Ethische Wertung von Präimplantationsdiagnostik und

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Konrad Hilpert
Ethische Wertung von Präimplantationsdiagnostik und
Pränataldiagnostik.
Ein Überblick über das Spektrum der Positionen
Wenn man den Stand der Diskussion über die ethische Legitimität von PID und PND
sowohl in der öffentlichen Debatte (Politik, Medien, Kirchen, Verbände) als auch im
akademischen Bereich (wissenschaftliche Literatur, Ethikräte, Sachverständigenkommissionen) erhebt, so ergibt das Bild eine stark kontroverse Beurteilung der
Möglichkeiten und Sets vorgeburtlicher genetischer Untersuchungen. Wohl besteht
eine große Übereinstimmung in der Überzeugung, dass menschliches Leben in allen
Stadien seiner Entwicklung grundsätzlich schutzwürdig ist, und auch darin, dass
Embryonen und Feten nicht zu jedem beliebigen Zweck zerstört werden dürfen.
Einigkeit herrscht ferner darüber, dass die Erweiterung der medizinischen
Möglichkeiten, Erkrankungen zu diagnostizieren, um menschliches Leiden zu
vermindern, wünschenswert und moralisch gerechtfertigt ist – vorausgesetzt, dass
das mit dem betreffenden Verfahren jeweils verbundene gesundheitliche Risiko
vernachlässigt werden kann und die Patienten mit der Durchführung des Tests
einverstanden sind. Auch darüber, was zu verhindern ist, besteht weitgehend
Übereinstimmung, nämlich die Züchtung von Menschen und die Diskriminierung von
Behinderten. Doch schon bei der Frage, ob es sich bei PID und PND um genuin
medizinische Maßnahmen handelt, gehen die Einschätzungen angesichts jener nicht
wenigen Fälle, wo für die diagnostizierte Krankheit keine effektiven Therapie- oder
Präventionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, auseinander. Ein ungünstiges
Untersuchungsergebnis lässt in diesen Fällen den Abbruch der Schwangerschaft
bzw. die Nicht-Transferierung des Embryos als einzigen Ausweg erscheinen. Die
Bewertung der vorgeburtlichen Diagnostikverfahren ist zwangsläufig von der strittigen
Frage des moralischen Status von menschlichen Embryonen bzw. Feten in den
verschiedenen Phasen der Entwicklung betroffen. Umstritten sind aber auch die
Ziele, zu denen die Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik eingesetzt werden;
mehr noch als die Absichten, die von Ärzten und Standesorganisationen in der
Öffentlichkeit vertreten werden, sind es allerdings jene Wünsche, von denen
vermutet oder befürchtet wird, dass sie über kurz oder lang diese Verfahren in Dienst
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nehmen könnten. Erst recht besteht ein erheblicher Dissens hinsichtlich der Folgen,
die sich bei der Etablierung der Untersuchungsverfahren sowohl für die
Entscheidungslagen betroffener Paare als auch für die Erwartungen der Gesellschaft
an Eltern und Kinder ergeben könnten.
I. Zwei Ebenen der ethischen Diskussion
In der ethischen Diskussion von PID und PND lassen sich zwei Ebenen der
Argumentation unterscheiden: auf der einen konzentriert man sich auf das
Interaktionsdreieck von Paar, behandelndem Arzt und Embryo bzw. zukünftigem
Kind. Die Vertretbarkeit von PND und PID wird erörtert im Blick auf den Leidensdruck
einzelner Patienten bzw. auf Gruppen von Patienten. Man kann dies die mikro(traditionell: individual-) ethische Ebene nennen. Auf der zweiten Ebene ist vor allem
der soziale und organisatorische Kontext im Blick, dessen Bestandteil ein
diagnostisches Verfahren ist oder wird. Reflektiert werden die Einflüsse und
Folgewirkungen, die die Etablierung des betreffenden Verfahrens für die Gesellschaft
insgesamt oder für Gruppen in ihr bewirken könnte. Man kann dies als makro- bzw.
(sozial-)ethische Reflexionsebene charakterisieren.
