Acrobat Distiller, Job 14

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Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
Mausmodelle für erbliche Netzhautdegenerationen
Mathias W. Seeliger
AG Retinale Funktionsdiagnostik,
UniversitätsAugenklinik Tübingen,
Abt. für Pathophysiologie des
Sehens und NeuroOphthalmologie
Zusammenfassung
Erbliche Netzhauterkrankungen sind
eine klinisch und genetisch heteroge
ne Gruppe meist monogener Erkran
kungen. Sie sind bislang unheilbar und
gehören zu den häufigsten Erblin
dungsursachen im Erwachsenenalter.
Zu der Gruppe zählen stationäre und
progressive Erkrankungen, anderer
seits diffuse und lokalisierte Störun
gen, und primäre Netzhautdystrophien
oder sekundäre Photorezeptorerkran
kungen infolge Pigmentepithel, Ader
haut oder systemischmetabolischer
Defekte. Durch die z.T. langsamen
Verläufe über Jahrzehnte und den feh
lenden Einblick in Ultrastruktur und
Biochemie ist die Beforschung eines
Tiermodells daher eine Grundvoraus
setzung für die effektive Aufklärung
der pathophysiologischen Grundla
gen. In der folgenden Arbeit werden
diejenigen natürlichen oder neu gene
rierten Mausmodelle kurz vorgestellt,
zu denen es ein direkt korrespondie
rendes Krankheitsbild beim Menschen
gibt. Dabei werden wesentliche Ge
meinsamkeiten und Unterschiede so
wohl im histologischen Bereich als
auch funktionell angesprochen und di
skutiert.
Schlüsselwörter
Mausmodell, erbliche Netzhauterkran
kung, Elektroretinographie
Mouse models for hereditary
retinal degenerations
Summary
Hereditary retinal degenerations are a
clinically and genetically heteroge
neous group of usually monogenic
disorders. They are amongst the
most common cases of adult blind
ness, and are currently untreatable.
The group includes stationary and
progressive forms with diffuse and lo
calized manifestations, and primary
retinal degenerations as well as se
condary dystrophies due to defects in
the retinal pigment epithelium, cho
roid, or systemic and metabolic di
seases. Due to the slow time course
of changes, sometimes over de
cades, and the lack of insight in ultra
structural and biochemical
processes, animal models are crucial
in the effective assessment of the
pathophysiological mechanisms of
these disorders. This work focuses on
natural and transgenic mouse models
that directly correspond to a human
disease. Important differences and
similarities in terms of morphology
and function are briefly discussed.
Key words
Mouse model, hereditary retinal de
generation, electroretinography
Einleitung
Erbliche Netzhauterkrankungen sind
eine klinisch und genetisch heteroge
ne Gruppe meist monogener Erkran
kungen. Sie sind bislang unheilbar und
gehören zu den häufigsten Erblin
dungsursachen im Erwachsenenalter.
Zu der Gruppe zählen stationäre und
progressive Erkrankungen, anderer
seits diffuse und lokalisierte Störun
gen, und primäre Netzhautdystrophien
oder sekundäre Photorezeptorerkran
kungen infolge Pigmentepithel, Ader
haut oder systemischmetabolischer
Defekte.
Epidemiologisch und sozialmedizi
nisch am bedeutsamsten ist der For
menkreis der Retinitis pigmentosa, ei
ner progressiven Photorezeptorer
krankung mit Untergang zunächst der
Stäbchen und später der Zapfen. Die
korrespondierenden Symptome sind
Nachtblindheit und ein fortschreiten
der Verlust des peripheren Gesichts
feldes bis hin zur Erblindung. Eine
weitere Hauptgruppe sind die erb
lichen Makula und Zapfendystro
phien, bei denen Störungen von Seh
schärfe, Farbsinn und zentralem Ge
sichtsfeld Leitsymptome sind.
Inzwischen sind laut RetNet (www.sph.
uth.tmc.edu/retnet) ca. 132 Gene be
kannt (davon 84 kloniert), die in ur
sächlichem Zusammenhang mit die
sen Erkrankungen stehen, bei weiter
steigender Tendenz.
Funktionelle und histologische Daten
erblicher Netzhautdegenerationen
beim Menschen liegen meist nur von
fortgeschrittenen Stadien vor, und
138
medgen 15 (2003)
Humane Erkrankung
OMIM
Systemerkrankungen mit
Netzhautbeteiligung
RetinolmangelSyndrom
Okulärer Albinismus
(NettleshipFallsTyp)
Chorioderemie
Art
Bezeichnung der Maus
180250 SerumRetinolbindendes Protein (sRBP)
300500 OA1Protein
KO
XKO
Rbp
Oa1
300390
603868
258870
204200
600143
Rab Escort Protein 1 (REP1)
Rasassociated protein 27 (Rab 27)
OrnithinAminotransferase (OAT)
CLN3
CLN8
CHM
TG
KO
KO
N
Muskeldystrophie Typ Duchenne (DMD)
WaardenburgSyndrom IIA
Papillorenal syndrome
NorrieKrankheit
276903
601067
602083
606943
310200
193510
120330
310600
B: Myosin VIIa
D: Cadherin23 (Otocadherin)
F: Protocadherin15
G: SANS Gen
Dystrophin
Microphthalmiaassociated transcription factor (MITF)
PAX2dependent
Norrie disease protein (NDP)
N
N
N
N
N
N
N
KO
Rep1
mehrere Linien
Oat
Cln3
mnd (motor neuron
mental degeneration)
shaker
waltzer mice (v)
Ames waltzer (av)
Jackson shaker mouse
mdx
mivit (vitiligo)
Krd
Ndp
Aderhaut, SubRPEMatrix
Sorsby’sche Fundusdystrophie
136900 Tissue inhibitor of metalloproteinase 3 (TIMP3)
KI
Timp3KI
Retinales Pigmentepithel (RPE)
Fundus albipunctatus
Fundus albipunctatus bis RP
Leber’sche kongenitale Amaurose (LCA)
Retinitis pigmentosa (RP)
136880
180090
204100
600342
RetinolDehydrogenase (RDH5)
Retinladehydebinding protein 1 (RLBP1,CRALBP)
LCA2: RPE65
Retinal GProtein Coupled Receptor (RGR)
KO
KO
KO
KO
11cisRoDH
Rlbp1
Rpe65
Rgr
604210 CRB1: Drosophila crumbsHomolog
600179 LCA1, CORD6: Guanylatzyklase (GCE, retGC1)
602225 LCA3, adCRD2, RP: Conerod homeo boxcontaining gene
(CRX)
605446 LCA6: Retinitis pigmentosa GTPase regulatorinteracting
protein (RPGRIP1)
604705 mer tyrosine kinase protooncogene (MERTK)
KO
KO
KO
Crb1
GCE
Crx
KO
Rpgrip1
KO
Mer
180380 Rhodopsin (StäbchenOpsin)
180072 Stäbchen cGMPPDE (Phosphodiesterase,
βUntereinheit)
180073 Stäbchen cGMPPDE (Phosphodiesterase,
γUntereinheit)
