Beamer-Notizen zu „Partizipialgruppen“ (3.11.2010

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Beamer-Notizen zu „Partizipialgruppen“ (3.11.2010 – Wolfgang Boettcher, Salerno)
Teil I
(1) Partizip und Wortart?
Partizipien sind unter morphologischer Perspektive eindeutig Verbformen, der Wortart nach gehören sie zu den
Verben.
Dass sie als „Partizipien“ (= `teilnehmend an [den zwei] Wortarten [Verb und Adjektiv]´) – in älteren deutschen Grammatiken auch als „Mittelwort“ bezeichnet werden, liegt daran, dass man ihre morphologische Zugehörigkeit mischt mit ihrer syntaktischen Funktion (= syntaktisch gesehen operieren sie teilweise wie Adjektive, sind es aber nicht!).
Die Partizipien 1 und 2 wurden (/werden) auch als Partizip Präsens und Partizip Perfekt bezeichnet. Für das
Deutsche ist das halb-falsch: Das Partizip 2 wird zwar für die Bildung von Prädikaten im Perfekt/Plusquamperfekt/Futur 2 verwendet, aber auch für die Präsens-Passiv-Prädikate („Ich werde geschlagen“),
wo es keine perfektive Bedeutung hat.
(2) syntaktische Funktion?
Das Partizip 2 ist beteiligt bei der Bildung von Prädikaten – das ist die Hauptfunktion von Verben. Das Partizip
1 nimmt im Deutschen (= im Unterschied zum Englischen) nicht an der Prädikatsbildung teil.
Beide Partizipien sind an weiteren Aufgaben beteiligt:
(a) bei der Bildung von Attributen (= „attributiver“ Gebrauch, flektiert):
das prügelnde Kind / ein prügelndes Kind
das geprügelte Kind / ein geprügeltes Kind
(b) als mögliches Satzglied (= „adverbialer“ Gebrauch“, im Deutschen dabei – im Unterschied zum Italienischen - unflektiert):
lachend ging ich / gingen wir nach Hause.
Sie können satzwertig sein (dazu weiter unten): Heftig lachend, konnte er das Glas natürlich nicht ruhig halten.
(3) Adjektiv oder Partizip?
Paul wurde öfter gefragt als ich. (= P2)
Paul ist der gefragtere Dozent von uns beiden. (= Adjektiv)
Begründung: Nur Adjektive sind komparierbar.
Er hat sich ungefragt gemeldet.
Test: Präfixbildungen, die nicht schon beim Verb vorliegen (= es gibt kein Verb „unfragen“), sind Zeichen von
Adjektiv-Status.
ein gelockter Junge. (= wenn damit gemeint ist, dass er Locken hat, dann = Adjektiv; wenn gemeint wäre, dass ihn jemand z. B. ins Gebüsch gelockt hat, dann P2)
Er ist bebrillt. (= sieht aus wie ein P2, das Verb „bebrillen“ gibt es aber nicht und gab es nie; = „Pseudopartizip“)
Er ist begabt.
Wortbildung, teils historisch:
geben
die Gabe
historisch: „jemanden begaben“ (= mit einer Gabe, einer Fähigkeit, ausstatten) → P2 „begabt“,
synchron gibt es dieses Verb nicht mehr, also wird das seiner Verb-Basis beraubte P2 zu einem Adjektiv umdefiniert.
Ein Witz mit einer Pointe nach diesem Muster (Chaplin zugeschrieben):
„Ein Nachtclub ist ein Lokal, wo die Tische reservierter sind als die Gäste“
(4) Was `können´ Partizipien, was können Adjektive?
Adjektive kann man nur begrenzt mit Sub-Attributen erweitern:
der alte Hund – „er sehr alte Hund
Demgegenüber kann man zu einem Partizip sehr viele Subattribute importieren – praktisch alle die, die ein entsprechendes Prädikatsverb („Der Mann prügelte“) als Satzglieder um sich scharfen könnte:
„der prügelnde Mann“ – „der uns gestern zwei Stunden lang mit Vergnügen in Gegenwart seiner Freundin trotz unserer
Proteste aus Eifersucht ... prügelnde Mann“
Wenn Adjektive wie „sauer auf X“ selber Valenzen haben, dann ist auch für sie etwas mehr Erweiterung möglich:
die auf Mann saure Tante
„die auf trinkenden Mann saure Tante → „die auf ihren seit Jahren regelmäßig mit entlassenen Freunden viel trinkenden Mann saure Tante ...“
Die entsprechenden Erweiterungsmöglichkeiten gelten für Partizipien auch in adverbialer Funktion:
Die Jugendbande lief prügelnd durch Bologna → Die Jugendbande lief wild jeden Bürger prügelnd durch Bologna“
Teil II
(5) Teilsatz-wertige Partizipalgruppen:
Lachend trug Paul das Tablett ins Zimmer.