In der konkreten Entscheidung des handelnden Individuums verschmelzen
Gesichtspunkte der mikro- und makroethischen Ebene miteinander. Gleichwohl
empfiehlt es sich für die ethische Reflexion, die Argumente dieser beiden Ebenen
voneinander zu trennen, weil das, was von der einen Ebene her als gerechtfertigt
oder gar als wünschenswert erscheint, durchaus im Konflikt zu dem stehen kann,
was sich aus der Perspektive als vertretbar darstellt.
Dieser groben Einteilung folgend möchte ich jetzt jene Argumente vorstellen, die in
den verschiedenen Stellungnahmen und Erörterungen immer wieder angeführt bzw.
diskutiert werden, in diesem Sinne also typisch sind.
II. Erzeugung von Embryonen unter Vorbehalt
Wichtigstes und meist ausschließlich diskutiertes Anwendungsgebiet der PID ist es,
Paaren, die das Risiko tragen, ihren Kindern eine genetische Krankheit zu vererben,
den Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen, das die betreffende genetische
Disposition nicht hat. Ermöglicht wird dies durch den Dreischritt extrakorporale
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Zeugung – Erkennung des Risikos – Selektion. Bezugspunkt der ethischen
Bewertung ist nicht so sehr der mittlere Schritt, also die genetische Untersuchung als
solche, sondern der anschließende Selektionsvorgang und die diesen überhaupt erst
ermöglichende, vorausgehende Zeugung unter Vorbehalt. Problematisch erscheint
näherhin zum einen, dass menschliche Embryonen unter dem Vorbehalt erzeugt
werden, dass sie sich im Hinblick auf den Wunsch, ein gesundes eigenes Kind zu
haben, eignen; und zum anderen, dass nur diejenigen Embryonen zur weiteren
Entwicklung zugelassen werden, die sich als frei von dem betreffenden genetischen
Defekt erweisen. Die für die Diagnostik notwendige, für die Mutter selbst strapaziöse
Befruchtung in vitro wird ausschließlich zu dem Zweck vorgenommen, die bei
unerwünschtem Befund daraus abgeleitete Verwerfung zu ermöglichen.
Insofern die Annahme des erzeugten Embryos vom Wunsch auf ein gesundes Kind
abhängig gemacht wird, erfüllt die PID den Tatbestand einer bedingten Zeugung
(oder: Zeugung auf Probe). Aus der Sicht der betroffenen Eltern und ihres Arztes
kann sich dieser Sachverhalt allerdings auch anders darstellen: Hier ist das ganze
Handlungsset darauf ausgerichtet, einem Paar, das ein Risiko für eine genetisch
bedingte Erkrankung trägt, zur gewünschten Schwangerschaft zu verhelfen und es
gleichzeitig von der Angst zu befreien, dass dieses Kind genetisch krank ist oder sein
könnte. Was letzteres konkret bedeutet, wissen viele der Betroffenen aus eigener
Anschauung oder gar aus eigenem dramatischen Erleben. In dieser Sicht wird also
der
therapeutische
Zweck
–
nämlich
ein
eigenes
gesundes
Kind
unter
risikobelasteten Zeugungsbedingungen zu bekommen – auf den gesamten
Handlungszusammenhang bezogen; die PID und die anschließende Selektion
werden „nur“ als Handlungsschritte innerhalb einer komplexen Handlungskette
aufgefasst, deren Gesamtzweck ganz ein therapeutischer ist.
Im Unterschied zur PID verfolgt die bisherige PND vielmehr das Ziel, Schwangere,
bzw. die Eltern zu informieren, von unbegründeten Befürchtungen zu befreien bzw.
sich bei Vorliegen eines Befunds auf die bevorstehende Situation vorzubereiten,
zunehmend auch: schon vorgeburtlich eine Therapie einzuleiten. Die PND als Mittel
zur Beruhigung der Schwangeren und zur Verbesserung des Erlebens der
Schwangerschaft ist ethisch so gut wie unumstritten. Gleichwohl muss gesehen
werden, dass sie auch mit derselben Option wie PID angewendet, begehrt oder
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sogar von Beginn an eingeplant werden kann. (Der deutsche Gesetzgeber hat diese
Nutzung der PND durch die Abschaffung der embryopathischen Indikation bzw.
durch deren Subsummierung unter die mütterlich-medizinische in Kauf genommen.
