Bonang - islamic

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In diesem Heft:
Bonang....................................................................1
Harry Harun Behr:
Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?....2
Georg Brubacher:
Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im
Umgang mit alltäglichen Problemen.....................11
Harry Harun Behr:
„Wir wollen kein türkisches Schulbuch.“................13
Gül Solgun-Kaps:
Eine Betrachtung des Schulbuchs
Mein Islambuch......................................................17
Fahimah Ulfat:
Eine Betrachtung der Arbeitshefte
Bismillah – Wir entdecken den Islam......................31
Katharina Frank:
Zwischen Adressatenorientierung
und Traditionsbewahrung.....................................44
Harry Harun Behr:
Tolerance as a Theological and Pedagogic
Challenge – an Islamic Perspective.......................54
Zu den Autoren | Impressum..................................62
Heft 13 | 7. Jg. | Sept. 2013
Bonang
In der letzten Ausgabe unserer Zeitschrift (ZRLI Heft 12) sind wir etwas
ausführlicher auf Indonesien und auf
die Lerninitiative Rumah Belajar („Haus
des Lernens“) eingegangen. Uns haben
bisher Spenden in Höhe von 3.244,- Euro
erreicht, umgerechnet über 40 Millionen
Rupien. Einen großen Teil haben wir auf
das Konto von Rumah Belajar transferiert.
Der Rest wurde Anfang April vor Ort
übergeben, im Rahmen einer Reise, die
aus anderen Gründen und somit kostenneutral stattfand (siehe den Beitrag von
H. Behr am Schluss dieser Ausgabe).
Für den großen Arzt und Philosophen
Ibn Sina (Avicenna, 980-1037 AD)
gehören gute Ernährung, körperliche
Gesundheit, geregelter Schlaf, angenehme
Kleidung, die Umgebung von Menschen,
die man liebt, und das angstfreie Aufstehen am Morgen zu den materialen
Voraussetzungen für das Lernen. Die
Spenden haben dazu viel beigetragen.
Die jungen Leute, die in den Beiträgen
zu Heft 12 zur Sprache kommen, sind
inzwischen ein gutes Stück weitergekommen. Kiki, Dewi, Vitri, Putri, Icha,
Reylita und Natalia haben im April ihre
Schulabschlüsse gemacht und arbeiten,
um im Herbst mit einem Studium oder
einer Ausbildung zu beginnen. Auch die
drei Koordinatoren der Initiative haben
Erleichterung erfahren: Destya kann ihre
pharmazeutische Ausbildung abschließen,
Ahmad Zaki kann mit seinem Master
in Management and Economics und
Mute mit ihrem Master in Management
of Education beginnen. Alle drei halten
ihr Engagement für Bonang aufrecht.
Wir bitten Allah, das Gute anzunehmen
und zu mehren. Vor allem aber danken
wir all denen, die das ermöglicht haben.
Mit Salam.
Die Herausgeber.
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Harry Harun Behr
„Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?“
Anfragen in Sachen Islam
In regelmäßigen Abständen erreicht uns
im IZIR Nachricht von Menschen, die
Genaueres über den Islam wissen möchten.
Wir machen dabei die Erfahrung, dass sich
die Anfragen von Muslimen und NichtMuslimen im Wesentlichen nicht unterscheiden – einmal ausgenommen die spezifischen Probleme von Muslimen, die sich
auf die islamische Lebensweise beziehen.
Hier möchten wir eine der Anfragen
und ihre Beantwortung exemplarisch
publizieren, bei der es deutlicher um die
theologische Dimension geht. Es zeigt
sich, dass es unerheblich ist, ob hier die
islamische Theologie oder die islamische
Religionspädagogik angefragt wird, denn
die Fragen fallen in gewisser Weise in die
Lücke zwischen beiden Disziplinen. Diese
Lücke entsteht dadurch, dass es sich um
Wissenschaften in ihrer universitären
Rahmung handelt. Sie müssen sich stets
aufs Neue ins Bewusstsein rufen, dass auch
die theologischen Neugierfragen jenseits
des akademischen Diskurses oft aus dem
Zusammenhang konkreter Lebensfragen
heraus entstehen und sich auf das Leben,
vor allem auf das Zusammenleben in der
religiös pluralen Gesellschaft beziehen.
Auf einer Tagung des Graduiertenkollegs
Islamische Theologie der Stiftung Mercator an der Universität Frankfurt wurde
unlängst auch über die Aufgaben einer
islamischen Theologie in Deutschland
diskutiert. Sie steht schließlich im Kontext
der akademischen Selbsthermeneutik von
Musliminnen und Muslimen. In ihrer
Signatur als muslimische Rede von Gott
aus der Situation der Betroffenheit heraus
liegt womöglich ein zentrales Differenzkriterium zu den Islamwissenschaften.
Auf der Tagung wurden, ausgehend von
den Befunden dessen, was an islamischer
Theologie derzeit betrieben wird, drei
zentrale Aufgabenfelder erörtert:
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
„• Islamische Theologie hilft, Musliminnen und Muslime als Minderheit im Land zu stärken
(muslim empowerment).
„• Islamische Theologie hilft, den Islam als kollektive muslimische
Rekonstruktion gemeinsamer Erinnerung nach plausiblen Kriterien
zu strukturieren und zu reformulieren (shared collective memory).
„• Islamische Theologie hilft, Regeln für
die Kunst der absichtsvollen Lesart
des Korans zu formulieren (hermeneutics of intentional reading).
Diese Koordinaten wurden aus der kritischen Anfrage heraus angezeichnet, ob so
etwas wie eine einwandfrei objektivierbare
Materialität des Korantextes überhaupt
angenommen werden soll. Dahinter stand
auch die Frage, ob und wenn ja die Ergebnisse von Forschungsansätzen, die sich des
Korans vor allem aus sprachwissenschaftlicher und kritisch-historischer Perspektive
annehmen, für die theologische Expertise
nutzbar gemacht werden können. Der Verdacht liegt nahe, dass in der Konsequenz
eine essenzialistische Lesung des Korans
nicht sinnvoll ist. Sie birgt die Gefahr,
dass sich beide Zugriffe auf den Koran
– die säkular-kritische und die religiösaffirmative – gegenseitig in ihren litteralen
Voreingenommenheiten gegenüber dem
Koran bestärken und somit das theologische Denken einzäunen. Ob sich die
Interpretation des Korans nämlich letztlich
zur Sklavin seiner symbolischen Textur
macht, bleibt erst einmal eine offene Frage.
Die Theologie des Islams in Deutschland
befindet sich in statu nascendi. Sie gründet zum einen im Wunsch der Muslime,
auf der Grundlage der eigenen Traditionen den Islam als substanzielles System
weiterzuführen und weiterzuentwickeln.
Diese Art von Theologie hat indes ein
romantisches Moment; sie ist in gewisser
Weise anfällig für die Verklärung im
Sinne der ideologischen Rekonstruktion
des Islams. Er wird dann leicht mit den
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tradierten Formen des muslimischen
Wissensmanagements verwechselt – gleichsam als meinte man durch das Lesen von
Kochbüchern satt werden zu können.
Ein alternatives bevorzugtes Verständnis
von Theologie könnte demgegenüber eher
von funktionalen Aspekten ausgehen – also
gleichsam davon, mit frischen Zutaten zu
kochen. Dieser Ansatz gründet weniger in
der Tradition als vielmehr im Menschen
als vorfindlicher Wirklichkeit und in
der objektiven Wahrheit des Göttlichen
– mithin in der unmittelbaren Wirksamkeit Gottes. Grundlage ist hier die Idee,
dass Theologie sich der kontinuierlichen
Kommunikation zwischen Gott und dem
einzelnen Menschen als Subjekt annimmt.
Theologie hätte dann die Aufgabe, die
Strukturmerkmale dieser Kommunikation zu erfassen und mögliche Regelhaftigkeiten zu beschreiben. Das kann
verstanden werden als die Fortschreibung
der Mitteilung Gottes in die Schöpfung
hinein und nicht nur als die Fortschreibung der Tradition. Also [waÎy] im Sinne
einer offenen Rede Gottes in die Welt.
Diese Welt, die Schöpfung, sie wäre diesem Verständnis nach der größere Koran,
dessen Buchdeckel sich nicht zuklappen
lassen. Ihre Sprache wäre eine andere
als das arabische Alphabet, welches die
Sprache der Heiligen Schrift des Islams
ist, des kleineren Korans. Dieser kleinere
Koran wäre dann vor allem dazu da, den
eigentlichen, den größeren Koran zu lesen
und zu verstehen. Der Blick müsste von
den Seiten gehoben werden und in die
Welt schweifen. Schließlich gibt es kaum
eine Sure des Korans, die diesen Leseauftrag nicht explizit oder implizit erteilt.
Das bedeutet: Die theologische Expertise
benötigt eine empirische Basis, sie muss die
Muslime als die eigentlichen Träger ihrer
Rede von Gott genauer in den Blick
nehmen und versuchen zu ergründen, was
die Mitte ihrer spirituellen Personalität
ausmacht. Eine solche empirische oder
kritische Theologie würde es auch ermöglichen, Zugänge zum Wissen zu erschließen,
die erfahrungsorientierter, die intuitiver,
die ganzheitlicher sind, und die auf Wegen
der Kommunikation beruhen, welche sich
der sprachlichen Erfassung womöglich
zunächst entziehen. Das würde auch eine
Entlastung vom penetrant iterativen Anspruch auf kritisch-historische Rationalität
mit sich bringen und die Exegese des Korans von Ballast befreien. Nach dieser programmatischen Vorrede nun aber die angekündigte Anfrage und ihre Beantwortung.
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
Sehr geehrter Herr Professor Behr,
ich habe im Internet ihre E-Mail-Adresse gefunden und denke, dass Sie für
meine Fragen über den Islam wohl am kompetentesten antworten können. Ich hätte nämlich folgende Fragen über das Gottesbild des Islam:
1. Wie und wann betet ein Muslim die Gebetskette?
2. „Allah“ ist das arabische Wort für Gott. Nennen arabische Christen
den christlichen Gott auch „Allah“?
3. Darf man von Gott überhaupt sprechen, wenn er doch der „Verborgene“
bzw. ein Geheimnis ist?
4. Im Koran steht: „Gott weiß, was zwischen ihren Händen ist und was
hinter ihnen liegt.“ Was bedeutet das? Heißt es dass er der Allwissende ist?
5. Und was heißt „Er ist der Erste und der Letzte, der Sichtbare und der
Verborgene.“? Heißt das, dass er zwiespältig ist oder einfach unvorstellbar?
6. Was ist das Entscheidende an Allah? Dass er der Einzige ist und
der Unvorstellbare?
7. Was heißt das, dass Gott allmächtig ist?
8. Kann man sagen, dass Muslime und Christen an den einen Gott (vielleicht sogar an denselben?) glauben, weil Gott für alle ja ein Geheimnis ist?
Ich freue mich jetzt schon, wenn Sie mir einige meiner Fragen beantworten
können. Wenn Sie mir noch am Wochenende antworten können, wäre das
sehr gut. Für mich sind die Fragen wirklich von großer Bedeutung. Aber sehr,
sehr vielen Dank Ihnen schon einmal, wenn Sie sich hierfür Zeit nehmen!
Freundliche Grüße
(Name)
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Liebe (Name),
ich habe einmal versucht, Ihre Fragen zu beantworten. Die Begriffe in eckigen
Klammern sind arabische Fachbegriffe aus der islamischen Theologie.
Zahlenangaben in Klammern sind keine Rechenaufgaben, sondern verweisen
auf Textstellen im Koran. Die Angabe (2:225) bedeutet also „Koran Sure 2,
Vers 255.“ Falls Sie keine Koranausgabe besitzen, werden Sie im Internet fündig,
zum Beispiel auf der englisch-sprachigen Seite http://www.islamicity.com,
bei der Sie unter „Qur’an Search“ dann verschiedene Sprachen für die
Übersetzung anklicken können, unter anderem auch Deutsch.
Es ist durchaus üblich, dass Muslime bei ihrer Argumentation auf Texte in ihrer
Heiligen Schrift hinweisen. Das wird Ihnen in der christlichen Theologie
so vielleicht nicht begegnen, es sei denn Sie bewegen sich in einem religiösen
Umfeld, in dem ganz bewusst in dieser Art auf die Bibel verwiesen wird.
Hier gibt es wie bei uns Muslimen auch unter Christen Unterschiede.
Ich hoffe, dass Ihnen meine Antworten weiterhelfen. Sie dürfen jederzeit wieder
schreiben und nachfragen.
Es grüßt Sie von Herzen
Harry Harun Behr
1. Wie und wann betet ein Muslim die Gebetskette?
Die von Ihnen angesprochene Gebetskette nennt man auf Arabisch [tasbÐÎ] oder
auch [sibÎa]. Sie erleichtert das Abzählen
einer bestimmten Anzahl von Anrufungen
Gottes, und zwar jeweils 33 Mal „Gott
sei gepriesen“ ([subÎÁnallÁh]), „Gott sei
gedankt“ ([alÎamdulillÁh]) und „Gott ist
größer“ oder „am größten“ ([allÁhu akbar]).
Es gibt daneben noch andere Sprüche.
Sie stammen aus den unterschiedlichen
(auch mystischen) Traditionen des Islams.
Die Handhabung der Kette geht vermutlich auf Fatimas Vorliebe zurück,
dafür kleine Steinchen von ihrer rechten
in die linke Hand abzuzählen. Fatima
war eine der Töchter Muhammads.
Viele Muslime wiederholen diese beinahe meditativen Vergegenwärtigungen
Gottes auch ohne Zuhilfenahme einer Kette, indem sie die Anzahl an
den Gliedern ihrer Finger abzählen.
Man mag nun die Auffassung vertreten,
dass bei solchen spirituellen Übungen
die Anzahl doch unerheblich sei. Aber in
den tradierten Weisheiten Muhammads
(man nennt diese Literatur [ÎadÐth]; sie
gilt neben dem Koran als eine wichtige
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
religiöse Schriftquelle des Islams) findet
sich der Hinweis, dass die Sache mit der
bestimmten Anzahl tatsächlich auf ihn
selbst zurückgeht: Einige seiner Zeitgenossen fühlten sich nämlich benachteiligt,
weil der Koran das wohltätige Spenden hervorhebe, sie dafür aber zu arm
seien. Ihnen riet Muhammad, als „Ausgleich“ diese Anrufungen aufzusagen.
Das Vervollständigen einer gegebenen
Anzahl [kÁmila] ist ein im Islam wiederkehrendes Motiv, zum Beispiel in der
Anzahl der Gebete und der Gebetsbeugungen, in der Summe der Fastentage oder
in den sieben Umrundungen der Kacba in
Mekka. Solche Festlegungen haben dazu
beigetragen, dass sich die islamischen Riten
als allgemeine Gepflogenheit etabliert
und über die Zeiten erhalten haben. In
Artefakten wie solchen oft hübsch gestalteten Kettchen kommt daneben auch ein
ästhetisches Moment der Lebensweise als
Muslim zum Ausdruck. Es ist aber wichtig zu wissen, dass sich der Islam nicht in
solchen formalen Regeln erfüllt. Vielmehr
geht es darum, dass sich innerer spiritueller Reichtum und ethische Haltungen
über solche Formen Ausdruck verschaffen
können. Das klärt der Koranvers 2:177.
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Es gibt also gewisse
Unterschiede zwischen der
Lehre einer Religion einer-
Schließlich verweist das semantische Feld
dieser Vokabel mit der „Anzahl“ auf die
Grundthese der islamischen Religionspädagogik, dass jedem Menschen von
Gott ein spirituelles und charakterliches
Potenzial mitgegeben ist, das er schöpfen
und vervollständigen kann [takmÐl]. Von
Bedeutung beispielsweise für die religiöse Erziehung ist, dass diese Potenziale
unterschiedlich verteilt sind. Auf Muhammad wird der Spruch zurückgeführt:
„Ich wurde gesandt, die besten Anlagen
der Menschen zu vervollkommnen.“
seits und sprachräumlichen
und kulturellen Identitäten
andererseits.
Und das kann sich
sogar in der jeweils
bevorzugten Vokabel für
„Gott“ Bahn brechen.
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
2. „Allah“ ist das arabische
Wort für Gott. Nennen arabische Christen den christlichen Gott auch „Allah“?
Sie werfen da eine wichtige Frage auf, die
auch mit Ihrer letzten Frage weiter unten zu tun hat. Genau genommen ist die
arabische Vokabel [al-lÁh] eine Kurzform
von [al-ilÁh]. Das bedeutet „der Gott“ im
Sinne von „der eine und einzige Gott“
(3:18). Damit ist noch keine besondere
Religion oder Konfession beschrieben,
denn bereits in vor-islamischer Zeit war
das Wort „Allah“ der Zentralbegriff für
Gott (39:3). Er bringt keine besondere Eigenschaft Gottes zum Ausdruck, sondern
ist eher so etwas wie eine Bezeichnung;
die arabische Kalligrafie dieses Wortes hat
deshalb auch den Charakter eines Symbols.
Auch arabisch-sprachige Christen sagen
zu Gott „Allah“. Sie verwenden daneben
wie wir Muslime auch [rabb] für „Herr“,
obwohl dieses Wort genau genommen soviel wie „Versorger“ („der für einen da ist“)
bedeutet. Lediglich der arabische Ausdruck
[abÁnÁ] für „unser Vater“ ist spezifisch
christlich. Mit diesen Worten beginnt
auch das arabische Vaterunser ([abÁnÁ
fis-samÁwÁt ...]). Dieses findet sich in den
Weisheiten Muhammads interessanterwei-
se auch als ein islamisches Gebet. Es beginnt dort mit „Du Gott in den Himmeln,
Der für uns da ist ...“ ([allÁhumma rabbanÁ
fis-samÁwÁt]). Vermutlich geht es auf eine
gemeinsame ältere jüdische Wurzel zurück.
Unter türkischen Muttersprachlern verbindet sich das Wort „Allah“ übrigens besonders mit muslimischer Identität, anders als
das türkische Wort Tanrı, was allgemein
„Gottheit“ bedeutet (ähnlich wie in der
indonesischen Sprache Tuhan). Das liegt
daran, dass „Allah“ in der türkischen Sprache eigentlich ein arabisches Fremdwort
ist. Viele Muslime empfinden das Wort
„Allah“ demnach wie einen Eigennamen
Gottes. In Malaysia haben vor kurzem
einige christliche Aktivisten angefangen,
entgegen ihrer bisherigen Gepflogenheit
auch von „Allah“ anstatt wie bisher von
„Tuhan“ zu sprechen. Dagegen ist an sich
nichts einzuwenden, auch wenn man nachfragen darf warum sie das getan haben.
Allerdings wurde das von muslimischen
Aktivisten als ein Übergriff gewertet, der
den sozialen Frieden gefährdet. Sie erhoben deshalb dagegen Klage bei Gericht.
Es kann auch vorkommen, dass unsere
muslimischen Schüler im islamischen
Religionsunterricht sagen: Muslime
glauben an „Allah“ und Christen glauben
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an „Gott“. Aber dieselben Schüler fragen
mich auch, ob ich denn nun „Muslim“
oder „Deutscher“ sei. Es gibt also gewisse
Unterschiede zwischen der Lehre einer Religion einerseits und sprachräumlichen und
kulturellen Identitäten andererseits. Und
das kann sich sogar in der jeweils bevorzugten Vokabel für „Gott“ Bahn brechen.
Sehr beeindruckend, und zwar wegen des
Respekts gegenüber dem Gottesnamen,
ist das im Judentum gelöst. Dort gibt es
so etwas wie einen eigentlichen Namen
Gottes, der als das Tetragramm („Vierfachzeichen“) JHWH geschrieben wird.
Aber die Kenntnis über dessen eindeutige
Aussprache ist verloren gegangen – das
bekannte „Jehova“ ist nur eine mögliche
und nicht in jeder Hinsicht die überzeugendste Variante; sie spiegelt lediglich die
Vokalisation von „Eloha“ (das alternative
„Jahwe“ ist die griechische Vokalisation).
Wenn Sie sich für Reggae interessieren,
dann sollten Sie einmal dem Ausruf
„Jah!“ für „Gott!“ in der Musik von
Bunny Wailer oder Peter Tosh nachspüren. Könnte sein, dass das eine Kurzform
des hebräischen „Ja Hu!“ für „O, Er!“ ist
– und das gibt es im Arabischen als [yÁ
hÙ] auch, dort vor allem in den sufischen
(mystischen) Traditionen. Das darf Sie im
Übrigen nicht verwundern – der heutige
Islam und das heutige Judentum haben
offenbar gemeinsame sprachliche, kulturelle, rituelle und geistige Vorfahren.
Wie eine Art Alias zum Gottesnamen
verwenden Juden in Texten und in der
Rede das Wort adonai für „mein Herr“
oder elohim für „mein Gott“. Die Verbindung adonai elohim bedeutet dann (ähnlich wie oben [allÁhumma rabbanÁ]) soviel
wie „der Herr, mein Gott“ oder einfach
nur „Gott, der Herr“ oder auch „Herrgott“. Daneben gibt es noch ha-schem;
das bedeutet einfach nur „der Name“.
Gemeint ist Gott, ohne dass man Seinen
Namen nennen oder gar Ihn anreden
muss. Deshalb verwenden manche Juden
diese Begriffe jeweils abhängig davon, ob
sie über Gott sprechen oder mit Ihm.
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
3. Darf man von Gott überhaupt sprechen, wenn er
doch der „Verborgene“
bzw. ein Geheimnis ist?
In den Weisheiten Muhammads wird
überliefert, dass er gefragt wurde, warum
Gott die Menschen eigentlich erschaffen
habe. Er soll geantwortet haben, dass Gott
ein verborgener Schatz war, der gefunden
werden wollte. Der berühmte Philosoph
Ibn Arabi hat das aufgegriffen und darauf
seine Theorie der Liebe gegründet: Für
ihn haben beide Seiten das Bedürfnis, sich
näher zu kommen – Gott und Mensch.
Das heißt, die Grundlage für das religiöse
Leben ist die Beziehung des Menschen
zu Gott. Das bedeutet: Die Erfüllung des
religiösen Gebots muss in diesem höheren
Zusammenhang gesehen werden. Man
kann diesen Faden weiterspinnen: Sich
ineinander zu verlieben bedeutet auch,
den anderen schrittweise enträtseln zu
wollen – aber niemals ganz, sondern nur
annähernd. Was an reizvollem Geheimnis bleibt, hält die Spannung aufrecht.
Den Glauben an das „Verborgene“, „Geheimnisvolle“ und „Unverfügbare“ bringt
der Koran gleich am Anfang zur Sprache
(2:3). Gemäß einer tradierten Auffassung
im Islam gehört Gott streng genommen
nicht zu den verborgenen Dingen, denn
die hat Gott erschaffen, und Er kann
nicht Element dessen sein was Er erschaffen hat – zumindest wenn man dabei
der aristotelischen Logik folgen möchte.
Man kann das aber auch lassen und sich
der paradoxen Logik anvertrauen. Dann
stellt die Aussage, dass zum Beispiel Gott
gleichzeitig sichtbar und verborgen ist, gar
kein Problem das (Sie fragen das weiter
unten, und ich gehe noch darauf ein).
Im Islam spricht man indessen nicht so
gerne von der „Offenbarung“, wenn etwa
vom Koran die Rede ist, sondern von
„Mitteilung“ – Gott teilt nicht sich selbst
mit, sondern er teilt etwas über Sich und
von Sich mit. Zudem gibt es im Islam die
Tradition der so genannten 99 Namen
Gottes, etwa „der das Maß bestimmt“ [alqÁdir] oder „der Frieden“ [as-salÁm] oder
„der Gnadenvolle“ [ar-raÎmÁn]. Das sind
positive Aussagen über Wesenseigenschaften Gottes, gleichsam göttliche Attribute.
Es gibt aber theologische Strömungen, die
versuchen die begriffliche Bindung Gottes
aufzulösen, das heißt Gott und Mensch
gegenseitig voneinander zu befreien: Gott
tritt erst dort in Erscheinung, wo die
Rede von Ihm endet. Der große deutsche
Philosoph Erich Fromm hat das in seinen
Büchern immer wieder thematisiert. Es
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ist nicht verboten, von Gott zu sprechen,
aber es ist geboten, mit ihm zu sprechen.
Wichtig ist, die „Rede von Gott“ (das
ist übrigens die Bedeutung des Wortes
„Theologie“) nicht zu missbrauchen. Die
Sprache ist sicher nur ein Hilfsmittel und
es gibt andere Zugänge, die helfen, die eigene Beziehung zu Gott zu gestalten, zum
Beispiel das Erleben. Geheimnisvoll bleibt
es allemal, und das ist besonders dann zu
spüren, wenn einem die Worte ausgehen.
4. Im Koran steht:
„Gott weiß, was zwischen
ihren Händen ist und was
hinter ihnen liegt.“
Was bedeutet das? Heißt es
dass er der Allwissende ist?
Vielleicht kann man
sagen: Er ereignet sich
in der Gegenwart,
Vergangenheit und
Zukunft sind eine Illusion, und Er ist nicht
den Strukturen von
Raum und Zeit unterworfen, so wie wir
sie gewohnt sind.
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
Ihr Zitat bezieht sich auf die Koranstelle
2:255, den so genannten „Thronvers“. Das
ist ein längerer Vers und ein ganz besonderer Text, der oft als Kalligrafie in Moscheen
oder auch bei Muslimen zu Hause an der
Wand hängt. Zudem findet er manchmal
Anwendung dort, wo Muslime mit Hilfe
des Korans spirituell heilen. Das Zitat hat
verschiedene Bedeutungsebenen und -tiefen, und Ihr Ansatz mit dem „Allwissen“
passt zum Einstieg schon mal ganz gut.
Wir Menschen können uns an unsere Vergangenheit erinnern und auf der
Grundlage von Erfahrung in die Zukunft hinein planen. Das ist aber mit
Unwägbarkeiten verbunden, die manche
mit dem Wort „Schicksal“ oder „Bestimmung“ ausdrücken würden. Gott
hingegen ist all-gegenwärtig. Vielleicht
kann man sagen: Er ereignet sich in der
Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft
sind eine Illusion, und Er ist nicht den
Strukturen von Raum und Zeit unterworfen, so wie wir sie gewohnt sind.
Folglich umfasst Er mit Seinem Wissen,
was wir nicht wissen können, zum Beispiel
was das Ergebnis unserer Handlungen
sein wird. Deshalb rät der Islam, einerseits
Entscheidungen auf der Grundlage der
bestmöglichen Expertise zu fällen (Sachverstand, Beratung), dann aber die Dinge
auch vertrauensvoll in die Hände Gottes
zu legen. Unter Muslimen berühmt ist der
Ratschlag Muhammads: „Binde erst dein
Kamel an, und dann vertraue auf Gott.“
Ganz allgemein gesprochen geht es, wenn
der Koran von den „Händen“ spricht, um
den Zusammenhang zwischen Diesseits
und Jenseits, zwischen Vermögen und
Verantwortung, zwischen Mensch und
Welt, zwischen Subjekt und Gemeinschaft und vor allem darum, dass die
Menschen das, was ihnen widerfährt in
der Regel auch selbst verursachen. Muhammad riet einmal: „Wenn Du Unrecht
siehst, dann wehre es mit der Hand ab,
und wenn das nicht geht, dann mit der
Zunge, und wenn das auch nicht geht,
dann wenigstens mit dem Herzen.“
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5. Und was heißt
„Er ist der Erste und der
Letzte, der Sichtbare und
der Verborgene.“? Heißt das,
dass er zwiespältig ist oder
einfach unvorstellbar?
Gott ist nicht zwiegespalten, auch wenn
wir uns fragen dürfen, warum sich das
Prinzip der Polarität in Seiner Schöpfung
wiederfindet, zum Beispiel das Weibliche
und das Männliche, das Frische und das
Dürre, das Salzige und das Süße, der
Osten und der Westen, das Licht und die
Dunkelheit (6:1, 6:59, 55:17-20, 78:8).
Woher verfügt Gott der Eine über das
Konzept des Dualen oder der Vielfalt?
Und warum macht Er es so konstitutiv zur
Grundlage der Welt? Dass Gott zugleich
der Anfang und das Ende ist, klingt ja
ziemlich seltsam. Es gibt in der hebräischen Tradition (Jesaia Kapitel 44,6) die
Formulierung von Gott als „Alpha und
Omega“ (der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets), das heißt
als den Umfassenden. Ähnliches gibt es zu
Jesus Christus als „Erster und Letzter“.
Auch in der Philosophie seit der Antike bis in die Moderne ist diese Art von
innerer Widersprüchlichkeit bekannt, zum
Beispiel die an sich unmögliche Gleich-
zeitigkeit des Potenzials von Glück und
Leid, so wie in der Liebe. Aus islamischer
Sicht bedeutet das: Wir müssen die
Spannung aushalten, dass wir nur das von
Gott wissen können, was Er uns wissen
lässt. Und das scheint unter dem Strich
eher wenig zu sein. Man könnte dahinter
so etwas wie einen göttlichen Spieltrieb
vermuten, oder aber eine bestimmte
Rücksichtnahme Gottes, Der uns nicht
überfordern und auch nicht übervorteilen will. Der Koran entgegnet denen, die
Muhammad zurufen, sie wollten endlich
„Gott von Angesicht zu Angesicht sehen“ oder einen „Engel“ oder wenigstens
„einen Koran aus Papier“ (anfangs gab es
den Koran nur mündlich), dass es um sie
geschehen sei, sobald das passiere – sie
sollten besser nicht danach rufen (6:7-9).
Es gibt in der islamischen Tradition auch
Überlieferungen, die schwierig zu deuten
sind, zum Beispiel dass Gott „ungerade
ist und das Ungerade liebt“ (vgl. auch
89:3). In der Praxis bedeutet das, dass
Muslime bevorzugt eine oder drei Datteln
nehmen, aber nicht zwei oder vier, wenn
sie beim Essen zugreifen. Es gibt für die
Theologie und die Philosophie des Islams
also noch viel zu entdecken. Ich denke
dass Ihre Vermutung mit der „Unvorstellbarkeit“ die Sache ganz gut trifft.
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
6. Was ist das Entscheidende
an Allah?
Dass er der Einzige ist und
der Unvorstellbare?
Wir müssen
die Spannung
aushalten, dass wir
nur das von Gott
wissen können, was Er
uns wissen lässt.
Weder das eine noch das andere. Entscheidend ist, dass Gott nahe und unmittelbar
ansprechbar ist. Er ist der Eine (3:18), der
Hohe (2:255) und der Nahe (2:186).
7.Was heißt das, dass Gott
allmächtig ist?
Darüber haben sich vor allem zwischen
dem 8. und 10. Jahrhundert nach Christus
muslimische Denker den Kopf zerbrochen und auch gestritten. Die Antwort
wirkt sich nämlich auf die Ethik aus, vor
allem auf die Frage, wie frei der Wille
des Menschen ist, wie viel Verantwortung er tragen kann, welche Rolle die
menschliche Vernunft für die Erkenntnis spielt und wie sich die Erfahrung
des Leids und des Bösen mit dem Bild
vom „guten Gott“ vereinbaren lässt.
