1 Arthur Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme

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Kant und Schopenhauer über die Natur der Moralität
Daniel Came
Schopenhauers Ethiksystem sollte als Kritik an Kants Moraltheorie verstanden werden.
Obwohl Schopenhauer zugibt, daß Kant moralisches Denken, welche auf die
Konsequenzen unseres Handelns fokusiert ohne Motivation zu bedenken, erfolgreich
wiederlegte, war er doch sehr kritisch gegenüber Kant. Schopenhauers Kritik zu
verstehen ermöglicht uns seine eigene Ethik, ebenso wie deren Schwächen, die ich im
Folgenden diskutieren werde, besser zu erkennen. Ich möchte speziell die Idee
vorbringen, daß Schopenhauers Ethik einen grundlegenden Fehler aufweist: sie bezieht
sich nicht auf moralische Verantwortlichkeit. Da dies einer der wichtigsten Aspekte in
Kants Schriften zur Ethik ist, bietet es sich an, Schopenhauers Ethik durch die Linse der
kantischen Ethik zu betrachten.
Stark vereinfacht erklärt meinte Kant, daß Handeln moralischen Wert hat insofern
es unter Anwendung der Vernunft ausgeführt wird. Seine Lehre zur Moral basiert auf der
Idee eines ‘Kategorischen Imperativs’ und daß Handlungen bestimmten Maximen folgen
sollten, die als universelles Gesetz angesehen werden können. Nach Kant setzt Moralität
eine Art von selbst auferlegter Gesetzestreue voraus. Dieses Gesetz kann a priori
hergeleitet werden und gilt für jedes vernunftbegabte Wesen.
Zudem ist diese Art von Eigenständigkeit oder ‘Autonomität’ reziprok bezüglich
der Idee der Handlungsfreiheit. Nach Kant kann es ohne die von ihm vorausgesetzte
transzendentale Freiheit keine Verantwortlichkeit geben. Diese kantische Doktrin wird
von Schopenhauer scharf kritisiert. Er behauptet, daß sich hinter dem rational klingenden
Imperativ theologische Ethik verbirgt. “Du sollst”, und “Du sollst nicht”, erinnern an
Gottes Gebote. Schopenhauer behauptet daher, daß Kants Beschwörung und sein
folgendes Vertrauen auf das Konzept eines Gesetzes einen heimlichen Appell an die
theologische Moral darstellt.
Nachdem nun aber Kant diese imperative Form der Ethik stillschweigend und
unbesehns von der theologischen Moral entlehnt hatte, deren Voraussetzungen,
also die Theologie, derselben eigentlich zum Grunde liegen und in der That als
das, wodurch allein sie Bedeutung und Sinn haben, unzertrennlich von ihr, ja
implivite darin enthalten sind.1
Nach Schopenhauer bleibt das Konzept dieses Gesetzes ohne die dazugehörige
moralische Autorität bedeutungslos und die Rolle der Vernunft in Kants Lehre versteht
sich als quasi-göttlicher Legislator oder Kommander. Er verstand diese Vergöttlichung
des Individuums als eine Art des Einschmuggelns des Göttlichen in Kants Theorie,
während er jedoch Argumente, die für die Existenz Gottes sprechen, nicht anerkennt.
Außerdem hinterfragt Schopenhauer die wahre Bedeutung des wichtigsten Prinzips Kants
unter dem Gesichtspunkt der Metaphysik. Das Prinzip „agiere nur nach dem Grundsatz
1
Arthur Schopenhauer, Die beiden Grundprobleme der Ethik : behandelt in zwei akademischen
Breisschriften pp. 124-125
das du als universelles Gesetz für alle rationalen Wesen anerkennen würdest“ ist nach
seiner Meinung schlicht kein echtes Prinzip. Es ist eher eine abstrakte Reformulierung
einer antiquierten, theologischen Maxime, die wie bereits ihre Vorgängerin im Kern
egoistisch ist. Sicherlich, die Unterstellung das gerade Kant, dem besonders daran
gelegen war eine Ethik zu formulieren, die vollkommen rational das Wohl anderer im
Sinn hatte, seine Ethik auf Egoismus basiert, ist radikal.
Wir verstehen sicherlich, daß, wenn Kant argumentiert, daß etwas falsch oder
richtig ist zu dem Ausmaß, daß es als universelles Gesetz anerkannt werden könnte,
dieses inhärent fürsorglich ist und, im Grunde, uninteressiertes Wohlgefallen?
