!! ! ! ARIANE MNOUCHKINE UND DAS THÉÀTRE DU SOLEIL ! ! ! ! WISSENSCHAFTLICHE DIPLOMARBEIT !! !! !! ! von Magdalena Wabitsch Matrikelnummer: 0946078 ! ! ! ! ! Eingereicht bei: O. Univ. Prof. Dr. phil. Evelyn Deutsch-Schreiner ! Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz Studienrichtung: Schauspiel Studienkennzahl: V 561 Diplomstudium ! ! ! ! ! September 2016 ! ! ! ! ! ! ! Abstract ! Ariane Mnouchkine ist eine der bedeutendsten französischen Theatermacherinnen des 20. Jahrhunderts. Sie arbeitet seit mehr als 50 Jahren ausschließlich mit ihrem Kollektiv: dem Théâtre du Soleil. Diese Arbeit besteht aus der historiographischen Darstellung des Lebens und Werkes Ariane Mnouchkines. Neben der Beschreibung und Analyse der Stücke (besonders im Bezug auf schauspielerische Aspekte) wird auf die verschiedenen Arbeitsmethoden des Théâtre du Soleil und ihre Ursprünge näher eingegangen. ! Ariane Mnouchkine is one of the most important French theatre directors in 20th Century. She has been working exclusively with her collective - the Théâtre du Soleil - for over 50 years. This paper contains an examination of Mnouchkines creations to date, an analysis of the working methods of the Théâtre du Soleil as well as it’s approaches to acting. ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! !2 ! ! Ich glaube an das Licht. Ich glaube an die Verzauberung. Ich glaube an die Anregung durch Schönheit, Licht, Hoffnung, Freude, Lachen, Tränen. Ich glaube an die Emotion. Ich denke, dass sie die Vermittler von Gedanken sind und all das auch Vermittler von Leben ist. (Ariane Mnouchkine)1 ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 1 Mnouchkine, zit. nach Féral, Josette (2003) Ariane Mnouchkine & Das Théâtre du Soleil. Berlin: Alexander Verlag, 13. ! Bild von Martine Franck während einer Aufführung von Shakespeares Henry IV im Jahre 1984. Internet: https://www.pinterest.com/pin/449093394062551718/ ! ! !3 Inhalt ! ! ! 1. Vorwort.........................................................................................................................6 2. Gründung und Anfänge des Théâtre du Soleil .......................................................10 b.) Les Petits Bourgois (Die Kleinbürger) von Maxim Gorki ....................................16 c.) Le Capitaine Fracasse von Théophile Gautiers .....................................................17 d.) La Cuisine (Die Küche) von Arnold Wesker ........................................................17 3. Das Jahr 1968 und seine Folgen ...............................................................................21 a.) Theatersituation der 50er und 60er Jahre ..............................................................21 b.) Die Ereignisse im Mai 1968 ..................................................................................23 c.) Die Auswirkungen der Protestbewegung ..............................................................25 d.) Entstehung von Kollektiven in ganz Europa .........................................................27 e.) création collective..................................................................................................30 f.) Les Clowns ............................................................................................................31 4. 8 Jahre ‚création collective’ und der Umzug in die Cartoucherie ......................32 a.) 1789: La révolution doit s’arrêter à la perfection du bonheur ..............................32 b.) 1793: La cité révolutionnaire est de ce monde .....................................................37 c.) Die Cartoucherie....................................................................................................40 d.) L’age D’or .............................................................................................................42 e.) Molière - Ein Filmepos über das Leben von Molière ...........................................46 f.) Mephisto - nach dem Roman von Klaus Mann .....................................................52 5. Die Rückkehr zum Text ............................................................................................56 a.) Der Shakespeare-Zyklus........................................................................................56 b.) Sihanouk, L’Indiade und die Begegnung mit Hélène Cixous ...............................63 c.) Les Atrides .............................................................................................................67 d.) Moderne Tragödie/Hélène Cixous und französische Klassik/Molière..................72 6. Neue Texte - Neue Formen .......................................................................................75 ! ! !4 a.) Et soudain, des nuits d’éveil und Tambours sur la dique - von Hélène Cixous ....75 b.) Le derniere caravanserail ......................................................................................79 c.) Les Ephémère nach einem Vorschlag von Ariane Mnouchkine ............................82 d.) Les nauphragés du fol espoir.................................................................................84 e.) Macbeth von William Shakespeare .......................................................................87 7. Die Arbeit mit dem Schauspieler .............................................................................89 a.) Copeau - Lecoq - Mnouchkine ..............................................................................90 b.) Die Arbeit im Théâtre du Soleil ..........................................................................101 c.) Vorbereitungen auf eine Vorstellung ...................................................................108 d.) Auswahl der Schauspieler ...................................................................................110 8. Schluss ......................................................................................................................112 9. Literaturverzeichnis ................................................................................................114 ! ! !5 1. Vorwort ! ! Ariane Mnouchkine ist eine der bemerkenswertesten Theatermacherinnen des 20. Jahrhunderts. Viele ihrer Stücke haben die Theaterlandschaft verändert. Bis heute arbeitet sie ausschließlich mit ihrem Theaterkollektiv: dem Théâtre du Soleil. ! Inspiriert durch die Vorlesung „Theater- und Literaturgeschichte III“, in der postdramatisches Theater behandelt wurde, begann ich mich für die Zeit rund um die 1968er Jahre zu interessieren. Die Arbeit von Peter Brook und die damals entstandenen neuen Arbeitsformen weckten besonders meine Neugierde. Zusätzlich interessierte mich das französische Theater, das nicht wie im deutschsprachigen Raum vornehmlich aus staatlich geförderten Stadt-, Landes-, oder Staatstheatern besteht, sondern aus freien Truppen, die von den Theaterleitern für ihre Bühnen gebucht werden. (Dies ist mit Ausnahme der Comédie-Francaise zu verstehen, dem einzigen subventionierten öffentlich-rechtlichem Theaterbetrieb mit fixem Schauspiel-Ensemble.) Zwei Interessen fügten sich somit zusammen: Das französische Theater und seine Organisation allgemein und die Entwicklungen in den 1960er/1970er Jahren. Für meine Diplomarbeit hatte ich mir jedoch vorgenommen, über eine Frau zu schreiben, da zur damaligen Zeit Frauen als Regisseurinnen im Theater kaum vertreten waren. Als ich auf Mnouchkine und das Théâtre du Soleil stieß, verknüpfte sich alles. Mein erkenntnisleitendes Interesse beruht somit darauf, durch die historiographische Darstellung des Lebens und Werkes Ariane Mnouchkines die Bedeutung und Konsequenz dieser ihrer Theaterarbeit aufzuzeigen und die besondere Art und Weise ihres Schaffens zu beschreiben. ! Bevor ich mit der Recherche für meine Diplomarbeit begann, wollte ich letzten Februar (2016) einen Ausflug nach Paris machen und ein Stück des Théâtre du Soleil ansehen. Ich wollte mir selbst ein Bild der Cartoucherie, der Spielstätte des Théâtre du Soleil, machen und Ariane Mnouchkine, die immer noch jeden Abend an der Kasse steht und Karten abreißt, persönlich kennenlernen. Nachdem ich bereits zwei E-Mails geschrieben und mehrere Wochen auf eine Antwort gewartet hatte, fand ich auf der Internetseite ! ! !6 folgende Notiz: „Wir reservieren keine Plätze per E-Mail, außer für Zuschauer, die nicht in unserer Zeitzone sind. Rufen Sie uns an. Wir haben noch menschliche Stimmen! Und wir möchten sie gerne weiterhin verwenden.“2 Das erste Telefonat verlief katastrophal. Nervös, durch Sprachschwierigkeiten und Verbindungsstörungen gehemmt, schaffte ich es nicht, einen genauen Termin für die nächste Vorstellung herausfinden. Die folgenden Tage verwendete ich damit, neue Vokabeln und Formulierungen zu lernen, um nicht noch einmal, wie ich dachte, an der Verständigung zu scheitern. Als ich ein zweites Mal anrief, wurde mir allerdings klar, dass es an einem völlig anderen Kommunikationsproblem lag: Ich hatte die nette Dame am Telefon nicht falsch verstanden, der Termin für die nächste Premiere stand noch nicht fest. „Wir werden im Herbst wieder spielen“, erklärte sie. Um welchen Monat im Herbst es sich handeln werde, könne sie noch nicht sagen, „Wir proben ja gerade noch.“ Mein Paris-Ausflug musste warten, allerdings wurde mein Interesse für Ariane Mnouchkine und das Théâtre du Soleil noch einmal neu entfacht: Ich wollte herausfinden, wie es für dieses Kollektiv möglich ist, sich gegen so viele konventionelle Theaterpraxen, wie beispielsweise einer sechswöchigen Probenzeit und einen FixTermin für die Premiere, hinwegzusetzen. Zwei Fragen tauchten in diesem Zusammenhang für mich auf: Wie kam es zu diesem ganz eigenen Weg? Und was wird zu seiner Umsetzung benötigt? ! „Eine Truppe beginnt immer mit einem Traum.“ erklärte Mnouchkine 2003.3 ! ! Es beginnt, mit Hoffnung. Es beginnt mit Begeisterung und Unverfrorenheit. Weil man doch einfach dreist sein muss. Und dann beginnt es vielleicht auch mit Leichtfertigkeit, denn wir wussten nichts. Ich selbst hatte keine Ahnung davon, was eine Inszenierung sein kann. So war das!4 Das Herzstück des Théâtre du Soleil bilden die Schauspieler. Ariane Mnouchkine ist ihr Anker. Sie schafft es seit nunmehr 50 Jahren, trotz des Kommens und Gehens und der 2 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/site-allemand/willkommen/article/ nehmen-sie-kontakt-mit-uns-auf Zugriff: 8.7.2016 3 Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 13. 4 ebd.: 59. ! ! !7 damit verbundenen strukturellen Veränderungen der Truppe, ihre Theatervision durchzusetzen. Und das mit Erfolg. Mit Preisen ausgezeichnet und von Kritik und Publikum gefeiert, ist das Markenzeichen dieser Truppe das große Engagement, welches nicht nur auf der Bühne praktiziert wird, sondern auch in politischen Aktionen Raum findet. ! Ariane Mnouchkine und das Théâtre du Soleil sind immer auf der Suche nach neuen dramatischen und theatralen Ausdrucksweisen, um unsere Geschichte einzufangen. Sei es durch große Spektakel wie den Revolutionsstücken 1798 und 1793, auf der Leinwand wie im Filmepos Molière oder durch dokumentarisches Theater wie in Le derniere caravanserail, in dem ganz persönliche Flüchtlingsgeschichten verarbeitet wurden. Immer geht es Mnouchkine um Leidenschaft. „[Theater] hat die Aufgabe, die Bewegung der Seele, des Geistes, der Welt, der Geschichte darzustellen.“5 Die Vision lautet, ein Volkstheater zu schaffen, ein Theater, das Menschen durch Sinnlichkeit und Schönheit berührt. ! In der Theaterwissenschaft gibt es noch kein umfassendes Buch, das die Arbeit Ariane Mnouchkines und des Théâtre du Soleil bis heute beschreibt (die vorhandenen Werke zu diesem Thema enden zwischen 2003 und 2007). Die folgende Auseinandersetzung soll einen Überblick darüber geben, was das ‚Sonnentheater’ seit mehr als 50 Jahren alles geschaffen hat. Im ersten Teil soll die Umsetzung unterschiedlicher Themen und Stücke, die Ariane Mnouchkine und ihre Truppe im Laufe der Zeit entwickelt haben, beschrieben und in einen geschichtlichen Kontext gestellt werden. Vieles hat mit der Person Ariane Mnouchkine zu tun, daher wird auf ihren Werdegang ein besonderes Augenmerk gelegt. Die Anfänge, die Jahre um 1968 und die ersten Versuche einer neuen Arbeitsweise, der création collective, werden ausführlich beschrieben, da sie den Grundstein bilden. Danach wird jedes der knapp 25 Stücke des Théâtre du Soleil kurz umrissen. Hier wird auch auf die unterschiedlichen Einflüsse - beispielsweise dem orientalischen Theater und der Commedia dell’arte - eingegangen. 5 ! Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 34. ! !8 Im zweiten Teil wird Mnouchkines Methode mit den Schauspielern zu arbeiten vertieft. Die Ursprünge dieser Arbeitsweise sowie die Praxis, wie sie bis heute angewandt wird, soll einen Einblick in den Alltag des Théâtre du Soleil geben und den Mythos des Erfolgs dieses Theaterkollektives ersichtlich machen. ! !! ! ! ! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! !! ! !9 2. Gründung und Anfänge des Théâtre du Soleil ! Ariane Mnouchkine wurde am 3. März 1939 in Boulogne-sur-Saine geboren. Ihr Vater Alexandre Mnouchkine, der aus Russland immigriert war, arbeitete als Filmregisseur und Filmproduzent. Ihre Mutter Jane Hannen war eine britische Schauspielerin.6 Mnouchkine wuchs in einer Zeit auf, die von der Besatzung der Deutschen, dem Ende des 2. Weltkrieges und dem Algerienkrieg7 geprägt war. In ihrer Jugend wurde sie von den Denkweisen der Existenzialisten Jean-Paul Satre und Simone de Beauvoir beeinflusst.8 Nach ihrem Schulabschluss ging sie ein Jahr an die Universität nach Oxford. Dort machte sie erste Erfahrungen im Bereich Theater, als sie in die Oxford University Drama Society (OUDS) eintrat und im März 1959 ihr erstes Stück Coriolanus von Shakespeare als Produktions-Assistentin, Statistin und CoKampfchoreographin begleitete.9 Zurück in Paris, begann Mnouchkine an der Sorbonne Psychologie zu studieren. Zunächst wollte sie sich dem Théâtre Antique de la Sorbonne anschließen, merkte jedoch schnell, dass sie die Arbeit dort wenig interessierte und beschloss, eine eigene Gruppe ins Leben zu rufen. So gründete Mnouchkine 1959 mit Studienkollegen die Theatergruppe Association théâtrale des étudiants de Paris (ATEP). Es gelang ihr, Roger Planchon zu überzeugen, sich für das junge, neugegründete Ensemble an der Universität einzusetzen, wodurch er zum Ehrenpräsidenten der ATEP wurde.10 Roger Planchon leitete von 1952 bis 2002 das Théâtre de la comédie, das spätere Théâtre National Populaire. Er engagierte sich vor allem für ein neues Volkstheater: ein 6 vgl. Floeck, Wilfried (1988): Tendenzen des Gegenwartstheaters. Tübingen: Francke Verlag, 22. 7 Krieg um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich zwischen 1954 bis 1962 (vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung 2016, Online). 8 vgl. Delgado Maria M. / Rebellato, Dan (2010): Contemporary european theatre directors. London/New York: Routledge, 30. 9 vgl. Singleton, Brian Robert (1988): The Interpretation of Shakespeare by Ariane Mnouchkine and the Théâtre du Soleil. University of Birningham (Shakespeare Institute), 47. 10 vgl. Seym, Simone (1992): Das Théâtre du Soleil. Ariane Mnouchkines Ästhetik des Theaters. Stuttgart: Metzler, 19. ! ! !10 Theater für die Arbeiterklasse.11 Dieses Ziel sollte auch Mnouchkine lange in ihrer Arbeit begleiten. Zunächst bot die ATEP die Erarbeitung von Szenen mit dem Schauspieler Gérard Lorin an. Diese Szenenstudien dienten zur Ausbildung im Bereich Schauspiel. Für Unterricht im Bereich Bühnenbild gab es die Möglichkeit, am Théâtre Sarah-Bernhadt als Hospitant mitzuarbeiten und dadurch einen direkten Einblick in die Arbeit an einem Bühnenbild zu bekommen.12 Mnouchkine kümmerte sich zu Beginn um die Organisation und Verwaltung der Gruppe und organisierte neben der praktischen Ausbildung auch Diskussionsrunden und Vorträge um zusätzlich die Möglichkeit des theoretischen Diskurs zu schaffen. Für die erste Veranstaltung im Jahre 1960 gelang es ihr Jean Paul Satre als Vortragenden zu gewinnen.13 In dem Vortrag mit dem Titel Théâtre épique et théâtre dramatique legte Satre seine Gedanken zu einem politischen und gesellschaftskritischen Volkstheaters dar und grenzte seinen Ansatz entschieden von dem des epischen Theaters von Brecht ab.14 Die Theorien Brechts gefielen Satre zwar, waren ihm jedoch in der Umsetzung zu wenig sinnlich. Er hatte die Idee, beides - das dramatische (bürgerliche) und das epische - Theater zu überwinden, um ein neues dramatisches, aber nicht bürgerliches Theater zu entwickeln.15 Theater war für ihn immer Aktion und nie bloße Beschreibung und Erklärung von Konflikten. Laut Satre sollte man im Theater die Widersprüche der Zeit widerspiegeln, um dem Publikum 11 vgl. Brauneck, Manfred (2007): Die Welt als Bühne. Fünfter Band. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, 149. 12 vgl. Seym 1992: 19f. 13 ebd. 14 1954 fanden die ersten ersten Gastspiele des Berliner Ensembles in Paris statt, die viel diskutiert und großteils enthusiastisch gefeiert wurden (vgl. Brauneck 2007: 149). Es brach in Paris geradezu ein ‚Brechtfieber‘ aus, das außer Satre nur Wenige kritisch auseinandernahmen (vgl. Seym 1992: 20). Es war für die Franzosen bemerkenswert Theater zu sehen, das beim Zuseher nicht Emotionen und Mitgefühl ansprach, sondern den Verstand. Dies funktionierte insofern, als erstmals Verfremdungseffekte eingesetzt wurden, bei denen die Schauspieler immer wieder aus ihren Rollen ausstiegen, an die Rampe traten und direkt mit dem Publikum sprachen. Somit konnte sich der Zuseher nie mit bestimmten Figuren identifizieren, sondern musste intellektuell über die dargebotenen Umstände reflektieren. Das Theater gab sich also immer als Theater zu erkennen und hatte nicht den Anspruch - wie beim aristotelischen (dramatischen) Theater - durch Einfühlung und der darauf folgenden Katharsis (seelische Reinigung) zu verändern, sondern durch den Verstand, der zu kritischen Reflexion angeregt wurde. Besonders vertrat Brecht die Meinung Theater solle über politische Möglichkeiten aufklären und dadurch den Handlungswillen des Publikums zur Veränderung der bestehenden Umstände anregen. 15 ! vgl. Brauneck 2007: 149. ! !11 Möglichkeiten der eigenen Interpretation zu bieten. Was er am epischen Theater ablehnte war der Versuch, gegenwärtige Probleme ‚objektiv’ zu erklären, da es seiner Meinung nach diese Objektivität grundsätzlich nicht gebe. Gleichzeitig benötige das dramatische Theater ein wenig mehr Objektivität bzw. mehr unparteiisches Handeln, um nicht zu sehr in Einfühlung und Sympathie abzugleiten. Seine Idee des dramatischen, nicht-bürgerlichen Theaters stellte die Aktion in den Mittelpunkt. Im Handeln soll episches und dramatisches Theater verbunden werden, wobei Satre besonders der Sprache eine aktive Rolle zubilligte und sie allein schon als Handlung sah.16 Als Beispiel für ein gelungenes Handeln bzw. für eine gelungene in Handlung umgesetzte Aktion nannte Satre die traditionelle chinesische Schauspielkunst.17 Dieser Input entfachte auch Mnouchkines Interesse für die traditionellen Theaterformen des Orients.18 Durch die Eintrittsgelder des Vortrags finanziert und durch Satres Ideen inspiriert, begann die ATEP mit ihrem ersten Stück: Die Bluthochzeit von Frederico García Lorca. Dominique Sérina, ein Mitglied der Gruppe, führte Regie und Mnouchkine kümmerte sich um Bühne und Kostüme.19 Dieses Projekt unterschied sich wenig von den Arbeiten anderer Studententheatergruppen; geprobt wurde zweimal pro Woche und die Aufführung fand in einem Gemeindesaal in Vincennes statt.20 Mnouchkines erstes Stück als Regisseurin war Gengis Kahn von Henri Bauchau, das 1961 zur Aufführung kam. Vorbilder dafür waren die Shakespeare-Aufführungen von Planchon, die Commedia dell’arte-Adaption: Arleccino, servitore di due padrone (Harlekin, der Diener zweier Herren) inszeniert von Giorgio Strehler und die Inszenierungen des Berliner Ensembles.21 Während dieser Arbeit vertiefte Mnouchkine 16 vgl. Seym 1992: 22ff. 17 1956 gastierte die Peking-Oper in Paris, deren Vorstellung Satre wie Mnouchkine beiwohnten (vgl. Seym 2007: 24). 18 vgl. Brauneck 2007: 149. 19 vgl. Singleton 1988: 49./Seym 1992: 29f. 20 vgl. Seym 1992: 20. 21 vgl. Brauneck 2007: 150. ! ! !12 auch ihr Interesse am Orient und an den dort üblichen Theaterpraktiken.22 Die Aufführung fand in den arènes de Lutèce, einem ehemaligen Amphitheater, statt. Das Stück wurde sechsmal gespielt, wobei viele Zuseher direkt von der Straße eingeladen wurden, um das Theater voll zu bekommen. Dieser für damalige Zeit unkonventionelle Ort deutet schon eine bestimmte Richtung in Mnouchkines Theaterverständnis an: Einerseits aus konventionellem (bürgerlichen) Rahmen auszubrechen und gleichzeitig zu traditionellen Theaterformen zurückzukehren.23 Diese Produktion ließ die Gruppe um Ariane Mnouchkine zusammenwachsen und einige Mitglieder der Gruppe beschlossen, von nun an professionell weiterzumachen.24 Durch Mnouchkines Mentor Planchon angeregt, trat sie 1962 eine lange Reise nach Indien, Japan, Kambodscha und Korea an, um dort ursprüngliche Theaterformen kennenzulernen.25 Für China jedoch bekam sie keine Einreise-Genehmigung.26 Aufgrund dieser Reise wurde die ATEP aufgelöst. Die Mitglieder der Truppe vereinbarten, momentan getrennte Wege zu gehen, sich aber nach zwei Jahren wieder zu treffen, um ihre Arbeit fortzusetzen.27 Bevor Mnouchkine ihre Reise antrat, arbeitete sie noch in Italien als Produktions- und Regieassistenz bem Film L’homme de Rio, um die darauffolgenden Monate finanzieren zu können.28 Da Mnouchkine auf ihrer Reise nicht nach China konnte, widmete sie sich stattdessen den alten asiatischen Theaterformen wie dem indischen Kathakali, dem japanischen Nō 22 vgl. Seym 1992: 26f. Nach den zwei Gastspielen der Peking Oper wurden Einladungen von Kabuki und Bunraku Truppen aus Japan immer häufiger. In Frankreich wurde das Interesse an orientalischem Theater - durch Artaud inspiriert - mehr und mehr zur Mode unter jungen Theatermachern (vgl. Singleton 1988: 51). 23 vgl. Seym 1992: 25. 24 ebd. 25 vgl. Brauneck 2007: 149. 26 vgl. Seym 1992: 28. 27 vgl. Singleton 1988: 51f. 28 ebd.: 52. 29 vgl. Seym 1992: 29. ! ! !13 und Kabuki sowie den balinesischen und kambodschanischen Theaterkünsten.29 Zusätzlich ließ sie sich stark von der Kultur und Lebensweise beeinflussen.30 Nach Mnouchkines Rückkehr fanden sich zehn ehemalige Mitglieder der ATEP wieder und beschlossen, ein Theaterkollektiv zu gründen. Die Vorstellung war, zusammen zu Theater zu spielen, ohne Hierarchien und Strukturen wie sie normalerweise im Theater üblich waren. Die Gründungsmitglieder waren: Myrrha und Georges Donzenac, Martine Franck, Gerard Hardy, Philippe Leotard, Roberto Moscoso, Jean-Claude Pechenat, Jean-Pierre Tailhade, Francois Tournafond und Ariane Mnouchkine.31 Auch bekam die Gruppe 1964 einen neuen Namen: Théâtre du Soleil. Dieser Name wurde einerseits gewählt, um aus den populären Abkürzungen wie TNP (Théâtre National Populaire) und TEP (Théâtre de L’Est Parisien) hervorzustechen32, andererseits wählte Mnouchkine diesen Namen, um ihre Vorliebe für Licht und Wärme und die damit verbundene Schönheit auszudrücken. Auch steckt in diesem heiter-optimistischen Grundton des Namens Mnouchkines Auffassung vom Theater als kollektives Spiel, als Fest;33 Der Begriff ‚Sonne’ wird deshalb benutzt, um durch ihre Theaterarbeit bestimmte Sachverhalte bzw. Geschichte(n) ‚in die Sonne‘ also ‚ins Licht‘ zu rücken.34 Weiters kündigte der Name ein Beziehungssystem an, das erst mit der Zeit wahrnehmbar werden sollte: Die Gruppe organisiert sich nach dem kopernikanischen Modell, bei dem die Planeten in verschiedenen Geschwindigkeiten um die Sonne, Ariane Mnouchkine, kreisen.35 Die ersten administrativen Schritte der Truppe waren die Einholung einer Genehmigung zur Gründung eines Schauspiel-Unternehmens beim Kulturministerium und die Kontaktaufnahme mit der Schauspielergewerkschaft, die den Rat erteilte, sich mit der 30 vgl. Singleton 1988: 52. 31 vgl. Seym 1992: 42f. 32 ebd. 33 vgl. Floeck 1988: 22. 34 vgl. Seym 1992: 42. 35 vgl. Banu, Georges (2003) „Ariane Mnouchkine und das Vertrauen ins Theater.“, in: Josette Féral (2003): Ariane Mnouchkine & Das Théâtre du Soleil. Berlin: Alexander Verlag, 20. ! ! !14 S.C.O.P in Verbindung zu setzten, dem Verband der Arbeitergenossenschaft der Produktion. Als offizielle Organisationsform entschied man sich für die Form des coopérative ouvrière de production. Alle Mitglieder mussten 900 Franc Startkapital einzahlen, Mnouchkine wurde zur Präsidentin, Jean-Pierre Tailhade, Phillippe Léotard und Jean-Claude Penchenat wurden zu den Geschäftsführern gewählt.36 Als Firmensitz stellte die Produktionsfirma von Mnouchkines Vater, Alexandre Mnouchkine, ein kleines Büro in der Champs Elysée 44 zur Verfügung, das allerdings zu klein war, um als Proberaum zu dienen. Die immer neue Suche nach geeigneten Probe- und Spielorten gestaltete sich in den ersten Jahren bis zum Einzug in die Cartoucherie als mühsam und schwierig.37 Da sich die Truppe noch nicht finanzieren konnte, mussten alle Mitglieder tagsüber arbeiten und trafen sich nur abends nach Feierabend und in ihrer Freizeit.38 Mnouchkine hatte relativ vermögende Eltern, sodass sie tagsüber nicht arbeiten musste, sondern die Schule von Lecoq besuchen konnte. Am Abend brachte sie alles, was sie tagsüber gelernt hatte, den Anderen bei.39 Das trainierte ihre Fähigkeiten als Lehrerin und machte sie automatisch zur Regisseurin der Truppe.40 Später lud Mnouchkine immer wieder Lehrende des Kabuki und Kathakali Theaters ein, um sich und ihre Truppe fortzubilden, aber ansonsten blieb das der einzige Kontakt zu einer staatlich anerkannten Theaterschule. Das Fehlen einer staatlich anerkannten Ausbildung stellte sich der Truppe zu Beginn immer wieder in den Weg, da sie oft als Laientheater abgestempelt wurden. Dieser Umstand löste die Idee aus, sich in ein kleines Dorf am Land zurückzuziehen, Schafe zu hüten und in Ruhe ein Stück zu proben, um dann damit auf Tour zu gehen.41 36 vgl. Seym 1992: 42. 37 ebd.: 43. 38 Die Mitglieder des Théâtre du Soleil erhielten drei Jahre kein Gehalt. Schauspieler und Schauspielerinnen, die nicht Mitglieder waren sondern als Gäste bei Produktionen mitarbeiteten, erhielten Gagen pro Auftritt (vgl. Seym 1992: 43). 39 vgl. Delago; Rebellato 2010: 31. 40 vgl. Singleton 1988: 54. 41 ebd.: 55f. ! ! !15 Nach etwa zwei Monaten verwarf die Truppe jedoch diese Idee; alle Mitglieder kamen nach Paris zurück, begannen Schauspieler zu suchen und fingen mit den Proben zu ihrem ersten Stück an: Die Kleinbürger von Maxim Gorki in einer Textbearbeitung von Artur Adamov.42 ! b.) Les Petits Bourgois (Die Kleinbürger) von Maxim Gorki ! Die Kleinbürger von Maxim Gorki markiert den eigentlichen Beginn von Mnouchkines Karriere als Regisseurin. Als Anleitung zur Arbeit mit den Schauspielern nutze Mnouchkine besonders die ‚Method‘ nach Stanislawski. So begannen die Schauspieler den geschichtlichen Hintergrund des Stücks zu ergründen und analysierten die Charaktere bis ins kleinste Detail. Dann übten sie verschiedene Körperlichkeiten der Figuren und erst nach dieser langen Vorarbeit, stiegen sie in die Szenen des Stücks ein.43 Geprobt wurde insgesamt fünf Monate.44 Mnouchkine sah ihre Aufgabe nicht darin, den Schauspielern genaue Anweisungen zu geben, sondern vor allem darin, die Improvisationen in bestimmte Richtungen zu lenken und der Aufführung eine gewisse Form zu geben - ganz im Sinne des vom Berliner Ensemble geprägten Ausdrucks: Probenleiter.45 Bis heute hat sich Mnouchkines Position kaum verändert. Allerdings ließ sie im Folgenden die Erarbeitung einer Figur nach den Methoden Stanislawskis großteils wieder. Bis heute allerdings nehmen Kostüme und Maske, die schon zu Beginn der Proben mit der Entwicklung der Charaktere entstehen, eine zentrale Rolle für die Schauspieler im Probenprozess ein. So haben die Schauspieler die Möglichkeit, sich mehrere Wochen in die originalen Kostüme einzufühlen.46 42 ebd. 43 vgl. Singleton 1988: 55f. 44 vgl. Seym 1992: 43. 45 vgl. Singleton 1988: 55f. 46 ebd. ! ! !16 Der recht ansehnliche Erfolg des Stücks, das zuerst in Paris zur Aufführung kam und dann durch die französische Provinz tourte, brachte der Truppe erste Subventionen des Kulturministeriums ein.47 ! c.) Le Capitaine Fracasse von Théophile Gautiers 1965/66 erarbeiteten die Mitglieder des Théâtre du Soleil den Abenteuerroman Le Capitaine Fracasse von Théophile Gautiers, wobei sich zum Teil schon hier der später charakteristische Stil das Théâtre du Soleil herauskristallisierte: erstens Mnouchkines Vorliebe für das Prinzip des Theaters im Theater (erstmals durch in diesem Stück eingebaute Jahrmarktsszenen versucht), zweitens verschiedene Formen des ursprünglichen Volkstheaters (Zirkus-Elemente, Akrobatik, Musik, Spiel mit Maske und Marionetten) und drittens die Spieltechniken der Commedia dell’arte.48 Besonders die Mittel Musik, Tanz und Akrobatik waren in Frankreich zu dieser Zeit im Theater wenig verbreitet und stießen beim Publikum auf großes Gefallen.49 Während des Probeprozesses arbeitete die Truppe insofern im Kollektiv, als die Schauspieler zu einzelnen Kapiteln des Romans improvisierten und Philippe Léotard, ein schriftstellerisch begabtes Mitglied der Truppe, aus diesen Improvisationen eine Textvorlage zusammenstellte.50 Wieder zog die Truppe nach der Premiere in Paris durch die französische Provinz.51 ! d.) La Cuisine (Die Küche) von Arnold Wesker Darauf folgte eine Inszenierung des realistisch-sozialkritischen Stücks La Cuisine von Arnold Wesker, welches, nachdem es von einigen Theatern abgelehnt worden war, 1967 47 vgl. Brauneck 2007: 151. 