Hierin liegt auch eine besondere Herausforderung für den Umgang mit der
Heiligen Schrift. Das gilt übrigens nicht
nur für den Islam, sondern für alle Reli-
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gionen und ihre Theologien, die sich um
ein bestimmtes Schriftverständnis herum
entwickelt haben. Es geht dabei um die
Klärung der Herkunft und Entstehung
der Schrift (Genese), die Auslegung ihrer
Aussagen (Exegese) und um die begründbaren Regeln solcher Auslegung (Hermeneutik). Diese drei Bereiche sind untrennbar miteinander verbunden und tragen
dazu bei, das Verhältnis zwischen Mensch
und Text und zwischen Tradition und
Situation zu verstehen und zu gestalten.
Das ist nicht immer einfach, da es dabei
auch um die Verhältnisbestimmung von
Schrift und Geist geht, also von vorfindlichem Text und seinem Verständnis. In
der Frage der Allmacht Gottes, die Sie
aufgeworfen haben, wurde schon früh in
der islamischen Theologie nachgefragt:
Was kann Gott und was kann der Mensch
[qudra]? Was will Gott und was will der
Mensch [mašÐ’a]? Was tut Gott und was
tut der Mensch [ficl]? Was weiß Gott und
was weiß der Mensch [cilm]? Ein Satz wie
„Ihr wollt nichts außer Gott will es.“ ([wa
mÁ tašÁ’Ùna illÁ ay-yašÁ’al-lÁh]; 81:29)
verlockt zu vielfältigen Interpretation,
zum Beispiel: Der persönliche Wille des
Menschen kann sich dem Wollen Gottes
nicht entziehen, Gottes Allmacht wäre
dann also uneingeschränkt. In diesem
Fall wird so ein Satz wie eine Information
gelesen, in der eine Wirklichkeitsaussage über Gott zum Ausdruck kommt.
Übrigens haben sich die so genannten
Kirchenväter und auch jüdische Theologen zur gleichen Zeit mit denselben
Es ist aber auch denkbar, dass dieser Satz
Fragen auseinandergesetzt. Es gibt nämlich
einen ganz anderen Hintergrund hat, weil unterschiedliche Antworten, die alle ihren
der Koran immer wieder in bestimmte
Platz in der islamischen Theologie haben.
soziale Situationen hinein antwortet.
Hier ist der Islam erstaunlich vielfältig. Ich
Es könnte sich auch um eine poetische
denke auch, dass sich in der Geschichte
Figur handeln – so wie an anderer Stelle
der jüdischen und christlichen Theolodes Korans die rhetorische Frage oder
gien mehr Islam wiederfindet als es die
sogar Ironie. Denn die Sure, in die dieVertreter dieser beiden Religionen zugeser Vers eingebettet ist, hat insgesamt
ben möchten. Und im Islam findet sich
eine poetische Gestalt und eine mystisch
mehr Judentum und Christentum als es
anmutende und schwierig zu ergründende die meisten meiner Mit-Muslime zugeSprache. Hier geht es offenbar gar nicht
ben möchten. Das Problem ist manchum die theologische Erklärung, sondern
mal der Stolz auf das je Eigene und die
um das Berühren des Herzens durch das
Neigung vieler Menschen, ihrer Demut
unmittelbare Erleben des Korantextes.
vor dem Höheren durch den Hochmut
gegenüber dem Anderen Ausdruck zu
Damit wäre das, was hier zum Ausdruck
verleihen. Dazu eignen sich Religionen
kommt, weniger theologische Wahrheit,
hervorragend. Schon der Koran warnt
sondern eher historische Wirklichkeit, die in der „Sure mit dem Eisen“, den Koran
uns etwas über die Funktion des Korans
nicht zu missbrauchen so wie das Eisen,
verrät. Denn hier tritt die Ästhetik des
aus dem sich je nach Bedarf ja PflugschaTextes besonders hervor, die ja unabhängig ren oder Schwerter schmieden lassen.
von der Frage wirkt, ob man den Text verstehen oder seine Aussagen erklären kann. Mit Blick auf die Lebenserfahrung zeigt
Aber alle drei Zugänge sind für die Theo- sich zudem, dass die Antwort auf Ihre
logie des Islams wichtig, denn sie ergänzen Frage je nach Situation und Betroffenheit
sich: das erklärende Wissen, das versteunterschiedlich ausfallen kann. Für die
hende Wissen und das erlebende Wissen. Pädagogik wollen wir eher erreichen, dass
muslimische Jugendliche lernen, ihr Leben
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
aktiv, verantwortlich und vertrauensvoll
selbst in die Hand zu nehmen. Aber
Menschen, die die Erfahrung machen, dass
ihnen die Möglichkeiten des Handelns aus
der Hand genommen sind (zum Beispiel
in der Seelsorge, in der Sterbebegleitung),
finden oft mehr Trost in der Vorstellung,
dass die Allmacht Gottes nicht erst da
beginnt, wo die Kunst des Menschen
an ihre Grenzen gerät – sie fühlen sich
dann nicht vom Leben zurückgelassen,
sondern von Gott erwartet und abgeholt.
Besonders wichtig scheint dabei aber die
Ansprache an Gott, die Hinwendung zu
Ihm und die Beziehung mit Ihm zu sein.
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8. Kann man sagen, dass
Muslime und Christen an
den einen Gott (vielleicht
sogar an denselben?)
glauben, weil Gott für alle
ja ein Geheimnis ist?
Ja, das würde ich so unterschreiben – auch
das was Sie so behutsam in der Satzklammer anklingen lassen: Der eine Gott ist
der Eine und bleibt es, auch wenn die
menschlichen Gottesbilder vielfältig sind.
Schon im jüdischen Tanach und im Alten
Testament gibt es diese schöne Stelle mit
dem so genannte Fremdvölkermotiv, im
Buch Ruth, der Moabiterin (1,16), die
mit ihrer Schwiegermutter Noomi nach
Israel zieht, obwohl sie dort Zurückweisung zu erwarten hat: „Wo du hingehst,
da will ich auch hingehen. Wo du bleibst,
da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein
Volk und dein Gott ist mein Gott.“ Der
Koran bezeichnet nicht nur die geschöpfliche Vielfalt als gottgewollt (30:22,
49:13), sondern er beschreibt auch die
spirituelle Einheit aller Menschen (4:1) in
ihrer religiösen Vielfalt (5:48) – hier eine
Zusammenfügung dieser vier Koranstellen:
beiden viele Männer und Frauen hervorgehen ließ ... Ihr Menschen, Wir haben euch
aus einem Männlichen und einem Weiblichen erschaffen, und Wir haben euch zu
Stämmen und Völkern gemacht, damit ihr
einander kennt. Der Beste unter euch ist,
wer Gott am meisten achtet. Gott weiß
und ist unterrichtet ... Zu Seinen Zeichen
gehört die Erschaffung der Himmel und
der Erde, und die Verschiedenheit eurer
Sprachen und Arten. Darin sind Zeichen
für die, die Bescheid wissen ... Jedem von
euch haben Wir Regeln und Methoden
gegeben. Gott hätte euch zu einer einigen
Gemeinschaft gemacht, wenn Er gewollt
hätte. Mit dem was Er euch gibt, prüft Er
euch. Also wetteifert im Guten. Ihr alle
kehrt zu Gott heim. Er wird euch über das
in Kenntnis setzen, worüber ihr streitet.“
„Ihr die glaubt, achtet euren Herrn der
euch aus einem einzigen Wesen erschaffen,
und daraus das Gegenüber, und der aus
Harry Harun Behr: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?
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Der folgende Beitrag erschien als Gastkommentar in der renommierten Schweizer Wochenzeitung TagesWoche (http://www.tageswoche.ch/de/2013_30/basel/
562901/lasst-uns-locker-bleiben.htm, vom 25. Juli 2013).
Die TagesWoche erscheint täglich online und jeweils am Freitag als Wochenzeitung. Wir sind der Ansicht, dass dieser Artikel genau das vorführt, wovon darin die Rede ist:
Gelassenheit. Manch aufgeladene Debatte um den Islam erfährt hier eine sachliche und in ihrer Pointiertheit hurmorvolle Spiegelung. Wir als Herausgeber bedanken
uns bei Herrn Brubacher für den weisen Rat, bei der TagesWoche für ihr herausragendes Niveau und bei beiden für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.
Georg Brubacher
Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang mit alltäglichen Problemen.
Geboren wurde ich in einem südlichen
Land. Dort trugen alle erwachsenen
Frauen ein Kopftuch oder an Feiertagen eine kunstvolle Kopfbedeckung.
Die Sitte leitete sich aus ihrem heiligen
Buch ab. Das Buch war so heilig, dass
nur der Priester darin lesen durfte. Er
erklärte dem gemeinen Volk, was in
dem Buch geschrieben stand – zum
Beispiel die Sache mit dem Kopftuch.
Da stand Folgendes: „Ein Mann, der
mit bedecktem Haupt betet, der schändet sein Haupt. Eine Frau aber, die mit
unbedecktem Haupt betet, die schändet
ihr Haupt; denn es ist ebensoviel, als wäre
sie geschoren. Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr das Haar ab.
Da dies aber übel ist, so lässt sie sich
das Haupt bedecken. Der Mann aber
soll das Haupt nicht bedecken; denn
er ist Gottes Bild und Ehre. Die Frau
aber ist des Mannes Ehre. Denn der
Mann ist nicht vom Weibe, sondern das
Weib ist vom Mann. Und der Mann
wurde nicht wegen der Frau erschaffen,
sondern diese wegen des Mannes.“
In meinem Geburtsland stand an jeder
Wegkreuzung und an allen markanten
Stellen des Weges, oft nur zwanzig Meter voneinander entfernt, ein religiöses
Symbol und es war üblich, davor stehen
zu bleiben und ein Gebet zu sprechen.
Für die Männer war dies nicht schwierig. Entweder waren sie barhäuptig oder
sie mussten nur ihre Kopfbedeckung
Georg Brubacher: Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang mit alltäglichen Problemen.
abnehmen. Für die Frauen aber bedeutete es, ständig eine Kopfbedeckung
dabeizuhaben. Ein Kopftuch war daher
die einfachste Lösung des Problems.
Knaben und Mädchen gingen getrennt zur
Schule. Es galt als unzüchtig, freie Knie
oder Ellenbogen zu zeigen. Wir trugen ein
sogenanntes Gstältli, an dem mit einem
Gummizug gestrickte Strümpfe befestigt
waren, die die Knie bedeckten, und Ärmelschürzen, um die Ellenbogen zu verbergen.
Kam ein Schüler trotz dieses Kleidergebots
mit freien Knien oder Ellenbogen zur
Schule, so wurden wir von unserer Lehrerin ans Ufer des nahe gelegenen Flusses
geführt und aufgefordert, Brennnesseln,
die dort üppig wucherten, auszureißen
und damit dem Fehlbaren tüchtig auf
die entblößten Stellen zu schlagen. Das
gleiche Ritual galt auch in der Klasse
meiner Schwester auf der Mädchenseite
der Schule. Auch das Baden im Freien galt
als unzüchtig und wurde nicht geduldet.
Als ich neun Jahre alt war, zog meine
Familie nach Basel. Hier herrschten
ganz andere Sitten. Zwar gingen auch
hier Knaben und Mädchen schon von
der Primarschule an in getrennte Schulhäuser – die sogenannte Koedukation
kam erst viel später –, aber man durfte
freie Knie und Ellenbogen zeigen.
Alle paar Wochen gab es Baden. Die
Baderäume befanden sich im Keller. Wir
mussten uns völlig ausziehen und bekamen einen kleinen Lendenschurz, dazu
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eine Handvoll Schmierseife. Nach dem
Einseifen wurden wir abgeduscht. Der
Schulabwart wachte aufmerksam darüber, dass sich jeder ordentlich wusch.
Auch auf der Mädchenseite gab es Baden. Ich weiß aber nicht, wie die genaue
Prozedur vor sich ging. Einer meiner
Mitschüler stammte aus einem streng
katholischen Haus. Der Anblick nackter
Kinder, oder sich selber vor diesen zu
entblößen, wäre ihm unzumutbar gewesen.
Deshalb dispensierte ihn der Klassenlehrer
in eigener Kompetenz vom gemeinsamen
Baden, und niemand störte sich daran.
Mein Mitschüler wurde übrigens später katholischer Priester. Damals hatten wir auch am Samstag Schule. Wir
hatten in der Klasse einen Juden. Der
kam an diesem Tag zwar zum Unterricht, aber ohne Schulranzen, und er
selbst rührte während der Schulstunde
weder Schreibwerkzeug noch Lesebuch
an. Auch daran störte sich niemand.
ihre Zehennägel waren rot lackiert. Es
war Markttag. Die Besichtigungstour
gestaltete sich zum reinsten Spießrutenlauf. Jedermann schaute auf ihre Füße
und betrachtete sie wie eine Hure; wir
suchten so schnell wie möglich das Weite.
Der katholische
Laie darf heute
die Bibel lesen,
ohne eine Kirchenstrafe zu riskieren. Knaben und
Mädchen gehen
gemeinsam zur Schule.
Vor etwas mehr als fünfzig Jahren wollte
ich meiner Frau meinen Geburtsort
zeigen. Sie war züchtig angezogen – ob
mit freien Ellenbogen oder nicht, weiß
ich nicht mehr genau –, aber sie trug
keine Strümpfe; sie trug Sandalen, und
Georg Brubacher: Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang mit alltäglichen Problemen.
Wenige Jahre später machten wir einen zweiten Versuch. Der Ort hatte ein
Schwimmbad bekommen, und die jungen
Frauen liefen halbnackt auf der Strasse
herum. Was war geschehen? Offenbar
hatte eine neue Generation das Zepter
übernommen. Fernsehen und Tourismus
trugen das Ihre bei. Ich selber kam mir
wie aus einer vergangenen Zeit vor.
Der aufmerksame Leser hat sicher schon
längst gemerkt, dass es sich bei meinem
südlichen Heimatland um das Wallis
handelt, dass das heilige Buch die Bibel ist
und dass daraus eine Stelle aus dem ersten
Brief des Apostels Paulus an die Korinther zitiert wurde (1. Korinther, 11, 4-9).
Inzwischen bin ich über neunzig Jahre alt
geworden. Ich habe erlebt, wie die Röcke
der Frauen kürzer wurden und wieder
länger, wie die Frauen sich der Männerkleidung bemächtigten. Der katholische
Laie darf heute die Bibel lesen, ohne eine
Kirchenstrafe zu riskieren. Knaben und
Mädchen gehen gemeinsam zur Schule.
In Basel wurde Kurt Fahrners Bild „Nackte
Frau am Kreuz“ von Staates wegen eingezogen und versiegelt, weil es offenbar
die religiösen Gefühle einiger Christen
verletzte. Das Bild wurde erst nach Fahrners Tod, zwei Jahrzehnte später, in einer
Retrospektive ausgestellt. Die Aufregung darüber blieb ganz einfach aus.
Das Bundesgericht hatte darüber zu
befinden, ob das Aufhängen christlicher
Symbole im Schulzimmer ungesetzlich
sei. Schwule und Lesben können sich
öffentlich zu ihren Neigungen bekennen,
ohne der allgemeinen Ächtung anheim
zu fallen. Konkubinatspaare dürfen eine
gemeinsame Wohnung beziehen, ohne
dass die Polizei untersuchen muss, ob das
Paar eine gemeinsame Zahnbürste benutzt.
Rückblickend auf mein langes Leben
möchte ich für mehr Gelassenheit beim
Auftreten alltäglicher Probleme plädieren,
vor allem bei Problemen des täglichen
Zusammenlebens. Damit würden wir Zeit
und Kraft gewinnen, um uns für die wichtigen Aufgaben unserer Zeit einzusetzen.
Seite 13
Harry Harun Behr
„Wir wollen kein türkisches Schulbuch.“
Islamische Schulbücher im Fokus
Die drei folgenden Beiträge sind aus einer
ursprünglich geplanten Publikation zur
Hohenheimer Tagung „Auf dem Weg
zum Islamischen Religionsunterricht IV“
heraus entstanden: Gül Solgun-Kaps
stellt das Schulbuch Mein Islambuch1 vor,
Fahimah Ulfat bespricht die Unterrichtsreihe Bismillah – Wir entdecken den Islam2
und Katharina Frank nimmt einen Vergleich vor, bei dem unter anderem auch
die Reihe Saphir3 zur Sprache kommt.
Inzwischen sind weitere Unterrichtswerke
und -materialien auf den Markt gekommen. Die Breite des Angebots findet aber
keine Berücksichtigung, denn es geht
nicht um eine vergleichende Studie –
das sei lieber der wissenschaftlich weiter
führenden Expertise anvertraut. Hier
sollen vielmehr zusammenfassend einige
grundsätzliche Diskurslinien angezeichnet werden. Die Reihe „Saphir“ war
schon einmal Gegenstand kontroverser
Debatten (siehe ZRLI Heft 5, Download via www.izir.de). An dieser Stelle sei
H. H. Behr: „Wir wollen kein türkisches Schulbuch.“
zur vertiefenden Lektüre auch auf den
Beitrag von Michael Kiefer hingewiesen
(Kiefer, Michael: Saphir 5/6 und EinBlick
in den Islam 5/6 – kritische Anmerkungen
aus islamwissenschaftlicher Perspektive. In:
Klaus Spenlen und Susanne KröhnertOthman (Hg.): Integrationsmedium
Schulbuch. Göttingen 2012. 99-112).
Die Begutachtung islamischer Schulbücher findet immer wieder Eingang in
Seminare an der Universität ErlangenNürnberg. Dort werden sie von einer
Studentenschaft betrachtet und bewertet,
die in vielerlei Hinsicht plural zusammengesetzt ist: Muslime und Nicht-Muslime,
Lehramtsstudierende und Lehrkräfte im
Dienst, die mit den Büchern im Unterricht arbeiten. Auch die Perspektive
der Schüler und ihre Erfahrungen mit
den Büchern finden Berücksichtigung.
Hinzu kommt die interdisziplinäre und
kooperative Struktur der Lehrveranstaltungen: Die Studierenden ebenso
wie die Lehrenden stammen aus unter-
schiedlichen Fächern, die sich mit dem
Islam befassen, zum Beispiel katholische,
evangelische und islamische Religionslehre, Soziologie, Psychologie, Kulturwissenschaft, Arabistik, Orientwissenschaft,
Allgemeine Pädagogik, Schulpädagogik,
Geschichte oder Religionswissenschaft.
Die Debatte um islamische Schulbücher
hat sich ursprünglich an Saphir 5/6 entzündet, aber inzwischen wieder beruhigt,
weil sich das Buch in der Praxis bewährt
und sich die ersten abschlägigen Impulse
erschöpft haben, wie sie bei einen Pionierprojekt von diesem Format stets zur Begleitmusik gehören. Mittlerweile frischt die
Brise aber wieder auf, und zwar mit Blick
auf Bücher, die im Gefolge von Saphir
erschienen sind. Das liegt ganz einfach
daran, dass für einen Vergleich mindestens
ein weiteres Konkurrenzprodukt auf Augenhöhe über die Theke gehen sollte. Ob
das immer gegeben ist, kann man diskutieren, denn das Signum Augenhöhe bezieht
sich ja nicht allein auf das Vorhandensein,
sondern auf die fachwissenschaftlichen,
schulbuchdidaktischen, literarischen und
ästhetischen Standards, auf die Genehmigung als lehrmittelfreies Schulbuch,
auf die Akzeptanz der Zielgruppen, auf
die Tauglichkeit in der schulischen Praxis
und – das wird oft unterschätzt – auf die
Erfahrung des Verlags und die Integration in ein die Fächergruppe Religion
betreffendes Sortiment. Die thematischen Diskurslinien kreuzen deshalb
die folgenden semantischen Horizonte:
Entspricht das Buch den religionspädagogischen Standards?
Hier sind nationale und internationale
Auszeichnungen oder Rezensionen mit der
Qualität eines peer review von gewisser
Bedeutung. Im Zuge dessen wird auch
immer wieder der Verdacht zu Protokoll
gegeben, dass sich Bücher, die nach Saphir
entstanden sind, in ihrer schulbuchdidaktischen Anlage bis hin zu augenfälligen
Seite 14
Layout-Merkmalen bei Saphir bedienen.
Dagegen ist vom Prinzip her nur wenig
einzuwenden, sofern nicht plagiiert wird.
Schwerer wirkt der Vorwurf von Seiten
der Didaktiker, in einigen islamischen
Schulbüchern würden Themen zwar
abgehandelt, aber nicht be-handelt. Gemeint ist damit die fehlende didaktische
Reduktion auf exemplarische Lerninhalte, mithin eine mangelhafte Auswahl
und erdrückende Fülle an Themen – die
freilich weitgehend den Anforderungen
der geltenden Lehrpläne und Richtlinien geschuldet ist, die in der Hinsicht
dringend der Entrümpelung bedürften.
Ein in besonderem Maße die muslimischen Gemüter erregendes Potenzial
hält auch der schulbuchdidaktische Einsatz
von Bildern bereit. Bilder, so die Kritik,
dienten oft nur der Illustration im Sinne
einer affirmativen Wirklichkeitsauffassung.
Vergessen werde dabei, dass Bilder nicht
Wirklichkeit abbilden, sondern Wirklichkeit herstellen – und zwar vor allem durch
ihr Arrangement im Zusammenspiel mit
Text, grafischer Gestaltung und didaktischem Impuls. Diese Spannungslinie
kulturell determinierter Sehgewohnheiten
ist eine der Fugen, an denen die Nutzer
mit dem Vorwurf ansetzen, ein bestimmH. H. Behr: „Wir wollen kein türkisches Schulbuch.“
tes Buch sei ihnen zu „türkisch“ oder ein
anderes zu „deutsch“. Auch das künstlerische Empfinden kommt zum Tragen,
wenn moniert wird, Bilder seien oftmals
wenig ästhetisch, lieblos, zu provokant,
zu kindlich oder insgesamt zu sehr einem
offenbar niedrigen Niveau der sensorischen
Differenzierung geschuldet – mit dem
Effekt, dass solche Bücher besonders dort
implizit zur Stigmatisierung von Muslimen als intellektuell wenig ansprechbar,
religiös eingeengt und kulturell borniert
beitragen, wo sie meinen, der so genannten
„Beheimatung im Eigenen“ zu dienen.
Von besonderer Brisanz für islamische
Religionsbücher sind zudem die darin
transportierten Geschichtsbilder und die
mit ihnen verbundene Verhältnisbestimmung von historischer, kultureller und
theologischer Wirklichkeitskonstruktion.
Hier wird zu oft dem personalisierten
Geschichtsbild die Rede geführt, bis hin zu
historischen Ereignissen als Erfüllungsgeschehen des göttlichen Geschichtswillens.
Der von Historikern erhobene Vorwurf an
islamische Unterrichtswerke, ihr Umgang
mit der Geschichte im Allgemeinen und
der des Islams im Besonderen sei schönfärberisch, muss ernster genommen werden.
Für die Didaktik des islamischen Religionsunterrichts liegt hier ein nicht unproblematischer Übergang von der Geschichte
zu ihren Geschichten. Das Unbehagen
muslimischer Lehramtsstudierender des
Islams, sich im Zuge der theologischen Reflexion des Eigenen auf das experimentelle
Unterfangen der Narrativität als identitätsstiftendem Prozess einzulassen, spricht
Bände. Hier wird lieber nacherzählt als erzählt. Das Potenzial der Kreativität und der
anamnetischen Beweglichkeit des Geistes
droht dem im Substanziellen erstarrten
Bild von religiöser Erzählung als in Text
geronnenes empirisches Wirklichkeitsgeschehen geopfert zu werden. Die theologische Signatur und die pädagogische Kraft
von [qaÒaÒ] als der Kunst des Erzählens
im Koran ist noch nicht bis zur religiösen Lehrererzählung durchgedrungen.
Der von Historikern
erhobene Vorwurf an
islamische Unterrichtswerke, ihr Umgang mit
der Geschichte im
Allgemeinen und
der des Islams im
Besonderen sei
schönfärberisch,
muss ernster
genommen werden.
Seite 15
Zeigt das Buch ein klares
und eigenständiges theologisches Profil?
Dabei geht es um ein Profil, welches von
den Herausgebern verantwortet wird und
das sie als Vertreterinnen und Vertreter
religiöser Lehre identifizierbar macht.
Das ist eine Profilfrage und nicht eine
vordergründige Frage von im positivistischen Sinne verstandener „theologischer
Authentizität“. Diese ist ein weit verbreitetes Missverständnis: Der Vertretungsanspruch von wahrer Lehre des Eigentlichen
ist primär ein institutioneller und kein
wissenschaftlicher Anspruch; er bleibt
angesichts der religiösen und kulturellen
Pluralität des Islams und der Heterogenität muslimischer Gegenwartskulturen
stets ein ideologisches Konstrukt. Theologische Authentizität definiert sich dann
auch schon mal über den unterschlagenen Gegenwartsbezug oder über ein
essenzialistisches und exklusivistisches
Religionsverständnis. In diesem Zusammenhang rücken in einigen islamischen
Schulbüchern negativ auffällige, weil von
ihren Nutzern als tendenziös empfundene
Signaturen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, so etwa die Gleichsetzung
von Tradition und Echtheit,
H. H. Behr: „Wir wollen kein türkisches Schulbuch.“
von Text und Geist,
von Kulturalität und religiösem Deutungssystem,
von gruppenbezogenen (gesinnungsorientierten) und ethischen (verantwortungsorientierten) Konsensprinzipien oder
von kollektiver Religionsausübung
und subjektiver Spiritualität.
Bewährt sich das Buch
in der Praxis?
Hier sind die Voten von Schülerinnen
und Schülern maßgeblich. Dass die erste
Auflage eines islamischen Schulbuchs
deshalb vergriffen ist, weil sich große Teile
der Schülerschaft das Buch privat anschaffen, hat Signifikanz hinsichtlich seiner
Qualia, durch die sich die Zielgruppen
angesprochen fühlen. Bei denen kommt
es schlecht an, wenn die Angst-Szenarien
ihrer Elterngeneration durch die Schulbuchseiten hindurch nach ihren Köpfen
und Herzen greifen. Mal ehrlich – wer
geht heute noch in eine „Diskothek“
oder gibt sein Taschengeld für CDs aus,
und wo genau liegt denn der vermeintliche ursächliche Zusammenhang von
Musik und Drogenkonsum, und was hat
das mit den Schülerinnen und Schülern
zu tun? Derlei berührt die Frage der so
genannten Passung, die sich an Hand
zweier Faktorengruppen beschreiben lässt;
die lassen sich freilich weiter unterteilen,
worauf hier aber verzichtet werden soll:
Das thematische Interesse der Schüler; es
lässt sich dadurch in eine am Informationswert orientierte Verlaufsmotivation
überführen, dass die Themen und ihre
Aufmachung an die Lebenswirklichkeiten der Schülerinnen und Schüler
Theologische
Authentizität definiert
sich dann auch schon mal
über den unterschlagenen
Gegenwartsbezug oder
über ein essenzialistisches
und exklusivistisches
Religionsverständnis.
Seite 16
Die theologische
Signatur des Angebots
muss also insbesondere
auf religiöses Lernen
hin ausgerichtet sein,
welches gleichermaßen
spirituelles Entdecken
wie problemorientiertes
Denken anspricht.
H. H. Behr: „Wir wollen kein türkisches Schulbuch.“
anknüpfen, ohne sich in ihnen zu verlieren (gegenwartskultureller Bezug).
Das existenzielle Interesse. Hier geht es um
im eigentlichen Sinne religiöses Lernen
auch in seiner schulischen Rahmung. Ein
Gutteil der Lernwirksamkeit liegt im gemäßigten Überforderungsanreiz, der knapp
über dem kognitiven und sprachlichen
Profil der avisierten Zielgruppen liegen
darf. Das betrifft Dinge wie etwa die Auswahl von Texten oder das Diskursniveau
im Unterricht. Werden diese Dinge als zu
einfach empfunden, dann sind sie auch
für die Befriedigung der religiösen Neugier
irrelevant. Diese aber ist grundlegendes
agens und movens jedweder theologischer
Expertise. Die theologische Signatur des
Angebots muss also insbesondere auf religiöses Lernen hin ausgerichtet sein, welches
gleichermaßen spirituelles Entdecken wie
problemorientiertes Denken anspricht. Sie
muss ferner dem spielerischen Aspekt der
Selbst-Erfindung des Menschen als Motiv
spiritueller Identität Raum geben – nötigenfalls auch gegen die Faktizität tradierter
Dogmen (gegenwartstheologischer Bezug).
(1) Mein Islambuch (für die Klassen 1 bis 4),
herausgegeben von Bülent Ucar, und die Schülerbücher,
herausgegeben von Serap Erkan, Evelin Lubig-Fohsel und
Gül Solgun-Kaps, Oldenbourg Schulbuchverlag München.
(2) Bismillah – wir entdecken den Islam, Arbeitshefte für die Jahrgangsstufen 1 bis 4, herausgegeben
von Rauf Ceylan, Schroedel Verlag Braunschweig.
(3) Saphir – Religionsbuch für muslimische Schülerinnen und Schüler (für die Klassen 5 bis 8), herausgegeben von Lamya Kaddor, Rabeya Müller und Harry Harun
Behr, und die Lehrerbände, Kösel Verlag München.
Seite 17
Gül Solgun-Kaps
Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
„Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern!
Sie sind nicht auf dem Berg Sinai entstanden,
meistens nicht einmal auf verständige Art und Weise,
sondern aus alten Schulbüchern,
die aus alten Schulbüchern entstanden sind,
die aus alten Schulbüchern entstanden sind,
die aus alten Schulbüchern entstanden sind.
Man nennt das Tradition.
Aber es ist etwas ganz anderes.“
(Erich Kästner, Ansprache zum Schulbeginn,
Gesammelte Schriften für Erwachsene, Band 7, München/Zürich 1969, S. 180)
Dieses Zitat von Erich Kästner ist ein
fester Bestandteil von jeglichen Analysen
über Schulbücher. Die Kritik, die Erich
Kästner hier aufstellt, ist wohl gerechtfertigt! Da aber der Islamische Unterricht in
Bayern noch in den Kinderschuhen steckt
und den Status eines Exoten hat, trifft
dieses Zitat für die Lehrwerke in diesem
Fach doch nicht ganz zu. Sämtliche Evaluationen über dieses Fach haben immer
wieder dasselbe festgestellt: Das Fehlen an
geeigneten Schulbüchern und Arbeitsmaterialien. Nur mit guten Schulbüchern und
Arbeitsmaterialien kann die Unterrichtsqualität gesteigert und gesichert werden.
Der islamische Unterricht sorgt in allen
Bundesländern für viel Gesprächsstoff.
Durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht
sind die meisten Schülerinnen und Schüler, die zurzeit eingeschult werden, auch
deutsche Staatsbürger. Die Eltern, gar die
Großeltern, sind zunächst bedingt durch
die Arbeitsmigration als „Gastarbeiter“
nach Deutschland gekommen und haben
sich nun mittlerweile zu Bürgern dieses
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Landes entwickelt. Diese neue rechtliche
Situation dokumentiert die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte.
Zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation gehören neben der rechtlichen
Gleichstellung auch die Integration der
zugewanderten Musliminnen und Muslime: „Wir müssen die muslimischen Kinder
dabei begleiten, eine Heimat in der Mitte
der Gesellschaft zu finden und zu behalten.“, so der bayerische Minister für Unterricht und Kultus Herr Ludwig Spaenle.
