Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie Mausmodelle für erbliche Netzhautdegenerationen Mathias W. Seeliger AG Retinale Funktionsdiagnostik, UniversitätsAugenklinik Tübingen, Abt. für Pathophysiologie des Sehens und NeuroOphthalmologie Zusammenfassung Erbliche Netzhauterkrankungen sind eine klinisch und genetisch heteroge ne Gruppe meist monogener Erkran kungen. Sie sind bislang unheilbar und gehören zu den häufigsten Erblin dungsursachen im Erwachsenenalter. Zu der Gruppe zählen stationäre und progressive Erkrankungen, anderer seits diffuse und lokalisierte Störun gen, und primäre Netzhautdystrophien oder sekundäre Photorezeptorerkran kungen infolge Pigmentepithel, Ader haut oder systemischmetabolischer Defekte. Durch die z.T. langsamen Verläufe über Jahrzehnte und den feh lenden Einblick in Ultrastruktur und Biochemie ist die Beforschung eines Tiermodells daher eine Grundvoraus setzung für die effektive Aufklärung der pathophysiologischen Grundla gen. In der folgenden Arbeit werden diejenigen natürlichen oder neu gene rierten Mausmodelle kurz vorgestellt, zu denen es ein direkt korrespondie rendes Krankheitsbild beim Menschen gibt. Dabei werden wesentliche Ge meinsamkeiten und Unterschiede so wohl im histologischen Bereich als auch funktionell angesprochen und di skutiert. Schlüsselwörter Mausmodell, erbliche Netzhauterkran kung, Elektroretinographie Mouse models for hereditary retinal degenerations Summary Hereditary retinal degenerations are a clinically and genetically heteroge neous group of usually monogenic disorders. They are amongst the most common cases of adult blind ness, and are currently untreatable. The group includes stationary and progressive forms with diffuse and lo calized manifestations, and primary retinal degenerations as well as se condary dystrophies due to defects in the retinal pigment epithelium, cho roid, or systemic and metabolic di seases. Due to the slow time course of changes, sometimes over de cades, and the lack of insight in ultra structural and biochemical processes, animal models are crucial in the effective assessment of the pathophysiological mechanisms of these disorders. This work focuses on natural and transgenic mouse models that directly correspond to a human disease. Important differences and similarities in terms of morphology and function are briefly discussed. Key words Mouse model, hereditary retinal de generation, electroretinography Einleitung Erbliche Netzhauterkrankungen sind eine klinisch und genetisch heteroge ne Gruppe meist monogener Erkran kungen. Sie sind bislang unheilbar und gehören zu den häufigsten Erblin dungsursachen im Erwachsenenalter. Zu der Gruppe zählen stationäre und progressive Erkrankungen, anderer seits diffuse und lokalisierte Störun gen, und primäre Netzhautdystrophien oder sekundäre Photorezeptorerkran kungen infolge Pigmentepithel, Ader haut oder systemischmetabolischer Defekte. Epidemiologisch und sozialmedizi nisch am bedeutsamsten ist der For menkreis der Retinitis pigmentosa, ei ner progressiven Photorezeptorer krankung mit Untergang zunächst der Stäbchen und später der Zapfen. Die korrespondierenden Symptome sind Nachtblindheit und ein fortschreiten der Verlust des peripheren Gesichts feldes bis hin zur Erblindung. Eine weitere Hauptgruppe sind die erb lichen Makula und Zapfendystro phien, bei denen Störungen von Seh schärfe, Farbsinn und zentralem Ge sichtsfeld Leitsymptome sind. Inzwischen sind laut RetNet (www.sph. uth.tmc.edu/retnet) ca. 132 Gene be kannt (davon 84 kloniert), die in ur sächlichem Zusammenhang mit die sen Erkrankungen stehen, bei weiter steigender Tendenz. Funktionelle und histologische Daten erblicher Netzhautdegenerationen beim Menschen liegen meist nur von fortgeschrittenen Stadien vor, und 138 medgen 15 (2003) Humane Erkrankung OMIM Systemerkrankungen mit Netzhautbeteiligung RetinolmangelSyndrom Okulärer Albinismus (NettleshipFallsTyp) Chorioderemie Art Bezeichnung der Maus 180250 SerumRetinolbindendes Protein (sRBP) 300500 OA1Protein KO XKO Rbp Oa1 300390 603868 258870 204200 600143 Rab Escort Protein 1 (REP1) Rasassociated protein 27 (Rab 27) OrnithinAminotransferase (OAT) CLN3 CLN8 CHM TG KO KO N Muskeldystrophie Typ Duchenne (DMD) WaardenburgSyndrom IIA Papillorenal syndrome NorrieKrankheit 276903 601067 602083 606943 310200 193510 120330 310600 B: Myosin VIIa D: Cadherin23 (Otocadherin) F: Protocadherin15 G: SANS Gen Dystrophin Microphthalmiaassociated transcription factor (MITF) PAX2dependent Norrie disease protein (NDP) N N N N N N N KO Rep1 mehrere Linien Oat Cln3 mnd (motor neuron mental degeneration) shaker waltzer mice (v) Ames waltzer (av) Jackson shaker mouse mdx mivit (vitiligo) Krd Ndp Aderhaut, SubRPEMatrix Sorsby’sche Fundusdystrophie 136900 Tissue inhibitor of metalloproteinase 3 (TIMP3) KI Timp3KI Retinales Pigmentepithel (RPE) Fundus albipunctatus Fundus albipunctatus bis RP Leber’sche kongenitale Amaurose (LCA) Retinitis pigmentosa (RP) 136880 180090 204100 600342 RetinolDehydrogenase (RDH5) Retinladehydebinding protein 1 (RLBP1,CRALBP) LCA2: RPE65 Retinal GProtein Coupled Receptor (RGR) KO KO KO KO 11cisRoDH Rlbp1 Rpe65 Rgr 604210 CRB1: Drosophila crumbsHomolog 600179 LCA1, CORD6: Guanylatzyklase (GCE, retGC1) 602225 LCA3, adCRD2, RP: Conerod homeo boxcontaining gene (CRX) 605446 LCA6: Retinitis pigmentosa GTPase regulatorinteracting protein (RPGRIP1) 604705 mer tyrosine kinase protooncogene (MERTK) KO KO KO Crb1 GCE Crx KO Rpgrip1 KO Mer 180380 Rhodopsin (StäbchenOpsin) 180072 Stäbchen cGMPPDE (Phosphodiesterase, βUntereinheit) 180073 Stäbchen cGMPPDE (Phosphodiesterase, γUntereinheit) 180380 RhodopsinMutanten (P23H, V20G,P27L, P347S, ...) 