180380 RhodopsinMutanten (P23H, V20G,P27L, P347S, ...)
179605 PeripherinMutanten (P216L, S231A, L185P, rds307)
180100 RP1: oxygenregulated photoreceptor protein ORP1
162080 Neural retinal leucine zipper (NRL)
300389 Retinitis pigmentosa GTPase regulator (RPGR)
KO
N
Rho
rd, rd1
N
Pdeg
TG
TG
KO
KO
KO
mehrere Linien
mehrere Linien
Rp1
nrl
rpgr
139330 Transduzin (Stäbchen), Guanine nucleotidebinding
protein (GNAT1)
181031 SAntigen, Arrestin (Stäbchen)
180381 RhodopsinKinase (RK, RhoK, Grk1)
179605 Peripherin
248200 ATPbinding cassette transporter (ABCR),
RimProtein (RMP)
216900 CNGKanal der Zapfen (αUntereinheit)
KO
Trα
KO
KO
N
KO
Sag
Rhok
rds, rd2
Abcr
KO
Cnga3
310500 Nyctalopin (Produkt des NYXGenes)
XN
nob (no bwave)
300071 Ltype voltage dependent calcium
channel (CACNA1F)
312700 Retinoschisin
KO
CNSβ2
XKO
Rs1h
Atrophia Gyrata
Neuronale ZeroidLipofuszinosen
Progressive epilepsy with retardation
(EPMR)
UsherSyndrom Typ I
Photorezeptoren
Leber’sche kongenitale Amaurose (LCA)
Retinitis pigmentosa (RP),
autosomalrezessiv
Retinitis pigmentosa (RP),
autosomaldominant
Retinitis pigmentosa (RP), Xchromosomal rezessiv
Kongenitale stationäre Nachtblindheit,
Nougaret Typ (CSNB3)
Morbus Oguchi Typ 1
Morbus Oguchi Typ 2
Variabel (RP bis Morbus Stargardt)
Morbus Stargardt (STGD1),
Fundus Flavimaculatus (FFM)
Achromatopsie (ACHM2)
Innere Netzhaut
Komplette kongenitale stationäre
Nachtblindheit (CSNB1)
Inkomplette kongenitale stationäre
Nachtblindheit (CSNB2)
Xchromosomale juvenile Retinoschisis
(XLRS)
durch den langsamen Degenerations
prozess ist die Erfassung von Verläu
fen, auch im Hinblick auf therapeuti
sche Interventionsstrategien, in über
schaubaren Zeiträumen nicht oder nur
unzuverlässig möglich. Die Befor
schung eines Tiermodells ist daher
eine Grundvoraussetzung für die effek
tive Aufklärung der pathophysiologi
schen Grundlagen und der Bewertung
Betroffenes Protein
von Therapieverfahren für menschli
che erbliche Netzhautdegenerationen.
Während anfänglich die Untersuchung
natürlich vorkommender Mutanten im
Vordergrund stand, hat sowohl die
breite Etablierung der Techniken zur
Generierung von Mausmodellen mit
zum Menschen homologen geneti
schen Defekten als auch die begin
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
Tabelle 1 Übersicht über erbliche Netzdegenerationen, bei denen Krankheitsbild und Gen sowohl beim
Menschen als auch bei der Maus bekannt sind
nende Aufklärung der molekulargene
tischen Grundlagen erblicher Netz
hauterkrankungen in letzter Zeit zu ei
ner Vielzahl von neuen Mausmutanten
geführt.
Neben den speziell für Netzhautunter
suchungen generierten Modellen ist
ein großer Teil primär zur Analyse an
derer Organe oder Gewebe erzeugt
medgen 15 (2003)
139
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
Legende
CHM = Chimäre
KI
= Knockin
KO
= Knockout
N
= Natürliches Modell
TG
= Transgene Maus
X
= Xchromosomalrezessiver Erbgang
worden. Da der Phänotyp am Auge
häufig nicht im Zentrum des Interes
ses der Untersucher steht, ist die Be
schreibung und Untersuchung der Re
tina – wenn überhaupt vorhanden – oft
unvollständig oder nicht dem Stand
der Technik entsprechend durchge
führt worden, so dass dieses Potenti
al oft ungenutzt bleibt.
Ursprünglich lag der Schwerpunkt der
Verlaufsbeobachtung von Degenera
tionsmodellen im histologischen Be
reich; z.B. wurden die Reihen der ver
bliebenen Kerne von Photorezeptoren
ausgezählt. In den letzten Jahren hat
sich gezeigt, dass die Morphologie al
leine nichts über die Funktion aussagt;
daher haben elektrophysiologische
Untersuchungsmethoden zur objekti
ven Quantifizierung der Sehfunktion
deutlich an diagnostischem Wert ge
wonnen. Dies trifft vor allem für die
Messung der elektrischen Aktivität der
Netzhaut, die Elektroretinographie
(ERG) zu. In Studien wird das ERG da
neben zunehmend als Nachweis einer
Funktionsverbesserung nach Therapie
eingesetzt.
Die für die Beurteilung der Retinafunk
tion von Mensch und Maus wesentli
che Differenzierung nach Stäbchen
und Zapfensystem sowie einige weite
re Informationen lassen sich durch
Messungen nach Dunkeladaptation
(skotopisches ERG), gefolgt von Mes
sungen nach definierter Helladaptation
(photopisches ERG) sowie der Varia
tion der Stimulusintensität mittels Neu
traldichtefiltern erreichen. Während für
die Durchführung dieser Untersuchun
gen beim Menschen Richtlinien der
International Society for Clinical Elec
trophysiology of Vision (ISCEV;
www.iscev.org/standards) existieren,
sind solche Bestrebungen bei Maus
modellen noch nicht so weit fortge
schritten, aber sicherlich genauso
sinnvoll und notwendig.
Inzwischen ist es praktisch unmöglich
geworden, einen Überblick über alle
Modelle mit Retinabeteiligung zu be
halten. Die folgende Zusammenstel
lung beschränkt sich gemäß dem Titel
daher auf diejenigen Modelle, bei de
nen Krankheitsbild und Gen sowohl
beim Menschen als auch bei der
Maus bekannt sind. Wegen der vorge
140
medgen 15 (2003)
gebenen Beschränkung der Literatur
stellen wurden die OMIMKlassifika
tionsnummern mitaufgeführt, um das
Auffinden weitergehender Informatio
nen zu erleichtern. Zusammenstellun
gen von Modellen für erbliche Netz
hautdegenerationen finden sich auch
in Peachey & Balli 2003, Chang et al.