48 vgl. Floeck 1988: 22. 49 ebd. 50 vgl. Simhandl 2007: 451. 51 vgl. Brauneck 2007: 151. ! ! !17 im Cirque de Montmartre Premiere feierte. Es war ein aufsehenerregendes Ereignis, das Mnouchkine und Wesker schlagartig großen Erfolg brachte.52 Der Schauplatz von La Cuisine ist die Kellerküche eines großen Londoner Restaurants, von 7:00 Uhr morgens bis 19:00 Uhr abends. Die Großraumküche wird zum grotesken Abbild der Welt, in dem die entwürdigenden und enthumanisierenden Folgen menschlicher Fließbandarbeit Thema sind.53 Es zeigt die Hoffnungen und Ängste der Protagonisten (allesamt Küchen- und Servicepersonal), ihre Betriebsamkeit ebenso wie ihre alltäglichen Konflikte. Dreißig Köche arbeiten und die Küche ist voller Bewegung: Kellner geben Bestellungen auf, nehmen die fertigen Sachen mit, es herrscht ein Kommen und Gehen, zunächst relativ langsam, bald aber mit größerer Geschwindigkeit. Schlussendlich wird das Servieren ein einziger hektischer Wirbel.54 Hauptsächlicher Spielgestus ist das immer größere Tempo des Servierens und die absurde Zuspitzung der Arbeitsteilung. Diese Spielweise hatte eine neue realistische Komponente, die sich durch die genaue soziologische und lebensgeschichtliche Ausarbeitung der Figuren auszeichnete.55 Während der Proben besuchte Arnold Wesker Mnouchkine in Paris, da er das Stück der Truppe ohne Vorauszahlung überlassen hatte. Er traf sich mit Mnouchkine, die ihn gleich zur abendlichen Probe einlud. Mnouchkine hatte gerade Probleme damit, den Teil der Hektik und des Herumwirbelns zu choreographieren, da sie mit ihrer Truppe den Rhythmus nicht zu konkretisieren vermochte. Wesker schlug für diesen Teil eine bestimmte Zählweise vor: So mussten die Schauspieler jedes Mal innerlich zählen, bevor sie eine Bestellung aufgaben. Je schneller das Tempo des Servierens werden sollte, desto weniger weit zählten die Schauspieler. Sie begannen also damit, zwischen den Bestellungen bis acht zu zählen. In der nächsten Runde zählten sie bis sieben, dann bis sechs, bis fünf usw.56 52 vgl. Floeck 1988: 23. 53 ebd. 54 vgl. Wesker, zit. nach Féral 2003: 104. 55 vgl. Brauneck 2007: 151. 56 vgl. Wesker, zit. nach Féral 2003: 104. ! ! !18 Es ist das erste Stück, das Mnouchkines sozialkritisches Engagement in den Mittelpunkt rückte. Für sie hieß politisches Theater aber nicht, zu realistischem Theater oder intellektuellen Lehrstücken zurückzukehren. La Cuisine erregte deshalb bei Publikum und Kritik so großes Interesse, da es eine sensible Spannung zwischen hyperrealistischer Inszenierung der Bewegungsabläufe des Küchenpersonals zeigt und gleichzeitig durch die Abwesenheit realer Speisen verfremdet und stilisiert wird. So konnte diese Inszenierung die alltägliche Wirklichkeit mit theaterspezifischen Mitteln aufzeigen und immer noch genügend Raum für die Imagination der Zuseher lassen.57 Das Stück erreichte 63.400 Zuseher und wurde über zwei Jahre gespielt.58 Im Herbst 1968 reiste das Théâtre du Soleil mit diesem Stück zur Theaterbiennale nach Venedig. Peter Iden schildert in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute im Dezember 1968 seine Eindrücke zu La Cuisine folgendermaßen: ! Weskers ‚Küche‘ übrigens in einer vehementen Inszenierung Ariane Mnouchkines. Die Franzosen reißen das Stück über die Bühne, kommen zu turbulenten Kulminationen, gegen die dann, sehr formbewusst, Stille hart abgesetzt wird. […] Der proletarische Elan der Aufführung ist in Venedig allerdings doch absorbiert worden vom feudalen La Fenice.59 Zusammenfassend hat das Théâtre du Soleil in diesen ersten drei Stücken folgende Arbeitsweisen bedient: das psychologisch realistische Theater nach Stanislawski und die Lehre der neutralen Maske nach Lecoq, welche automatisch zur Commedia dell’arte führte. Durch die intensive psychologische Arbeit an Die Kleinbürger erwarben die Schauspieler bestimmte Fähigkeiten des Einfühlen und Analysieren. Man könnte dies als die erste, grundlegende ‚Zutat‘ einer gelungenen Theaterarbeit beschreiben. Von der expressiven, kreativen, kollektiven Arbeit in Le Capitaine Farcasse, die mit Pantomime, Musik und Akrobatik gemischt war, entstand die zweite ‚Zutat‘. Beides vereinte die Truppe in La Cuisine.60 Nun wollte Mnouchkine aber ein Stück finden, das zusätzlich eine dritte ‚Zutat‘ beinhaltete: die Dramatik - das heißt dramatische Handlungen. Dies 57 vgl. Floeck 1988: 23. 58 vgl. Féral 2003: 199. 59 Iden, Peter (1968) „Theaterbiennale in Venedig - ein demokratisches Fest?“, in: Theater Heute 1968/12. Berlin: Friedrich GmbH, 53. 60 ! vgl. Singleton 1988: 61ff. ! !19 hatte weniger mit den Fähigkeiten der Schauspieler zu tun, als damit, ein Stück zu finden, das nicht nur sprachlich und inhaltlich, sondern vor allem hinsichtlich seines dramatischen Bogen interessant war. Diese Idee führte Mnouchkine zu Shakespeare. Shakespeares Stücke tragen zwei Komponenten von vornherein in sich: ein guter Text und einen interessanten dramatischen Bogen. Gut ausgebildete Schauspieler finden hier die Möglichkeit, mit all ihren Fähigkeiten Figuren zu interpretieren.61 Nicht nur Mnouchkine, sondern auch Barrault und Planchon entdeckten zu jener Zeit ihr Interesse an Shakespeares Tragödien und Historischen Stücken. ! e.) Le songe d’une nuit d’été (Ein Sommernachtstraum) von Shakespeare Mit der Arbeit zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum konkretisierte das Théâtre du Soleil seine Methode des kollektiven Arbeitens. Das Ensemble bestand hier aus Schauspielern und Tänzern, wobei die Rolle des Oberon und die der Titania von Tänzern verkörpert wurden. Die Bühne und große Teile des Zuschauerraums waren mit Ziegenfellen ausgelegt, auf denen die Schauspieler und Tänzer sich rollen, sich wälzen und akrobatische Einlagen durchführen konnten.62 Mnouchkine ließ sich für diese Arbeit unter anderem von Antonin Artaud inspirieren und deutete somit die Komödie als eine Art Traum, in dem Tabus gebrochen und heimliche Wünsche offenbart werden. Auch ließ sie die Bedeutung der Worte und Texte in den Hintergrund rücken und sprach der Handlung mehr Aufmerksamkeit zu, die hauptsächlich durch körperliche Gesten erzählt wurde. Das Stück sollte nicht nur zum Träger von Sinn, sondern zum Sinnzentrum selbst werden.63 Unterstützt durch Musik und Choreographien komponierte sie ein körpersprachliches Geschehen, das 1968 wieder im Cirque de Montmartre zur Aufführung kam.64 Henning Ritschbieter beschrieb die Inszenierung in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute im Juni 1972 wie folgt: 61 ebd. 62 vgl. Brauneck 2007: 151. 63 ebd. 64 vgl. Féral 2003: 199. ! ! !20 ! ! Leder und Felle, zu Jeans und knappen Jacken verarbeitet, zeigte die Spieler als Jugendliche der sechziger Jahre. Die Elfen wandelten langsam als hohe, spitzbehütete Nachtmare heran, zu einer dünnen, sirrenden, asiatisch anmutenden Musik. Der Athenische Hof, an dem der Rausch und Wahn sich schließlich besänftigen, trat in weißen, weiten Leinenanzügen auf, indisch-orientalisch. Und alle Spieler tanzten zum Schluss Sirtaki. Eine sportive überwiegend gutgelaunte, auf nicht unsympathische Weise modische Aufführung: sie fand vor dem Mai 68 statt. In ihr freundlich gefälliges Paradies gab es nach dem Mai für die Truppe des Théâtre du Soleil keinen Rückweg.65 3. Das Jahr 1968 und seine Folgen ! Die Ereignisse vom Mai 1968 unterbrachen jäh die Arbeit des Théâter du Soleil. Mnouchkine und alle Mitglieder der Truppe solidarisierten sich mit den Studenten, unterbrachen ihre Proben und nahmen an Demonstrationen und Besetzungen teil.66 Die Studentenrevolte 1968 warf neue, kritische Fragen an die Gesellschaft auf, problematisierte deren Grundwerte und Verfassung und weigerte sich, deren Tabus anzunehmen. ! a.) Theatersituation der 50er und 60er Jahre ! Die Theaterspielpläne der 1950er und 60er Jahre waren zwar in Frankreich wie in Deutschland nicht völlig unpolitisch, hatten jedoch entpolitisierenden Charakter.67 Konflikte wurden individualisiert und ins Innere der Figuren verlagert. Zur Erklärung eignet sich das Stück Die Fliegen von Jean Paul Satre: Das Stück handelt von Orest und Elektra, die Rache an ihrer Mutter Klytaimnestra und ihrem Stiefvater Aegist üben, indem sie die beiden ermorden und so die Stadt von der Schreckensherrschaft befreien. Dieser Kampf um Freiheit kann natürlich mit der Möglichkeit des Aufbegehrens gegen das Regime verbunden werden. Allerdings geht es hier nicht um gesellschaftliches Aufbegehren, sondern viel mehr - im Sinne des Existenzialismus - um die individuelle 65 Ritschbieter, Henning (1972) „Das eingemottete Theater. Zur Situation in Prag.“, in: Theater Heute 1972/6. Berlin: Friedrich GmbH, 30. 66 vgl. Floeck 1988: 21. 67 vgl. Kraus, Dorothea (2007): Theater Proteste. Zur Politisierung von Straße und Bühne in den 1960er Jahren. Frankfurt/Main: Campus Verlag GmbH, 46. ! ! !21 Entscheidung der einzelnen Figuren. Die Freiheit an sich wird als individuell gesehen, zu der sich Figuren persönlich entscheiden und somit auch mit ihren Konsequenzen leben müssen. Dieses Stück ist gegen jede Art von Fremdbestimmung gerichtet, hat also universellen Charakter. Sartre sowie Camus ordnen somit historische Bedingungen und Zusammenhänge der Entscheidungssituation des Einzelnen unter.68 Auch die Stücke des absurden Theaters von Beckett oder Ionesco kann man in diesem Sinne nicht als politisch begreifen, da sie sich gegen ein allgemeines Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens richten. Sie greifen metaphysische Fragen auf, bieten jedoch keinerlei Antworten oder Lösungen.69 Sie tragen allerdings grundlegend zur Veränderung des Theaters in den 1950er und 60er Jahren bei: Ganz im Sinne des Vorreiters Antonin Artaud drängen auch sie die Bedeutung der Sprache als theatrales Ausdrucksmittel in den Hintergrund.70 Der Idee eines ‚totalen Theaters‘, die Artaud schon Anfand der 1940er Jahre in seinem Werk Das Theater und sein Double beschreibt, konnte sich somit angenähert werden. In den Vordergrund traten die Sprache in ihrem Ursprung sowie die Körpersprache, die Einheit zwischen Mimik, Gestik, Wort und Bewegung sowie Kostümen und Requisiten. Das psychologische Nachempfinden und das naturalistische Spiel rückten in den Hintergrund.71 Eine Strömung, die sich hauptsächlich darum bemühte, ein Volkstheater zu schaffen ein Theater für ein sozial breitgefächertes Publikum - wird vor allem mit dem Theatermacher Jean Vilar verbunden. 1951 übernahm er die Leitung des Théâtre National Populaire (kurz: T.N.P.). Anfangs verstand sich dieses Bestreben unpolitisch, als kulturelles Angebot für das gesamte Volk. Anziehen sollten zusätzlich zu den besonders günstigen Tickets auch preiswertes Essen, musikalische Einlagen vor Beginn der Vorstellung, kostenlose Garderobe und Diskussionsveranstaltungen mit den Schauspielern und Regisseuren.72 68 ebd. 69 ebd. 70 vgl. Floeck 1988: 20ff. 71 ebd. 72 vgl. Brauneck 2007: 17. ! ! !22 Als 1954 zwei Gastspiele im Rahmen des Festival international d’art dramatique de la ville de Paris von Brechts Berliner Ensemble nach Paris kamen, nahm die Politisierung der Volkstheaterbewegung in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zu.73 Diese Gastspiele übten großen Eindruck auf die vorwiegend linke Theaterszene in Paris aus. Vor allem das Stück Mutter Courage entsprach einem französischen Bedürfnis nach der Erklärung einer Gegenwart, die geprägt war durch die wirtschaftlichen und politischen Folgen des Zweiten Weltkriegs.74 Zusätzlich interessierte die Franzosen die Spielweise des Ensembles. „Die Expressivität und Authentizität der Darstellung und der im Spiel zum Ausdruck kommenden künstlerischen Konzeptionen“ bewundert der Theaterkritiker Robert Kemp in Le Mond 1955.75 Diese Gastspiele waren der Beginn einer vielfältigen Auseinandersetzung mit Brechts epischen Theater in Frankreich. In den Folgejahren entwickelte sich diese Auseinandersetzung insofern, als die Brecht’sche Theaterpraxis bald als zu realistisch und zu unmittelbar didaktisch angesehen wurde. Die Theorien und Ideologien galten aber weiterhin als Vorbild.76 Die Entwicklung des politischen Theaters hatte 1968 ihren Höhepunkt und die MaiEreignisse bedeuteten einen nachhaltigen Einfluss dahingehend, dass selbst Brechts politischem Theater vorgeworfen wurde, es sei bürgerlich.77 ! b.) Die Ereignisse im Mai 1968 ! Der Beginn der Revolte fand an der Universität von Nanterre statt, deren Studenten, beeinflusst durch die Proteste und Demonstrationen in den USA, den Hochschulunterricht zu stören begannen. Die Studenten protestierten gegen den Vietnamkrieg und sprachen sich für eine Neuerung des Hochschulsystems aus. Mit der Zeit schlossen sich immer mehr Studenten den Protesten an, wobei sie die Themen bald zu wirtschaftlichen 73 vgl. Wenkel, Christian (2014) Auf der Suche nach einem ‚anderen Deutschland‘. Das Verhältnis Frankreichs zur DDR im Spannungsfeld von Perzeption und Diplomatie. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH. Online: Google Books, 180. 74 ebd.: 181. 75 Kemp, Robert (1955): „‚Homme pour Homme’ au mardi de l’oeuvre.“, in: Le Mond 1955/3, Online. 76 vgl. Floeck 1988: 20f. 77 ebd. ! ! !23 und sozialen ausweiteten. Als von Seiten der Politik über eine Schließung der Universität in Nanterres diskutiert wurde, solidarisierten sich die Studenten der Sorbonne in Paris und besetzten die Räume der Universität. Am Abend desselben Tages wurde die Universität von der Polizei geräumt und mehr als 500 Studenten wurden festgenommen. Daraufhin gingen Tausende auf die Straße, demonstrierten gegen den Materialismus, für eine sozial gleichberechtigte Gesellschaft, forderten die Freilassung der inhaftierten Studenten und den Abzug der Polizei aus der Sorbonne. Als dies abgelehnt wurde, gingen immer mehr Menschen, unter ihnen nicht mehr nur Studenten, auf die Straße, demonstrierten und errichteten Barrikaden. Aufgrund der ideologischen Offenheit der Revolte konnten Anhänger verschiedenster Herkunft gewonnen werden. Künstler und Intellektuelle standen an vorderster Front. Jean-Paul Sartre war eine der Leitfiguren neben bekannten Bühnenkünstlern und einer kleinen Gruppe wortgewandter Studenten, die als Anführer galten.78 Die Polizei ging so hart gegen die Demonstranten vor, dass sich bald auch die Arbeiter ihnen anschlossen: Es wurde ein Generalstreik ausgerufen der insofern Wirkung zeigte, als die festgehaltenen Studenten freigelassen wurden und die Polizei aus der Sorbonne abzog. Daraufhin besetzen die Studenten die Universität wieder.79 An weiteren Demonstrationen, Streiks und Besetzungen von Fabriken und Theatern beteiligten sich nahezu zwei Million Menschen. Die Forderungen waren unter anderem: Lohnerhöhungen, 40-Stunden-Woche, Sozialversicherung, freie Universitäten und vor allem Neuwahlen. Die NachkriegsRegierung unter de Gaulles sollte reformiert werden. Als es de Gaulle und rechten Sympathisanten allerdings gelang, die Arbeiter unter Androhung der Verhängung des Ausnahmezustands wieder zu ihren Arbeitsplätzen zurückzubringen, zerbrach die Protestbewegung Stück für Stück. Nachdem sich als Reaktion auf die linken Proteste auch das rechte Lager vermehrt zusammenschloss, gelang de Gaulle ein Monat später bei den Neuwahlen ein überragender Sieg.80 Der Minister für Kultur, André Malraux, wurde durch den „alten, ehrlichen, farblosen, etwas müden Gaullismus-Getreuen“ 78 vgl. Brauneck 2007: 135. 79 ebd. 80 ebd. ! ! !24 Edmond Michelet ersetzt.81 Als erste Maßnahmen wurden die Abteilung ‚Theater und Kultur‘ aufgelöst und die Subventionen für Theater nur bis zum 1. Oktober 1969 garantiert. Der Theaterwissenschaftler Bernhard Dort schreibt im September 1969 in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute folgendes: Man hat wirklich das Gefühl, dass eine Epoche französischen Theaters - die des T.N.P. unter Jean Vilar, die der Dezentralisierung der Theater und die des Aufkommens von Theater an der Pariser Peripherie - an ihr Ende gelangt ist, bevor sie letztendlich eine wirkliche Reife erreicht hat.82 ! In diesem Zusammenhang verlor Jean-Luise Barrault die Leitung des berühmten Odéon Theaters, da er die Besetzung der Studenten geduldet hatte.83 Laut Bernhard Dort war das eigentliche Problem jedoch das Theater selbst, das durch die Ereignisse enormen Rückgang der Abonnenten- und Besucherzahl erfahren musste. Der Traum von einem Theater, das für jedermann Teilhabe an der Kunst und Kultur bereithalten sollte, konnte nicht erfüllt werden.84 Denn in dem Bestreben, die Kultur an die Massen zu tragen oder in dem Wunsch nach einer politischen […] Wirksamkeit, hat sich das französische Theater ein wenig selbst vergessen.85 ! c.) Die Auswirkungen der Protestbewegung ! Man kann sagen, dass die Auswirkungen der Protestbewegung vor allem in einem veränderten Bewusstsein der Gesellschaft bezüglich unterschiedlicher Bereiche liegen. Das Theater wurde gezwungen, über die tatsächlichen Existenzgrundlagen, über die Mittel und Methoden seiner Praxis und über seine Macht und seine Grenzen zu 81 vgl. Dort, Bernhard (1969) „Das Ende eines Traums. Das französische Theater starb im Mai 68 - es bereitet seine Wiederauferstehung vor.“, in: Theater Heute 1969/9. Berlin: Friedrich GmbH, 22. 82 ebd.: 23. 83 vgl. Brauneck 2007: 135. 84 vgl. Dort 1969: 27. 85 ebd. 86 ebd.: 28f. ! ! !25 reflektieren.86 Dies galt für das Theaterverständnis und für Theatermacher in ganz Europa.87 1969, ein Jahr nach den Ereignissen des Mai 1968, trat de Gaulle zurück, hatte aber durch seinen Wahlsieg 1968 den Machterhalt seiner Partei gesichert.88 Von da an kam es zu einer kontinuierlichen Stärkung der sozialistischen Partei, bis sie 1981 die Macht übernahm. Der Sozialist Francois Mitterand wurde Präsident und ernannte Jack Lang zum neuen Kulturminister, der bald als Symbolfigur für den Aufbruch in Richtung Innovation und Offenheit gesehen wurde.89 Er stellte die Wiederbelebung des Dezentralisierungsprogramms an erste Stelle. Daraus folgten in den 1980er Jahren enorme Erhöhungen der Theatersubventionen. Viele Theater wurden renoviert und einige neu erbaut (z.B. die Opéra Bastille in Paris).90 Die Tendenz, weg von den hochsubventionierten Nationaltheatern hin zu unabhängigen Theatertruppen, ist am enormen Publikumsaufschwung der privaten und freien Truppen zu erkennen. Laut einer Studie von 1991 vermeldeten unabhängige Theatertruppen mehr als doppelt so viele Zuseher als die Centres Dramatiques.91 Eine der größten Errungenschaften der 1980er Jahre war das Prinzip der ‚intermittence‘, wonach für die am Theater tätigen Künstler, Techniker und Produzenten eine spezifische Form der Sozialversicherung eingeführt wurde. Sie bekamen in den Phasen zwischen den Produktionen, in denen sie kein Einkommen hatten, Arbeitslosengeld. Dies trug stark zur Stabilisierung des Theaterwesens bei und ermöglichte den Künstlern eine gewisse Unabhängigkeit.92 ! ! ! 87 vgl. Gilcher-Holtey, Ingrid / Kraus, Dorothea / Schößler, Franziska (2006): Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation. Frankfurt/Main: Campus Verlag, 154. 88 vgl. Brauneck 2007: 135. 89 ebd. 136f. 90 ebd. 91 ebd. 92 ebd. ! ! !26 d.) Entstehung von Kollektiven in ganz Europa ! Ein wichtiger Ausdruck dieser Aufbruchsstimmung waren die Gründungen zahlreicher unabhängiger Theatergruppen, die sich meist als Kollektiv begriffen. Hierbei ging es vor allem um alternative Lebensentwürfe. Die Form des Kollektives wurde vielfach als ideale Form gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens probiert.93 Das wichtigste Beispiel hierfür in Deutschland war die Gründung der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin unter der Leitung von Peter Stein. Es war das erste staatlich subventionierte Theater, das direkt demokratisch aufgebaut war.94 In England ist vor allem Peter Brook hervorzuheben. Seine Theaterauffassung brachte wichtige Wendepunkte Anfang der Sechziger Jahre. Er reagierte sensibel auf die Produktionsprozesse am Theater und auf die Politischen - vom Vietnamkrieg bestimmten - Verhältnisse.95 Brook galt nicht nur in England, sondern in ganz Europa besonders in Frankreich und Deutschland - als Vorbild.96 Sein Konzept war es, mit einem multikulturellen Ensemble Kommunikationsformen, die von der Sprache unabhängig waren, zu erforschen. Seine Theaterauffassung fasste er 1968 in dem Buch Der leere Raum zusammen.97 1974 gründete er in Paris das Forschungslabor Centre 93 vgl. Gilcher-Holtey; Kraus; Schößler 2006. 94 Nachdem Stein und seine Gruppe von Schauspielern durch die Tasso-Inszenierung (Johann Wolfgang Goethes Torquato Tasso, mit Bruno Ganz als Tasso, Jutta Lampe als Prinzessin und Edith Clever als Leonore Sanvitale. Bremen: 1969) weltweit berühmt wurden, bot ihm die Stadt Berlin im Bezirk Kreuzberg ein 1962 gegründete Privattheater an, das von der Stadt subventioniert und dessen Spielplan dezidiert politisch links ausgerichtet war. Dort zogen Stein und seine Gruppe 1970 als KollektivUnternehmen ein. Geregelt wurde der Betrieb so, dass die Theaterleitung (Peter Stein, kurze Zeit Claus Peymann und der Dramaturg Dieter Sturm) und alle Mitarbeiter gemeinsam über künstlerische und organisatorische Vorgänge entschieden (vgl. Brauneck 2007: 305). 95 vgl. Gromes, Hartwin (2006) „Peter Brooks intellektuelle Theaterpraxis: Die Kultur der Verknüpfungen als Neuformulierung des Politischen“, in: Gilcher-Holtey, Ingrid / Kraus, Dorothea / Schößler, Franziska (2006): Politisches Theater nach 1968. Regie, Dramatik und Organisation. Frankfurt/Main: Campus Verlag, 189f. 1965 begann Peter Brook mit der Materialsammlung für das Stück US, welches die britische, amerikanisch und eigene Haltung zum Vietnamkrieg untersuchte. Nach monatelanger Vorarbeit und monatelanger Probenzeit, kam das Stück, produziert von der Royal Shakespeare Company, 1966 im Londoner Aldwych Theatre zur Aufführung (vgl. Gromes 2006: 190f). Zum ersten Mal hatte er ein Stück mit einer Gruppe von Co-Autoren entwickelt (ebd.: 192). 96 ebd.: 189f. 97 vgl. Brook, Peter (1983): Der leere Raum. Berlin: Alexander Verlag. ! ! !27 International de Recherches Théâtrales und baute eine professionelle Theatertruppe auf, deren Mitglieder aus verschiedensten Ländern und Kulturen stammten.98 In Italien sind der Theatermacher Giorgio Strehler und das Piccolo Theatro di Milano besonders hervorzuheben. Das 1947 von Strehler und seinem Partner Paolo Grassi gegründete Piccolo Theatro wurde durch die Inszenierungen der Stücke Nachtasyl von Maxim Gor’kij und Harlekin, der Diener zweier Herren von Goldoni weltberühmt. Von den Entwicklungen in Frankreich und Deutschland inspiriert, verließ Strehler in den 1960er das Piccolo Theatro, um eine eigene völlig unabhängige Truppe zu gründen, kehrte allerdings einige Jahre später wieder nach Mailand zurück, um seine Arbeit am Piccolo Theatro fortzusetzen. Er inszenierte eigene Stücke und lud immer wieder interessante Truppen aus ganz Europa in sein Theater ein (ua. auch im Jahre 1970 das Théâter du Soleil um die Premiere des Stück 1789 zu ermöglichen) und förderte somit den europäischen Austausch verschiedener Kollektive.99 Zusammenfassend brachte der Mai 1968 kein neues einheitliches Theater hervor, sondern eine Menge unterschiedlicher neuer Formen in allen Bereichen. Oft wurden die traditionellen Theaterbauten verlassen und andere Orte, wie zum Beispiel die Straße, öffentliche Plätze und Fabrikhallen für Theateraufführungen verwendet. Die vierte Wand - zwischen Bühne und Publikum - wurde geöffnet und man versuchte das Publikum unmittelbar in das Spiel einzubeziehen. Rationale Belehrung und intellektueller Diskurs wurden zu Gunsten emotionaler und sinnlicher Erzählweise abgelehnt. Daraus folgte, dass literarische Vorlagen immer mehr zurückgedrängt wurden, um eigene Themen und Texte zu schaffen. Diese Tendenzen wurden auch von Ariane Mnouchkine und dem Théâtre du Soleil aufgegriffen, indem sie im Revolutionsstück 1789 gänzlich auf literarische Textgrundlage verzichteten und sich im Sinne der ‚création collektive‘ ganz der Improvisation und kollektiven Schaffenslust hingaben. Der Theaterwissenschaftler Wilfried Floeck fasste das Theater in Frankreich nach der Mai-Revolte in einem Begriff zusammen: das „Théâtre différent“.100 Dieses ‚andere 98 vgl. Gromes 2006: 199. 99 vgl. Brauneck 2007: 552ff. 100 ! vgl. Floeck 1988: 22. ! !28 Theater’ – mit ‚anders‘ ist hier der bewusste Unterschied zu staatlichen Theatereinrichtungen gemeint - stellt besonders eine Neudefinition des politischen Theaters und des Volkstheaters in den Vordergrund. Anstelle eines an den Verstand appellierenden Lehrtheaters wurde eine Form gesucht, die betont sinnliche und emotionale Elemente beinhaltet und an traditionelle Theaterformen anknüpft, die - anti-intellektuell - die volkstümliche Spott- und Lachlust herausfordern. Zusätzlich wurde Volkstheater nicht mehr nur durch das Zielpublikum definiert. Egal, wer die Zuseher waren, man verstand unter Volkstheater ein Theater das sich - abgesehen vom Umgang der Theaterleute untereinander - im Umgang mit dem anwesenden Publikum vom bürgerlichen Theater unterschied. Arbeits- und Lebensform befruchteten einander, die hierarchischen Abstufungen wurden nach allen Seiten geöffnet.101 ! Wie schon zu Beginn des Kapitels angedeutet, unterbrachen die Studentenaufstände 1968 die Arbeit der Truppe, da alle Mitglieder der Truppe in einen Solidaritätsstreik mit den Studenten und Arbeitern traten. Sie demonstrierten und diskutierten, traten teilweise sogar in einen Hungerstreik.102 Ein Sommernachtstraum von Shakespeare, der erst am 15. Februar 1968 Premiere hatte, wurde vorläufig eingestellt, stattdessen spielte das Soleil - meist in besetzten Fabriken - wieder Arnold Weskers La Cuisine.103 Im Sommer desselben Jahres verbrachte die gesamte Truppe einen mehrmonatigen Aufenthalt in der französischen Provinz, um verschiedene Standpunkte zu diskutieren und neue Konzepte zu erarbeiten. Zusammen improvisierten die Schauspieler, spielten Szenen aus Shakespeare-Stücken, trainierten Körpertechniken, akrobatische Kunststücke und Zirkusnummern und übten sich in unterschiedlichen Schauspielmethoden. Dazu zählten Übungen aus dem Nō- und Kabuki-Theater sowie Stanislawskis Methoden und Übungen. Ziel dieses Aufenthalts war ein neues Verhältnis zwischen Bühne und Publikum zu finden: Das Publikum sollte als Mitspieler einbezogen werden.104 Das Ergebnis dieser Arbeit war das Stück Les Clowns, das Erste, das durch die sogenannte 101 vgl. Neuschäfer, Anne (1983): Das „Théâtre du Soleil“. Rheinfelden: Schäuble Verlag, 8. 102 vgl. Floeck 1988: 23. 103 ebd. 104 ebd.: 24. ! ! !29 ‚création collective‘ entstanden war. (Im Unterschied zum Stück Le capitaine farcasse, bei dem trotz der freien und kollektiven Herangehensweise im Probenprozess immer noch die Romanvorlage benutzt wurde, gab es nun keine vorhandene Textvorlage mehr.) Dieses Konzept des gemeinschaftlichen Erarbeitens wurde von vielen westeuropäischen Truppen übernommen.105 ! e.) création collective ! Bei der création collective werden nicht nur Vorgänge und Figuren eines Stückes im Kollektiv erarbeitet, sondern auch der Text, der - ohne Vorlage - durch gemeinsame Improvisationen entsteht. Den Begriff création collective näher zu bestimmen birgt allerdings Schwierigkeiten in der Übersetzung. Das Wort ‚création‘ meint nicht nur Produktion im Sinne der Fertigung eines Produktes für den Kunstmarkt, ‚Création‘ bezieht sich vor allem auf den „künstlerischen Moment der Schöpfung“ in dem die „Erfindung“ und die „künstlerische Originalität“ mit einbezogen sind, wie es Anne Neuschäfer in ihrem Buch Das ‚Théâtre du Soleil‘ beschreibt.106 In einer Erläuterung aus dem französischen Wörterbuch Grand Larousse de la lanque francaise heißt es auch „action de faire quelquechose qui n’existe pas encore“107. Diese Beschreibung beinhaltet neben dem Produzieren ebenfalls die Erfindung.108 Auch das Wort ‚collectiv‘ wirft Probleme bei der Definition auf. Das Wort wird schnell mit einer kommuneähnlichen Lebensform verbunden, meint aber ausschließlich die kollektive Arbeitsweise, also ein Stück, das von der gesamten Truppe gemeinsam erfunden wird.109 Mnouchkine weitete dieses Prinzip insofern aus, als die Schauspieler eine sehr lange Zeit an mehreren, verschiedenen Rollen arbeiteten, die sie sich selbst aussuchten, wobei es egal war, ob die Rollen zu Geschlecht und Alter passten. Die endgültige Besetzung 105 vgl. Brauneck 2007: 151. 106 vgl. Neuschäfer 1983: 159. 107 ebd. „Die Aktion etwas zu machen, das bis dahin noch nicht existierte.