179605 PeripherinMutanten (P216L, S231A, L185P, rds307) 180100 RP1: oxygenregulated photoreceptor protein ORP1 162080 Neural retinal leucine zipper (NRL) 300389 Retinitis pigmentosa GTPase regulator (RPGR) KO N Rho rd, rd1 N Pdeg TG TG KO KO KO mehrere Linien mehrere Linien Rp1 nrl rpgr 139330 Transduzin (Stäbchen), Guanine nucleotidebinding protein (GNAT1) 181031 SAntigen, Arrestin (Stäbchen) 180381 RhodopsinKinase (RK, RhoK, Grk1) 179605 Peripherin 248200 ATPbinding cassette transporter (ABCR), RimProtein (RMP) 216900 CNGKanal der Zapfen (αUntereinheit) KO Trα KO KO N KO Sag Rhok rds, rd2 Abcr KO Cnga3 310500 Nyctalopin (Produkt des NYXGenes) XN nob (no bwave) 300071 Ltype voltage dependent calcium channel (CACNA1F) 312700 Retinoschisin KO CNSβ2 XKO Rs1h Atrophia Gyrata Neuronale ZeroidLipofuszinosen Progressive epilepsy with retardation (EPMR) UsherSyndrom Typ I Photorezeptoren Leber’sche kongenitale Amaurose (LCA) Retinitis pigmentosa (RP), autosomalrezessiv Retinitis pigmentosa (RP), autosomaldominant Retinitis pigmentosa (RP), Xchromosomal rezessiv Kongenitale stationäre Nachtblindheit, Nougaret Typ (CSNB3) Morbus Oguchi Typ 1 Morbus Oguchi Typ 2 Variabel (RP bis Morbus Stargardt) Morbus Stargardt (STGD1), Fundus Flavimaculatus (FFM) Achromatopsie (ACHM2) Innere Netzhaut Komplette kongenitale stationäre Nachtblindheit (CSNB1) Inkomplette kongenitale stationäre Nachtblindheit (CSNB2) Xchromosomale juvenile Retinoschisis (XLRS) durch den langsamen Degenerations prozess ist die Erfassung von Verläu fen, auch im Hinblick auf therapeuti sche Interventionsstrategien, in über schaubaren Zeiträumen nicht oder nur unzuverlässig möglich. Die Befor schung eines Tiermodells ist daher eine Grundvoraussetzung für die effek tive Aufklärung der pathophysiologi schen Grundlagen und der Bewertung Betroffenes Protein von Therapieverfahren für menschli che erbliche Netzhautdegenerationen. Während anfänglich die Untersuchung natürlich vorkommender Mutanten im Vordergrund stand, hat sowohl die breite Etablierung der Techniken zur Generierung von Mausmodellen mit zum Menschen homologen geneti schen Defekten als auch die begin Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie Tabelle 1 Übersicht über erbliche Netzdegenerationen, bei denen Krankheitsbild und Gen sowohl beim Menschen als auch bei der Maus bekannt sind nende Aufklärung der molekulargene tischen Grundlagen erblicher Netz hauterkrankungen in letzter Zeit zu ei ner Vielzahl von neuen Mausmutanten geführt. Neben den speziell für Netzhautunter suchungen generierten Modellen ist ein großer Teil primär zur Analyse an derer Organe oder Gewebe erzeugt medgen 15 (2003) 139 Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie Legende CHM = Chimäre KI = Knockin KO = Knockout N = Natürliches Modell TG = Transgene Maus X = Xchromosomalrezessiver Erbgang worden. Da der Phänotyp am Auge häufig nicht im Zentrum des Interes ses der Untersucher steht, ist die Be schreibung und Untersuchung der Re tina – wenn überhaupt vorhanden – oft unvollständig oder nicht dem Stand der Technik entsprechend durchge führt worden, so dass dieses Potenti al oft ungenutzt bleibt. Ursprünglich lag der Schwerpunkt der Verlaufsbeobachtung von Degenera tionsmodellen im histologischen Be reich; z.B. wurden die Reihen der ver bliebenen Kerne von Photorezeptoren ausgezählt. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Morphologie al leine nichts über die Funktion aussagt; daher haben elektrophysiologische Untersuchungsmethoden zur objekti ven Quantifizierung der Sehfunktion deutlich an diagnostischem Wert ge wonnen. Dies trifft vor allem für die Messung der elektrischen Aktivität der Netzhaut, die Elektroretinographie (ERG) zu. In Studien wird das ERG da neben zunehmend als Nachweis einer Funktionsverbesserung nach Therapie eingesetzt. Die für die Beurteilung der Retinafunk tion von Mensch und Maus wesentli che Differenzierung nach Stäbchen und Zapfensystem sowie einige weite re Informationen lassen sich durch Messungen nach Dunkeladaptation (skotopisches ERG), gefolgt von Mes sungen nach definierter Helladaptation (photopisches ERG) sowie der Varia tion der Stimulusintensität mittels Neu traldichtefiltern erreichen. Während für die Durchführung dieser Untersuchun gen beim Menschen Richtlinien der International Society for Clinical Elec trophysiology of Vision (ISCEV; www.iscev.org/standards) existieren, sind solche Bestrebungen bei Maus modellen noch nicht so weit fortge schritten, aber sicherlich genauso sinnvoll und notwendig. Inzwischen ist es praktisch unmöglich geworden, einen Überblick über alle Modelle mit Retinabeteiligung zu be halten. Die folgende Zusammenstel lung beschränkt sich gemäß dem Titel daher auf diejenigen Modelle, bei de nen Krankheitsbild und Gen sowohl beim Menschen als auch bei der Maus bekannt sind. Wegen der vorge 140 medgen 15 (2003) gebenen Beschränkung der Literatur stellen wurden die OMIMKlassifika tionsnummern mitaufgeführt, um das Auffinden weitergehender Informatio nen zu erleichtern. Zusammenstellun gen von Modellen für erbliche Netz hautdegenerationen finden sich auch in Peachey & Balli 2003, Chang et al. 2002, Hafezi et al. 2000 und Chader 2002. Systemerkrankungen mit Netzhautbeteiligung Eine große Gruppe der Systemerkran kungen mit Netzhautbeteiligung be trifft im weitesten Sinne