Schopenhauer bietet eine direkte Antwort an. Er behauptet daß, ob man nun eine
Handlung mit einer solchen Maxime wissentlich in Übereinstimmumg bringt oder nicht,
das reale Motiv einer Handlung doch immer der Egoismus des Individuums ist.
Egoismus, so dachte er, ist die universell motivierende, oft moralisch korrupte Kraft im
Individuum und obwohl Kant bereits anerkennt, daß private Interessen in der
praktischenVernunft eine Rolle spielen, bezieht er sich in seiner Moraltheorie auf den
Eigennutz. Als Kant uns zum Beispiel davon überzeugen möchte andere nicht zu
belügen, besagt er “daß ich ein allgemeines Gesetz, zu lügen, nicht wollen könne, weil
man mir dann nicht mehr glauben, oder mich mit gleicher Münze bezahlen würde.”
Schopenhauer schlußfolgert daraus, daß Kant sich auf die potentiellen Konsequenzen für
die eigene Person bezieht und daß daher der Imperativ tatsächlich nur hypothetisch sein
kann:
Aus dieser Erklärung ist vollkommen klar daß jene Kantische Grundregel nicht,
wie er unablässig behauptet, ein kategorischer sondern in der That ein
hypothetischer Imperativ ist, indem demselben stillschweigend die Bedinguna.
Zum Grunde liegt, daß das für mein Handeln aufzustellende Gesetz, indem ich es
zum allgemeinen erhebe, auch Gesetz für mein Leiden wird, und ich unter dieser
Bedingung, als der eveutualiter passive Theil, Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit
allerdings nicht wollen kann.2
Dieser Gedanke Kants kann wohl wie folgt interpretiert werden: sei gerecht oder du wirst
Ungerechtigkeit erfahren. Obwohl viele Experten Schopenhauers Kritik überzeugend
finden, sollte man skeptisch bleiben. Kant mag es rethorisch wichtig gefunden haben den
Agenten zu erwähnen, um Konsequenzen einer Handlung zu erklären. Doch beruft er sich
dabei nicht auf Eigennutz; er veranschaulicht damit eine Tatsache. Es liegt nahe ein
Prinzip mit Hilfe einer Veranschaulichung zu erklären, damit es in weniger abstrakter
Form verständlich wird. Zudem ist der Zweck des Prinzips ein anderer als jener, der ihm
von Schopenhauer zugeschrieben wird. Kant versuchte eine Art auf rationalem, nicht
emotionalem Denken basierenden Test zu entwickeln, mit dem man die Vernünftigkeit
gewisser Handlungen feststellen kann. Die Idee ist, daß irrationale Handlungen sich
selbst wiederlegen, unzwar im logischem Sinne und nicht nach dem Sprichwort „wenn du
Böses tust, wird dir Böses wiederfahren.“ Kants Imperativ ist wie ein Filter, den man auf
seine eigenen Maxime anwenden kann, und keine alte Weisheit, die sich auf
Wechselwirkungungen bezieht. Auch wenn Kants Lehre andere Schwierigkeiten
aufweisen mag, welche ihrer Exzentrizität zuzuschreiben sind, kann man in
Schopenhauers Fall sagen, daß seine Kritik nicht zutrifft.
Die Zwecklosigkeit Moralität auf Vernunft basieren zu wollen ist Schopenhauers
Hauptkritikpunkt. Der Unterschied ist eigentlich metaphysisch. Nach Kant sind zwar alle
2
Ibid, 159.
Änderungen der Erscheinungen notwendig, aber da Dinge an sich keinem nach
menschlichem Verständnis formuliertem Gesetz unterliegen, mögen diese frei sein. Nach
Kant sind Menschen ein Ding an sich und daher frei. Man ist frei solange man nur
rational handelt und unabhängig von jeglichen sinnlichen Impulsen, welche in die
kausale, phänomenale Welt gehören. Die menschliche Vernunft ist autonom wenn ihr
Imperative zugrunde liegen, die von ihr selbst festgelegt werden. Für Schopenhauer ist
die metaphysische Ansicht eine andere. Das Ding an sich wird mit “Wille” identifiziert
und der Wille ist frei solange er nicht der Notwendigkeit der Kausalität unterliegt.