Die Schule ist eine zentrale Institution für
die Integration der jungen Musliminnen
und Muslime. In der Schule treffen die
unterschiedlichen kulturellen Traditionen
und religiösen Lebensentwürfe unvermittelt aufeinander. Erziehung zu den
Grundwerten der Verfassung, zu Toleranz
und friedlichem Miteinander, zu Respekt
vor Andersgläubigen sind Aufgaben, denen
sich die Schule zu stellen hat. Gleichzeitig ist aber die Erziehung im eigenen
Glauben, die Entwicklung und Stärkung
der eigenen religiösen Identität eine der
Voraussetzungen für die Verständigung mit
Menschen anderer religiöser Überzeugung.
Eine erfolgreiche religiöse Erziehung in
der Schule kann somit wesentlich zum
Gelingen der Verständigung zwischen
den Kulturen und Religionen beitragen. Ein attraktiv ausgestattetes und
altersgemäß gestaltetes Schulbuch, das
die Kinder in die Hand bekommen, ist
dabei Ausdruck der Wertschätzung dieses
Themenbereichs. Was für die nichtmuslimischen Kinder und Jugendlichen eine
Selbstverständlichkeit ist, soll mit dem
Islamischen Unterricht auch für muslimische Schülerinnen und Schüler aller
Herkunftsländer verwirklicht werden.
Mit dem deutschsprachigen Islamunterricht sind große Hoffnungen verbunden.
Alles was neu ist, wird mit Misstrauen
aber auch mit viel Spannung beobachtet. So auch ein neues Schulbuch. In
dieser Phase der Entwicklung soll ein
deutschsprachiger Islamunterricht auf
organisatorischer, pädagogischer wie auch
Seite 18
inhaltlicher Ebene erprobt und evaluiert
werden. Bislang fehlten hierzu jedoch
Unterrichtsmaterialien. Dieses Manko
erschwert die Unterrichtsplanung sehr für
die Lehrkräfte, die in der Regel noch dazu
an mehreren Schulen arbeiten. Eine Schulbuchtradition für den Islamunterricht im
deutschsprachigen Raum fehlte bislang.
steckt. Die Gestaltung und Textauswahl,
die Impuls- und Aufgabenansätze, der
Aufbau und die Gesamtorientierung
werden für die nächsten Jahre oder gar
für das ganze Jahrzehnt den Islamunterricht in einer Schule prägen. Mein Islambuch ist sozusagen die Visitenkarte des
Islamunterrichts in der Grundschule.
Mit einem Schulbuch für den Islamunterricht werden methodische und didaktische,
aber auch in vielen anderen Bereichen
die Weichen für den Unterricht in der
nahen Zukunft gestellt. Brauchen wir in
Deutschland eine islamische Religionspädagogik und Fachdidaktik? Wie aber
entsteht ein gutes islamisches Religionsbuch? Wer leistet dazu welchen Beitrag?
Welche Regelungen sind vorgegeben?
Was ist Islam in der Schule? Was soll
unterrichtet werden? Wie können Themenfelder im Unterricht zu ihren Inhalten
gelangen? Sollen Schüler zum Glauben
erzogen werden? Fragen über Fragen ...
Der Oldenbourg Verlag hat mit dem
Schulbuch Mein Islambuch seine Chance
genutzt und demonstriert gerade in diesem
Fach Vielfalt und eine Variationsbreite
für das Fach Islamischer Unterricht und
für die neue Fachdidaktik. Laut Kästner
kann für ein Schulbuch im Islamischen
Unterricht kein „althergebrachtes islamisches Religionsbuch“ auch noch in
deutscher Sprache als Vorgabe dienen. Ein
Hinweis sei gestattet: Die evangelische
und katholische Fachdidaktik kann auf
eine langjährige und reichhalte Tradition
verweisen und hat bereits seit Jahrzehnten
ein eigenständiges Profil entwickelt.
Mein Islambuch vom Oldenbourg Verlag
startet bereits in der Grundschule mit
der Vermittlung der Theorie in die Praxis
Die islamische Theologie hält Einzug in
der Schule, genauer in den Religionsunterricht, welches in der Bundesrepublik
Deutschland in der Erprobungsphase
Das theologische und religionspädagogische Profil dieses Buches musste erst
einmal gefunden und definiert werden.
Es gibt keinen Fundus, auf den man
hätte zurückgreifen können, sowohl bei
dem Aufbau wie bei den Inhalten oder –
ganz profan – auch bei der Bebilderung.
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Brauchen wir
in Deutschland
eine islamische
Religionspädagogik und
Fachdidaktik?
Wie aber entsteht ein
gutes islamisches
Religionsbuch?
Wer leistet dazu
welchen Beitrag?
Es mussten zunächst Kriterien für den
Unterrichtsinhalt ausgewählt und definiert werden. Die traditionellen Quellen
mussten mit in den Unterricht einbezogen werden. Die Autorinnen haben diese
Bandbreite an Fragen und Aufgaben durch
eine Auswahlentscheidung getroffen und
der Zukunft des Islamischen Unterrichts
mit einem Schulbuch einen Weg geebnet.
Eine Pionierarbeit für ein islamisches
Schulbuch in einer christlich-säkular
geprägten Gesellschaft musste begonnen
werden. Die Autorinnen und natürlich
der Verlag selbst gaben diesem Unterrichtswerk ihr individuelles Profil. Mitverantwortlich für Inhalte und Bebilderung
bzw. Illustrationen zeichnen sich darüber
hinaus Prüfungskommissionen in den
Ministerien und wissenschaftliche Berater.
Der Islam ist in den besonderen Fokus der
Öffentlichkeit gerückt, deshalb wird von
einem deutschsprachigen Islamunterricht
nicht nur erwartet, dass er die Muslime
rechtlich anderen Religionsgemeinschaften
gleichstellt, sondern auch eine Unterstützung für die Integration liefert. Der
Islam ist in Deutschland eine weitgehend
neue und „zugewanderte” Religion und
die Musliminnen und Muslime befinden
sich in der religiösen Diaspora. Diese
Seite 19
Tatsache hat nicht nur Auswirkungen
auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung,
sondern auch auf schulbuchdidaktische
Erwägungen. Darüber hinaus besteht der
Islam nicht aus einem monolithischen
Block. Vielmehr zeichnet sich die Religion der Muslime in Deutschland durch
eine besondere Vielfalt in ethnischer,
kultureller und religiöser Hinsicht aus.
Die Vorgehensweise der jeweiligen Schulministerien ist sehr unterschiedlich. Mal
mit Ansprechpartner nach dem Grundgesetz §7 Abs. 3, oder nur als ein befristetes
Projekt ohne Ansprechpartner, aber mit
der Beteiligung von muslimischen Vertretern, Elternvereinen oder Gemeinden.
Jedes Bundesland hat sein eigenes Curriculum und Lehrerausbildung. Die Frage
ist: Kann Mein Islambuch den verschiedenen Anforderungen gerecht werden?
Eine durchaus schwierige Aufgabe. Es bedeutet, dass viele Bereiche verknüpft werden müssen: die Lerninhalte und -ziele der
Lehrpläne, der Fachwissenschaft und der
Fachdidaktik, die Erwartungen der Lehrerinnen und Lehrer, die Entwicklungspsychologie der Schülerinnen und Schüler,
Überlegungen zur religiösen Sozialisation
der Grundschüler und nicht zu vergessen:
die Erwartungen und Vorgaben der Eltern
und der islamischen Vereine und Verbände.
Die meist in ihrer
Muttersprache religiös
sozialisierten Kinder
lernen nun ihren Glauben
in ihrer zweiten Sprache
kennen. Viele Begriffe
und Redewendungen,
Fachbegriffe müssen übersetzt und
angeeignet werden.
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
werden an mehreren Stellen aufgefordert
zum Beispiel das arabische Schriftzeichen
für Allah in einer Koranseite zu suchen.
Somit hat Mein Islambuch nicht nur das
Format eines Schulbuches mit Informationsgehalt und religionspädagogischen
Prinzipien, sondern auch eine politische
Dimension: Die Werte und Einstellungen
in der muslimischen Gesellschaft in
Deutschland kommen in Mein Islambuch
zum Tragen. Auch wenn der Islam in der
Mehrheitsgesellschaft oft als eine homogene Religion dargestellt wird, weiß man so wie es das Christentum und das Judentum als homogene Einheiten nicht gibt
- dass es den Islam auch nicht geben kann.
Mein Islambuch ist ein Schulbuch über
den Islam, aber auch für den Islamunterricht. Das Religionsbuch ist nach
wie vor ein grundlegendes Medium des
Religionsunterrichts. Inhaltlich muss es
aktuell sein, aber auch von seiner pädagogischen und didaktischen Konzeption
her die längst veränderten Sozialisationen von Schülerinnen und Schüler und
Lehrkräften gerecht werden. Was lernen
und erfahren muslimische Kinder in
der Grundschule über ihre Religion?
Diese Komplexität wird durch die Unterrichtssprache Deutsch ergänzt. Die meist
in ihrer Muttersprache religiös sozialisierten Kinder lernen nun ihren Glauben
in ihrer zweiten Sprache kennen. Viele
Begriffe und Redewendungen, Fachbegriffe
müssen übersetzt und angeeignet werden.
Durch die Verwendung der arabischen
Schrift wird eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Mehrsprachigkeit
vermittelt. Auch die „heilige“ Sprache
des Koran, Arabisch, hat im Schulbuch
Mein Islambuch eine zentrale Rolle. Die
arabische Gebetssprache wird gepflegt,
aber kindgemäß umgesetzt. Die Schüler
Das vorliegende Buch beachtet auf
dieser Grundlage folgende Kriterien:
• Orientierung am Konsensprinzip
der Muslime
• Beachtung der religiösen Tradition
• Abbildung der Lebenswirklichkeit
• Verschränkung der Erfahrungen der
Kinder mit der religiösen Tradition
• Hervorhebung der Interreligiosität
und des Dialogs
• Betonung von Gemeinsakeiten
– Einheit in der Vielfalt
• Binnendifferenzierung und
Altersbezogenheit
• Unterstützung der Identitätsbildung
Seite 20
Das vorliegende Schulbuch ist in der
gegenwärtigen Entwicklungsphase des
deutsch-sprachigen Islamunterrichts für
alle bisherigen Schulversuche konzipiert.
Daher orientiert es sich zwar grundsätzlich
an den oben dargestellten Prinzipien und
hat einen stark informierenden Charakter,
enthält jedoch auch bekenntnisorientierte
Anteile, damit diese unterschiedlich akzentuiert im Unterricht behandelt werden
können. Inhaltlich bezieht sich das Buch
auf islamische Primärquellen und orientiert sich unabhängig von den unterschiedlichen Rechtsschulen weitgehend am
Konsensprinzip der sunnitischen Muslime.
Die konkreten Themeneinheiten wurden auf dieser Grundlage aus den unterschiedlichen Lehrplänen zu gemeinsamen
Oberthemen zusammengefasst. Den
Rahmen des Unterrichtswerks bilden
das Grundgesetz und die weitgehend
übereinstimmenden Erziehungsziele der
Bundesländer. Das vorliegende Schulbuch
stellt den Islam als Lerninhalt in einen
sinnvollen Zusammenhang mit dem
gesamten Fächerkanon der Schule, aber
auch das gesamte Schulleben wird hier
mit einbezogen. Querverbindungen zum
evangelischen und katholischen Religionsunterricht oder zum Fach Ethik sind
angelegt und werden immer wieder betont.
Der Werteerziehung und Persönlichkeitsbildung wird besondere Beachtung
geschenkt. Die Stärkung und Entwicklung
sozialer und personaler Kompetenzen
wie Achtsamkeit, Selbstverantwortung,
Selbstvertrauen, Offenheit, Empathie und
gewaltfreies Konflikt-lösungsverhalten
stehen im Fokus von Mein Islambuch;
nur so können muslimische Schüler mehr
von ihrem Glauben erfahren und erleben.
Mein Islambuch ist in verschiedene Lernprozesse der Kinder eingebettet. Es bietet
eine Verstehens- und Konstruktionshilfe
und mit dem Lehrerhandbuch weitere
Hilfsmittel zur Inszenierung anregender
Lernumgebungen von der 1. bis zur 4.
Klasse. Eine ausgewogene Gewichtung
zwischen Lehrer-, Schulbuch- und Schülerorientierung wird durch das Medium
hergestellt. Ziel des Schulbuches ist ein
erfahrungsorientierter Austausch mit der
islamischen Theologie in der Grundschule. Hierbei wird eine Einheit von
Emotion und Intuition eingegangen.
Das Schulbuch beginnt mit den fünf
Säulen des Islam und endet mit den sechs
Glaubenssätzen. So wird die Tradition gepflegt und auch die Bedeutung der Tradition hervorgehoben. In unterschiedlichen
thematischen Zusammenhängen werden
auf die fünf Säulen und auf die sechs
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Glaubenssätze immer wieder Bezug genommen oder auf Teile bzw. Aspekte dieser
Grundlagen eingegangen. So kann den
Kindern die Einordnung der behandelnden Teilthemen in den Gesamtzusammenhang der Grundlagen ermöglicht werden.
Wie in jedem Religionsbuch wechseln
sich auch in Mein Islambuch Einheiten
mit Geschichten aus dem Koran, problemorientierte Einheiten mit theologischen Fragen, Gebete, interreligiöse
Begegnungen und „Alltagsthemen“ ab.
Grundlegendes Wissen über die Inhalte
und Bedeutung der eigenen Religion
und deren Rituale zu erhalten und sie in
deutscher Sprache ausdrücken zu können
- dies sind die Ziele des Schulbuches.
Eigene religiöse Standpunkte zu entwickeln, zu kommunizieren und zu
begründen, um letztendlich danach zu
handeln sind weitere zentrale Ziele des
Schulbuches. Ethische Handlungsmaßstäbe anhand von Koran und Sunna zu
erkennen und danach zu handeln, wie
zum Beispiel die Bewahrung und der
Respekt vor der Schöpfung, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit im Sinne friedlicher Konfliktlösungsstrategien, Achtung
und Toleranz gegenüber dem Anderen
werden wie eine Spirale ausdrücklich
Ziel des Schulbuches ist
ein erfahrungsorientierter
Austausch mit der
islamischen Theologie
in der Grundschule.
Hierbei wird eine Einheit von Emotion und
Intuition eingegangen.
Seite 21
immer wieder durch das gesamte Lehrwerk in jeder Jahrgangsstufe gepflegt.
Mit aufsteigender
Jahrgangsstufe führt
das Schulbuch Schritt
für Schritt in die Textarbeit mit dem Koran ein.
Eine hermeneutische
Erschließung des Textsinns
wird vorgenommen.
Die in den Lehrplänen ausgewiesenen Themeneinheiten wurden unter Oberthemen
zusammengefasst. Sie entsprechen weitgehend dem Aufbau und der Gliederung
des Schulbuches Mein Islambuch für die
1./ 2.; 3. Jahrgangsstufe und dem Folgeband der 4. Jahrgangsstufe. Damit sollen
spiralcurricular Themen unterschiedlich
akzentuiert, wiederholt und vertieft werden. Diesen pädagogisch sinnvollen Ansatz
verfolgen die meisten Lehrpläne für den
Islamunterricht. Als Orientierungshilfe
sind die einzelnen Themenkomplexe mit
unterschiedlich gefärbten Ornamentbändern am Seitenrand und Schmuckrosetten auf den Seiten oben markiert.
• Ich, Familie, Gemeinschaft:
Ausgehend vom einzelnen Kind werden
die Beziehungen innerhalb der Familie,
dann in der Gruppe der muslimischen
Kinder, weiter zu den Freunden und
schließlich der Schulgemeinschaft thematisiert. Die Gemeinschaft der Muslime (Umma) ist eines der zentralen
Themen dieses Leitthemas. Fragen der
Zusammengehörigkeit, der Konfliktbewältigung, Hilfsbereitschaft anderen
Menschen gegenüber werden in diesem
Kapitel erörtert und beantwortet.
Mit aufsteigender Jahrgangsstufe führt
das Schulbuch Schritt für Schritt in die
Textarbeit mit dem Koran ein. Eine hermeneutische Erschließung des Textsinns
wird vorgenommen. Durch die deutsche
Übersetzung der Gebete und Suren tritt
die fundamentalistische Lesart zurück.
• Die Schöpfung:
Die „erste“ Begegnung mit Gott: Sein
Name, seine Eigenschaften und sein
Wirken werden in den Zusammenhang
mit seiner Schöpfung gebracht und regen zum Nachdenken über die Welt an.
Die Kinder begreifen sich als ein Teil
dieser Schöpfung – mit ihren Pflichten
gegenüber der Schöpfung. Die Verantwortung des Menschen im Umgang mit
der gesamten Natur wird hervorgehoben. Die Schöpfung gilt als Werk und
Geschenk Gottes an die Menschen.
Es gibt jahrgangsübergreifende Kernfragen bzw. in sich geschlossene Leitthemen, die in der Theologie in Mein
Islambuch im Mittelpunkt stehen:
• Mit Gott sprechen und beten:
Wie kann ich zu Gott sprechen? Wird
mir Gott dann auch helfen? Diese
Fragen stehen im Mittelpunkt des
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Islamunterrichts. Die Beziehung des
Menschen zu Gott wird durch das
Glaubensbekenntnis und das Gebet besonders hergestellt. Unterschiedlichste
Gebetsformen werden im Schulbuch
dargestellt, die Kinder finden hierzu
individuell Zugang. Besondere Gebetsformen und -Orte, wie zum Beispiel
die Moschee werden thematisiert.
• Die Propheten und der Koran:
Prophet Mohammeds Leben, die erste
Offenbarung, der Koran gehören
zu den religiösen Grundlagen. Das
Wirken des Propheten Mohammeds
wird auf verschiedenste Weise betrachtet. Die schwierigen Anfänge nach der
ersten Offenbarung in Mekka und
seine Auswanderung sind zentrale
Themen des Schulbuches. Die „Migrationsgeschichte“ des Propheten Moses
liefert einen Einblick in die frühe
Lebensphase des Propheten und gibt
ein Beispiel für sein Gottvertrauen.
Nicht nur die Muslime zur Zeit des
Propheten Mohammed mussten ihre
Heimat verlassen. Mit Migrationsbeispielen aus der heutigen Zeit wird der
Bezug zu den Migrationserfahrungen
vieler Muslime und Musliminnen
in Deutschland hergestellt. Die Entstehung der ersten muslimischen
Seite 22
Gemeinde in Medina und die Prophetenmoschee in Medina sind zentrale Aspekte der Biografie des Propheten und
seiner Wirkungsgeschichte. Aber auch
andere Propheten wie Abraham, Noah,
Jonas, David oder Josef sind Themen,
die zu den koranischen Geschichten
hinzugeordnet werden können.
• Der Islam und andere Religionen:
Für den religiösen Diskurs steht das
Wissen und Verstehen der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede der
drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam im Vordergrund.
• Der Koran als Wegweiser: Der Koran, die Sunna und die Hadithe werden als Richtschnur für das
Handeln der Muslime und für ein
gottgefälliges Leben vorgestellt. Diese Schulbuchseiten vermitteln erste
altersgemäße Einblicke, wie sie als
Richtschnur das Leben der Gläubigen
leiten und beeinflussen. Anhand einer
Koranseite wird in den Aufbau und die
Struktur des Korans eingeführt und
zentrale islamische Fachbegriffe werden
erklärt. Der Koran und seine Verse werden im gesamten Schulbuch thematisiert. Sie nehmen Bezug zu alltäglichen
Themen kindlicher Lebensrealität und
Fragestellungen oder als Thema an sich.
• Die fünf Säulen des Islams:
Ziel des Schulbuches ist es, muslimische Kinder an die Pflichten der
fünf Säulen heranzuführen. Die fünf
Grundpflichten verbinden die Pflichten
des Menschen Gott gegenüber mit den
Pflichten gegenüber den Mitmenschen
und der Gemeinschaft. Kenntnisse der
Kinder werden wiederholt und vertieft.
Kindgemäße Beispiele zu den Regeln
und der Bedeutung der einzelnen
Säulen stellen einen Bezug zur Realität
der Kinder in Deutschland her, ermöglichen es, dass eigene Erfahrungen
eingebracht werden und zeigen, wie
auch in der Diaspora die religiösen
Pflichten eingehalten und im sozialen
Miteinander Hilfen angeboten werden
können. Dazu werden „Geschichten“
aus der Realität (Fastenerlebnis eines
Mädchens, Idee von Kindern, wie sie
hilfsbedürftige Menschen unterstützen
können) bewusst erzählt. Interreligiöse
Bezüge werden durch die fünfte Säule
(der Hadsch) hergestellt. Die Pilgerfahrt der Muslime, ein Zeitungsartikel
über eine Pilgerfahrt der Christen nach
Jerusalem und verschiedene Arbeitsaufträge fordern eine Auseinandersetzung
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
der Kinder mit beiden Religionen
und stellen interreligiöse Bezüge her.
• Feste feiern: Feste und Rituale der drei großen
monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam werden
in jeder Jahrgangsstufe vorgestellt. Das
Schulbuch kann zu diesem Thema
flexibel eingesetzt werden. Anlass- und
situationsbezogen werden Feste im Jahreskreis gefeiert. Rituale spielen in allen
drei Religionen eine zentrale Rolle.
petenzen des Schulbuches. Die Kinder
lernen, sich mit Hilfe eines Glossars
möglichst selbständig Sinnzusammenhänge von Texten zu erschließen.
Sie werden in die Arbeit mit einem
wichtigen Hilfsmittel eingeführt. Die
Kinder lernen die Technik des Nachschlagens für sich sinnvoll zu nutzen.
• Infokästchen:
Um das Kompetenzspektrum der
Schülerinnen und Schüler zu stärken
werden immer wieder Fachbegriffe
und weitere wichtige geschichtliche
Informationen definiert und erklärt.
Diese Leitthemen sind für den deutschsprachigen, bekenntnisorientierten,
islamischen (Religions)unterricht konzipiert und orientieren sich an den in
allen Bundesländern bereits vorhandenen Lehrplänen und Curricula. Die
Autorinnen des Buches legen bei der
Umsetzung der Leitthemen besonderen
Wert auf die Vermittlung islamischer
Glaubensgrundlagen in Verbindung mit
konkreten Handlungszusammenhängen.
• Glossar: In das Glossar sind zentrale Begriffe
aufgenommen, die erklärungsbedürftig
sind und bei Bedarf schnell zu finden
sein sollten. Die kurzen Erläuterungen
geben unter anderem Aufschluss über
zentrale Glaubensinhalte, Personen des
Glaubens, Institutionen, Feste, Rituale
und religionshistorische Ereignisse.
Sich selbst Informationen beschaffen
zu können, gehört zu den Basiskom-
Ein Schulbuch für das Fach Islamischen
Religionsunterricht muss die Erfahrungs- und Lebenswelt der Kinder im
Grundschulalter in Deutschland mit
einbeziehen und theologisch reflektieren.
Der Religionsunterricht sollte mit dem
Mein Islambuch sich nicht zu einem reinen
sozialkundlichen Unterricht mit vielen
„Alltags- und sozialen Themen“ entwickeln. „Alltagsthemen“ haben im Lehrwerk
immer einen Bezug zum Glauben und zur
Seite 23
Heiligen Schrift. Auch das „Vorleben“ des
Propheten Mohammed ist von Bedeutung
und wird in hohem Maße immer wieder
in die Themeneinheiten eingebaut. So
können die Schülerinnen und Schüler
sich an dem vorbildlichen Verhalten des
Propheten orientieren, Fragen beantworten und für sich einen Weg ebnen.
Auf elementare und altersgemäße Weise
werden die Kinder in die Glaubensinhalte, -praktiken und Traditionen des
Islam eingeführt. Sie werden in ihrer
Persönlichkeitsentwicklung als Muslime
unterstützt und in ihrer Zugehörigkeit
zur Gemeinschaft der Gläubigen gestärkt. Die Vermittlung von Werten, die
auf ein friedvolles Zusammenleben von
Muslimen und Nicht-Muslimen in einer
demokratisch verfassten Gesellschaft
ausgerichtet sind und zur individuellen
gottgefälligen Lebensgestaltung des
einzelnen beitragen, steht bei konzeptioneller Umsetzung des Schulbuches
Mein Islambuch im Vordergrund.
Mit unterschiedlichsten
Fragen werden Schülerinnen
und Schüler angeregt,
aber auch aufgefordert,
islamische Einstellungen
und Haltungen auszuprobieren und für ihr eigenes
Leben anzunehmen.
Der Islam-Unterricht bietet den Kindern
Möglichkeiten, islamische Einstellungen
und Haltungen zu erproben und einzuüben. Deshalb stellt das Schulbuch Mein
Islambuch die Vermittlung islamischer
Glaubensgrundlagen in konkrete HandGül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
lungszusammenhänge. Dem Prinzip des
Lebens- und Realitätsnähe folgend, werden
die Glaubensinhalte und -praktiken auf
die Erfahrungsebene der Kinder bezogen.
Die Kinder werden durch das Schulbuch
ermutigt, sich mit den zentralen Sinnfragen, welche der Islam thematisiert,
auseinanderzusetzen. Die Kinder werden
als Muslime angesprochen, sie müssen
sich nicht erst als Muslime definieren.
Diese muslimische Identität der Kinder
wird pädagogisch durch das Schulbuch
weiter vermittelt und vor allem gestärkt.
Das Philosophieren über Fragen wie zum
Beispiel Gut und Böse, Gerechtigkeit und
Ungerechtigkeit haben im Schulbuch Platz
und bieten so den jungen muslimischen
Schülerinnen und Schülern kindgemäße
Zugänge zur Religion. Mit unterschiedlichsten Fragen werden Schülerinnen und
Schüler angeregt, aber auch aufgefordert,
islamische Einstellungen und Haltungen
auszuprobieren und für ihr eigenes Leben anzunehmen. Dabei findet eine
Verknüpfung statt zwischen religiösen
Ritualen, wertorientiertem Handeln und
der Anleitung zur Selbstreflexion. Ziel
von Mein Islambuch ist es, muslimische
Schülerinnen und Schüler zu religionsmündigen und urteilsfähigen Menschen zu
erziehen, die Verantwortung übernehmen
und über die Fähigkeit verfügen, eigene
und andere Standpunkte und Entscheidungen kritisch und reflexiv zu betrachten.
Gerade in Deutschland ist die religiöse
Sozialisierung der muslimischen Schülerinnen und Schüler sehr facettenreich und
der Wissenstand zu ihrem Glauben sehr
unterschiedlich. Viele der Schüler wissen
viel über den Islam, da er bereits in ihr
Lebensumfeld eng eingebunden ist und
andere nur sehr wenig. Aufgabe des Schulbuches ist es mit binnendifferenzierten Angeboten dieses Problem im Klassenverband
soweit wie möglich mit vielen didaktischen
Angeboten zu lösen. Leitendes didaktisches Prinzip ist dabei das Fragen-Stellen,
Hinterfragen, Entdecken, Staunen, aber
auch Raum für Philosophieren. Damit
trägt das Schulbuch den unterschiedlichen
Voraussetzungen und Bedingungen der
Kinder und einem modernen zeitgemäßen Religionsunterricht Rechnung.
So wird Mein Islambuch als Schulbuch
auch in voraussetzungsdifferenten jahrgangsgemischten Gruppen der Heterogenität durch viele differenzierende Angebote
gerecht. Das Schulbuch trägt dazu bei, eine
Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens zu schaffen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, damit die Kinder sich
Seite 24
öffnen und Persönliches von sich mitteilen
und sich auf anderes einlassen können.
Das Erkunden der eigenen Religion
steht im Mittelpunkt der Arbeit mit dem
Mein Islambuch. Ausgangspunkt ist die
Lebenswelt muslimischer Schülerinnen
und Schüler, die in Deutschland geboren
und aufgewachsen sind und damit auch
mit anderen Kulturen und Traditionen
vertraut sind, vor allem aber ihren Glauben in einem christlichen Umfeld in der
Diaspora kennenlernen. Das Materialangebot der Lehrwerke orientiert sich
inhaltlich sowohl an religiösem Basiswissen
als auch an gegenwärtigen sozialen und
ethischen Sachfragen. Die Lehrinhalte
konzentrieren sich dabei nicht auf die
Vielfalt der religiösen Richtungen, sondern
vermitteln religiöse Grundlagen, die sich
auf die Mehrheit der Muslime beziehen.
Hierbei wird theologisch von dem Konsensprinzip (Idschma) der Muslime
ausgegangen. Dieser bezieht sich in dem
Werk Mein Islambuch in erster Linie auf
sunnitische Muslime in Deutschland und
weltweit. Die Inhalte beziehen sich im
Wesentlichen auf grundlegende Werke
dieser Strömungen des Islam ohne andere
islamische Gruppierungen auszugrenzen.
Zugleich soll keine Gleichmacherei auf
niedrigstem Niveau betrieben werden.
Daher wird dieser Ansatz durch das
Kontroversitätsprinzip (Ichtilaf-Lehre)
ausgeglichen. Offen für Dialog und
handlungsorientiert wird immer wieder an
religiöses Vorwissen der Schülerinnen und
Schüler und ihre eigenen Erfahrungen und
Erlebnisse angeknüpft. Religiöse Inhalte
sollen sie verstehen, an ihnen weiterdenken
und sie immer wieder überdenken können.
Mein Islambuch unterstützt die Lernenden, grundlegendes Wissen über
die Inhalte und Bedeutung der eigenen
Religion und dem eigenen Glauben zu
erhalten. Sie lernen die Rituale im Islam
kennen und können diese in deutscher
Sprache wiedergeben. Die Schülerinnen
und Schüler handeln nach eigenen religiösen Standpunkten: Zuvor entwickeln
sie diese mit Hilfe von Mein Islambuch.
Sie lernen religiös zu kommunizieren,
zu begründen. Diese Voraussetzungen
sind für die religiöse Sozialisation von
Bedeutung, wenn diese auch letztendlich
umgesetzt werden soll, oder Schülerinnen
und Schüler danach handeln sollen.
Andere Religionen und Weltanschauungen werden erkundet, kennengelernt.
So begegnen muslimische Schüler ihnen
mit Respekt und Achtung. Es baut ein
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Verständnis zu ihren Schulkameraden
auf. Mein Islambuch ist für Kinder muslimischen Glaubens konzipiert, die in
der Bundesrepublik Deutschland in
einer Diaspora- und Minderheitensituation leben. Gerade deshalb ist es von
Bedeutung, den eigenen Glauben nicht
isoliert zu betrachten. Durch das Schulbuch werden die Kinder für interreligiöse
Prozesse sensibilisiert und befähigt, sich
in Situationen, die durch religiöse und
kulturelle Vielfalt gekennzeichnet sind,
offen und zugewandt zu verhalten.
Das Schulbuch verstärkt, dass Vielfalt als
Bereicherung wahrgenommen wird. Die
muslimischen Kinder werden angeregt
und auch ermutigt, sich mit Angehörigen
anderer Religionen und Weltanschauungen
über religiöse Fragen zu verständigen.
Diese Tatsache bzw. Vorgehen kann aber
nur dann gelingen, wenn Kinder über
ihre eigene Religion Bescheid wissen und
über die nötige Sprachkompetenz verfügen. Dies zu entwickeln und zu fördern
ist eines der Aufgaben des Schulbuches
Mein Islambuch. Dazu muss im Unterricht
durch das Schulbuch eine Atmosphäre der
Offenheit und des Vertrauens geschaffen
werden können. Eine wesentliche Voraussetzungen - nur so können sich die
Offen für Dialog und
handlungsorientiert
wird immer wieder an
religiöses Vorwissen der
Schülerinnen und Schüler und ihre eigenen
Erfahrungen und
Erlebnisse angeknüpft.