Ob eine PG satzwertig verstanden werden soll (und daher mit Kommas abgetrennt wird), hängt auch von ihrer
Platzierung ab:
Paul trug das T, heftig über den Witz lachend, ins Zimmer
Heftig über den Witz lachend(,) trug Paul das Tablett ins Zimmer
Paul trug, heftig über den Witz lachend, das Tablett ins Zimmer (= hier Kommas, weil sonst markierte Stellung innerhalb des Mittelfelds = VOR dem Akkusativobjekt)
(Noch) heftig über den Witz lachend, konnte Paul das Tablett nicht ruhig (genug) halten. = Indikatoren innerhalb desselben Satzes sprechen für Kausalität; auch mit kontextuellen Informationen kann man auf Kausalität lesen.
(6) Welche logischen Bedeutungen gibt es?
Es gibt kausale (Beispiel eben) wie auch modale:
„Er ging, heftig lachend, ins andere Zimmer“ = Er ging ins andere Zimmer, dabei lachte er heftig)
Konditionale Lesart:
Von dir hinreichend unterstützt, könnte ich den Wettbewerb gewinnen. (Potentialis „könnte“ ist KonditionalitätsHinweis)
Ich könnte, wenn von dir hinreichend unterstützt, den ... (= schriftsprachlich grenzwertig)
Von ihm hinreichend unterstützt, konnte er ... (= kausal)
Paul konnte, weil von ihm hinreichend unterstützt, den Wettbewerb gewinnen. (= schriftsprachlich grenzwertig)
Von ihm hinreichend unterstützt, konnte er dennoch/trotzdem nicht ... (= konzessiv)
Die restlichen Nüsse kauend, schrieb Paul einen Brief an Paula.(= Begleitumstand, der ist natürlich grundsätzlich
gleichzeitig; diese temporale Relation steht aber bei der Partizipialgruppe nicht im Vordergrund)
(7) ein interessanter Grenzfall:
(*)Die Arbeit zu seiner Zufriedenheit erledigt (= habend/seiend), ging Paul ins Kaffee. (= temporal, und zwar vorzeitig
= nachdem)
Italienisch: Avendo fatto tutto, Paolo ... (= Aktiv-Rekonstruktion) / Essendo stato finito il lavoro, Paolo ... (= PassivRekonstruktion)
Englisch: The weather being very bad, Paul and Paula decided to stay in bed.
Lateinisch: Roma ab hostibus deleta (= ablativus absolutus)
Das Italienische nimmt das Gerundio für die meisten Funktionen des deutschen P1 sowie für die im Deutschen nicht mögliche Verlaufsform. P1 wird im Italienischen ganz selten benutzt.
(8) partizipal ergänzbare Wortgruppen:
Von der langen Wanderung müde (= seiend), ging Paula früh ins Bett.
(= „Adjektivgruppe“ – oder aber: partizipal ergänzbar zu einer PG)
Paula aß, die Hand in der Tasche (= haltend), langsam ihr Brötchen.
(= „Absoluter Akkusativ“ – oder, sinnvoller: partizipal ergänzbar zu einer PG)
Die eine Hand in der Tasche, konnte Paula den Fotoapparat natürlich nicht auffangen. (= kausal)
Paul hielt ihr, ganz Kavalier der alten Schule (= seiend), die Tür auf.
(= „Absoluter Nominativ“ – oder, sinnvoller: partizipal ergänzbar zu einer PG)
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„hundertprozentig aus Seide“ wäre eine „absolute Adjektivgruppe“. Und hieße es
„zu Hundert Prozent aus Seide bietet der ... „
wäre es eine „absolute Präpositionalgruppe“. Wenn man einfach das passende Partizip ergänzt,
(100% aus Seide (seiend
werden die morphologischen Unterschiede zu normalen Folgen der Valenz dieses Verbs.
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