel Geist zu haben ohne Zweifel das glücklichste Los auf Erden. - das praktische, reale Leben ist entweder langweilig oder schmerzhaft - das intellektuelle, geistige Leben ist schmerzlos, weil es nicht von den Leidenschaften gestört wird. Hinzu kommt, dass das intellektuelle Leben seine Freuden daraus zieht, dass es sich ständig steigert: durch Erkenntnis und Einsicht wird es immer vollkommener. Wir müssen aus unserem Leben also ein Kunstwerk machen, indem wir uns auf das Geistige konzentrieren. 3 Schopenhauer APHORISMEN ZUR LEBENSWEIHSIET FREIE MUßE ! Doch dafür brauchen wir vor allem eins: Muße. Wer keine Zeit hat, sich der Philosophie, der Kunst, den eigenen Gedanken oder der Meditation zu widmen, kommt niemals in den Genuss eines geistigen Lebens. Wenn Einsamkeit eine wichtige Voraussetzung für das echte Glück ist, so ist es die Abwesenheit von Beschäftigung, von Zwang, von Arbeit erst recht. Freie Muße ist das höchste Gut, erst in ihr können wir unsere geistigen Fähigkeiten ausbilden und entwickeln und unseren inneren Reichtum genießen. Echtes Glück ist also nicht Sache von Äußerlichkeiten wie Besitz und Wohlstand, schon gar nicht Ruhm und Ansehen, sondern allein eine innere Angelegenheit. Aber es kann nicht einfach so erlangt werden, sondern es bedarf einer Entwicklung der geistigen Sensibilität - der Beschäftigung mit sich selbst, mit den eigenen Gedanken, mit Philosophie, Musik und Kunst. Erst, wenn man diese ästhetische Empfindsamkeit, unter Aufwendung seiner geistigen Kräfte, bei gleichzeitiger Abkehr von der Geselligkeit und vom Beschäftigtsein, erlangt hat, kann man im intellektuellen Leben auch wahre und beständige Freuden erfahren. Das Glück scheint in der Muße zu liegen. (Aristoteles) Es bedarf eigentlich nur der Erlaubnis, sein ganzes Leben hindurch jeden Tag und jede Stunde ganz man selbst sein zu dürfen. DIE ÜBUNGEN Wie die Philosophie Ihr Leben verändern kann Um weise und glücklich zu werden, müssen wir regelmässig üben. Einige Vorschläge, wie man die Ideen Schopenhauers in seinem eigenen Leben umsetzen kann ... " Schreiben Sie eine Liste. Was im Leben kann ich voll und ganz bestimmen? Was ist eher wechselhaft und unsicher? " Bestimmen Sie auf einer Skala, an welchen Aspekten Sie am sehr oder wenig hängen: Am meisten hänge ich an ... a) meiner Gesundheit b) meiner Persönlichkeit c) meinem Aussehen d) meiner Intelligenz e) meiner Bildung f) meinem Besitz g) meinen Freunden h) meiner Familie gar nicht ein wenig sehr über alle Maßen Sollten Sie bei c bis h gar nicht oder nur ein wenig angekreuzt haben, haben Sie gute Chancen, glücklich zu werden! " Schopenhauer rät: Ausschweifungen vermeiden, heftige Gefühlsausbrüche ebenso wie zu große Denkanstrengungen, zwei Stunden Bewegung in frischer Luft pro Tag, kaltes Baden ... " Für Fortgeschrittene: Setzen Sie sich in einer ruhigen Minute in einen Raum, in dem Sie aufabsehbare Zeit nicht gestört werden. Verzichten Sie auf jegliche Unterhaltung wie Fernsehen, Internet, Musik oder Bücher. Konzentrieren Sie sich allein auf Ihre eigenen Gedanken. Können Sie aus der geistigen Beschäftigung mit sich selbst Freude ziehen? Wie lange können Sie das aushalten, bevor Sie unruhig werden?? Wiederholen Sie den Versuch so bald wie möglich und versuchen Sie, Ihre Zeit stetig zu vergrößern. 4 Schopenhauer APHORISMEN ZUR LEBENSWEIHSIET DAS BUCH DER AUTOR Schopenhauer hat seine Aphorismen als Nebenwerk betrachtet; sie sind 1851 in der Sammlung kleinerer philosophischer Schriften "Parerga und Paralipomena" entstanden, heutzutage aber als Einzelschrift in vielen Ausgaben erhältlich. Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Diogenes, Zürich 1987 u. ö. ÄHNLICHE BÜCHER Schopenhauers Lehre orientieren sich zum einen an der Antike, vor allem an der Strömung des Stoizismus. Deren bekannteste Vertreter sind die römischen Philosophen: Seneca: Vom glücklichen Leben Marc Aurel: Selbstbetrachtungen Zum anderen trägt seine Philosophie Züge hinduistischer und buddhistischer Weltanschauung: Buddha: Die Reden des Buddha Über Arthur Schopenhauer (1788-1860) führte dank väterlichem Erbe schon früh ein finanziell unabhängiges Leben. Er promovierte mit einer Schrift über Logik, zu dessen Lesern auch der befreundete Goethe gehörte. Er kam in Kontakt mit altindischem Gedankengut, das in sein Werk Eingang fand. Sein Hauptwerk ist "Die Welt als Wille und Vorstellung" (1819), in der er ein pessimistisches Bild von der Welt entwirft: Die Welt ist von einem ewigen und unvernünftigen Willen durchdrungen, der auch das Handeln des Menschen bestimmt. Dadurch ist der Mensch unfrei, noch dazu ist sein Leben durch den ständigen Wechsel zwischen Schmerz und Langeweile geprägt. Einen Ausweg verspricht nur die Verneinung des Willens durch Askese. Ab 1836 wohnte er in Frankfurt am Main, wo er ein Leben als Einzelgänger und Misanthrop und Frauenverächter führte. Allerdings hatte er einen Pudel ... Wie die Philosophie Ihr Leben verändern kann ... Bei philosophisch leben finden Sie die besten Weisheiten aus über 2500 Jahren Geistesgeschichte – verständlich dargestellt und zusammengefasst. Von den antiken Denkern, asiatischen Weisheitslehrern und berühmten Philosophen der Neuzeit bis zur Positiven Psychologie und den Beststellern der Lebenskunst von heute. Ob als 5-seitiges PDF, als Video, als Podcast oder eBook – mit philosophisch leben haben Sie die Weisheit der Welt stets in Ihrer Nähe. philosophisch leben wird geschrieben von Gunnar Kaiser © 2013 5