Religiöse Inhalte sollen
sie verstehen, an ihnen
weiterdenken und sie immer
wieder überdenken können.
Seite 25
Schülerinnen und Schüler öffnen und
dann Persönliches von sich mitteilen.
Die Schülerinnen
und Schüler lernen auch,
dass in manchen
Situationen einige
Fragen offen bleiben
können oder nur teilweise
beantwortet
werden können.
Das Schulbuch verfolgt altersbedingte
Einsatzmöglichkeiten von Methoden, die
sich auch mit anderen Unterrichtsfächern
decken. So haben Texte und Suren aus
dem Koran im Schulbuch unterschiedliche Funktionen. Der Text ist heute ein
zentrales Medium im Religionsunterricht. Insbesondere die Mischung aus
Erzählungen und den Texten aus dem
Koran nimmt eine exponierte Stellung
ein. Dadurch dringt das Schulbuch in das
fächerübergreifende Lernen hinein und der
Unterschied von verschiedenen Textsorten wird gelernt. Die Schülerinnen und
Schüler erschließen die Texte durch die
Inhaltserfassung. Sie formulieren Problemfragen, beantworten Fragen zum Text.
Durch das Finden von Sinnabschnitten,
haben sie die Möglichkeit den Textaufbau zu erkennen und zu beschreiben.
Auch das Erzählen ist eine Grundform
des Religionsunterrichts, aber auch des
Islam. Mein Islambuch bietet immer
wieder eine Begegnung mit dem Koran:
Die Schülerinnen und Schüler „erleben“
den Koran durch Erzählungen, Spiele,
Singen, Musizieren, Basteln. Das Schulbuch enthält ebenso genug Raum für die
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Stille. Das Schulbuch bietet durch die
Erzähltexte einen Ort der Kommunikation. In den fragenden und nachdenklichen
Gesprächen nach einer Erzählung stellen
Schülerinnen und Schüler menschliche
Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach
Herkunft und Zukunft des Menschen
und nach Gott. Diese zentralen Fragenstellungen werden durchgängig in Mein
Islambuch angeregt und „wach“ gehalten. Antworten auf viele dieser Fragen
werden im Schulbuch durch zahlreiche
Koransuren oder Hadithen geboten.
Die Schülerinnen und Schüler lernen
auch, dass in manchen Situationen einige
Fragen offen bleiben können oder nur
teilweise beantwortet werden können. In
Rollenspielen spielen die Schülerinnen
und Schüler Geschichten aus dem Koran nach, nehmen aber auch Bezug auf
heute. Der hermeneutische Zugang oder
der Kontext von Arbeitsaufgaben und
Bilder zum Beispiel entscheiden über den
religionspädagogischen Einsatz dieser
„Geschichten“. Viele dieser „Geschichten“ im Schulbuch tragen dazu bei, den
Lebens- und Erfahrungsraum der Schule
mitzugestalten, insbesondere bei Anlässen wie Festen und religiösen Feiern.
Der Einsatz von Liedern und das Musizieren stehen im Islam zwischen Akzeptanz
und Verbot. Die islamischen Gelehrten
sind nach wie vor untereinander gespalten
und vertreten unterschiedliche Meinungen.
Einige halten Musik im Islam für verboten,
andere dagegen für erlaubt, aber sie müssen
islamischen Werten und Normen entsprechen. Der Inhalt sollte dabei religiös sein.
Wenn man aber die islamische Welt
durchleuchtet, stellt man schnell fest,
welch ein reiches Musikleben sich dort
entwickelt hat. Die Formen sind vielfältig
und reichen, nach Land und Tradition,
über Volksmusik bis hin zu reiner Unterhaltungsmusik. In der Frühzeit des Islam
erfreute sich Musik großer Beliebtheit.
Gerade während der Zeit der Abbasiden
des 8. und 9. Jahrhunderts entstand die
Musik als eine anerkannte Kunst. Besonders bei den Sufi-Orden ist Musik ein
fester Bestandteil ihres Glaubens. Musik
bei der Andachtsübungen oder als Vokalmusik sind eine feste Voraussetzung. Der
Sama, also das Hören, von Musik und sich
dazu zu bewegen ist ein fester Bestandteil bei den Meditationen der Mystiker.
Mit Cat Stevens alsia Yusuf hat die Musik
im Islam eine neue Dimension bekommen und ist auch moderner geworden. Sei
Seite 26
es bei „Bismillah“ oder „Say he is Allah“
werden religiöse Inhalte mit Noten vermischt und an die Jugend weitergegeben.
Religiöse Spiritualität drückt sich traditionell nach wie vor in Liedern aus.
Die Auswahl von Musik im Religionsunterricht hängt davon ab, welche
Ziele, Gehalte und Arbeitsmöglichkeiten im Mittelpunkt stehen.
Auch hier hat das Schulbuch Mein Islambuch etwas „Neues“ definiert. Islamische
Religionspädagogik muss den Weg des
modernen Unterrichts gehen. So haben
Lieder eine besondere Stellung im Buch.
Hierbei wurde beachtet, dass die angebotenen Lieder den Werten und Normen des
islamischen Glaubens nicht widersprechen.
Die Auswahl der Lieder erfolgte nach dem
Prinzip des kindgemäßen Zugangs. Zum
Teil wurden Liedgut aus dem europäischen
Raum, aber auch Lieder und Texte aus
der islamischen Tradition verwendet.
Eng an Liedern und Texten verknüpft steht
Kinderlyrik im Schulbuch als zentrales Element. Form, Intention, Abstraktionsgrad
und Stil berücksichtigen den kindlichen
Leser mit seinen Interessen, Bedürfnissen
und Kenntnissen. Einen hohen Stellenwert
haben Kinderlyrik bzw. reflektierende Gedichte im modernen Religionsunterricht.
Gedichte bieten eine Abwechslung zum
gewohnten Sprachgebrauch und weiteren
Diskussionsstoff, sind aber auch ein Teil
der literarischen Bildung und Ästhetik.
In Mein Islambuch wurde auf ein vielfältiges kreatives und produktionsorientiertes
Verfahren im Umgang mit der Kinderlyrik
Wert gelegt. So wird das Schwierige an
lyrischen Texten nicht vereinfacht oder den
Schülerinnen und Schülern vorenthalten.
Die Schwierigkeit und die Herausforderung bestehen nämlich in der Verknüpfung
von kreativen und kognitiven Prozessen.
Auch die Produktion von eigener Lyrik
steht hierbei im Vordergrund. Die ausgewählten Gedichte bieten der Lehrkraft
viele Möglichkeiten. Frei nach Josef
Guggenmos: „Mit Gedichten, diesen
handlichen Gebilden aus Sprache, kann
man viel anfangen. Manchen kann man
weiterdichten, umdichten... Man darf
es, wenn dadurch das Gedicht fesselnder,
liebenswerter, besitzenswerter wird.“
Das Schulbuch verschafft durch die Auswahl der Texte, der Lieder und der Gedichte jede Menge Kooperationsmöglichkeiten mit den anderen Lehrkräften und
Fächern. Insbesondere die Fächer Katholischer, Evangelischer Religionsunterricht
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
und Ethik sind zu nutzen, um fächerübergreifende Verknüpfungen herzustellen.
„Mit Gedichten,
diesen handlichen
Gebilden aus Sprache,
kann man viel anfangen.
Manche kann man
weiterdichten, umdichten... Man darf es, wenn
dadurch das Gedicht
fesselnder, liebenswerter,
besitzenswerter wird.“
Das Schulbuch sensibilisiert die Kinder
bereits im frühen Alter für den interreligiösen Dialog, andere Religionen und
Weltanschauungen zu erkunden, kennenzulernen und ihnen mit Respekt zu
begegnen. Entdeckte Gemeinsamkeiten
sollen dabei helfen, Berührungsängste
abzubauen und Nähe entstehen zu lassen.
Die Unterschiede lassen das Besondere der
eigenen Religion erkennen und ermöglichen Identifikation. Durch die religiösen
Feiern, die in allen Religionsgruppen
mit einem gemeinsamen Thema gestaltet
werden, entsteht eine besondere Nähe zwischen den Schülerinnen und Schülern. Ein
Dialog kann nun entstehen und ein zartes
Pflänzchen fängt nun zum Wachsen an.
In einem deutschsprachigen Religionsbuch würde man sicherlich erwarten, dass
von „Gott“ gesprochen wird. Die synonyme Verwendung der Begriffe Gott und
Allah zeigt insbesondere auf, dass Juden,
Christen und Muslime an den einen Gott
glauben. „Allah“ ist der arabische Ausdruck
für „Gott“. Beide Begriffe werden immer
wieder abwechselnd benutzt und damit
wird ein Signal gesetzt: Beide Wörter,
Allah und Gott, drücken dasselbe aus.
Seite 27
Großer Wert wurde auch auf die didaktische Funktion von Abbildungen gelegt.
Illustrationen und Fotos sind altersgemäß und kultursensibel ausgewählt, viele
bieten Anlässe zum Gespräch und laden
ein, sich eigene Bilder zu machen. Im
Schulbuch Mein Islambuch werden mit
Fotos und realitätsnahen Abbildungen
Impulse für die Auseinandersetzung mit
den Glaubensgrundlagen und zentralen
Fragen des Zusammenlebens gegeben.
Da im Islam das Bilderverbot herrscht,
werden auch im Schulbuch die Propheten und Engel nicht bildlich dargestellt.
In der arabischen Welt findet man keinerlei figürliche oder bildliche Darstellungen von Propheten oder Engeln, die
als Vorgabe für das Schulbuch dienen
könnten. Wenn man von einer islamischen
Kunst sprechen möchte, denkt man an das
Bilderverbot im Islam und konzentriert
sich statt dessen auf Kalligraphie und Ornamentik. Das Bilderverbot, welches wohl
aus dem Alten Testament übernommen
wurde, soll den monotheistischen Gottesbegriff stärken und sich von der Abbildung
von Göttern oder Götzen abwenden.
Damit wird eine klare Abgrenzung zum
vorislamischen Polytheismus gezogen.
Weder im Koran noch im Alten Testament gibt es ein explizites Bilderverbot.
Das Bilderverbot,
welches wohl aus dem Alten Testament übernommen wurde, soll den
monotheistischen Gottesbegriff stärken und sich von
der Abbildung von Göttern
oder Götzen abwenden.
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
Im Schulbuch Mein Islambuch wird
der Prophet Mohammed nicht bildlich dargestellt. Andere hervorragende
Propheten werden keinesfalls von vorn
gezeigt. Da aber gerade Kinder im Grundschulalter besonders darauf angewiesen
sind, bildlich zu denken und nur eingeschränkt in ihrer Altersgruppe abstrahieren können, wurde nicht immer ganz
auf eine Darstellung verzichtet. Bilder
spielen in der Primarstufe für die Lernvertiefung eine entscheidende Rolle.
Mein Islambuch übernimmt aus der
muslimischen Welt die reich verzierten
Moscheen-Ornamentik und kalligraphischen Darstellungen. Die kalligraphischen
Darstellungen werden im Schulbuch
immer wieder wiederholt. Um den muslimischen Kindern die Bedeutung dieser
Kunst zu vermitteln werden Lernumgebungen geschaffen, die Kalligraphiekunst
selbst zu erproben und einzuüben.
Die Autorinnen des Schulbuches haben
auch hauptsächlich mit Miniaturen aus
der islamischen Tradition gearbeitet. Die
Auswahl bedient sich der reichen Bildkultur in Persien und im Osmanischen Reich,
die vom ausgehenden Mittelalter bis in das
19. Jahrhundert in Blüte stand und heute
in vielen Museen ausgestellt ist. Auch
dieses kleine Detail zeigt den muslimischen
Schülerinnen und Schülern, dass auch
in ihrer Kultur und Tradition wertvolle
Kunststücke existieren. Abbildungen und
Illustrationen werden im Schulbuch als
eine Hilfe angeboten, um mit Grundschulkindern theologische Gespräche zu führen.
Rollenspezifisches oder Klischees im Familienleben zum Beispiel wurden bewusst im
Schulbuch durchbrochen und durch modernere Abbildungen und Fotos „ersetzt“.
Die muslimischen Kinder bringen die
Erwartungshaltungen seitens ihrer Eltern
und ihrer Gemeinschaft mit in den Religionsunterricht. Die Eltern befürchten meist
den Verlust der religiösen Werte bei ihren
Kindern. Diese „religiösen Werte“ sind oft
sehr eingeschränkt und nur auf bestimmte
Kategorien bezogen. Eine Radikalisierung
findet bei dem Geschlechterdiskurs statt.
Jungen müssen stärker denn je auftreten,
die Mädchen werden immer noch gerne als
„eingesperrt“ in ihren Zimmern gesehen,
die patriarchalische Familienstruktur wird
aufrecht gehalten und weitergetragen.
Um diesem Vorurteil neutral zu begegnen
und keine Klischees zu stützen, wurden in
Mein Islambuch die Illustrationen auch mal
so gewählt, dass der Vater in der Küche
steht und kocht oder seinem kranken Sohn
Seite 28
eine Tasse Tee bringt. So können die Schülerinnen und Schüler sich mit der eigenen
Lebenswirklichkeit auseinander setzen.
Bilder, aber auch die Texte fordern die
muslimischen Schülerinnen und Schüler
zu einer Begegnung und Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Geschichte
und dem eigenen Glauben auf. Das Religionsbuch regt die Kompetenz der Mitgestaltung von Religionsunterricht und der
Kommunikation im Islamunterricht an.
Die Lerngegenstände bieten Anstöße
zur originären Begegnungen. Sie zeigen Anregungen, damit weit mehr als
Schulbuchwissen gelingen kann, damit die Handlungsfähigkeit der Kinder
gestärkt wird. Das Konzept des Schulbuches nimmt Rücksicht darauf, dass
die Lehrkräfte dieses Unterrichtsfaches
über sehr unterschiedliche Ausbildungen
verfügen. Es stellt geeignetes Textmaterial
zur Verfügung, das von leistungsstarken
Schülern und Schülerinnen selbst gelesen, aber auch von den Lehrkräften oder
von diesen Kindern vorgelesen werden
kann. Mit diesen Texten soll der Lehrkraft
sachlich richtiges und dem Altersniveau
der Klasse angepasstes Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt werden, das
sonst schwer zugänglich ist. Die Lehr-
ermaterialien bieten Vorschläge für die
Umsetzung in der Unterrichtspraxis.
Das Schulbuch Mein Islambuch bietet
zudem in den entwickelten Lehrmaterialien ein umfangsreiches Materialangebot.
Islamlehrer finden hier zahlreiche Anregungen für einen lebendigen und zielgerichteten Religionsunterricht. Die Lehrer
werden bei der Planung ihres Unterrichts
entlastet, aber auch ihrer Kreativität
und Eigeninitiative Raum gegeben.
Zudem nehmen die Lehrermaterialien
das im Buch manchmal nur kurz dargestellte Thema ausführlich und methodisch konkretisierend auf und vertiefen
damit die Arbeit durch die zusätzlich
bereitgestellten Materialien und die
gut handhabbaren Kopiervorlagen.
Dabei wird in den Lehrmaterialien auch
Platz gelassen für Emotionalität und
Spiritualität, da Religionsunterricht nicht
nur das Erlernen von Fähigkeiten und
Fertigkeiten umschließen kann, sondern
sich auch auf die Glaubensdimension
und die Sinnsuche beziehen muss. Dabei
ist der Glaube an Gott letztendlich ein
Angebot an die Schülerinnen und Schüler, das anzunehmen jedem frei steht.
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
In der Verwendung der Begrifflichkeiten
wurde darauf geachtet, nicht nur das
arabische Original hervorzuheben, sondern auch die Lebenswirklichkeit und
unterschiedlichen sprachlichen Hintergründe der Kinder respektvoll darzustellen. Auf dieser Grundlage wurde
im Buch beispielsweise der Eigenname
Allah neben Gott eingeführt. Darüber
hinaus steht es den Lehrkräften frei,
jeweils auch Begriffe aus anderen Muttersprachen im Unterricht einzuführen.
Mein Islambuch gibt den muslimischen
Schülerinnen und Schülern Raum, die
wichtigsten Gebete ihres Glaubens zu
lernen und sich damit aktiv auseinanderzusetzen. Die Suren aus dem Koran wurden
in der Schreibweise so vereinfacht, dass
sie der arabischen Aussprache möglichst
nahekommt und die Kinder nicht überfordert werden. Dies bedeutet, dass bei
der Transkription darauf geachtet wurde,
dass nicht die wissenschaftliche Version
der morgenländischen Gesellschaft als
Grundlage fungiert, sondern jene, die am
nächsten der Aussprache kommt, also die
phonetische Umschrift. Etablierte „eingedeutschte” Begriffe wie Koran statt Qur´an
oder Mohammed statt Muhammad
bilden eine Ausnahme von dieser Regel.
Die Eltern befürchten meist
den Verlust der religiösen
Werte bei ihren Kindern.
Diese „religiösen Werte“
sind oft sehr eingeschränkt
und nur auf bestimmte
Kategorien bezogen.
Eine Radikalisierung
findet bei dem
Geschlechterdiskurs statt.
Seite 29
Im interreligiösen Kontext werden auch
die im christlichen Bereich verwendeten
Schreibweisen aufgeführt (Isa = Jesus).
Es wird der Fokus
darauf gelegt,
die Individualität der Kinder zu sehen, die selbst
erfahren möchten,
die angeleitet werden
sollten, aber auch
unbedingt selbst
ausprobieren sollten,
dabei Fehler machen
können und aus diesen
Fehlern lernen sollen.
Die Suren wurden für die Kinder verständlich, altersgemäß übersetzt. Hierbei wurde
aufgrund der theologischen Sensibilität,
in welcher der Koran als Verbalinspiration Gottes wahrgenommen wird, darauf
geachtet, dass die wesentlichen Inhalte
der Suren gleichbleiben, die einzelnen
Formulierungen jedoch dem Verständnishorizont der Kinder angepasst sind.
Die vorgelegten Übersetzungen sind als
Auslegungen für die Kinder zu verstehen.
Die deutschen Koranzitate im Schülerbuch
und in den Lehrermaterialien orientieren
sich an der Übersetzung von Adel Khoury.
Die deutsche Übersetzung bringt den
Kindern ihr „heiliges“ Buch näher. Sie
verstehen ihre Gebete und können diese
so einordnen. Im Schulbuch wurde auf
diese Präsentationsart der Koransuren sehr
großen Wert gelegt und bewusst als Kapitelüberschritt „Im Namen Allahs“ gewählt.
Die Koranzitate werden als Gebete auswendig gelernt und als ein Gebetsbüchlein
sehr individuell von den Schülerinnen und
Schülern angelegt. Diese Vorgehensweise ist sicherlich schon fast revolutionär:
Den muslimischen Kindern wird zu ihrer
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
heiligen Schrift ein neuer, anderer Zugang eröffnet. Dies wird in Zukunft einer
der zentralen Aufgaben sein, aber auch
einer der zentralen Fragen in der neuen
islamischen Religionspädagogik sein.
Diese weiterführenden Ideen garantieren einen abwechslungsreichen und
interessanten, spannenden Religionsunterricht. Falls die angebotenen Impulse umfassend genützt werden, bietet
diese ein aktives entdeckendes Lernen,
aktivieren den eigenen Denkprozess
der Kinder und lassen ihnen genügend Raum für ihre Individualität.
Durch das Einbeziehen der Lebenswirklichkeit der muslimischen Schülerinnen
und Schüler wird die Identifizierung
mit dem Thema höher. Es wird der
Fokus darauf gelegt, die Individualität
der Kinder zu sehen, die selbst erfahren
möchten, die angeleitet werden sollten,
aber auch unbedingt selbst ausprobieren
sollten, dabei Fehler machen können
und aus diesen Fehlern lernen sollen. So
setzen gute Arbeitsaufträge im Schulbuch einen Lernprozess in Gang, dessen
Verlauf nicht immer planbar ist und
damit die Schülerinnen und Schüler zu
einem eigenen Urteil gelangen können.
Das Schulbuch Mein Islambuch verfolgt
den religionspädagogischen Ansatz, die
Kinder zu befähigen, die Welt und das
Leben sensibel wahrzunehmen, zu bestaunen, zu befragen und zu deuten.
Die Schülerinnen und Schüler werden
als Individuen angenommen und das
Konzept des Schulbuches geht auf die
Grunderfahrungen der Kinder ein und
berücksichtigt ihre Biographie, Lebenssituationen und ihre Interessen.
Mein Islambuch ist von der Konzeption und Gestaltung her, sicherlich mit
der Zeit und stellt damit ein modernes
Lehrwerk dar. Das Schulbuch hält sein
Versprechen und baut religionspädagogisch
offenen Islamischen Unterricht auf. Die
Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und
Schüler – die Lernenden – wird durch
das gesamte Lehrwerk immer mit einbezogen und mit der islamischen Tradition
verbunden. Die Inhalte des Schulbuches
werden den muslimischen Schülerinnen
und Schüler je nach Jahrgangsstufe in
der Grundschule auf hohem Niveau und
anspruchsvoll angeboten. Das Schulbuch
zeigt eine moderne islamische Religionspädagogik, kombiniert mit Wissensund Kompetenzvermittlung, auf.
Seite 30
Muslimische Schülerinnen und Schüler
werden durch das Schulbuch zu einer
erhöhten Methodenkompetenz durch die
zahlreichen Methoden, die zum Einsatz
kommen geführt. Eigenverantwortliches
Lernen und Recherchieren ist für Mein
Islambuch selbstverständlich. Die Kinder stellen eigene Fragen zum Islam auf
und bekommen hinterfragende Diskussionsmöglichkeiten. Sie werden durch
das Schulbuch animiert, sinnfindende
und tiefgehende Fragen zu ihrem Glauben zu stellen und lernen kooperativ.
Durch das gesamte Schulbuch ist zu
spüren, dass die Intentionen kindgemäßen Verstehens der Texte aus dem
Koran und der Hadithe und die sie
begleitenden Bilder, auch die einzelnen
arabisch dargestellten Worte bestimmen.
Die neu zu definierende Islamische
Religionspädagogik wird bereits in Mein
Islambuch durchgängig eingehalten,
aufgezeigt und verstärkt. Stille-Übungen,
Phantasiereisen, kreatives Schreiben und
Gestalten, Lernen an Stationen, Geschichten erzählen und Gespräche führen sind
die zentralen Elemente des Schulbuches.
Didaktische und methodische Prinzipien
werden stärker berücksichtigt, das Lernen
als Prozess der Begleitung und Förde-
rung wird umgesetzt. Im Vordergrund
stehen die muslimischen Schülerinnen
und Schüler als Lernende, deren Kompetenzen weiter entwickelt werden. Die neue
Lernkultur in der Schule wird auch im
islamischen Religionsunterricht umgesetzt.
Mein Islambuch kann die Erwartungen
der Religionspädagogen - muslimisch wie
auch christlich - sicherlich erfüllen. Das
Schulbuch braucht den Vergleich mit
ähnlichen Büchern des katholischen oder
evangelischen Religionsunterrichts nicht
scheuen. Die Elementarisierung und damit
das Lernen über das Auffassen, Begreifen
und Bedenken führen zur Vertiefung.
Durch die interreligiöse Offenheit
des Mein Islambuch wird das Tor zum
Miteinander-Sprechen geöffnet. Die
immer wieder kehrende Parallele zu
Judentum und Christentum baut eine
Nähe auf und wird didaktisch gezielt
für das Entdecken von Gemeinsamkeiten und Unterschieden eingesetzt.
Mein Islambuch setzt nicht nur Glaubenserziehung in der Bildung voraus: Selbstverantwortung, Selbstreflexion und kritische
Auseinandersetzung soll der Hingabe im
Glauben vorausgehen. Der Diskurs der
Korrelationsdidaktik wird durch das Schulbuch weitergeführt und nicht nur für den
Islamunterricht neu definiert. Jahrzehnte-
Gül Solgun-Kaps: Eine Betrachtung des Schulbuchs „Mein Islambuch“
langer Diskurs innerhalb der christlichen
Religionspädagogik, welche zum Teil sehr
kontrovers geführt wurde, ist für die Autorinnen des Mein Islambuch eine Grundlage.
Die muslimischen Schülerinnen und
Schüler profitieren vom Spannungsbogen zwischen Lebenswelt und Theologie,
Erfahrung und Offenbarung usw. aus dem
Religionsunterricht. Durch die Elementarisierung ist es den Autorinnen gelungen, den Islamischen Unterricht mit dem
Schulbuch als Erfahrungsraum zu erleben.
Es ist ein geschützter Raum des Ausprobierens geboten. Dieses Ausprobieren schließt
die Einübung religiöser Elemente mit ein.
Mit dem Titel Mein Islambuch wird den zu
unterrichtenden jungen Muslimen bewusst
mitgeteilt, dass auch sie „ihr“ Buch in der
Hand halten können und Teil dieser Schulfamilie und dieser Gesellschaft sind. Man
begegnet sich nun auf gleicher Augenhöhe
und bringt den jungen Musliminnen und
Muslimen Wertschätzung entgegen.
„Die Geschichte des Religionsunterrichts
ist auch die Geschichte seiner Lehrbücher.“ (Arbeitsbuch zur Geschichte des
evang. Religionsunterricht in Deutschland, 1985) Nach diesem Motto ist es den
Autorinnen des Schulbuches ein großes
Anliegen das neue und junge Schulfach
Islamischer Unterricht in Deutschland mit
auf den Weg zu bringen. Das Schulbuch
Mein Islambuch positioniert sich selbst
und füllt den Platz in der Grundschule,
um Qualität im Islamischen Unterricht
zu sichern. Die Erwartungen an den
Islamischen Unterricht und an die neue
Islamische Religionspädagogik kann das
Schulbuch ohne Probleme erfüllen.
Seite 31
Fahimah Ulfat
Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Die Eingangsfrage zu dieser Betrachtung
lautet: Welches theologische Verständnis steckt im Grundschul-Arbeitsheft
„Bismillah – Wir entdecken den Islam“?
Vielleicht müsste die Frage eher so lauten:
Welches theologische Verständnis liegt
dem Grundschul-Arbeitsheft Bismillah
– Wir entdecken den Islam zugrunde?
Die Arbeitshefte 1/2 bis 4 der Reihe
Bismillah – wir entdecken den Islam sind
für den deutschsprachigen islamischen
Religionsunterricht in der Grundschule
konzipiert. Die Inhalte werden im Spannungsverhältnis zwischen zwei wichtigen
Achsen erarbeitet: die Verortung in der
kindlichen Lebenswelt einerseits und im
normativen Deutungssystem des Islams andererseits. Vorab muss darauf hingewiesen
werden, dass die didaktische Reduktion
der Themen für die erste und zweite Klasse
mit einem Informationsverlust verbunden
ist. Daher können hier nur einige Facetten
eines Themas berücksichtigt werden.
Die Reihe ist so angelegt, dass die Schülerinnen und Schüler den Islam in seinen
religiösen, sozialen, kulturellen, histo-
rischen und ästhetischen Facetten kennen
und verstehen lernen. Das Bildungsziel
ist dabei einerseits die Religion denkend
zu durchdringen mit einem kritischen
Bewusstsein, das eine persönliche Positionierung zur Religion ermöglicht. Andererseits wird über die Arbeit mit der Heftreihe
eine Grundlage religiöser Lebensgestaltung
durch das Erleben von Religion geschaffen.
Daraus resultieren religiöse Begriffsbildung
und Sprachfähigkeit, die ebenfalls zu den
Bildungszielen des Arbeitsheftes gehören.
Das Arbeitsheft 1/2 enthält zehn Kapitel:
• Wir lernen uns kennen
• Gottes Schöpfung
• Ibrahim und das Opferfest
• Gemeinschaft
• Muhammad
• Unser Koran
• Gott näherkommen
• Yusuf und seine Brüder
• Vorbilder
• Wir folgen Ibrahim:
Juden, Christen, Muslime
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Das Religionsverständnis, das diesem Heft
zugrunde liegt, hat mehrere Dimensionen,
die aus Sure 2 Verse 2-4 ableitbar sind: Die
spirituelle, die innere, die sozial-ethische
und die geschichtlich-zeitliche Dimension:
„Dieses Buch, an dem es keinen Zweifel
gibt, ist eine Rechtleitung für die Gottesbewussten, die an das Verborgene glauben, das Gebet verrichten und von dem,
womit Wir sie versorgt haben, ausgeben,
und die an das glauben, was zu dir (an
Offenbarung) herabgesandt worden ist,
und was vor dir herabgesandt wurde, und
die vom Jenseits überzeugt sind.“ (2:2-4)
Die spirituelle Dimension beinhaltet den
Glauben an die Welt des Nichtverfügbaren
und an den, der die Verfügungsgewalt
hat. Diese Dimension wird normativ
festgelegt und bildet die Grundlage jedes
Kapitels. Sie wird explizit im Kapitel
„Ibrahim und das Opferfest“ (S. 1415) und „Yusuf und seine Brüder“ (S.
47, 49) durch die Suche nach Gott und
das Vertrauen auf Gott aufgegriffen.
Die innere Dimension wird in Sure 2
durch das Beten (zu dem, der die Verfügungsgewalt hat) ausgedrückt. Im
Arbeitsheft wird diese Dimension anhand der Themen Schahada, Gebet
und Fasten im Kapitel „Gott näherkommen“ (S. 38-42) thematisiert.
Die sozial-ethische Dimension beinhaltet
das Gute zu tun. Diese Dimension wird im
Kapitel „Gottes Schöpfung“ (Helfen S. 10
/ Ich kümmere mich um Gottes Schöpfung S. 11), „Gemeinschaft“ (S. 18-23),
„Muhammad“ (Spatzenjungen S. 28),
„Gott näherkommen“ (Ramadan S. 42)
und „Vorbilder“ (S. 52-55) aufgegriffen.
Die geschichtliche bzw. zeitliche Dimension
wird in der Sure 2 durch den „Glauben an
das, was vor dir herabgesandt wurde“ und
die Erwartung an die Zukunft bestimmt,
indem man fest auf das Jenseits vertraut.
Im Arbeitsheft wird der Glaube an die
vorherigen Herabsendungen nur implizit in dem Kapitel „Wir folgen Ibrahim:
Juden, Christen und Muslime“ (S. 56-
Seite 32
60) angesprochen. Dieser Aspekt muss
jedoch im Unterricht vertieft werden.
len Koran und Hadith (Worte und Taten
des Propheten Muhammad) (Kapitel 5, 6).
Der Jenseitsbezug wird im Arbeitsheft
für Klasse 1 und 2 nicht thematisiert, das
– gottesdienstliche oder sozial-ethische –
Handeln des Menschen wird bewusst im
Kontext des Themenkreises „Gottesnähe“
angesprochen. In Bezug auf das Jenseits
kommt allerdings noch eine weitere
Dimension hinzu, die zwar ebenfalls im
Arbeitsheft nicht zum Tragen kommt,
jedoch der Vollständigkeit halber erwähnt
werden muss. Der Glaube an das Jenseits
wird mit dem Begriff /yaqÐn/ gekennzeichnet, der eine Gewissheit über das Jenseits
im Sinne einer sicheren Überzeugung (als
hätte man das Jenseits mit eigenen Augen
gesehen) ausdrückt (Vgl. dazu Salih Peter
Spiewok: Zu einer klassischen Glaubenskonzeption im Islam auf der Grundlage
des koran-arabischen Begriffs yaqÐn, in:
Zeitschrift für die Religionslehre des Islam,
Heft 7, 2010). Eine Erarbeitung dieser
Dimension eignet sich in höheren Klassen.