metabolische Prozesse und hier besonders den Vi tamin AStoffwechsel. Neben den wichtigen Funktionen für den Vorder abschnitt des Auges spielt Vitamin A (in biologischfunktionellem Sinne das Retinol und die durch eine Vereste rung mit Fettsäuren entstehenden Re tinylester) vor allem für Integrität und Funktion der Netzhaut eine wesentli che Rolle (Übersicht in: Seeliger, 2001). Im Blut liegt Vitamin A nach Aus schleusung aus der Leber als Kom plex des aus jeweils einem Molekül Retinol und Retinolbindendem Pro tein (RBP) bestehenden holoRBP mit einem Molekül Transthyretin (TTR) vor. Dieser Komplex aus Retinol, RBP und TTR muss dann vom retinalen Pig mentepithel (RPE) aus dem Gefäßsy stem aufgenommen werden. Fehlt das RBP im Serum, kann das Retinol die Leber nach momentanem Wissens stand nicht verlassen. Interessanterweise beschränken sich die Symptome bei Mensch und Maus in diesem Fall fast ausschließlich auf RPE und Netzhaut. Dies zeigt, dass der direkte, von der Leber unabhängi ge Stoffwechselweg (Aufnahme von Retinylestern in die Gewebe bei Ab bau der Chylomikronen) in einem sol chen Fall mit wenigen Ausnahmen die gesamte Gewebsversorgung überneh men kann. Die selektive Beeinträchti gung von RPE und Netzhaut, aber nicht des Vorderabschnitts, spricht da gegen für eine obligat rezeptorvermit telte Aufnahme von holoRBP durch das RPE. Aus noch ungeklärter Ursa che ist bei den Patienten die Zapfen funktion weit besser erhalten als die Stäbchenfunktion. Der okuläre Albinismus vom Nettle shipFallsTyp ist die häufigste Form des Albinismus und zeigt einen X chromosomalrezessiven Erbgang. Ty pisch sind die Makulahypoplasie mit reduzierter Sehschärfe und Nystag mus, die fehlende Kreuzung der Opti kusfasern im Chiasma sowie die redu zierte Pigmentierung des Auges mit Irisdurchleuchtbarkeit. Im Gegensatz zum okulokutanen Albinismus sind Hypopigmentierungen anderer Gewe be wie der Haut eher gering ausge prägt. Typisch ist das Auftreten von großen Pigmentkörnchen (Makrome lanosomen) in den Melanozyten. Im Mausmodell wurden ebenfalls Makro melanonsomen, eine geringgradige Hypopigmentierung sowie ein Kreu zungsdefekt der Optikusfasern nach gewiesen. Die Netzhautfunktion war nicht beeinträchtigt. Die Chorioderemie manifestiert sich beim Menschen praktisch ausschließ lich als eine fortschreitende Degene ration von Photorezeptoren, RPE und Aderhaut; der zugrundeliegende De fekt ist aber prinzipiell nicht auf das Auge beschränkt und könnte in Lym phoblasten und pigmentierten Zellen eine gewisse Rolle spielen. Für diese Erkrankung existiert bisher noch kein zufriedenstellendes Mausmodell. Die zunächst versuchte Generierung einer knockoutMaus scheiterte, weil der Verlust des rep1Gens eine Keim bahntransmission unterbindet. Die Untersuchung der Chimären ergab allerdings bereits einen wichtigen, wenn auch noch unvollkommenen Einblick in dieses Krankheitsbild. Ein weiterer Versuch mit transgenen Mäu sen mit Defekten im Rab27aGen hat keinen wesentlichen Phänotyp erge ben. Der Atrophia Gyrata liegt ein Defekt der Ornithinδaminotransferase (OAT) zugrunde. Durch den Stoffwechsel block steigen die Ornithinspiegel in den Körperflüssigkeiten auf das 10–15fache des Normalwertes an, womit die Diagnose gesichert werden kann. Die Atrophia Gyrata hat ein sehr charakteristisches Fundusbild und manifestiert sich beim Menschen wie Die Zeroidlipofuszinosen gehören wie auch die Sphingolipidosen zu den er blichen Lipidspeicherkrankheiten. Man unterscheidet klassischerweise vier verschiedene Formen, von denen drei, die infantile, spätinfantile und juvenile Form, im Kindes und Jugendlichenal ter auftreten und im Gegensatz zur adulten Form mit einer Augenbeteili gung einhergehen. Die juvenile neuro nale Zeroidlipofuszinose (JNCL), auch als SpielmeyerVogtErkrankung oder Batten’s disease bekannt, ist mit einer Inzidenz von 0,71:100.000 die häufig ste Form. Die Erkrankung beginnt im 4.–10. Le bensjahr meist mit einem Visusabfall infolge einer Makulopathie, gefolgt von einer rasch fortschreitenden De generation von Netzhaut und Pigment epithel und führt binnen ca. 1–3 Jah ren zur Erblindung. Danach stehen neurologische Veränderungen (moto rische und intellektuelle Defizite) im Vordergrund; der Tod tritt meist bis zur 3. Lebensdekade ein. Im Mausmodell für die JNCL, der Cln3knockoutMaus, fanden sich autofluoreszente membrangebundene Ablagerungen in vielen Körperzellen, insbesondere im ZNS. Im Auge fan den sich eine Ausdünnung der Ner venfaserschicht und eine langsame Netzhautdegeneration mit verstärkter Apoptose der Photorezeptoren, die über 20 Monate nicht zu einer tiefgrei fenden Funktions oder Strukturbeein trächtigung führte. Die mndMaus ist ein natürliches Modell für eine ver wandte Erkrankung, der EPMR (CLN8). Hier kommt es allerdings zu einem schnelleren Verlauf der Netzhautdege neration, die bis zum 6. Monat mor phologisch und funktionell (ERG) praktisch abgeschlossen ist und den motorischen Störungen vorangeht. Elektronenmikroskopisch imponieren ebenfalls Einschlusskörperchen (cur vilinear bodies) wie bei der JNCL. Unter UsherSyndrom (US) wird eine Kombination von progressiver Netz hautdegeneration i.S. einer Retinitis pigmentosa (RP) und einer stationä ren, angeborenen Innenohrschwerhö rigkeit (Typ II) bzw. Taubheit (Typ I) zu sammengefasst. Neben den zwei klassischen Subtypen gibt es auch noch eine seltene, v.a. in Finnland vor kommende dritte Gruppe mit progres sivem Hörverlust. Es handelt sich sowohl genetisch als auch vom Phänotyp her um eine