Die Ärzte geraten durch die sich herausbildende Kind-als-Schaden-Rechtsprechung
zunehmend unter einen Druck, PND auch mit dieser selektiven Zielsetzung
anzuraten und durchzuführen, um gegen eventuelle Haftungsklagen gesichert zu
sein). Zumindest in diesen Fällen kann die PID also durchaus als vorverlagerte PND
betrachtet werden.
III. PND und PID
In der ethischen Diskussion spielt die nähere Bestimmung des Verhältnisses von
PND und PID eine zentrale Rolle. Und zwar sowohl unter dem Aspekt, welches
Verfahren bei gleicher Zielsetzung das weniger fragwürdige Mittel darstellt, als auch
unter dem Aspekt der Kohärenz. Wird die PID als zeitlich vorverlagerte PND
aufgefasst, so kommt ersterer ein Vorrang zu, insofern die genetische Untersuchung
im Fall der PID schon vor Eintritt einer eventuellen Schwangerschaft vorgenommen
wird und dadurch der Schwangeren ein eventueller Schwangerschaftsabbruch nach
PND mit seinen physischen und psychischen Belastungen erspart bleibt. PID bietet
also die Chance, embryopathisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche nach PND
zu vermeiden, ist also insofern das weniger fragwürdige Mittel zur Erreichung
desselben Zieles. Das Kohärenz-Argument sieht einen Widerspruch zwischen der
faktisch geübten und rechtlich normierten Wertschätzung des Embryos bzw. des
Fetus in vivo und derjenigen des Embryos in vitro. (Auf der Ebene des Strafrechts
spiegelt sich dieser Widerspruch in der Nichtvereinbarkeit der Zulässigkeit von
nidationshemmenden Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch auf der
einen
Seite
und
der
Nicht-Zulassung
von
PID
im
Gefolge
des
Embryonenschutzgesetzes auf der anderen.)
Trotz dieser Nähe stößt die Behauptung, PID sei nur eine zeitlich vorverlegte PND
und ihre ethische Problematik sei grundsätzlich dieselbe, in der ethischen Diskussion
auf Skepsis. Relevante Unterschiede werden vor allen Dingen hinsichtlich der
jeweiligen Entscheidungssituation der Frau geltend gemacht. Diese unterscheidet
sich bei PND und PID in drei Momenten:
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PND
PID
Weiterführung dieser existierenden
Schwangerschaft: ja oder nein
vs.
Auswahl unter mehreren erzeugten
Embryonen
nach
genetischen
Merkmalen vor der Schwangerschaft
Untersuchung des Embryos innerhalb
des Körpers der Frau; zum werdenden Kind hat sich bereits eine
physische und emotionale Beziehung
gebildet (spürbar und sichtbar)
vs.
Prüfung der erzeugten Embryonen
außerhalb des Körpers der Frau;
indirekte und mittelbare (Kinderwunsch, Wissen, medizinische Umgebung) Beziehung; größere Offenheit
für Einflüsse von außen
akut bestehender und persönlich
erlebter Konflikt der Schwangeren
vs.
antizipierter und vorweg entschiedener
Konflikt
eines
Paars
mit
genetischer Belastung
Diese Unterschiede lassen vermuten, ein Embryo sei bei PND wegen der Beziehung
zur Mutter im allgemeinen besser geschützt als bei der PID. Es kann allerdings nicht
in Abrede gestellt werden, dass Paare, besonders solche, die früher eine missglückte
Schwangerschaft erleben mussten oder die bereits ein behindertes Kind haben, die
noch in der Zukunft liegende Konfliktsituation genau kennen und in ihrer ganzen
Schwere und Ausweglosigkeit auch vorwegnehmend erleiden können.
IV. Das Problem der Grenzziehung
Von Seiten der Ärzte und ärztlichen Standesorganisationen wird eine Indikation zur
PID „derzeit bei anamnestisch stark belasteten Paaren gesehen, für deren
Nachkommen ein hohes Risiko für eine bekannte und schwerwiegende, genetisch
bedingte
Erkrankung
besteht“
(Hepp
2000;
BÄK-Entwurf).
