Wie ernähren sich unsere Kinder? Was Verzehrsstudien sagen und was offen bleibt – Prof. Dr. Mathilde Kersting Obwohl die Versorgung der Menschen in Deutschland mit Lebensmitteln gut und vielfältig ist, nehmen ernährungsassoziierte Erkrankungen seit Jahren stetig zu. Diese Herausforderung, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aktuell benennt, gilt erst recht für die Kinderernährung. Eine gesunde Ernährung von Anfang trägt wesentlich zur Krankheitsprävention bei. Auch wenn die formale Evidenz einer präventiven Kinderernährung allenfalls punktuell abgesichert werden kann, dürfte sich über die Grundzüge ein wissenschaftlicher Konsens herstellen lassen. Um definitiv beurteilen zu können wie sich unsere Kinder tatsächlich ernähren, wird ein systematisches Ernährungsmonitoring benötigt, das alle sozialen Schichten und alle Altersgruppen einschließt. In Ermangelung dieses Idealzustandes kann eine Zusammenschau und vorsichtige Interpretation vorliegender Verzehrserhebungen weiterhelfen, auch wenn diesen unterschiedliche Fragestellungen zugrunde liegen. Wesentliche Daten liefern die DONALD Studie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen in Dortmund, die bundesweite GRETA Studie bei Kleinkindern, EsKiMo als Modul des Kinder- und Jugendgesundheitssurvey, und die HBSC Studie bei Jugendlichen in mehreren europäischen Ländern. Zusammengenommen entspricht die Nährstoffzufuhr bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen weitgehend den Empfehlungen, für ‚kritische’ Nährstoffe (Jod, Vitamin D) gibt es machbare populationsbasierte Strategien. Anders ist es beim Lebensmittelverzehr: die Empfehlungen des Präventionskonzeptes der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche werden in zentralen Punkten nicht erreicht, vor allem ist eine Steigerung des Verzehrs pflanzlicher Lebensmittel (Gemüse) wünschenswert, in Familien und (vermutlich) auch in der Gemeinschaftsverpflegung. Es gibt Hinweise auf einen Trend zu einer Verschlechterung der diesbezüglichen Ernährungsgewohnheiten. Generell ernähren sich Mädchen eher im Sinne der Empfehlungen als Jungen, jüngere Kinder eher als ältere Kinder und Jugendliche, Kinder aus höheren sozialen Schichten eher als Kinder aus unteren Schichten. Welche Rolle die Ernährung oder einzelne Ernährungsparameter bei der neuerdings angedeuteten Trendwende in der Prävalenz von Übergewicht im Vorschulalter spielt, ist mangels geeigneter Verzehrs- und Interventionsstudien derzeit nicht erkennbar. In der heutigen Lebenswirklichkeit von Kindern nehmen Convenience-Produkte einen festen Platz ein, beginnend bei der Gläschenkost für Säuglinge. Der Gesamtumsatz an Fertigprodukten in Deutschland steigt seit Jahren stetig an. Convenience-Produkte bieten Potential für eine präventive Optimierung der Kinderernährung in der Lebenswirklichkeit. Zwei aktuelle Studien am FKE können Ansatzpunkte aufzeigen: - im Projekt Baby Gourmet wurde tiefgefrorene Beikost als potentielle Erweiterung des Sortiments der Säuglingsnahrungsprodukte entwickelt und im Zusammenhang mit einer möglichen frühen Geschmacksprägung in einer Interventionsstudie in Dortmund untersucht. - im Projekt ‚Anreizsysteme für optimierte Schulverpflegung’ geht es unter anderem um die Machbarkeit und Akzeptanz gemüsereicher Pizza in weiterführenden Schulen. Wenn sich die Ernährungsberatung und –aufklärung die wirkungsvollen Marketingstrategien der Lebensmittelindustrie zu eigen macht, könnten auch Kinder und Familien angesprochen werden, die mit edukativ ausgerichteten Maßnahmen schwer erreicht werden. Literatur Alexy U, Wicher M, Kersting M (2010) Breakfast trends in children and adolescents: frequency and quality. Publ Health Nutr 13:1795-1802 Mensink GB, Kleiser C, Richter A (2007) Lebensmittelverzehr bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz50:609-623 Hilbig A, Alexy U, Drossard C, Kersting M (2011) GRETA: Ernährung von Kleinkindern in Deutschland. Aktuel Ernährungsmedizin 36: 224-231