heterogene Gruppe von Erkrankungen mit autosomalrezessivem Erbgang; für den Typ I sind sieben Loci bekannt (USH1AG). Eine Reihe der verant wortlichen Gene ist ebenfalls bekannt, darunter die für Myosin VIIa (IB), Har monin (IC), Cadherin23 (ID), Protocad herin15 (IF) und das SANSGen für Typ IG. Die dem UsherSyndrom zugrundelie genden pathophysiologischen Prozes se sind noch nicht bekannt. Die Art der betroffenen Gene und die Lokali sation der entsprechenden Proteine haben zu der Hypothese geführt, dass es sich beim Usher Syndrom Typ I pri mär um einen strukturellen Defekt des Zytoskelettes aufgrund einer Störung des Netzwerkes aus Myosin VIIa, Har monin, Cadherin23 und SANS handeln könnte. Auffällig ist, dass bei allen Mausmo dellen eindeutig die Schwerhörigkeit/Taubheit im Vorder grund steht. Die bisherigen funktionel len und morphologischen Untersu chungen haben keinen eindeutigen Hinweis auf eine Netzhautbeteiligung erbracht. Diese Diskrepanz könnte wichtige Hinweise auf den Mecha nismus der Augenschädigung beim Menschen erbringen. Daneben unter stützt diese Tatsache die Vermutung, dass eine gemeinsame Struktur in den verschiedenen Usher ISubtypen ge schädigt wird, die bei der Maus anzu nehmenderweise keine Rolle in der Netzhaut spielt. Der progressiven Muskeldystrophie vom Typ Duchenne liegen Mutationen im DystrophinGen zugrunde. Dieses Gen ist komplex und kodiert multiple gewebespezifische Isoformen, die sich strukturell durch ihre N und CTermi ni unterscheiden. Von dem zugehöri gen natürlichen Mausmodell, der mdxMaus, existieren verschiedene allelische Varianten, die aufgrund der Lage der Mutation im Gen unter schiedlich große Genprodukte produ zieren. Es ist damit gelungen, ver schiedene Isoformen mit dem Grad der funktionellen Defekte im ERG, die von keiner über geringgradige Verän derungen und Latenzverlängerungen bis zur Amplitudenreduktion reichen, zu korrelieren. Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie die Chorioderemie praktisch aus schließlich als eine fortschreitende Degeneration von Photorezeptoren, RPE und Aderhaut. Durch argininarme Diät lässt sich der Ornithinspiegel im Verlauf weitgehend senken und der Fortschritt der Erkrankung damit her auszögern. Das entsprechende Maus modell hat es erlaubt, diese klinischen Ergebnisse experimentell nachzuvoll ziehen. Im Verlauf von 12 Monaten konnte bei Einhaltung der Diät die Funktion (gemessen mittels ERG) er halten werden, während es bei den normal ernährten Tieren zu einem Ab fall auf etwa ein Viertel des Ausgangs wertes und einem entsprechenden morphologischen Verfall kam. Die VitiligoMaus (Mitfmivit) ist ein natür liches Modell für das Waardenburg Syndrom IIa, das auf einen Verlust des microphthalmiaassociated trans cription factor (MITF) zurückgeht. Die humane Erkrankung ist u.a. durch ei nen partiellen Albinismus (Leukoder mie), zunehmende prämature Weißfär bung der Haare, Innenohrschwerhörig keit und Veränderungen der Iris ge kennzeichnet, bedingt durch die Rolle von MITF, zuständig für Entwicklung und Funktion von Melanozyten, die aus der Neuralleiste hervorgehen. Die Mausmutanten haben eine hellere Fell farbe als normal und sind weiß ge punktet; die Zahl der weißen Haare nimmt mit dem Alter zu. Der retinale Phänotyp besteht in einer fortschrei tenden Netzhautdegeneration, bis nach 8 Monaten noch etwa 2 bis 3 Reihen von Photorezeptorkernen übrigbleiben. Daneben kommt es zu einer großflächigen Abhebung der Netzhaut bis zum Aspekt einer Stern figur und dem Einwandern von Makro phagen in den subretinalen Raum. Die Amplituden im ERG sind von vornher ein kleiner als normal, die Antworten sind verlängert, und die Sensitivität ist reduziert. Mutationen im PAX2Gen führen zum Papillorenalen Syndrom. PAX2 wird medgen 15 (2003) 141 Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie in den primitiven Zellen von Niere und Ureter, Auge, Ohr und sonstigem ZNS exprimiert. Die Folge eines Ausfalls sind u.a. Optikuskolobome, Nierenhy poplasie, Proteinurie und vesicoure thraler Reflux. Beim zugehörigen Mausmodell, der KrdMaus, treten er ste Veränderungen wie zu erwarten bereits im Embryonalstadium auf. Die abnormale Wanderung der PAX2posi tiven Zellen des embryonalen Augen bechers und des Augenbecherstiels sowie die fehlgeleiteten Axone der Ganglienzellen führen zu den bei den adulten Tieren beobachteten Verände rungen in allen Netzhautschichten. Die NorrieKrankheit (ND) ist eine seltene, Xchromosomal rezessiv ver erbte schwere Netzhautdegeneration, die bereits kurz nach der Geburt eine Leukokorie aufgrund von Netzhaut ablösungen und vaskularisierten retro lentalen Membranen aufweist, die zur Erblindung sowie einer anschließen den Phtisis bulbi führen. Bei der klas sischen Form kommen später eine mentale Retardierung und ein progre dienter Hörverlust hinzu; einige ande re Mutationen im NDPGen führen zu weniger dramatischen Verläufen wie exsudativer Vitreoretinopathie oder Morbus Coats ohne extraokuläre Ma nifestationen. Obwohl die genaue Funktion noch unbekannt ist, wird auf grund der strukturellen Nähe des be troffenen Proteins zum transforming growth factor β (TGFβ) eine Rolle während der retinalen Entwicklung und Gewebsdifferenzierung angenom men. Entsprechend der Expression von Ndp neben Ohr und Gehirn v.a. in der inneren Retina finden sich in der knockoutMaus Gefäßabnormalitäten und retrolentale Strukturen, regionale Störungen der retinalen Schichtung und ein Verlust von Ganglienzellen. Im Ohr bestehen ebenso Gefäßverände rungen und eine