2002, Hafezi et al. 2000 und Chader
2002.
Systemerkrankungen mit
Netzhautbeteiligung
Eine große Gruppe der Systemerkran
kungen mit Netzhautbeteiligung be
trifft im weitesten Sinne metabolische
Prozesse und hier besonders den Vi
tamin AStoffwechsel. Neben den
wichtigen Funktionen für den Vorder
abschnitt des Auges spielt Vitamin A
(in biologischfunktionellem Sinne das
Retinol und die durch eine Vereste
rung mit Fettsäuren entstehenden Re
tinylester) vor allem für Integrität und
Funktion der Netzhaut eine wesentli
che Rolle (Übersicht in: Seeliger,
2001).
Im Blut liegt Vitamin A nach Aus
schleusung aus der Leber als Kom
plex des aus jeweils einem Molekül
Retinol und Retinolbindendem Pro
tein (RBP) bestehenden holoRBP mit
einem Molekül Transthyretin (TTR) vor.
Dieser Komplex aus Retinol, RBP und
TTR muss dann vom retinalen Pig
mentepithel (RPE) aus dem Gefäßsy
stem aufgenommen werden. Fehlt das
RBP im Serum, kann das Retinol die
Leber nach momentanem Wissens
stand nicht verlassen.
Interessanterweise beschränken sich
die Symptome bei Mensch und Maus
in diesem Fall fast ausschließlich auf
RPE und Netzhaut. Dies zeigt, dass
der direkte, von der Leber unabhängi
ge Stoffwechselweg (Aufnahme von
Retinylestern in die Gewebe bei Ab
bau der Chylomikronen) in einem sol
chen Fall mit wenigen Ausnahmen die
gesamte Gewebsversorgung überneh
men kann. Die selektive Beeinträchti
gung von RPE und Netzhaut, aber
nicht des Vorderabschnitts, spricht da
gegen für eine obligat rezeptorvermit
telte Aufnahme von holoRBP durch
das RPE. Aus noch ungeklärter Ursa
che ist bei den Patienten die Zapfen
funktion weit besser erhalten als die
Stäbchenfunktion.
Der okuläre Albinismus vom Nettle
shipFallsTyp ist die häufigste Form
des Albinismus und zeigt einen X
chromosomalrezessiven Erbgang. Ty
pisch sind die Makulahypoplasie mit
reduzierter Sehschärfe und Nystag
mus, die fehlende Kreuzung der Opti
kusfasern im Chiasma sowie die redu
zierte Pigmentierung des Auges mit
Irisdurchleuchtbarkeit. Im Gegensatz
zum okulokutanen Albinismus sind
Hypopigmentierungen anderer Gewe
be wie der Haut eher gering ausge
prägt. Typisch ist das Auftreten von
großen Pigmentkörnchen (Makrome
lanosomen) in den Melanozyten. Im
Mausmodell wurden ebenfalls Makro
melanonsomen, eine geringgradige
Hypopigmentierung sowie ein Kreu
zungsdefekt der Optikusfasern nach
gewiesen. Die Netzhautfunktion war
nicht beeinträchtigt.
Die Chorioderemie manifestiert sich
beim Menschen praktisch ausschließ
lich als eine fortschreitende Degene
ration von Photorezeptoren, RPE und
Aderhaut; der zugrundeliegende De
fekt ist aber prinzipiell nicht auf das
Auge beschränkt und könnte in Lym
phoblasten und pigmentierten Zellen
eine gewisse Rolle spielen. Für diese
Erkrankung existiert bisher noch kein
zufriedenstellendes Mausmodell. Die
zunächst versuchte Generierung einer
knockoutMaus scheiterte, weil der
Verlust des rep1Gens eine Keim
bahntransmission unterbindet. Die
Untersuchung der Chimären ergab
allerdings bereits einen wichtigen,
wenn auch noch unvollkommenen
Einblick in dieses Krankheitsbild. Ein
weiterer Versuch mit transgenen Mäu
sen mit Defekten im Rab27aGen hat
keinen wesentlichen Phänotyp erge
ben.
Der Atrophia Gyrata liegt ein Defekt
der Ornithinδaminotransferase (OAT)
zugrunde. Durch den Stoffwechsel
block steigen die Ornithinspiegel in
den Körperflüssigkeiten auf das
10–15fache des Normalwertes an,
womit die Diagnose gesichert werden
kann. Die Atrophia Gyrata hat ein sehr
charakteristisches Fundusbild und
manifestiert sich beim Menschen wie
Die Zeroidlipofuszinosen gehören wie
auch die Sphingolipidosen zu den er
blichen Lipidspeicherkrankheiten. Man
unterscheidet klassischerweise vier
verschiedene Formen, von denen drei,
die infantile, spätinfantile und juvenile
Form, im Kindes und Jugendlichenal
ter auftreten und im Gegensatz zur
adulten Form mit einer Augenbeteili
gung einhergehen. Die juvenile neuro
nale Zeroidlipofuszinose (JNCL), auch
als SpielmeyerVogtErkrankung oder
Batten’s disease bekannt, ist mit einer
Inzidenz von 0,71:100.000 die häufig
ste Form.
Die Erkrankung beginnt im 4.–10. Le
bensjahr meist mit einem Visusabfall
infolge einer Makulopathie, gefolgt
von einer rasch fortschreitenden De
generation von Netzhaut und Pigment
epithel und führt binnen ca. 1–3 Jah
ren zur Erblindung. Danach stehen
neurologische Veränderungen (moto
rische und intellektuelle Defizite) im
Vordergrund; der Tod tritt meist bis zur
3. Lebensdekade ein.
Im Mausmodell für die JNCL, der
Cln3knockoutMaus, fanden sich
autofluoreszente membrangebundene
Ablagerungen in vielen Körperzellen,
insbesondere im ZNS. Im Auge fan
den sich eine Ausdünnung der Ner
venfaserschicht und eine langsame
Netzhautdegeneration mit verstärkter
Apoptose der Photorezeptoren, die
über 20 Monate nicht zu einer tiefgrei
fenden Funktions oder Strukturbeein
trächtigung führte. Die mndMaus ist
ein natürliches Modell für eine ver
wandte Erkrankung, der EPMR (CLN8).
Hier kommt es allerdings zu einem
schnelleren Verlauf der Netzhautdege
neration, die bis zum 6. Monat mor
phologisch und funktionell (ERG)
praktisch abgeschlossen ist und den
motorischen Störungen vorangeht.
Elektronenmikroskopisch imponieren
ebenfalls Einschlusskörperchen (cur
vilinear bodies) wie bei der JNCL.