Die theologische Perspektive des Arbeitsheftes richtet sich auf die Beziehungsebenen Mensch – Gott (Kapitel 2, 3, 7, 8),
Subjekt – Gemeinschaft (Kapitel 1, 4, 8, 9,
10) und auf die Ebene der religiösen Quel-
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
1. Mensch und Gott
1.1 Das Menschenbild
1.1.1 Gottes Schöpfung
Der Koran erwähnt in Sure 14:32 einige
Wohltaten Gottes, die er für seine Geschöpfe bereitstellt, wie das Erschaffen
des Himmels und der Erde. Er schickt
Regen vom Himmel, und infolgedessen eine vegetative Vielfalt an Früchten
und Pflanzen mit verschiedenen Farben,
Formen, Geschmacksarten, Düften und
Zwecken (vgl. Tafsir Ibn Kathir). Dieser
Vers, der in Kapitel 2 die „Erschaffung der
Welt“ darlegt, gestaltet einen Raum, in
dem der Mensch seinen Platz hat, nämlich als Nutznießer. Die Schülerinnen
und Schüler sollen sich anhand der Sure
14:32 über die sichtbare Wirklichkeit mit
der Schöpfung auseinandersetzen. Der
Koran entwirft nicht nur die Welt in der
Dimension der sichtbaren Wirklichkeit,
sondern auch der unsichtbaren Wirklichkeit und in ihrer Bedeutung als psychologischer Raum (vgl. H. Behr: Erziehung
und Bildung im Islam, in: M. Klöcker /
U. Tworuschka (Hg.): Handbuch Ethik
der Weltreligionen 2005). Jedoch haben
die Autorinnen mit Blick auf das Alter der
Schülerinnen und Schüler in Heft 1/2 bewusst auf die Dimension der unsichtbaren
Wirklichkeit, also den Dingen, die sich
der Wahrnehmung entziehen, verzichtet.
Aus Sicht der philosophischen Anthropologie hat der Mensch die Fähigkeit, eine
exzentrische Positionalität einzunehmen,
das heißt, aus sich selbst herauszutreten
und sich selbst und auch die Welt zum
Gegenstand der Beobachtung zu machen
(vgl. K. Weissmann: Arnold Gehlen –
Vordenker eines neuen Realismus, 2004).
Auch die islamische Anthropologie lässt
eine solche Sichtweise zu. Eine Wegentscheidung (enthalten im Begriff /ÒirÁt/)
impliziert eine Planung des eigenen Tuns,
das wiederum eine exzentrische Positionalität voraussetzt, wodurch eine Antizipation
der Auswirkungen des eigenen Handelns
auf die Umwelt und das eigene Handeln
möglich wird (vgl. Basisskript von H.
Behr). Dies ermöglicht auch eine Kausalitätserfahrung. Es geht also hier um die
Frage nach der Ursache der Schöpfung,
die im Arbeitsheft normativ beantwortet
wird. Die Möglichkeit der Entscheidung
setzt die Freiheit des Menschen voraus.
Freiheit bedeutet auch Verantwortung für
die Auswirkungen des eigenen Handelns.
Seite 33
1.1.2 Freiheit und Verantwortung
des Menschen
„Gott ist der Schöpfer“, dieses Axiom wird
als Indikativ festgesetzt und damit beginnt
das zweite Kapitel des Arbeitsheftes. Der
Schwerpunkt wird auf die bewusste Wahrnehmung von Gottes Schöpfung in der
Natur, in der Lebenswelt der Schülerinnen
und Schüler gesetzt. Im darauf folgenden
Lied „Allahu Subhanahu wa Tacala“ werden
der Mensch, der ein Teil der Schöpfung
ist, und seine Fähigkeiten thematisiert.
Nach der theologischen Anthropologie,
die diesem Arbeitsheft zugrunde liegt, ist
der Mensch ein Subjekt, das sich mittels
sprachlicher Ausdrucksfähigkeit selbst zum
Gegenstand des Nachdenkens machen
kann und im Kontext von Gemeinschaft
und Natur lebt. In diesem Sinne soll den
Schülerinnen und Schülern hier verdeutlicht werden, dass der Mensch kein Objekt
oder Instrument ist, über das verfügt
und bestimmt wird. Er ist frei. Diese
Freiheit hat der Mensch schon durch das
ursprüngliche Verbot, sich „dem Baum
zu nähern“ (2:35) erhalten. Denn die
Fähigkeit, unrecht zu handeln, macht
es dem Menschen erst möglich, recht
zu handeln, das heißt, recht zu handeln
hätte ohne die Möglichkeit zu unrechtem
Handeln keinen ethischen Wert. Mit
dieser Entscheidungsfreiheit wurde dem
Menschen der Zugang zu moralischen
Überlegungen eröffnet (vgl. Muhammad
Asad, „Die Botschaft des Koran. Übersetzung und Kommentar“, Düsseldorf 2009).
Zu dieser Entscheidungsfreiheit gehört die
Vernunft, die den Menschen dazu befähigt, zwischen rechtem und unrechtem
Handeln zu unterscheiden und damit
Verantwortung zu übernehmen. Diese
Freiheit der Entscheidung wird im Arbeitsheft auf Seite 11 verdeutlicht. Die
Schülerinnen und Schüler können hier
entscheiden, welche Handlungsweise sie
subjektiv vertreten würden im Bereich
des verantwortlichen Umgangs mit der
Schöpfung Gottes. Beispielsweise fehlt
ein Kind aus der Klasse aufgrund einer Erkrankung. Die Schülerinnen und
Schüler können selbst zeichnen, was sie
in dieser Situation tun könnten oder aus
den gegebenen Optionen eine Handlung
auswählen (entweder per Anruf oder per
Besuch sich nach dem kranken Kind
erkundigen). Das Ziel ist hierbei ist, das
verantwortungsbewusste Handeln im
Lichte der Religion zu durchdenken.
In Heft 3 wird zudem in einem Kapitel,
in dem es um Gott und den Glauben im
eigenen Leben geht, darauf Bezug ge-
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
nommen, dass der Mensch ebenfalls in
der eigentlichen Frage, nämlich der Frage
nach Gott, absolut frei ist und dass auch
Fragen, Zweifeln und Hadern erlaubt
und sogar erwünscht sind und ebenfalls
einen Weg zu Gott aufweisen können.
Dies wird im Arbeitsheft 1/2 auch durch
die Geschichte Ibrahims veranschaulicht, der auf der Suche nach Gott ist. Die
Verse 76-79 aus Sure 6 verdeutlichen das
allmähliche Begreifen und Erfahren von
Gott, symbolisiert durch ein intuitives
Fortschreiten von der Verehrung von Himmelskörpern – Sterne, Mond und Sonne
– zu einer vollen Erkenntnis von Gottes
allumfassender Existenz (Vgl. Muhammad
Asad: Die Botschaft des Koran 2009).
Die Freiheit des Menschen gebietet ihm
sowohl Verantwortung als auch Handlungsfreiheit. Der Mensch gilt als /ÌalÐfa/
auf der Erde (2:30), das heißt als Mensch,
der im Sinne Gottes handelt, und ist das
einzige Wesen, dass die Verantwortung für
sich und die ganze Schöpfung Gott gegenüber auf sich genommen hat (vgl. A. Falaturi, S. 77): „Wir haben das anvertraute
Gut den Himmeln und der Erde und den
Bergen angeboten, aber sie weigerten sich,
es zu tragen, sie scheuten sich davor. Der
Mensch trug es – gewiss, er ist sehr oft
ungerecht und sehr oft töricht“ (33:72).
Denn die Fähigkeit,
unrecht zu handeln,
macht es dem Menschen erst möglich,
recht zu handeln, das heißt,
recht zu handeln hätte
ohne die Möglichkeit zu
unrechtem Handeln
keinen ethischen Wert.
Seite 34
Diese Verantwortung beinhaltet Vorschriften, die das Verhältnis der Menschen zur
Natur regeln, was im Arbeitsheft Bismillah am sorgfältigen Umgang mit Tieren
verdeutlicht wird. Alle Tiergattungen
werden im Koran als /‘umma/ (Gemeinschaft) gewürdigt: „Es gibt kein Tier auf
der Erde und keinen Vogel, der mit seinen
Flügeln fliegt, die nicht Gemeinschaften
wären gleich euch. Wir haben im Buch
nichts vernachlässigt. Hierauf werden sie
zu ihrem Herrn versammelt“ (6:38).
Die Menschenwürde, die auch im Zusammenhang mit der Funktion des
Menschen als Stellvertreter Gottes auf
Erden steht, wurde in Heft 1/2 noch
nicht thematisiert. Diese Thematik
erfolgt in den höheren Klassenstufen.
Auch in der Hadith-Literatur wird die
Barmherzigkeit und Verantwortung des
Menschen gegenüber Tieren anschaulich
dargestellt. In Bismillah wird der Hadith
illustriert, in dem ein Mann einem durstigen Hund Wasser aus einem Brunnen
gibt (S. 10) und eine Geschichte über
einige Männer, die einer Spatzenmutter
ihre Jungen wegnehmen und Muhammad
ihnen sagt, dass sie die Spatzenjungen wieder zu ihrer Mutter lassen sollen. (S. 28).
Um diese Thematik zu
bearbeiten, ist es wichtig
zu wissen, welches Bild
von Gott die Schülerinnen
und Schüler haben bzw.
mitbringen, um darauf
aufbauend, ihr persönliches
Gottesbild zu konturieren und ihrem Glauben
eine Richtung zu geben.
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
1.2 Das Gottesbild
1.2.1 Die Beziehung zu Gott
Das Gottesbild ist im Rahmen eines
bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts und der dafür konzipierten
Unterrichtsmaterialien von elementarer
Bedeutung, denn das Gottesbild spielt eine
zentrale Rolle in der religiösen Entwicklung von Kindern. Um diese Thematik
zu bearbeiten, ist es wichtig zu wissen,
welches Bild von Gott die Schülerinnen
und Schüler haben bzw. mitbringen, um
darauf aufbauend, ihr persönliches Gottesbild zu konturieren und ihrem Glauben eine Richtung zu geben. Bisher fehlt
jedoch dazu die Grundlagenforschung.
Ilse Flöter hat in einer qualitativ-empirischen Studie untersucht, welche Rolle
Gott im Alltagsleben 10-jähriger Kinder
am Anfang des 21. Jahrhunderts spielt.
Sie kam zu dem Ergebnis, dass auch für
die muslimischen Kinder Gott konnotiert
war mit Gedanken von Liebe, Schutz
und Hilfe. Allerdings spielt bei ihnen der
Gedanke an das Gericht nach dem Tod
auch eine Rolle (vgl. Ilse Flöter, Gott in
Kinderköpfen und Kinderherzen, Welche Rolle spielt Gott im Alltagsleben
10-jähriger Kinder am Anfang des 21.
Jahrhunderts? Eine qualitativ-empirische
Untersuchung, Berlin 2006). Ihre Studie
ist in Bezug auf die muslimischen Kinder
nicht repräsentativ, da sie nur 5 Kinder
befragte, jedoch ist es ein Anhaltspunkt,
auf dem aufgebaut werden kann.
Historisch betrachtet, hat sich das Gottesbild im Islam im Laufe der Geschichte
verändert, da es zeitlichen und kulturräumlichen Determinationen unterlag.
Van Ess erläutert die Entwicklung der
klassischen Attributenlehre und legt
ausführlich dar, dass im ersten Jahrhundert Gott keine Attribute zugeschrieben
wurden, da er als Person in Menschengestalt gedacht wurde. Éahm bin ÑafwÁn
leugnete dies und stellte die These auf, dass
Gott unverkennbar sei. So war der Anstoß
dazu gegeben, bestimmte Aspekte des göttlichen Wesens auszugrenzen. Dabei waren
die Vorgehensweisen in den verschiedenen
Regionen unterschiedlich (vgl. Josef van
Ess, „Theologie und Gesellschaft im 2. und
3. Jahrhundert Hidschra: eine Geschichte
des religiösen Denkens im frühen Islam“,
Bd. 4, Berlin; New York 1997, S. 439 f.).
Seit den Muctaziliten und Aschcariten
befasste man sich mit der Frage, was der
Mensch über das Wesen Gottes wissen
kann, ohne es von seiner menschlichen
Wahrnehmung und Deutung der Welt
her zu bestimmen und seiner numinosen
Seite 35
Gewalt zu berauben (vgl. Tilman Nagel,
„Geschichte der islamischen Theologie.
Von Mohammed bis zur Gegenwart“,
München 1994, S. 148). Aus der Darstellung von van Ess wird deutlich, dass die
Überlegungen zum Wesen und Handeln
Gottes auf den Bezug zum menschlichen
Bewusstsein basieren. Die Folgerung
daraus ist, dass die Konstruktion des
Gottesbildes abhängig davon ist, wie sich
der Mensch selbst auf Gott bezogen sieht
in seiner eigenen spezifischen Situation.
Diese These ist auch aus wissenssoziologischer Perspektive unter dem Aspekt
der „gesellschaftlichen Konstruktion der
Wirklichkeit“ zu begründen. „Gesellschaft
hat Geschichte, in deren Verlauf eine spezifische Identität entsteht. Diese Geschichte
jedoch machen Menschen mit spezifischer
Identität“ (Peter L. Berger / Thomas Luckmann, „Die gesellschaftliche Konstruktion
der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie“, Frankfurt a. M. 1980).
Somit konstruiert die Gesellschaft in ihrer
spezifischen Situation die Wirklichkeit.
Eine zentrale Eigenschaft Gottes ist
„Barmherzigkeit“, die mit der „Gerechtigkeit“ Gottes die zentrale Achse islamischer
Theologie darstellt und die weiteren Eigenschaften umfasst. Vor diesem Hintergrund
hat das Arbeitsheft das Ziel, den Schü-
lerinnen und Schülern dabei zu helfen,
einen Zugang zu Gott zu finden, der nach
Maßgabe von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (/raÎma/) in das Leben eingreift.
RaÎma ist Ausdruck der persönlichen,
gefühlsbetonten gegenseitigen Beziehung zwischen Gott und Mensch (vgl. A.
Falaturi: Der Islam und die Gemeinschaft
der Muslime, in: Der Islamische Orient. Grundlagen zur Länderkunde eines
Kulturraumes, Köln, 1990, S. 74). Der
Koran, die Propheten, die Schöpfung sind
Ausdruck der Gnade und Barmherzigkeit
Gottes. Ebenso ist auch das Verhältnis des
einzelnen Menschen zu Gott eingebettet in
die Geborgenheit dieser Gnade und Barmherzigkeit (vgl. A. Falaturi, S. 74). Dies
wird im Ibrahim-Kapitel (S. 15, 16) und
im Yusuf-Kapitel (S. 47, 49) besonders
deutlich. Den Schülerinnen und Schülern soll durch die Prophetengeschichten
ermöglicht werden, eben dieses Vertrauen
in Gottes Gnade und Barmherzigkeit
und seine ausgleichende Gerechtigkeit
am Beispiel der Propheten Ibrahim und
Yusuf zu erfassen und mit ihren eigenen
Erfahrungen in Beziehung zu setzen.
Die Frage, „Wem vertraust du?“ (S. 15)
versetzt die Schülerinnen und Schüler
einerseits in die Lage, Ibrahims Situation nachzuvollziehen, sich in Ibrahim
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
hineinzuversetzen, aber auch ihr eigenes
Gefühl des Vertrauens zu erforschen und
zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang
spielt das Urvertrauen eine Rolle. Urvertrauen ist nach Erikson ein „Sich-verlassenDürfen in Bezug auf die Glaubwürdigkeit
anderer und die Zuverlässigkeit seiner
selbst“ (vgl. E. H. Erikson, „Kindheit und
Gesellschaft“, Stuttgart 1965, S. 266 ff.
in: Hans-Jürgen Fraas, „Religiöse Erziehung und Sozialisation im Kindesalter“,
Göttingen 1973, S. 100.) Religion hat für
Erikson somit eine unmittelbare Funktion
beim Aufbau des Urvertrauens als „Glaube der Eltern, der das im Neugeborenen
keimende Vertrauen unterstützt“ (E. H.
Erikson, „Kindheit und Gesellschaft“,
Stuttgart 1965, S. 244 in: a.a.O., S. 100).
Der Religionspädagoge Hans-Jürgen Fraas
bezieht sich auf die Arbeiten von E. H.
Erikson über Entwicklung des Urvertrauens und postuliert eine psychologisch
begründbare Disposition des Menschen
zum Gottvertrauen. Das magische Denken ist für Fraas ein numinoses Denken,
im Sinne der Beseelung unbelebter Dinge
mit Wirkmacht. Er bezieht sich auf die
biologische Anthropologie und stützt sich
auf A. Portmanns Erkenntnis, dass der
Mensch als eine „physiologische Frühgeburt“ zu bezeichnen ist. Das heißt, dass der
Religion hat für Erikson
somit eine unmittelbare
Funktion beim Aufbau
des Urvertrauens als
„Glaube der Eltern, der das
im Neugeborenen keimende
Vertrauen unterstützt.“
Seite 36
Mensch zu früh geboren ist, um selbständig lebensfähig zu sein, er ist im Vergleich
zu anderen Lebewesen ein „Mängelwesen“.
Aber gerade dieser Mangel befähigt den
Menschen, sich weiterzuentwickeln. Er
ist gezwungen und auch dazu fähig, die
Natur zu transzendieren. Die Unfertigkeit
des Säuglings setzt einen fundamentalen
Lernprozess in Gang, er muss seiner
Umwelt vertrauen. Die Mutter ist die
erste Bezugsperson, der das Neugeborene begegnet und zu dem es Urvertrauen
aufbaut. Im Zuge des frühkindlichen
Lebens treten dann Ereignisse ein, die das
Vertrauen erschüttern. Der erste Konflikt
tritt bei der Entwöhnung auf, darin sieht
Erikson eine erste Erfahrung des Verlassenseins. Das Verhalten der Mutter ist hier
entscheidend. Durch ihre Pflegehaltung
entsteht eine Vertrauenshaltung, die die
negativen Erfahrungen überstahlt und die
unabdingbare Frustrationstoleranz aufbaut.
Jedoch treten auch Ereignisse auf, wie z.
B. Schmerzen, die trotz der Fürsorge der
Mutter nicht nachlassen, die zunächst
auf einer körperlichen Ebene, und im
Weiteren bei der Erschließung des psychologischen Raumes auch auf psychischer
Ebene, das Vertrauen erschüttern. Die
Frustration, die dabei entsteht, nötigt
dazu, diese Ereignisse ebenfalls zu transzendieren. Es führt dazu, dass das Urvertrauen die Fundierung in einem weiteren
Bezugsrahmen suchen muss. So verschiebt
sich der Adressat des Urvertrauens auf numinose Kräfte. Kinder entwickeln numinose Denkkosmen, die sie dazu befähigen,
unbelebte Dinge zu beseelen, wie zum
Beispiel Stofftiere. Fraas beschreibt also ein
magisches kindliches Weltbild, in dem der
Mensch mit den Dingen und die Dinge
mit dem Menschen identisch werden. So
versetzen sich Kinder oft in die Rolle eines
anderen und identifizieren sich mit dieser.
Auch G. H. Mead geht auf die spielerische
Rollenübernahme des Kindes ein, wodurch
das Kind lernt, durch Übernahme von
Rollen eine eigene Identität aufzubauen.
Sobald Kinder die Fähigkeit erlangt haben
zu erkennen, dass jeder Adressat des Urvertrauens in der sichtbaren Welt fehlbar
und zerstörbar ist, fangen sie an, danach in
der unsichtbaren Welt zu suchen. Durch
diese Erfahrung wird gewissermaßen Gott
entdeckt bzw. gefunden. Dies führt zu
einem Vertrauen, das ein transzendentales
geworden ist, unabhängig von innerweltlichen Bezugspersonen (vgl. Hans-Jürgen
Fraas, „Religiöse Erziehung und Sozialisation im Kindesalter“, Göttingen 1973).
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Im Anschluss an die Vertrauensfrage auf
Seite 15 kann dann das Gottesbild der
Schülerinnen und Schüler konturiert
werden hin zu einem Vertrauen auf Gott.
Wenn Schülerinnen und Schüler eine
persönliche Beziehung zu Gott aufbauen
können, die auf der Grundlage der rahma
beruht, dann bestimmt dies auch ihre Jenseitserwartung und Vorstellung, denn wie
im folgenden Hadith beschrieben, ist das
Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes
im Jenseits die größte Hoffnung: „Er (Muhammad) sagte: ‚Niemanden bringen seine
Handlungen ins Paradies.‘ Daraufhin wird
er gefragt: ‚Auch dich nicht, o Gesandter
Gottes?‘ Er antwortet: ‚Auch mich nicht,
es sei denn, dass Gott mich mit seiner
Güte und Gnade umhüllt‘“ (Ibn Taimiya).
Diese und weitere Quellen aus dem Koran
(40:7, 6:54) dokumentieren, dass aus
islamischer Sicht /raÎma/ als das „oberste göttliche Handlungsprinzip“ und die
„göttliche Verpflichtung“ gegenüber der
Schöpfung, die ohne Einschränkung alles
umfasst, verstanden wird (vgl. A. Falaturi, S. 75). Daher ist dieses Gottesbild
Grundlage im Arbeitsheft, wodurch die
Schülerinnen und Schüler erfahren, dass
Gott den Menschen im Leben zur Seite
steht, indem er sie bewahrt, aber auch
vor Bewährungen stellt (vgl. Fachlehr-
plan für den Schulversuch Islamunterricht an der bayerischen Grundschule).
1.2.2 Gott näherkommen
Um eine Beziehung zu Gott aufbauen zu
können, ist es wichtig zu wissen, wie man
Gott näher kommen kann. Das Kapitel
„Gott näher kommen“ (S. 38-43) widmet
sich dieser Thematik und veranschaulicht
den Schülerinnen und Schülern Wege,
um mit Gott in Kontakt zu treten. Es sind
gottesdienstliche Handlungen, die die
innere Dimension der Religion betreffen.
a) Die Schahada
Das Glaubensbekenntnis ist nicht nur
eines der fünf Säulen des Islam, sondern
vielmehr der Anker und Angelpunkt aller
Säulen, denn im Geist des Glaubensbekenntnisses müssen Gebet, Fasten, Pflichtabgabe und Wallfahrt vollzogen werden.
Somit bedingen sich Glaube und Handeln
gegenseitig. Die erste Begegnung eines
muslimischen Kindes mit der Schahada ist
kurz nach der Geburt, wenn ein Erwachsener ihm dies in Form des Gebetsrufes in
das Ohr flüstert (S. 38). Dieses Bild wurde
in Bismillah 1/2 als Einstieg in die erste
Kontaktaufnahme zu Gott gewählt. Ein
kleines Baby wird als Muslim im Leben begrüßt und nimmt das erste Mal Kontakt zu
Gott auf. In Bismillah 1/2 werden farblich
Seite 37
In der Niederwerfung
erfährt der Betende nicht
nur die größte Nähe zu Gott,
sondern auch die größte
Demut Gott gegenüber.
die einzelnen Sinnabschnitte und Bedeutung der Schahada verdeutlicht. So haben
die Schülerinnen und Schüler zunächst
die Möglichkeit, sich auf semantischer
und syntaktischer Ebene mit der Schahada
auseinanderzusetzen. Grundlegend ist in
diesem Zusammenhang, dass diese Formel
nicht nur den Glauben an einen einzigen
Gott ausdrückt, sondern an erster Stelle
alles verneint, was diese Einheit in Frage
stellen könnte (vgl. A. Falaturi, S. 78).
Hier besteht die Möglichkeit, dass sich die
Themen „Glaube an andere Götter“ und
„Personenkult“ anschließen. Die Schahada begleitet den Menschen ein Leben
lang und ist unverzichtbarer Bestandteil
des Gebets und aller wichtigen Riten.
b) Das Gebet
Eine weitere Möglichkeit, Gott näher
zu kommen und mit ihm in Kontakt zu
treten, ist das fünfmalige Pflichtgebet.
Mit Bezug auf die kindliche Lebenswelt
in der ersten und zweiten Klasse, aber
auch in Anlehnung an das normative
Deutungssystem des Islams wird das
Gebet als ein Gedenken an Gott den
Schülerinnen und Schülern nahegebracht,
um seine Nähe zu erfahren und um die
Wechselbeziehung zwischen Gott und
dem Menschen deutlich zu machen.
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Zugleich wird der Struktur und Ordnung
gebende Charakter des Gebets verdeutlicht (S. 40). Das Gebet teilt den Tag in
fünf Abschnitte ein und der Tagesablauf
wird durch die Einkehr zu Gott und
das Gedenken an ihn bestimmt. Somit
ist der Tag eines Muslims durch eine in
bestimmten Abständen wiederkehrende
Verbindung zu Gott gekennzeichnet.
Die vorgeschriebenen Positionen des
Pflichtgebetes erfüllen mehrere Aufgaben,
die man im Unterricht thematisieren kann
(S. 41), um in einem weiteren Schritt
dann die Inhalte zu thematisieren. Nach
Falaturi bringt das Gebet eine innere
Einstellung zum Ausdruck, die „Anwesenheit des Herzens“ und eine demütige
Ergebenheit (vgl. A. Falaturi, S. 78). Somit
hat das Gebet zunächst allein durch die
Gebetspositionen eine erzieherische Kraft,
nämlich zu Ehrfurcht, Bescheidenheit und
Respekt. Hamideh Mohagheghi erläutert dazu, dass die Körperhaltung in den
obligatorischen Gebeten ein Ausdruck
der Hingabe an Gott ist: „Das aufrechte
Stehen in allen Gebetseinheiten drückt
die Bereitschaft zum Hören und Handeln aus, die Verbeugung zeigt Demut
und Unterwürfigkeit vor Gott. Mit der
Niederwerfung, in der die Stirn die Erde
berührt, wird dem Menschen bewusst, dass
er ein kleiner Teil der Schöpfung ist […].
Die wechselnde Körperhaltung macht das
Gebet zu einem Mittel der Selbsterkenntnis und zu einer erfahrbaren Kraft für
das Leben in Vertrauen und Annäherung
zu Gott“ (vgl. Hamideh Mohagheghi:
Theologie des Herzens. Im Gebet Liebe
und Nähe Gottes erfahren, in: H. Schmid,
A. Renz, J. Sperber (Hg.): „Im Namen
Gottes…“ Theologie und Praxis des
Gebets in Christentum und Islam, Verlag
Friedrich Pustet, Regensburg 2006, S. 61).
Die Niederwerfung hat dabei besondere
Bedeutung und signalisiert die größte
Nähe zu Gott. Im Koran heißt es dazu:
„…wirf dich nieder und sei (Allah) nah!“
(96:19). In der Niederwerfung erfährt
der Betende nicht nur die größte Nähe
zu Gott, sondern auch die größte Demut Gott gegenüber. Weiterhin kann
im Unterricht auf den arabischen Begriff
der Niederwerfung eingegangen werden,
der /saÊda/. Hier kann ein Zusammenhang hergestellt werden zum Gebetshaus,
der Moschee (/masÊid/), also dem "Ort
der Niederwerfung". Auch kann auf
das Gemeinschaftsgebet eingegangen
werden, indem alle Menschen gleichzeitig die gleichen Körperpositionen einnehmen und somit die Gleichheit aller
Menschen vor Gott verdeutlicht wird.
Seite 38
In diesem Kapitel „Gott näherkommen“
kann also die Bedeutung der Gebetspositionen behandelt werden, aber auch
weitere Koranverse (kindgerecht), die
verdeutlichen, dass Gott selbst dem
Menschen Wege der Kommunikation mit ihm aufzeigt, wie zum Beispiel:
„Und wenn dich Meine Diener nach Mir
fragen, so bin Ich nahe; Ich erhöre den
Ruf des Bittenden, wenn er Mich anruft.
So sollen sie nun auf Mich hören und an
Mich glauben, auf dass sie einen rechten
Wandel zeigen“ (2:286). Diese Einladung
Gottes kann auch durch Hadithe thematisiert werden, wie zum Beispiel: „Himmel
und Erde umfassen Mich nicht, aber das
Herz Meines Dieners umfasst mich“ (vgl.
Annemarie Schimmel: Dein Wille geschehe. Die schönsten Islamischen Gebete,
Kandern 2000, S. 82-83). Eine kindgerechte Erläuterung dieses „Hadith qudsi“
verdeutlicht den Schülerinnen und Schülern die Liebe Gottes zu den Menschen.
Die Erfahrung, die Schülerinnen und
Schüler durch die Gottesnähe machen,
hat auch Konsequenzen für ihre Persönlichkeitsentwicklung. Ein durch
Barmherzigkeit geprägter Zugang zu
Gott und die Möglichkeit, mit Gott
verbunden zu sein, führt zur Stärkung
ihrer Persönlichkeit und zur Ausbildung
einer stabilen religiösen Identität.
c) Das Fasten
Das Fasten gehört zu den gottesdienstlichen Handlungen im Islam und zu
den fünf Säulen. Es gehört aber auch zu
den schwierigsten Pflichten. Was ist der
Grund für das Fasten? Welchen Sinn hat
es, ohne Nahrung und Wasser den ganzen
Tag auskommen? Die Beantwortung
dieser Fragen ist auf zwei Ebenen möglich. Einerseits diesseitsbezogen mit Blick
auf die kindliche Lebenswelt, andererseits jenseitsbezogen mit Blick auf das
normative Deutungssystem des Islam.
Das Fasten umfasst sowohl eine innere als
auch eine sozial-ethische Dimension. In
Sure 2, Vers 183 wird das Fasten als eine
Pflicht vorgeschrieben, um /taqwÁ/ zu
erlangen. In den meisten Übersetzungen
wird das Wort mit Gottesfurcht übersetzt.
Jedoch ist diese Übersetzung irreführend.
Taqwā beinhaltet eine positive Aussage im
Sinne des Gottesbewusstseins, das heißt,
sich der Allgegenwart Gottes bewusst sein
und den Wunsch, das eigene Dasein im
Lichte dieses Bewusstseins zu gestalten
(vgl. Muhammad Asad: Die Botschaft des
Koran, 2009). Um für die Schülerinnen
und Schüler der ersten und zweiten Klasse
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Allah sagte:
„Jede (gute) Tat, die der
Sohn Adams begeht, ist
für ihn selbst (vorteilhaft).
Nur das Fasten begeht er
Meinetwegen, und die
Belohnung dafür ist nach
Meinem Ermessen."
dieses Bewusstsein zu beschreiben, haben
sich die Autorinnen entschieden, dies mit
der Aussage „Das Fasten kann euch Gott
nahebringen“ (S. 42) zu formulieren. Die
Zieldimension des Fastens, wie auch des
Gebets ist in diesem Arbeitsheft die Gottesnähe. Diese gottesdienstliche Handlung
vollzieht der Muslim nur für Gott, wie
auch im folgenden Hadith deutlich wird:
Abu Huraira, Allahs Wohlgefallen auf ihm,
berichtete, dass der Gesandte Allahs, Allahs
Segen und Friede auf ihm, sagte: Allah
sagte: ‚Jede (gute) Tat, die der Sohn Adams
begeht, ist für ihn selbst (vorteilhaft). Nur
das Fasten begeht er Meinetwegen und die
Belohnung dafür wird nach Meinem Ermessen gemacht‘ (Hadith Buchari, 1904).