Innenohrschwerhö rigkeit. Die retinale Funktionsdiagno stik weist auf Schädigungen primär der inneren Netzhaut hin (sog. „nega tives“ ERG). Aderhaut, SubRPEMatrix Beeinträchtigungen der Funktion be stimmter Proteine in der extrazellulären Matrix zwischen choroidalem Gefäßsy stem und retinalem Pigmentepithel füh ren zu der altersabhängigen Makulade 142 medgen 15 (2003) generation (AMD) ähnlichen Krank heitsbildern. Als Modell für die feuchte Form der AMD gilt die Sorsbysche Fundusdystrophie (SFD), eine selte ne, spät beginnende retinale Degene ration, die durch Mutationen im Gen für den tissue inhibitor of metalloprot einases3 (TIMP3) hervorgerufen wird. Typischerweise findet man Ablagerun gen von lipofuszinähnlichem Material und eine Verdickung der Bruch’schen Membran. Die verdickte Bruch’sche Membran soll einen herabgesetzten Transport (auch von Retinol und Karo tinoiden) zur Retina hin bewirken. Im Verlauf kommt es zu subretinalen Neo vaskularisationen und einer von innen nach außen zunehmenden Atrophie des RPEs und später der Aderhaut. Bei den knockinMäusen wurde eine Ser156CysMutation durch homologe Rekombination in das orthologe muri ne Timp3Gen eingebracht. Diese Tie re zeigen Anzeichen einer beginnen den altersabhängigen Veränderung der BruchMembran und des RPE, ohne dass die Funktion in der Lebensspan ne der Mäuse beeinträchtigt wäre. Retinales Pigmentepithel (RPE) Der Funktionsverlust von Proteinen im RPE kann sehr unterschiedliche Aus wirkungen haben. Mutationen im RDH5Gen mit Ausfall der 11cisRe tinolDehydrogenase sind als Ursache des Fundus Albipunctatus (FA) iden tifiziert worden. Bei dieser nichtpro gredienten Erkrankung, der die typi schen weißgelblichen subretinalen Punkte ihren Namen gegeben haben, ist die Dunkeladaptation extrem ver langsamt. Während Normalpersonen die StäbchenEndschwelle nach etwa 2030 Minuten in Dunkelheit errei chen, benötigen die Patienten 2.53 Stunden; analoges gilt für die Antwor ten im Elektroretinogramm (ERG). Ob wohl also die physiologischen Schwel len erreicht werden, führt die Verzöge rung doch praktisch zu einer Nacht blindheit. Ein ähnliches Phänomen konnte bei 11cisRoDHknockout Mäusen mittels ERGMessungen im Verlauf, allerdings im Gegensatz zum Menschen erst nach starker Lichtex position (Bleichung), nachgewiesen werden. Mutationen in RLBP1, dem Gen für CRALB (cellular retinaldehydebinding protein), führen bei milder Ausprägung ebenso zu FA, bei stärkerer Ausprä gung jedoch zu einem Retinitis Pig mentosa (RP)ähnlichen Krankheits bild. Rlbp1/Mäuse zeigten – ähnlich wie FAPatienten – eine biochemisch mittels Rhodopsinregeneration und funktionell mittels ERG nachgewiese ne, um den Faktor 10–15 verzögerte Dunkeladaptation der Stäbchen. Die Erholung der Zapfensignale im ERG war dagegen nur um den Faktor 2 verlängert, obwohl eigentlich Stäb chen und Zapfen gleichermaßen auf einen funktionierenden Regenera tionszyklus im RPE angewiesen sein sollten. Eine Netzhautdegeneration wurde bei den Mäusen über 12 Mo nate nicht festgestellt. Ein Defekt im Gen für RPE65 bewirkt auf noch unklare Weise einen Funk tionsverlust der RetinolIsomerase und blockiert damit den Vitamin ARe generationszyklus im RPE. Der da durch bedingte hochgradige Mangel an 11cisRetinal, ohne dass kein Rhodopsin gebildet werden kann, führt zur einer Form der Leber’schen kon genitalen Amaurose (LCA), eine schwerstgradige Sehbeeinträchtigung von Kindheit an. Dieses Krankheitsbild gehört, nicht zuletzt aufgrund der Ver fügbarkeit von Tiermodellen (knockout Maus, natürliches Hundemodell (Bri ardBeagle)), sicherlich zu den am mei sten untersuchten Netzhauterkrankun gen überhaupt; auf die Details kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Anhand des Mausmodells konnte nachgewiesen werden, dass der Funktionsausfall der Stäbchen Folge des extremen Rhodopsinman gels (weit unter einem Prozent des normalen Wertes) ist und durch Gabe z.B. von 11cisRetinal weitgehend gebessert werden kann. Im Gegensatz zu den oben erwähnten RPEspezifi schen Erkrankungen sind die Zapfen bei der Rpe65 /Maus komplett aus gefallen, nicht jedoch beim Hundemo dell der gleichen Erkrankung, bei dem auch die Gentherapie – wieder im Gegensatz zur Maus – gute Ergeb nisse liefert. Diese Diskrepanzen bie ten wiederum die Chance, die zugrun deliegenden Mechanismen besser zu verstehen. Photorezeptoren Zur Leber’schen kongenitalen Amau rose (LCA) führen auch eine Reihe von Mutationen in photorezeptorspezifi schen Genen wie CRB1, GCE, CRX und RPGRIP1. CRB1 wurde im Bereich der Zonula adherens der Stäbchen und ZapfenInnensegmente sowie in der Plasmamembran der Zapfen Außensegmente gefunden und dürfte eher eine strukturelle Rolle spielen. GCE dagegen ist nach Ablauf der Phototransduktionskaskade und An regung durch GuanylatzyklaseAkti vierungsproteine (GCAP1/2) für die Wiederherstellung des dunkeladap tierten Zustandes durch Regeneration von cAMP und Öffnung der CNGKa näle zuständig. Das Transmembran protein ist in den Außensegmenten von Stäbchen und v.a. Zapfen prä sent. Morphologisch wurde im GCE Mausmodell ein Verlust der meisten Zapfen nach etwa 5 Wochen festge stellt, während die Stäbchen erhalten blieben. Funktionell zeigte sich ein deutlich reduziertes ERG von Beginn an, das von den Stäbchen dominiert wurde und eine etwas erhöhte Sensi tivität ergab. CRXMutanten entwickeln überhaupt keine Außensegmente von Photore zeptoren und haben daher weder Stäbchen noch Zapfenfunktion. RPGRIP1 ist am PhotorezeptorZilium zwischen Innen und Außensegment