Unter UsherSyndrom (US) wird eine
Kombination von progressiver Netz
hautdegeneration i.S. einer Retinitis
pigmentosa (RP) und einer stationä
ren, angeborenen Innenohrschwerhö
rigkeit (Typ II) bzw. Taubheit (Typ I) zu
sammengefasst. Neben den zwei
klassischen Subtypen gibt es auch
noch eine seltene, v.a. in Finnland vor
kommende dritte Gruppe mit progres
sivem Hörverlust.
Es handelt sich sowohl genetisch als
auch vom Phänotyp her um eine
heterogene Gruppe von Erkrankungen
mit autosomalrezessivem Erbgang;
für den Typ I sind sieben Loci bekannt
(USH1AG). Eine Reihe der verant
wortlichen Gene ist ebenfalls bekannt,
darunter die für Myosin VIIa (IB), Har
monin (IC), Cadherin23 (ID), Protocad
herin15 (IF) und das SANSGen für
Typ IG.
Die dem UsherSyndrom zugrundelie
genden pathophysiologischen Prozes
se sind noch nicht bekannt. Die Art
der betroffenen Gene und die Lokali
sation der entsprechenden Proteine
haben zu der Hypothese geführt, dass
es sich beim Usher Syndrom Typ I pri
mär um einen strukturellen Defekt des
Zytoskelettes aufgrund einer Störung
des Netzwerkes aus Myosin VIIa, Har
monin, Cadherin23 und SANS handeln
könnte.
Auffällig ist, dass bei allen Mausmo
dellen
eindeutig
die
Schwerhörigkeit/Taubheit im Vorder
grund steht. Die bisherigen funktionel
len und morphologischen Untersu
chungen haben keinen eindeutigen
Hinweis auf eine Netzhautbeteiligung
erbracht. Diese Diskrepanz könnte
wichtige Hinweise auf den Mecha
nismus der Augenschädigung beim
Menschen erbringen. Daneben unter
stützt diese Tatsache die Vermutung,
dass eine gemeinsame Struktur in den
verschiedenen Usher ISubtypen ge
schädigt wird, die bei der Maus anzu
nehmenderweise keine Rolle in der
Netzhaut spielt.
Der progressiven Muskeldystrophie
vom Typ Duchenne liegen Mutationen
im DystrophinGen zugrunde. Dieses
Gen ist komplex und kodiert multiple
gewebespezifische Isoformen, die sich
strukturell durch ihre N und CTermi
ni unterscheiden. Von dem zugehöri
gen natürlichen Mausmodell, der
mdxMaus, existieren verschiedene
allelische Varianten, die aufgrund der
Lage der Mutation im Gen unter
schiedlich große Genprodukte produ
zieren. Es ist damit gelungen, ver
schiedene Isoformen mit dem Grad
der funktionellen Defekte im ERG, die
von keiner über geringgradige Verän
derungen und Latenzverlängerungen
bis zur Amplitudenreduktion reichen,
zu korrelieren.
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
die Chorioderemie praktisch aus
schließlich als eine fortschreitende
Degeneration von Photorezeptoren,
RPE und Aderhaut. Durch argininarme
Diät lässt sich der Ornithinspiegel im
Verlauf weitgehend senken und der
Fortschritt der Erkrankung damit her
auszögern. Das entsprechende Maus
modell hat es erlaubt, diese klinischen
Ergebnisse experimentell nachzuvoll
ziehen. Im Verlauf von 12 Monaten
konnte bei Einhaltung der Diät die
Funktion (gemessen mittels ERG) er
halten werden, während es bei den
normal ernährten Tieren zu einem Ab
fall auf etwa ein Viertel des Ausgangs
wertes und einem entsprechenden
morphologischen Verfall kam.
Die VitiligoMaus (Mitfmivit) ist ein natür
liches Modell für das Waardenburg
Syndrom IIa, das auf einen Verlust
des microphthalmiaassociated trans
cription factor (MITF) zurückgeht. Die
humane Erkrankung ist u.a. durch ei
nen partiellen Albinismus (Leukoder
mie), zunehmende prämature Weißfär
bung der Haare, Innenohrschwerhörig
keit und Veränderungen der Iris ge
kennzeichnet, bedingt durch die Rolle
von MITF, zuständig für Entwicklung
und Funktion von Melanozyten, die
aus der Neuralleiste hervorgehen. Die
Mausmutanten haben eine hellere Fell
farbe als normal und sind weiß ge
punktet; die Zahl der weißen Haare
nimmt mit dem Alter zu. Der retinale
Phänotyp besteht in einer fortschrei
tenden Netzhautdegeneration, bis
nach 8 Monaten noch etwa 2 bis 3
Reihen von Photorezeptorkernen
übrigbleiben. Daneben kommt es zu
einer großflächigen Abhebung der
Netzhaut bis zum Aspekt einer Stern
figur und dem Einwandern von Makro
phagen in den subretinalen Raum. Die
Amplituden im ERG sind von vornher
ein kleiner als normal, die Antworten
sind verlängert, und die Sensitivität ist
reduziert.
Mutationen im PAX2Gen führen zum
Papillorenalen Syndrom. PAX2 wird
medgen 15 (2003)
141
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
in den primitiven Zellen von Niere und
Ureter, Auge, Ohr und sonstigem ZNS
exprimiert. Die Folge eines Ausfalls
sind u.a. Optikuskolobome, Nierenhy
poplasie, Proteinurie und vesicoure
thraler Reflux. Beim zugehörigen
Mausmodell, der KrdMaus, treten er
ste Veränderungen wie zu erwarten
bereits im Embryonalstadium auf. Die
abnormale Wanderung der PAX2posi
tiven Zellen des embryonalen Augen
bechers und des Augenbecherstiels
sowie die fehlgeleiteten Axone der
Ganglienzellen führen zu den bei den
adulten Tieren beobachteten Verände
rungen in allen Netzhautschichten.
Die NorrieKrankheit (ND) ist eine
seltene, Xchromosomal rezessiv ver
erbte schwere Netzhautdegeneration,
die bereits kurz nach der Geburt eine
Leukokorie aufgrund von Netzhaut
ablösungen und vaskularisierten retro
lentalen Membranen aufweist, die zur
Erblindung sowie einer anschließen
den Phtisis bulbi führen. Bei der klas
sischen Form kommen später eine
mentale Retardierung und ein progre
dienter Hörverlust hinzu; einige ande
re Mutationen im NDPGen führen zu
weniger dramatischen Verläufen wie
exsudativer Vitreoretinopathie oder
Morbus Coats ohne extraokuläre Ma
nifestationen. Obwohl die genaue
Funktion noch unbekannt ist, wird auf
grund der strukturellen Nähe des be
troffenen Proteins zum transforming
growth factor β (TGFβ) eine Rolle
während der retinalen Entwicklung
und Gewebsdifferenzierung angenom
men. Entsprechend der Expression
von Ndp neben Ohr und Gehirn v.a. in
der inneren Retina finden sich in der
knockoutMaus Gefäßabnormalitäten
und retrolentale Strukturen, regionale
Störungen der retinalen Schichtung
und ein Verlust von Ganglienzellen. Im
Ohr bestehen ebenso Gefäßverände
rungen und eine Innenohrschwerhö
rigkeit. Die retinale Funktionsdiagno
stik weist auf Schädigungen primär
der inneren Netzhaut hin (sog. „nega
tives“ ERG).