Das Handeln des Willens ist unter diesem Gesichtspunkt völlig haltlos: der Wille
unterliegt nicht der Vernunft oder irgendeinem Gesetz. Die Funktion der Vernunft ist,
durch die Erlangung von Wissen, die effektivsten Methoden zur Ausführung der Impulse
des Willens zu identifizieren. Daher sind alle Maxime der Vernunft hypothetisch.
Dies bedeutet allerdings nicht, daß Schopenhauer keinen Platz für Ethik sieht.
Nach Schopenhauer sollte man den Mythos der Freiheit und der Unmoral der Seele
beseitigen und unsere ethischen Überlegungen darauf basieren, wie Menschen tatsächlich
handeln, anstatt auf die abstrakten Konstruktionen des a priori zu fokusieren. Dies
bedeutet allerdings, daß Schopenhauers Denkweise ein unvermeidbares deterministisches
Element aufweist, welches seine Überlegungen zur Ethik beeinflußt. Dies wird
umsomehr bedeutend, wenn wir den Willen einer Person als Charakter betrachten. Bevor
wir dies tun, sollten wir die Angelegenheit veranschaulichen.
Der Reiz in Kants Lehre der Moralität liegt vor allem in der Betonung der
Möglichkeit zur vollkommenden Souveränität. Es liegt ein Reiz des Praktischen in der
Idee, daß wir in unserem Handeln nicht festgelegt sind durch Begierden oder gar unsere
metaphysische Disposition. Zudem ist es die Grundlage jeder „herkömmlichen“
Denkweise, daß Verantwortlichkeit auf unserer Fähigkeit zum autonomen Denken
beruht.
Sollte Schopenhauer diese Annahme erfolgreich wiederlegen, bleibt tasächlich
nicht viel übrig. Und genau dies hat er im Sinn. Nach ihm passt sich die menschliche
Natur an das Muster seiner allumfassendem Metaphysik an. Unser Charakter ist
spezifisch zu jedem einzelnen und ein Beispiel der Idee des Menschlichen. Als Ausdruck
eines bestimmten Willens, der zur Phänomenal-Welt durchdringt, sind wir gleichzeitig
individualisiert.
Daher sind unsere Handlungen, in diesem mehrdeutigem Sinn, einzig uns
zuzuschreiben. Unsere Motivationen können wir unserem gefestigtem Charakter
zuschreiben, in dessen Formung wir keine Rolle spielten. Dies ist sicherlich eine
moralisch geladene Ausstattung. Schopenhauer drückt dies mit großen Worten aus: “wie
der Künstler ist der gute Mensch geboren, nicht erschaffen worden.” 3
Allerdings sollten wir uns fragen, wie diese Auffassung mit unserem eigenen
phänomenologischem Verständnis unseres Selbst übereinstimmt. Der obigen Annahme
nach determiniert unsere Motivation unser Verhalten und daher ist es uns unmöglich in
einer für uns untypischen Art zu handeln. Sicherlich haben wir eine andere Auffassung
darüber, wie und warum wir in gewisser Weise handeln. Wenn wir zum Beispiel einen
Anflug von schlechtem Gewissen verspüren, dann wahrscheinlich nur, weil wir wissen,
daß wir anders gehandelt haben könnten. Hätten wir tatsächlich jene Art von Beziehung
zu unserem Charakter wie von Schopenhauer vorgeschlagen, ware es recht schwierig zu
erkennen, warum wir überhaupt Gewissensbisse empfinden. Schopenhauer bietet eine
3
Ibid, 111.