“ (M.W.) 108 ebd.: 159f. 109 ebd. ! ! !30 kristallisierte sich erst spät im Probenprozess heraus. Auch waren die Schauspieler verstärkt in den Bau des Bühnenbilds und in die Entwicklung der Kostüme eingebunden. Aus dieser gleichberechtigten Partnerschaft im Entstehungsprozess entstand eine größere Identifikation mit dem Ganzen. Die Aufführungen sollten von jedermann, ohne Umweg über einen literarischen Text, unmittelbar verstanden werden. Der Zuseher sollte der Kraft der spielerischen Suggestion, der Imagination und der Improvisation der Schauspieler folgen. Voraussetzung dafür war, dass die Schauspieler während der Proben die Tiefe der Figuren zu ergründen versuchten, um diese dann in eine vorzeigbare Form umzuwandeln, die sich hauptsächlich im Körper ausdrückt. Das heißt: Mnouchkine ging mit ihren Schauspielern den Weg von Innen nach außen. Sie wollte nicht, dass Schauspieler ihre Gefühle gut versteckten, sondern - wie in östlichen Kulturen - für ihre Gefühle körperliche Ausdrücke fanden. Denn letztendlich war für Mnouchkine das eigentliche Theater das, welches sich in den Köpfen der Zuschauer abspielt, inspiriert durch die Bilder und Handlungen auf der Bühne.110 ! f.) Les Clowns ! Das Stück Les Clowns bestand aus einer Serie von Monologen, Sketchen und artistischen Nummern, die das Ergebnis monatelanger Einzelimprovisationen waren. Rahmenhandlung war die stetige Weitergabe der Wunderblume Mandragora, die der Legende nach hilft, den geheimsten Wunsch des Besitzers in Erfüllung gehen zu lassen. Das ermöglichte den Schauspielern über die traditionell-komischen Clownsfiguren hinauszugehen und sich mit menschlichen Themen wie Liebe, Tod, Angst, Macht und Leben zu beschäftigen. Es gab märchenhafte Geschichten und Alltagsszenen (wie zum Beispiel das Leben einer Hausfrau mit vielen Kindern).111 Die Spielweise der Schauspieler war keineswegs mehr naturalistisch; vielmehr verwendeten sie stilisierte Körperzeichen und Sprechweisen. Dies wurde auch durch das Bühnenbild - einen Laufsteg und an den Seiten hängende, mit Lichtern umrahmte Spiegel - unterstützt, das zur Imagination eines Zirkus diente. Eine sichtbare 110 vgl. Brauneck 2007: 148f.; Mnouchkine, in: Féral 2003: 35; Simhandl 2007: 452. 111 vgl. Simhandl 2003: 453. ! ! !31 Musikgruppe begleitete die Schauspieler in ihren Bewegungen, Handlungen, Zuständen und Gefühlen.112 Es wurde ein Vokabular gefunden von ebenso viel Künstlichkeit wie höchster Geschicklichkeit, durch welches fünf Schauspieler von ihren intimsten Ängsten berichteten, beschrieb Bernhardt Dort im Jahre 1969 in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute seine Eindrücke des Stückes.113 „Eines der wenigen lustigen Schauspiele der Saison, […] in dem sich das Theater als Theater zeigte und bekannt gab.“114 Mnouchkine selbst betrachtete das Stück im Nachhinein eher kritisch. Es war die Quintessenz einer Reihe individueller Einzelkreationen, das den eigenen Ansprüchen des Soleil nicht ganz genügen konnte, da die behandelnden Themen zu allgemein menschlich und unpolitisch blieben.115 Brauneck spricht in seiner Analogie Die Welt als Bühne von einem missglückten Versuch in diese Richtung und lässt den Erfolg erst mit den beiden Revolutionsstücken 1789: La révolution doit s’arrêter à la perfection du bonheur (1970/71) und 1793: La cité révolutionnaire est de ce monde (1972/73) beginnen.116 ! ! 4. 8 Jahre ‚création collective’ und der Umzug in die Cartoucherie ! a.) 1789: La révolution doit s’arrêter à la perfection du bonheur ! Mit dem Stück 1789 startete das Théâtre du Soleil ein Projekt in einer neuen Größenordnung. Da schon Les clowns nicht mehr im Cirque de Montmartre gespielt werden konnte, sondern ins Théâtre de la Commune d’Aubervilliers ausgewichen werden musste, suchte Mnouchkine jetzt eine neue, eigene Spielstätte. Nach langem 112 ebd. 113 vgl. Dort, Bernhard (1969) „Das Ende eines Traums. Das französische Theater starb im Mai 68 - es bereitet seine Wiederauferstehung vor.“, in: Theater Heute 1969/9. Berlin: Friedrich GmbH, 27. 114 ebd. 115 vgl. Floeck 1988: 24. 116 vgl. Brauneck 2007: 151. ! ! !32 Drängen und zahlreichen Widerständen von Seiten der Behörde stellte die Stadtverwaltung eine Halle der Cartoucherie, einer alten Munitionsfabrik im Wald von Vincennes, für die Proben zur Verfügung.117 Das Gebäude war jedoch zu baufällig, um dort die Aufführungen stattfinden zu lassen und so nahm Mnouchkine die Einladung Giorgio Strehlers gerne an, nach Mailand in das Piccolo Teatro zu kommen, um dort die Premiere zu spielen. In Paris fehlte jedoch weiterhin ein geeigneter Spielort. Nach langem Hin und Her, der Besetzung einiger Hallen der Cartoucherie durch das Ensemble und der Unterstützung einer Stadträtin von Paris, wurde der Truppe eine Halle für eine symbolische Miete überlassen.118 In Eigenarbeit wurde das Gebäude renoviert und so konnte im Dezember 1970 die Pariser Premiere von 1789 stattfinden.119 Wie der Titel schon sagt, befasste sich das Ensemble in diesem Stück mit der französischen Revolution von 1789. Es zeigte die Geschehnisse der Revolution durch eine fiktive Schauspielergruppe. Durch diese Verfremdung des Theaters im Theater war die Gefahr gebannt, in eine historische Faktenschau abzugleiten.120 Die Illustration des einfachen Volkes und seiner Unterdrückung durch Adel und Klerus bildeten einen Teil der Inszenierung. Ein Beispiel dafür ist eine Szene, bei der Hofnarren einer Schwangeren in den Wehen das einzige weiße Laken wegnahmen, um sich die Füße zu trocken, nachdem sie sie in einem Kübel mit dem für das Neugeborene bereitstehenden, frischen Wasser gebadet hatten.121 In einer weiteren Szene sah man Bauern, die lieber ihre Kinder umbrachten, als ihnen dasselbe leidvolle Leben zuzumuten, das sie selbst führten.122 Daneben wurde das überhebliche Leben der Adeligen und des Klerus sowie die Beeinflussung des Königs durch seine Gemahlin geschildert. Szenen wie die Einberufung der Generalstände, die Beratung der 117 cgl. Simhandl 2007: 454. 118 vgl. Floeck 1988: 24f. 119 vgl. Féral 2003: 199. 120 vgl. Simhandl 2007: 454f. 121 vgl. Kessler, Sinah (1971) „Ariane Mnouchkine inszeniert ‚1789‘ im Sportpalast“, in: Theater Heute 1971/1. Berlin: Friedrich GmbH, 28. 122 ! ebd. ! !33 Nationalversammlung über die Menschenrechte und der Verkauf der Kirchengüter waren wichtige historische Ankerpunkte der Inszenierung. Den Höhepunkt bildete der Bericht über die Erstürmung der Bastille, der gleichzeitig an verschiedenen Orten und auf verschiedene Weise von mehreren Schauspielern erzählt wurde. Am Ende erklärte das Bürgertum die Revolution für beendet und schlug den Volksaufstand vom 17. Juli 1791 auf dem Marsfeld nieder. Das Stück beendete ein einziger Schauspieler, indem er den Verrat des Bürgertums aufzeigte und das Volk zu einem weiteren Kampf aufforderte.123 Man muss dem Volk zu Mut verhelfen, um die Revolution konsequenter weiterzuführen - das sollte die Botschaft sein.124 Mnouchkine suchte dieses Thema aus, da sie ein breitgefächertes, nicht-bürgerliches Publikum ansprechen wollte. Das Bewusstsein über die französische Revolution gehörte in Frankreich zum allgemeinen Bildungsgut und stieß damals auf großes Interesse. Es eignete sich auch besonders gut, um das Konzept der ‚création collective‘ weiterzuentwickeln, da es genügend Stoff für Improvisationen bot.125 Man kann die Erarbeitung hierbei in drei Phasen einteilen, die sich über ein ganzes Jahr hinzog: In der ersten Phase beschäftigte sich die Truppe theoretisch mit dem Thema. Sie besuchten gemeinsam Vorlesungen, die sich mit dieser Epoche beschäftigten, lasen zeitgenössische Text und historische Quellen, arbeiteten Referate aus, die ausgewertet und in der Gruppe diskutiert wurden. So erwarben die Schauspieler ein fundiertes und kritisches Wissen über die Geschehnisse der Revolution und die zeitgeschichtlichen Hintergründe. Hier begann auch schon die Arbeit zur Textfindung, wobei hauptsächlich auf authentische Quellen der Revolutionszeit zurückgegriffen wurde. Bei den Recherchen wurde schnell klar, dass die gewaltige Stoffmenge nicht in einem Stück untergebracht werden könnte und so beschloss Mnouchkine, den Ereignissen nach dem Massaker auf dem Marsfeld ein eigenes Stück zu widmen: Man konzentrierte sich also vorerst auf den ersten Teil der Revolution.126 Um dieses Wissen künstlerisch umzusetzen, wurden in der zweiten Phase kleine Gruppen von vier bis fünf 123 vgl. Floeck 1988: 25f. 124 ebd. 125 ebd. 126 vgl. Floeck 1988: 25f. ! ! !34 Schauspielern gebildet. Die Gruppen wählten jeweils bestimmte Ereignisse der Revolution und setzten sie dramatisch um, wobei Improvisationen die allgemeine Arbeitsform war. Dann spielten sie ihre erarbeiteten Szenen den anderen Mitgliedern vor und diskutierten wieder gemeinsam das Ergebnis. In dieser Phase entstanden parallel die Kostüme und das Bühnenbild.127 Gegen Ende, in der dritten Phase, wurden die einzelnen Szenen von Mnouchkine zu einem Gesamtspiel zusammengefügt. Somit bestand die Aufgabe Mnouchkines bei dieser Form der Arbeit zuerst im kritischen Beobachten und Korrigieren und dann in der Verbindung der einzelnen Szenen und der Koordination zu einem Gesamtwerk. Der Text trat automatisch in den Hintergrund und das körperliche Spiel rückte in den Mittelpunkt.128 Dies wurde auch mit der Darstellung der Geschehnisse durch zeitgenössische Jahrmarktschauspieler verstärkt. Gestik, Pantomime, Tanz und Akrobatik spielten eine zentrale Rolle. Die Distanzierung der Schauspieler mit den von ihnen dargestellten Figuren schaffte wirkungsvolle Möglichkeiten. Die Schauspieler spielten nie unmittelbar die historischen Figuren, sondern stellten einen Komödianten des 18. Jahrhunderts dar, der die Rolle des Königs verkörperte. Somit konnte sich der Komödiant, während er den König spielte, gleichzeitig über ihn lustig machen. Weitere Mittel der Distanzierung waren zum Beispiel der Einsatz von Kasperlefiguren und die Verwendung von überdimensionalen Puppen.129 Das Brechtsche Verfahren der Episierung verwendete Mnouchkine, indem sie mehrere Erzähler einsetzte, die das Geschehen an das Publikum vermitteln, deuten und kommentieren konnten. Sie agierten aus der Sicht des einfachen Volkes. Die markanteste Szene hierbei war der Bericht vom Sturm auf die Bastille. In dieser Szene berichteten mehrere Erzähler gleichzeitig, positioniert an unterschiedlichen Orten, um die sich das Publikum herum scharen konnte. Genau wie Brecht wollte Mnouchkine auch bekannte Wirklichkeiten durch distanzierte Verfremdung in ein neues Licht rücken. Der Zuseher sollte zur Verwunderung gebracht werden und selbst beginnen, über die Themen kritisch nachzudenken. Allerdings beruht Mnouchkines Inszenierung 127 ebd. 128 ebd. 129 vgl. Floeck 1988: 27f. ! ! !35 nicht wie bei Brecht-Stücken auf intellektueller Belehrung, sondern auf emotionaler Identifikation.130 Die Gefahr, ins Kitschig-Melodramatische abzugleiten, war durch ein hohes Maß an Komik gebannt. Ein Beispiel hierfür war eine Szene, in der der König einen Boten in ein kleines Bauerndorf schickte, damit die Bauern dem Boten einen Brief mit ihren Anliegen mitgeben konnten. Die Bauern waren begeistert. Da sie kein Papier hatten, verwenden sie einen Fetzen, als Feder rupfen sie ein Huhn und als Tinte sollte das Blut eines Knechts dienen. Nachdem sie endlich alles hatten, bemerkten sie, dass sie gar nicht schreiben konnten. Hier kippte eine heiter-komische Szenerie unmittelbar und plötzlich ins Tragische und bot gleichzeitig Raum für Identifikation.131 Das gesamte Geschehen wurde aus der Sicht der Verlierer, des vierten Standes geschildert.132 Mnouchkine wollte so mit der offiziellen bürgerlichen Beschreibung der Revolution brechen. Das bedeutete auch, dass sie keineswegs eine unpolitische Erzählung der Geschehnisse inszenieren wollte. Das Scheitern der Revolution, d.h. das Scheitern des einfachen Volkes gegenüber den bürgerlichen Gewinnern sollte unmittelbar auf die Geschehnisse von 1968 verweisen. Moscoso entwickelte dazu einen Raum mit einem Steg und vier Podien, die alle, teilweise auch synchron, bespielt wurden. Das Publikum hatte keine fixen Sitzplätze, sondern konnte entweder auf ansteigende Bankreihen an einer Querseite Platz nehmen, oder zwischen den Podien umherwandern und selbst entscheiden, welchen Szenen sie sich gerade zuwenden wollten. Die Trennung von Publikum und Bühne durch die so genannte 4. Wand wurde somit eingerissen. Die Aufhebung der Grenzen zwischen Schauspieler und Zuseher wurde wiederum in den Szenen rund um die Erstürmung auf die Bastille am sichtbarsten, in denen sich einige Schauspieler unter das Publikum mischten und so gemeinsam mit den Zusehern den Sieg der Revolution feierten.133 Zudem war das Schminken und Kostümieren der Schauspieler unmittelbar einzusehen, was den fiktionalen Charakter des Stücks unterstützte.134 130 ebd.: 28. 131 ebd. 132 vgl. Brauneck 2007: 152. 133 vgl. Brauneck 2007: 152. 134 ebd. ! ! !36 Eine Zuschauerin beschrieb das Stück wie folgt: Eine Gruppe passionierter Schauspieler erzählt den Sturm auf die Bastille, wobei die Zuschauer ins Geschehen mit einbezogen wurden, dabei entweder abseits auf den Rängen bleiben oder sich direkt unter die Revolutionäre mischen konnten. 1789 war weder ein Theaterstück noch ein Happening, sondern ein Ereignis, das das Theater destabilisierte, ohne es zu verleugnen. Es gab ihm hingegen die verlorene Freiheit der Jahrmarktsbühnen zurück, die auf die direkte Kommunikation begründet war.135 ! 1789 erreichte über 280.000 Zuseher und war somit das bisher erfolgreichste Stück des Soleils. Es wurde zu mehreren Festivals eingeladen und fuhr auf Tournee nach Martinique, Lausanne, Berlin, London und Belgrad.136 ! b.) 1793: La cité révolutionnaire est de ce monde ! Die folgenden Jahre, von 1972-73, befasste sich das Ensemble mit dem 2. Teil, also mit der Zeit nach dem Massaker auf dem Marsfeld: der Sturm auf die Tuilerien, die Enthauptung Ludwis XVI. bis zur Aufhebung der Volkssouveränität. Die Arbeitsweise war die gleiche, wieder wurden die Ereignisse aus der Sicht des Volkes veranschaulicht. Während aber in 1789 laut getönt und zum Angriff auf Ungerechtigkeit und Elend gerufen wurde, ist der Tenor nun auf Ruhe, Überlegenheit und distanziertes Verständnis gestimmt. Die Revolution hat gesiegt.137 Im Stück 1789 spielten Gaukler die Ereignisse der Revolution nach; in 1793 wurde das Volk selbst zum Akteur der Revolution, ohne die Vermittlerrolle der Jahrmarktsschauspieler.138 Zu Beginn marschierten die Schauspieler als historische Figuren auf ein Podium in einer der Hallen der Cartoucherie auf. Ein Trommelwirbel untermalte diesen Auftritt. Die gekrönten Häupter verneigten sich voreinander. Sie stellten das Bürgertum, die Gewinner der Revolution dar. Nach diesem knalligen Eingangsspektakel, ungefähr zehn Minuten später, begann das eigentliche Stück damit, dass die Zuschauer den 135 Banu, Georges (2003) „Ariane Mnouchkine und das Vertrauen ins Theater“, in: Féral (2003): Ariane Mnouchkine & Das Théâtre du Soleil. Berlin: Alexander Verlag, 18. 136 vgl. Féral 2003: 199. 137 vgl. Schlocker, Georges (1972) „Schattenloses Licht/Nebel überm Wasser. Theaterereignisse in Frankreich: ‚1793‘ und ‚Das Massaker von Paris“, in: Theater Heute 1972/7. Berlin: Friedrich GmbH, 33. 138 ! vgl. Brauneck 2007: 152. ! !37 Schauspielern durch einen Vorhang in den hinteren Teil der Halle folgen mussten. Hier wurde ein Beratungssaal mit drei erhöhten Szenentischen aufgebaut. Die Zuschauer saßen auf Bänken, Podesten und am Boden verteilt.139 Die Schauspieler rekonstruierten nun in unterschiedlichen kleinen Szenen Beratungen der Sansculotten. In diesem zweiten Teil gab es wenig Ausbrüche und Aufschwünge, wie es in 1789 der Tenor war, die Tonlage blieb gleich; zum Beispiel wurden die Tuilerien gestürmt, aber der Sieg wurde nur wenig gefeiert, zu viele Mitkämpfer waren dabei ums Leben gekommen. Es fehlte an Brot, da die Reichen das Getreide zurückbehielten, was dazu führte, dass Schlangen von Menschen vor den Bäckereien warteten. Die Wutausbrüche der Zukurzgekommenen wurden gedämpft und flüchtig dargestellt.140 Diese Stimmung der mittleren Ausdrucksebene wurde auch durch das Licht unterstützt. Die Cartoucherie war durch nahezu perfekte Illusion in Tageshelle getaucht. „Der Zuschauer sieht die Handlung sowohl wie sich selbst in ein regelmäßiges Tageslicht getaucht, das man noch nie dieserart auf einer Bühne erlebte.“ schrieb Georges Schlocker in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute 1972.141 Das Licht kam von außen durch die großen Fenster an der Decke. Siebenhundert Lichtquellen wurden auf dem Glasdach montiert. Bei Szenen die am Morgen spielten, schien die Sonne durch die Seitenfenster zu dringen. In der ganzen riesigen Halle gab es nur vier Lichtquellen, die selten für Stubenlicht sorgten. Dieses helle, sanfte, alles umspielende Licht wurde zum theatralischen Mittel, da es die Schattenlosigkeit dem Auge sichtbar machte und somit zusätzlich eine Art von Mittellage auszudrücken vermochte. „Dies ‚natürliche‘ Licht sorgt paradoxerweise dafür, dass wir uns seiner theaterbedingten Herkunft bewusst werden. Auch wir Zuseher sind gleichzeitig drinnen und draußen bei den Sanscouletten […].“142 Durch das Licht wurde eine Gemeinschaft von Handlung, Spielenden und Publikum erzeugt.143 139 vgl. Schmieding, Walter (1974) „Zu Besuch bei Thalias Töchter. Tagebuchnotizen von Walter Schmieding.“, in: Theater Heute 1974/12. Berlin: Friedrich GmbH, 2. 140 vgl. Schlocker 1972: 34. 141 Schlocker 1972: 34. 142 ebd.: 35. 143 ebd. ! ! !38 Wieder bediente sich Mnouchkine an Brecht’schen Mitteln: Jeder Schauspieler hatte eine Rolle als ‚sectionnaire‘ und sprach zugleich abwechslungsweise dazu Kommentare. Die Kommentare bestanden aus Zusammenfassungen historischer Sachverhalte und Interpretationen der Texte. Als Erzähler hatte der Darsteller die Aufgabe, auf die Geschehnisse hinzuweisen, als Schauspieler trug er zu ihnen bei. Wieder wollte Mnouchkine im Vergleich zu Brecht alles Didaktische vermeiden; die Kommentare wurden aus dem Off gesprochen. Diese grauen Stimmen, die aus dem Off kamen, vermitteln den Eindruck einer Körperlosigkeit.144 Im April 1974 filmte Walter Schmieding - Kulturjournalist, Moderator der ZDFSendung ‚aspekte‘ und Intendant der Berliner Festspiele von 1969 bis 1973145 - eine Vorstellung von 1793 mit. In einem Tagebucheintrag vom 19. April 1974 schrieb er folgendes: ! 1793 […] ist ein zeitgenössisches politisches Theater, manchmal sinnlich, manchmal theoretisch, hat viel von einem Brecht’schen Lehrstück (und 1789 wäre dazu eine Art Dreigroschenoper). […] Am meisten Beifall kommt auf, als die Revolutionäre ‚ihre‘ Verfassung entwerfen, die die Zuschauer direkt auf die IV. Republik beziehen.“146 Durch den Schlusstext vermittelte die Truppe noch einmal ihre politische Philosophie. Theaterspiel bedeutete für sie nicht nur bloße szenische Darstellung der Vergangenheit, um dem Publikum einen Blick in die Gegenwart zu ermöglichen, sondern die Materialisierung von Licht und Gebärde in eine Vision, in der Kunst und Politik gleichermaßen ihren Platz finden sollten.147 Nachdem 1793 im März 1972 Premiere hatte, spielte die Truppe immer wieder beide Stücke hintereinander, was für Schauspieler wie auch für Publikum eine große Herausforderung war. Der Ablauf sah folgendermaßen aus: Um halb sieben endete die Nachmittagsvorstellung von 1789. Dann wurde in einer Stunde das Bühnenbild aus der Halle geräumt, selbst die Tribüne wurde abgebaut. Um acht Uhr stand in der Nebenhalle alles für 1793 bereit. Alle Schauspieler mussten mitarbeiten. Inzwischen hielten sich die 144 ebd.: 34. 145 vgl. Der Spiegel Online: „Gestorben. Walter Schmieding.“, in Der Spiegel 21/1980. http:// www.spiegel.de/spiegel/print/d-14318481.html Zugriff: 27.6.16 146 Schmieding 1972: 2. 147 vgl. Schlocker 1972: 35. ! ! !39 Zuseher im Foyer an der Bar auf oder nahmen auf Klappstühlen, die kurz vor Ende der ersten Vorstellung von den nicht-spielenden Mitgliedern der Truppe bereitgestellt wurden, Platz. Es gab Wein, Limonade, belegte Brote und andere Kleinigkeiten zu essen. Diejenigen aus der Truppe, die Küchendienst hatten, bereiteten alles selbst vor. Um acht Uhr fing die nächste Vorstellung - 1793 - an. Dieses Stück hatte eine Pause, die vor allem für die Schauspieler, die schon seit vier Uhr spielten notwendig war. Das Stück endete knapp vor Mitternacht. Danach musste noch das Nötigste aufgeräumt werden.148 Insgesamt erreichte dieses Stück 102.370 Zuschauer und wurde über ein Jahr lang gespielt.149 ! c.) Die Cartoucherie ! Die Cartoucherie wurde zu einer Oase für Theaterliebhaber. Binnen kurzer Zeit etablierte sich der Ort zu einer anerkannten Bühne. Zuschauer aus aller Welt strömten dorthin, um diesen Ort und diese Art von Theater zu erleben. Bis heute kommen die Zuschauer oft eine Stunde vor Stückbeginn, manche sogar schon früher. Essen und Trinken, das zum Thema des Stücks passt, wird ausgegeben, alles ist geschmückt. Die Zuseher haben die Möglichkeit, den Schauspielern beim Schminken und bei der Vorbereitung auf die Vorstellung zuzusehen. Für Mnouchkine ist es wichtig, diese Rituale durchzuführen, da man so gemeinsam mit dem Publikum die Reise in das Stück antreten kann. In diese Welt einsteigen heißt für sie, dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich mit allen Sinnen auf das Folgende einzulassen. Die Cartoucherie liegt mitten im Wald von Vincennes im Osten von Paris. Von Paris aus kann man mit der Metrolinie 1 bis zum Château de Vincennes fahren, von dort fährt man entweder weiter mit dem Bus bis in die Nähe der Cartoucherie, oder man geht zu Fuß.150 Vom Stadtkern aus berechnet, muss man mindestens eine Stunde vor Beginn der Vorstellung die Metro nach Vincennes erreicht haben. Autofahrer müssten wegen nicht seltener Abend-Staus im Durchschnitt mit eineinhalb Stunden Anfahrtszeit rechnen. Die 148 vgl. Schmieding 1974: 2. 149 vgl. Féral 2003: 199. 150 vgl. Öffentlicher Personenverkehr Paris. www.ratp.fr Zugriff: 15.4.16 ! ! !40 Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist umso schwieriger, als nur am Wochenende die Metro die ganze Nacht fährt. Unter der Woche muss man die letzte Metro um ungefähr 00.30 erreichen, was bei der langen Spieldauer einiger Stücke unmöglich ist. Das ist mit Grund dafür, dass die Vorstellungen nur von einem bestimmten Zuschauerkreis besucht werden, zu dem hauptsächlich Studenten und junge Akademiker zählen. Durch die ungünstige Lage ist vor allem die werktätige Bevölkerung und die ältere Generation vom Theaterbesuch ausgeschlossen.151 ! Um die Cartoucherie in Stand zu halten, übernehmen auch die Schauspieler neben den Proben und Aufführungen verschiedene Arbeitsbereiche. Das hat einerseits damit zu tun, dass es aus finanziellen Gründen keine andere Möglichkeit gibt, andererseits geht es hierbei auch um die Ideologie des Theaters: Im Theater, so wie es Mnouchkine versteht, macht jeder alles, wie in einer Art Genossenschaft.152 Es sind keine riesigen Arbeiten, die die Schauspieler machen müssen, aber es geht darum, den Ort für das Publikum vorzubereiten. Dazu gehört es, die Toiletten zu säubern, in der Küche zu helfen, die Bar herzurichten, den Empfang vorzubereiten, Sitzreihen in Ordnung zu bringen, die Bühne zu putzen, Reparaturen an den Requisiten vorzunehmen, Tourneen vorzubereiten, die Garderoben zu reinigen und die ganze Arbeit zu organisieren.153 Das führt dazu, dass Schauspieler, die in das Théâtre du Soleil eintreten, sich unter anderem zeitlich völlig hingeben müssen. Wohl bekommen alle Mitglieder (gleichviel) bezahlt, jedoch sind es sehr niedrige Gagen.154 Nach den beiden Revolutionsstücken begannen im Herbst 1973 die Proben zu L’age d’or. Im ersten Probenjahr bezogen die Schauspieler Arbeitslosengeld, was jedoch so gering war, dass man nur jeden zweiten Tag proben konnte, um Nebenjobs zu ermöglichen. Als das nicht wirklich funktionierte, machte die Truppe im Mai 1973 eine öffentliche Aktion, die sich gegen die Kulturpolitik der Pompidou-Regierung wendete. Der zuständige Minister Maurice 151 vgl. Paul, Arno (1975) „Ein goldenes Zeitalter des Theaters?“, in: Theater Heute 1975/13. Berlin: Friedrich GmbH, 88. 152 vgl. Azencot, zit. nach Féral 2003: 94f. 153 ebd. 154 vgl. Simhandl 2007: 454. ! ! !41 Druon reagierte darauf, indem er alle Subventionen einfrieren ließ. Infolgedessen solidarisierten sich eine Menge Pariser Künstler, verkauften Werke zugunsten des Théâtre du Soleil und viele Unterstützer des Theaters kauften im Voraus Karten für die bis dahin unvollendeten Vorstellungen. Als 1974 Georges Pompidou verstarb verdoppelte die neue Regierung unter Valéry Giscard d’Estaing die Subventionen und versprach dem Théâtre du Soleil die Schulden des Theaters zu übernehmen. Dies geschah in erster Linie aufgrund von großem Druck der Öffentlichkeit. Für die Instandsetzung und Unterhaltung der Cartoucherie musste die Truppe trotz überwiegender Eigenarbeit 1970 über 600.000 Franc Schulden auf sich nehmen, was trotz der zahlreichen Besucher von 1789 und 1793 nicht wieder herein gespielt werden konnte.155 Durch die hinzukommenden Subventionen die fast eine Million Franc umfassten, war es möglich, den Raum für L’age d’or noch einmal komplett umzubauen.156 Trotz der Zuschüsse der Stadt Paris und privater Förderer können die Schauspieler mit dem niedrigen Gehalt gerade überleben. Die Förderungen haben sich zwar im Laufe der Jahre erhöht, entsprechen aber bis heute nicht dem Standard in Deutschland. bzw. Österreich. Philippe Hottier beschrieb 1984 - kurz nach seinem Austritt aus dem Soleil in der Zeitschrift Theater Heute folgendes: ! Man kann nur dann wirklich zum Théâtre du Soleil gehören, […] wenn man Junggeselle ist, ohne Familie, ohne Kinder, ohne Liebesgeschichten woanders. Es nimmt unsere ganze Zeit, unsere ganze Energie, und gleichzeitig verdammt es uns zu einem eingeschränkten Leben, materiell meine ich.157 d.) L’age D’or ! L’age d’or (Das goldene Zeitalter) war vorerst die letzte Stückentwicklung ohne Textvorlage. Das Stück drehte sich um das Leben eines algerischen Gastarbeiters 155 vgl. Paul 1975: 87f. 156 ebd.: 89. 157 Hottier, Philippe (1984) „‚Ariane ist mein Meister, auch wenn ich heute alles beschissen finde‘ Falstaff geht - ein Schauspieler über seine Gründe, das Théâtre du Soleil zu verlassen“, in: Theater heute 1984/13. Berlin: Friedrich GmbH, 21. ! ! !42 (Abdallah): von seiner Ankunft in Frankreich über die Ausbeutung bis zum Tod auf einer Baustelle.158 Hierfür baute die Truppe zwei der ehemaligen Munitionsschuppen der Cartoucherie komplett um. So entstanden - aus Vogelperspektive beschrieben - vier Mulden, die rund um ein Damm-Kreuz in der Mitte lagen. Von diesem Kreuz aus konnte man den gesamten Raum überblicken. Dafür wurde als Untergrund Erde verwendet - da sie leicht zu modellieren war - die mit einer dünnen Spannbetondecke überzogen wurde. Darüber wurde ein gelblich-brauner Sisalteppich von insgesamt 1700 Quadratmetern gelegt. Er sollte den Eindruck von Sanddünen erwecken. Die Decke wurde mit einem Kupferblech bezogen und man montierte 4000 Glühbirnen, die den Raum durch ihre zahllosen Spiegelungen mit warmem, weichem Licht fluteten. An den Wänden wurden 72 Lautsprecher aufgebaut.159 Die Eingangshalle blieb, wie sie für 1793 gestaltet wurde. Dort begann das Stück.160 Nach dem Empfang, als alle Zuseher angekommen waren, trat Arlequin auf die Bühne, stellte sich an die Rampe, zog seine schwarze Ledermaske über sein Gesicht und begann mit seiner Einführung. „Wir befinden uns in Neapel im Jahre 1720“161 Die erste Szene war an die Commedia dell’arte angelehnt und handelte davon, wer der Schuldige an der vor kurzem in Neapel ausgebrochenen Pest sei, da der Prinz einen Verantwortlichen suchte. Arlequin sollte ihm bei der Suche helfen. Es stellte sich heraus, dass der Schiffsreeder Pantalon und der Bürgermeister dafür verantwortlich waren, da sie ein pestverseuchtes Schiff im Hafen anlegen ließen. Als Arlequin den beiden auf die Schliche kam, zwangen sie ihn, einen anderen Schuldigen zu finden, um selbst der Bestrafung zu entgehen. Arlequin versuchte daraufhin, einen gerade aus Algerien gekommenen Gastarbeiter - Abdallah - auszutricksen, der jedoch naiv antwortete, dass es gar nicht möglich sei, denn er lebe im 20. Jahrhundert. Mit dieser überraschenden Wende endete das Vorspiel. Die Vergangenheit wurde zur Gegenwart. 158 vgl. Simhandl 2007: 454. 159 vgl. Paul 1975: 89. 160 ebd. 161 Paul 1975: 90. ! ! !43 Das Publikum wurde nun in die neue Halle geführt und durfte sich auf den Hängen der ersten Mulde niederlassen.162 Diese historische Darstellung der Szenerie provoziert gleichzeitig Verfremdung und Nähe. Genau wie die ganz offensichtlich theatralische Lösung des Problems.163 Nach dieser Neapel-Episode kamen sieben lose aneinander gehängte Szenen in den vier Mulden, die den Lebenskampf des algerischen Gastarbeiters in Frankreich erzählten. Sein wichtigster Gegenpart war der Kapitalist Marcel Pantalon. Nach jeder Szene wechselte man die Mulde, wobei die erste Mulde als Trägerin des Haupthandlungsstrangs diente und die drei anderen eher für Nebenhandlungen verwendet wurden. Eine Erzählerin teilte den Schauspielern - welche wie das Publikum locker an den Rändern der Mulde saßen - immer wieder Rollen zu, die diese wie ein Werkzeug übernahmen. Die Schauspieler trugen Commedia dell’arte-Masken.164 Diese neue Dramaturgie unterscheidet sich deutlich von den eindeutig parteiergreifenden Revolutionsstücken 1789 und 1792. L’age d’or entwarf kein geschlossenes Zeitfenster, sondern war vielmehr ein Kaleidoskop verschiedener Szenen, die mehr oder weniger miteinander zu tun hatten und die unterschiedliche Themen ansprachen. Dies begründete Mnouchkine damit, dass wir in einer „schrecklich zerstückelten und zersplitterten Welt“ leben und dass die „Wirklichkeit heute für uns viel komplexer, viel schwerer zu fassen“ sei.165 Zwei Szenen dienen besonders gut zur Beschreibung der Spielweise der Schauspieler: 162 ebd. 163 Die zwei wichtigsten Figuren aus der Commedia dell’arte sind die Pantalones und die Arlequins. Der Unterschied liegt nicht unbedingt in ihren Charaktereigenschaften, sondern mehr in ihrer Stellung in sozialen Beziehungen und den daraus resultierenden Möglichkeiten. Im übertragenen Sinn gehören die Pantalones zu den Produktionsmitteleigner, während die Arlequins den gesellschaftlichen Reichtum schaffen, aber als Arbeiter, also Lohnabhängige, keine Vorteile davon haben. Die Konflikte der Stücke laufen aber freilich nicht nur zwischen diesen beiden Klassen ab, sondern auch innerhalb derselben. Die klassische italienische Figur des Pantalone leitet sich vom venezianischen Kaufmann ab, dessen Charaktereigenschaften man als lüstern, geizig und ohne viele Talente beschreiben könnte. Der Arlequin ist hingegen lebenstüchtig und naiv und schlägt sich meist als Diener des Pantalone durch. Das Publikum lacht aber Großteils über den einen anders als über den anderen, was allerdings nicht unbedingt mit Gut und Böse zusammenhängt. Man lacht gewissermaßen über die Pantalones und mit den Arlequins (vgl. Paul 1975: 90). Abdallah gehörte zur Gruppe der Arlequin-Figuren. 