Aderhaut, SubRPEMatrix
Beeinträchtigungen der Funktion be
stimmter Proteine in der extrazellulären
Matrix zwischen choroidalem Gefäßsy
stem und retinalem Pigmentepithel füh
ren zu der altersabhängigen Makulade
142
medgen 15 (2003)
generation (AMD) ähnlichen Krank
heitsbildern. Als Modell für die feuchte
Form der AMD gilt die Sorsbysche
Fundusdystrophie (SFD), eine selte
ne, spät beginnende retinale Degene
ration, die durch Mutationen im Gen für
den tissue inhibitor of metalloprot
einases3 (TIMP3) hervorgerufen wird.
Typischerweise findet man Ablagerun
gen von lipofuszinähnlichem Material
und eine Verdickung der Bruch’schen
Membran. Die verdickte Bruch’sche
Membran soll einen herabgesetzten
Transport (auch von Retinol und Karo
tinoiden) zur Retina hin bewirken. Im
Verlauf kommt es zu subretinalen Neo
vaskularisationen und einer von innen
nach außen zunehmenden Atrophie
des RPEs und später der Aderhaut.
Bei den knockinMäusen wurde eine
Ser156CysMutation durch homologe
Rekombination in das orthologe muri
ne Timp3Gen eingebracht. Diese Tie
re zeigen Anzeichen einer beginnen
den altersabhängigen Veränderung der
BruchMembran und des RPE, ohne
dass die Funktion in der Lebensspan
ne der Mäuse beeinträchtigt wäre.
Retinales Pigmentepithel (RPE)
Der Funktionsverlust von Proteinen im
RPE kann sehr unterschiedliche Aus
wirkungen haben. Mutationen im
RDH5Gen mit Ausfall der 11cisRe
tinolDehydrogenase sind als Ursache
des Fundus Albipunctatus (FA) iden
tifiziert worden. Bei dieser nichtpro
gredienten Erkrankung, der die typi
schen weißgelblichen subretinalen
Punkte ihren Namen gegeben haben,
ist die Dunkeladaptation extrem ver
langsamt. Während Normalpersonen
die StäbchenEndschwelle nach etwa
2030 Minuten in Dunkelheit errei
chen, benötigen die Patienten 2.53
Stunden; analoges gilt für die Antwor
ten im Elektroretinogramm (ERG). Ob
wohl also die physiologischen Schwel
len erreicht werden, führt die Verzöge
rung doch praktisch zu einer Nacht
blindheit. Ein ähnliches Phänomen
konnte bei 11cisRoDHknockout
Mäusen mittels ERGMessungen im
Verlauf, allerdings im Gegensatz zum
Menschen erst nach starker Lichtex
position (Bleichung), nachgewiesen
werden.
Mutationen in RLBP1, dem Gen für
CRALB (cellular retinaldehydebinding
protein), führen bei milder Ausprägung
ebenso zu FA, bei stärkerer Ausprä
gung jedoch zu einem Retinitis Pig
mentosa (RP)ähnlichen Krankheits
bild. Rlbp1/Mäuse zeigten – ähnlich
wie FAPatienten – eine biochemisch
mittels Rhodopsinregeneration und
funktionell mittels ERG nachgewiese
ne, um den Faktor 10–15 verzögerte
Dunkeladaptation der Stäbchen. Die
Erholung der Zapfensignale im ERG
war dagegen nur um den Faktor 2
verlängert, obwohl eigentlich Stäb
chen und Zapfen gleichermaßen auf
einen funktionierenden Regenera
tionszyklus im RPE angewiesen sein
sollten. Eine Netzhautdegeneration
wurde bei den Mäusen über 12 Mo
nate nicht festgestellt.
Ein Defekt im Gen für RPE65 bewirkt
auf noch unklare Weise einen Funk
tionsverlust der RetinolIsomerase
und blockiert damit den Vitamin ARe
generationszyklus im RPE. Der da
durch bedingte hochgradige Mangel
an 11cisRetinal, ohne dass kein
Rhodopsin gebildet werden kann, führt
zur einer Form der Leber’schen kon
genitalen Amaurose (LCA), eine
schwerstgradige Sehbeeinträchtigung
von Kindheit an. Dieses Krankheitsbild
gehört, nicht zuletzt aufgrund der Ver
fügbarkeit von Tiermodellen (knockout
Maus, natürliches Hundemodell (Bri
ardBeagle)), sicherlich zu den am mei
sten untersuchten Netzhauterkrankun
gen überhaupt; auf die Details kann
an dieser Stelle nicht eingegangen
werden. Anhand des Mausmodells
konnte nachgewiesen werden, dass
der Funktionsausfall der Stäbchen
Folge des extremen Rhodopsinman
gels (weit unter einem Prozent des
normalen Wertes) ist und durch Gabe
z.B. von 11cisRetinal weitgehend
gebessert werden kann. Im Gegensatz
zu den oben erwähnten RPEspezifi
schen Erkrankungen sind die Zapfen
bei der Rpe65 /Maus komplett aus
gefallen, nicht jedoch beim Hundemo
dell der gleichen Erkrankung, bei dem
auch die Gentherapie – wieder im
Gegensatz zur Maus – gute Ergeb
nisse liefert. Diese Diskrepanzen bie
ten wiederum die Chance, die zugrun
deliegenden Mechanismen besser zu
verstehen.
Photorezeptoren
Zur Leber’schen kongenitalen Amau
rose (LCA) führen auch eine Reihe von
Mutationen in photorezeptorspezifi
schen Genen wie CRB1, GCE, CRX
und RPGRIP1. CRB1 wurde im Bereich
der Zonula adherens der Stäbchen
und ZapfenInnensegmente sowie in
der Plasmamembran der Zapfen
Außensegmente gefunden und dürfte
eher eine strukturelle Rolle spielen.
GCE dagegen ist nach Ablauf der
Phototransduktionskaskade und An
regung durch GuanylatzyklaseAkti
vierungsproteine (GCAP1/2) für die
Wiederherstellung des dunkeladap
tierten Zustandes durch Regeneration
von cAMP und Öffnung der CNGKa
näle zuständig. Das Transmembran
protein ist in den Außensegmenten
von Stäbchen und v.a. Zapfen prä
sent. Morphologisch wurde im GCE
Mausmodell ein Verlust der meisten
Zapfen nach etwa 5 Wochen festge
stellt, während die Stäbchen erhalten
blieben. Funktionell zeigte sich ein
deutlich reduziertes ERG von Beginn
an, das von den Stäbchen dominiert
wurde und eine etwas erhöhte Sensi
tivität ergab.