Die sozial-ethische Zieldimension mit
Blick auf die Lebenswelt der Schülerinnen
und Schüler wird eingeleitet auf der Ebene
der Empathie mit Menschen, die Hunger
und Durst leiden, und führt weiter zum
Selbstbezug, indem die Schülerinnen und
Schüler sich dazu positionieren sollen,
wie sie sich im Monat Ramadan verhalten wollen begleitet durch die Aussage
„Auch die Zunge und die Hand fasten“ (S.
42). Zusätzlich können natürlich weitere
sozial-ethische Ziele des Fastens erarbeitet werden, wie das Schätzen-Lernen von
Seite 39
2. Subjekt und Gemeinschaft
Lebensmitteln, der maßvolle Umgang,
teilen und spenden, Selbstdisziplin usw.
Wesentlich für die Thematik "Gott näher
kommen" ist die Überzeugung der Autorinnen, dass gottesdienstliche Handlungen,
die eine rhythmische Häufigkeit aufweisen,
dazu dienen, die Orientierung und Ausrichtung auf Gott als eine dauerhafte Gewohnheit im Menschen zu festigen (vgl. A.
Falaturi, S. 78). So kann eine tiefe Verbundenheit mit Gott aufgebaut werden, die
den Schülerinnen und Schülern verdeutlicht, dass Religion für die Menschen da ist
und nicht die Menschen für die Religion.
So kann eine tiefe
Verbundenheit mit Gott
aufgebaut werden,
die den Schülerinnen und
Schülern verdeutlicht,
dass Religion für die
Menschen da ist und
nicht die Menschen
für die Religion.
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
2.1 Gleichheit trotz Unterschiedlichkeit
Bezugnehmend auf Sure 5, Vers 48
geht Bismillah im Kapitel „Wir lernen
uns kennen“ darauf ein, dass die Menschen unterschiedlich erschaffen werden
und doch vor Gott gleich sind (S. 3).
Dieser Vers gibt Anlass zur Diskussion
über den Plan Gottes, Menschen unterschiedlich zu erschaffen. Welche Vorteile
hat es, dass Menschen unterschiedlich sind? Sich ergänzen, miteinander
wetteifern, voneinander lernen …?
Das darunter illustrierte Lied geht auf die
Unterschiede ein und betont die Gleichheit aller Menschen vor Gott. Hautfarbe
(Abstammung), Gewicht und Größe (Aussehen), sozialer Status und Geschlecht sind
zwar Unterscheidungsmerkmale, die jedem
seine Individualität verleihen, jedoch sind
alle Menschen bei aller Unterschiedlichkeit
vor Gott gleich, jeder hat einen unmittelbaren Zugang zu Gott. Hier kann sich die
Thematik der Toleranz gegenüber Andersgläubigen anschließen, indem das Prinzip
der Zwangslosigkeit behandelt wird. Der
Mensch hat die Freiheit, sich für den
Glauben an eine Existenz Gottes oder auch
dagegen zu entscheiden. Der Koran fordert
die Muslime auf, die Zwangslosigkeit an-
zuerkennen (2:256), jedem seinen Glauben zu lassen (Sure 109) und die anderen
Glaubensgemeinschaften anzuerkennen.
Toleranz wird auf der Grundlage des Kennenlernens aufgebaut, das im Arbeitsheft
im Kapitel „Wir lernen uns kennen“ und
„Wir folgen Ibrahim: Juden, Christen,
Muslime“ eingeleitet wird und im Unterricht tiefgehender bearbeitet werden muss.
2.2 Gemeinschaft
Gemeinschaft wird im islamischen Kontext
meist mit /umma/ wiedergegeben. Umma
heißt im Koran allgemein „Gemeinschaft“
oder „Gemeinde“. In Sure 43:22 wird
der Begriff /umma/ für die „Religion
der Väter“ genutzt. Später wurde dieser
Begriff mehr und mehr auf die umma der
Muslime eingegrenzt. Die Gemeinschaft
beschränkt sich ursprünglich also nicht
auf Menschen gleicher Glaubensrichtung,
dafür hat sich innerhalb des Islam der
Begriff /ÊamÁca/ etabliert (vgl. Josef van
Esse, „Der Eine und das Andere. Beobachtungen an islamischen häresiographischen
Texten“, Band 1, Berlin / New York 2011).
Gemeinschaft wird auch im Arbeitsheft
nicht auf Muslime bezogen (S. 18-23).
Sie beginnt in der Familie und wird im
Freundeskreis fortgeführt und endet in
diesem Arbeitsheft mit der Gemeinschaft
Seite 40
der Juden, Christen und Muslime. Die
Autorinnen haben bewusst eine Einteilung von Gemeinschaft in Muslime und
Nicht-Muslime vermieden. Juden, Christen und Muslime werden als Nachfolger
Abrahams bezeichnet, der Schwerpunkt
liegt in Heft 1/2 auf den Gemeinsamkeiten
der drei monotheistischen Religionen.
In der Familie spielt die Beziehung zu
den Eltern eine wichtige Rolle, die direkt anschließt an den Glauben an Gott.
Nicht nur in Sure 4, Vers 36 wird das gute
Verhalten den Eltern gegenüber thematisiert (vgl. auch 2:83, 6:151, 17:23, 29:8,
46:15). Das gütige Verhalten zu den Eltern
ist ein Verhaltensmodus, auf das andere
Modi aufbauen, die zu einem vorbildlichen
Verhalten innerhalb der Gemeinschaft
führen. Die Koransuren 25, 31 und 46 behandeln diese Thematik (vgl. Behr, H. H.:
Islamische Bildungslehre. Garching 1998).
2.3 Sozial-ethisches Verhalten
Sozial-ethisches Verhalten, im islamischen
Kontext mit /aÌlÁq/ und /adÁb/ wiedergegeben, wird zunächst innerhalb der
Familie erprobt und erlernt. Behr definiert
in seiner Bildungslehre /aÌlÁq/ als „Lehre
von den Eigenschaften der Geschöpfe“
und /adÁb/ ist die operationalisierte Ebene,
indem die Charaktereigenschaften als
ein situativ wünschenswertes Verhalten
formuliert werden. Folgende Aspekte des
sog. /aÌlÁq/ aus der oben genannten Bildungslehre werden im Arbeitsheft thematisiert und situationsbezogen dargestellt:
Friedfertigkeit im Umgang mit Anderen
(„Vor Allah sind alle Menschen gleich“,
S. 3; „Helfen“ S. 10; „Ich kümmere
mich um Gottes Schöpfung“, S. 11;
„Wer ist ein guter Freund?“, S. 20; „Was
mich fröhlich oder traurig macht“, S.
22; „Wenn einer sagt …“, S. 23; „Muhammad und die Spatzenjungen“, S. 28;
„Ramadan“ („Auch Zunge und Hand
fasten“), S. 42; „Das Fest des Fastenbrechens“, S. 43; „Geschwister – Liebe und
Streit“, S. 44; „Das Wiedersehen“, S. 51;
„Vorbilder“, S. 53; „Wir folgen Ibrahim:
Juden, Christen und Muslime“, S. 56)
Achtung vor dem Leben („Vor Allah sind
alle Menschen gleich“, S. 3; „Danke, lieber
Gott“, S. 9; „Helfen“, S. 10; „Ich kümmere
mich um Gottes Schöpfung“, S. 11; „Muhammad und die Spatzenjungen“, S. 28)
Gerechtigkeitsliebe („Wer ist ein
guter Freund?“, S. 20; „Yusuf
und seine Brüder“, S. 44-51)
Achtsamkeit auf das eigene Verhalten
(„Helfen“ S. 10; „Ich kümmere mich um
Gottes Schöpfung“, S. 11; „Aufgaben in
der Familie“, S. 19; „Was mich fröhlich
oder traurig macht“, S. 22; „Wenn einer
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
sagt …“, S. 23; „Ramadan“ („Auch die
Zunge und die Hand fasten“), S. 42;
„Geschwister – Liebe und Streit“, S. 44)
Geduld („Gott prüft Ibrahim“, S. 16;
„Yusuf im Brunnen – ‚Hilf mir, lieber Gott!‘“, S. 47; „Yusuf im Gefängnis – Gott ist immer bei ihm“, S. 49)
Wichtig ist dabei, wie Behr betont,
dass die situativ eingebundenen sozialethischen Verhaltensweisen einer inneren Anbindung an Gott entspringen.
3. Die religiösen Quellen
als Gebot und Vorbild
3.1 Person, Worte und Taten
des Propheten Muhammad
Der Prophet Muhammad wurde von Gott
gesandt. Im Koran wird seine Sendung
als Beweis der Barmherzigkeit Gottes
gegen alle Welten (21:107) bezeichnet.
Seine Sendung beinhaltet einerseits, die
Botschaft Gottes zu überbringen (5:67),
andererseits, den Charakter und das
Verhalten der Menschen vollkommen zu
machen (Hadith), er ist ein gutes und
schönes Beispiel (33:21). Diese beiden
Pole werden im Arbeitsheft durch die
historische Verortung in seiner Zeit („Muhammad wurde in Mekka geboren“, S.
24), seine Lebenssituation („Muhammads
Kindheit“, S. 26), seinen Charakter („Muhammad heiratet“ S. 27; „Muhammad
und die Spatzenjungen“, S. 28; „Helfen“,
S. 10; „Ein Freund ist ein Geschenk“, S.
21), seine Aufgabe („Gott schickt Muhammad“, S. 25) und den Empfang der
ersten Mitteilung Gottes („Muhammad
begegnet einem Engel“, S. 29) bearbeitet.
Wesentlich ist hierbei einerseits die Verortung Muhammads in seinem zeitlichen,
kulturellen, geographischen und sozialen
Kontext, andererseits die richtungwei-
Seite 41
sende und Orientierung gebende Wirkung
seiner Aussagen und Taten. Natürlich muss
man zwischen Aussagen Muhammads
unterscheiden, die zeitlos oder zeit- und
situationsgebunden sind. Im Arbeitsheft
sind Aussagen verwendet worden, die
die Schülerinnen und Schüler in ihrer
Lebenswelt ansprechen, wie beispielsweise eine Aussage von Muhammad über
Freunde: „Ein Freund ist ein Geschenk
von Allah. Dein Freund erinnert dich
daran, wenn du etwas vergessen hast.
Dein Freund hilft dir, wenn du ihn darum
bittest“ (Hadith Muslim, S. 21 im AH).
Es geht jedoch nicht darum, unreflektiert
die Aussagen des Propheten anzunehmen oder seine Taten nachzuahmen,
sondern um ein weiteres Angebot, um
einen Zugang zum Islam zu finden. Seine
Aussagen, die in Verbindung mit einer
spezifischen Situation im Arbeitsheft
dargestellt werden, verdeutlichen meist
sozial-ethische Grundhaltungen. Insbesondere die Barmherzigkeit Muhammads
gegenüber den Geschöpfen Gottes kommt
hier zum Tragen. Die Barmherzigkeit
wird (Seite 10 und 28) als Gutherzigkeit, Anteilnahme, Milde, Mitgefühl
und Liebe dargestellt. Muhammad ist
ein schönes Vorbild, ob die Schülerinnen
und Schüler sich an ihm orientieren, ist
letztendlich ihre eigene Entscheidung.
3.2 Der Koran
Der Koran enthält religiöse Erkenntnisse
und spirituelle Erfahrungen, die narrativ
wiedergegeben werden. Er ist eine erzählte
Wahrheit, die nicht beschränkt ist auf die
menschliche Wahrnehmung. Der Koran
ist, um es mit den Worten Platons auszudrücken, anamnesis, im Sinne eines Erkennens als Wiedererinnerung. Er besteht aus
Erzählungen, die ein Vorwissen voraussetzen, also eine Wiedererinnerung erwarten.
Er greift den Deutungskosmos seiner Zeit
auf und sortiert ihn neu ein. Die Geschichten sind also ein Echo auf Vorhandenes.
Das Verhältnis von Mensch zu Gott, von
Mensch zu Mensch und von Mensch
zur Umwelt steht im Mittelpunkt des
Koran. Koranverse begleiten die Schülerinnen und Schüler durch fast alle
Kapitel des Arbeitsheftes. Die Suren
werden vereinfacht ausgedrückt, um
den Schülerinnen und Schülern den
Zugang zu erleichtern. Die Erarbeitung
des Koran basiert auf drei Ebenen.
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Inhaltliche Ebene
Der Koran ist die Selbstmitteilung Gottes
an die Welt, eine direkte sprachliche
Kommunikation (vgl. Kermani, Navid:
Gott ist schön. Das ästhetische Erleben
des Korans. München 1999, S. 213).
Der Koran trifft in den ersten Versen der
zweiten Sure eine Aussage über sich selbst.
Er erhebt den Anspruch einer norma
normans non normata – eines maßgeblichen Maßstabs, der selbst an keinem
Maßstab mehr gemessen werden kann.
Zudem wird seine Funktion festgelegt:
Er ist von Allah,
kein Zweifel,
er ist ein Wegweiser für
die Frommen (2:2).
Auf dieser Ebene ist der Koran eine
„Schrift“. Daher wird auf Seite 32 darauf
eingegangen, was man wo und wie mit
dem Koran tun kann. Andererseits ist der
Koran auch ein „Text“. Bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Koran
als ein „Text“ wird den Schülerinnen und
Schülern ein Zugang zum Aufbau und zur
Struktur der Suren ermöglicht. Die Suren
al-Ihlas (Sure 112) und al-Fatiha (Sure
1) sollen inhaltlich besprochen werden
(S. 34 – 36). Diese beiden Suren wurden ausgewählt, weil sie ebenfalls einen
Zugang zum rituellen Gebet bieten.
Ästhetische Ebene
Bei der ästhetischen Dimension des Koran
wird im Arbeitsheft der Schwerpunkt auf
das Hören gelegt, da gerade das Hören
die Basis der menschlichen Kommunikation ist und die Aufnahme eines Textes zu
einem sinnlichen Erlebnis macht. Zudem
sind die Schülerinnen und Schüler auf
das Hören im ersten und zweiten Schuljahr besonders angewiesen, da sie sich im
Schreib- und Leselernprozess befinden.
Auch beim Koran ist die geläufigste Form
der Ausführung das stimmliche Vortragen und die Rezeption, das Hören, nicht
etwa das Lesen (vgl. Kermani 1999, S.
173). Das liegt unter anderem daran,
dass der Koran zuerst den Menschen
nur durch das Hören zugänglich war,
erst später wurde er verschriftlicht. Dazu
steht im Koran: „Und wenn der Koran
vorgetragen wird, dann hört ihm zu und
schweigt in Aufmerksamkeit, auf dass
ihr Erbarmen finden möget!“ (7:204).
Navid Kermani legt das, dass der Koran
die Rezeption seiner Hörer sowohl durch
seine sprachlichen Eigenschaften als auch
durch seine rein akustischen Eigenschaften
steuert. Der Klang jedes Lautes wird mit
bestimmten emotiven Wirkungen verbunden, die dann unterschiedliche Atmosphä-
Seite 42
ren erzeugen, also verschiedene Stimmungen hervorrufen (vgl. ebd., S. 183).
Dem Koran nach ist
Wirklichkeit das,
was seine Wirkung entfaltet,
auch wenn es hinter der
Kulisse des ‚Sehbaren‘
verborgen liegt. […]
Das Sehen des Wirklichen
jenseits des vorfindlichen
und materialen Daseins
bezeichnet der Koran als
‚Auge der Gewissheit‘.
Exkurs über den Koran als narrative Wahrheit
Der Koran entfaltet eine narrative Kraft
(vgl. dazu Harry Harun Behr / Werner
Haußmann / Frank van der Velden. Yusuf
oder Josef? – Eine Probe dialogischer Didaktik in der Lehrerbildung, in: Frank van
der Velden (Hg.): Die Heiligen Schriften
des anderen im Unterricht. Bibel und
Koran im christlichen und islamischen
Religionsunterricht einsetzen, 2011). Der
narrative Charakter wird aus dem Prolog
der Sure 12 deutlich. In Vers 2 wird der
Koran, als „arabische Rede" bezeichnet. In
Vers 3 wird der Begriff /qaÒaÒ/ eingeführt,
die „Erzählung“, welche die mündliche
Überlieferung verdeutlicht. Im Koran
werden Geschichten erzählt, die den
Anspruch erheben, sowohl historische
Wirklichkeit als auch theologische Wahrheit zu sein, in der Erzählung ereignet sich
gewissermaßen wirkliche Gegenwart und
gegenwärtige Wirklichkeit. Wirklichkeit
ereignet sich dadurch, dass der Erzähler,
hier Muhammad, dem dieser Koran eingegeben wurde, (an)-zu-fassen ist. Dieser
Sachverhalt wird überdies noch betont
durch den Hinweis an Muhammad in
Vers 3 „… obgleich du zuvor wahrlich zu
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
den Unachtsamen gehörtest“. Somit wird
Muhammad speziell darauf hingewiesen,
dass das, was erzählt wird, Wirklichkeit
und Wahrheit ist, was er ab jetzt – im
Gegensatz zu „zuvor“ – ernst nehmen soll.
„Dem Koran nach ist Wirklichkeit das,
was seine Wirkung entfaltet, auch wenn es
hinter der Kulisse des ‚Sehbaren‘ verborgen liegt. […] Das Sehen des Wirklichen
jenseits des vorfindlichen und materialen
Daseins bezeichnet der Koran als ‚Auge der
Gewissheit‘, (/cayn al-yaqÐn/)“ (vgl. Harry
Harun Bahr / Werner Haußmann / Frank
van der Velden. Yusuf oder Josef? S. 233).
Damit ist nicht das sehende Auge gemeint, sondern vielmehr das begreifende
Herz, wie in Sure 22, Vers 46 erläutert
wird: „Sind sie denn nicht im Lande
umhergereist, und haben sie nicht Herzen, um zu begreifen, oder Ohren, um zu
hören? Denn wahrlich, es sind ja nicht
die Augen, die blind sind, sondern blind
sind die Herzen in der Brust“ (22:46).
Siehe dazu auch Sure 7, Vers 179.
Vers 6 enthält wiederum ein weiteres
narratives Element: „Und so wird dein
Herr dich erwählen und dich etwas von
der Deutung der Geschichten lehren …“
Hier wird der Begriff /al-aÎÁdÐth/ für
„Geschichten“ genutzt. Zwischen /qaÒaÒ/
und /hadÐth/ besteht keine Divergenz,
denn beide benötigen als Schlüssel zum
Verständnis /ta‘wÐl/. Der Begriff /ta‘wÐl/
wird im Koran mehrmals gebraucht (z. B.
3:7, 10:39, 18:78) im Sinne von „letzte
Bedeutung“, „innere Bedeutung“ oder
„wahre Bedeutung“ eines Geschehnisses
oder einer Aussage oder einer Sache im
Unterschied zu ihrer äußerlichen, PrimaFacie-Erscheinung (vgl. Muhammad Asad:
Die Botschaft des Koran. Übersetzung
und Kommentar). Das heißt, dass die
Geschichten und Erzählungen gedeutet
werden müssen, um sie zu verstehen.
Zurück zur ästhetischen Ebene
Die Schülerinnen und Schüler können
durch das Hören des Korans, den Klang,
den Rhythmus und die Sprachmelodie
aufnehmen. Sie erkennen möglicherweise, dass die Suren etwas mitteilen wollen.
Dies ist ein erster, sinnlicher und emotionaler Zugang zum Koran in seiner
ästhetischen Dimension. Eine Anregung
für eine weiterführende und vertiefende
Beschäftigung mit dem Koran gerade auch
im ersten und zweiten Schuljahr wäre die
rhythmische Darbietung von Koranversen
in Verbindung mit der entsprechenden
Bildmatrix. Dazu würde sich beispielsweise die Sure 100 /al-cÁdiyÁt/ anbieten.
Seite 43
Es geht also auf dieser Ebene nicht um
das sinnentnehmende Verstehen und
Deuten der Sure, sondern darum, den
Schülerinnen und Schülern auf einer
emotionalen und eindrucksvollen Weise
zu vermitteln, dass das Hören der Sure
bei dem Rezipienten Gefühle auslösen.
Eine weitere Methode ist der musikalische
Zugang zum Koran. Viele Musiker nutzen
die poetische Wirkung und Ästhetik des
Koran, um ihn erlebbar zu machen.
Rituelle Ebene
Die rituelle Ebene betrifft den Koran in
Bezug auf die Anwendung für das Gebet. Daher werden die Suren /al-iÌlÁÒ/
und /al-fÁtiÎa/ inhaltlich besprochen.
die heutige Zeit zu thematisieren und dabei den Entstehungskontext zu erarbeiten.
Die Arbeitsheftreihe ist mit dem Ziel,
dem Wunsch und der Hoffnung begleitet
worden, dass die bekenntnisgebundene
Auseinandersetzung mit der eigenen
Religion zur Ausbildung einer sicheren
religiösen Identität bei den Schülerinnen
und Schülern führt, die sie dazu befähigt, offen zu sein für eine konstruktive
Begegnung und Auseinandersetzung mit
Menschen anderen Glaubens oder ohne
Glauben. Dies soll sie dazu befähigen,
Religionen wertzuschätzen, ihnen aufgeschlossen zu begegnen und gleichzeitig
für die eigene Überzeugung einzutreten.
Historische Ebene
Der entstehungsgeschichtliche Kontext ist
im Arbeitsheft etwas zu kurz gekommen
und implizit durch die Verortung des
Propheten Muhammad in seinem historischen und kulturellen Kontext und die
Offenbarung der ersten Mitteilung Gottes
dargelegt, die eingangs der Sure 96 lautet:
"Lies!" – /iqra'/! Insbesondere die erste
Aufforderung Gottes an den Propheten
ist ein wesentlicher Anhaltspunkt, um
mit den Schülerinnen und Schülern die
Wichtigkeit dieses bedeutungsträchtigen
Wortes für die damalige Zeit, als auch für
Fahimah Ulfat: Eine Betrachtung der Arbeitshefte Bismillah – Wir entdecken den Islam
Seite 44
Katharina Frank
Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung.
Eine religionswissenschaftliche Analyse von Schulbüchern für den Islamischen Religionsunterricht
In einem Religionsunterricht – ob für alle
Schülerinnen und Schüler oder nur für
Kinder einer bestimmten Religionszugehörigkeit – kann es um verschiedene Ziele
und Kompetenzen gehen. Solche Unterrichtsziele und Grundkompetenzen werden
in der Regel im Lehrplan festgehalten. Im
Unterricht selbst und in den Gesprächen
mit Lehrkräften zeigt sich jedoch, dass
häufig die verfügbaren Schulbücher die
„heimlichen Lehrpläne“ sind. Daher ist es
sinnvoll, Schulbücher unter dem Aspekt
zu analysieren, welche Ziele mit welchen
Unterrichtsinhalten verfolgt werden: Wo
geht es um eine Identifikation mit bestimmten traditionell-religiösen Vorgaben,
wo um eine adressatenbezogen-individuelle
Gestaltung von Religiosität und wo
gegebenenfalls auch um eine distanzierte
Haltung zu den präsentierten Inhalten.
Der Beitrag wendet diese Fragestellung auf
das Schulbuch „Saphir 5/6“ und auf das
Schulbuch „Mein Islambuch, Grundschule
1/2“ an und arbeitet die darin enthaltenen
Ziele heraus. Auch wenn sich die beiden
Bücher an Kinder unterschiedlichen Alters
richten, lassen sie sich in Bezug auf diese
Fragestellung durchaus vergleichen. Das
Schulbuch Saphir 5/6 wurde von Lamya
Kaddor, Rabeya Müller und Harry Harun
Behr herausgegeben und von einem
großen Autorenteam erstellt. Es erschien
im Jahr 2008 beim Kösel-Verlag. Mein
Islambuch, Grundschule 1/2 wurde vom
Autorenteam Serap Erkan, Evelin LubigFohsel, Gül Solgun-Kaps und Bülent Ucar
verfasst und erschien im Jahr 2009 im
Oldenbourg Schulbuchverlag. Sowohl das
Schulbuch Saphir als auch Mein Islambuch
sind heute in verschiedenen Bundesländern als offizielle Lernmittel zugelassen.
Als Religionswissenschaftlerin geht es
mir bei der vorliegenden Untersuchung
nicht darum, ein religionspädagogischnormatives Fazit zu ziehen. Mit meiner
Analyse möchte ich vielmehr eine Grundlage bereitstellen für eben diesen Diskurs
innerhalb der islamischen Gemeinschaft
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
in Deutschland. Im Folgenden werde
ich zunächst mein Analyseinstrument
vorstellen, das aus eigenen empirischen
Unterrichtsbeobachtungen hervorgegangen ist. Danach möchte ich einige
Beispiele aus den beiden Schulbüchern
präsentieren sowie in einem Überblick
über die beiden Bücher die Themen und
deren Ziele zu quantifizieren versuchen.
Die Ergebnisse meiner Analyse werde
ich diskutieren, um am Ende die Frage
beantworten zu können, an welche Adressaten sich die Bücher richten, an welche
nicht und inwiefern beide auf ihre Weise
die Tradition zu bewahren versuchen.
1. Das Analyseinstrument
Als Analyseinstrument dienen mir die Kategorien, die ich in meiner Forschung zum
schulischen Religionsunterricht erarbeitet
habe (s. Frank 2010). Zwar habe ich diese
Kategorien aus dem empirischen Material
von Unterrichtsbeobachtungen entwickelt,
aber sie lassen sich – zumindest weitgehend – auch auf Lehrmaterial anwenden
und versprechen, in Bezug auf die obige
Fragestellung neue Erkenntnisse zu liefern.
1.1. Gegenstand und Rahmung
Beim Instrument geht es zunächst um
die Unterscheidung zwischen Unterrichtsgegenstand und dem im Schulbuch
erkennbaren Umgang mit diesem Gegenstand, was ich im Sinne des Soziologen
Erving Goffman als Rahmung bezeichnet
habe. Diesen Rahmungen ist zu entnehmen, welches Ziel die Lehrkraft mit dem
Gegenstand verfolgt. Geht es ihr um eine
Identifikation mit dem Gegenstand, eine
aktive, aber subjektive Partizipation
Seite 45
am Gegenstand oder geht es ihr eher
um eine distanzierte Haltung dazu?
In einem ersten Schritt ist zu klären, ob
es sich beim vermittelten Gegenstand
überhaupt um „Religion“ handelt. Diese Frage ist besonders wichtig für einen
Unterricht, der nicht freiwillig ist und
an dem sich Schülerinnen und Schüler
einer Klasse beteiligen müssen, denn
hier greift das Grundrecht der Religionsfreiheit. Sie ist aber ebenso relevant für
einen Islamischen Religionsunterricht,
denn er muss sich ebenfalls Rechenschaft
darüber geben, ob Unterrichtseinheiten,
die etwas anderes als „Religion“ thematisieren, in einem Islamischen Religionsunterricht Platz haben sollen.
„Religion“ – so ist der derzeitigen empirischen Faktenlage (bestehende Schulbücher, Religionsverständnis in der Bevölkerung) zu entnehmen – liegt dann vor,
wenn der Gegenstand in Beziehung steht
zu einem religiösen Symbolsystem, das
über Träger (Individuen und Gemeinschaften) verfügt. Das religiöse Symbolsystem lässt sich definieren als mehr oder
weniger kohärentes reflektiertes System
von Symbolen, die sowohl einen Transzendenzbezug (Luckmann 1967) als auch
einen kollektiven Geltungsgrund für die
Geber und Empfänger (Gladigow 2005)
aufweisen. M.a.W.: Die Kommunikation einer Naturerfahrung in poetischen
Begriffen ist keine Religion; hier liegt
zwar ein Transzendenzbezug vor, jedoch
kein kollektiver Geltungsanspruch.
Bei der Ideologie einer politischen Partei
verhält es sich genau umgekehrt: Hier
liegt ein kollektiver Geltungsanspruch
vor, jedoch kein Transzendenzbezug. In
Grenzfällen, bei denen unklar ist, ob es
sich um Religion handelt oder nicht,
können diese beiden Dimensionen des
Transzendenzbezugs und des kollektiven
Geltungsanspruchs einem Forscherteam
oder einem didaktischen Team helfen
zu eruieren, ob man im gegebenen Fall
von Religion sprechen kann oder nicht.
Darüber hinaus stellt sich im vorliegenden
Zusammenhang auch die Frage, welchen
religiösen Symbolsystemen bzw. welcher
Richtung des Islam der als religiös identifizierte Gegenstand entnommen ist.
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
Im zweiten Schritt geht es darum,
die Rahmung zu identifizieren: Hier
finden sich vier Möglichkeiten:
Die Kommunikation
einer Naturerfahrung
in poetischen
Begriffen
ist keine Religion.
1. Keine Rahmung: Hier wird nur der
Gegenstand dargestellt, z.B. eine
koranische Geschichte, der Ablauf
eines Gebets, das Glaubensbekenntnis usw., gerahmt wird der
Gegenstand hingegen nicht.
2. Dogmatische Rahmung: Hier wird
der Gegenstand in einem religiöstheologischen Sinne dogmatisch
gerahmt. Mit „dogmatisch“ ist nicht
der negativ konnotierte Dogmatismus
gemeint, sondern eine Rahmung,
bei der die eigene Religion (oder
auch „fremde Religionen“) in einem
theologischen Sinne reflektiert ist
und immer weiterentwickelt wird.
3. Lebensweltliche Rahmung: Hier wird
der Gegenstand auf die Lebenswelt
der Schülerinnen und Schüler oder
generell auf die Lebenswelt aller
Menschen bezogen. Lebenswelt meint
nicht einfach Alltagswelt. Unter lebensweltlich wird hier eine Rahmung
verstanden, die im Sinne der phänomenologischen Soziologie (Schütz/Luckmann 2003) als Ergebnis bestimmter
Seite 46
Zuwendungen zum eigenen Erleben
verstanden wird. Es geht also um das,
was für den betreffenden Menschen
von existentieller Bedeutung ist.
4. Kulturkundliche Rahmung: Hier
wird der Gegenstand geschichtsund sozialkundlich kontextualisiert
und gegebenenfalls systematischreligionswissenschaftlich verglichen.
Religion wird nicht als „unsere“ oder
„meine“ Religion beschrieben, sondern als ein Kulturfaktor, der bestimmte Gruppen oder Individuen in
der Gesellschaft nachhaltig prägt.
1.2. Typen der Religionsvermittlung
Diese Gegenstand-Rahmungs-Konstellationen ergeben unterschiedliche Vermittlungstypen:
Narrativer Typus
(keine Rahmung)
Partizipation an Religion offen
Dogmatischer Typus
Lebensweltlicher Typus
Kulturkundlicher Typus
Vorgegebene Partizipation an Religion aktiv
Perspektivenübernahme
Subjektive Partizipation an
Religion aktiv
Perspektiveninduktion
Partizipation als Beobachter
von Religion passiv
Perspektivenwechsel
Beim narrativen Typus wird – wie oben beschrieben – nur der Unterrichtsgegenstand
präsentiert; es wird eine religiöse Geschichte erzählt oder der Ablauf eines Rituals
aufgezeigt. Hier bleibt es dem Schüler
überlassen, wie er den Gegenstand rahmt;
die Partizipation an Religion bleibt offen.