Dieser
starken
Beschränkung liegt das Bewusstsein zugrunde, dass die Aussonderung von
Embryonen nicht unproblematisch ist und gleichsam selbstverständlich durchgeführt
werden darf, sondern nur als Ausnahme in bedrängenden Einzelfällen und als
Ergebnis einer sorgfältigen Beratung hingenommen werden kann. In der ethischen
Diskussion wird der daraus abgeleiteten Forderung nach Zulassung der PID nicht
generell widersprochen. Ein Problem wird allerdings in der Tendenz zur Ausweitung
gesehen, die eintreten könnte, wenn sich die PID erst einmal als ein probates und
routiniertes Verfahren etabliert hat. Eine solche Ausweitung erscheint nach
verschiedenen Seiten vorstellbar oder sogar wahrscheinlich, nämlich:
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1. bei den genetischen Belastungen, die zu einer PID berechtigen (= Wo verläuft
die Grenze zwischen schweren und leichten Erbkrankheiten?),
2. bei der Höhe des Risikos (= Was ist ein erhebliches, was ein geringes
Risiko?) und
3. bei der Ausweitung auf neue Anwendungsgebiete wie der schon absehbaren
seriellen Untersuchung sämtlicher in-vitro fertilisierten Embryonen zur
Verbesserung der Erfolgsrate bei IVF oder der Kontrolle von eines Tages
möglichen Eingriffen in die Keimbahnen (= Wann liegt eine therapeutische
Indikation vor, wann geht diese in ein Indikationenspektrum über, in dem auch
technische, rein wissenschaftliche oder unter Umständen auch ästhetische
Interessen zur Inanspruchnahme berechtigen?).
Für die Wahrscheinlichkeit der Ausweitungsdynamik sprechen die Erfahrungen, die
sowohl mit der PND als auch mit der IVF gewonnen wurden, die ursprünglich beide
nur mit einer eng gefassten therapeutischen Option verbunden waren.
Für das Problem der Grenzziehung zwischen vertretbaren und fragwürdigen
Anwendungen werden in der Literatur drei Lösungen diskutiert. Die erste und
eindeutigste bestünde darin, in einem Katalog von Indikationen festzulegen, welche
Erbkrankheiten als schwer und welche Risiken als erheblich zu gelten haben. Ein
solcher Katalog könnte einen Überblick über die je augenblickliche Praxis bieten,
müsste allerdings laufend aufgrund des neuesten Erkenntnisstandes aktualisiert
werden. Außerdem haben Kataloge den Nachteil, von Trägern der darauf
verzeichneten Merkmale als diskriminierend empfunden zu werden. Als Alternative
zur Katalogisierung der Indikationen wird deshalb zweitens diskutiert, den
Belastungsgrad einer zu erwartenden Krankheit der subjektiven Einschätzung durch
die potentiellen Eltern und der Beratung durch den Arzt anheim zu stellen. Der
Nachteil dieser zweiten Lösung wird darin gesehen, dass über sie auch
nichtgesundheitliche Gesichtspunkte als Auswahlkriterien wie etwa das Geschlecht
oder die Augenfarbe zur Geltung gebracht werden könnten. Um genau dieses
auszuschließen könnte eine dritte, mittlere Form der Grenzziehung darin bestehen,
statt
eines
Anwendungen
Katalogs
von
bestimmter
PID
und
Indikationen
einen
PND
erstellen,
zu
Negativ-Katalog
in
dem
von
jene
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Anwendungsmöglichkeiten aufgelistet sind, die verboten oder unerwünscht sind (in
diese Richtung deutet der Vorschlag der BÄK).
V. Erweiterte Autonomie und sanfter Zwang
Für Paare und vor allem für Frauen bedeuten die Verfahren der genetischen
Frühdiagnostik zweifellos einen Zugewinn an Handlungsalternativen: Bei der PND
kann die Mutter in den meisten Fällen von der Angst befreit werden, ein behindertes
Kind zur Welt zu bringen; in den wenigen Fällen aber, in denen ein Befund ermittelt
wird, hat sie die Option, die Schwangerschaft abzubrechen, und die, sich schon
frühzeitig auf ein Leben mit dem gehandicapten Kind vorzubereiten. Bei der PID wird
das erblich belastete Paar vom Dilemma befreit, entweder ganz auf Kinder zu
verzichten, oder aber das Risiko einzugehen, ein Kind mit dem gleichen Erbschaden
zu zeugen und es später eventuell abzutreiben; statt dessen erhält das Paar eine
Chance, ein gesundes Kind zu bekommen.
