Vertragstheorien : kontraktualistische Theorien in der

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GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN
CJ
POLITIK, POLITIKWISSENSCHAFT
Gesellschaftsvertrag
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Vertragstheorien : kontraktualistische Theorien in der Politikwissenschaft / Wolfgang Kersting. - 1. Aufl. - Stuttgart : Kohlhammer, 2016. - 157 S. : Ill. ; 21 cm. - (Brennpunkt Politik). ISBN 978-3-17-024166-4 : EUR 29.00
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Vertragstheorien haben in der Politikwissenschaft einen merkwürdigen Status, denn obwohl öfter von Dingen wie einem Gesellschaftsvertrag gesprochen wird, gibt es einen solchen Vertrag natürlich nicht. Nicht nur spricht
dafür das banale empirische Faktum, daß niemand jemals einen solchen
Vertrag abgeschlossen hat, sondern auch der Umstand, daß sogenannte
Gesellschaftsverträge auch tatsächlich andere Eigenschaften als reale Verträge haben. Dies gilt hinsichtlich der Interessensidentität der den Gesellschaftsvertrag Schließenden, während eine solche Interessensidentität bei
realen Vertragsabschlüssen gerade nicht vorliegt. Der Kontraktualismus, mit
welchem Begriff man nun politische Vertragstheorien auch bezeichnet, kann
also nicht die Funktion haben, eine politische Wirklichkeit zu beschreiben.
Worum geht es also dann?
Wolfgang Kersting ist emeritierter Professor für Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Kiel und hat sich sehr viel mit den Vertragstheorien bzw. den klassischen Autoren befaßt, die solche entworfen haben.
Es liegen dementsprechend von ihm etwa Bücher zu Hobbes, Rousseau,
Kant und Rawls sowie zu den Vertragstheorien selbst vor. Teilweise sind
diese früheren Texte auch im vorliegenden Band1 mitbenutzt worden, in
dem nun in gedrängter, sehr dicht geschriebener und anspruchsvoller Weise in ausgewählte Vertragstheorien eingeführt wird, ohne deren kritische
Diskussion zu vernachlässigen.
Bevor einzelne Vertragstheoretiker vorgestellt und diskutiert werden, erörtert
Kersting die Logik des Gesellschaftsvertrags, wie sie sich in verschiedenen
Perspektiven entfalten lassen: staatsphilosophisch, gerechtigkeitstheoretisch oder moralisch. Die drei Dimensionen des Vertrags (Normativität, Moralität und Rationalität) werden hier dargelegt, wobei es z.B. von großer Bedeutung ist zu verstehen, warum der Kontraktualismus aufgrund seiner Abhängigkeit von moralischen Voraussetzungen nicht in der Lage ist, selbst
eine Letztbegründung zu bieten (S. 24). In aller Knappheit wird die logische
Struktur der Gesellschaftsvertragkonzeptionen herausgeschält.
Nach diesem systematischen Einstieg wendet sich Kersting der Geschichte
des Gesellschaftsvertrags zu, die den ganzen Rest des Buches ausmacht.
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Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/1070257168/04
Beginnend mit Thomas Hobbes und seiner vertraglichen Gründung des Leviathan als der spezifischen Form staatlicher Institutionalisierung wird erörtert, wie sich mittels der Vertragskonstruktion plausibel machen läßt, den
Friedensvorschriften sei zu folgen. Kersting rekonstruiert die anthropologische Dimension von Hobbes' Theorie, macht dabei aber auch zu Recht auf
das häufige Mißverständnis aufmerksam, Hobbes sei Vertreter einer tiefschwarzen Anthropologie (S. 41).
Es folgen Kapitel über Locke, der Hobbes modifiziert, Rousseau, Kant,
Rawls und James Buchanan, so daß einige zentrale Beispiele kontraktualistischen Denkens nebeneinander gestellt werden und jeweils in ihren Stärken und Schwächen erfaßt werden können. Hier ist darauf im einzelnen
nicht weiter einzugehen; allein ein Hinweis auf den Exkurs zu Kontraktualismus und Kosmopolitismus sei gegeben, der auf ein zentrales Problem der
Kontraktualismus-Konzeption eingeht (S. 112 - 114). Dieses besteht nämlich darin, daß der Kontraktualismus von seiner Anlage her notwendig auf
einen Weltstaat ausgerichtet ist, da es in der Logik des Kontraktualismus
liege, sich auf die ganze Welt zu beziehen: „Der Kontraktualismus unterläuft
das Paradigma des Nationalstaats“ (S. 113). Somit folge aus dem Kontraktualismus ein Kosmopolitismus. Dieser kann aber wohl faktisch nie mehr als
eine regulative Idee sein, denn daß es tatsächlich zu einer Überwindung
des Naturzustands im internationalrechtlichen System kommen kann, steht
nicht zu erwarten. Man kann auch darin eine der größten Schwächen des
Kontraktualismus sehen, weil er offensichtlich Schwierigkeiten hat, Grenzen
zu denken – was aber, wie für jedermann ersichtlich, heute mehr denn bedacht werden muß. Eine politische Philosophie der Grenze läßt sich im
Rahmen des Kontraktualismus wohl nur denken, wenn ihr abstrakt-kosmopolitisches Kalkül auch Herkunftsbestände – wie eben Nationalstaaten –
nicht nur als Hindernisse auf dem Weg zu einer Weltgemeinschaft begreift.
Das Buch ist wegen seines Niveaus nicht für Studienanfänger geeignet, die
sich am besten erst einmal Vorkenntnisse erwerben sollten, bevor sie sich
an das Durcharbeiten machen. Denn die nicht einmal 160 Seiten wollen ordentlich verdaut sein,
Till Kinzel
QUELLE
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