164 vgl. Paul 1975: 89f. 165 vgl. Brauneck 2007: 153. ! ! !44 Die eine Szene handelte davon, dass Abdallah in einer billigen Herberge seine erste Nacht in Frankreich verbringt. Der Schlafsaal, in den er geführt wird, ist jedoch derart vollgestopft von orientalischen Gastarbeitern, dass er nur ein taschentuchgroßes Stück Platz findet, auf dem er sich mühsam versucht hinzulegen und zuletzt in einem artistischen Kopfstand einschläft. Das Antirealistische der Szene folgte daraus, dass Abdallah die gesamte Szene auf einer leeren Bühne spielte, indem er versuchte, möglichst niemanden anzustoßen und aus dem Schlaf zu wecken und sich so, ängstlich bedacht, durch die Menge schlängelte. Die Überfüllung des Schlafsaals blieb also in der Imagination und wurde nur durch das Spiel des Schauspielers dargestellt.166 Die zweite Szene war der Sturz Abdallahs von der Gerüstspitze der Baustelle. Hinaufgeklettert war er nur, weil er auf den versprochenen Zuschuss nicht verzichten konnte. In diesem Moment der größten Hoffnung stürzte Abdallah zum Requiem von Verdi in die Tiefe. Dargestellt wurde dies dadurch, dass Abdallah vom obersten Punkt der Mulde in die Tiefe rannte, immer wieder anhielt und mit Armen, Händen, Beinen, Mund und Augen die eigentliche Geschwindigkeit des Fallens ausdrückte und zugleich die Reaktion und das Entsetzen veranschaulichte. Unten angekommen, raste er wieder hinauf und stellte das gleiche von der Seite und beim dritten Mal von vorne dar. Die Glühbirnen gingen langsam aus und durch die Fenster drang, wie schon bei 1793, das fahle Licht des Morgens.167 Daraus kann man zwei typische Merkmale des Théâtre du Soleil erkennen: einerseits das antirealistische, imaginierende Spiel und andererseits die Dominanz der Körpersprache, die in den Folgejahren eine noch größere Rolle spielen wird. Mnouchkine wollte ein Stück über die Gegenwart, speziell über den Alltag der Gesellschaft entwickeln. Ein besonders wichtiges Mittel neben der Verfremdung ist die Komik. Sie dient zur emotionalen Entlastung des Zusehers über die unerträglichen Entwürdigungen der Menschen, speziell der Person des algerischen Gastarbeiters. Das Lachen soll jedoch keineswegs die kritisierten sozialen Verhältnisse kompensieren. 166 vgl. Floeck 1988: 30. 167 vgl. Paul 1975: 96f. ! ! !45 In der Cartoucherie erreichte das Stück ca. 96.000 Zuseher und auf Tourneen, die die Truppe über Warschau, Venedig und Louvain-la-Neuve bis nach Mailand führte, noch einmal 102.000 Zuseher.168 ! e.) Molière - Ein Filmepos über das Leben von Molière ! 1978 kam der Spielfilm Molière in die französischen Kinos, an dem das Théâtre du Soleil seit 1976 arbeitete. Die Dreharbeiten begannen im Jänner 1977 und sollten bis Juli abgeschlossen sein, um den Film im Oktober 1977 in die Kinos zu bringen. Doch es verlief anders als geplant: die Dreharbeiten zogen sich bis in den Herbst und erst bis zum Jahresende war die Rohschnittfassung fertig. Mnouchkine beschloss dann jedoch den Film nochmals völlig neu zu schneiden, sodass Molière erst im Mai 1978 veröffentlicht wurde, gerade noch rechtzeitig um bei den Filmfestspielen von Cannes als Wettbewerbsfilm anzutreten.169 Molière besteht aus zwei Teilen, die insgesamt eine Länge von über vier Stunden haben. Der erste Teil erzählt sein Leben bis zu dem Punkt, an dem Molière eine lange Wanderschaft mit seiner Schauspielertruppe durch die französische Provinz antritt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit seinem Leben am Hofe von Ludwig XIV. bis hin zu seinem Tod auf der Bühne.170 Als sich das Théâtre du Soleil für das Stück L’age d’or intensiv mit der Commedia dell’arte beschäftigte, gehörte auch eine intensive Auseinandersetzung mit Molières Theater dazu. Vermutlich entstand aus diesen praktischen Studien der Plan für den Molière-Film.171 Als literarische Vorlage für das Drehbuch - welches Mnouchkine 168 vgl. Féral 2003: 199. 169 vgl. Paul, Arno (1978) „Ein großes Scheitern. Ariane Mnouchkines Filmepos über das Leben Molières.“, in: Theater Heute 1978/13. Berlin: Friedrich GmbH, 131. 170 vgl. Mnouchkine, Ariane - Théâtre du Soleil: Molière. Collectors Mine GmbH 1978. 171 vgl. Paul 1978: 136. ! ! !46 schrieb - diente der Roman Das Leben des Herren de Molière von Michail Bulgakow.172 Inspiriert von Bulgakow nutzt auch Mnouchkine Molières Leben und seine Begeisterung für das Theater, um ihr eigenes Leben und die Entwicklung des Théâtre du Soleil zu erzählen: Der Film beginnt mit einem alten, kranken Molière, der trotz seines Zustands am Abend eine weitere Vorstellung von Der eingebildete Kranke spielen will. Nach dieser kurzen Einstellung springt die Kamera auf einen Dachboden, in dem der ca. neunjährige JeanBaptiste Poquelin mit seinen Freunden und Geschwistern kindlich herumtollend Theater spielt. Die Kindheit Molières wird auf liebevolle Weise Phase für Phase wiedergegeben. Eine besonders einprägsame Situation ist die, in der Jean-Baptiste von einem Streit auf der Straße nach Hause kommt und seinen kleinen Bruder vom Schoß der Mutter geschickt weglockt, um es sich selbst dort gemütlich zu machen. Nach wenigen Minuten kommt der Vater herein und schickt wiederum Jean-Baptiste gebieterisch weg, nur, um sich selbst in den Schoß seiner Frau zu legen. Es ist eine liebevolle Szene über die sozialpsychologische Ableitung zärtlicher Bedürfnisse und deren Durchsetzung.173 Es gibt zwei Schlüsselszenen für Molières Entschluss zum Theater zu gehen. Die erste Szene beginnt mit dem Fest der Heiligen drei Könige und einem traditionellen Spiel, wodurch ein Familienmitglied für eine Nacht zum König wird. Mitten aus der heiteren Atmosphäre heraus springt die Kamera in einer langen Einstellung auf die schweißnasse, offensichtlich schwer kranke Mutter. Im nächsten Moment ist die Mutter bereits verstorben und der hilflose Großvater geht mit den verlorenen Kindern auf den Jahrmarkt, um sie abzulenken. Dort spielt eine Theatertruppe eine Komödien-Szene zwischen dem wütenden Pantalone und dem als Gevatter Tod verkleideten Arleccino. Völlig fasziniert von diesem Spiel erhellen sich die Züge von Jean-Baptiste wieder. Er 172 ebd. Bulgakows - als Roman verpackte - Biographie setzt den Schwerpunkt darauf, ein intimes sozialpädagogisches Portrait von einem Künstler, seinem Theater und seinem Verhältnis zum Publikum zu schildern. Inhaltliche und dramaturgische Beschreibungen von Molières Stücken werden außen vor gelassen. Bemerkenswert ist hier vor allem Bulgakows großes Interesse an Molière als Mensch, welches darauf zurückzuführen ist, dass sein eigenes Leben vergleichbare Züge hatte. Molière, der von vielen Zeitgenossen angefeindet wurde, hatte plötzlich das Glück in die Gunst des Königs Ludwig XIV. zu geraten. Bulgakow lebte in der Sowjetunion und war in einer ähnlichen Situation, bis Stalin ihn unterstützte und ihm eine Stelle als Regie-Assistent vermittelte, von der aus er sich Stück für Stück hocharbeiten konnte (vgl. Russlandjournal 2016. http://www.russlandjournal.de/russische-literatur/ michail-bulgakow/ Zugriff: 10.5.16). 173 ! vgl. Paul 1978: 132. ! !47 schaut in die Höhe zu einem mit Flügel ausgestatteten Menschen, der über die Köpfe der Menschen fliegt, steigt bildlich mit ihm in die Höhe, sieht aus der Vogelperspektive das Treiben, und landet als junger Mann wieder am Boden. Diese Einstellung geschieht ohne Schnitt. In dem Moment, als die Kamera wieder auf den Boden zurückkehrt, steht dort statt Frédéric Ladonne, der Molière als Knaben spielt, Phillipe Caubère, der von nun an den Protagonisten verkörpert.174 Die zweite Schlüsselszene, die Jean-Baptiste endgültig vom Theater überzeugt, erlebt er als ca. 18-jähriger Student der Rechtswissenschaften in Orleans: Die Rektorenschaft entscheidet im Einvernehmen mit der Polizei, dass alle Studenten vom alljährlichen Karneval ausgeschlossen sind, um unzüchtiges Verhalten zu vermeiden. Die Studenten sammeln sich jedoch und revoltieren gegen diese Bestimmung mit einem Faschingszug der - im Gegensatz zu den vorgegangenen Jahrmarktsszenen - durch eine bedrohlich geballte Masse dargestellt wird. In dämonischen Teufels- und Tiermasken stürmen die Studenten gegen die verschlossenen Türen des Collège, schaffen es diese zu öffnen und teeren und federn die faschingsfeindlichen Verwalter ein. Der Aufstand wird jedoch von der Staatsmacht brutal niedergeschlagen, welche ein Blutbad unter den Masken anrichtet. Jean-Baptiste kann sich nur in letzter Sekunde retten und gerät zufällig in ein Theater, in dem gerade eine Vorstellung stattfindet. Zerschlagen und müde betrachtet er zuerst nur die Gesichter der Zuseher und bemerkt erst am Ende der Vorstellung die Schauspielerin auf der Bühne.175 Die Textstelle, die Mnouchkine am Ende dieses zerschlagenen Studentenaufbegehrens auswählt, ist folgende: Wir haben nicht die blutigen Tage vergessen, da der Tyrann nach seinem Ermessen töten und foltern lies. Ohne Gnade, als das Volk erlitt seine Niederlage. Anstatt den Mördern entgegenzutreten gab es Feiglinge, die um ihr Leben flehten. […] Tränen wurden vergossen und Ströme von Blut. Auch die tapferen Männer verloren den Mut. […] Der Dolch ist geschliffen, der uns befreit, wir wollen endlich Gerechtigkeit. Durch die Straßen gellt ein einziger Schrei: Nieder mit der Tyrannei. Freiheit dem Volk und Tod dem Tyrannen! […]176 ! Danach stirbt die Schauspielerin eines Märtyrertodes. Dieser Text ruft das Volk auf wie schon im Stück 1789 - mehr Mut für die Vollendung der Aufstände zu finden. 174 vgl. Molière 1978. 175 ebd. 176 Madeleine Béjard (Joséphine Derenne) in Molière 1978. ! ! !48 Nach dem Ende der Vorstellung geht Jean-Baptiste traumverloren hinter die Bühne, wo er Stimmen und Gelächter hört. Er entdeckt die nackten Schauspieler, die sich gegenseitig waschen und miteinander scherzen. Die Schauspielerin, die er auf der Bühne bewundert hat, fordert ihn freundlich auf, einzutreten. Schüchtern lässt sich JeanBaptiste auf den Rand eines Waschbeckens sinken und fällt prompt hinein. Dieser lächerliche Zwischenfall löst zwischen den beiden ein spontanes Einverständnis aus. Die Schauspielerin ist Madeleine Béjard, seine Lebensgefährtin für die nächsten zwanzig Jahre. Diesem Erlebnis folgt der Entschluss Jean-Baptistes Schauspieler zu werden.177 Dementsprechend entscheidet sich Jean-Baptiste nicht aufgrund der unmittelbaren Darstellung auf der Bühne, sondern vor allem, weil er sich vom Leben hinter der Bühne angezogen fühlt. Nach Molières Eintritt in die Truppe, folgt die erste erfolglose Aufführung und ein Gespräch mit Gläubigern, die ihnen kein Geld mehr geben wollen.178 Diese Szene erinnert an die anfänglich vielmals gescheiterten Versuche Mnouchkines, Geld von Sponsoren zu bekommen. In unterschiedlichen Momenten weist Mnouchkine durch die Schauspielertruppe auf ihre eigenen Vorstellungen von Theater hin. Zum Beispiel in einer Szene, als die Truppe ihr erstes Stück einstudiert und gerade dabei ist, die Bühne herzurichten: Es werden viele Luster mit Kerzen an die Decke gehängt und alle im Raum staunen über die Schönheit des Lichtes, das diese Kerzen verströmen.179 Ein Bild, das als die dreizehnjährige Wanderschaft Molières durch die französische Provinz widerspiegelt, ist folgendes: Eine Wanderbühne wird vom Wind weggefegt und kommt ins Rollen, bis sie knapp vor einem Abgrund glücklicherweise stehen bleibt. Die Schauspieler schaffen es, sich irgendwie auf der Bühne zu halten, aber nachdem die Bühne endlich zum Stillstand kommt, beginnt eine Schauspielerin einen Anderen anzubrüllen: 177 vgl. Molière 1978. 178 ebd. 179 ebd. ! ! !49 Weiterspielen! Das Spiel geht weiter was auch immer geschieht. Wir stehen auf den Brettern, wir trotzen den Gefahren. […] Der Wind wird die Meere beherrschen, aber den Komödiant wird er nie beherrschen!180 ! Kurz danach endet der erste Teil des Films. Zusammenfassend erkennt man vor allem im ersten Teil, dass Mnouchkine die Geschichte(n) durch Schauspieler so zu erzählen versucht, dass sowohl die konkrethistorischen Theaterverhältnisse, als auch die subjektiven Erfahrungen der eigenen Existenz veranschaulicht werden.181 Mnouchkine vermied es, einerseits Beweise für die besonderen künstlerischen Fähigkeiten Molières zu suchen und sie über die der anderen in der Truppe zu stellen, setzte allerdings durchaus seine Überredungsgabe und seinen Willen in den Vordergrund.182 Andererseits kennzeichnete sie Molières Vorrangstellung als Leiter der Truppe nicht durch individuelle Allüren, sondern zeigte, wie sich große geschichtliche Leistungen oftmals unbewusst anbahnen, indem Molière als eher stille, unauffällige Person dargestellt wurde.183 Diese zwei Entscheidungen ließen den enormen Entwicklungsprozess und die Entschlossenheit seiner eigenwilligen Entscheidungen, schwer erkennen. Mnouchkine schrieb zwar ein Drehbuch, versuchte aber, den im Film herrschenden Zwängen zur Ökonomisierung und Hierarchisierung zu trotzen und diese Produktion als gemeinschaftliches Projekt anzusehen.184 Soweit es möglich war, versuchte sie auch hier die gemeinschaftliche Erarbeitung der Szenen zu realisieren.185 In einem Interview mit Renate Klett 1978 beschrieb Mnouchkine die Vorgehensweise folgendermaßen: Bei unserem Film hatten wir eine ganz andere Ausgangslage als in der Theaterarbeit, weil ich das Drehbuch geschrieben hatte, die Dialoge also nicht wie sonst kollektiv entstanden sind. Schauspieler und Techniker waren in der Situation von Interpreten, die meine Vision von Molière annehmen oder ablehnen konnten. Sie haben sie angenommen und auf der 180 ebd. 181 vgl. Paul 1978: 136. 182 ebd.: 134. 183 ebd. 184 vgl. Klett, Renate (1979) „Ein großer Reigen als deutsches Geschichtspanorama.“, in: Theater Heute 1979/7. Berlin: Friedrich GmbH, 137. 185 ! ebd. ! !50 ! Basis habe dann die Kollektivarbeit angefangen. Ich schlug also Philippe Caubère meine Version von Molière vor und er bereicherte sie […] auf eine Weise, die ich nicht zu hoffen gewagt hätte. Und so war es auf allen Ebenen, […] alles, was ich im Drehbuch vorgeschlagen hatte, wurde von den Künstlern aufgenommen und verwandelt, sodass es schließlich viel schöner wurde als das, was ich ursprünglich geplant hatte. […] Und so wurde auch beim Film, der unter ganz anderen Umständen entstanden ist als unsere sonstige Arbeit, schließlich eine Kollektivarbeit daraus.186 Das Théâter du Soleil baute für dieses Projekt das Paris der Zeit von Ludwig XIV. nach, und zwar nicht - wie üblich - mit Straßenfront-Attrappen, sondern aus festen Materialien, sodass bei den massiven Häusern nicht einmal die Dächer fehlten.187 In eine Halle der Cartoucherie wurde das originale Theater der Petit Bourbon mitsamt der dem Original entsprechenden Zuschauergalerie nachgebaut. Diese Rekonstruktion umfasste selbst die ursprüngliche Bühnenmaschinerie und das Dekor auf der Bühne.188 Dadurch, dass der Film eine französisch-italienische Koproduktion war, wurden beträchtliche Mittel zur Verfügung gestellt, womit nicht nur die hohen Materialkosten des Films übernommen werden konnten, sondern wodurch die Truppe zum ersten Mal seit fast zehn Jahren schuldenfrei wurde.189 In der Kritik wurde der erste Film überwiegend positiv aufgenommen, allerdings machte man besonders im zweiten Film auch auf schwache Stellen aufmerksam. Paul Arno schrieb 1978 in einer Nachbesprechung des Films in der Zeitschrift Theater Heute folgendes: ! Einerseits war man fasziniert von der Mischung aus optischer Wucht und Behutsamkeit der bildnerischen Gestaltung. Andererseits stieß man sich an der Detailverliebtheit und an der streckenweise additiven Erzählung und Illustration der Fabel.190 Allgemein kann man sagen, dass es Mnouchkine weniger darauf ankam, Molières theatrealische Leistungen zu erzählen, sondern seine sozialen, familiären, psychischen und ästhetischen Ansätze zu durchforschen. „Die Ausgewogenheit von komposi- 186 ebd.: 137. 187 vgl. Paul 1978: 131ff. 188 ebd. 189 ebd.: 133. 190 Paul 1978: 130f. ! ! !51 torischem Mut und erzählerischem Feingefühl - vor allem im ersten Teil - macht dabei den außergewöhnlichen Reiz des Films aus.“ 191 ! Direkt nach Drehschluss, im Herbst 1977 inszenierte der 27-jährige Philippe Caubère Don Juan von Molière, wobei er selbst die Titelrolle übernahm. Das Stück fand in jener Halle der Cartoucherie statt, in der das für den Film nachgebaute Theater des Petit Bourbon stand.192 Caubère inszenierte das Stück mit viel komödiantischem Spaß und einer großen Verspieltheit, ließ allerdings das geschichtlich-soziale Engagement, das sonst das Théâtre du Soleil besonders auszeichnet, außen vor.193 Caubère interpretierte die Rolle des Don Juan als Vorläufer eines modernen Lebemanns, der sich durch Charme, Klugheit und Neugierde soziale Privilegien verschafft, die er nur aufgrund des persönlichen Vergnügens anstrebt.194 ! f.) Mephisto - nach dem Roman von Klaus Mann ! Das Stück Mephisto war die erste Produktion, in der das Théâter du Soleil nach der Phase der création collective mit einem vorgefertigten Text arbeitete.195 Es leitete die nächste Phase im Entwicklungsprozess der Truppe ein: die Rückkehr zum literarischen Text. Mnouchkine fand den Roman von Klaus Mann zufällig in einer Pariser Buchhandlung und beschloss, daraus einen Theatertext zu verfassen.196 Sie schrieb - ähnlich wie bei Molière - einen ersten Textentwurf, der während der Proben durch Improvisationen 191 ebd.: 132. 192 vgl. Féral 2003: 199. 193 vgl. Paul 1978: 134. 194 ebd. 195 vgl. Dort, Bernhard (1979) „Das Sonnentheater im Stählernen Zeitalter. 1979 mit ‚Mephisto‘ am Ende einer Utopie“, in: Theater Heute 1979/7. Berlin: Friedrich GmbH, 8. 196 ! vgl. Seym 1992: 103f. ! !52 ergänzt, gekürzt und verändert wurde. Somit hielt der Text die Truppe nicht davon ab, kollektiv zu arbeiten.197 In den Mittelpunkt dieser Inszenierung trat die Frage, warum sich Intellektuelle und Künstler oft so bedenkenlos von Machthabern unterwerfen lassen.198 Darüber hinaus wurde auch die Problematik der Verantwortung von Künstlern und Intellektuellen gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, thematisiert.199 Die Angst eines überfallartigen Übergangs von einer Demokratie zu einer Diktatur war zu jener Zeit in Frankreich ein durchaus brisantes Thema.200 Die Wahlen vom März 1978 brachten den Linken eine schlimme Niederlage. Die Hoffnung auf einen Sieg des Volkes, wie es im Stück 1789 noch so optimistisch propagiert wurde, schien damit vorerst gestorben zu sein.201 Der Roman von Klaus Mann handelt vom Schauspieler Hendrik Höfgen, der von der intellektuellen Linken der Weimarer Republik aufgrund seines Strebens nach Erfolg zum Nazitum überläuft.202 Vorbild für die Rolle ist der Schauspieler und Intendant Gustaf Grüngens, der während und durch das Nazi-Regime seine größten Erfolge feierte.203 Höfgen gegenüber steht Otto Ullrich, der Leiter der Kaberett-Bühne ‚Sturmvogel‘, der sich bis zu seiner Ermordung durch die Nazis nicht von seiner, dem Kommunismus zugewandten, politischen Meinung abbringen lässt. Die beiden sind Freunde.204 Im Vergleich zum Roman versuchte Mnouchkine in ihrer Inszenierung der Rolle des Hendrik Höfgen die eindeutige Verbindung zu Gründgens zu nehmen und machte ihn zu 197 ebd. 198 ebd. Im Film Molière wurde auf diese Frage auch schon ein Augenmerk gelegt, in diesem Stück wurde sie nun zum Hauptgedanken (vgl. Seym 1992: 103). 199 vgl. Klett 1979: 13. 200 vgl. Brauneck 2007: 153. 201 vgl. Dort 1979: 8. 202 vgl. Mann, Klaus (2015): Mephisto. Roman einer Karriere. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. 203 ebd.: 2.; Dort 1979: 9. 204 vgl. Dort 1979: 9f. ! ! !53 einer allgemeineren, alltäglicheren Figur. Weder stellte sie seine schauspielerischen Fähigkeiten aus noch ging sie auf die Charakterzüge ein, die ihn unmittelbar mit Gründgens in Verbindung brachten. Durch Höfgens ‚Normalität‘ und Alltäglichkeit sollte sich der Zuseher besser mit ihm identifizieren können und leichter von der spezifischen Nazi-Zeit auf eine Allgemeingültigkeit schließen können.205 Was Mnouchkines Inszenierung besonders thematisierte war der „große Ehrgeiz“ und die „noch größere Skrupellosigkeit“, mit der Höfgens seine Karriere ankurbelte.206 Ein besonderes Augenmerk legte Mnouchkine auf die Rolle des Mitläufers Hans Miklas, der sich zu Beginn enthusiastisch für das Nazitum ausspricht, jedoch mit der Zeit mehr und mehr von den Taten der Nationalsozialisten enttäuscht wird und schlussendlich, nachdem er eine Rolle im Faust nur durch Bespitzelung seiner Kollegen bekommen würde, dem Nazitum abschwört.207 Auch er wird ermordet.208 In zwei Punkten kehrte Mnouchkine in dieser Inszenierung zu ihrer früheren Ästhetik zurück: Zum ersten Mal seit La Cuisine verwendete Mnouchkine die Form der Guckkastenbühne. Der Raum bestand aus zwei gegenüberstehenden Bühnen, zwischen denen die Zuschauer auf Holzbänken saßen. Die Bänke waren mit verschiebbaren Lehnen ausgestattet, sodass die Zuschauer sich je nachdem zur einen oder zur anderen Seite wenden konnten. Auf der Längsseite befand sich ein Zaun und dahinter ein karger, leerer Raum. Dieser Raum wurde manchmal als Bahnsteig und manchmal als Gefängnis genutzt.209 Politisches Kaberett und etabliertes Staatstheater standen sich somit bildlich gegenüber. Die Spielform der Schauspieler war mit Ausnahme der ‚Theaterszenen‘ (Szenen, in denen auf den Bühnen Theaterszenen nachgespielt wurden) ungewohnt realistisch und naturalistisch.210 205 vgl. Seym 1992: 104. 206 Klett 1978: 15. 207 vgl. Dort 1979: 9. 208 vgl. Mnouchkine (1980): Mephisto. Bad Homburg: Stefani Hunzinger Bühnenverlag GmbH. 209 vgl. Dort 1978: 11.; Klett 1978: 13. 210 vgl. Klett 1978: 16f. ! ! !54 Die Aufführung endete mit einer Projektion, die zuerst Bilder aus Konzentrationslagern zeigte und dann mit einer Namenliste deutscher Künstler und Intellektueller, die durch das Nazi-Regime umkamen, sei es durch Mord oder Selbstmord.211 Dieses Schlussbild wurde in der Kritik kontrovers aufgenommen. Die Zeitschrift Theater Heute veröffentlichte 1979 zwei Kritiken zu Mnouchkines Inszenierung, die beide unterschiedliche Meinungen zum Ende des Stücks vertreten: Bernhard Dort, der zu Beginn des Artikels seine Begeisterung für die vergangenen Inszenierungen Mnouchkines betont, schrieb über das Schlussbild der Vorstellung folgendes: Dieser Sprung von der Geschichte einer Gruppe zum Martyrologium deutscher Intellektueller und Künstler hat etwas Gezwungenes, übertrieben Pathetisches. War es wirklich nötig, nach geschehener Tat das Tribunal der Geschichte aufzurufen, als wolle man den Zuschauer noch einmal von der Authentizität und Ernsthaftigkeit des Spektakels überzeugen?212 ! Renate Klett beschrieb das Gefühl, das sie bei dieser Projektion bekam, als unvergesslich: ! Es ist ein Schock, der tief unter die Haut geht, lähmt, sprachlos macht. Es ist auch ein Schock, der aufrüttelt, Entsetzen in Wut verwandelt, der lange nachklingt […]213 Am 4. Mai 1979 fand die Premiere in der Cartoucherie statt. Durch den Erfolg und die große öffentliche Aufmerksamkeit des Stücks wurde der noch immer verbotene Roman von Klaus Mann in Deutschland wieder veröffentlicht und rückte in wenigen Wochen auf die Bestsellerlisten.214 Damit hatte Mnouchkine durch ihre Inszenierung ein Ziel erreicht, welches sie im Prolog des Stücks formulierte: Eine Stimme aus dem Off ließt 211 vgl. Klett 1978: 17. 212 Dort 1979: 12. 213 Klett 1979: 17. 214 Nachdem Gründgens 1963 verstorben war, klagte sein Adoptivsohn und einziger Erbe Peter Gorski erfolgreich gegen die Veröffentlichung des Romans. In der DDR wurde er bereits 1956 im Aufbau Verlag veröffentlicht. 1980 veröffentlichte der Rowohlt Verlag das Buch erneut. Da der Erfolg so groß war und die Entscheidung des Gerichtshofes ohnehin umstritten war, wurde nicht mehr gerichtlich dagegen vorgegangen (vgl. Seym 1992: 106.; Rowohlt Verlag Online: http://www.rowohlt.de/tschenbuch/klausmann-mephisto.html Zugriff: 19.5.16). ! ! !55 den Brief eines Verlegers an Klaus Mann vor.215 Der Verleger bedauert in dem Brief Klaus Manns Roman aus folgenden Gründen nicht veröffentlichen zu können: ! Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass Herr Höfgen in Deutschland bereits wieder eine erhebliche Rolle spielt. Ihr Roman könnte den Eindruck erwecken, er wolle ihn (Höfgen) angreifen. […] ich kann das Risiko eines Verbots nicht eingehen, […] das mir angesichts der politischen Lage unvermeidbar scheint.216 Klaus Mann reagiert darauf außer sich vor Wut: ! Warum? Weil Herr Höfgen bereits wieder eine erhebliche Rolle spielt. Das nenne ich Logik! Zivilcourage! […] Nur kein Risiko eingehen! Immer mit der Macht… […] Wir wissen ja, wohin das führt: geradewegs in die Vernichtungslager, von denen es hinterher heißt, man habe nichts von ihnen gewusst.217 Damit öffnete Mnouchkine schon zu Beginn des Stücks die historische Klammer, die sich am Ende schloss. Das Stück hatte insgesamt 160000 Zuseher und tourte zu Festivals nach Avignon, Louvain-la-Neuve, Lyon, Rome, Berlin, Munich und Lons-le-Saunier.218 ! ! 5. Die Rückkehr zum Text ! a.) Der Shakespeare-Zyklus ! Die Auseinandersetzung von 1981 bis 1984 mit Shakespeare wird als der eigentliche Beginn der dritten Phase in der Entwicklung des Théâtre du Soleil angesehen.219 Zum 215 Am 5.Mai 1949 schrieb der Verleger Langenscheidt diesen Brief an Klaus Mann. Am 21. Mai 1949 beging Klaus Mann Selbstmord. (vgl. Marko, Martin (1999) „Wer sein Leben verliert, der wird’s behalten. Vor 50 Jahren beging Klaus Mann Selbstmord - eine sentimentale Reise nach Cannes.“, in: Die Welt 15/5/99. Berlin: WeltN24 GmbH. http://www.welt.de/print-welt/article571602/Wer-sein-Lebenverliert-der-wirds-erhalten.html Zugriff: 29.7.16). Mnouchkine verwendete diesen Original-Brief und tauschte nur den Namen Gustav Gründgens mit der Figur Henrik Höfgen aus. 216 Mnouchkine 1980: 5. 217 ebd.: 6. 218 vgl. Féral: 199. 219 Peter Simhandl sieht den Beginn der dritten Phase des Soleil bereits mit dem Stück Mephisto (vgl. Simhandl 2007: 455). ! ! !56 ersten Mal seit 1968 arbeitete die Truppe wieder mit einem von einem Autor geschriebenen Werk. Kein im Kollektiv entwickelter Text, keine Bearbeitung eines vorhandenen Stoffes wie es bei Mephisto der Fall war: ein vorgegebener Text, der von Mnouchkine ‚nur’ selbst übersetzt wurde.220 Auch erlebte das Soleil mit dem Shakespeare-Zyklus eine weitreichende Erneuerung im Ensemble. Für diese Stücke wurde die Truppe erweitert und verjüngert. Nicht durch Vorsprechen, sondern in mehrwöchigen Workshops bzw. Lehrgängen wählte Mnouchkine unter den Bewerbern aus. Die Teilnehmer arbeiteten in diesen Lehrgängen mit den Schauspielern gemeinsam an verschiedenen Aufgaben. Die Arbeit mit der Maske stand im Mittelpunkt.221 Der Zyklus zum 20. Gründungsjubiläum des Théâtre du Soleil bestand aus den beiden Historien Richard II (Premiere 1981) und Henry IV, première partie (Henry IV, erster Teil, Premiere 1984) und der Komödie La Nuit des Rois (Was ihr Wollt, Premiere 1982).222 Mnouchkine übersetzte den gesamten Text selbst. Sie wollte dem Original in Rhythmus und Melodie der Sprache möglichst treu bleiben. Da sie die Übersetzung des Textes teilweise erst während der Probenzeit fertig stellte, ließ sie sich automatisch auch von der Arbeit mit den Schauspielern beeinflussen.223 Die Ästhetik der Aufführungen war neben europäischen Volkstheatertraditionen von den traditionellen asiatischen Theaterformen beeinflusst.224 220 vgl. Dort, Bernhard (1982) „Frankreich: Das reine Theater und die rohe Wirklichkeit. Das Théâtre du Soleil spielt Shakespeare, Georges Lavaudant inszeniert Pirandello“, in: Theater Heute 1982/13. Berlin Friedrich GmbH, 106. 221 vgl. Simhandl: 456. 222 Brauneck 2007: 153. 