CRXMutanten entwickeln überhaupt
keine Außensegmente von Photore
zeptoren und haben daher weder
Stäbchen noch Zapfenfunktion.
RPGRIP1 ist am PhotorezeptorZilium
zwischen Innen und Außensegment
lokalisiert und erlaubt die Bindung von
RPGR in dieser Region. Mäuse ohne
Rpgrip1 entwickeln stark vergrößerte,
oft quer liegende Sehscheibchen, was
für eine wichtige Rolle dieses Proteins
für die ordnungsgemäße Produktion
dieser Strukturen spricht. Elektroreti
nographisch waren in einem Alter von
1 Monat sowohl die Stäbchen als
auch die Zapfenantworten reduziert
aber sicher messbar.
Viele Mutationen in Photorezeptorge
nen führen zu einer Netzhautdegene
ration vom Retinitis Pigmentosa
(RP)Typ. Charakteristisch dafür sind
Nachtblindheit von früher Kindheit an,
ein zunehmender Verlust des periphe
ren Gesichtsfeldes („Tunnelsehen“)
und ein stark vermindertes bis erlo
schenes Elektroretinogramm. Befun
de am Auge umfassen typischerweise
eine Abblassung des Sehnervenkop
fes, verengte retinale Gefäße, Ablage
rung von Pigmenten in der Retina
(sog. Knochenkörperchen) und eine
Atrophie des retinalen Pigmentepi
thels.
Eine autosomalrezessive Form von
RP ist verbunden mit Mutationen in
Genen wie MERTK, RHO und der
StäbchencGMPPDE (β und γ).
MERTK ist das humane Gegenstück
des bei der RCSRatte veränderten
Gens. merknockoutMäuse zeigen ei
nen mit der RCSRatte vergleichbaren
Phänotyp, bei dem Probleme mit der
Phagozytose verbrauchter Sehscheib
chen durch das RPE im Vordergrund
stehen. ERGMessungen ergaben ei
nen rapiden Verlust der Stäbchenant
worten bei etwas besser erhaltenen
Zapfenantworten. Etwa 6 Wochen
nach Geburt waren praktisch alle Ant
worten verschwunden.
Die RhodopsinknockoutMaus kann
wegen fehlendem RodOpsin, das für
die Stabilität der Sehscheibchen be
nötigt wird, keine Außensegmente er
zeugen. Die Zapfen sind davon zu
nächst nicht in Ihrer Funktion beein
trächtigt, degenerieren aber schließ
lich aus ungeklärter Ursache sekundär
(funktionell deutlich etwa ab Tag 45
postnatal). In einem Zeitfenster etwa
zwischen der 4. und der 6. Woche
nach Geburt kann die Rho/Maus als
Modell für reine Zapfenfunktion einge
setzt werden.
Eine rapide Netzhautdegeneration fin
det sich auch bei der rdMaus mit ei
nem Defekt der βUntereinheit der
StäbchencGMPPDE. Das ERG ist
von Anfang an reduziert und korreliert
mit der Morphologie. Einige häufig be
nutzte Mausstämme wie C3H enthal
ten „serienmäßig“ das rdGen, was
eine Phänotypisierung hinsichtlich der
Retina ohne weitere Maßnahmen un
möglich macht.
Der Verlust der inhibitorischen γ
Untereinheit der StäbchencGMP
PDE bei der Pdeg /Mutante führt zu
einem ähnlich schnellen Degenera
tionsverlauf wie bei der rdMaus.
Eine autosomaldominante Form von
RP ist verbunden mit Mutationen des
OpsinGens der Stäbchen (sog. Rho
dopsinmutationen), des Peripherin
Gens sowie von Genen wie RP1 und
NRL.
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
Die Funktion von RGR (RPEretinal G
proteincoupled receptor), einem im
RPE und Müllerzellen exprimierten
Protein, ist noch nicht vollständig ge
klärt. RGR ist homolog zu Rhodopsin,
aber eine Photoisomerase, d.h., es
wandelt bei Belichtung umgekehrt wie
Rhodopsin alltransRetinal direkt in
11cisRetinal um, und könnte daher
potentiell zur Regeneration von Rho
dopsin parallel zum klassischen Pfad
beitragen. Mutationen im Gen für RGR
können beim Menschen ein RPähnli
ches Krankheitsbild hervorrufen.
Untersuchungen des Mausmodells
haben erbracht, dass Rgr die Kineti
ken der Rhodopsinregeneration und
der funktionellen Adaptationsprozes
se (ERG) beeinflusst. Ein Mangel an
RGR hat sowohl die Einstellung von
Gleichgewichten auf niedrigerem Ni
veau als auch veränderte Regenera
tionsraten zur Folge.
Hier wurde eine Reihe von Linien
durch Einbringen von Transgenen zur
Expression mutierten Opsins bzw.
Peripherins generiert. Für ein und
dasselbe Transgen gibt es in der Re
gel mehrere Linien, die alle eine mehr
oder weniger schnelle Netzhautdege
neration zeigen. Die bei solchen trans
genen Linien erzielten Ergebnisse sind
häufig schwieriger interpretierbar als
die bei knockout oder knockinMo
dellen.
Bis zu 10% der adRP werden durch
Mutationen im RP1Gen verursacht.
Bei der entsprechenden knockout
Maus kommt es zu veränderten
Außensegmenten der Stäbchen, ab
ca. 3 Wochen postnatal zunehmend
zu Apoptosen und schließlich einer
fortschreitenden Degeneration der
Netzhaut. Die Zapfen sind dabei lan
ge Zeit morphologisch und funktionell
(ERG) besser erhalten.
NRL reguliert zusammen mit anderen
Transkriptionsfaktoren (z.B. CRX) die
Expression stäbchenspezifischer Gene
wie Rhodopsin und der βUntereinheit
der StäbchencGMPPDE. Missense
medgen 15 (2003)
143
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
Mutationen in NRL führen zu adRP.
Ein kompletter Verlust von nrl in der
knockoutMaus führt zu einem Phäno
typ ähnlich dem Enhanced Scone
Syndrom (ESCS). Die Stäbchen dieser
Maus besitzen auch zapfentypische
Eigenschaften und stellen nach Mei
nung der Autoren Zwitter zwischen
Stäbchen und Zapfen dar („cods“).
Funktionell verhalten sich diese cods
wie Blauzapfen. Im ERG fehlen daher
die Stäbchenantworten völlig, wäh
rend die Zapfenantworten durch den
hohen Blauzapfenanteil supernormal
sind.