Erklärung. Man sollte Gewissensbisse nicht verwechseln mit der Tatsache, daß man
anders hätte handeln können. Das negative Gefühl ensteht durch das Beobachten einer
moralisch unakzeptablen Situation und wird im speziellem durch das Erkennen unserer
eigenen unmoralischen Natur verursacht. Die Idee, daß wir hätten anders handeln können
ist eine Illusion. Daher versucht Schopenhauer die Idee von Verantwortlichkeit zu
rekonstruieren. Er würde gern behaupten können, daß wir für unser Handeln einen
moralisch substanziellen Respekt und daher auch Verantwortung empfinden sollten (da
unser Charakter zu uns gehört), die allerdings ihren Ursprung in unserem Sein hat und
nicht in unserem Wollen. Ironischerweise führte dies Schopenhauer zu einer
Schlußfolgerung, die uns bekannt vorkommen wird. Nietzsche mag richtig gelegen haben
als er in Die Fröhliche Wissenschaft (281) sagte „Schopenhauer war als Philosoph der
erste eingeständliche und unbeugsame Atheist“, doch trägt seine Schlußfolgerung den
Stempel des Calvinimus. Das unbestreitbare Element der Prädestination in
Schopenhauers Ethik lässt ihn, wenn man seine ausgesprochen scharfe Kritik an Kants
Bezug zur Theologie bedenkt, tolpatschig, ja sogar wie einen Heuchler erscheinen. Um
gerecht zu bleiben, muß man erwähnen, daß die Ähnlichkeit zwischen der
Prädestinationsdoktrin und Schopenhauers Lehre in diesem speziellem Fall ihn nicht
davon ausschließen sollte ernstgenommen zu werden. Er könnte richtig liegen; tut es aber
nicht.
Schopenhauers Konzept zur Verantwortung hat bizarre Implikationen zur Folge.
Wäre ich ein Hund, der an einen Karren gebunden, dem Karren mit jedem Schritte folgen
müsste, wäre mir mein Weg vorgeschrieben von einer Macht der ich nicht entkommen
kann. Vielleicht würde ich mich an Gegebenheiten erinnern, zu denen ich gehen konnte
wohin ich wollte. Doch dies wäre Zufall, eine Illusion oder eine Art der Selbstblendung.
Ich bin in der seltsamen Position meine Motivation erkennen zu können (der Karren),
während ich diese mich lenkende Machte aber nicht beinflussen kann. Nehmen wir
einmal an, ich wäre gezwungen direkt durch ein sorgfältig arrangiertes Picnic zweier
Liebender in einem Park zu trotten mit dem Ergebnis, daß die Mahlzeit, ebenso wie die
sonst sicherlich wunderschöne Erinnerung verdorben würde. Doch das Paar ist mir nicht
böse; tatsächlich tue ich ihnen Leid, da ich an den Karren gebunden bin und somit der
Fahrer des Karren Schuld hat. Mein Handeln war unbeabsichtigt. Doch halt! Da lenkt
niemand den Karren; er rollt ganz einfach den Berg hinab und nimmt dabei den Weg des
geringsten Wiederstandes. Der Punkt ist, daß sobald ich einer irrationalen Kraft
ausgeliefert bin, alle meine moralischen Fehltritte unbeabsichtigt sind, unabhängig von
jeglicher Überlegung zu meiner verzweifelten Situation. Wir neigen in unserem täglichen
Leben nicht dazu versehentliches mit unmoralischem Handeln zu verbinden, was ebenso
ein Fehler wäre, wenn man ernste moralische Fragen bedenkt. Es ist einfach nicht
möglich eine adequate Form moralischer Verantwortlichkeit ohne ein Element der
Kontrolle zu postulieren. Selbst wenn der Karren (sowie mein Charakter) weniger
offensichtlich losgelöst von meinem Selbst wäre, wären jegliche Annahmen bezüglich
meiner Verantwortlichkeit falsch. Außerdem gerechtfertigt mein Erkennen des von mir
hervorgebrachten Leidens und dessen Beklagen nicht, daß ich mich selbst moralisch
verantwortlich fühle.
Schopenhauer tut nicht genug, um die Beziehung zwischen Hund und Karren zu
erklären und überzeugt daher nicht mit seiner Idee der moralischen Verantwortlichkeit.
Seine Einschätzung zum Thema Charakter ist eindimensional und leidet unter der Last
seiner extravaganten Metaphysik. Der Intellekt wurde von der Vorsätzlichkeit gemäß
seiner Sicht des Agenten getrennt und diese Idee hält einer genaueren Untersuchung nicht
stand. Schopenhauer behauptet, daß seine Metaphysik empirisch begründet sei, doch ist
sie in Wirklichkeit durchzogen von, oft theologischen, Vorurteilen. Dies kann als
Missdeutung des Begriffs „Charakter“ angesehen werden. Hätte er des Menschens
Vorgang der Entstehung und Entwicklung moralischer Sensibilität genauer beobachtet,
wäre er nicht zu diesen falschen Schlußfolgerungen gekommen. Wie kann er seine
Aussage “Dem Boshaften ist seine Bosheit so angeboren, wie der Schlange ihre
Gistzähne uud Giftblase; und so wenig wie sie kann er es ändern”4 wirklich beweisen?