Die Eröffnung solcher Handlungsalternativen verändert die Wahrnehmung von
Elternschaft auch über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus. Sie stellt
nämlich den Eltern bzw. allen Paaren, die Eltern werden wollen, Lösungen für
Situationen in Aussicht, die bisher als schicksalhaft gegolten haben. Der „Preis“, der
dafür entrichtet werden muss, besteht allerdings darin, dass Eltern sehr viel stärker
für die gesundheitliche Verfassung ihres Nachwuchses und die Belastungen ihrer
eigenen Lebenspläne für verantwortlich gehalten werden. Vor allem von Seiten der
Vertreterinnen feministischer Ethik wird kritisch darauf verwiesen, dass die
veränderte Wahrnehmung und Zurechnung Paare und Eltern dazu bewege, alle
Möglichkeiten zu ergreifen, die ihnen in Aussicht stellen, die Einschränkungen, die
mit dem Kinderhaben verbunden sind, nicht größer werden zu lassen als unbedingt
nötig. Die Tatsache, dass das abweichende Aussehen und Verhalten behinderter
Kinder und der mit solchen Kindern verbundene Mehraufwand in letzter Konsequenz
vom sozialen Umfeld und weiten Teilen der Gesellschaft den Eltern zugelastet
werde,
wirke
als
sanfter
Druck
oder
als
Sog
für
die
Nachfrage
nach
frühdiagnostischen Untersuchungen, sofern diese eine Perspektive versprechen,
entweder wirkungsvoll für die Gesundheit des Nachwuchses zu sorgen oder aber im
schlimmen Falle von der Bedrohung der eigenen Lebenspläne entlastet zu werden.
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VI. Auf dem Weg zur Eugenik?
Das von vornherein feststehende Ziel bei der Durchführung einer PID, die als
genetisch krank diagnostizierten Embryonen zum frühest möglichen Zeitpunkt
auszusondern, wird in der Diskussion häufig mit der Befürchtung verknüpft, PID
könne der Einstieg zur Auswahl von Kindern nach bestimmten Merkmalen werden.
Diese Befürchtung verbindet sich mit der unguten Erinnerung an die Visionen und
Postulate des Sozialdarwinismus des 19. Jahrhunderts und an die Bemühungen des
Nationalsozialismus, diese Ideen für die Programmatik und Praxis staatlicher
Gesundheits-, Rassen- und Bevölkerungspolitik zu nutzen. Im Unterschied zu diesen
Programmen wird allerdings heute von niemandem gefordert oder auch bloß
gewünscht, dem Staat oder irgendwelchen staatlichen Institutionen eine Kompetenz
zur Lebensbegutachtung zuzubilligen. Insofern könnte im Blick auf die Zulassung von
PID allenfalls mit Jürgen Habermas von liberaler Eugenik die Rede sein. Freilich
kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die PID mit anschließender Verwerfung
ein Auswählen des besten aus einer Mehrzahl von Embryonen darstellt, also den
Tatbestand einer Selektion erfüllt (vgl. Birnbacher 2000, 416 f.).
Deren medizinisch indizierte Anwendung in wenigen, hochdramatischen Einzelfällen
bahnt allerdings nicht automatisch den Weg zur nicht-medizisch indizierten Eugenik
für alle oder auch bloß für viele. Dem stehen nicht bloß die physische und psychische
Belastung sowie die Risiken der IVF als unumgänglicher Voraussetzung für jede PID
entgegen, sondern auch die Tatsache, dass die allermeisten Krankheiten ebenso wie
die sozial hoch bewerteten Eigenschaften von Menschen äußerst komplex sind und
keineswegs nur genetisch bestimmte Ursachen haben.
Gleichwohl verweist die mit „Eugenik“ benannte Befürchtung auf ein reales
Problemfeld,
nämlich
auf
den
Zusammenhang
zwischen
gesellschaftlichen
Denkgewohnheiten, Erwartungen, Perfektionsidealen und Vorurteilen auf der einen
Seite und dem medizinischen Angebot, der Regelung des Zugangs und der
Übernahme der Kosten auf der anderen Seite. Die Gefahr eugenischer Tendenzen
geht aber weniger von der strikt medizinisch indizierten PID und PND aus, sondern
von
den
inkulturierten
Vorurteilen
und
Ausgrenzungsroutinen
(gegenüber
Andersartigen, Fremden, Kranken und Behinderten), die sich langfristig der
genannten diagnostischen Verfahren bedienen könnten. Dem sollte der Gesetzgeber
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entschlossen und problembewusst entgegentreten und bereits scheinbar harmlose
Tendenzen nach dieser Richtung wie etwa der Geschlechtswahl bei IVF
kompromisslos eine Absage erteilen.