Eine Xchromosomalrezessive Form
von RP ist verbunden mit Mutationen
im RPGRGen. RPGR ist im Verbin
dungszilium zwischen Außen und
Innensegment der Photorezeptoren
lokalisiert und bindet dort an RPGRIP.
Es soll eine Rolle für den Transport
von Proteinen entlang des Ziliums
spielen. Die entsprechende knockout
Maus zeigte eine ektopische Lokalisa
tion von Opsinen in den Zapfen und
reduzierte Rhodopsinlevel in den
Stäbchen. Im Verlauf degenerieren so
wohl Stäbchen als auch Zapfen, die
Ausprägung ist jedoch milder als bei
der RPGRIPKO. Funktionell sind die
ERGAntworten von Stäbchen und
Zapfensystemen reduziert, aber blei
ben lange Zeit erhalten.
Ein kompletter Verlust der Stäbchen
funktion ist für die Transduzin (rod
transducin αsubunit, trα) knockout
Maus charakteristisch. Dies entspricht
der NougaretForm der kongenitalen
stationären Nachtblindheit (CSNB3)
beim Menschen. Entsprechend dem
Defekt kann die Phototransduktion in
den Stäbchen nicht vollständig ablau
fen und stoppt nach der Aktivierung
von Rhodopsin. Während die Stäb
chen damit äußerlich nicht auf Licht
reagieren, sind die Zapfen unbeein
trächtigt; im Verlauf wurde eine milde
Degeneration beobachtet.
Die OguchiKrankheit kann durch Mu
tationen im Gen für StäbchenArre
stin (SAntigen; Oguchi Typ 1) oder für
RhodopsinKinase (Oguchi Typ 2)
hervorgerufen werden. Bei dieser Er
krankung ist die „Abschaltung“ der
Stäbchen nach einer Aktivierung durch
Licht gestört, so dass beispielsweise
144
medgen 15 (2003)
die Dunkeladaptation extrem verzö
gert ist (ca. Faktor 9). Der Phänotyp
entspricht daher faktisch einer konge
nitalen stationären Nachtblindheit. Die
entsprechenden Mausmodelle erga
ben deutlich verlängerte Einzelzellant
worten der isolierten Stäbchen. Die
Ursache ist eine verlängerte Lebens
dauer des aktivierten Rhodopsins
Rho*, entweder durch fehlende Phos
phorylierung durch die Rhodopsinki
nase (bei der Rhok/Maus) oder durch
die fehlende anschließende Bindung
von Arrestin (bei der Sag/Maus). Da
aktiviertes Rhodopsin der Auslöser
lichtinduzierter Apoptose ist, zeigen
die knockoutMäuse eine deutlich er
höhte Empfindlichkeit für Lichtschä
den der Netzhaut. Interessanterweise
verhalten sich die Zapfenantworten
der Sag /Maus normal, während die
der Rhok /Maus eine verzögerte
Adaptation ähnlich den Stäbchen auf
weisen.
Mutationen im RDSGen können sehr
unterschiedliche Phänotypen von Ma
kulopathien bis hin zu Retinitis Pig
mentosa erzeugen. Peripherin, das
Genprodukt, ist am Rand (Rim) der
Außensegmente von Stäbchen und
Zapfen lokalisiert. In den Stäbchen
interagiert es lokal mit einem ver
wandten Protein, ROM1. Peripherin
und ROM1 stabilisieren die Membran
der Außensegmente. Das natürliche
rdsMausmodell entwickelt im homo
zygoten Fall überhaupt keine Außen
segmente. Im heterozygoten Fall steht
eine reduzierte Menge an Peripherin
zur Verfügung, und es entstehen dys
plastische „aufgewickelte“ Außenseg
mente sowie eine langsame Degene
ration. Während das Fehlen von
ROM1 keine oder nur geringe Verän
derungen hervorruft, kann es die
Schwere der rdsinduzierten Degene
ration im digenischen Fall verstärken.
Die funktionellen Daten korrelieren
weitgehend mit der Morphologie.
Ähnlich unterschiedliche Phänotypen
verursachen Mutationen im ABCR
Gen (ATPbinding cassette transpor
ter), das für das RimProtein (ABCR
oder RmP) am Rand der Sehscheib
chen der StäbchenAußensegmente
kodiert. Die meisten Mutationen füh
ren zum Morbus Stargardt, einer der
häufigsten erblichen Makulopathien,
bei der nur die zentralen Zapfen Funk
tionsdefizite zeigen, es können aber
auch ZapfenStäbchenDystrophien
oder sogar Retinitis Pigmentosaähn
liche Bilder auftreten. Dabei scheint es
auf den Grad der direkten Schädigung
der Photorezeptoren und einer indi
rekten Degeneration durch Akkumula
tion von Lipofuszin, insbesondere
dessen Komponente A2E, einem to
xischen Vitamin AAbbauprodukt, im
RPE anzukommen. In heterozygoter
Form soll ABCR für Erkrankungen aus
dem Formenkreis der altersabhängi
gen Makuladegeneration (AMD) prädi
sponieren, bei denen Lipofuszin eben
falls eine Rolle spielt.
Funktionell wurde bei Patienten mit
ABCRMutationen neben den durch
die Degenerationen verursachten Ef
fekten eine etwas verzögerte Dunkel
adaptation beschrieben. In abcr /
Mäusen konnte gezeigt werden, dass
nach Belichtung a,tRetinal viel länger
als normal in den Sehscheibchen ver
bleibt und wahrscheinlich über Kom
plexbildung mit Opsinmolekülen die
Dunkeladaptation verzögert. Sowohl
die verzögerte Dunkeladaptation als
auch die lichtinduzierte pathologische
Anreicherung von A2E in Retina und
RPE wurden auch bei der heterozygo
ten abcr +/Maus gefunden, ein Indiz
für die mögliche AMDPrädisposition
beim Menschen.
Bei der Cnga3 (cone cyclic nucleoti
de gated channel asubunit) knock
outMaus kommt es zu einem völligen
Verlust der Zapfenfunktion. Dies ent
spricht der kompletten Farbenblind
heit (Achromatopsie) beim Men
schen. Durch diesen Defekt kann die
Phototransduktion in den Zapfen zwar
vollständig bis zur Produktion von
AMP aus cAMP ablaufen, es fehlen
aber die CNGKanäle in der Membran.
Diese Kanäle sind normalerweise im
Dunkeln geöffnet und schließen bei
Erhöhung von AMP, mit der Folge ei
ner Reduktion des zirkulierenden Stro
mes und einer Hyperpolarisierung des
Photorezeptors, die das elektrische
Korrelat der Lichtempfindung darstellt.