Beim dogmatischen Typus wird ein religiöser oder nichtreligiöser Gegenstand
religiös-dogmatisch gerahmt. Dabei
werden die Schülerinnen und Schüler zu
einer bestimmten Perspektivenübernahme
angeleitet. Die Schüler sollen die durch
die Lehrkraft vorgegebene Sicht auf den
Gegenstand übernehmen und aktiv an
der präsentierten Religion teilnehmen.
Beim lebensweltlichen Typus wird vom
Schüler ebenfalls eine aktive Partizipation verlangt, diese ist aber subjektiv; d.h.
der Schüler kann selbst entscheiden, wie
er den von der Lehrkraft präsentierten
Gegenstand, z.B. einen Koranvers oder ein
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
Gebet, für sich bedeutsam machen und in
seine Lebenswelt integrieren will. Dass er
das tun soll, steht hier jedoch außer Frage;
der Schüler soll seine je eigene lebensweltlich relevante Perspektive in den präsentierten religiösen Gegenstand induzieren.
Beim kulturkundlichen Typus geht es um
eine passive Partizipation oder um eine
Partizipation an Religion durch reine
Beobachtung; der Schüler ist „Zaungast“
(Goffman). Gleichwohl ist der Schüler
aufgefordert, die Perspektive zu wechseln, sich in den präsentierten religiösen
Gegenstand hineinzuversetzen, jedoch
rein mental und zeitlich befristet. Er soll
das Beobachtete beschreiben, systematisieren und metasprachlich einordnen.
Die ersten drei Unterrichtstypen kommen in einem Unterricht vor, den ich
religiösen Unterricht genannt habe; in
Deutschland spricht man hier von einem
„Religionsunterricht“ nach Art. 7 Abs.
3 GG: Lehrer wie Schüler sprechen in
religiösen Codes; es geht um die Inklusion
in das Religionssystem; im vorliegenden
Fall um die Inklusion in das islamische
Religionssystem, oder – sozial betrachtet – um die Integration in die Umma.
Der vierte Unterrichtstypus beabsichtigt dies nicht. Hier wird in wissenschaftlich und sozial validierten Codes
gesprochen. Dieser Typus intendiert
eine Inklusion ins (säkulare) Erziehungssystem, an dem alle Schülerinnen und
Schüler teilhaben. Es handelt sich um
einen religionskundlichen Unterricht.
Idealtypisch betrachtet sind Theologie
und Religionspädagogik die Bezugswissenschaften des religiösen Unterrichts – hier
die Islamische Theologie und Religionspädagogik. Die Religionswissenschaft
Seite 47
mit den ihr assoziierten Geschichts- und
Sozialwissenschaften (z.B. die Islamwissenschaft) sowie die Allgemeine Pädagogik sind die Bezugswissenschaften für
den religionskundlichen Unterricht.
In dieser Sicht gehören der Islamische Religionsunterricht und der christliche (bzw.
der evangelische oder katholische) Religionsunterricht auf die Seite des religiösen
Unterrichts. Idealerweise trägt die jeweilige
Religionsgemeinschaft hier die Verantwortung. Beim religionskundlichen Unterricht
trägt der Staat die Verantwortung. In
konkreten Fällen kann es jedoch Überschneidungen und Verschiebungen geben.
2. Analyse der Gegenstände
und Rahmungen in den
Schulbüchern Saphir 5/6
und Mein Islambuch 1/2
Beide Schulbücher sind von einem Team
von Autorinnen und Autoren verfasst worden. Beide Schulbücher wurden nicht für
den Lehrplan eines bestimmten Bundeslandes verfasst, sondern verstehen sich als
Lernmedien, die in ganz Deutschland oder
auch der Schweiz und Österreich Verwendung finden können. Mein Islambuch ist
für die Grundschuljahre 1 und 2 konzipiert und hat einen Umfang von rund 100
Seiten. Saphir umfasst beinahe doppelt so
viele Seiten inkl. eines Lexikonteils und
ist für die Schuljahre 5 und 6 vorgesehen.
Beide Bücher enthalten viele Bilder und
Zeichnungen und spielen mit Elementen
arabischer Kalligraphie und Ornamentik.
2.1. Gegenstand-Rahmungs-
Konstellationen
In den Büchern lassen sich folgende Gegenstand–RahmungsKonstellationen finden:
a) Ein religiöser Gegenstand wird
nicht gerahmt (narrativ);
b) ein religiöser Gegenstand wird
dogmatisch gerahmt;
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
c) ein nichtreligiöser Gegenstand
wird dogmatisch gerahmt;
d) ein religiöser Gegenstand wird
lebensweltlich gerahmt;
e) ein religiöser Gegenstand wird
kulturkundlich gerahmt.
In all diesen Fällen kann von einer Religions-Vermittlung gesprochen werden,
da auf der Gegenstands- oder/und auf
der Rahmungsseite Religion vorkommt.
In beiden Schulbüchern lassen sich aber
auch Sequenzen ohne Religion finden:
f ) Ein nichtreligiöser Gegenstand wird
ethisch oder lebensweltlich gerahmt.
Die Konstellationen a) bis d) finden sich in
beiden Schulbüchern am häufigsten. Das
erstaunt nicht, denn es sind Kombinationen, die für einen religiösen Unterricht
stehen, also eine Inklusion ins Religionssystem des Islam beabsichtigen. Die Kombination e), die einen religionskundlichen
Unterricht kennzeichnet, kommt kaum
vor. Konstellationen hingegen, die weder
auf der Gegenstands- noch auf der Rahmungsseite religiöse Elemente aufweisen
(f ), finden sich ebenfalls; man könnte
hier von einem Lebensgestaltungs- und
Ethik-Unterricht sprechen. Diese Kombi-
nationen werde ich an ein paar Beispielen
aus den beiden Schulbüchern erläutern.
2.2. Beispiele
Dass islamische Elemente dogmatisch,
d.h. im Sinn islamischer Lehre gerahmt
werden, findet sich in beiden Schulbüchern. Hier sind beispielsweise Sequenzen
zum Beten zu nennen. In Mein Islambuch
1/2 (S.35) wird dem Kind beigebracht,
zu welchen Zeiten Muslime beten und
dass sie das allerorten – in Deutschland,
Marokko, in der Türkei und in Albanien – zur selben Zeit und mit derselben
Ausrichtung auf die Kaaba in Mekka tun.
Auf den nachfolgenden Seiten finden sich
Anweisungen und Erläuterungen, wie
die Gebetswaschung zu erfolgen hat und
weshalb. Obschon hier von „Muslimen“
die Rede ist und nicht von „wir“, ist die
dogmatische Ausrichtung erkennbar:
Es geht darum, wie „man“ betet, wie
das Ritual zu vollziehen ist und welche
Bedeutung „man“ ihm zuschreiben soll.
Auch beim thematisch gleichen Ausschnitt
aus dem Saphir 5/6 (S.51) – er ist als
Infoblatt aus der Moschee gekennzeichnet
– geht es darum, warum man sich zum
Gebet waschen soll, weshalb die Gebetszeiten einzuhalten sind, warum man sich
beim Gebet körperlich bewegen soll und
Seite 48
welche Bedeutungen diese Körperhaltungen und das Gebet haben. Hier wird
ganz selbstverständlich davon ausgegangen,
dass alle AdressatInnen dieser Sequenz
MuslimInnen sind und das präsentierte
Gebet so durchführen und auffassen
sollen, wie das alle machen. Dass „die
Gedanken“ auf einem „Infoblatt aus der
Moschee“ stehen, weist auf den theologischen Charakter hin. Auch diese Sequenz
würde ich daher als dogmatische Rahmung
des Gegenstandes „Gebet“ bezeichnen.
In diesen Sequenzen beider Schulbücher
wird dem Schüler gesagt, wie das Beten
im Islam ausgeführt und wie es gedeutet,
interpretiert werden soll. Diese Sichtweise – so wird dem Kind nahegelegt – soll
von ihm übernommen werden. Bei
diesen dogmatischen Rahmungen besteht
die Absicht, dass die Schülerinnen und
Schüler lernen, wie bestimmte Elemente
des Islam verstanden werden sollen und
in einem vorgegebenen Sinn für das
Leben eines Muslim und einer Muslimin
fruchtbar gemacht werden. Das Kind
soll sich eine bestimmte religiöse Sprache aneignen, um religiöse Erfahrungen,
Praktiken, Geschichten usw. interpretieren und innerhalb der eigenen religiösen
Gruppe kommunizieren zu können.
Häufiger als die Kombination „religiöser
Gegenstand – dogmatische Rahmung“
sind im Schulbuch Saphir 5/6 jedoch
andere Gegenstand–Rahmungs-Konstellationen: Hier wird oft von der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler
ausgegangen, die an sich nichts Religiöses
im Sinne obiger Definition aufweist, um
diesen „säkularen“ Gegenstand religiösdogmatisch zu rahmen. Auf Seite 90
beispielsweise geht es um ein Mädchen,
das vor dem Spiegel steht und sich fragt,
ob es nicht zu dick ist, ob sein Gang
demjenigen eines Models entspricht,
ob die Nase nicht zu groß ist usw.
Damit sich auch Jungen angesprochen
fühlen, werden einige Fragen, die männliche Jugendliche beschäftigen, gestellt:
„Mehr Muskeln – und ich würde besser
aussehen!“, „Habe ich das Zeug zum
Fußballer?“. Eine solche Situation entstammt ganz offensichtlich der Lebenswelt
von Schülerinnen und Schülern und wird
wohl für viele Jugendliche im 6. Schuljahr
auf die eine oder andere Art bedeutsam
werden. Bestimmt fühlen sich damit viele
in der Klasse angesprochen, auch wenn
ihre Kleider, in denen sie sich vor den
Spiegel stellen, vielleicht anders aussehen.
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
Interessant ist nun aber die Rahmung,
die den Fragen dieser Jugendlichen
gegeben wird: Unter dem Bild und den
vielen Fragen von Jugendlichen steht:
„Gott hat mich so geschaffen, wie ich
bin“. Damit wird gezeigt, dass die Religion eine Antwort, eine Deutung für
die Probleme hat, die in der Lebenswelt
der Jugendlichen auftauchen. Unterhalb
dieser religiösen Aussage findet sich ein
Gedicht ohne Religionsbezug. Die Sequenz kippt hier also hin und her zwischen
lebensweltlich-säkularen und religiösen
Bezügen. Das Schulbuch lehrt die Schülerinnen und Schüler, in Situationen,
die lebensweltlich bedeutsame Fragen
aufwerfen, aber nicht von Vorneherein
mit Religion zu tun haben, auf die islamische Lehre zurückzugreifen und sie zur
Problembewältigung heranzuziehen.
Eine umgekehrte Gegenstand–RahmungsKonstellation findet sich bei einem
anderen Buchausschnitt aus dem Saphir,
Seite 23: Hier wird von einem religiösen
Gegenstand, einem Koranvers, ausgegangen, der unter Anleitung des Buches von
den Schülerinnen und Schülern lebensweltlich gerahmt wird. Über dem Foto
eines Frühlingswaldes steht der Koranvers
(7:56) „Gott hat die Erde in einer Ordnung erschaffen. So lasst uns alle diese
Das Kind soll sich eine
bestimmte religiöse
Sprache aneignen,
um religiöse Erfahrungen,
Praktiken, Geschichten
usw. interpretieren
und innerhalb der
eigenen religiösen Gruppe
kommunizieren zu können.
Seite 49
Ordnung bewahren.“ Die Schülerinnen
und Schüler werden gefragt, was sie mit
dieser religiösen Aussage anfangen, was
sie in ihrer näheren und ferneren Umgebung zu tun gedenken, um die Umwelt zu
schützen. Die Kinder oder Jugendlichen
sollen die Aussage aus dem Koran also
selber interpretieren, an ihre Lebenswelt
anschließen und entsprechend handeln.
Im ersten Beispiel ist die Lebenswelt der
Schülerinnen Ausgangspunkt und wird
dann mittels eines islamischen Lehrsatzes
gerahmt. Im zweiten Beispiel ist ein
Koranvers der Ausgangspunkt, und die
Schülerinnen und Schüler sollen sagen,
was dieser in Bezug auf ihre Lebenswelt bedeutet; sie sollen den religiösen
Gegenstand lebensweltlich rahmen.
Mal ist in diesen beiden Beispielen die
islamische Lehre Gegenstand, mal ist
sie Rahmung. In Unterrichtsstunden, in
denen Lehrer und Schüler interagieren,
ist es leichter als in Schulbüchern, Gegenstand und Rahmung zu identifizieren,
aber es ist bei diesen beiden Beispielen
sowie bei vielen anderen Beispielen im
Buch Saphir ganz offensichtlich, dass es
um Verbindungen zwischen der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und
den Elementen des Islam geht. Das Kind
oder der Jugendliche soll lernen, säkulare,
lebensweltlich bedeutsame Ereignisse und
Themen auf eine bestimmte religiöse
Weise zu interpretieren und zu kommunizieren; und umgekehrt, religiöse Elemente
des Islam (Geschichten, Lehren, Rituale
usw.) für die persönliche Lebenswelt
bedeutsam zu machen und zu nutzen.
Auch in Mein Islambuch 1/2 gibt es
etliche Elemente aus der Lebenswelt
der Schülerinnen und Schüler. Hier
werden diese Elemente aber in der Regel nicht religiös, sondern auf eine
ethische Weise oder lebensweltlich,
ohne Bezug auf den Islam gerahmt.
So ist im Lied „Ich bin ich und Du bist
Du. Wenn ich rede, hörst Du zu. Wenn
Du sprichst, dann bin ich still, weil ich
Dich verstehen will“ (S.59) in keiner
Strophe eine religiöse Konnotation erkennbar. Das Lied ließe sich auch in einem
Ethik- oder Lebenskunde-Unterricht mit
allen Schülerinnen und Schülern singen.
Auch bei der Sequenz „ein Glück ist Oma
da“ (S.60) geht es nicht um etwas Religiöses; die Geschichte, die Oma erzählt,
bzw. das, was die Oma mit dem Enkel
macht, hat nichts Religiöses an sich. Die
Fragen, die dem Schüler gestellt werden,
„Was machst Du, wenn Du nicht ein-
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
schlafen kann?“, „Wer bringt Dich zu
Bett?“, können von den Kindern ohne
Bezug auf Religion beantwortet werden.
Das Kind oder der Jugendliche soll lernen, säkulare,
lebensweltlich bedeutsame
Ereignisse und Themen auf
eine bestimmte religiöse
Weise zu interpretieren
und zu kommunizieren;
und umgekehrt, religiöse
Elemente des Islam (…)
für die persönliche
Lebenswelt bedeutsam zu
machen und zu nutzen.
In einem Fach „soziales Lernen“ oder
Lebensgestaltung ließe sich problemlos
ebenfalls mit diesen Buchausschnitten
arbeiten. Der Schüler / die Schülerin
lernt in solchen Unterrichtssequenzen,
dass es allgemeine Werte und Normen
gibt, die von den Kindern übernommen
werden sollen oder dass es Lebenssituationen gibt, die von jedem Menschen
etwas anders und in für ihn bedeutsamer Weise gehandhabt werden.
In beiden Schulbüchern, Saphir und Mein
Islambuch, gibt es auch Sequenzen zum
Verhältnis zwischen Islam und anderen Religionen. Dabei lassen sich zwei
Tendenzen feststellen: Zum einen wird
ausführlich auf Gemeinsamkeiten hingewiesen: Auch Christen und Juden haben
„Bücher“, d.h. heilige Schriften (vgl. Saphir, S.111–122) . Alle Religionen kennen
Feiern (z.B. Mein Islambuch, S.86–93;
Saphir, S.170). Hier besteht implizit das
Ziel, den Kindern und Jugendlichen zu
sagen, dass alle (Buch-)Religionen gut
sind und dass alle Menschen eine Religion
haben oder religiös sind (homo religiosus).
Seite 50
In anderen Abschnitten wiederum wird der
Vergleich mit anderen Religionen kulturkundlich gestaltet: In Mein Islambuch
erzählen Kinder aus verschiedenen Religionen, wie sie feiern – eine idealtypische
Erzählung, wie Christen, Juden und Muslime in der Kirche, der Synagoge und in der
Moschee ihre Rituale begehen (vgl. Mein
Islambuch, S.52–53: „Kinder erzählen“). In
Saphir wird durch eine Statistik über die
Religionszugehörigkeit der in Deutschland
lebenden Menschen ein Stück Faktenwissen zu den Religionsangehörigen in
Deutschland vermittelt. Hier geht es
um Informationen, die – nach meiner
Einordnung – ansatzweise kulturkundlich gerahmt sind ( vgl. Saphir, S.168).
3. Zielbestimmungen in den
Schulbüchern Saphir und
Mein Islambuch: sowohl Traditionsbewahrung als auch
Adressatenorientierung
Werden die beiden Bücher mit den
hier herausgearbeiteten Zielen einander gegenübergestellt, ergeben sich
folgende Befunde und religionswissenschaftliche Einschätzungen:
In beiden Schulbüchern ist kaum eine
Sequenz zu finden, die einen islamischen
oder religiösen Unterrichtsgegenstand
kulturkundlich rahmen. Das muss aus
einer religionswissenschaftlichen Sicht
auch nicht sein; ein solcher Zugang zum
Islam eignet sich für einen Religionskunde-Unterricht, an dem sämtliche
Schülerinnen und Schüler einer Klasse
teilnehmen, besser als für den mit beiden
Büchern intendierten religiösen Unterricht, der nur für die muslimischen
Schülerinnen und Schüler gedacht ist.
Vorgegebene dogmatische Rahmungen
– immer im Sinn der islamischen Lehre und deren pädagogischer Umsetzung
– gibt es in beiden Büchern. Besonders
ausgeprägt erscheint diese Rahmung in
Mein Islambuch. In Saphir wird hingegen
besonders die Verbindung zwischen der
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
und Elementen des Islam – Koranverse,
Hadithe, Rituale etc. – betont. Beides
sind – aus einer religionswissenschaftlichen Sicht beurteilt – idealtypische
Gegenstand–Rahmungs-Konstellationen
eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts, der von den jeweiligen Religionsangehörigen besucht wird. Dass die
zugelassenen Lernmedien kaum religionskundlich sind, sondern einen dogmatisch
und lebensweltlich gerahmten Islam
präsentieren, kann als wichtiger Schritt
in Richtung eines Islamischen Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG
gewertet werden (vgl. dazu verschiedene
Beiträge in Behr/Rohe/Schmid 2008).
In beiden Schulbüchern lassen sich Lehreinheiten erkennen, die „Religion“ als etwas Gutes, Erstrebenswertes darstellen und
in denen implizit von Religion als einer
anthropologischen Konstante ausgegangen
wird. Dieses Lernziel ist aus einer religionswissenschaftlichen Sicht auch in einem
bekenntnisgebundenen Religionsunterricht
nicht unproblematisch, da hier eine Aussage über alle Menschen und nicht nur über
Muslime und andere Religionsangehörige
gemacht wird. Eine Ergänzung in dem
Sinne, dass neben den sogenannten Buchreligionen auch noch andere Religionen
existieren und dass es Menschen ohne Religion gibt, wäre aus einer gesellschaftlichen
Perspektive und in der Sicht eines religiös
neutralen Staates wünschenswert. Ein
solcher Hinweis fehlt in beiden Büchern.
Schließlich finden sich vor allem in Mein
Islambuch etliche Ausschnitte, die die
Lebenswelt der Kinder in Deutschland
oder anderswo betreffen und ganz ohne
islamische oder anderweitig religiöse
Rahmung auskommen. Es handelt sich
hierbei nicht eigentlich um eine Form des
Religionsunterrichts, sondern um Ethik
oder Lebenskunde, wie man sie auch
außerhalb des Religionsunterrichts finden
kann. Aus einer allgemein-didaktischen
Sicht ist zu überlegen, ob gemeinsame
gesellschaftliche Werte und Normen, die
keine religiöse Rahmung erfahren, nicht
besser im Klassenverband gelehrt werden.
Bei der Analyse der beiden Schulbücher
habe ich noch weitere Beobachtungen
gemacht, die nicht systematisch erhoben
wurden, jedoch die obigen Resultate stützen: In Mein Islambuch wird mehrheitlich
von „Allah“ gesprochen, in Saphir mehrheitlich von „Gott“. In Mein Islambuch
gibt es viele Zeichnungen, die fast zeitlos
erscheinen. In Saphir sind vorwiegend
Fotos aus dem gegenwärtigen Deutschland
abgedruckt. Generell finden sich in Saphir
viele deutsch-kulturelle Elemente: ein Gedicht von Bertolt Brecht, Bilder des Malers
Seite 51
Jedenfalls steht fest, dass
die beiden Schulbücher
bezüglich ihrer didaktischen
Ansätze so unterschiedlich
sind, dass eine Kombination
– als Schulbücher für
dieselben Schuljahre
oder auf verschiedenen
Jahrgangsstufen – nur
schwer vorstellbar ist,
auch wenn dies in etlichen
deutschen Bundesländern so vorgesehen ist.
Paul Klee, ein Zitat von Heinrich Heine,
deutsche Musiker usw. Insgesamt gewinnt
der Leser den Eindruck, dass Mein Islambuch in verschiedene Sprachen übersetzt
und in verschiedenen Ländern eingesetzt
werden könnte, ohne viel daran zu ändern.
Bei Saphir wäre eine solche Verwendung
schwierig, da auch die Inhalte und Abbildungen angepasst werden müssten.
Trotz dieser Unterschiede ist bei beiden
Schulbüchern sowohl die Traditionsbewahrung als auch die Adressatenorientierung als Ziel erkennbar: In Mein
Islambuch wird der Islam als zeit- und
ortsunabhängige Grösse dargestellt. Das
Schulbuch verfolgt das Ziel der Traditionsbewahrung, indem der Islam als etwas
Kulturunabhängiges vermittelt wird, was
sich damit leicht von einer Gesellschaft
oder Nation in die andere transferieren
lässt. In Saphir dagegen wird der Islam als
zeit- und ortsabhängige Größe dargestellt.
Die Bewahrung des Islam wird mit der
Strategie angegangen, ihn in Deutschland zu inkulturieren. Er schließt sich
an Unterrichtskonzeptionen an, die in
der christlichen Religionspädagogik seit
längerem angewendet werden (z.B. Korrelationsdidaktik der katholischen Religionspädagogik, vgl. Baudler 1984). Eine
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
ähnliche Konzeption entwickelte einer
der Autoren von Saphir für die islamische
Religionsdidaktik (vgl. Harry Harun Behr,
Dissertation Universität Bayreuth 2005)
und die seit einigen Jahren auch in der
Islamdidaktik in der Türkei diskutiert
werden (sog. Ankara-Modell von Mualla Selçuk, vgl. Ucar / Sarıkaya 2009).
Bei beiden Schulbüchern lässt sich zugleich auch eine Adressatenorientierung
festmachen, jedoch wiederum auf unterschiedliche Weise: Der „Islam“, wie
er in Mein Islambuch erscheint, könnte
für Migrantinnen und Migranten ideal
sein, die entweder in ihr Herkunftsland,
z.B. in die Türkei zurückkehren wollen,
oder sowohl in Deutschland als auch im
Herkunftsland ihrer Familie leben, sogenannte Transmigranten (Pries 2010).
Dagegen ist der Islam im Schulbuch
Saphir eher für einheimische deutsche
Musliminnen und Muslime sowie für
muslimische Migranten konzipiert, die
sich fest in Deutschland niederlassen und
ihren Kindern eine dem hiesigen Christentum strukturell ähnliche pädagogische
Erziehung angedeihen lassen wollen.
Ob man sich diesen Interpretationen
zur Traditionsbewahrung und Adressatenorientiertheit anschließen kann oder
nicht: Jedenfalls steht fest, dass die beiden
Schulbücher bezüglich ihrer didaktischen
Ansätze so unterschiedlich sind, dass eine
Kombination – als Schulbücher für dieselben Schuljahre oder auf verschiedenen
Jahrgangsstufen – nur schwer vorstellbar
ist, auch wenn dies in etlichen deutschen
Bundesländern so vorgesehen ist. Es gibt
zwar einige gemeinsame Elemente – nämlich da, wo es um „Religion im engeren
Sinn“ geht, d.h. wo religiöse Gegenstände
des Islam dogmatisch gerahmt werden: Gebet, Gott, muslimische Feste. Hier divergieren die beiden Schulbücher kaum. Geht
es jedoch um die Bearbeitung säkularer
Lebensbereiche, sind die Unterschiede der
beiden Bücher unverkennbar: In Saphir
werden viele gemeinhin säkulare Lebensbereiche mit dem Islam in Verbindung
gebracht. In Mein Islambuch sind hingegen in weit höherem Mass als im Buch
Saphir Sequenzen zu finden, die einem
Ethik- oder Lebenskunde-Unterricht
zuzuordnen sind und – abgesehen von
der Fachbezeichnung und der muslimischen Schülerschaft – nicht mit dem
Islam in Verbindung gebracht werden.
Dennoch kann gesagt werden, dass sich
beide Schulbücher den deutschen Rahmenbedingungen oder – wie Yasemine
Soysal treffend sagt (1994) – dem deut-
Seite 52
schen Inkorporationsregime anpassen:
Bekenntnisgebundener Religionsunterricht
muss in den meisten Bundsländer auch
Ethik und Lebensgestaltung abdecken
und konsensfähige Werte vermitteln.
Beide Schulbücher werden diesem Auftrag gerecht. Zudem vermitteln beide
Schulbücher eine mit der deutschen
Gesellschaft kompatible Religiosität: In
Mein Islambuch geschieht dies, indem
sich Religion – wie in funktional hochdifferenzierten Gesellschaften (Luhmann
1998) üblich – auf einen Kernbereich
beschränkt (persönliche und gemeinschaftliche religiöse Rituale, religiöses Wissen,
religiöse Bekenntnisse usw.). Beim Saphir
werden Koranverse oder die Lebensweise
Muhammads an die Lebenswelten der
Schülerinnen und Schüler angebunden
oder für diese fruchtbar gemacht.
Mit all diesen Befunden ist jedoch noch
nicht gesagt, wie die Schülerinnen und
Schüler auf die beiden Schulbücher
reagieren, welche der oben beschriebenen
Gegenstand–Rahmungs-Konstellationen
sie selbst vorziehen, welche Inhalte sie
sich aneignen, welche sie ignorieren
und welche davon ihre Religiosität im
Moment und in ihrem zukünftigen
Leben als Erwachsene mitbestimmen.
4. Fazit und Ausblick:
Religionswissenschaft
und Islamische
Religionspädagogik
In einem Sammelband zum Thema „Islam und Bildung“ schreibt
die Soziologin Nikola Tietze:
„Fragt man junge Männer nach ihren
Selbstbeschreibungen als Muslime, so
erfährt man ganz unterschiedliche Dinge.
Der eine ist Muslim, weil es seine Eltern
schon gewesen sind. Der nächste hat sich
dem Islam zugewandt, weil seine Eltern
keine oder nur in unzureichender Weise Muslime sind. Ein Fußballer erklärt
mir, der Islam gehöre einfach dazu, wenn
man ein Ausländer in Wilhelmsburg
(Hamburg) ist, während sein Nachbar
behauptet, man müsse die jungen Leute
vom Islam erst überzeugen, damit sie ihre
Würde wiederfinden. [...] Ein Lehrling,
der gern deutscher Beamter des Bundesgrenzschutz’ wäre, ist Muslim, weil er
nach eigener Aussage ein Türke ist. Sein
Freund hingegen, mit dem er in derselben
Fußballmannschaft spielt, hofft als Muslim
den Christen gleichgestellt zu sein, anstatt
ständig als „Türke“ betrachtet zu werden.“
(Tietze, Muslimische Identitäten 2003: 83)
Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
In diesen Aussagen widerspiegelt sich die
Vielfalt der Aneignungen des Islam und
muslimischer Identitäten: Das Spektrum
reicht von „Hineingeboren-Werden“ bis
hin zu einer bewussten und willentlichen
Entscheidung, von einer Religiosität,
die einherzugehen scheint mit der Herkunftsnation bis hin zu einer religiösen
Identität, die einen sozialen Aufstieg
und eine Ebenbürtigkeit mit Christen
ermöglicht. Die Religiosität von jugendlichen Musliminnen und Muslimen kann
daher sehr unterschiedlich aussehen.
Tietze wie auch andere ReligiositätsforscherInnen betonen zudem, wie flexibel
und situativ Muslime (und auch andere
Religionsangehörige) von ihrer Religiosität Gebrauch machen (vgl. dazu die
Beiträge in Bochinger (Hg.) 2012).
Solche Religiositätsprofile junger Musliminnen und Muslime und deren Zusammenhang zur religiösen Erziehung
müssten die Autorinnen und Autoren
solcher Schulbücher interessieren: Welche religiösen Kompetenzen braucht
die nachkommende Generation für ein
gelingendes Leben in der muslimischen
Gemeinschaft und in der Gesellschaft
ihres Alltags? Welche Kompetenzen lassen
sich im Islamischen Religionsunterricht
aufbauen und fördern? Interessieren
müsste die Autorinnen und Autoren aber
wohl ebenso eine Islamische Theologie,
die das islamische religiöse Symbolsystem
für die neuen Kontexte der Musliminnen
und Muslime – seien es „deutsche“ oder
transmigratorische Lebensstile – reflektiert.
Die Diskussion um das „richtige“ Schulbuch, um adäquate Gegenstände und
Rahmungen und um eine entsprechende
Didaktik sollten muslimische Religionspädagoginnen und Religionspädagogen letztlich unter sich führen. Eine
in Deutschland beheimatete Islamische
Theologie und die von der Religionswissenschaft erfasste Empirie islamischer
Gegenwartskulturen (islamische Sozialisationen und muslimische Religiositäten)
werden ihnen helfen, einen religionsdidaktischen Diskurs zu etablieren, der die
Islamische Religionspädagogik nicht nur
hierzulande nachhaltig prägen könnte.
Seite 53
Literatur
Baudler, Georg: Korrelationsdidaktik:
Leben durch Glauben erschließen, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1984.
Behr, Harry Harun: Curriculum Islamunterricht: Analyse von Lehrplanentwürfen für islamischen Religionsunterricht
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hrsg. von Serap Erkan, Evelin Lubig-Fohsel, Gül Solgun-Kaps und
Bülent Ucar unter wissenschaftlicher
Leitung von Bülent Ucar, Oldenbourg: Schulbuchverlag, 2009.
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hrsg. von Lamya Kaddor, Rabeya
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München: Kösel-Verlag, 2008.
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Katharina Frank: Zwischen Adressatenorientierung und Traditionsbewahrung
Tietze, Nikola: Muslimische Identitäten, in: Wolf-Dietrich Bukow / Erol
Yildiz (Hg.), Islam und Bildung, Opladen: Leske+Budrich, 2003, 83–91.
Ucar, Bülent / Sarıkaya, Yasar (Hg.):
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Türkei im 20. Jahrhundert, Beiträge
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Band 1, Hamburg: Kovač, 2009.
Seite 54
Der folgende Beitrag entstand im Rahmen der indonesisch-deutschen Konferenz “Germany-Indonesia Interfaith Dialogue III - Advancing Religious and Cultural Cooperation through Education” in Manado (April 7th-13th, 2013).