Wohl nicht mit mehr, als wie mit seiner Vorliebe für die Erbsünde.
Egoismus ist für Schopenhauer der größte Anreiz menschlichen Handelns.
Es ist praktischer Egoismus, wenn sich eine Person in einer Weise distanziert fühlt von
der Welt, daß sie ihre eigenen Interessen als wichtiger empfindet als jene aller anderen.
Er sagt, daß man diese Art des Eigeninteresses als eine Art verwässerten Solipsismus
sehen kann. Das direkte und unmittelbare Bewusstsein unserer selbst steht dem
representativen bewusst sein aller anderen gegenüber. Aus dem Missverständnis, daß
alles miteinander verbunden sein muss, entsteht primär der anti-Moral Impuls. Zudem hat
jenes Handeln, welches zwar positive Konsequenzen aufweist, jedoch auf Egoismus
zurückgeführt werden kann, keinen moralischen Wert. In diesem Fall (es ist allerdings
nicht klar, ob seine Ansicht einhergeht mit anderen Aspekten seiner Ethiklehre) ist
Schopenhauer zumindest nicht mit phänomenalen Konsequenzen bemüht. Sein Interesse
gilt vor allem der Frage was den Agenten motiviert. Egoismus ist nach Schopenhauer
4
Ibid, p. 253.
eine allgegenwärtige und dominante Eigenschaft und ist zudem ausschlaggebend in der
Art wie sich der Wille innerhalb des Individuums präsentiert.
Wie es so oft der Fall ist, überzeugt Schopenhauers phänomenologische Sicht
eher, als seine beigefügte Metaphysik und ist außerdem annehmbarer als jene
Sichtweisen, die er uns vermitteln möchte. Um gerecht zu bleiben, sollte man zugeben,
daß unsere eigenen Interessen uns tatsächlich bedeutender vorkommen als die anderer.
Es ist eine auf unserer phänomenalen Disposition beruhenden Tatsache, daß wir uns eher
mit unserem eigenen, privaten Interessen beschäftigen. Ich denke, daß Schopenhauer in
diesem Falle Recht hat, wobei er das Offensichtliche in aufwendige Worte hüllt.
Und tatsächlich hat seine empirische Metaphysik viel mit einem gewissen fundamentalen
Aspekt zu tun. Es ist zweifelsfrei der Fall, das jedes Individuum einen gewissen Antrieb
verspürt, einen Wunsch zu bestehen und sich zu entfalten, der sich in der Suche nach
persönlichem Gewinn manifestiert, welche oft die Berücksichtigung der Interessen
anderer ausschließt. Nietzsche behauptet allerdings, daß die Moralisierung dieses
Impulses pervers sei. Denn wenn er nicht, wie zuvor belegt, in einer bedeutenden Weise
zu uns gehört, können wir auch nicht für ihn verantwortlich gemacht werden.
Er hat ein Ziel, aber ist letztendlich unbedacht. Schopenhauer erinnert uns regelmäßig
daran, daß der Wille nicht der Vernunft unterliegt, sondern eher einer Art Naturgewalt
entspricht. Wenn ein Schiff sinkt, mögen wir die Konsequenzen bedauern (die
phänomenalen Konsequenzen), aber wir würden den Sturm nicht als boshaft verstehen.
Es mag sein, daß unser Wunsch die Welt bezüglich allem moralischem verständlicher zu
machen, zur Erfindung eines Gottes führte. Doch wird dieses Phänomen von
Schopenhauer nicht bestätigt. Dies ist natürlich nicht die exakt gleiche Denkweise
Nietzsches, doch ist sie davon nicht weit entfernt.
Man könnte dem noch viel hinzufügen. Man könnte die praktischen
Konsequenzen Kants deterministischer Ethik und sein Problem, Vorrausnahme (oder
Pradiktion) mit dem Prozess der Entscheidungsfindung zu verbinden diskutieren.
Das Wesentliche wurde hier bereits behandelt. Man kann an keiner solch absolut
deterministischen Ethik festhalten und dabei von der Möglichkeit einer bedeutenden
Form der Verantworlichkeit überzeugt sein.
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