lokalisiert und erlaubt die Bindung von RPGR in dieser Region. Mäuse ohne Rpgrip1 entwickeln stark vergrößerte, oft quer liegende Sehscheibchen, was für eine wichtige Rolle dieses Proteins für die ordnungsgemäße Produktion dieser Strukturen spricht. Elektroreti nographisch waren in einem Alter von 1 Monat sowohl die Stäbchen als auch die Zapfenantworten reduziert aber sicher messbar. Viele Mutationen in Photorezeptorge nen führen zu einer Netzhautdegene ration vom Retinitis Pigmentosa (RP)Typ. Charakteristisch dafür sind Nachtblindheit von früher Kindheit an, ein zunehmender Verlust des periphe ren Gesichtsfeldes („Tunnelsehen“) und ein stark vermindertes bis erlo schenes Elektroretinogramm. Befun de am Auge umfassen typischerweise eine Abblassung des Sehnervenkop fes, verengte retinale Gefäße, Ablage rung von Pigmenten in der Retina (sog. Knochenkörperchen) und eine Atrophie des retinalen Pigmentepi thels. Eine autosomalrezessive Form von RP ist verbunden mit Mutationen in Genen wie MERTK, RHO und der StäbchencGMPPDE (β und γ). MERTK ist das humane Gegenstück des bei der RCSRatte veränderten Gens. merknockoutMäuse zeigen ei nen mit der RCSRatte vergleichbaren Phänotyp, bei dem Probleme mit der Phagozytose verbrauchter Sehscheib chen durch das RPE im Vordergrund stehen. ERGMessungen ergaben ei nen rapiden Verlust der Stäbchenant worten bei etwas besser erhaltenen Zapfenantworten. Etwa 6 Wochen nach Geburt waren praktisch alle Ant worten verschwunden. Die RhodopsinknockoutMaus kann wegen fehlendem RodOpsin, das für die Stabilität der Sehscheibchen be nötigt wird, keine Außensegmente er zeugen. Die Zapfen sind davon zu nächst nicht in Ihrer Funktion beein trächtigt, degenerieren aber schließ lich aus ungeklärter Ursache sekundär (funktionell deutlich etwa ab Tag 45 postnatal). In einem Zeitfenster etwa zwischen der 4. und der 6. Woche nach Geburt kann die Rho/Maus als Modell für reine Zapfenfunktion einge setzt werden. Eine rapide Netzhautdegeneration fin det sich auch bei der rdMaus mit ei nem Defekt der βUntereinheit der StäbchencGMPPDE. Das ERG ist von Anfang an reduziert und korreliert mit der Morphologie. Einige häufig be nutzte Mausstämme wie C3H enthal ten „serienmäßig“ das rdGen, was eine Phänotypisierung hinsichtlich der Retina ohne weitere Maßnahmen un möglich macht. Der Verlust der inhibitorischen γ Untereinheit der StäbchencGMP PDE bei der Pdeg /Mutante führt zu einem ähnlich schnellen Degenera tionsverlauf wie bei der rdMaus. Eine autosomaldominante Form von RP ist verbunden mit Mutationen des OpsinGens der Stäbchen (sog. Rho dopsinmutationen), des Peripherin Gens sowie von Genen wie RP1 und NRL. Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie Die Funktion von RGR (RPEretinal G proteincoupled receptor), einem im RPE und Müllerzellen exprimierten Protein, ist noch nicht vollständig ge klärt. RGR ist homolog zu Rhodopsin, aber eine Photoisomerase, d.h., es wandelt bei Belichtung umgekehrt wie Rhodopsin alltransRetinal direkt in 11cisRetinal um, und könnte daher potentiell zur Regeneration von Rho dopsin parallel zum klassischen Pfad beitragen. Mutationen im Gen für RGR können beim Menschen ein RPähnli ches Krankheitsbild hervorrufen. Untersuchungen des Mausmodells haben erbracht, dass Rgr die Kineti ken der Rhodopsinregeneration und der funktionellen Adaptationsprozes se (ERG) beeinflusst. Ein Mangel an RGR hat sowohl die Einstellung von Gleichgewichten auf niedrigerem Ni veau als auch veränderte Regenera tionsraten zur Folge. Hier wurde eine Reihe von Linien durch Einbringen von Transgenen zur Expression mutierten Opsins bzw. Peripherins generiert. Für ein und dasselbe Transgen gibt es in der Re gel mehrere Linien, die alle eine mehr oder weniger schnelle Netzhautdege neration zeigen. Die bei solchen trans genen Linien erzielten Ergebnisse sind häufig schwieriger interpretierbar als die bei knockout oder knockinMo dellen. Bis zu 10% der adRP werden durch Mutationen im RP1Gen verursacht. Bei der entsprechenden knockout Maus kommt es zu veränderten Außensegmenten der Stäbchen, ab ca. 3 Wochen postnatal zunehmend zu Apoptosen und schließlich einer fortschreitenden Degeneration der Netzhaut. Die Zapfen sind dabei lan ge Zeit morphologisch und funktionell (ERG) besser erhalten. NRL reguliert zusammen mit anderen Transkriptionsfaktoren (z.B. CRX) die Expression stäbchenspezifischer Gene wie Rhodopsin und der βUntereinheit der StäbchencGMPPDE. Missense medgen 15 (2003) 143 Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie Mutationen in NRL führen zu adRP. Ein kompletter Verlust von nrl in der knockoutMaus führt zu einem Phäno typ ähnlich dem Enhanced Scone Syndrom (ESCS). Die Stäbchen dieser Maus besitzen auch zapfentypische Eigenschaften und stellen nach Mei nung der Autoren Zwitter zwischen Stäbchen und Zapfen dar („cods“). Funktionell verhalten sich diese cods wie Blauzapfen. Im ERG fehlen daher die Stäbchenantworten völlig, wäh rend die Zapfenantworten durch den hohen Blauzapfenanteil supernormal sind. Eine Xchromosomalrezessive Form von RP ist verbunden mit Mutationen im RPGRGen. RPGR ist im Verbin dungszilium zwischen Außen und Innensegment der Photorezeptoren lokalisiert und bindet dort an RPGRIP. Es soll eine Rolle für den Transport von Proteinen entlang des Ziliums spielen. Die entsprechende knockout Maus zeigte eine ektopische Lokalisa tion von Opsinen in den Zapfen und reduzierte Rhodopsinlevel in den Stäbchen. Im Verlauf degenerieren so wohl Stäbchen als auch Zapfen, die Ausprägung