Harry Harun Behr
Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
Settings
Indonesian and German dialogue partners
have been discussing the issue that the
lines of societal (economic, political, social,
cultural) problems, and their solutions,
too, are being drawn increasingly along
religious demarcations. This circumstance, on the one hand, entails the risk
of a secondary religious enhancement of
primarily non-religious conflicts. On the
other, it provides the opportunity to precisely reach people by the religious ethos
when the initiation of attitude changes is
necessary for conflict resolution. One of
the challenges lies in the vagueness of these
demarcations. It has to some considerable
extent become unclear where religious
spheres of life begin and where they end –
especially when religion in its visible and
public form turns out to be a matter of
lifestyle. Living religions nowadays show a
volatile tendency towards radical change in
terms of both traditionalism and reform.
A lack of awareness to this poses one of the
major threats towards political leadership.
One of the former leading Indonesian
figures in regional conflict resolution (in
the Maluku Province), Dr. Sinyo Harry Sarundajang, now Governor of Sulawesi Utara, describes the corresponding “pardoxon
… within the democratic system itself ”:
“On the one hand, the democratic system
is a great opportunity for the emerging and
strengthening of universal values such as
pluralism, tolerance and inclusiveness. However, concurrently, democracy also gives
an opportunity for emerging and resurgent
primordial and local bonds which tend to
be exclusive, either in the name of religion, ethniticy, class and locality […] The
conflict in Maluku is a horizontal or social
conflict […] and not a religious conflict.”1
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
Statements like these are based on real
experience and not on mere interfaithvirtuality. They also shed light on the issue
of the transformations of societies by education, let alone when almost everything
suddenly turns out to be linked to matters
of religion. Especially religious representatives deplore a drift of the younger
generation into informal, alternative and
religious networks. The young ones, however, increasingly do not feel taken care
of by the established religious institutions
and their passed-down doctrines. They
complain about the insufficiently attractive
reformulation of theological standards.
Therefore, religious institutions face two
interrelated challenges: social dynamics
within a new religious framework as well
as the relevance of the religious tradition
for the solution of today’s problems.
On the one hand, actors identify the need
both to raise the awareness of their religious education staff in institutions and
schools for this challenge and to agree on
a trans-religious common ethos in terms
of shared values and conventional wisdom. On the other, it has become clear
that the individuals’ competence to solve
their problems on a deregulated scale (i.e.
decreasing administrative and judicial regulatory measures) has to be strengthened.
It must be kept in mind that this is by far
not the singular situation of a culturally
multifocal nation like Indonesia. Neither
are we talking about specific problems of
the Muslim world.2 The venue of social
disintegration poses a threat to all open
civil societies within their global and
pluralistic settings. But in countries dominated by Muslim majorities, to be more
precise, religious discourse tends towards
three different directions that sometimes
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show uncomprising tendencies in terms
of contradictory perspectives: The question is which direction society should take
(the like can nowadays be seen in Egypt):
Islam as an inherited tradition and as
part of national or ethnical culture, Islam
as an issue of intellectual discourse and
Islam as device of political agitation. Here
the respective output of ethical standards
differs. And there is a considerable difference between urban and rural discourse.
This leads to the pressing need to develop
shared standards in the training of the
respective religious education staff together
with the future religious opinion leaders.
This discourse shall be initiated by both
the particular and common dimensions
of the training. Theological expertise
shall be explicitly incorporated into this
process. This has academic as well as
non-academic implications. Talking about
the academic field, such kind of expertise
and training must be inter-disciplinary.
Because of its unique cooperation in terms
of trans-cultural and inter-faith relations,
Indonesia plays a central role in this
process. Indonesia is of special interest
for various reasons. It has a secular constitution with reference to religion. It is a
heterogeneous society as regards religions
and faith-groups. Last but not least, its
cooperation with the Federal Republic
of Germany has a long tradition. Since
2010 the faith-based cooperation has been
shaped within the Interfaith Conference.
The Indonesian partners have expressed
their decisive interest in the new Islamic
theology in Germany and their will to
invest in the exchange on different levels.
At the same time Indonesia offers unique
opportunities for German scholars to gain
experience with regard to the management of various religious systems and the
pluralism of personal creeds and beliefs.
Two crucial aspects of freedom are comprised here: The decision to live one’s life
accordingly to any religion as well as the
decision to live without religion. Not to
be a registered member of a religion in
terms of teachings, institution and traditions does neither imply being a nonreligious person nor a declared atheist.
The grammatical plural of a term like
Religionsgemeinschaften in the German
Constitution (religious communities, see
Art. 7.3 GG) can broadly be understood
similarly to the Indonesian tag of Bhinneka Tunggal Ika – Unity in Diversity.
The respective Indonesian and German
constitutional framings are of special
interest, too. The German Constitution
(Grundgesetz) provides for the freedom
of the spiritual preferences and choices
of the individual. It is meant to protect
them from undue intervention by state
or religious institutions. Besides, there
are special means of structural influence
religious communities are given to by
the Constitution once they are acknowledged by the provincial governments.
This refers to the curricula of (confessional, faith-based) spiritual education in public schools, for example.
The Indonesian Constitution (UndangUndang Dasar) has undergone four major
stages of amendment since 1945.3 Based
on the first of the five principles of the so
called Pancasila, it may be called deistic
since it demands “Belief in an Almighty
Deity” – Kepercayaan Kepada Ketuhanan
Yang Maha Esa. Discussion on this has
been rife since the times of President
Soekarno and Mohammed Natsir.4 Natsir
(and with him many leaders of Muslim
interest groups, movements and political
parties affiliated to Islam) would have
preferred Kepercayaan Kepada Allah Yang
Maha Esa instead. It must be understood
that it does not even say Tuhan which
would convey an anthropomorphic
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
The grammatical plural
of a term like
Religionsgemeinschaften in
the German Constitution
(religious communities,
see Art. 7.3 GG)
can broadly be understood
similarly to the Indonesian
tag of Bhinneka Tunggal
Ika – Unity in Diversity.
Seite 56
concept of “God”. This is why, aside from
the two major Christian denominations,
Hinduism, Buddhism an Islam, recently a
sixth religion was officially acknowledged
by Indonesian authorities: Confucianism – surprisingly, one must say, since
it is a non-deistic philosophical system.
The differentiation between catholic and
protestant creed within official perceptions
clearly shows that in the current Indonesian debates the focus lies on a somewhat
substantial notion: Religions are regarded
as bodies of confessions and their systematic emanations in terms of structure and
function (culture, arts, buildings, artefacts,
religious personnel …). Compared to the
perception of “religion” as the right of
the individual to define its beliefs, such
seems to be a rather essentialistic view.
Tolerance
exhibits religious as well as
non-religious signatures. It
is as less the priviledge of
religious communities as
intolerance is their fault.
The current debates on the reform of the
Indonesian national curricula on religious
topics (the 2013 syllabus) point towards
a stronger integration of religious aspects
into most of the subjects that are being
taught at school. But a slight shift from
the confessionalistic towards the denominational approach to religion would
put some relief to the constraints that lie
on the Indonesian discourse on religious
groups. Furthermore, comments on the
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
first principle of the Pancasila imply that
the freedom of religious faith (kepercayaan) includes the freedom of the individual
not to believe at all (ke-tidakpercayaan).
However, on this tricky issue the consensus within some parts of the Indonesian
society still seems to lie a long way ahead.5
Synopsis of the
Idea of Education
Tolerance exhibits religious as well as nonreligious signatures. It is as less the privilege of religious communities as intolerance is their fault. However, the question
of tolerance gains particular explosiveness
through the increasing religious inclination of primarily non-religious conflicts.
Tensions evolve between religions, between different doctrines and traditions
within religions, and between religious
and secular currents within societies. In
order to prevent further social polarization
based on religion and weltanschauung,
focused programmes considering the
following aspects seem to be necessary:
• Information and elucidation on controversial topics related to religious thought
• Communication in the sense of an
open exchange on shared perceptions,
experiences, interests and areas of
responsibility
• Publicity with the inclusion of the media
• Willingness to take effect on society by democratic means
• The consolidation of a common
discourse on the interpretation of
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the current constitutional framings
as part of the parliamentary agenda
• Inclusion of the judicial insitutions and law-enforcement in cases
of discrimination or violence that
are related to religion or faith
In the framework of formal education
scenarios such programmes have to be conceptualized with regard to these horizons.
They also have to describe the announced
educational targets (as far as the programme is education-oriented) and the
announced results (as far as the programme
is activity-oriented) more specifically.
Especially for the realms of religion some
directives play a leading role. They may
help to enhance the relevance of religious thought for social action and thereby
increase the credibility of religious ideas,
which often stand in stark contrast to
their followers’ deeds. The three chapters below also give mention to some
important Islamic principles that refer
to the dynamics of individual and societal development and improvement:
1.
The world must not be interpreted in the
light of religious traditions only. Instead,
religious traditions have to be reformulated in the light of the given realities.
Theology has to face the abuse of religion
by particular group interest. It has the
responsible duty to save religion from the
hostile takeover by those adherents who
construct their own exceptional position
through the construction of hostile perceptions of the other. Therefore, theology
has to bring traditions and contexts into
a reasonable balance with the religiosity
of the autonomous subject and religious
systems of interpretation. Such interpretation must be based on a new culture of
the so called [iÊtihÁd] (jCÏX_H) – a common
intellectual strive to achieve practical
solutions for problems that touch Muslim
religious thought.6 These solutions must
be designed accordingly to the potential of
the involved people. Such must be based
on reason and judgement (È¿c; [Îukm],
see 19:12 and 38:26 in the Qur’an) and
must lead to an improvement of the
situation (UdÃ|Æ, bÚtXsH; [maÒlaÎa] or
[istiÒlÁÎ]; see 49:9 in the Qur’an).(F7)
2.
Willingly or unwillingly, people learn
from each other, with or without respect
to religion. Beyond normative religious
systems and institutions, too, learning has
a religious, a spiritual signature. Often
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
A non-negotiable
premise to this is freedom
(…) from corrupting
influences like structural
discrimination, poverty, fear
or the lack of education.
religion can rather be found outside the
holy places than within them. However,
people do not learn from scripture to
scripture or from institution to institution but from heart to heart. Learning
happens in encounters. Learning beyond
the borders of communities or systems
therefore may not only mean to learn
something about the other, but from it.
Based on this, the most suitable Arabic
term for education would not be the widespread [tarbiyya] (U×QoM) which is mostly
identified with education (especially when
talking about Islamic education) but [tazkiyya] (U×¾qM) instead: The latter term combines a static and dynamic aspect of education: the inward good in terms of the ethics
of the subject, and the forward growth
in terms of the life-long development of
the subject – and of society as a whole.
Tazkiyya as an educational target may be
understood as the capacity of the individual to lead their own life on the basis of
autonomous and reasonable decisions. This
is the basic trait of the individual member
of the civil society in terms of its social
capital (which the state itself depends
on but cannot provide for by itself ). A
non-negotiable premise to this is freedom
([barÁ’a]; UMDoQ; Qur’an 6:78) from corrupt-
Seite 58
ing influences like structural discrimination, poverty, fear or the lack of education.8
With reference to this the Qur’an criticizes the deviation in normative standards
of morale and ethics especially in the
field of economics.9 Such deviation is
called [širk] (½ow; a [mušrik], ½oxÆ, then
being God’s shareholder). Here the potential of destroying social life as well as
the natural ressources is given because
growth is defined pejoratively as [takÁ×ur],
o[C¿W, which means more and more (see
102:1-2 in the Qur’an10). Here it becomes clear why, from the Muslim point of
view, the controversial issue of economic
growth touches general questions of ethics
primarily in their religious framing.
According to the fundamental Islamic
principles of good governance, the political
leadership must provide for political peace
([as-salÁm]; ÅÚtÂB), legal security ([al-‘amn];
ÌÆÛB) and social justice ([al-cadl]; Ák¯ÂB) in order to ensure that the people can live their
lives in dignity ([karÁma]; UÆBo¾ ; see Qur’an
17:70).11 Hence, the development of the
society towards the better depends on the
material premises of education as well as
on the intellectual and spiritual development of the individual which in Islam is
called [takÁmul] (ÄÆC¿W) or [takmÐl] (Ä×Ç¿W;
see also 13:11 in the Qur’an12). The
standards along which such development
can be measured comprise three criteria
which need to be balanced: the objective,
the societal and the subjective approach.13
3.
The fundamental humanistic idea of
human solidarity must not be bound
to the narrow borders of a confessional
brotherhood. The Qur’an itself takes
this notion of common human solidarity
([maÒlaÎa]; UdÃ|Æ) as a qualitative criterion
([macrÙf]; µÑo¯Æ) of a spiritual community,
too (Qur’an 31:15)14, and it also occurs in
many other traditions, not only in mysticism. The idea of the transformability of a
narrowly thought concept of solidarity is
based on the conviction that in some sense
religions and their heritage are inhabited
by an instrumental character (without
derogating their particular heritage and
aesthetics). They regard themselves being
indebted to a higher idea, to something
actual. The Qur’an does not demand
being a Muslim from every human, but
it demands being a human from every
Muslim. Religions like Islam and others
have to pay useful service to this (which
according to the Qur’an can be called
[manfaca]; U¯·ËÆ; see 80:4).15 It is obvious
that this bears consequences for the hermeneutic and exegetic approach to the Holy
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
Scriptures and that theology has to prove
its value sailing against the wind here.
Hence, those young people of both
nations, Indonesia and Germany, should
be brought together. They need to qualify
outstandingly in the field of theology and
they are expected to lead opinions in their
respective religious communities in the
future. Discussions should focus on the
question to which extent new challenges
for the respective doctrines will emerge in
this context, how traditions and scriptures can be dealt with then, and how both
common standards for the various fields of
education (the basic curricular principles)
and standards in the sense of recommendations to other social protagonists (media, economy, environmental and social
issues, politics, etc.) can be found. Here
the challenge lies in finding commonly
accepted standards to present the religiously different and to deal with it. Both of
these are attained and formulated through
communication about joint experiences
and the agreement upon shared interests.
For part of the theologians, the challenge
is that apart from the traditions present
day aspects develop their own normativity
which is more focused on problem-solving.
The experience with similar encounters
during the exchange between German
and Indonesian experts (with the German
Foreign Office in summer 2010 and fall
2011) showed: The experience of geographic distance from the well-known
familiar discourse milieu, the engagement with almost identical, but mirrored problem horizons in both countries
and the academic exchange within the
mixed group enhance the potential of
problem solving theological thinking.
An example of the interpretation (intentional reading; [ta’wÐl], ÄÖÒNW) of the
Qur’an in the light of human solidarity
Verse ([’Áya], UÖD) 177 of the second
chapter ([sÙra], TnÒs) of the Qur’an reads
as follows (the segments a.-h. may serve
as a reference to further discussion):
a. It is not righteousness that ye turn
your faces towards east or west.
b. But it is righteousness to believe in
God and the Last Day and the Angels
and the Book and the Messengers.
c. And to spend of your substance, out
of love, for your kin, for orphans, for
the needy, for the wayfarer, for those
who ask, and for the ransom of slaves.
Seite 59
d. And to hold on regular prayer and regular charity.
e. And to fulfil the contracts
which ye have made.
f. And to be firm and patient, in
pain (or suffering) and adversity, and
throughout all periods of panic.
g. Such are the people who
make things come true.
h. Who look forward to meet God.
Texts like these can be found at random
within the Qur’an. In general, they are
read as examples of the true Islamic creed:
true belief, prayer and charity, keeping
words and promises, patience and a God
fearing attitude. Especially words like
[taqwÁ] (ÓÒ»W, h) are often being translated with the emotional connotation of
fear, but actually the word means „taking
precaucions“ or „provisions“. It points
more or less towards a cognitive concept.
Which leads us to the importance of the
philological basis ([tafsÐr], o×t·W) as the
major hermeneutical access to the exegesis
([ta’wÐl], ÄÖÒNW) of the Qur’an. In Muslim eyes and ears the crucial keywords
of this verse refer to Islam as a body of
religion in terms of systematic theology
with reference to its own symbols and
teachings: [‚ÐmÁn] (ÉCÇÖH, belief, b.), [cibÁ-
da] (TjCR®, religious acts, a., c., d.), [mucamalÁt] (VÚǯÆ, worldly acts, c., e.) and
[iÎsÁn] (ÉCtcH, attitudes, c., f., g., h.).
However, the initial it is not ([laysa], u×Â)
puts a question mark behind this. What
exactly is negated here? The translation
offers righteousness as the core meaning
of the Arabic term [al-birr] (oãRÂB). To be
precise, birr does not mean that. The
word has to do with stock or funds as well
as firm grounds – all in all something you
can rely on, something you can stand
on. The word connotes to security and
certainty in the sense of the true religion
man can trust in. It is related to the Arabic
term [barr] (oáQ) for land as an antonym
of [baÎr] (odQ) for sea. Verse 17:70 in the
Qur’an may serve as an illustration to this:
We have given dignity ([karramnÁ],
CËÆo¾) to the children of Adam.
And borne (carried; [ÎamalnÁhum],
ÈÎCËÃÇc) them over land and sea.
And provided for them sustenance
out of the good things of life.
And favoured them far above most of Our creation.
The word [ÎamalnÁhum] (ÈÎCËÃÇc) in this
verse connotes to the carrying of a baby
during pregnancy. Here the Qur’anic
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
picture of God shows motherly and
less fatherly traits. It is similar to the
Arabic term [raÎma] (UÇcn) which refers to the motherly lap or womb. To
Muslim listeners who are familiar with
its Arabic tongue, the Qur’an sounds
like a mother talking to her children.
In this light the verse 2:177 reveals a
deeper meaning: It is not the religious acts
as such that constitute religion. There is
something of higher value behind religion which points more to human nature
in general than to Muslim attitude only.
Islam, like other religious systems, can be
understood as a surface, a tool or a limited
and scaled emanation of an underlying
idea that is unlimited and unscaled, a
kind of objective truth despite individual
or collective clusters of creeds, convictions, traditions and lifestyles which are
labelled with the Arabic word [dīn] (ÌÖj).
This verse indicates those indispensable
dimensions of good life which Aristotle
would subtitle as ethics and metaphysics.
The logic behind, to stick with the third
classical Aristotelian item, is the human
heart, here indicated by the word Îubb
(Sc) in c. The early commentators ([mufassirÙn], ÉÑot·Æ) of the Qur’an understood the term [calÁ Îubbihi] (ÐRc Ôî) in
There is something
of higher value behind
religion which points
more to human nature
in general than to
Muslim attitude only.
Seite 60
three different ways: out of love for God,
out of love for man (i.e. the recipients of
charity mentioned in the verse) or despite the love for the worldly possessions
someone calls their own ([al-mÁl], ÁCÇÂB).
Some of the Muslim sisters and brothers
surely would tend to argue: No, Islam is
more than a tool, it is the complete way
of life to achieve exactly these higher aims
and targets. Islam to them appears to be a
system in terms of [širca] (U®ow) and [minhÁÊ] (^CÏËÆ, 5:48) – a system of conclusive
ways and means. They would most probably quote verse 5:3 ([al-yauma akmaltu
after it has been cooked. Anyway, who
wants to eat it without the spices? However, the argument of the metaphysical,
ethical and logical uniqueness of a religious system can be made use of by each
and every religion that turns toward the
three Aristotelian criteria of good life –
spirituality, good behaviour and reason.
Today have I perfected ([’akmaltu], YÃǾB) your religion for you.
And I have bestowed upon you the
full measure of My blessings.
And I willed that self-surrender ([islÁma],
ÅÚsH) unto Me shall be your religion.
Furthermore, in this verse, the term [islÁm]
(ÅÚsH) is not to be understood as the name
of the religion of Islam, but as the qualitative criteria of a human attitude, a religious
disposition which in Islam is called [fiÔra]
(To¨¶, see 30:30) – an attitude that is not
limited to the adherents of Islam and not
even restricted to religious thought. When
the Qur’an refers to Abraham (Ībrāhīm)
as [ÎanÐfan musliman] (æCÇÃtÆ æC·×Ëc; originally Muslim), it is not being stated that
he was an adherent of Islam but that he
is regarded as a role model of true belief. The characteristics of Muhammad
in the Qur’an are widely constructed
on this blueprint of Abrahams footsteps
(compare in the Qur’an 6:161-165).16
But this is not being denied here – on the
contrary: It is not possible to rip the idea
of Islam off its cultural and ritual face,
just as it is not possible to eliminate the
good spices of a delicious chicken curry
The spiritual attitude mentioned above is
fundamental to human nature in terms
of man who, according to a wisdom of
Muhammad, was shaped in likeness to God
([Ìalaqal-lÁhu ’Ádama calÁ sÙratihi]; ÐWnÒs
lakum dÐnakum ... wa atmamtu calaikum
nicmatÐ ... wa raÃÐtu lakumul-islÁma dÐna];
È¿×î YÇÇWB Ñ ... È¿ËÖj È¿Â YÃǾB ÅÒ×ÂB
æCËÖj ÅÚsßB È¿Â Y×¢n Ñ ...ØXǯÊ
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
Ôî ÅjD ÐÃÂB ¼Ãg; # 58 in the aÒ-ÑaÎÐfa aÒÑaÎÐÎa of ÍamÁm ibn Munabbih, also to
be found in the collection of Muslim).
The sentence [al-yauma ’akmaltu lakum
dÐnakum] (È¿ËÖj È¿Â YÃǾB ÅÒ×ÂB ) has a deeper
meaning, too: The word-group of [kamila]
(ÄǾ) refers to things that still need to be
completed, its connotations are not static
but dynamic, they have to do with movement. Thus, with verse 5:3, Islamic theology does not come to an end, it’s the starting
point for mankind to come to terms with
God, with the world and with each other
in the sense of today your life has begun…
In current theories, learning is defined by
change in behaviour. To bring this change
about, movement is necessary. This may
be a travel from Germany to Indonesia or
vice versa. About 20 verses of the Qur’an
appeal to this: [sÐrÙ fil-‘arÃ] (¡nÛB ض BÑo×s)
… Why don’t you travel around and look and
learn? The Qur’an mentions the travel on
the land or on the sea. That refers to the
physical topography. But as it was lined
out above, both terms also refer to the
spiritual topography: The movement of the
bodies entails the movement of the hearts.
The fragile security in terms of common
grounds ([birr]; oãQ) may quickly turn into
the prospect of drowning in confusion and
falsehood ([baÎr]; odQ). Man is in need of
God’s caring hands in both spheres, land
and sea, and both physically and spiritually ([ÊasadÐ wa rÙÎÐ], ØcÑn Ñ Õkt_).
The fact that airplanes are not mentioned in the Qur’an may pass as a tribute
to the early biography of the book and
must not be read as a limitation posed by
the Islamic systems of norms and methods ([šarÐca]; U¯Öow). On the contrary:
As one of my staff put it in one of her
recent publications: Religious education
should aim at providing the youth with
wings – we must teach them to fly.17 That
was after she had come to Indonesia for
the first time in her life … by plane.
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(1) Sarundajang, Sinyo Harry: Leadership in Plural Society”, UNI-Maliki
Press: Malang 2013, pp. 3, 15, 16
(2) A glance on the the uprising of the radical
buddhist 696-movement against the Muslim
minority in Myanmar reveals an emabarrasing
kind of public and political indifference towards
the violent upheaval in the streets. The highly
regarded figurehead of the democratic oppositon,
Aung San Suu Kyi, has remained surprisingly silent
during the past weeks of unrest fired by religious
sentiment (something which might be intended
by her political opponents who, according to
some, are held responsible for kindling the fire).
(3) Drs. Marsono: UUD 1945. Susunan
Dalam Satu Naskah. Dengan Perubahan-Perubahannya 1999-2002. Eko Jaya: Jakarta 2002.
(4) Natsir was strongly influenced by Agus
Salim, one of the founding fathers of the Indonesian Republic with a unique blending of secular
and islamic-religious thought. Natsir was also a
member of the Pemerintah Revolusioner Republik Indonesia/PRRI (a Sumatra-based rebellion of parts of the army) and of the Petisi 50 (a
group of intellectuals who criticized the former
president Soeharto for misusing the Pancasila
to suppress political opponents). He later founded the Dewan Dakwah Islamiyah Indonesia.
(5) As Imam Budi Prasodjo puts it: “It’s too
early for that. Maybe in Germany you have the
experience of a discourse in process, but here
things tend to be more controversial.” Imam is the
founding figure of the Nurani Dunia Foundation,
Head of the CERIC (Centre for Research and Intergroup Relations) and member of the KPK (Komisi
Pemberantasan Korupsi). For details see ZRLI
(Zeitschrift für die Religionslehre des Islam) issue
12, December 2012), free download via www.izir.de.
(6) See also al-cAlwani, Taha Jabir: Ijtihad.
International Institute of Islamic Thought publications (IIIT). Herndon (Virginia) and London 1993.
(7) [And when the son was born and grew up,
he was told,] “O John! Hold fast unto the divine
writ with [all thy] strength!”, for We granted him
wisdom while he was yet a little boy … (19:12); O
David! Behold, We have made thee a [prophet and,
thus, Our] vicegerent on earth: judge, then, between
men with justice, and do not follow vain desire…
(38:26); Hence, if two groups of believers fall to
fighting, make peace between them; but then, if
one of the two [groups] goes on acting wrongfully
towards the other, fight against the one that acts
wrongfully until it reverts to God’s commandment;
and if they revert, make peace between them with
justice, and deal equitably [with them]: for verily,
God loves those who act equitably! (49:9).
(8) Then, when he beheld the sun rising, he said, „This is my Sustainer! This one
is the greatest [of all]!“ But when it [too] went
down, he exclaimed: „O my people! Behold,
I am free (innРbarБun) from what you ascribe
divinity to, as you do, beside God! (6:78).
(9) And out of whatever He has created of the
fruits of the field and the cattle, they assign unto
God a portion, saying, „This belongs to God“ or
so they [falsely] claim, „and this is for those beings
who, we are convinced, have a share in God‘s
divinity.“ But that which is assigned to the beings
associated in their minds with God does not bring
[them] closer to God, whereas that which is assigned
to God brings [them but] closer to those beings
to whom they ascribe a share in His divinity. Bad,
indeed, is their judgment! And, likewise, their belief
in beings or powers that are supposed to have a
share in God‘s divinity makes [even] the slaying of
their children seem goodly to many of those who
ascribe divinity to aught beside God, thus bringing
them to ruin and confusing them in their faith. Yet,
unless God had so willed, they would not be doing
all this: stand, therefore, aloof from them and all
their false imagery! And they say, „Such-and-such
cattle and fruits of the field are sacred; none may
eat thereof save those whom we will [to do so]“.
So they [falsely] claim. And [they declare that] it
is forbidden to burden the backs of certain kinds
of cattle; and there are cattle over which they do
H. H. Behr:Tolerance as a Theological and Pedagogic Challenge – an Islamic Perspective
not pronounce God‘s name falsely attributing [the
origin of these customs] to Him. [But] He will
requite them for all their false imagery. (6:136-138)
(10) The mutual rivalry for piling up diverts
you until you visit the graves … (102:1-2).
(11) We have indeed conferred dignity on
the children of Adam, and borne them over land
and sea, and provided for them sustenance out
of the good things of life, and favoured them
far above most of Our creation… (17:70).
(12) … Verily, God does not change men‘s
condition unless they change their inner selves; and when God wills people to suffer evil
[in consequence of their own evil deeds], there
is none who could avert it: for they have none
who could protect them from Him (13:11).
(13) See Behr, Harry Harun: Du und
ich. Zur anthropologischen Signatur des Korans. To be issued in summer 2013.
(14) ‘[Revere thy parents;] yet should they
endeavour to make thee ascribe divinity, side
by side with Me, to something which thy mind
cannot accept [as divine], obey them not; but
[even then] bear them company in this world’s
life with kindness (ÒÁÎibhumÁ fÐd-dunia macrÙfÁ),
and follow the path of those who turn towards
Me. In the end, unto Me you all must return;
and thereupon I shall make you [truly] understand all that you were doing [in life] (31:15).
(15) … or have been reminded [of the truth],
and helped by (fa-tanfacahu) this reminder (80:4)?
(16) Say: „Behold, my Sustainer has guided
me onto a straight way through an ever-true faith,
the way of Abraham, who turned away from all
that is false, and he was not of those who ascribe
divinity to aught beside Him.“ Say: „Behold, my
prayer, and (all] my acts of worship, and my living
and my dying are for God [alone], the Sustainer of
all the worlds, in whose divinity none has a share.
For thus have I been bidden, and I shall [always] be
foremost among those who surrender themselves
unto Him.“ Say: „Am I, then, to seek a sustainer
other than God, when He is the Sustainer of all
things?“ And whatever [wrong] any human being
commits rests upon himself alone; and no bearer
of burdens shall be made to bear another‘s burden.
And, in time, unto your Sustainer you all must
return. And then He will make you [truly] understand all that on which you were wont to differ. For,
He it is who has made you inherit the earth, and
has raised some of you by degrees above others, so
that He might try you by means of what He has
bestowed upon you. Verily, thy Sustainer is swift
in retribution. Yet, behold, He is indeed muchforgiving, a dispenser of grace (6:161-165); see also
Behr, Harry Harun: Die Abraham-Konstruktion im
Koran. In: Harry Harun Behr, Daniel Krochmalnik
und Bernd Schröder (Hg.): Der andere Abraham.
Theologische und didaktische Reflektionen eines
Klassikers. Reihe Religionspädagogische Gespräche
zwischen Juden, Christen und Muslimen. Verlag
Frank & Timme. Berlin 2011. Seiten 109-145
(17) Salama, Dina: Flügel sind zum Fliegen da. In: Zeitschrift für die Religionslehre des
Islam. Jahrgang 6, Heft 12, Dezember 2012,
pp. 16-27 (free download via www.izir.de).
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Zu den Autorinnen und Autoren
Georg Brubacher, 90, war Professor
am Institut für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität
Basel und Ernährungswissenschaftler
bei Hoffmann La Roche. Daneben
veröffentlichte er Gedichtbände.
Gül Solgun-Kaps ist muslimische Lehrerin mit Funktionsaufgaben und Fachbetreuerin im Bereich Islam und Integration.
Sie berät die Bayerische Staatsregierung
in Fragen von Islam und Integration.
Katharina Frank ist Religionswissenschaftlerin und Soziologin. Sie ist
Expertin für unterschiedliche Modelle religiöser, insbesondere auf den Islam bezogenen Unterrichts in der Schweiz und
für islamische Unterrichtsmaterialen.
Harry Harun Behr, geboren 1962, ist Inhaber der Professur für Islamische Religionslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Sein
Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich
von Islam und Bildung. Die FAU ist einer
der vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung und der Stiftung Mercator geförderten Schwerpunktstandorte
für Islamische Theologie in Deutschland.
Fahimah Ulfat ist Lehrerin, Autorin
und Kollegiatin am Graduiertenkolleg
Islamische Theologie der Stiftung Mercator. Sie promoviert an der Universität
Erlangen-Nürnberg über „Die subjektivrelative Wertdimension als Schlüssel
zum Gottesbild muslimischer Kinder“.
Zuvor studierte sie in Essen Lehramt
und arbeitete als Grundschullehrerin.
Herausgegeben von
Harry Harun Behr (v. i. S. d. P.)
Emel und Amin Rochdi
Interdisziplinäres Zentrum
für Islamische Religionslehre
an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Regensburger Straße 160
90478 Nürnberg
www.izir.de
Satz & Layout:
Yasmine Behr
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ISSN: 1864-6670
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