Die totale Farbenblindheit erklärt sich
dadurch, dass Rot, Grün und Blau
zapfen den gleichen CNGKanaltyp
verwenden. Während die Zapfen da
Funktionell sind bei Cnga3knockout
Mäusen normale Stäbchenantworten
ableitbar, während die Zapfenantwor
ten völlig fehlen. Das Modell ist daher
besonders gut zum Studium des
Stäbchensystems unter verschieden
sten Bedingungen geeignet.
Innere Netzhaut
Es sind bisher relativ wenige Erkran
kungen bekannt, die spezifisch oder
überwiegend die innere Netzhaut be
treffen. Um diese zu verstehen, muss
man sich klarmachen, wie das Signal
von den Photorezeptoren weitergelei
tet wird. Wenn nach dem Ende der
Phototransduktion die Photorezepto
ren hyperpolarisiert sind, wird an de
ren Synapsen Glutamat freigesetzt.
Postsynaptisch wird dieses Signal
von nichtinvertierenden (OFF) und
invertierenden (ON)Bipolarzellen de
tektiert. Während die OFFBipolaren
einen ionotropen Glutamatrezeptor
benutzen, wird das ONSignal über
den metabotropen Rezeptor mGluR6
übertragen. Das ONSignal bestimmt
dann im wesentlichen die bWelle, die
positive Hauptantwort des Elektrore
tinogramms. Im Detail ist der Sach
verhalt aufgrund der Unterschiede
zwischen Stäbchen und Zapfen und
zahlreichen Quervernetzungen viel
komplizierter und auch noch nicht
hinreichend aufgeklärt.
Die „eigentlichen“ Formen der konge
nitalen stationären Nachtblindheit
(CSNB) mit „negativem“ ERG durch
Verlust der ONAntwort bei morpho
logisch normaler Netzhaut (Schubert
BornscheinTyp) betreffen Verände
rungen, die nicht in den Photorezep
toren, sondern weiter proximal lokali
siert sind.
Bei der Xchromosomalen komplet
ten Form (CSNB1) fehlt Nyktalopin,
das Produkt des NYXGens, ein Pro
tein mit noch unbekannter Funktion.
Der Phänotyp der Patienten und auch
der nobMaus (nob = no bwave)
gleicht dem durch einen Verlust des
mGluR6Rezeptors erzielten, d.h. es
fehlt die ONAntwort. Licht und
elektronenmikroskopisch finden sich
keine Veränderungen. Die Expression
von nyx ist maximal in der inneren
Körnerschicht, die aus den Kernen
der Bipolarzellen gebildet wird; es ist
jedoch noch unklar ob durch den De
fekt die Zelle selbst, die synaptische
Übertragung, oder nur die Synapsen
entwicklung gestört wird.
Die Xchromosomale inkomplette
Form (CSNB2) wird durch Mutationen
im CACNA1FGen für die retinaspezi
fische α1Untereinheit eines LTyp
Kalziumkanals verursacht, der sich in
den synaptischen Endungen der Bipo
larzellen befindet. Funktionell zeigt
sich durch die ONReduktion auch ein
„negatives“ ERG, es existiert jedoch
noch eine StäbchenRestantwort,
während die Zapfenantworten stärker
vermindert sind als bei der kompletten
Form. Ein exaktes Mausmodell für
CSNB2 existiert noch nicht; es ist
allerdings davon auszugehen, dass
die CNSβ2Maus dem schon sehr
nahekommt. Bei dieser Maus ist die
mit α1 interagierende β2Untereinheit
ausgeknockt worden. Da dies wegen
dem kardialen Phänotyp lethal ist,
wurde zusätzlich ein β2Transgen mit
herzspezifischem Promotor einge
bracht, um die Maus lebensfähig zu
machen; im ZNS fehlt β2 dagegen
(daher die Bezeichnung CNSβ2). In
der Netzhaut führt dies zu Verände
rungen der α1Expression und funk
tionell zu einem negativen ERG ähn
lich dem bei CSNB2Patienten. Die
zusätzlich auftretenden milden mor
phologischen Veränderungen werden
auf den Verlust von β2, der ja in der
„reinen“ α1knockoutMaus nicht vor
handen wäre, zurückgeführt.
Bei der Xchromosomalen juvenilen
Retinoschisis (XLRS) kommt es im
jugendlichen Alter zu einer Radspei
chenähnlichen Schisisbildung (d.h.
einer Spaltung der Netzhaut) im Be
reich der Makula, wodurch die zentra
le Sehfunktion beeinträchtigt wird.
Später können Degenerationen dieses
Bereiches sowie periphere Schisis
areale auftreten. Funktionell ist auch
hier das „negative ERG“ charakteri
stisch. Ursache dieser Erkrankung
sind Mutationen im RS1Gen für Re
tinoschisin. Momentan wird disku
tiert, ob Retinoschisin jeweils lokal ex
primiert wird, oder ob es nur im Be
reich der Photorezeptoren erzeugt und
dann via MüllerZellen in die innere
Netzhaut gelangt.
Das Mausmodell, die Rs1h /yMaus,
zeigt gleichmäßig über die Netzhaut
verteilte bläschenförmige Schisis
areale durch Spaltung im Bereich der
inneren Körnerschicht, die z.T. konflu
ieren. Auffällig sind vor allem auch
Veränderungen in der Photorezeptor
schicht. Die gesamte Netzhaut wirkt
strukturell desorganisiert. Funktionell
imponiert – wie beim Menschen – das
„negative“ ERG durch eine selektiv
stärkere Reduktion der ONKompo
nente.
Schlussbemerkung
Der Wert von Mausmodellen erblicher
Netzhauterkrankungen liegt in erster
Linie in der Möglichkeit, genaue gene
tische Abbilder der humanen Degene
rationen zu erhalten und Mechanis
men detailliert untersuchen zu kön
nen. Ist der Phänotyp etabliert, kann
anschließend auch eine Evaluation
von
Therapieansätzen
erfolgen.
Schließlich können spezifische Model
le auch wegweisend bei der Aufklä
rung der Beiträge der verschiedenen
retinalen Zellgruppen zur normalen
Netzhautfunktion sein. Vor allem von
den letzten beiden Punkten kann man
annehmen, daß sie noch deutlich an
Bedeutung gewinnen werden.
Netzhautdegenerationen Klinik, Genetik und Therapie
mit äußerlich nicht auf Licht reagieren,
sind die Stäbchen unbeeinträchtigt.
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Korrespondenzadresse
Dr. med. Dipl.Ing. Mathias W. Seeliger
AG Retinale Funktionsdiagnostik
UniversitätsAugenklinik Tübingen
Abteilung für Pathophysiologie des Sehens
und NeuroOphthalmologie
Schleichstr. 1216, 72076 Tübingen
Tel. 070712980718, Fax 07071294789
[email protected]
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