VII. Diskriminierung Behinderter im Gefolge?
Eine starke Rolle in der Diskussion spielen die (vermuteten) Auswirkungen, die die
Einführung und Etablierung von PID längerfristig für die Behinderten und ihre
gesellschaftliche Akzeptanz haben könnten. Befürchtet wird zunächst – das kommt
vor allem in den Stellungnahmen der Behindertenverbände massiv zum Ausdruck -,
dass die Behinderten selbst den Eindruck bekommen könnten, unerwünscht zu sein,
wenn entwicklungsfähige menschliche Lebewesen, die Träger der gleichen Defekte
sind wie sie selbst, aufgrund einer PID nicht mehr zur weiteren Entwicklung
zugelassen werden. Dies könnte vor allem bei einer Katalogisierung bestimmter
genetisch bedingter Krankheiten für eine Indikation zutreffen. Die Befürchtungen
gehen aber auch in die Richtung, dass sich das gesellschaftliche Klima zum Nachteil
der Behinderten verändern könnte, weil Behinderung als solche in der Bevölkerung
als etwas Vermeidbares aufgefasst werden könnte.
Diese Bedenken werden auch in der ethischen Diskussion aufgenommen. Auch dort,
wo ihnen argumentativ widersprochen wird, wird in ihrer Artikulierung ein Ausdruck
der prekären Lage gesehen, in der sich die Behinderten auch schon jetzt im
alltäglichen Zusammenleben mit anderen erfahren. Gleichwohl entbehrt das den
Befürwortern einer Zulassung von PID häufig unterstellte Ziel, eine Gesellschaft ohne
Behinderte
zu
wollen,
jedes
Realismus,
da
die
überwiegende
Zahl
der
Behinderungen durch nicht-genetische Einflüsse vor und nach der Geburt
(Ernährung, Medikamente, Unfälle, Infektionen) verursacht ist. Nicht einsichtig ist
auch die Vermutung, dass eine Gesellschaft, in der es aufgrund von PID weniger
Behinderte gäbe, automatisch behindertenfeindlicher werden müsste.
Beide Punkte zeigen indessen, wie stark der behindertenfeindliche Effekt, der von
der Zulassung von PID ausgehen könnte, davon abhängt, dass flankierend
Aufklärungsbemühungen stattfinden, die für die Befindlichkeit der Behinderten in
unserer Gesellschaft sensibilisieren.
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VIII. Das Dilemma der Politik
Zwischen der Bewertung präimplantationsdiagnostischer Möglichkeiten im Blick auf
individuelle Schicksale und Entscheidungslagen, wie sie sich für betroffene Paare
und behandelnde Ärzte stellen (mikroethische Ebene), und ihrer Bewertung im Blick
auf
gesellschaftliche
Trends,
in
deren
Kontext
diese
Entscheidungslagen
eingebunden sind (makroethische Ebene), bestehen deutliche Spannungen.
Einerseits gibt es zweifellos Fälle, die für die Betroffenen so konfliktreich und notvoll
sind, dass es zumindest unbillig erscheint, dass ausgerechnet der Staat die
Anwendung eines an und für sich verfügbaren Verfahrens versagen darf, das eine
Wiederholung
der
schlimmen
Erfahrung
bzw.
einen
sicheren
Schwangerschaftsabbruch ersparen würde. Andererseits darf auch nicht die Gefahr
übersehen werden, dass das, was einmal für schwierigste Einzelfälle erdacht wurde,
den Weg öffnen könnte, dass eines Tages auch leichtere Erkrankungen, bloße
Dispositionen für eventuelle Risiken oder auch Aussehen und sogar ein bestimmtes
Geschlecht als für die Eltern nicht zumutbar empfunden werden und als
ausreichende oder wenigstens zusätzliche Gründe für die Inanspruchnahme der
Embryonendiagnostik begehrt werden könnten. Auch dürfen die Befürchtungen nicht
ignoriert werden, dass der durch PID erfüllbar gemachte Wunsch, bestimmte Risiken
auszuschließen, bei jungen Menschen, vor allem bei Frauen, generell in eine
Ängstlichkeit beim Kinderbekommen („Pathologisierung der Reproduktionsfähigkeit“)
und gesellschaftsweit in eine Erwartungshaltung umschlagen könnte, die gerade jene
negativ zu spüren bekämen, die selbst mit einem Handicap leben müssen oder sich
als Eltern für die Annahme eines behinderten Kindes entschieden haben.