223 vgl. v. Becker, Peter (1984) „Die Theaterreise zu Shakespeare: Aufbruch in das ferne, fremde Land, das wir selbst sind. Ein Gespräch mit Ariane Mnouchkine nach Abschluss ihres Shakespeare-Zyklus’“, in: Theater Heute 1984/13. Berlin: Friedrich GmbH,13f. 224 ! vgl. Brauneck 2007: 154. ! !57 Die Anlehnung an das indische Kathakali225 wurde für den Bereich Liebe und Spiel verwendet. Zur Vorbereitung auf das Shakespeare-Projekt engagierte Mnouchkine Kathakali-Lehrer um ihre Schauspieler mit dieser Theaterform bekannt zu machen und auf den gleichen Stand zu bringen. Was Mnouchkine besonders an dieser Theatertradition inspirierte, war der rituelle Festcharakter der Aufführungen, die Kostüme und die Maskenarbeit. Imagination und Improvisation werden hier mit typischen Spiel- und Bewegungsabläufen zusammengefügt. Diese Kombination ergibt eine besondere Präsenz des Schauspielers, die es für Mnouchkine zu erreichen galt.226 225 Das Kathakali entstand im 15. Jahrhundert in Indien und ist eine hochstilisierte Kunstform, die aus Tanz, Pantomime, Mudras (symbolische Handbewegungen) und Instrumentalmusik besteht. Die Themen und Geschichten der Aufführungen werden hauptsächlich der Mythologie entnommen. Die Schauspieler tragen entweder symbolische Masken oder kunstvolle Schminkmasken, deren Anfertigung drei bis vier Stunden dauert und in absoluter Stille vom Schauspieler selbst gestaltet wird. Darüber hinaus tragen die Schauspieler - deren Ausbildung bis zu zehn Jahre dauert - prunkvolle, farbenprächtige Kostüme. Eine Aufführung dauert normalerweise die ganze Nacht, findet unter freiem Himmel statt und wird von LiveMusik begleitet. Die Sprache besteht nur aus Lauten, da alle Geschichten durch die Mudras erzählt werden. Dazu kommentiert der Schauspieler die Geschichten mit bestimmten Miminken (ausgebildete Kathakali-Schauspieler können bis zu siebenundvierzig Gesichtsmuskeln isoliert bewegen). Zusammenfassend wird in dieser Theaterform die Geschichte mit Hilfe des Körpers erzählt und zugleich durch Mimik kommentiert. Für das orientalische Publikum steht hierbei die Geschicklichkeit und Virtuosität des Schauspielers im Mittelpunk. (vgl. Seym 1992: 29ff) Alle Rollen - auch Frauenrollen werden nur von Männern gespielt. (ebd.) 226 ! vgl. Seym: 32f. ! !58 Das japanische Nō-Theater227 und das Kabuki-Theater228 wurden für den Bereich Macht und Herrschaft verwendet.229 Aus dem Nō-Theater nahm Mnouchkine in ihrer Arbeit vor allem auf die Bewegungen im Raum Bezug. Das Gehen wurde in den Shakespeare-Stücken zu einem wichtigen Element.230 Aus dem Kabuki-Theater benutzte Mnouchkine das Element der Auftritte und Abgänge und die schwarz gekleideten Bühnenhelfer. Die oft rasanten Auftritte führten über, an der rechten Seite der Bühne liegende Stege. Diese Stege führten zu kleinen, mit schwarz-weiß gestreiften Vorhängen eingefassten Kabinen.231 Vor jedem Auftritt wurde ein Vorhang aufgerissen.232 Die Bühne war, wie bei L’age d’or, mit einem sandfarbenen Teppich überzogen, der durch acht schwarze Streifen in Bahnen unterteilt war.233 227 Das Nô-Theater stammte ursprünglich aus religiösen Ritualen, die zu Unterhaltung der Götter praktiziert wurden. Es hat eine über sechshundert Jahre alte - vom Vater zu Sohn übertragene Geschichte. Es besteht aus Wort, Musik und Tanz. Ein wichtiger Bestandteil des Nô-Theaters ist das Gehen. Dabei geht es besonders um die Erfahrungen, die die Figur beim Gehen mit ihrer Umgebung macht. Der leere Raum - denn das Nô-Theater findet auf einer leeren Bühne statt - wird dadurch zum Leben erweckt. Das Nô-Theater hat im Vergleich zum Kathakali kein einheitliches Alphabet von Symbolen, durch die die Geschichten erzählt werden. Es erschließt sich dem Zuschauer nicht unmittelbar, jedoch werden Gefühle auch durch bestimmte symbolische Bewegungen beschrieben (vgl. Seym 1992: 33ff). Es sind langsame Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen. Zwei Schritte rückwärts heißt zum Beispiel Enttäuschung, drei bis vier Schritte vorwärts ist Höhepunkt der Erregung (vgl. ebd.: 35). Jedoch ist trotz dieser Regeln wie beim Kathakali Raum für Improvisation (ebd.). Ein wichtiges Requisit des NôTheaters ist der Fächer. Auch hier werden Masken verwendet, die im Zusammenhang mit den Kostümen, ganz bestimmten Figuren-Typen entsprechen (ebd.). 228 Das japanische Kabuki stellt - im Gegensatz zum minimalistischen Nô-Theater - Gedanken und Gefühle in übertriebener Weise dar (vgl. Seym: 39). Die Aufführungen des Kabuki haben immer eine ästhetisch ansprechende Komposition. Es wird auch als ‚visuelles Theater‘ bezeichnet (vgl. Yasunore Gunji, zit. nach Seym: 39). Wieder kommt den Bewegungsformen eine zentrale Bedeutung zu: Bewegungen sollen hier nicht durch das Gehirn gesteuert werden, sondern durch ein Gleichgewichtszentrum - ein bestimmter Punkt am Ende der Wirbelsäule. Durch die Energie, die von diesem Punkt ausgeht, werden die Bewegungen gesteuert. Dadurch ist keine Bewegung im Kabuki zufällig, sondern selbst das Rollen der Augen werde kontrolliert und sorgfältig ausgeführt (vgl. Seym: 39). Für besonders wirkungsvolle Bilder, wie zum Beispiel die Darstellung einer Meeresbrandung, werden - um beispielsweise bemalte Tücher wie Wellen zu bewegen - schwarz gekleidete Bühnenhelfer hinzugezogen. Das sichtbare Auftreten und Abgehen der Schauspieler über einen Steg ist ein wesentlicher Bestandteil, da der Schauspieler dabei vor den Augen des Publikums in die Rolle ‚eintritt’ (ebd.: 41). Im Kabuki werden ausschließlich Schminkmasken verwendet, die den Figuren typische Züge geben (ebd.). 229 vgl. Seym: 155. 230 ebd.: 34 231 ebd.: 152. 232 vgl. Oehler, Dolf (1982) „Dasselbe Stück wie unter Giscard? Theater und Kritik in Paris 1982. Eine Philippika von Dolf Oehler“, in: Theater Heute 1982/3. Berlin: Friedrich GmbH, 8. 233 ! vgl. Seym: 158. ! !59 Riesige, seidene Vorhänge waren auf der Hinterseite der Bühne angebracht. Bei den Masken und Kostümen wurden asiatische und elisabethanische Elemente vermischt.234 Tatsächlich haben wir Kostüme des japanischen Mittelalters und Elemente der europäischen Renaissance optisch vermischt, und das Erstaunliche war: es wurde zu einem triftigen Ausdruck von Mittelalter, Mittelalter des Menschen, gleich wo.235 ! Nur die ältere Generation trug durchgehend Masken. Das hatte damit zu tun, dass Erhard Stiefel236 für die Alten Masken schuf, die Mnouchkine zufrieden stellten, ihm für die Jungen jedoch keine Masken gelangen, die wirklich gepasst hätten.237 Geprobt wurden zunächst drei Monate lang alle drei Stücke. Dies diente als praktische Einführung in „Shakespeares Welt“.238 Danach begannen die Proben für jedes einzelne Stück. Richard II. wurde viereinhalb Monate probiert, Was ihr wollt ungefähr sechs Monate und Heinrich IV. fünf Monate.239 Zusätzlich bekamen die Schauspieler einige Lektüre-Empfehlungen und anderes Inspirations-Material wie Abbildungen von Gemälden, Photographien, Gedichte und Epen. Zusätzlich spielten einige Filme eine wichtige Rolle in der Vorbereitung, wie japanische Filme von Misogushi und Filme von Kurosawa.240 Begleitet wurden die szenischen Geschehnisse von einer permanenten musikalischen Untermalung.241 Diese Musik, deren Basis aus Trommelschlägen und einem asiatischen Gong bestand,242 entstand nicht in einem individuellen Kompositionsprozess, sondern während der Proben in Zusammenarbeit des Ensembles mit dem Musiker Jean-Jacqes 234 vgl. Simhandl: 456f. 235 Mnouchkine, zit. nach von Becker 1984: 18. 236 Erhard Stiefel ist ein Schweizer Bildhauer, der seit 1967 mit Ariane Mnouchkine zusammenarbeitete. Nach seiner Ausbildung in bildender Kunst in Zürich und Paris, trat er in die Schule von Jacques Lecoq ein und erlernte dort das Maskenspiel. Seine Kunst als Bildhauer und Maskenbildner wurde von Balinesischen und japanischen Masken beeinflusst und besonders von den Masken der Commedia dell’arte (vgl. Féral 2003: 148). 237 vgl. von Becker 1984: 18. 238 ebd. 239 ebd. 240 ebd.: 14. 241 vgl. Brauneck 2007: 153. 242 vgl. Oehler: 8. ! ! !60 Lemêtre.243 Die Shakespeare Stücke waren das zweite Projekt, die Lemêtre begleitete. Während er in Mephisto - seiner ersten Produktion im Soleil - hauptsächlich damit beschäftigt war, den Schauspielern Musikinstrumente beizubringen, wollte er nun unterschiedliche Möglichkeiten der musikalischen Begleitung von gesprochenem Text finden.244 Die Frage, die Lemêtre sich stellte, war, wie man die Sprechstimme wie Gesang hören konnte. Während der Proben entwickelte er mit den Schauspielern eine Technik, die Sprechstimme der Schauspieler mit Musik so zu begleiten, dass sie wie Gesang klang. Das funktionierte, indem die Schauspieler ihre Stimmen derart laut und kraftvoll einsetzten, als wären sie kurz vor der Singstimme. „In dem Moment liegt über dem Gesprochenem Musik, doch sie ist transponiert. Sie ist nicht realistisch, naturalistisch oder alltäglich.“ beschrieb Lemêtre diese Methode in einem Interview mit Josette Féral.245 Dafür baute Lemêtre einige Instrumente selbst, die besonders gut zu den Stimmen der Akteure passten.246 Dabei spielen die Materialien eine bedeutende Rolle: mit Kunststofffell bespannte Instrumente passen nicht so zum Menschen, wie die tierische Materie, die am schönsten ist, da sie so lebt, wie der Schauspieler lebt.247 ! An der rechten vorderen Bühnenkante befand sich das Musikfoyer, auf dem alle Instrumente aufgebaut waren. Dort hielt sich Lemêtre während der Aufführung auf, da er von dort aus einen guten Blick auf die Bühne hatte und so auf die szenischen Geschehnisse direkt und unmittelbar eingehen konnte.248 Für jedes der Stücke gab es eigene Instrumente, die hauptsächlich aus dem asiatischen Raum stammten, es wurden jedoch auch lateinamerikanische, afrikanische und europäische Instrumente verwendet. Die Instrumente kann man in vier Typen einteilen: Die Idophone (selbst klingende Instrumente ohne gespannte Saiten wie z.B. Triangel, Becken, Gong, Glocken, Rasseln.), Membranophone (der Klang entsteht durch die gespannte Membran wie bei 243 vgl. Seym: 155 244 vgl Féral 2003: 140f. 245 Lemêtre, zit. nach Féral 2003: 141. 246 ebd. 247 ebd. 248 vgl. Seym: 160. ! ! !61 Trommeln und Pauken.), Chordophone (Saiteninstrumente) und Aerophone (Blasinstrumente wie z.B. Trompeten, Posaunen, Flöten, Orgeln und die Harmonika.).249 Als Klangbasis verwendete Lemêtre für alle drei Aufführungen verschiedene Trommeln, einen thailändischen Gong und die indische viersaitige Laute Tânpûrâ. Die Musik für Was ihr wollt unterschied sich von den anderen beiden Stücken insofern, als verschiedene Flöten und drei Harfen dazukamen. In Henry IV setzte Lemêtre zusätzlich den Klang eines Piano Nu, eines abendländischen Klaviers, ein.250 Die Schauspieler vermochten, unterstützt durch diese Mittel, eine durchgängige Einheit von Körper und Handlung zu schaffen. Die temporeiche, dynamische Abfolge von szenischen Bildern und rhythmischen Bewegungseinlagen wurde immer wieder durch Ruhepunkte unterbrochen.251 Jede Form von Realismus wurde vermieden und durch theatrale Ausdrucksformen ersetzt.252 Ziel von Mnouchkine war es, durch die Kombination von extremer Wahrheit und extremer Künstlichkeit ein hyperrealistisches Spiel zu schaffen. Präzise Gesten und deutliche Ausdrucksformen trugen ihren Teil dazu bei.253 In der Kritik wurde durchgängig eine Steigerung vom ersten Stück, Richard II., bis zum letzten, Henry VI., beschrieben. Wenn in Richard II. die Form und die Stilmittel im Vordergrund standen, wurde Henry IV. viel mehr als sinnliches Erlebnis beschrieben mit verletzbaren, fragilen, menschlichen Figuren. In einem Interview im Jahre 1984 mit Peter von Becker in der Zeitschrift Theater Heute bestätigte das Mnouchkine und erklärte es damit, dass auch Shakespeare in Heinrich IV. weitergekommen sei als in Richard II.: […] er [Shakespeare] ist freier, hier wagt er alles, macht und kann alles, was er will. Und bei uns wurde die Form auch geschmeidiger, reicher, freier, da ist durch die Mischung der Elemente in den Fallstaff-Szenen mehr ‚Varieté‘ drin. Ich denke wir sind vorangeschritten von Richard II. über Was ihr wollt bis zu Heinrich IV.254 249 ebd. 250 ebd.: 161. 251 vgl. Brauneck 2007: 154. 252 ebd. 253 vgl. Mnouchkine, zit. nach v. Becker 1984: 23. 254 ebd.: 15. ! ! !62 ! Insgesamt erreichte der Zyklus 153.000 Zuseher und wurde zu den Münchner Festspielen, nach Los Angeles, nach Avignon und zu den Berliner Festspielen eingeladen.255 Nachdem ein Mitglied der Truppe, Phillippe Hottier256, 1984 das Ensemble verließ, wurde der Zyklus abgesetzt und die Proben zu einem neuen Stück begannen. ! b.) Sihanouk, L’Indiade und die Begegnung mit Hélène Cixous ! Das Stück L’histoire terrible mais inachevée de Norodom Sihanouk, roi du Cambodge (Die schreckliche aber unvollendete Geschichte von Norodom Sihanouk, König von Kambodscha) - im Folgenden nur Sihanouk genannt - von Hélène Cixous, schildert in fünfzig Szenen die leidvolle Geschichte des Volkes von Kambodscha. Es beginnt mit der Abdankung des Königs Sihanouk 1955, woraufhin der General Lon Nol die Macht ergreift. Darauf folgt die Eroberung durch die Roten Khmer, die die Schreckensherrschaft Pol Pots mit sich bringt. Am Ende wird das Land endgültig von seinem vietnamesischen Erzfeind besetzt.257 Der Text hatte ursprünglich über 400 Seiten, wurde allerdings während der Proben immer wieder gekürzt und umgeschrieben.258 Die Inszenierung war sehr nah am Dokumentartheater, da der Text zu einem großen Teil aus allgemeinen Informationen über Kambodscha und Asien bestand. Aufgelockert wurde dies durch stilisierte, präzise Körpersprache, rasante Auftritte und Luftsprünge und einer allgemeinen Überhöhung der Figurengestaltung der Schauspieler. Sihanouk wurde oft auf zwei Abende aufgeteilt, da das Stück insgesamt mehr als acht Stunden dauerte.259 255 vgl. Féral 2003: 199. 256 Hottier war neun Jahre Mitglied des Théâtre du Soleil (vgl. Hottier 1984: 22). Er wirkte in L’age D’or, Molière, Mephisto und dem Shakespeare-Zyklus mit. Hottier spielte in Richard II. den York, in Was ihr Wollt den Sir Toby und in Heinrich IV. den Fallstaff (vgl. Seym 1992: 220ff). 257 vgl. Ortolani, Oliver (1986) „Schreckliche Geschichte? Das Théâtre du Soleil spielt ein SihanoukDrama im ‚Shakespeare-Stil‘, in: Theater Heute 1986/1. Berlin: Friedrich GmbH, 38.; Simhandl 2007: 457. 258 vgl. Ortolani 1986: 38. 259 ebd. ! ! !63 Wenn es zum Beispiel an einem Sonntag komplett gespielt wurde, gab es eine einstündige und zwei halbstündige Pausen.260 ! Zu Mittag kam das Publikum. […] Wenn ich die Bühne verließ, war es elf Uhr abends. Wir standen von ein Uhr mittags bis elf Uhr abend [sic.] auf der Bühne. […] Es war phantastisch! Natürlich war es anstrengend, aber das war uns vollkommen egal!261 1972 lernten Mnouchkine und Cixous einander kennen, als Cixous mit einem Freund, Michel Foucault, nach Paris kam, um mit Mnouchkines Hilfe einen kurzen Sketch einzustudieren, der vor einem Gefängnis gezeigt werden sollte. Die Aufführung kam nie zustande, da die Gruppe schon beim Auspacken von der Polizei vertrieben wurde, allerdings entstand aus dieser Begegnung eine langjährige Freundschaft zwischen Mnouchkine und Cixous. Von 1972 bis 1981 gingen sie immer wieder gemeinsam zu politischen Demonstrationen.262 1981 fragte Mnouchkine Hélène Cixous, ob sie ein Stück für das Soleil schreiben könne. Cixous beschloss, das Angebot anzunehmen, jedoch nicht ohne Bedenken: Ein Stück für das Théâtre du Soleil zu schreiben ist eine enorme Herausforderung, nicht zuletzt wegen der großen Anzahl an Schauspielern.263 Sihanouk war das erste Stück, das Cixous für das Théâtre du Soleil schrieb. Direkt danach (1987/88) folgte ein zweites: L’Indiade ou l’Inde de leurs rêves (Indiade oder das Indien ihrer Träume). 1994/95schrieb sie La ville parjure, ou le révail des Erinyes (Die meineidige Stadt oder das Erwachen der Erinnyen), welches in Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen produziert wurde. 1997 wurde kollektiv das Stück Et soudain, des nuits d’éveil (Plötzlich wache Nächte, M.W.) erarbeitet, wobei Cixous die Textfassung während der Proben entwickelte. 1999 schrieb Cixous das Puppenspiel Tambours sur la digue (Trommeln auf dem Deich).264 2010 wurde das Stück Les naufragés du Fol Espoir (Die 260 vgl. Bigot, zit. nach Féral 2003: 80. 261 Bigot, zit nach Féral 2003: 80. Georges Bigot spielte die Titelrolle: Sihanouk 262 vgl. Cixous, Hélène (2003) „Das Theater tritt auf“, in: Féral (2003): Ariane Mnocuhkine & Das Théâtre du Soleil. Berlin: Alexander Verlag, 111. 263 ebd. 264 vgl. Brauneck 2007: 154.; Féral 2003: 200. ! ! !64 Schiffbrüchigen der Fol Espoir) veröffentlicht, welches auch in Zusammenarbeit mit Cixous entstand.265 ! 2003 schrieb Cixous den Text „Das Theater tritt auf“, in dem sie einen Überblick über die gemeinsame Arbeit mit Mnouchkine gab: Zu Beginn wird ein Thema gesucht. Der Anspruch bei Sihanouk war, ein zeitgenössisches Ereignis zu finden, das „uns grausam trifft, (uns - das Publikum, die Bürger) […] uns verletzt, entsetzt, hilflos lässt.“266 Danach entscheidet man sich für einen Ort, an dem das Stück stattfinden sollte. „Aus der Vision eines Ortes wird Arianes ganze Arbeit entstehen.“267 Wenn der Ort definiert wird, heißt es für Cixous, die Figuren zu entwickeln. Das kann mehrere Monate, bis zu einem Jahr dauern. Wenn die Figuren gefunden sind, geht der Rest schnell: „Nachdem ich sechs Monate oder ein Jahr verirrt verloren in Erwartung und Unruhe gewesen bin [um nach den Figuren zu suchen, M.W.], wird mich die Aktion des Schreibens zwei Monate kosten.“268 Während der Proben wird der Text immer wieder überarbeitet, gekürzt und ergänzt. Eine Besonderheit, die sich über alle gemeinsamen Arbeiten erhalten hatte, ist, dass Cixous die letzte Seite des Stücks nicht vor dem letzten Probentag schreibt, sodass die Schauspieler bis einen Tag vor der Premiere nicht wissen, wie das Stück enden wird.269 Dies soll dazu führen, dass die Schauspieler „nicht projizieren, schummeln“ können. „Sie sind in der Gegenwart.“270 ! Sihanouk wurde 1986 nach Amsterdam (Holland Festival), Brüssel, Madrid und Barcelona eingeladen und erreichte insgesamt ungefähr 108.500 Zuseher.271 ! 265 vgl. Théâtre du Soleil Online. http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/les-naufrages-du-fol-espoir-2010/?lang=fr Zugriff: 28.6.16 266 Cixous 2003: 112. 267 ebd. 268 ebd.: 116. 269 ebd.: 118. 270 ebd. 271 vgl. Féral 2003: 200. ! ! !65 Das Stück L’Indiade ou l’Inde de leurs rêves (Indiade oder das Indien ihrer Träume) im Folgenden nur L’Indiade genannt - wurde nach einer Forschungsreise durch Asien und zwei Jahren Probenzeit am 30. September 1987 in der Cartoucherie uraufgeführt.272 L’Indiade handelte vom Übergang der Inder zur Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Großbritannien. Als sich die Inder von den Briten losgelöst hatten, zerstörten bald Machtkämpfe innerhalb Indiens, zwischen verschiedenen Völkern, das Land. Gründe dafür waren ethnische, soziale und religiöse Widersprüche. Die Moslems wollten unter ihrem Führer Jinnah einen eigenen Staat, die Hindus kämpften für die Einheit des Landes, allerdings unter ihrer Partei Nehru.273 Dies führte zum Bruderkrieg und schlussendlich zur Teilung des Landes.274 In den ersten zwei Stunden folgten die Zuseher hauptsächlich verbalen Gefechten zwischen Engländern und Indern, vor allem aber unter den Indern selbst, bis zur ‚Konferenz von Simla‘, bei der der Übergang zur Unabhängigkeit von allen politischen Lagern beraten wurde.275 Zwei Figuren stellten einen Gegensatz zu den politischen Verhandlungen, Streitigkeiten und Gefechten dar: Mahatma Gandhi, der sich für eine gewaltlose Einigung einsetzte, vor allem im Hinblick auf die Zukunft der Menschen, die Religions- und Kasten-Konflikte. Und Haradisi, eine Figur, die die Aufgabe hatte, die ‚eigentlichen‘ Bedürfnisse und Probleme der Menschen Indiens aufzudecken: Hunger und Armut. Darüber hinaus war sie das Verbindungsglied von Bühne und Publikum: Sie empfing die Zuseher und stellte ihnen die verschiedenen Personen vor.276 Die Bühne bestand aus einem hochgemauerten marmorgefliesten Backsteinpodest, das durch schnelle Wechsel von Polstern und Teppichen immer wieder zu unterschiedlichen Räumen wurde.277 Dadurch, dass die Geschichte Indiens sehr schnell dargestellt wurde, 272 vgl. Merschmeier, Michael (1987) „Vergesst Gandhi nicht. Saisonauftakt: Paris“, in: Theater Heute 1987/11. Berlin: Friedrich GmbH, 10.; Féral 2003: 200. 273 vgl. Merschmeier 1987: 12. 274 vgl. ebd.: 13.; Simhandl 2007: 457. 275 vgl. Merschmeier 1987: 12. 276 ebd.: 12f. 277 ebd. ! ! !66 gab es im Programmheft eine Datentafel und Kurzbiographien der handelnden Personen, um das Verständnis der Geschichte zu erleichtern.278 Die Ästhetik der Aufführung war wieder an asiatische Theaterformen angelehnt. Wenn dies allerdings im Shakespeare-Zyklus Mittel zur Abstraktion war, wurde alles ‚Asiatische’ nun zum unmittelbaren Thema.279 Nach der Premiere in Paris wurde L’Indiade nach Jerusalem eingeladen (Festspiele von Jerusalem). Insgesamt erreichte das Stück 86.000 Zuseher.280 Die Einladung nach Israel spaltete die Gruppe in zwei Lager. Die einen fanden es notwendig, nach Israel zu fahren, da es sich um ein Schauspiel über die indische Teilung handelte und sie es als sinnvoll erachteten, dieses Thema in Jerusalem zu präsentieren, der andere Teil der Schauspieler wollte die Einladung nicht annehmen, teils aus Angst, teils aus politischen Gründen.281 Nach langen Diskussionen entschied sich die Truppe, die Einladung doch anzunehmen. Dies war vor allem durch die Araber in der Truppe beeinflusst, welche es für wichtig empfanden, dieses Stück in Israel zu spielen und die Debatte besänftigten.282 ! c.) Les Atrides ! Ursprünglich war als nächstes Projekt ein Stück über die französische Résistance geplant, das wieder von Hélène Cixous geschrieben werden sollte. Das Problem war allerdings, dass Mnouchkine keine theatralische Form jenseits des „Fernsehrealismus“ fand.283 Daher beschloss sie zu den Ursprüngen des Theaters zurückzukehren und von dort aus die Schauspielkunst neu zu erlernen.284 Die Folge war, dass 1990 die Arbeit am Atriden-Zyklus begann, der vier große antike Tragödien beinhaltete: Iphigénie à Aulis 278 ebd. 279 ebd.: 13. 280 vgl. Féral 2003: 200. 281 1987 begannen die Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee: die erste Intifada (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Online: http://www.bpb.de/internationales/ asien/israel/45071/intifada-und-oslo Zugriff: 18.7.16). 282 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 65. 283 vgl. Mnouchkine, zit. nach Spreng 1991: 8. 284 ebd. ! ! !67 (Iphigenie in Aulis) von Euripides, welches von den Ursachen der Rachemorde in der Trilogie von Aischylos handelt, und die Orestie von Aischylos (Agamemnon; Les Choéphores und Les Eumenides).285 Die Stücke erzählen vom Familienkrieg des griechischen Heerführers Agamemnon und seinen Nachkommen am Anfang und am Ende des zehnjährigen Kriegs zwischen Griechen und Trojanern. Ein Rachemord folgt auf den Nächsten. (Agamemnon opfert seine Tochter Iphigenie; Klytaimnestra rächt den Mord ihrer Tochter, indem sie mit ihrem neuen Liebhaber Ägisth den vom Krieg heimgekehrten Agamemnon ermorden, was dazu führt, dass ihr Sohn - Orest Klytaimnestra und Ägisth umbringt.) Von Rachegöttinnen verfolgt, flieht Orest in den Tempel der Göttin Athene, die ihn beschützt und durch eine Abstimmung schlussendlich die Umwandlung von der üblichen Eigenjustitz in einen Rechtsstaat erreicht. Die Erinnyen (Rachegöttinnen) werden besänftigt und in Eumeniden (Wohlwollende) verwandelt. Dass Mnouchkine die Iphigenie des Euripides der Orestie voranstellte, hatte pädagogische Gründe: Sie nahm an, dass das Publikum nicht das Vorwissen der ganzen Geschichte der Atriden haben würde und somit die Figur der Klytaimnestra nicht verstehen könnte.286 Erstaunlich ist, dass Mnouchkine Euripides’ Iphigenie in Aulis als Vorgeschichte wählte, da dieses Stück aufgrund eines möglicherweise offenen Schlusses als Fragment gilt und daher fast nie gespielt wird.287 Euripides Iphigenie steht meist im Schatten der Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe, welche häufiger gespielt wird.288 Für dieses Projekt wurden alle Stücke neu übersetzt: Jean Bollach übersetzte Iphigenie, Mnouchkine selbst übernahm die Übersetzung von Agamemnon und den Choëphoren und Hélène Cixous übersetzte die Eumeniden. Grund dafür war, dass die vorhandenen 285 vgl. Brauneck 2007: 154. 286 Mnouchkine, zit. nach Spreng 1991: 8. 287 Ein vermutlich nach Euripides’ Tod hinzugefügtes Nachspiel klärt Klytaimnestra darüber auf, dass Iphigenie von den Göttern gerettet wurde. Diese Information schwächt die Motivation Klytaimnestras zu den Rachemorden an Agamemnon und Kassandra erheblich. Mnouchkine löste dieses Problem insofern, als der Opferer (Georges Bigot) die Auflösung dem Publikum erzählte und besonders auf die Folgen der Ermordung hinwies: Dadurch wurde der trojanische Krieg ermöglicht. (vgl. v. Becker 1991: 4.) 288 vgl. v. Becker, Peter (1991) „Der Tanz der Tragödie. Wie Ariane Mnouchkine und ihr Sonnentheater die Mord-Dramen der Antike erleuchten: ‚Les Atrides‘ - ‚Iphigenie in Aulis‘, ‚Agamemnon‘, ‚Die Choephoren‘.“ in: Theater Heute 1991/6. Berlin: Friedlich GmbH, 4. ! ! !68 Texte oft vom Originaltext abwichen und Mnouchkine keine Bearbeitungen verwenden wollte.289 Das Herzstück der Inszenierungen bildete der Chor, der in aufwendigen Kostümen teils in rot-goldenen weiten Reifröcken, orientalischen Schmuckstücken und phantasievollen Hauben, teils ganz schwarz gekleidet; manchmal bärtig, manchmal weiß geschminkt mit tiefen schwarzen Augenringen und zuletzt in Lumpen gehüllt über die Bühne ‚schwebte‘.290 Da Mnouchkine das Element des Chors weder vereinfachen noch auf eine Person reduzieren oder diesem gar ganz aus dem Weg gehen wollte, war zu Beginn der Probenzeit die Arbeit mit dem Chor das größte Problem.291 In der originalen antiken Form der Darstellung wurde gesungen, psalmodiert und moduliert, worauf nicht zurückgegriffen werden konnte, da diese Art der Darstellung Jahre der Vorbereitung in Anspruch genommen hätte. So musste eine gleichwertige Alternative gefunden werden: Tanz und Musik.292 Die Chorführerin Catherine Schaub entwickelte artistische Choreographien293, bei denen die Schauspieler wie schwerelos über die Bühne wirbelten.294 Diese Artistik und Schwerelosigkeit entwickelte sich von Stück zu Stück bis zu den Eumeniden zu Schwerfälligkeit, bei der jeder Schritt mühsam schien.295 Schaub führte den Chor während der Vorstellung mit schnellen Zeichen und kurzgerufenen „Ta!“ an.296 Wieder wurde die gesamte Arbeit von Jean-Jacques Lemêtre musikalisch begleitet.297 Peter von Becker lobte in einem Artikel der Zeitschrift Theater heute 1991 besonders die immer wechselnde Gestalt des Chores: Manchmal sinken die Chorspieler mit den fallenden Helden der Stücke mitleidig nieder, kauern wie neugierige Kinder am Boden, […] werden immer mehr auch zu Zeugen, 289 Mnouchkine, zit. nach Spreng 1991: 8. 290 vgl. v. Becker 1991: 3. 291 vgl. Azencot, zit. nach Féral 2003: 91. 292 ebd. 293 vgl. Théâtre du Soleil (1993): Les Atrides. Programmheft der Wiener Festwochen. 294 vgl. v. Becker 1991: 3. 295 vgl. v. Becker 1992: 8. 296 vgl. v. Becker 1991: 3. 297 ebd.: 7. ! ! !69 Vertrauten und Mitverschwörern am Atridenhof. Kein menschlicher Ausdruck bleibt diesem Chor fremd.298 ! Die Ästhetik des Stücks erinnerte wieder sehr an orientalische Theaterformen. Politische Szenen folgten auf emotionale. Ein Beispiel einer politischen Szene war ein Moment, in der Agamemnon und Menelaos über das Für und Wider des bevorstehenden Angriffs auf Troja debattierten. Verschiedene Varianten politischer Überlegungen wurden vorgeführt: Versprechungen im Wahlkampf und den möglichen späteren Betrug der Wähler, Gesichtsverlust bei Umentscheidungen und die menschlichen Konflikte Agamemnons als Politiker, Ehemann und Vater, bzw. Menelaos als Offizier und betrogener Gatte.299 Handlungen für die Emotionalität der Figuren zu finden, um ihre Entscheidungen zu verstehen, erwies sich allerdings als schwieriger. Die Atmosphäre dieser Tragödienwelt, die das Théâtre du Soleil auf der Bühne ausdrücken wollte, sollte gleichermaßen „Schrecken und Verzückung“ transportieren.300 In einem Interview mit Eberhard Spreng in der Zeitschrift Theater Heute reflektierte Mnouchkine über die Erfahrungen der Arbeit mit der griechischen Tragödie wie folgt: […] dass wir während der gesamten Proben aufhören mussten, alles begreifen zu wollen. Wir mussten vielmehr die Fähigkeit entwickeln, einerseits alles, was unserem Verständnis zugänglich ist, zu verstehen und andererseits zuzulassen, dass es für Augenblicke wichtig ist, nicht zu begreifen, sondern uns ergreifen zu lassen.301 Einer der Momente, der sich als außerordentlich schwer zu begreifen zeigte, war der Augenblick, als Iphigenie (Nirupama Nityanandan) begriff, dass sie geopfert werden soll, sofort im Schoß des Vaters schmerzlich um ihr Leben flehte und plötzlich, von einem Moment auf den anderen, aufstand, anfing zu tanzen und als Jüngste die Führung des Frauenchors übernahm. Als Retterin des griechischen Kriegsglücks tanzte sie dem Tod entgegen.302 298 ebd.: 3. 299 ebd.: 4. 300 Mnouchkine, zit. nach Spreng 1991: 9. 301 ebd. 302 vgl. v. Becker 1991: 4.; Spreng 1991: 9. ! ! !70 Laut Mnouchkine hat nicht jeder Schauspieler und jede Schauspielerin die Fähigkeit, solche Umschwünge zu spielen.303 Dies spiegelte sich auch in der Besetzung des Atriden-Zyklus wieder. Wenige Schauspieler spielten hier viele Rollen - so spielte etwa Simon Abkarian Agamemnon, die Amme, Achill und Orest oder Nirupama Nitynanandan spielte Iphigenie, Kassandra, Elektra, die Seherin und im vierten Teil neben Catherine Schaub eine der beiden Protagonistinnen des Erinnyen-Chors304 andere durften ‚nur‘ im Chor auftreten. Die Schauspielerin Myriam Azencot begründete dies in einem Interview mit Josette Féral so: ! Ich denke es ist eine Frage der persönlichen Kultur. Wenn ich Kultur sage, dann meine ich das im weitesten Sinne. Simon ist Armenier, ein Emigrant. Er trägt jenes Armenien wie ein Brandgeschoß im Herzen. Es ist ein Volk mit Sinn für Legenden. Er trug die Dimension der Sagen und Legenden in sich. Ich behaupte nicht, dass dies ausreicht, aber ich denke, dass es eine Hilfe für ihn war.305 Die Bühne, entwickelt von Guy-Claude Francois, gestaltete sich schlicht. Ein offener Platz vor niedrigen Mauern. Auf der rechten Seite ein Stein-Hügel, auf dem Lemêtre mit allen Instrumenten positioniert war.306 Die Bühne sollte möglichst leer sein, um den Zusehern die Möglichkeit zu geben, sie mit ihrer eigenen Phantasie zu füllen.307 Zusammenfassend beschrieb Peter von Becker die insgesamt neun Stunden AtridenDramen als „geisterhaft fortlebendes Zeugnis einer Welt, in der Geschichte und Mythos, Politik und Religion unauflöslich selbstverständlich miteinander versponnen sind.