ist jedoch milder als bei der RPGRIPKO. Funktionell sind die ERGAntworten von Stäbchen und Zapfensystemen reduziert, aber blei ben lange Zeit erhalten. Ein kompletter Verlust der Stäbchen funktion ist für die Transduzin (rod transducin αsubunit, trα) knockout Maus charakteristisch. Dies entspricht der NougaretForm der kongenitalen stationären Nachtblindheit (CSNB3) beim Menschen. Entsprechend dem Defekt kann die Phototransduktion in den Stäbchen nicht vollständig ablau fen und stoppt nach der Aktivierung von Rhodopsin. Während die Stäb chen damit äußerlich nicht auf Licht reagieren, sind die Zapfen unbeein trächtigt; im Verlauf wurde eine milde Degeneration beobachtet. Die OguchiKrankheit kann durch Mu tationen im Gen für StäbchenArre stin (SAntigen; Oguchi Typ 1) oder für RhodopsinKinase (Oguchi Typ 2) hervorgerufen werden. Bei dieser Er krankung ist die „Abschaltung“ der Stäbchen nach einer Aktivierung durch Licht gestört, so dass beispielsweise 144 medgen 15 (2003) die Dunkeladaptation extrem verzö gert ist (ca. Faktor 9). Der Phänotyp entspricht daher faktisch einer konge nitalen stationären Nachtblindheit. Die entsprechenden Mausmodelle erga ben deutlich verlängerte Einzelzellant worten der isolierten Stäbchen. Die Ursache ist eine verlängerte Lebens dauer des aktivierten Rhodopsins Rho*, entweder durch fehlende Phos phorylierung durch die Rhodopsinki nase (bei der Rhok/Maus) oder durch die fehlende anschließende Bindung von Arrestin (bei der Sag/Maus). Da aktiviertes Rhodopsin der Auslöser lichtinduzierter Apoptose ist, zeigen die knockoutMäuse eine deutlich er höhte Empfindlichkeit für Lichtschä den der Netzhaut. Interessanterweise verhalten sich die Zapfenantworten der Sag /Maus normal, während die der Rhok /Maus eine verzögerte Adaptation ähnlich den Stäbchen auf weisen. Mutationen im RDSGen können sehr unterschiedliche Phänotypen von Ma kulopathien bis hin zu Retinitis Pig mentosa erzeugen. Peripherin, das Genprodukt, ist am Rand (Rim) der Außensegmente von Stäbchen und Zapfen lokalisiert. In den Stäbchen interagiert es lokal mit einem ver wandten Protein, ROM1. Peripherin und ROM1 stabilisieren die Membran der Außensegmente. Das natürliche rdsMausmodell entwickelt im homo zygoten Fall überhaupt keine Außen segmente. Im heterozygoten Fall steht eine reduzierte Menge an Peripherin zur Verfügung, und es entstehen dys plastische „aufgewickelte“ Außenseg mente sowie eine langsame Degene ration. Während das Fehlen von ROM1 keine oder nur geringe Verän derungen hervorruft, kann es die Schwere der rdsinduzierten Degene ration im digenischen Fall verstärken. Die funktionellen Daten korrelieren weitgehend mit der Morphologie. Ähnlich unterschiedliche Phänotypen verursachen Mutationen im ABCR Gen (ATPbinding cassette transpor ter), das für das RimProtein (ABCR oder RmP) am Rand der Sehscheib chen der StäbchenAußensegmente kodiert. Die meisten Mutationen füh ren zum Morbus Stargardt, einer der häufigsten erblichen Makulopathien, bei der nur die zentralen Zapfen Funk tionsdefizite zeigen, es können aber auch ZapfenStäbchenDystrophien oder sogar Retinitis Pigmentosaähn liche Bilder auftreten. Dabei scheint es auf den Grad der direkten Schädigung der Photorezeptoren und einer indi rekten Degeneration durch Akkumula tion von Lipofuszin, insbesondere dessen Komponente A2E, einem to xischen Vitamin AAbbauprodukt, im RPE anzukommen. In heterozygoter Form soll ABCR für Erkrankungen aus dem Formenkreis der altersabhängi gen Makuladegeneration (AMD) prädi sponieren, bei denen Lipofuszin eben falls eine Rolle spielt. Funktionell wurde bei Patienten mit ABCRMutationen neben den durch die Degenerationen verursachten Ef fekten eine etwas verzögerte Dunkel adaptation beschrieben. In abcr / Mäusen konnte gezeigt werden, dass nach Belichtung a,tRetinal viel länger als normal in den Sehscheibchen ver bleibt und wahrscheinlich über Kom plexbildung mit Opsinmolekülen die Dunkeladaptation verzögert. Sowohl die verzögerte Dunkeladaptation als auch die lichtinduzierte pathologische Anreicherung von A2E in Retina und RPE wurden auch bei der heterozygo ten abcr +/Maus gefunden, ein Indiz für die mögliche AMDPrädisposition beim Menschen. Bei der Cnga3 (cone cyclic nucleoti de gated channel asubunit) knock outMaus kommt es zu einem völligen Verlust der Zapfenfunktion. Dies ent spricht der kompletten Farbenblind heit (Achromatopsie) beim Men schen. Durch diesen Defekt kann die Phototransduktion in den Zapfen zwar vollständig bis zur Produktion von AMP aus cAMP ablaufen, es fehlen aber die CNGKanäle in der Membran. Diese Kanäle sind normalerweise im Dunkeln geöffnet und schließen bei Erhöhung von AMP, mit der Folge ei ner Reduktion des zirkulierenden Stro mes und einer Hyperpolarisierung des Photorezeptors, die das elektrische Korrelat der Lichtempfindung darstellt. Die totale Farbenblindheit erklärt sich dadurch, dass Rot, Grün und Blau zapfen den gleichen CNGKanaltyp verwenden. Während die Zapfen da Funktionell sind bei Cnga3knockout Mäusen normale Stäbchenantworten ableitbar, während die Zapfenantwor ten völlig fehlen. Das Modell ist daher besonders gut zum Studium des Stäbchensystems unter verschieden sten Bedingungen geeignet. Innere Netzhaut Es sind bisher relativ wenige Erkran kungen bekannt, die spezifisch oder überwiegend die innere Netzhaut be treffen. Um diese zu verstehen, muss man sich klarmachen, wie das Signal von den Photorezeptoren weitergelei tet wird. Wenn nach dem Ende der Phototransduktion die Photorezepto ren