Für Politik und Gesetzgebung ergibt sich daraus das Problem, ob sie diese
auseinanderstrebenden Perspektiven möglicherweise vereinbar machen kann, also
auf der Ebene der Gesetzgebung, ob es eine Lösung gibt, die den schwierigen
Einzelfällen gerecht werden könnte, ohne das Schutzniveau für Embryonen
bedenklich abzusenken. Insbesondere stellt sich ihnen die Aufgabe, wirksam zu
verhindern, dass mit der Zulassung der PID der enge Kreis eindeutig medizinischer
Indikationen überschritten und die Verwendung menschlicher Embryonen zu trivialen
Zwecken ermöglicht wird.
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Um dieses Ziel zu erreichen, bieten sich der Politik zwei Alternativen an, nämlich das
strikte Verbot der Etablierung des Verfahrens der PID oder aber eine eingeschränkte
Zulassung für bestimmte, identifizierbare Fälle.
Ein striktes Verbot ist zweifellos deutlicher und wird auch im öffentlichen Bewusstsein
als das wahrgenommen, was es ist, nämlich als ein Verbot. Zugrunde liegt ihm die
Überlegung, dass für die schicksalsschweren Anliegen nur ganz weniger Betroffener
nicht das feste gesetzliche Prinzip für alle durchbrochen werden soll. Überdies
könnte einem strikten Verbot in Deutschland eine symbolische Bedeutung im Hinblick
auf die staatlich verordnete Dehumanisierung im 3. Reich zukommen. Freilich kann
ein entsprechendes striktes Verbot durch ein Ausweichen in Nachbarländer
umgangen (Tourismus) und auch durch medial prominent gemachte Extremfälle als
im konkreten Fall unangemessen wirksam in Frage gestellt werden. Solches
wiederum muss sich eine eingeschränkte Erlaubnis nicht vorwerfen lassen. Ihr
Nachteil besteht allerdings darin, dass die Grenze zwischen erlaubt und nicht erlaubt
im Lauf schon weniger Jahre verschoben werden kann, entweder de facto oder
durch Analogieargumentation („Wenn diese Indikationen, warum dann nicht auch
jene?“). Das zeigen die Erfahrungen mit dem Abtreibungsrecht ebenso wie die mit
der IVF.
Die Aufgabe, die sich für die Rechts- und Gesellschaftspolitik in diesem ganzen
Zusammenhang der vorgeburtlichen Diagnostik und der Reproduktionsmedizin stellt,
darf m. E. nicht auf die Frage enggeführt werden, ob PID und bestimmte
Anwendungen von PND verboten, zugelassen oder gar gefördert werden sollen.
Einbezogen werden müssen in den gesamten Regelungskomplex vielmehr auch:
1. Sicherungen, die die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme von diagnostischen
Angeboten
und
der
Kenntnisnahme
bzw.
Nichtkenntnisnahme
ihrer
Ergebnisse gewährleisten;
2. die Unterstützung der Paare und Mütter durch eine qualifizierte Beratung
(nicht nur vor und während der Behandlung, sondern auch und vor allem nach
Erfolg bzw. Misserfolg);
3. Anstrengungen,
dass
mögliche
Alternativen
(Verzicht
auf
eine
Schwangerschaft, Adoption, heterologe Insemination) von den Betroffenen
überhaupt ernsthaft als realisierbar und zumutbar erwogen werden;
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4. Garantien, dass Eltern, die das Risiko eingehen, ein krankes oder behindertes
Kind zu haben, die damit verbundenen materiellen, psychosozialen und
physischen Belastungen tragen können und in ihrer Entscheidung fraglos
respektiert werden.
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