“308 Während die beiden ersten Stücke, Iphigenie (Premiere 16.11.1990) und Agamemnon (Premiere 24.11.1990), regelmäßig gespielt wurden, mussten die Proben zu den Chorëphoren noch beendet werden, bis die Premiere am 21.2.1991 stattfand. Über ein Jahr später, am 26.5.1992 folgte die letzte Premiere der Eumeniden, die den Atriden- 303 vgl. Mnouchkine, zit. nach Spreng 1991: 9. 304 vgl. Théâtre du Soleil 1993: Programmheft. 305 Azencot, zit. nach Féral 2003: 91. 306 vgl. v. Becker 1992: 7. 307 Mnouchkine, zit. nach Spreng 1991: 10. 308 v. Becker 1991: ! ! !71 Zyklus abschloss.309 Mit diesen Stücken tourte das Théâtre du Soleil von Amsterdam (Holland Festival), Essen (Theater der Welt), Sizilien (Orestiadi de Gibellina), Montpellier (Le Printemps des Comédiens) und Bradford (European Art Festival) über Montréal (Festival de Théâtre des Amériques) und New York (B.A.M.) bis nach Wien zu den Wiener Festwochen. Insgesamt war der Artriden-Zyklus mit einer Zahl von 286.700 Zusehern die am häufigsten besuchte Arbeit des Théâtre du Soleil.310 ! d.) Moderne Tragödie/Hélène Cixous und französische Klassik/Molière ! Das Stück La ville parjure ou Le Réveil des Erinys (Die meineidige Stadt oder das Erwachen der Erinnyen) von Hélène Cixous behandelte den 1991 aufgedeckten Blutskandal in Frankreich - bei welchem über tausend Menschen durch verseuchte Blutkonserven mit der Krankheit Aids infiziert wurden311 - in Form einer klassischen Tragödie. Cixous ließ in diesem Stück die Erinnyen aus dem letzten Stück des AtridenZyklus wiederauferstehen und kritisiert durch sie zunächst die Ärzte am Centre national de transfusion sanguine - die über Jahre wissentlich aidsinfizierte Blutpräperate an Krankenhäuser verkauften - und die darauf folgende Vertuschung bzw. Verschiebung der Verantwortung zwischen Staat, Verwaltung und Ärzteschaft.312 Das Stück spielte auf einem Friedhof, auf den die Mutter zweier an Aids verstorbener Söhne flüchtet und unterschiedlichen, teils abstrakten Figuren begegnet (z.B. die Nacht, gespielt von Sharokh Moshin Ghalam, oder Aischylos selbst, Myriam Azencot, der hauptberuflich Friedhofswärter ist).313 Das sieben-Stunden-Stück kam 1994 in der Cartoucherie in Paris zur Aufführung und war eine Co-Produktion mit den Wiener Festwochen.314 ! 309 vgl. Féral 2003: 199. 310 ebd. 311 vgl. Der Spiegel Online: „Aids-Viren auf Rezept“, in: Der Spiegel 48/1992. http://www.spiegel.de/ spiegel/print/d-13691469.html Zugriff: 21.6.16 312 vgl. Müry, Andreas (1994) „Staatsunrecht, Tragödiendämmerung, Aids & Antike - und Preußen in Paris.“, in: Theater Heute 1994/7. Berlin: Friedrich GmbH, 18. 313 ebd. 314 vgl. Féral 2003: 200 ! ! !72 Ein Jahr später, 1995, entschied sich Mnouchkine für den französischen Klassiker Tartuffe von Moliére. ! ‚Tartuffe‘ steht in einem tieferen Zusammenhang mit der Inszenierung des Gegenwartsstücks ‚La Ville parjure‘ von Hélène Cixous im vergangenen Jahr, worin sehr aktuelle Probleme - Aids, Blutverschmutzung, öffentliches Vertuschen - in Form der klassischen Tragödie behandelt wurden. Und jetzt die Umkehrung: ein klassisches Stück in einen gegenwärtigen Bezug gesetzt. Es ist diese Kreuzung, die mich interessiert hat.315 mit diesen Worten verglich Mnouchkine 1995 in einem Interview mit Ernst Schumacher in der Berliner Zeitung diese zwei Inszenierungen. Die Kreuzung fand in Tartuffe insofern statt, als Mnouchkine versuchte, einen Ort für das Stück zu finden, der ein ähnliches fanatisiertes, religiöses Klima hat, wie es 1664 in Frankreich herrschte, als das Stück geschrieben wurde.316 Sie entschied sich für ein Land in Nordafrika, ohne dieses näher zu bestimmen. Hätte sie das Stück zwanzig Jahren zuvor (also ca. 1975) inszeniert, hätte sie die Sowjetunion oder Ostdeutschland als Ort ausgewählt, erklärte Mnouchkine.317 1995 wurde die Inszenierung allerdings zu einer Absage an dem islamistischen Fundamentalismus.318 Das Stück begann mit einem regen Treiben in einem gartenseitigen Hof des Anwesens der Familie Orgon, in dem das gesamte Stück spielte. Mnouchkine fügte bereits zu Beginn eine neue Figur hinzu: Le Marchant, ein orientalischer Straßenhändler, der seine Ware vom Karren durch den Zaun verkaufte, manchmal mit Kastagnetten-Geklapper die Kunden anlockte, manchmal mit einem Ghettoblaster die Frauen der Familie Orgon 315 Mnouchkine, zit. nach Schumacher, Ernst (1995) „Ariane Mnouchkine über ihre Inszenierung der Molierschen Komödie im Théâtre du Soleil. In allen Epochen gibt es neue Tartuffes.“, in: Berliner Zeitung 12/7/1995. Berlin: Verlag GmbH. http://www.berliner-zeitung.de/ariane-mnouchkine-ueber-ihreinszenierung-der-moliereschen-komoedie-im-theatre-du-soleil-in-allen-epochen-gibt-es-neuetartuffes-17505196 Zugriff: 21.6.16 316 vgl. Löffler, Sigrid (1995) „Der Schwarze Tugendterrorist. Ariane Mnouchkine und ‚Le Tartuffe‘ von Molière - eine Koproduktion des Théâtre du Soleil, Vincennes, und der Wiener Festwochen.“, in: Theater Heute 1995/8. Berlin: Friedrich Verlag, 6. Nach der Uraufführung von Tartuffe 1664 forderte die Kirche die öffentliche Hinrichtung Molières, da sie das Stück als Gotteslästerung ansahen. Erst nach zweifacher Bearbeitung durfte die dritte Fassung aufgrund des Zuspruchs Ludwig des XIV. 1667 aufgeführt werden. Diese Fassung ist die heute geläufige, die beiden anderen Fassungen gelten als verloren (ebd.; vgl. Henrichs 1995, Online) 317 vgl. Mnouchkine, zit. nach Schumacher 1995 318 vgl. Zander, Peter (1996) Gastspiel des Théâtre du Soleil mit Molières ‚Tartuffe‘. Molière hat ein Fax geschickt.“, in: Berliner Zeitung 07/09/96. Berlin: Verlag GmbH. http://www.berliner-zeitung.de/ gastspiel-des-theatre-du-soleil-mit-molieres--tartuffe--moliere-hat-ein-fax-geschickt-16117214. Zugriff: 21.6.16 ! ! !73 zum Tanzen aufforderte.319 Erst nach der Pause kam der Auftritt, der „dem Stück die ganze politische Explosionskraft zurück(gibt), die es bei seiner umkämpften, zensierten, […] verbotsbelasteten Uraufführung gehabt haben muss“, schrieb Sigried Löffler im Jahre 1995 in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute.320 Tartuffe trat als Fundamentalist mit einer Gefolgschaft von sieben Männern, also als ganze MoslemBruderschaft, auf.321 Damit verdeutlichte sich auch die Situation des Familienvaters Organ, der in Mnouchkines Inszenierung in Panik handelte und sich durch Anpassung mit dieser politischen Macht zu arrangieren versuchte. Er hatte Angst vor dem Tugendterror der islamistischen Fundamentalisten und noch viel mehr Angst davor, sich mit dieser politischen Bewegung anzulegen.322 Gleich nach dem Auftritt Tartuffes offenbarte sich, wogegen sich die von ihm vertretenen Gesinnungen hauptsächlich richten: gegen die selbstbewussten, nicht domestizierten Frauen.323 In dieser ersten Szene des dritten Aktes konterte die resolute Magd Dorine (Juliana Carneiro da Cunha), eine der wenigen die sich gegen Tartuffe zur Wehr setzte, und lehnte die von ihm geforderte züchtige Bedeckung ihrer Arme ab.324 Auch die Obrigkeit in Form des Beamten L’Extemp, der aufgrund der Besetzung des Hauses durch die Miliz der Mullahs gerufen wurde, kritisierte Mnouchkine in dieser Inszenierung stark. L’Extempt brachte zwar im Namen des Königs alles wieder in Ordnung, wurde aber als unverschämter und vor allem korrupter Beamter dargestellt.325 Gut kamen nur die Frauen, besonders Dorine und Elmire weg, deren Vernunft und 319 vgl. Löffler 1995: 6. Die Musik, die gespielt wurde, war vor allem von Cheb Hasni, einem nord-afrikanischen Pop-Musiker, der von Islamisten ermordet wurde (vgl. Löffler 1995: 6). 320 ebd.: 8. 321 vgl. Henrichs, Benjamin (1995) „Molières Satanische Verse“, in: Die Zeit 1995/25. Hamburg: Zeit Online GmbH. http://www.zeit.de/1995/25/Molia%CC%88res_Satanische_Verse. Zugriff: 21.6.16 322 vgl. Löffler 1995: 10. 323 vgl. Jaschke, Alfred (1996) „Berliner Festwochen: Ariane Mnouchkines Théâtre du Soleil spielt ‚Le Tartuffe‘. Mit Molière gegen die Mullahs.“ , in: Berliner Zeitung 09/09/96. Berlin: Berlin Verlag GmbH. http://www.berliner-zeitung.de/berliner-festwochen--ariane-mnouchkines-theatre-du-soleil-spielt--letartuffe--mit-moliere-gegen-die-mullahs-16118054. Zugriff: 21.6.16 324 Löffler 1995: 10. 325 ebd. ! ! !74 Courage am Meisten dazu beitrugen, den Fundamentalismus aus dem Haus zu vertreiben.326 Die Inszenierung stieß in Frankreich auf starke Kritik. Der Truppe wurde religiöse Intoleranz vorgeworfen.327 In einem Interview mit Ernst Schumacher in der Berliner Zeitung 1995 betonte Mnouchkine, dass die Kostüme zwar an Mullahs denken lassen, jedoch auch an andere Vertreter des neuen Fundamentalismus. Auch betonte sie, dass sie nicht Religion an sich kritisierte, sondern die damit verbundene Unterdrückung.328 Bedenkt man, dass das Théâtre du Soleil 1996 über 300 aus einer Pariser Kirche vertriebene, von der Abschiebung bedrohte Afrikaner329 beherbergte und dass Mnouchkine während der Festspiele in Avignon mit algerischen Intellektuellen in den Hungerstreik trat, 330 kann man hier wohl schwer von Intoleranz sprechen. Tartuffe war eine Koproduktion des Théâtre du Soleil, Vincennes und der Wiener Festwochen, weshalb die Premiere in Wien stattfand.331 Danach ging das Stück auf Tournee nach Avignon, Saint-Jean d’Angely, Lüttich, Kopenhagen, Berlin und natürlich nach Paris in die Cartoucherie. Insgesamt erreichte es 122.000 Zuseher.332 ! 6. Neue Texte - Neue Formen a.) Et soudain, des nuits d’éveil und Tambours sur la dique - von Hélène Cixous ! 1997 kehrte das Théâtre du Soleil wieder zur Arbeitsweise der création collective zurück, mit dem Unterschied, dass nun zwar Inhalte und Themen im Kollektiv 326 ebd. 327 Zander 1996: Online. 328 vgl. Mnouchkine, zit. nach Schumacher 1995: Online. 329 vgl. Zitzmann, Marc (2014) „Lebende Zeichen in Bewegung. Fünfzig Jahre Théâtre du Soleil.“, in: Neue Zürcher Zeitung 26/05/14. Zürich: NZZ Libro (Verlag neuer Zürcher Zeitung). http://www.nzz.ch/ feuilleton/buehne/lebende-zeichen-in-bewegung-1.18309478 Zugriff: 28.6.16 330 vgl. Zander 1996: Online 331 vgl. Löffler 1995: 6. 332 vgl. Féral 2003: 200. ! ! !75 erarbeitet wurden, der Text jedoch in Übereinstimmung mit Hélène Cixous entstand.333 Et soudain, des nuits d’eveil (Plötzlich wache Nächte, M.W.) behandelte das Thema Tibet. Das Stück begann mit dem Ende der Vorstellung eines tibetanischen Tanztheaters, nach welcher der Theaterdirektor ein paar Worte an das Publikum richtete: eine tibetanische Delegation soll die Lieferung französischer Kampfflugzeuge, die an die chinesische Regierung des besetzten Tibets verkauft werden soll, verhindern. Nachdem diese Delegation aber von der französischen Regierung abgewiesen wurde, kamen 300 tibetanische Flüchtlinge vor die Tür des Theaters und drohten mit Selbstverbrennung, sofern das Theater sie nicht aufnehmen würde, was dazu führte, dass sie hinein durften.334 Die Mitglieder der Theatertruppe und das immer noch anwesende Publikum der Vorstellung reagierten unterschiedlich auf die Belagerung des Theaters, zum Teil positiv, zum Teil negativ, wodurch man die verschiedenen Charaktere besser kennenlernte.335 Verschiedenste Probleme traten durch die 900336 sich nun im Theater befindenden Menschen auf, wie beispielsweise verstopfte Toiletten und andere logistische Probleme. Dann flogen plötzlich Kampfflugzeuge über das Theater Richtung Asien, die Polizei stürmte die Bühne und schlussendlich wurden alle Tibeter ausgewiesen.337 Als Inspirationsquelle bezeichnete Mnouchkine im Programmheft den Kampf der ‚Sans Papier de Saint Bernard‘ 1966, als das Théâtre du Soleil über 300 Flüchtlinge, die aus einer Kirche in Paris vertrieben wurden, in seinen Räumen aufnahm.338 Sie wollte ein 333 vgl. Féral 2003: 200. 334 vgl. Wetzel, Johannes (1998) „Ariane Mnouchkines neues Stück in Paris engagiert sich für Tibet. Asylspiele unterm Theaterdach.“, in: Berliner Zeitung 10/01/98. Berlin: Verlag GmbH. http:// www.berliner-zeitung.de/ariane-mnouchkines-neues-stueck-in-paris-engagiert-sich-fuer-tibet-asylspieleunterm-theaterdach-16034060 Zugriff: 28.6.16 335 vgl. Hammerstein, Dorothee (1998): „Das Glück macht, was es will. Kleist und Brecht, der Holocaust, Armenier und Tibet - ein Streifzug durchs Pariser Theater.“, in: Theater Heute 1998/3. Berlin: Friedrich Verlag GmbH, 29. 336 Flüchtlinge, Mitarbeiter und Zuseher. 337 vgl. Wetzel 1998: Online. 338 ebd. ! ! !76 Theater über ihr Theater machen. Die in Wirklichkeit afrikanischen Flüchtlinge tauschte sie gegen Tibeter aus, um auf die prekäre Situation in Tibet aufmerksam zu machen.339 In der Kritik wurde das vier Stunden dauernde Stück eher negativ aufgenommen, was Johannes Wetzel in der Berliner Zeitung damit in begründete, dass sich beinahe das gesamte Ensemble nach Tartuffe neu formatiert hatte, um einer beginnenden Vorrangstellung einzelner Schauspieler zu entgehen, und die neu zusammengestellte Truppe erst wieder zusammenfinden müsse.340 Et soudain, des Nuits d’eveil feierte 1997 in der Cartoucherie Premiere und fuhr 1998 auf ein Gastspiel nach Moskau (Tschechow-Festival). Insgesamt erreichte das Stück 55.000 Zuseher, und war neben La ville Parjure das am wenigsten besuchte Stück des Théâtre du Soleil seit dem Einzug in die Cartoucherie. ! Mit dem Stück Tambour sur la digue (Trommeln auf dem Deich) kehrte das Théâtre du Soleil wieder zu einem von Hélène Cixous im Vorfeld verfassten Stück zurück, welches, wie der Untertitel - Sous forme de pièce ancienne pour marionettes jouée par des acteurs - schon sagt, ein von Schauspielern dargebotenes traditionelles Puppenspiel war.341 Einzelne Schauspieler stellten hier Puppen dar, die von ihren Kollegen schwarzen Gestalten im Dunkeln - geführt wurden. Nichts bewegten die Puppendarsteller aus eigener Kraft, jede Bewegung wurde von den ‚Schwarzen‘ geführt, sie wurden sogar herein- und hinausgetragen.342 Dieses Puppentheater erinnerte 339 vgl. Hammerstein 1998: 29. 340 vgl. Wetzel 1998: Online. 341 vgl. Féral 2003: 200. 342 vgl. Hammerstein, Dorothee (1999) „Völkerkunde und Nudelsuppe. Ariane Mnouchkine serviert ein neues Stück von Hélène Cixous im Pariser Théâtre du Soleil.“ in: Theater Heute 1999/11. Berlin: Friedrich GmbH, 13. vgl. Wetzel, Johannes (1999) „Anleihen beim Bunraku-Theater: Ariane Mnouchkine inszenierte ‚Trommler auf dem Damm‘ von Hélène Cixous. Als wärs ein Märchen von Greenpeace.“, in: Berliner Zeitung 28/09/99. Berlin: Verlag GmbH. http://www.berliner-zeitung.de/anleihen-beim-bunraku-theater-ariane-mnouchkine-inszenierte--trommler-auf-dem-damm--von-h%C3%A9l%C3%A8ne-cixous-alswaer-s-ein-maerchen-von-greenpeace-16386850 343 ! ! !77 an das japanische Marionettentheater Bunkaru.343 In der Vorbereitungszeit verbrachte die Truppe drei Monate in Asien, danach wurde ein Jahr lang geprobt.344 Das Stück handelte von einem Land, welches durch den vom Regen angeschwollenen Fluss überflutet zu werden drohte. Der Grund dafür war, dass der Fürst die Wälder, die das Wasser hätten aufhalten sollen, gefällt und das Holz verkauft hatte. Damit nicht das ganze Land ertrinken würde, wollte der Fürst einen der zwei Dämme öffnen und so nur einen Hälfte des Landes vernichten. Er entschied sich nicht für die Stadt, sondern für das Land, was bedeutete, dass die Bauern ertrinken würden. Die Bauern wehrten sich aber, es kam zum Kampf und schlussendlich brachen beide Dämme und alle starben in den Fluten.345 Am Ende stiegen die ‚Schwarzen‘, die nun keine Puppen mehr tragen mussten, ins Wasser und sammelten kleine Figuren, Abbilder der Puppen, heraus und stellten diese auf die Bühnenrampe.346 Dieses Bild rief bei den Zusehern die Frage hervor, ob die Schwarzen auf der Seite der Puppen gestanden waren oder nicht. Waren sie nur Diener oder waren doch sie es, die die Puppen beherrscht hatten347 Dieses Stück war die Weiterentwicklung der Maskenarbeit, mit der sich das Soleil schon in vielen Inszenierungen beschäftigt hatte. Die Entpsychologisierung wurde durch die Fremdbestimmtheit von außen auf die Spitze getrieben.348 Die Verfremdung durch die Puppen führte dem Zuseher die ganze Zeit die Theatersituation klar vor Augen, Identifikation war schwer möglich. Zusätzlich wurde beispielsweise für die 344 vgl. Hammerstein 1999: 13. 345 vgl. Wetzel 1999: Online. 346 vgl. Hammerstein 1999: 13. 347 ebd. 348 ebd. ! ! !78 Darstellung von Blut rote Wolle verwendet, die aus der Wunde heraus rollte, was die Verfremdung noch einmal vergrößerte.349 Tambour sur la Dique war nach der Premiere im Jahre 1999 von 2000 bis 2002 auf Tournee und wurde in Basel (Kaserne Basel), Antwerpen (DeSingel), Lyon, Montreal (Festival de Théâtre des Amériques) Tokyo Seoul (Nationaltheater Korea) und Sydney gespielt. Es erreichte insgesamt 154.000 Zuseher.350 b.) Le derniere caravanserail ! Das Stück Le deniere caravanseráil (Der letzte Karavnserai), welches im November 2003 Premiere hatte, beinhaltete Flüchtlingsgeschichten aus Kriegs- oder Krisengebieten. Dafür führten Mnouchkine und die Mitglieder der Truppe zwischen 2001 und 2003 über 400 Interviews in Flüchtlingslagern, aus denen eine Vielzahl von Szenen entstand.351 Diese Vorgehensweise war für die damalige Zeit eher neu und ungewöhnlich. Das Stück hatte keinen linearen Handlungsverlauf, sondern setzte sich aus unterschiedlichen kurzen Geschichten zusammen, die jeweils Anfang und Ende hatten. Schauspieler des Théâtre du Soleil, die teilweise selbst als Flüchtlinge nach Frankreich kamen, halfen bei den Übersetzungen.352 Der erste Teil Le fleuve cruel wurde 2003 für das Theaterfestival in Avignon produziert, da aber eine große Menge an Material übergeblieben war, entstand im selben Jahr noch der zweite Teil Origines et destins. Ungefähr hundert Szenen waren vorhanden, wobei an einem Abend etwa zwanzig Szenen gespielt wurden.353 Die Szenen wurden immer wieder anders zusammengesetzt, die Geschichten laufend geändert und erweitert, demnach war die 349 vgl. Wetzel 1999: Online. 350 vgl. Féral 2003: 200. 351 vgl. Berliner Zeitung (2005) „Das Woher und Wohin. Ariane Mnouchkine/Le Théâtre du Soleil: ‚Le derniere Caravaserail - Odyssées‘“‚ in: Berliner Zeitung 27/05/05. Berlin: Verlag GmbH. http:// www.berliner-zeitung.de/das-woher-und-wohin-ariane-mnouchkine--le-th%C3%A9%C3%A2tre-dusoleil---le-dernier-caravans%C3%A9rail---odyss%C3%A9es--15707142 Zugriff: 30.6.16 352 ebd. 353 vgl. Hammerstein, Dorothee (2003) „Zwischen Grand Lit und Munitionsfabrik. Pariser Sommertheater mit Ipsens ‚Klein Eolf‘, Roland Schimmelpfennig auf französisch, Goya-Miniduren, einem ‚Onkel Wanja‘ von Julie Brochen und Emigrantenschicksale, nacherzählt von Ariane Mnouchkine.“, in: Theater Heute 2003/7. Berlin: Friedrich GmbH, 35. ! ! !79 Möglichkeit, das gleiche Stück ein zweites Mal zu sehen, unwahrscheinlich.354 Die Bühne war karg gestaltet, die Szenen spielten nicht auf dem Holzboden, sondern auf rollbaren Spielflächen, die mit hohem Tempo, begleitet von akrobatischen Einlagen, herbei- und wieder weggeschoben wurden.355 Auch die Darsteller wurden - ähnlich wie in Tambour sur la digue - auf rollenden Brettern hereingeschoben und konnten sich erst selbstständig bewegen, als sie die rollenden Flächen erreicht hatten.356 Diese Mittel sollten einerseits den Ablauf vorantreiben, andererseits standen sie als Sinnbild dafür, wie Menschen von Schleppern und Politikern hin- und hergeschoben werden.357 Da die Szenen auf echten Erzählungen beruhten und die Schauspieler für das Théâtre du Soleil ungewöhnlich naturalistisch spielten, sollte dadurch auch ein zu Hohes Maß an Realismus vermieden werden.358 An der Rückwand der Bühne befand sich eine große Weltkarte, auf der die Flüchtlingsströme aufgezeichnet waren.359 Alle biographischen Daten, Namen, Herkunft und Lebenswege der interviewten Flüchtlinge waren im Programmheft festgehalten.360 Mnouchkine beschränkte sich nicht auf eine Gruppe von Flüchtlingen, sondern erzählte von Flüchtlingen aus Afghanistan, Tibet, Australien, Palästina, Algerien, Russland, Irak und Afrika.361 Darunter (waren) beispielsweise eine Russin, die zur Prostitution gezwungen wurde, da sie einen falschen 354 vgl. Berliner Zeitung 2005: Online. 355 vgl. Hammerstein 2003: 36. 356 ebd. 357 vgl. Wetzel, Johannes (2003) „Ariane Mnouchkines Dokumentartheater ‚Die letzte Karavanserail‘. Limonade in der Wüste.“, in: Berliner Zeitung 16/4/03. Berlin: Verlag GmbH. http://www.berlinerzeitung.de/ariane-mnouchkines-dokumentartheater--die-letzte-karawanserei--limonade-in-derwueste-15967344 Zugriff: 1.7.16 358 vgl. Wilink, Andreas (2004) „Der geteilte Himmel. Ariane Mnouchkines ‚Le derniere caravaserail‘ und Peter Brooks ‚Tierno Bokar‘ bei Gerard Mortiers Ruhrtriennale, die nach drei Jahren endet.“, in: Theater Heute 2004/08-09. Berlin: Friedrich GmbH, 34. 359 vgl. Weltzel 2003: Online. 360 vgl. Wilink 2004: 34. 361 vgl. Bazinger, Irene (2005) „Die Sonnenkönigin: Ariane Mnouchkine und ihr Théâtre du Soleil. Ehre, wem Ehre gebührt.“, in: Berliner Zeitung 3/6/05. Berlin: Verlag GmbH. http://www.berliner-zeitung.de/ die-sonnenkoenigin--ariane-mnouchkine-und-ihr-th%C3%A9%C3%A2tre-du-soleil-ehre--wem-ehregebuehrt-15939416 Zugriff: 5.7.2016 ! ! !80 Pass hatte; ein Schlepper aus Rumänien, der durch ein Loch im Zaun Geld verdiente, dafür sogar mordete und schlussendlich selbst umgebracht wurde; Liebespaare aus Afghanistan, die ermordet wurden; Taliban, die sich unter die Flüchtlinge mischten; Menschen, die in Flüchtlingslagern Geld für die Weiterfahrt verdienten, indem sie andere zum Beispiel zur Prostitution zwangen;362 Bei all diesen Erzählungen wurde nie geurteilt, denn es gab immer zwei Seiten, nie nur Gut oder nur Böse. Flüchtlinge, Schlepper, Politiker sowie Zivilbevölkerung hatte wenig Anlass und noch weniger Gelegenheit zu guten Taten.363 Le derniere caravanseráil war das erste und bislang einzige Dokumentartheater-Stück des Théâtre du Soleil, da die realen Geschichten weder in einen anderen Kontext gestellt wurden, noch durch andere Mittel, außer den fahrbaren Bühnenelementen, verfremdet wurden. Jedoch gab es immer wieder Szenen, die über die Realität hinaus bis ins Absurde getrieben wurden.364 Nach der Premiere tourte das Stück nach Rom, Avignon, Quimper (Theater Cornwall), Bochum (Ruhrtriennale), Lyon (Célestins Theater), Berlin (Theater Arena), New York (Lincoln Center), Melbourne und Athen. Diese Tour zog sich insgesamt über zwei Jahre. Alles in allem erreichte Le derniere caravanseráil 185.000 Zuschauer. 2006 entstand ein Film von Le dernière caravanseráil, der in der Cartoucherie aufgezeichnet wurde.365 ! 2005 sollte Mnouchkine den mit 25.000 € verbundenen Goethe-Preis der Alfred Toepfer Stiftung für ihr Lebenswerk erhalten, wies diese Ehrung aber zurück. Sie begründete die Zurückweisung damit, dass Toepfer Kulturpolitik des Dritten Reichs gefördert und mitfinanziert habe.366 362 vgl. Weltzel: Online. 363 ebd. 364 vgl. Wilink 2004: 34. 365 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/le-dernier-caravanserail-2003/?lang=fr Zugriff: 1.7.2016 Mnouchkine, Ariane/Théâtre du Soleil: Le Derniere Caravansérail (Odyssee). Coproduction Théâtre du Soleil, ARTE France, Bel Air Media 2006. 366 ! vgl. Theater Heute 2006/5: „Notizen“. Berlin: Friedrich GmbH, 68. ! !81 c.) Les Ephémère nach einem Vorschlag von Ariane Mnouchkine ! Das Stück Les Ephémère (Die Eintagsfliegen), welches im Dezember 2006 in der Cartoucherie Premiere feierte, wurde wieder ohne Textvorlage aufgrund eines Vorschlags von Mnouchkine erarbeitet.367 Es sollte vom Alltag erzählen und basierte auf unterschiedlichsten Lebensumständen und -momenten, die die Schauspieler in der mehrmonatigen Probenzeit368 entwickelten.369 Wieder hatte das Stück keinen Handlungsstrang, sondern setzte sich aus unterschiedlichen, kurzen Szenen zusammen. Wieder war die Bühne leer und wieder wurden die vielen Spielorte auf rollbaren Flächen hereingeschoben, nun aber nicht (wie in Le derniere caravanseráil) schnell und akrobatisch, sondern ganz langsam, bedacht und vorsichtig.370 Außerdem wurden diese kleinen, sehr detailliert gestalteten Bühnen während der ganzen Szenen händisch gedreht.371 Die Spielweise der Schauspieler war nun - noch mehr als in Le dernière caravanseráil - auf leise, echte und naturalistische Töne fokussiert. Beinahe filmisch waren die Szenen aufgebaut, an die ehemals große und theatrale Gestik (wie etwa Les Atrides oder dem Shakespeare-Zyklus) erinnerte nichts mehr.372 Die einzigen verfremdenden Faktoren waren die drehenden Bühnen und die sich geschmeidig bewegenden Bühnenhelfer.373 Die Zuseher saßen auf zwei sich gegenüberstehenden Tribünen und konnten sich somit gegenseitig in die Augen sehen. Zwischen den beiden Tribünen war die Spielfläche.374 367 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/les-ephemeres-2006,227/?lang=fr Zugriff: 4.7.2016 368 Die Premiere musste um mehrere Wochen verschoben werden. 369 vgl. Hahn, Thomas (2007) „‚Les Ephémères‘ sind sechs Stunden Glück. Ariane Mnouchkines Theatertruppe begibt sich in ihrem neuen Stück im Pariser Théâtre du Soleil auf historische Erkundungsfahrt.“, in: Die Welt 13/01/07. Online: http://www.welt.de/kultur/theater/article708469/LesEphemeres-sind-sechs-Stunden-Glueck.html Zugriff: 4.7.2016 370 ebd. 371 vgl. Heidegger, Gerald „Das 20. Jahrhundert als Interieur.“ ORF.at: http://newsv1.orf.at/ 080430-24555/ Zugriff: 4.7.2016 372 ebd. 373 ebd. 374 vgl. Hahn 2007: Online. ! ! !82 Das Stück setzte sich aus zwei dreistündigen Teilen zusammen, die entweder an zwei aufeinanderfolgenden Abenden gespielt wurden, oder am Wochenende in Einem.375 Erinnerungen an Eltern und Großeltern sowohl von Mnouchkine, als auch von älteren Mitgliedern der Truppe, dienten als Ausgangspunkt für die Szenen. Thema war einerseits die Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten, andererseits Episoden aus dem damaligen Alltag.376 Figuren waren in einzelnen Szenen zu sehen, die teilweise abgeschlossene Geschichten waren, teilweise tauchten sie in späteren Szenen wieder auf, beispielsweise zuerst als Kinder mit Großeltern und in einer späteren Szene als Erwachsene mit eigenen Problemen.377 Ein durchgängiges Mittel war das Telefon, das immer wieder - ähnlich wie der Boten einer antiken Tragödie - auftauchte. Das Telefon brachte in einer Vielzahl der Szenen einen Wendepunkt im dargestellten Leben.378 Zusätzlich zu den Mitgliedern der Truppe spielten auch Kinder unterschiedliche Rollen.379 Mnouchkine hatte in diesem Stück mit großen Erzählungen abgeschlossen und widmete sich ihrer eigenen Vergangenheit.380 Sie hatte sich entschieden, für dieses Stück einen völlig anderen Weg einzuschlagen, um Geschichte darzustellen: mit Intimität und Direktheit.381 Sie stellte die Frage nach einzelnen Schicksalen. Genauer, die Frage, wann eine individuelle Erfahrung zu einer Aussage über kollektive Erfahrungen wird, bzw. wann ein Einzelner für sich steht und wann er zu einem Teil einer historischen, geschichtlichen Begebenheit wird.382 Beantwortet wurde diese Frage nicht direkt. Im 375 vgl. Isherwood, Chrales (2009) „Everyday Intimacies, and the Intensity of a Ringing Phone“, in: The New York Times 9/7/09. Online: http://www.nytimes.com/2009/07/10/theater/reviews/10ephemeres.html? _r=0 Zugriff: 4.7.2016 376 vgl. Hahn 2007: Online. 377 vgl. Isherwood 2009: Online. 378 vgl. Hahn 2007: Online. 379 ebd. 380 Eine der Hauptfiguren, Jeanne, die sich auf die Suche nach ihren Vorfahren machte und erfuhr, dass ihre Großeltern nach Auschwitz deportiert wurden, erinnerte sehr stark an Mnouchkines persönliche Vergangenheit. (Information aus einem Dokumentationsgespräch in Wien am 22.5.2016 mit Andreas Simma, einem langjährigen Mitglied des Théâtre du Soleil.) 381 vgl. Heidegger: Online. 382 ebd. ! ! !83 Vergleich zu Mnouchkines Anfängen allerdings - als sie beispielsweise 1798 inszenierte und das Publikum sehr direkt und eindeutig über ein Stück Geschichte aufklärte versuchte sie in Les Ephémères durch ganz individuelles, persönliches Theater die Zuseher zum Nachdenken zu bringen. Das Stück wurde in der Kritik sehr gut aufgenommen und tourte nach der Premiere nach Quimper, Athen (Festival d’Athènes), Avignon, Argentinien (Festival de Buenos Aires), Brasilien (Festival Poa em Cena, Porto Alegre und Sao Paulo), Taipeh, Wiener Festwochen, Saint-Etienne und New York (Lincoln Center Festival).383 2008 wurde das Stück gefilmt und unter anderem im Fernsehsender Arte ausgestrahlt.384 2009 gewann Mnouchkine als erste und bisher einzige Frau den Internationalen IbsenPreis, der alle zwei Jahre von der norwegischen Regierung vergeben wird. Der Preis, im Wert von rund 300.000 €, soll eine Person, Institution oder Organisation ehren, die dem Theater neue künstlerische Dimensionen eröffnet hat.385 Unter anderen zählen Peter Brook, Peter Handke und seit 2016 die Gruppe forced entertainment zu den Gewinnern.386 ! d.) Les nauphragés du fol espoir ! Fast das gesamte Preisgeld floss in die nächste Produktion: Les nauphragés du fol espoir (Die Schiffbrüchigen der verrückten Hoffnung).387 Die Romanvorlage von Jules Verne Die Schiffbrüchigen der Jonathan diente als Grundlage. Hélène Cixous wurde 383 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/les-ephemeres-2006,227/?lang=fr Zugriff: 4.7.2016 384 ebd. 385 vgl. The international Ibsen Award, Online: http://www.internationalibsenaward.com/about Zugriff: 5.7.2016 „The International Ibsen Award honours an individual, institution or organization that has brought new artistic dimensions to the world of drama or theater.