hyperpolarisiert sind, wird an de ren Synapsen Glutamat freigesetzt. Postsynaptisch wird dieses Signal von nichtinvertierenden (OFF) und invertierenden (ON)Bipolarzellen de tektiert. Während die OFFBipolaren einen ionotropen Glutamatrezeptor benutzen, wird das ONSignal über den metabotropen Rezeptor mGluR6 übertragen. Das ONSignal bestimmt dann im wesentlichen die bWelle, die positive Hauptantwort des Elektrore tinogramms. Im Detail ist der Sach verhalt aufgrund der Unterschiede zwischen Stäbchen und Zapfen und zahlreichen Quervernetzungen viel komplizierter und auch noch nicht hinreichend aufgeklärt. Die „eigentlichen“ Formen der konge nitalen stationären Nachtblindheit (CSNB) mit „negativem“ ERG durch Verlust der ONAntwort bei morpho logisch normaler Netzhaut (Schubert BornscheinTyp) betreffen Verände rungen, die nicht in den Photorezep toren, sondern weiter proximal lokali siert sind. Bei der Xchromosomalen komplet ten Form (CSNB1) fehlt Nyktalopin, das Produkt des NYXGens, ein Pro tein mit noch unbekannter Funktion. Der Phänotyp der Patienten und auch der nobMaus (nob = no bwave) gleicht dem durch einen Verlust des mGluR6Rezeptors erzielten, d.h. es fehlt die ONAntwort. Licht und elektronenmikroskopisch finden sich keine Veränderungen. Die Expression von nyx ist maximal in der inneren Körnerschicht, die aus den Kernen der Bipolarzellen gebildet wird; es ist jedoch noch unklar ob durch den De fekt die Zelle selbst, die synaptische Übertragung, oder nur die Synapsen entwicklung gestört wird. Die Xchromosomale inkomplette Form (CSNB2) wird durch Mutationen im CACNA1FGen für die retinaspezi fische α1Untereinheit eines LTyp Kalziumkanals verursacht, der sich in den synaptischen Endungen der Bipo larzellen befindet. Funktionell zeigt sich durch die ONReduktion auch ein „negatives“ ERG, es existiert jedoch noch eine StäbchenRestantwort, während die Zapfenantworten stärker vermindert sind als bei der kompletten Form. Ein exaktes Mausmodell für CSNB2 existiert noch nicht; es ist allerdings davon auszugehen, dass die CNSβ2Maus dem schon sehr nahekommt. Bei dieser Maus ist die mit α1 interagierende β2Untereinheit ausgeknockt worden. Da dies wegen dem kardialen Phänotyp lethal ist, wurde zusätzlich ein β2Transgen mit herzspezifischem Promotor einge bracht, um die Maus lebensfähig zu machen; im ZNS fehlt β2 dagegen (daher die Bezeichnung CNSβ2). In der Netzhaut führt dies zu Verände rungen der α1Expression und funk tionell zu einem negativen ERG ähn lich dem bei CSNB2Patienten. Die zusätzlich auftretenden milden mor phologischen Veränderungen werden auf den Verlust von β2, der ja in der „reinen“ α1knockoutMaus nicht vor handen wäre, zurückgeführt. Bei der Xchromosomalen juvenilen Retinoschisis (XLRS) kommt es im jugendlichen Alter zu einer Radspei chenähnlichen Schisisbildung (d.h. einer Spaltung der Netzhaut) im Be reich der Makula, wodurch die zentra le Sehfunktion beeinträchtigt wird. Später können Degenerationen dieses Bereiches sowie periphere Schisis areale auftreten. Funktionell ist auch hier das „negative ERG“ charakteri stisch. Ursache dieser Erkrankung sind Mutationen im RS1Gen für Re tinoschisin. Momentan wird disku tiert, ob Retinoschisin jeweils lokal ex primiert wird, oder ob es nur im Be reich der Photorezeptoren erzeugt und dann via MüllerZellen in die innere Netzhaut gelangt. Das Mausmodell, die Rs1h /yMaus, zeigt gleichmäßig über die Netzhaut verteilte bläschenförmige Schisis areale durch Spaltung im Bereich der inneren Körnerschicht, die z.T. konflu ieren. Auffällig sind vor allem auch Veränderungen in der Photorezeptor schicht. Die gesamte Netzhaut wirkt strukturell desorganisiert. Funktionell imponiert – wie beim Menschen – das „negative“ ERG durch eine selektiv stärkere Reduktion der ONKompo nente. Schlussbemerkung Der Wert von Mausmodellen erblicher Netzhauterkrankungen liegt in erster Linie in der Möglichkeit, genaue gene tische Abbilder der humanen Degene rationen zu erhalten und Mechanis men detailliert untersuchen zu kön nen. Ist der Phänotyp etabliert, kann anschließend auch eine Evaluation von Therapieansätzen erfolgen. Schließlich können spezifische Model le auch wegweisend bei der Aufklä rung der Beiträge der verschiedenen retinalen Zellgruppen zur normalen Netzhautfunktion sein. Vor allem von den letzten beiden Punkten kann man annehmen, daß sie noch deutlich an Bedeutung gewinnen werden. Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie mit äußerlich nicht auf Licht reagieren, sind die Stäbchen unbeeinträchtigt. Literatur Chader GJ (2002) Animal models in research on retinal degenerations: past progress and future hope. Vision Research 42: 393399. Chang B, Hawes NL, Hurd RE, Davisson MT, Nu sinowitz S, Heckenlively JR (2002) Retinal dege neration mutants in the mouse. Vision Research 42: 517525. Hafezi F, Grimm C, Simmen BC, Wenzel A, Remé CE (2000) Molecular ophthalmology: an update on animal models for retinal degenerations and dystrophies. Br J Ophthalmol 84: 922927. Peachey NS, Ball SL (2003) Electrophysiological analysis of visual function in mutant mice. Doc Ophthalmol. in press. Seeliger MW, Biesalski HK (2001) Vitamin A Stoffwechsel und Netzhautdegenerationen. Oph thalmologe 98: 520525. Korrespondenzadresse Dr. med. Dipl.Ing. Mathias W. Seeliger AG Retinale Funktionsdiagnostik UniversitätsAugenklinik Tübingen Abteilung für Pathophysiologie des Sehens und NeuroOphthalmologie Schleichstr. 1216, 72076 Tübingen Tel. 070712980718, Fax 07071294789 [email protected] medgen 15 (2003) 145