“ (ebd.). 386 ebd. 387 vgl. Gibbons, Fiachra (2010) „Les Naufragés du Fol espoir. Cartoucherie, Paris.“, in: TheGuardian 9/3/2010. London: Guardian News & Media Ltd. Online: https://www.theguardian.com/stage/2010/mar/ 09/les-naufrages-du-fol-espoir Zugriff: 5.7.2016 ! ! !84 wieder zur Bearbeitung der Texte hinzugezogen.388 Das Stück war in drei Handlungsebenen aufgeteilt. Zunächst gab es eine Studentin, die ihre Dissertation schrieb und dafür altes Filmmaterial von ihrer Großmutter suchte. Diese Ebene fand in der Jetzt-Zeit statt.389 Die zweite Ebene spielte kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs im Jahr 1914. Die Großmutter der Studentin beschloss mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe in einer Tanzkneipe (Guinguette) den Roman von Jules Vernes Die Schiffbrüchigen der Jonathan als Stummfilm zu drehen.390 Da der Ausbruch des ersten Weltkriegs unmittelbar bevorstand, wirkten verschiedene Provokationen, Hoffnungen und Ängste auf die Gruppe ein, was dazu führte, dass sich Szenen verselbstständigten und die Fertigstellung des Film immer schwieriger wurde.391 Die dritte Ebene war der Inhalt des gedrehten Films: Der Roman von Jules Verne handelt davon, dass sich nach einem Schiffsunglück die meisten Passagiere auf eine patagonische Insel retten können. Sie haben dort als Inselbewohner die Möglichkeit, eine neue, freie, gerechte, friedliche und glückliche Gesellschaft aufzubauen, was jedoch eine Utopie bleibt und nach unterschiedlichen Versuchen scheitert.392 Das Stück von Mnouchkine endete damit, dass die Überlebenden der ‚Jonathan‘ einen Leuchtturm bauten, damit sich künftige Schiffe durch das Licht besser zurechtfinden würden.393 Damit wurde die Botschaft gesetzt: Das Theater kann Licht in die Krisen und Kriege der Gesellschaft bringen.394 388 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/les-naufrages-du-fol-espoir-2010/?lang=fr Zugriff: 5.7.2016 389 vgl. Klaeui, Andreas (2010) „Schmetterlingskunde. Man muss auch mal schwärmen dürfen: über Paris im Sommer mit Isabelle Huppert in Krysztof Warlikowskis Williams-Inszenierung ‚Endstation Sehnsucht‘ und Ariane Mnouchkines neuestes Zauberstück ‚Les Naufragés du Fol Espoir‘, in: Theater Heute 2010/07. Berlin: Friedrich GmbH, 41. 390 ebd. 391 ebd. 392 Projekt Gutenberg: Die Schiffbrüchigen der Jonathan von Jules Verne. Online: http:// gutenberg.spiegel.de/buch/-8966/1 Zugriff: 5.7.2016 393 vgl. Klaeui 2010: 41. 394 vgl. Wetzel, Johannes (2010) „Bei Ariane Mnouchkine macht sogar ein Schiffbruch Hoffnung. In Paris zeigt sie ‚Les Naufragés du Fol Espoir’“, in: Die Welt 22/2/10. Berlin: WeltN24 GmbH. http:// www.welt.de/kultur/theater/article6499294/Bei-Ariane-Mnouchkine-macht-sogar-ein-SchiffbruchHoffnung.html Zugriff: 5.7.2016 ! ! !85 Die Dreharbeiten fanden für das Publikum gut sichtbar statt, alles wurde händisch erzeugt. Der Sturm wurde etwa dadurch hergestellt, dass sich ein Statist unter die Röcke der Darsteller schlich und sie flattern ließ, der Ozean wurde durch ein überdimensionales Leintuch gezeigt.395 Mnouchkine wollte durch diese Einfachheit der Mittel die Phantasie der Zuseher anregen.396 Das Auf- und Abbauen verschiedener Kulissen, sowie die Bedienung der Kamera wurde mit großer Geschwindigkeit durchgeführt, denn die Zeit drängte, man spürte den Ausbruch des Krieges. Thomas Hahn schrieb in einer Besprechung des Stücks in der Zeitschrift Tanz: „Temporeicher ist keine Tanzinszenierung.“397 Um den Eindruck eines Stummfilms zu erzeugen, wurden die Stummfilm-Szenen untertitelt, die Stimmen der Darsteller hörte man nur außerhalb der ‚Drehzeiten’.398 Das Stück stieß auf unterschiedliche Kritiken, großteils wurde es aber positiv aufgenommen.399 Wolfgang Kralicek kritisierte in einem Artikel der Zeitschrift Theater Heute jedoch die banale Botschaft, die unfreiwillig komischen Dialoge und den ausgestellten Spielgestus des Stummfilms, welchen die Schauspieler seiner Meinung nach auch nach Drehschluss „fatalerweise“ nicht ablegten.400 Auffallend ist hier jedoch, dass Kralicek in seiner Kritik über diverse Stücke der Wiener Festwochen vorwiegend negative Aspekte hervorhob und den, für ihn, gelungenen Momenten weniger Platz einräumte. Andreas Klaeui lobte in einem Artikel der Nachtkritik die Spielfreude und 395 vgl. vgl. Hahn, Thomas (2010) „Ariane Mnouchkine ‚Les Nauphragés…‘“, in: Tanz 2010/05. Berlin: Friedrich GmbH, 46. Online: http://www.kultiversum.de/Tanz/Ariane-Mnouchkine-Les-NaufragesParis.html Zugriff: 5.7.2016 396 vgl. Wetzel 2010: Online. 397 Hahn 2010: Online. 398 ebd. 399 vgl. Hahn 2010: Online.; Klaeui 2010: 41.; Gibbons 2010: Online.; 400 vgl. Kralicek, Wolfgang (2012) „Von indischen Elefanten und armen Hunden. Wiener Festwochen 2012: Inszenierungen von Christoph Martaer und Kornél Mundruczó, das erste Stück von Paulus Hochgatterer, Star-Theater und eine Überraschung aus Australien.“, in: Theater heute 2012/8-9. Berlin: Friedrich GmbH, 13. ! ! !86 szenische Phantasie. „Es ist eine Hommage an die Kinematografie, den Zauber der bewegten und bewegenden Bilder.“401 Les nauphragés du fol espoir wurde insgesamt über 300 Mal gespielt und tourte um die halbe Welt, u.a. nach Lyon, Nantes, Athen, São Paulo, Rio de Janeiro, Wien, Edinburgh und Taipeh.402 ! e.) Macbeth von William Shakespeare ! Bevor Mnouchkine mit den Proben zu einem neuen Stück anfing, erhielt sie 2011 die Goethe Medaille, welche jedes Jahr vom deutschen Goethe-Institut vergeben wird. Die Medaille zeichnet Persönlichkeiten aus den Bereichen Wissenschaft, Kunst und Kultur aus, die sich in besonderer Weise um die Vermittlung der deutschen Sprache sowie den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben.403 Diese Ehrung hatte einerseits damit zu tun, dass Mnouchkine mit zahlreichen Inszenierungen zu Gast in Deutschland war, andererseits sollte Mnouchkines politisches Engagement außerhalb des Theaters geehrt werden.404 ! Zum 50. Geburtstags des Théâtre du Soleil kehrte Mnouchkine 2014 zu William Shakespeare zurück und inszenierte Macbeth. Wieder übersetzte Mnouchkine den Text selbst, um etwaigen Abweichungen aufgrund der Übersetzung zu entgehen.405 Diesmal setzte Mnouchkine das Stück vollkommen in die Jetzt-Zeit. Von orientalischen Formen wie im Shakespeare-Zyklus vor etwa 30 Jahren war 2014 nichts mehr zu spüren. Die Hexen hatten Notebooks und Macbeth bekam die Prophezeiung direkt 401 Klaeui, Andreas (2010) „Gefahren! Liebe! Hoffnung! Les Naufragés du Fol Espoir (Aurores) – Ariane Mnouchkine verzaubert in Paris eine Robinsonade.“, auf: Nachtkritik. Online: http://www.nachtkritik.de/ index.php?option=com_content&view=article&id=3960&Itemid=40 Zugriff: 5.7.2016 402 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/les-naufrages-du-fol-espoir-2010/?lang=fr Zugriff: 5.7.2016 403 vgl. Goethe Institut, Online: https://www.goethe.de/de/uun/ver/gme.html Zugriff: 6.7.2016 404 ebd.: https://www.goethe.de/de/uun/ver/gme/prt/20400649.html Zugriff: 6.7.2016 405 vgl. Billington, Michael (2014) „Macbeth review – Ariane Mnouchkine’s modern-dress marathon.“, in: The Guardian 30/11/2014. London: Guardian News & Media Ltd. Online: https:// www.theguardian.com/stage/2014/nov/30/macbeth-review-cartoucherie-paris-black-tie-bunker Zugriff: 6.7.2016 ! ! !87 online zugeschickt.406 Das Haus der Macbeths war mit Barwagen, Ledergarnitur und Fernseher ausgestattet, Lady Macbeth trat mit Bluse und Designer-Jeans auf. Neue Kommunikation und Medien spielten eine große Rolle. So erwartete etwa ein ganzes Fernsehteam die Rückkehr Macbeths aus der Schlacht, um ein Interview zu ergattern. Auch die Morde Macbeths im Hause Macduff wurden von einem Fotographen begleitet und so für die Nachwelt festgehalten.407 Kostüme und Bühne waren in der Gegenwart angesiedelt, die Spielweise der Schauspieler war dennoch von großen Gefühlen durchdrungen. Die Schauspieler spielten Shakespeare mit einer kompromisslosen Ernsthaftigkeit, sodass die Gefahr gebannt war, ins Banale abzurutschen.408 Kein Moment wurde übergangen, sondern jede kleinste Wendung von den Schauspielern und dadurch auch vom Publikum mit Staunen wahrgenommen.409 Aus den Berichten und Kritiken über dieses Stück ist es schwer herauszulesen, was diese Inszenierung besonders auszeichnete. Viele positive Kommentare lobten das Spiel der Schauspieler, hielten sich jedoch bei der Beschreibung dieser Inszenierung zurück. Macbeth wurde nur in der Cartoucherie gespielt und erreichte knapp 82.000 Zuseher. Die letzten Aufführungen fanden im Dezember 2015 statt.410 ! Macbeth ist das bislang letzte Stück Mnouchkines und des Théâtre du Soleil. Seit kurzem ist allerdings schon der Termin der nächsten Premiere festgelegt: der 12. Oktober 2016.411 Folgender Artikel auf der Homepage des Théâtre du Soleil bietet darüber genauere Auskunft: 406 vgl. Klaeui, Andreas (2014) „Hingetuschte Möglichkeiten. Seit 50 Jahren praktiziert Ariane Mnoukines Théâtre du Soleil den naiven Kinderblick – jetzt auch auf Shakespeares ‚Macbeth‘“, in: Theater Heute 2014/7. Berlin: Friedlich GmbH, 22. Online: http://www.kultiversum.de/Theaterheute/ Ausland-Ariane-Mnouchkine-Macbeth.html Zugriff: 6.7.2016 407 vgl. Stadelmaier, Gerhard (2014) „Mord ist Sport im Tal des Staunens. Zwei große, alte WelttheaterGenies unternehmen in Paris tolle Reisen ins Gehirn: Ariane Mnouchkine mit Shakespeares ‚Macbeth‘, Peter Brook mit seinem „Valley of Astonishment“, in: Frankfurter Allgemeine 08/05/14. Frankfurt: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH. Online: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-undkonzert/theater-in-paris-mord-ist-sport-im-tal-des-staunens-12929988.html Zugriff: 6.7.2016 408 ebd. 409 ebd. 410 vgl. Théâtre du Soleil, Online: http://www.theatre-du-soleil.fr/thsol/nos-spectacles-et-nos-films/nosspectacles/macbeth-2014/ Zugriff: 6.7.2016. 411 ! vgl. Théâtre du Soleil, Online. ! !88 ! Paris, den 22. Mai 2016 Berechtigte Neugier !– Wie weit seid ihr denn nun? – Wir? Wir sind in Indien. – Immer noch? Aber nach euren letzten Nachrichten kamt ihr gerade daher zurück. – Ja. Wir sind zurückgekommen, das stimmt. Aber wir haben Indien mitgebracht. – Dann wird es noch einmal ein Stück über Indien geben? – Es wird nicht über Indien sein, aber es wird in Indien spielen. In einem Zimmer in Indien. Das wird übrigens der Titel des Stücks sein. – Das? Das heißt? Was spielt denn in Indien, was nicht Indien ist? – Visionen, Träume, Alpträume, Heimsuchungen, Paniken, Zweifel, Offenbarungen. Alles, was die Schauspieler und Techniker einer armen Theatertruppe heimsucht, die verzweifelt auf der Suche nach einem entschlossen zeitgenössischen und politischen Theater ist und dort durch Ereignisse blockiert wird, die sie übersteigen und erschüttern, so wie sie uns übersteigen, auch uns, und uns erschüttern, ohne dass wir bisher die Art und Weise fänden, wie wir ihnen ins Auge sehen könnten, wie wir sie ertragen, ohne zu resignieren oder durch unsere Worte oder Taten zum Übel noch Übles hinzufügen. – Und weiter? – Das ist im Augenblick alles. Und das ist schon gar nicht schlecht. Ach, eins vergaßen wir! Wenn die Götter des Theaters so wollen, dann ist es am 12. Oktober 2016. !Le Théâtre du Soleil ! ! ! 412 7. Die Arbeit mit dem Schauspieler ! Im Laufe der Jahre hat Mnouchkine neben ihrem ganz eigenen Regiestil einen ganz eigenen Stil in der Arbeit mit den Schauspielern entwickelt. Ihre Ausbildung hatte sie bei Jaques Lecoq genossen, dessen Schauspielschule sie ein Jahr besucht hatte. Vieles davon ist in Mnouchkines Arbeit mit den Schauspielern eingeflossen. Bevor darauf näher eingegangen wird, bedarf es einer Erläuterung der Lecoq-Schule, ihrer Ursprünge und Arbeitsweisen. Der zweite große Einfluss waren die asiatischen Theaterformen, die zum Teil auch in der Lecoq-Schule auftauchen, die sich Mnouchkine jedoch von unterschiedlichen Lehrern und auf ihren Reisen durch Asien aneignete.413 In einem Interview in der Zeitschrift Theater Heute aus dem Jahr 1984 meinte Mnouchkine in Bezug auf die Frage, ob sie Artaud gelesen habe: „Nein, […] Ich will, 412 Théâtre du Soleil, Online. 413 Eine kurze Beschreibung dieser Theaterformen wurde in Zusammenhang mit dem ShakespeareZyklus in Kapitel 5.a. versucht. ! ! !89 was ich finde, selbst finden.“414 Diese Aussage bestätigt sich durch den Blick auf Mnouchkines Werdegang. Die von ihr geprägten Arbeitsmethoden haben ihre Ursprünge in unterschiedlichen Entwicklungen der französischen Schauspieltradition. Auf die Ursprünge und deren Einflüsse auf das Théâtre du Soleil soll nun näher eingegangen werden. ! a.) Copeau - Lecoq - Mnouchkine ! Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte auf den Bühnen in Frankreich - wie auch in anderen Ländern - die Spätepoche des Naturalismus. Das bedeutete einen möglichst realistischen Stil im Spiel der Schauspieler und einen enormen Aufwand an Kulissen, Bühnenbild und Requisiten.415 Der Zuschauer sollte unterhalten werden, der Phantasie wurde wenig überlassen.416 Dies als Auslöser veranlasste eine neue Forderung an das Theater, besonders an die Schauspielkunst: Ein Schauspieler sollte nicht mehr nur Nachahmer und Interpret, sondern selbst Künstler sein. Er sollte - wie in anderen Kunstrichtungen auch - Techniken beherrschen, um unterschiedliche Formen des schauspielerischen Ausdrucks zu ermöglichen. Weiters sollte er die Fähigkeit haben, dies im eigenschöpferischen Sinne zu erarbeiten. Diese Forderung führte dazu, dass der Ausbildung zum Schauspieler - besonders die Entfaltung der körperlichen Ausdrucksformen - mehr und mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde.417 Drei Namen sind im Hinblick auf die Suche nach neuen körperlichen Ausdrucksformen besonders hervorzuheben: Emile Jaques-Dalcroze und seine ‚Rhythmisch-musikalische Gymnastik‘, Edward Gordon Craig, der in Florenz die ‚Arena Goldoni‘ gründete, eine 414 vgl. v. Becker, Peter (1984) „Die Theaterreise zu Shakespeare: Aufbruch in das ferne, fremde Land, das wir selbst sind. Ein Gespräch mit Ariane Mnouchkine nach Abschluss ihres Shakespeare-Zyklus’“, in: Theater Heute 1984/13. Berlin: Friedrich GmbH, 14. 415 vgl. Matthies, Roland (1996): Wege zu einer neuen Schauspielausbildung - Wege zu einem neuen Theater?. Von der Schule des Vieux Colombier zu den Schulen von Etienne Decroux und Jaques Lecoq. Frankfurt am Main: Haag und Herchen, 24. 416 ebd. 417 ebd.: 9f. ! ! !90 Forschungs- und Ausbildungsstätte des Theaters, und der Russe Meyerhold und seine Biomechanik.418 Einen wichtigen Einschnitt in der Entwicklung des französischen Theaters brachte Jacques Copeau. Mitte der 1920er Jahre wurde Copeau Leiter der Reformbühne Théâtre de Vieux-Colombier. Die an dieses Theater angeschlossene Schule war der erste Schritt zu einer methodischen Schauspielschulung.419 1909 wurde Copeau am Théâtre des arts unter der Leitung von Jacques Rouché engagiert. Rouché, nach einer langen Reise durch Europa von den verschiedenen Eindrücken angeregt, entwickelte am Théâtre des arts einen eigenen, fortschrittlichen Regiestil: Er setzte einerseits auf leise, verinnerlichte Ausdrucksmittel und verband dies andererseits mit einem hohen Maß an Stilisierung.420 Zusätzlich arbeitete er mit Malern zusammen, mit denen er für damalige Zeit ungewöhnlich bildnerische Elemente in seine Inszenierungen einbaute. Weiters schrieb er das Buch L’art théatrale moderne, in welchem er Tendenzen und Entwicklungen des europäischen Theaters und praktische Anleitungen zu verschiedenen Theatermethoden beschrieb. Dieses Buch bildete den Ursprung der systematisch ausgearbeiteten Schauspielkunst und Bühnenästhetik Copeaus.421 Nach drei Jahren am Théâtre des arts gründete Copeau seine eigene Theatertruppe und veröffentlichte in der Nouvelle Revue Française den ausschlaggebenden Artikel ‚Un essai de rénovation dramatique‘, in dem er seine künstlerischen Vorstellung maßgeblich beeinflusst von Rouché - beschrieb.422 Dieser Essay richtete sich gegen die Kommerzialisierung der Bühnenkunst und die damit verbundene inhaltliche Verflachung, und gegen das Übergewicht bühnentechnischer Elemente.423 Seine Vision war ein ‚Théâtre pur‘, welches aus Elementen des Improvisationstheaters, der 418 ebd.: 10f., 22. 419 ebd.: 11.; vgl. Brauneck, Manfred (2003): Die Welt als Bühne. Vierter Band. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler, 9. 420 vgl. Brauneck 2003: 17. 421 ebd. 422 ebd.: 18. 423 ebd.: 19f. ! ! !91 Commedia dell’arte, des Mimus und der dramatischen Dichtung bestehen und mit einfachsten Bühnenmittel aufgeführt werden sollte.424 Sein Ziel war es den ganzen Menschen in seinem Leben darzustellen.425 Zusätzlich betrachtete Copeau das Zusammenwirken von Autor, Bühnenkünstler und Publikum als ‚Gemeinschaft Gleichgesinnter’.426 In seiner ersten Spielzeit als Leiter des Théâtre Vieux-Colombier erreichte er mit dem Stück Was ihr Wollt von Shakespeare große Erfolge und wurde vom Pariser Publikum enthusiastisch gefeiert. 427 In der Schule des Vieux-Colombier, die 1921 ihre Tore öffnete, unterrichtete Copeau neben dem Schauspiel- und Körperunterricht auch ein fundiertes kulturelles Hintergrundwissen.428 Im Schauspielunterricht - im Hinblick auf einen natürlichen Ausdruck im Spiel verwendete Copeau zwei Vorbilder: einen Handwerker, der bei jedem Schritt in seiner Arbeit immer genau weiß, was er erreichen will und somit jede Bewegungen gezielt und ökonomisch ausführt und ein Kind im Spiel. Den kindlichen Spieltrieb wieder zu entdecken und von dort ausgehend Haltepunkte und Ausdrucksmittel zur Ermunterung der Phantasie zu finden, sollte einer der Punkte in seiner Ausbildung sein.429 Doch zuerst musste der Schüler Herr über seinen Körper werden, was, neben den GymnastikÜbungen von Dalcroze, durch die neutrale Maske erreicht werden sollte.430 Jeden Morgen mussten die Schüler Übungen mit der neutralen Maske praktizieren,431 durch welche sie vor allem die Stille im Spiel entdecken sollten.432 Der nächste Punkt waren 424 ebd. 425 M. Brauneck 1082: 62, zit nach Brauneck 2003: 20. 426 Brauneck 2003: 22. 427 ebd.: 19. 428 vgl. Matthies 1996: 36. Neben Theatergeschichte von ihren Anfängen bis Stanislawski, gingen die Schüler auch oft gemeinsam ins Theater, in Museen und zu Konzerten (vgl. Matthies 1996: 38). 429 vgl. Matthies 1996: 34f. 430 Auf die neutralen Maske und ihre Bedeutung wird später noch genauer eingegangen. 431 Die Masken stellten die Schüler mit Hilfe eines Bildhauers selber her (vgl. Matthies 1996: 36). 432 ebd.: 36. ! ! !92 die antiken Mythen, die zunächst theoretisch bearbeitet und dann gemimt wurden. Durch das Mimen bestimmter Figuren der antiken Mythen entstand die Überleitung zu einem Spiel im Sinne der Commedia dell’arte.433 Copeau versuchte durch den Rückbezug auf die alte italienische Form der Commedia (mit ihren typisierten Figuren) neue, feste Typen zu erfinden und durch diese neuerlich eine Spiegelung der Gegenwart zu erreichen.434 Diese erste Belebung der alten italienischen Commedia ermöglichte die Entstehung der ‚création collective‘ nach 1968. Die Commedia wurde insofern zum Vorbild der ‚création collective‘, als sie sich in der Umsetzung nicht nur auf einen Autor oder Regisseur stützt, sondern durch gemeinschaftliches Improvisieren und vor allem durch die Bedeutung des körpersprachlichen Spiels, den Schauspieler in den Schaffensprozess direkt miteinbezieht.435 Für die Revolutionäre der Theaterbewegung nach 1968 waren in dieser Theaterpraxis ideale Proben- und Produktionsstrukturen verwirklicht.436 Das Bedürfnis Copeaus in den 1920er Jahren, das Theater aus der naturalistischpsychologischen ‚Sackgasse‘ herauszuführen und deshalb auf die italienische Commedia zurückzukommen, hatte also kulturrevolutionäre Möglichkeiten eröffnet, auf die auch Mnouchkine stieß. Mnouchkine und das Théâtre du Soleil wurden in der Vorbereitung zu L’Age D’or auf Copeau aufmerksam. Nach der gemeinsamen Lektüre fand die Truppe in den Schriften Copeaus Bestätigung für den eigeschlagenen Weg, aus der alten Praxis der Commedia Erneuerungen für das zeitgenössische Theater zu finden.437 Copeau gab 1924 die Leitung des Vieux-Colombier ab und zog sich mit einer kleinen Gruppe von Schauspielern in seinen Geburtsort Marteuil im Burgund zurück, um dort, in Einfachheit und asketischer Strenge, seine Bemühungen für eine neues Theater 433 ebd.: 37. 434 vgl. Neuschäfer 1983: 166. 435 ebd.: 168. 436 ebd. 437 vgl Neuschäfer 1983: 165. Das Stück L’Age D’or war sehr stark an die Commedia dell’arte angelehnt. (vgl. Kapitel 4.d.) ! ! !93 fortzusetzen.438 Die ‚Copiaux‘, wie die Truppe von Einheimischen genannt wurde, führten einerseits den Unterricht fort und spielten andererseits auf Marktplätzen und zu Festen eine Vielzahl kleiner Stücke. Dies war wiederum ein erster großer Schritt in Richtung Volkstheater, der die Volkstheaterbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts einleitete.439 Aus der Schule Copeaus kamen einige wichtige Bühnenkünstler hervor, die das französische Theater nachhaltig beeinflussen sollten. Vier Persönlichkeiten - Charles Dullin (Schauspieler, Schauspiellehrer, Theaterleiter und Regisseur), Louis Jouvet (Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter), Gaston Baty (Autor und Produzent) und Georges Pitoëff (Regisseur und Produzent) - gründeten 1927 das Cartel des quatres. Ziel dieser Union war es, die Forderungen des Vieux-Colombier insofern weiterzuführen, als sie sich konsequent für eine Humanisierung im Theaterbetrieb einsetzten und die Erneuerung der Schauspielkunst im Sinne von Copeau forderten.440 Etienne Decroux, der ein Jahr an der Schule des Vieux-Colombier lernte, entwickelte neben Lecoq die zweite wichtige französische Schauspielschule, nämlich die Schule des Mime Corporel. Aus dieser Schule wiederum gingen Künstler wie Marcel Marceau, der durch seinen eigenen Stil der Pantomime weltweiten Erfolg erreichte, Jean-Luis Barrault, Direktor der Comédie Francaise, und Gründer der Companie Jean-Luis Barrault - Madeleine Renaud‘, hervor.441 Einer der größten Schauspieler des Vieux-Colombier war Jean Dasté.442 Dasté öffnete nach dem Zweiten Weltkrieg das erste Centre dramatique in der französischen Provinz. Als er die Gruppe ‚Companie des Comédiens de Grenoble‘ 438 vgl. Matthies 1996: 41.; Brauneck 2003: 21. 439 vgl. Matthies 1996: 42f. 440 vgl. Brauneck 2003: 22.; Matthies 1996: 48. Konkreter beinhalteten die Forderungen des ‚Cartel des quatres‘ die Unabhängigkeit des Theaters von kommerziellen Interessen, die Öffnung gegenüber Theaterentwicklungen im Ausland, die Freiheit der Kunst gegenüber der Presse und die Dezentralisierung des französischen Theaterwesens zur Förderung des Volkstheaters (vgl. Brauneck 2003: 22f). 441 vgl. Matthies 1996: 48f. 442 ebd.: 47. ! ! !94 gründete, lud er Jaques Lecoq ein, sich ihm anzuschließen. Lecoq spielte drei Jahre unter Dasté und entwickelte in dieser Zeit die Grundlagen seiner Pädagogik.443 „Durch Dasté entdeckte ich zwei Quellen, die mich sehr stark prägen sollten: das Maskenspiel und das japanische Noh-Theater.“444, beschrieb Lecoq seinen Werdegang. Nach drei Jahren verließ er Dasté und ging nach Italien, um an der Universität in Padua zu unterrichten. Dort stieß er auf die Commedia dell’arte, als er von einem berühmten Arleccino-Darsteller, Carlo Ludovico, die Grundhaltungen dieser Figur lernte. Ausgehend von diesen Bewegungen entwickelte die Arleccino-Gymnastik.445 Auf Einladung von Giorgio Strehler ging Lecoq nach Mailand ans Piccolo Teatro, um dort eine an das Theater angeschlossene Schule zu gründen. Zusätzlich sollte Lecoq Choreographien von Chören in unterschiedlichen Inszenierungen übernehmen, was ihn zur griechischen Tragödie brachte.446 Diese drei Theaterpraktiken - das Maskenspiel, die Commedia dell’arte und die griechische Tragödie - bildeten die ersten drei Grundsäulen seiner Theaterschule, die am 5.12.1956 in Paris eröffnet wurde. Erst 1962 fügte Lecoq eine vierte grundlegende Säule hinzu: Die Clowns. Hierbei ging es vor allem um „die Suche nach dem eigenen Clown“. Diese Suche sollte dem Schauspieler eine große Freiheit geben. Findet der Schauspieler einen Clown, öffnet ihm das zusätzlich ein weiteres dramatisches Feld.447 Der Unterricht entwickelte sich in den Folgejahren immer weiter, das grundlegende Ziel Lecoqs blieb jedoch dasselbe: ! Ein Teil meines Interesses richtet sich auf das Theater, ein anderer auf das Leben. Ich habe immer versucht, Leute auszubilden, die in beidem gut sind. Vielleicht ist das eine Utopie, aber ich wünsche mir, dass der Schüler ein Lebendiger im Leben und ein Künstler auf der Bühne ist.448 443 vgl. Lecoq, Jaques (2012): Der poetische Körper. Eine Lehre vom Theaterschaffen. Berlin: Alexander Verlag, 17. 444 Lecoq 2012: 17. 445 ebd.: 18f. 446 ebd.: 19. 447 ebd.: 22f. 448 Lecoq 2012: 29. ! ! !95 An der Lecoq-Schule werden bis heute Künstler jeder Art ausgebildet: Autoren, Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner aber auch Architekten, Erzieher und Psychologen besuchen den Unterricht.449 Es gibt keine Aufnahmeprüfung sondern eine Probezeit von einem Trimester. Von den Bewerbern wird Erfahrung erwartet, die sich nicht nur auf das Theater bezieht, sondern auch eine gewisse Reife der Persönlichkeit beinhaltet. Schüler unter 23 Jahren werden nur in Ausnahmefällen angenommen.450 Die zweijährige Ausbildung verfolgt zwei Wege: einerseits die Regeln des Spiels und der Improvisation, andererseits die Technik und Analyse von Bewegungen. Diese beiden Punkte sollen in den auto-cours451, in denen die Schüler das Erlernte selbstständig verarbeiten müssen, verbunden werden.452 Im ersten Jahr beginnen nach einer Reihe von realistischen Improvisationen zum näheren Kennenlernen die Übungen mit der neutralen Maske. Lecoq bezeichnet die neutrale Maske selbst als Kernpunkt seiner Pädagogik.453 Es geht darum, durch die Maske in einen neutralen Zustand zu kommen, der jeder Handlung vorausgeht. „Einen Zustand der Empfänglichkeit für das, was uns umgibt, frei von innerem Konflikt.“454 Durch die neutrale Maske soll sich in erster Linie die Präsenz des Schauspielers im Raum erweitern. Sie soll es dem Schauspieler ermöglichen, Dinge anzusehen, zu berühren, zu hören und zu fühlen, als sei es das erste Mal und somit seine Empfangsbereitschaft erhöhen. Da das Gesicht unter der Maske verschwindet, wird der Körper des Schauspielers stärker wahrgenommen. „Die Maske ist sein Blick, der Körper sein Gesicht.“455 Ziel ist es, den Schauspieler dazu zu bringen, keine erklärenden 449 vgl. Carasso, Jean Gabriel / Lallias, Jean-Claude (2012) „Ein Fixpunkt in Bewegung“, in: Lecoq (2012): Der poetische Körper. Eine Lehre vom Theaterschaffen. Berlin: Alexander Verlag, 9. 450 vgl. Matthies 1996: 86. 451 Selbstunterricht 452 vgl. Lecoq 2012: 27. 453 ebd.: 55. 454 ebd. 455 ebd.: 58. ! ! !96 oder unnötigen Gesten mehr zu verwenden und aufgesetzte bzw. angelernte Gewohnheiten abzulegen.456 Zudem wird ein intensives Training des Körpers betrieben, das aus Tanz, Gymnastik, Pantomime und asiatischen Sportarten besteht. Es soll das Körperbewusstsein, die Flexibilität und die Reaktionsfähigkeit fördern. Später wird der Unterricht durch Akrobatik, Jonglieren und Kampfsportarten ergänzt.457 Der zweite Grundpfeiler im Bezug auf die Körper-Ausbildung ist das Fach ‚Analyse der Bewegung‘. Hierbei geht es darum, Bewegungsabläufe spielerisch zu analysieren. Inspirationen werden beispielsweise aus Bildern von antiken Vasen geholt (z.B. der Diskuswerfer, der Speerwerfer). Bewegungsabläufe werden nachgeahmt und in ihre Einzelheiten zerlegt. Die Dynamik des Körpers soll erforscht und die Möglichkeiten von Bewegungen erprobt werden.458 Wenn der Unterricht mit der neutralen Maske beendet ist, nimmt die Improvisation den größten Raum der Ausbildung ein. Es geht um die Entdeckung der Dynamiken der Natur.459 Um Charaktere und Situationen zu entwickeln, wird mit den Elementen und Stoffen, Tieren und Pflanzen, Farben, Licht und Worten gearbeitet.460 Hilfsmittel ist wieder die Maske, nun aber expressive Masken und Charaktermasken bis hin zu abstrakten Masken. Begleitet wird dieser erste Teil der Ausbildung von Poesie, Malerei und Musik, indem man Inhalte und Formen dieser Künste auf das Theater überträgt. Das kann der Rhythmus von Gedichten oder Musik sein, die Farbverteilung von einem Bild oder die Bewegung einer Statue, die sich in Tanz umwandelt.461 456 vgl. Lecoq 2012: 57f.; Matthies 1996: 86. Die neutrale Maske, mit der in der Lecoq-Schule gearbeitet wird, ist eine Ledermaske von Amleto Santori. Sie hat nichts mit den weißen Totenmasken zu tun, die man gewöhnlich bei Umzügen sieht. Es soll eine Maske der Ruhe sein, ohne bestimmten Ausdruck, in einem Zustand der Ausgeglichenheit. Weiters soll sie größer als das Gesicht sein und darf nicht am Gesicht kleben, sondern muss mit einer gewissen Distanz zum Gesicht verwendet werden (vgl. Lecoq 2012: 56f). 457 vgl. Matthies 1996: 86. 458 ebd.: 87f. 459 vgl. Lecoq 2012: 17. 460 vgl. Matthies 1996: 88. 461 ebd.: ! ! !97 Besonders wichtig nun für Mnouchkine waren die wöchentlichen auto-cours, deren Arbeitsweise sie sehr stark bei der Entwicklung ihrer eigenen Stücke einsetzt.462 Für den Unterricht der auto-cours wird jede Woche ein Thema an die Schüler verteilt, das in kleinen Gruppen, ohne Hilfe der Lehrer, bearbeitet werden muss und am Ende der Woche der versammelten Schulde szenisch präsentiert wird. Zur Erarbeitung haben die Schüler jeden Tag eineinhalb Stunden Zeit. Die Themen sind an die Improvisationsthemen des Unterrichts gekoppelt. Diese kleinen Etüden werden in unterschiedlich großen Gruppen vorbereitet und dauern durchschnittlich zwischen fünf und zwanzig Minuten.463 Ausgewertet und kommentiert wird nur die Struktur des Spiels und die dramatische Bewegung der Improvisation.464 „Alles muss für das Publikum lesbar sein.“465 Hinzu kommen im Laufe des ersten Jahres enquêtes466 in unterschiedlichen Einrichtungen, bei denen die Schüler Material für eine szenische Darstellung sammeln sollen.467 Gegen Ende des ersten Jahres wird dies in Recherche umgewandelt. Hierbei müssen die Schüler ein ihnen unbekanntes Arbeitsmilieu wählen. Dann haben sie vier Wochen Zeit, dieses zu beobachten und sich dort hineinzuleben. Es geht dabei nicht um Recherche im journalistischen Sinn des Wortes, […] sondern um die tatsächliche Eingliederung in einen Lebensbereich, mit dem Ziel, am eigenen Leib zu erfahren, was dort geschieht.468 ! Die Auswahl des Ortes ist groß, manche Schüler gehen beispielsweise in ein Krankenhaus, andere in eine Feuerwehrkaserne, in ein Altenheim oder in eine Großküche. Anhand der Erfahrungen, die dort gemacht werden, stellen die Schüler 462 ebd.: 92. 463 Vorgabe hierzu gibt es jedoch keine. Allerdings, schreibt Lecoq, „nach zwanzig Minuten wird es immer zu lang“ (Lecoq 2012: 132) 464 vgl. Lecoq 2012: 132. 465 ebd. 466 Befragungen 467 vgl. Matthies 1996: 89. 468 Lecoq 2012: 133. ! ! !98 kleine Vorstellungen zusammen, die in einer öffentlichen Veranstaltung am Ende des Jahres gezeigt werden.469 In den auto-cours steht nicht unmittelbar das Spiel im Mittelpunkt, sondern der Akzent liegt auf der Regie, der schriftlichen Erarbeitung einer Szene und der EnsembleFähigkeit. Oft kommt es, gerade zu Beginn des ersten Jahres, wenn sich die Schüler noch nicht gut kennen, zu Spannungen und Krisen, die jedoch laut Lecoq Kreativität in Gang bringen und Ensemble-Erfahrung vermitteln.470 Den Abschluss des ersten Jahres bilden die realisierten Recherchen und eine TechnikPrüfung, bei der die Abfolge von zwanzig Bewegungen geprüft wird. Danach wird ungefähr ein Drittel der Schüler für das zweite Jahr ausgewählt.471 Das zweite Jahr ist insofern andersartig, als es nicht die logische Fortsetzung des ersten Jahres beinhaltet, sondern einen qualitativen Sprung in eine andere Dimension birgt.472 Das einzige Ziel ist: „die dramatische Kreation“.473 Dies basiert, wie schon beschrieben, nunmehr auf fünf Hauptbereichen: das Melodrama (die großen Gefühle), die Commedia dell’arte (die großen Betrügereien der menschlichen Natur), die Bouffons (Mysterium, Groteske und das Phantastische), die Tragödie (der Chor und der Held, das Gleichgewicht der Bühne, die Notwendigkeit der Texte) und der Clown (die Suche nach dem eigenen Clown, das Burleske, Absurde und die komischen Varietés).474 Dramatische Texte werden hinzu genommen.475 Sogenannte commandes476 schließen das zweite Jahr ab, die, ähnlich wie die Recherche im ersten Jahr, selbstständig 469 vgl. Matthies 1996: 89.; Lecoq 2012: 133. 470 vgl. Lecoq 2012: 133. 471 ebd.: 29, 137. 472 ebd.: 137. 473 ebd.: 138. 474 Die Commedia dell’arte und die griechische Tragödie bilden den Schwerpunkt. 475 vgl. Lecoq 2012: 137. 476 Aufträge ! ! !99 erarbeitet werden, wobei hier die Möglichkeit besteht, Mitschüler als Mitwirkende zu beauftragen. Die Themen und Aufgaben sind individuell unterschiedlich.477 ! Das Theaterverständnis von Lecoq hat immer mit einer Überhöhung der Wirklichkeit zu tun. Das psychologische Theater nach Stanislawski grenzt er von seiner Ausbildung großteils aus. Es begrenzt für ihn den Schauspieler in seinen Möglichkeiten, da es nur den inneren Raum des Menschen integriert. Der äußere Raum ist für ihn jedoch von allgemeinerer und größerer Bedeutung.478 ! Wir versuchen immer die Situation über die Wirklichkeit hinauszutreiben, ein Spiel zu erfinden, das im Leben nicht mehr wiederzuerkennen ist, um gemeinsam festzustellen, dass das Theater weiter reicht. Es versetzt das Leben in andere Dimensionen und erweitert es auf diese Art. Eine wesentliche Erkenntnis!479 Mnouchkine besuchte nur das erste Jahr an der Lecoq-Schule, zählt aber neben Peter Brook und Giorgio Strehler zu den Theaterleitern bzw. Regisseuren, die die Pädagogik von Lecoq am meisten in ihre eigene Arbeit integrieren.480 Statt ein zweites Jahr an der Schule verschiedenen Theaterformen zu widmen, wählte Mnouchkine den Weg der Selbstständigkeit und gelangte durch ihre Inszenierungen zu Erfahrungen hinsichtlich der Clowns (1969: Les Clowns), der Commedia dell’arte (1975: L’age D’or) und der griechischen Tragödie bzw. dem Chor (1990-93: Der Atriden-Zyklus). Ob sie damals für das zweite Jahr zugelassen worden wäre, ist allerdings nicht bekannt. ! ! ! ! ! 477 vgl. Matthies 1996: 91. 478 vgl. Matthies 1996: 81. 479 Lecoq 2012: 52. 480 vgl. Matthies 1996: 92. ! ! !100 b.) Die Arbeit im Théâtre du Soleil ! Wie Lecoq sieht auch Mnouchkine das Erlernen des Maskenspiels als Grundlage für die Bühnenpräsenz. Daher spielt bei jedem ihrer Lehrgänge die Arbeit mit der Maske eine wesentliche Rolle.481 ! Genauso ist die Improvisation ein grundlegender Bestandteil der Arbeit am Théâtre du Soleil. Monatelang wird zu bestimmten Themen oder Szenen aus den Stücken improvisiert. Nach einem gemeinschaftlichen Training in der Früh482 müssen die Schauspieler jeden Tag zu einem bestimmten Thema oder einer Szene aus dem Stück eine szenische Umsetzung finden. Es wird nicht zwingend chronologisch gearbeitet, jeder darf Vorschläge machen.483 Wer selbst keine Ideen hat, schließt sich den Vorschlägen der anderen an. Dann wird in Kleingruppen gearbeitet. Rollen für die Szene werden verteilt, Kostüme gesucht, eventuell Masken probiert, Requisiten gebaut und eine mögliche Bühne wird erfunden. Nach dem Mittagessen spielen alle, die bereit sind, ihre Szenen der gesamten Truppe vor.484 Manchmal funktionieren die Improvisationen, manchmal scheitern sie. Alles wird aufgezeichnet, damit man eventuell zu einem späteren Zeitpunkt wieder darauf zurückgreifen kann.485 Hierbei ist die Rollenverteilung noch völlig offen. Jeder Schauspieler hat die Möglichkeit, alle Rollen, die ihn interessieren, auszuprobieren.486 Wenn man etwas Gutes gefunden hat, stellt man seine Entdeckungen an der Rolle den anderen zur Verfügung. Dieser Prozess dauert sehr lange, manchmal Monate, teilweise wird erst kurz vor der Premiere festgelegt, wer welche Rolle spielen wird. Für jede Rolle setzt sich der Beste durch.487 Das führt immer wieder zu Spannungen in der Gruppe und zu einem erhöhten 481 vgl. Féral 2003: 8, 10. 482 Beginn ist normalerweise neun Uhr Morgens (vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 58). 483 vgl. Azencot, zit. nach Féral 2003: 93. 484 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 59. 485 ebd. 486 ebd.: 34. 487 vgl. Azencot, zit. nach Féral 2003: 91. ! ! !101 Konkurrenzverhalten. „Bei Les Atrides war dieses Vorgehen sehr hart. Es führte zwar zu großartigen Aufführungen, war aber auch für alle eine Zeit fürchterlichen Leidens.“ beschrieb Myriam Azencot, ein langjähriges Mitglied des Théâtre du Soleil, die Situation in einem Interview mit Josette Féral.488 Die Probenzeiten steigern sich von Monat zu Monat. Wird im ersten Probenmonat bereits um 19.00 Uhr aufgehört, dauern die Proben vor der Premiere meist bis 24.00 Uhr oder länger.489 ! Bei Stücken mit vorhandener Textvorlage wird zu Beginn mit dem Text in der Hand gearbeitet.490 Die Schauspieler lesen, verstehen, was sie gelesen haben, legen das Papier beiseite und sprechen jeweils die Wörter, die ihnen im Gedächtnis geblieben sind. Sie wissen also nicht immer, welches Wort folgen wird. Dann kehren sie zum Text zurück. Sie lesen wieder einige Wörter, verstehen sie, verlassen den Text und sprechen. Mnouchkine fordert die Schauspieler niemals auf, den Text auswendig zu lernen, denn dadurch besteht die Gefahr, dass sich die Schauspieler gekünstelte Mechanismen aneignen und nur nach Intonationen lernen. Durch diese Art von Improvisationen um, über und mit dem Text, dringen die Worte in den Körper.491 ! Die drei wichtigsten Elemente einer gelungenen Improvisation im Soleil ist die Präsenz des Schauspielers, das Zuhören und der Muskel der Phantasie. Disziplin wird als Grundlage vorausgesetzt.492 Der Begriff der Präsenz kommt in vielen theatertheoretischen Texten vor, wird jedoch immer etwas anders beschrieben. Mnouchkine erklärt in einem Interview mit Josette Féral ihre Vorstellung von Präsenz folgendermaßen: 488 ebd. 489 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 59. 490 vgl. Azencot, zit. nach Féral 2003: 92. 491 ebd. 492 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 32f. ! ! !102 ! Präsenz ist die Kunst der Gegenwart. Für den Schauspieler gibt es keine Vergangenheit, keine Zukunft. Es gibt nur die Gegenwart, den gegenwärtigen Akt.493 Der Schauspieler soll demnach in seiner Handlung und in seinem Gefühl in der Gegenwart sein.494 Bei einem Text von Shakespeare beispielsweise folgen oft sehr gegensätzliche Gefühle in nur wenigen Versen aufeinander. Es braucht daher die „Gegenwart der Sekunde“.495 Der Schauspieler sollte in jedem Moment gegenwärtig sein, ohne einen Schritt zu überspringen oder zwei Dinge gleichzeitig zu spielen. Wenn er zwei Gefühle gleichzeitig fühlen will, heben sie sich auf und der Zuseher sieht keines.496 Trainiert wird die Präsenz durch Übungen mit Masken. In allen Lehrgängen spielt die Maske eine bedeutende Rolle.497 Wie in der täglichen Probenarbeit des Soleil, müssen sich auch in den Lehrgängen die Teilnehmer in kleinen Gruppen zu bestimmten Themen, die Mnouchkine vorgibt, Improvisationen überlegen und diese dann vor allen probieren. Sie dürfen den gesamten Kostüm- und Maskenfundus des Soleil benutzen. Auch Requisiten werden zur Verfügung gestellt.498 Bevor die Arbeit mit den Masken beginnt, gibt es zwar eine kurze Einführung, Mnouchkine erklärt jedoch die Herkunft der verschiedenen Masken - die teilweise aus der Commedia, teilweise balinesische Masken sind, teilweise keine bestimmte Zugehörigkeit haben - den Teilnehmern nicht, da sie von einer gewissen Grundkenntnis ausgeht und gleichzeitig die Schüler nicht einengen will.499 Die Beziehung des Schauspielers zu der ausgewählten Maske spielt für Mnouchkine jedoch eine bedeutende Rolle: Die Maske ist keine Schminke. Sie ist kein Gegenstand unter anderen. Alles steht in ihrem Dienst. […] Ihr solltet der Maske nachgeben, sie wird niemals nachgeben. […] Man arbeitet nicht mit einer beliebigen Maske. Die Beziehung zur Maske ist eine 493 ebd.: 31. 494 ebd.: 32. 495 ebd. 496 ebd. 497Ariane Mnouchkine gibt in regelmäßigen Abständen gratis Lehrgänge, an denen Bühnen-künstler aus aller Welt teilnehmen. (vgl. Féral 2003: 37f) 498 vgl. Féral 2003: 40. 499 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 39, 125. ! ! !103 Größenbeziehung. […] Ich spüre, dass ihr hinter der Maske gerne eine Gebrauchsanweisung hättet. Nein!500 ! Wenn ein Stück mit Masken aufgeführt werden soll, ist die Vorgehensweise so, dass zunächst Erhard Stiefel, der Maskenbauer des Théâtre du Soleil, Masken herstellt. Bei der Herstellung weiß Stiefel nicht, für welchen Schauspieler oder welche Figur er die Maske baut. Wenn er eine Maske fertiggestellt hat, bringt er sie dem Soleil und möglicherweise entscheidet sich ein Schauspieler oder eine Schauspielerin für diese Maske.501 „In dem Augenblick geht es darum, ob diese Maske einer Figur der Aufführung oder einem Schauspieler oder einer Schauspielerin der Aufführung begegnet.“ beschreibt Mnouchkine.502 ! Der zweite Punkt einer gelungenen Improvisation ist das Zuhören. „Wenn man aufhört, sich um sich selbst Sorgen zu machen, und wenn man dem Anderen zuhört, dann wird vieles möglich.“503 Mnouchkine bestärkt ihre Schauspieler in der Arbeit besonders, ihren Partnern zuzuhören. Eine Grundregel ist es, nicht zu überlegen oder sich eine Antwort zurechtzulegen, ehe man die Frage bis zum Ende gehört hat. „Du darfst nicht Recht haben auf der Bühne. Du musst da sein. Um da zu sein musst du den anderen wirklich empfangen [sic.]“504 Eine Hilfestellung, die Mnouchkine in diesem Zusammenhang immer wieder verwendet, ist die imaginäre Gegenüberstellung eines Schauspielers mit einem Bogenschützen. Der Schauspieler soll versuchen, den Bogenschützen insofern zu imitieren, als sein Körper und seine Stimme der Bogen sind und die Worte die Pfeile, die es abzuschießen gilt. Bevor der Schauspieler den ‚Wortpfeil’ abschießt, muss er selbst von dem Pfeil verletzt worden sein. Er empfängt und schießt zurück.505 Ein schwieriger, aber wichtiger Aspekt der Improvisation ist es, 500 ebd.: 41. 501 ebd.: 63. 502 ebd. 503 vgl. Abkarian, zit. nach Féral 2003: 87. 504 ebd. 505 Azencot, ! zit. nach Féral 2003: 96. ! !104 Unbeständigkeit während der Improvisation hinzunehmen und auf das, was man möglicherweise vorgesehen hat, zu verzichten, um mit dem umzugehen, was auftaucht.506 ! Der dritte Punkt ist die Phantasie. Wenn Mnouchkine einen ihrer Lehrgänge beginnt, stellt sie immer dieselbe erste Frage: „Was ist der wichtigste Muskel für einen Schauspieler? […] Es ist die Phantasie.“507 Das heißt, dem Schauspieler muss es gelingen, das, wovon er spricht, wirklich zu sehen. Er muss sehen, wohin er geht, wo er ist. Er muss seine Umgebung wahrnehmen, wie beispielsweise den Untergrund, über den er geht. Und er muss den momentanen Zustand seiner Umgebung wahrnehmen, wie beispielsweise den Regen. Weiters muss er die Gefühle und Zustände der anderen begreifen und an sie glauben. Der Schauspieler muss also an alles glauben, was er spielt. Einerseits an das, was er selbst ist, spielt und verkörpert und andererseits an das, was sein Spielpartner verkörpert. Denn nur so kann es zu einem Austausch auf der Bühne kommen, der insofern funktioniert, als er dem Publikum ermöglicht, an der Geschichte bzw. Spielsituation wirklich teilhaben zu können.508 Zwei Vorraussetzungen sind für Mnouchkine in dem Zusammenhang besonders notwendig: Es muss auf der einen Seite eine Situation geben, worin sich der Schauspieler ausprobieren kann: Die Theatersituation. Dazu gehört ein Raum, in dem er sich ohne Angst und Scham entfalten kann. Diese Voraussetzung muss von außen geschaffen werden, also vom Regisseur. Auf der anderen Seite muss vom Schauspieler selber der Ehrgeiz da sein, eine Figur zu schaffen.509 Die Arbeit an einer Figur findet im Soleil nie in Form von Diskussionen oder ‚am Tisch‘ statt. Zu Beginn der Proben wird das Stück zwar einmal gemeinsam gelesen, die Schauspieler stehen jedoch schon am nächsten Tag kostümiert auf der Spielfläche. Alles wird unmittelbar auf der Bühne probiert.510 „Theater braucht man vom ersten Tag 506 vgl. Féral 2003: 43. 507 Mnocuhkine, zit. nach Féral 2003: 33. 508 ebd. 509 ebd.: 33f. 510 ebd. ! ! !105 an.“511 Im besten Fall sieht das so aus, dass die Schauspieler bei Mnouchkine durch ihre Handlungen Bilder erzeugen. Gleichzeitig schlägt Mnouchkine den Schauspielern unterschiedliche Bilder bzw. Welten vor. So lange, bis etwas für beide stimmig ist512. ! Wenn Improvisationen nicht gelingen, wenn es kein Vorankommen gibt, ermahnt Mnouchkine zu folgenden Dingen: • Bewegungslosigkeit. Damit ist kein äußerliches Erstarren gemeint, sondern ein Innehalten.513 In einen reinen und offenen Zustand zu kommen, der es dem Schauspieler ermöglicht, wieder auf das, was um ihn geschieht, reagieren zu können.514 Weiters wirken Bewegungen erst durch die Pausen. Wenn Schauspieler auf der Bühne immer unruhig sind, gibt es laut Mnouchkine ein durchgängiges Durcheinander, welches für den Zuseher schwer zu deuten ist und folglich schwer zu verstehen ist.515 Daraus folgt, dass sich der Schauspieler Zeit nehmen muss, seine Umgebung, also Raum und Spielpartner, aufzunehmen. Der Zuseher verfolgt den Schauspieler beim Sehen und sieht somit durch seine Augen.516 Dieses Innehalten bedeutet aber nicht Langsamkeit, die wie Tiefe aussehen möchte. Oft passiert es Schauspielern, dass sie ihre Handlungen zu langsam ausführen. Wenn Handlungen zu langsam sind, um stimmig zu sein, wirken sie theatral.517 • Nachahmung. Mnouchkine glaubt fest an die Pädagogik der Nachahmung. Nachahmen heißt für sie nicht plagiieren, sondern anerkennen. Der Schauspieler versucht hierbei einen anderen Schauspieler bzw. die Figur, die der andere Schauspieler entwickelt hat, von innen heraus nachzuahmen. Es geht darum, nicht das zu imitieren, was der andere Schauspieler gemacht hat, sondern das nachzuahmen, 511 ebd.: 34. 512 ebd.: 45. 513 vgl. Féral 2003: 41. 514 ebd. 515 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 63. 516 ebd.: 42. 517 ebd.: 41. ! ! !106 was er gewesen ist.518 Das hat mit dem Gefühl zu tun, welches mit bestimmten Gebärden, Gehweisen oder Haltungen verbunden ist. Dieses Gefühl gilt es nachzuahmen und daraus seine eigene Interpretation zu schaffen.519 Diese Pädagogik der demütigen Nachahmung ist vor allem eine orientalische Tradition. Im Kabuki oder Nō-Theater folgt der Schüler am Anfang der Ausbildung dem Meister und macht es genauso wie er.520 • ‚Nicht kreieren‘. Oft haben die Schauspieler durch ihr Talent die Möglichkeit, besondere Dinge hervorzubringen, Purzelbäume zu schlagen. Es wird zur Virtuosität anstatt zu etwas Wesentlichen und führt zu einer Einlage, anstatt zu einer konkreten Handlung.521 • ‚Nicht kommentieren‘. Der Schauspieler sollte seine Handlungen nicht erklären, sondern dem Publikum die Möglichkeit geben, den Weg kennenzulernen. Dies passiert sehr oft dann, wenn ein Schauspieler nicht in der Gegenwart ist und sich somit nicht die Zeit nimmt, eine Handlung nach der anderen auszuführen.522 ! Zu Beginn der Probezeit geht Mnouchkine immer von einer leeren Bühne, einem nackten Raum aus: ein weißes Blatt. Auf der Grundlage der Improvisationen der Schauspieler und des Raums, den sie dafür brauchen, entsteht langsam das Bühnenbild. Mnouchkine hat immer eine grobe Vorstellung, in welche Richtung die Ästhetik des Stücks gehen soll und bringt dies auch im Laufe der Arbeit ein. Zu Beginn entsteht allerdings alles aus der Phantasie.523 Das heißt zusammenfassend, am Anfang der Inszenierung kümmert sich niemand weder um die Zeit, noch um die Bühne, noch welche Rolle man spielen wird: Die einzige 518 ebd.: 40. 519 ebd.: 40, 64. 520 ebd.: 64. 521 ebd.: 42. 522 ebd. 523 ebd.: 51. ! ! !107 Frage, die im Raum steht, ist: wie wird man von der Welt erzählen, von der Welt des Stücks sowie von der Welt allgemein? ! c.) Vorbereitungen auf eine Vorstellung ! Im Théâtre du Soleil können die Zuseher vor der Vorstellung bei den Vorbereitungen der Schauspieler zusehen.524 Das Grundprinzip der Verfremdung von Brecht besteht darin, dass die erste Wahrheit im Theater darin bestehe, offen zu zeigen, dass es sich um Theater handelt.525 Dieses Prinzip hat Mnouchkine für ihre Theaterarbeit in unterschiedlichen Weisen übernommen; eine Umsetzung ist, die Vorbereitungen öffentlich zu machen.526 Da es in der Cartoucherie freie Sitzwahl gibt, wird das Publikum geradezu gezwungen, früher zu kommen, was völlig in Mnouchkines Interesse ist. Sie möchte, dass sich das Publikum vorbereitet.527 Das hat einerseits mit Mnouchkines Bemühungen zu tun, einen Bildungsauftrag zu erfüllen,528 andererseits geht es um eine Einstimmung auf die Reise, die mit dem Stück unternommen wird.529 Dafür gibt es im Eingangsbereich unterschiedliche Quellen und Informationen zum Stück - beispielsweise Bücher, Landkarten, Bilder oder Familienstammbäume - die es dem Zuseher erleichtern sollen, sich auf das Stück einzustellen und wichtige Informationen einzusehen.530 Zusätzlich servieren die Schauspieler selbst Essen, das aus der traditionellen Küche des jeweiligen Landes stammt, in welchem das Stück spielt.531 524 vgl. Féral 2003: 26. 525 ebd. 526 Bei diesen öffentlichen Vorbereitungen handelt es sich vor allem um das Schminken der Schauspieler. 527 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 67. 528 vgl. Féral 2003: 26. 529 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 67. 530 ebd. 531 ebd. ! ! !108 Diese Vorbereitungen sind auf Tourneen nicht immer möglich, da viele Spielstätten nicht gleichermaßen ausgestattet sind wie die Cartoucherie.532 Die Vorbereitungen der Schauspieler beginnen allerdings schon zu Mittag oder am frühen Nachmittag. Juliana Carneiro du Cunha beschreibt in einem Interview mit Josette Féral den Tagesablauf eines Schauspielers während der Zeit der Vorstellungen folgendermaßen: Wir kommen schon frühzeitig ins Theater. Wenn das Stück zum Beispiel um halb acht beginnt, kommen wir um vier, oder um zwei, um andere Arbeiten wie Putzen und so weiter zu erledigen. Und von vier bis halb acht unternehmen wir unsere kleine Reise in die Erinnerung. Von dem Augenblick an, da wir uns zu schminken beginnen, reden wir uns sofort mit Sie an. Wir können uns nicht mehr Juliana, Myriam, Renata und so weiter nennen. Wir tragen die Namen unserer Figuren: Madame Pernelle, Dorine. Keiner nennt mich Juliana, denn sie wissen sehr gut, dass sie, wenn sie mich so nennen, mich zerstören, weil ich gerade dabei bin, in eine Rolle einzutreten.“ 533 ! Diese Vorbereitung der Schauspieler auf die Vorstellung hängt vom Stück ab und davon, was jeder einzelne Schauspieler braucht. Zu Beginn gibt es jedoch immer ein gemeinsames körperliches Aufwärmen. Das sieht bei jedem Stück anders aus, da es immer im Zusammenhang mit der Aufführung steht.534 Ist es ein sehr artistisches Stück, wird das Aufwärmen so ausgerichtet, dass es die Schauspieler vor Muskelzerrungen schützt. Wenn die Schauspieler zwei Vorstellungen hintereinander gespielt haben, sieht das Aufwärmen am nächsten Tag wiederum anders aus. Dann wird besonders darauf geachtet, sanfter vorzugehen, um eine neue Sammlung der Kräfte zu ermöglichen.535 Ungefähr zwei Stunden vor Beginn des Stücks, fangen die Schauspieler an, sich individuell vorzubereiten. Das sieht bei jedem Schauspieler anders aus, Manche meditieren, andere trinken Kaffee, lesen Zeitung, schlafen oder machen Joga, wiederum andere wiederholen Texte.536 Kurz bevor die Türen für das Publikum geöffnet werden, findet noch einmal eine kleine ‚Zusammenkunft‘ der Schauspieler mit Mnouchkine statt, in der ein paar Worte gewechselt werden und die Mnouchkine mit dem Satz 532 ebd. 533 Carneiro in Bezug auf das Stück Tartuffe von Molière, zit. nach Féral 2003: 103. 534 vgl. Mnouchkine, zit. nach Fèral 2003: 71. 535 ebd.: 71f. 536 ebd.: 65. ! ! !109 abschließt: „Das Publikum tritt ein.“537 Ab diesem Moment herrscht der Anspruch, alles hervorragend zu erledigen, um eine gewisse Feierlichkeit herzustellen.538 ! d.) Auswahl der Schauspieler ! Das gängigste Verfahren, um im Théâtre du Soleil aufgenommen zu werden, ist die Teilnahme an einem Lehrgang.539 Meist finden die Lehrgänge vor Probenbeginn des neuen Stücks statt, um - wenn nötig - passende Schauspieler zu finden.540 Welche Schauspieler Mnouchkine auswählt, beschreibt sie folgendermaßen: Ich weiß nicht, wie ich Schauspieler aussuche. Ich wähle Leute, die mich menschlich berühren, ehe sie mich künstlerisch berühren. Leute, die mich bewegen. Ich mag die, deren Kraft, Unschuld, Einfallsreichtum, Fröhlichkeit, auch deren anspruchsvolles Wesen ich zu erahnen glaube.541 ! Als wichtigste Voraussetzungen für den Beruf als Schauspieler nennt Mnouchkine zwei Dinge: einen möglichst freien, durchtrainierten Körper und ein möglichst freies und geschultes Vorstellungsvermögen.542 Zusätzlich braucht es für sie außerordentlich viel Mut und das Verlangen, über sich selbst hinauszuwachsen.543 Aufnahmekriterien gibt es keine, jedoch sind Vorkenntnisse besonders in Bezug auf die Arbeit mit der Maske von Vorteil, da in jedem Lehrgang mit Masken gearbeitet wird.544 Wenn man an einem Lehrgang teilnehmen möchte, muss man an das Théâtre du Soleil einen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben schicken. Die Lehrgänge finden in sehr unregelmäßigen Abständen statt, manchmal muss man bis zu sechs Monate auf eine Antwort warten. Da die Anzahl der Bewerbungen zwischen 800 und über 1000 liegt, 537 ebd. 538 ebd. 539 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 35. 540 ebd. 541 ebd. 542 ebd.: 44. 543 ebd. 544 ebd.: 53. ! ! !110 müssen vor Beginn eines Lehrgangs Gespräche stattfinden, für alle gibt es nicht genug Platz. Von den Bewerbern werden 100 bis 200 Schauspieler ausgewählt, die teilnehmen dürfen.545 Die Lehrgänge sind gratis, finden in der Cartoucherie statt und dauern zwischen fünf Tagen und zwei Wochen.546 Ein anderer Weg im Théâtre du Soleil spielen zu können ist es, als Koch oder Küchenhilfe anzufangen. Meist lässt Mnouchkine diese Helfer nach einiger Zeit beim Proben zusehen und kleine Parts übernehmen. Dies ist vor allem für Leute, die nicht französisch sprechen ein geeigneter Weg zunächst die Sprache zu lernen und dann über den ‚Hintereingang‘ hinein zu kommen.547 Sowohl die viele Arbeit und als auch die Bewerberzahl wirkt zunächst abschreckend, allerdings wird von allen derzeitigen oder ehemaligen Mitgliedern der Truppe, die Interviews gegeben haben, das Glücksgefühl und die Befriedigung hinsichtlich der künstlerischen und schauspielerischen Arbeit als unvergleichlich beschrieben. Viele meinen, man hält es, besonders wegen der körperlichen Anstrengung, nur ein paar Jahre durch, aber diese Jahre werden durchgehend als etwas ganz besonderes beschrieben. Das lässt einen schon überlegen, es zu versuchen und eine Bewerbung zu verschicken. ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 545 vgl. Mnouchkine, zit. nach Féral: 53,; Telefongespräch mit einer Mitarbeiterin des TdS. 546 vgl. Féral 2003: 37f. 547 Information aus einem Dokumentationsgespräch in Wien am 22.5.2016 mit Andreas Simma, einem langjährigen Mitglied der Truppe. ! ! 1! 11 8. Schluss ! Mit dieser Arbeit wurde der Versuch gestartet eine ausführliche Beschreibung des Weges, den Mnouchkine mit ihre Truppe gegangen ist, vorzunehmen. Es wurde versucht, die Erfolge zu ergründen und deren Beständigkeit näher zu beleuchten. Ariane Mnouchkine ist ein vielseitiger Mensch und eine faszinierende Persönlichkeit, die es nun schon seit mehr als 50 Jahren schafft, so viele Schauspieler dazu zu bewegen, mit ihr mitzuziehen, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Und das trotz aller materieller Einschränkungen. Stets ging Mnouchkine einen kompromisslosen Weg, sei es bei Verhandlungen von Fördergeldern, sei es bei ihren Inszenierungen, die alle von einem hohen Maß an Mut zeugen. Nie hat sie sich durch Politiker, Zuschauerzahlen oder Abonnenten, die die deutschsprachigen Stadttheater oftmals zu konventionellen, ‚leichten‘ Inszenierungen zwingen, beirren lassen. Immer war ihre Devise: !Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich den Beruf wechseln würde, wenn es dazu käme, ! dass ich gezwungen wäre, meine Anforderungen aufzugeben. Ich würde etwas anderes machen, das ist ganz klar. Ich könnte nicht etwas machen, was nach meinem Dafürhalten kein Theater ist.548 Mnouchkines Stücke sind geprägt vom Glauben an das Theater und seine gesellschaftliche Relevanz. Theater ist für Mnouchkine ein Ort der Sprache, des Denkens, des Geistes und der Geschichte. Es ist ein Ort an dem Gegenwärtiges wie Vergangenes erlebbar gemacht werden kann. Es soll sinnvoll sein, vom Menschen sprechen, von Seelen, Leidenschaften und Träumen. Mittlerweile hat sie ihr Glauben an das Theater weit gebracht. Auch der Glauben daran, dass der Faktor Zeit in der künstlerischen Arbeit eine wichtige Rolle einnimmt. Erst durch die monatelangen Vorbereitungen und Proben kann das hohe Maß an Qualität des Théâtre du Soleil erreicht werden. ! Ob und inwiefern es heutzutage möglich ist ein Kollektiv gleicher Art zu gründen, ist schwer zu beantworten, aber auch hier rät Mnouchkine: ! 548 ! Mnouchkine, zit, nach Féral 2003: 58. ! !112 ! ! ! ! ! ! ! ! ! .. ich glaube, für junge Männer und Frauen, die Theater machen wollen, wird der Traum stets lebendig bleiben. Es wird immer jemanden geben, der daherkommt und unverblümt verkündet: ‚Ja, aber ich, ich will das machen.‘ Dann also vorwärts! Es ist nicht möglich, dass alle scheitern. Es wird Leute geben, die eine Truppe bilden und durchhalten.549 ! - Ende - ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! 549 ! Mnouchkine, zit. nach Féral 2003: 59. ! !113 9. Literaturverzeichnis ! 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Brauneck, Manfred (2007): Die Welt als Bühne. Fünfter Band. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler. ! Brook, Peter (1983): Der leere Raum. Berlin: Alexander Verlag. ! Carasso, Jean Gabriel / Lallias, Jean-Claude (2012) „Ein Fixpunkt in Bewegung“, in: Lecoq (2012): Der poetische Körper. Eine Lehre vom Theaterschaffen. Berlin: Alexander Verlag. ! Cixous, Hélène (2003) „Das Theater tritt auf“, in: Féral (2003): Ariane Mnouchkine & Das Théâtre du Soleil. Berlin: Alexander Verlag. ! Delgado Maria M. / Rebellato, Dan (2010): Contemporary european theatre directors. London/ New York: Routledge. Dort, Bernhard (1969) „Das Ende eines Traums. Das französische Theater starb im Mai 68 - es bereitet seine Wiederauferstehung vor.“, in: Theater Heute 1969/9. Berlin: Friedrich GmbH, 22-27. ! Dort, Bernhard (1979) „Das Sonnentheater im Stählernen Zeitalter. 1979 mit ‚Mephisto‘ am Ende einer Utopie“, in: Theater Heute 1979/7. 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